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Kurz mal einkaufen

Madame Hovestadt war eine angesehene Rechtsanwältin in ihrem Bezirk. Aber dieses Wochenende war sie absolut frei. Keine Termine, keine Besuche, nur einkaufen musste sie noch. Fast übermütig gute Laune hatte sie. Ein junger Mann sprach sie an und lud sie zum Kaffee ein. Er war verrückt, aber Elli Hovestadt heute nicht weniger. Ein kompletter Jux war es für sie, doch die Begegnung beim Tomaten kaufen sollte Folgen haben.

Madame Hovestadt war eine angesehene Rechtsanwältin
in ihrem Bezirk. Aber dieses Wochenende
war sie absolut frei. Keine Termine, keine Besuche,
nur einkaufen musste sie noch.
Fast übermütig gute Laune hatte sie.
Ein junger Mann sprach sie an und lud sie zum Kaffee ein.
Er war verrückt, aber Elli Hovestadt
heute nicht weniger. Ein kompletter Jux
war es für sie, doch die Begegnung
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ückhaltendes dabei denken? Es war doch etwas Selbstverständliches, wir wollten<br />

doch genauso wenig voneinander wie die zwei nebeneinander auf dem Bauch vorm<br />

Laptop liegenden Freunde. Wunderschöne Bilder, der seinen Rüssel entrollende<br />

Schmetterlingskopf, der bremsende Flügelschlag der kleinen Meise, die gerade landen<br />

wollte, die protzig prangenden Blüten der Blumenwiese mit den grauen qualmenden<br />

Kühltürmen im fernen Hintergrund, aber auch anderen Impressionen, wie<br />

der Straße mit dem schmutzigen von Autospuren zerfurchten Schneematsch parallel<br />

zum glatten dunklen Fuss bei trüber Winterstimmung. Ich fragte und Ronnie erklärte<br />

viel. Meine Bewunderungen wurden immer von seinen Understatements pariert.<br />

„Menschen, wo sind denn Fotos mit Menschen, irgendwelche Portraits oder so?“<br />

fragte ich. „Menschen kann ich nicht.“ meinte Ronnie, „Das ist es ja eben. Wenn du<br />

ein Foto machst, äußerst du dich ja in gewisser weise. Es hat ja nur dann Sinn,<br />

wenn es auch jemand zu sehen bekommt. Genauso wie bei einem Roman, einer<br />

Skulptur oder einem ge<strong>mal</strong>ten Bild. Du willst damit kommunizieren, und das kann<br />

ich mit meinen Fotos nicht. Ein Portrait lässt beim Betrachter eine Geschichte<br />

entstehen, der denkt an etwas, wenn er dieses Gesicht so sieht, und diese<br />

Geschichte erzählt ihm der Fotograf durch seine Sicht dieses Menschen. Aber das ist<br />

ja nicht nur bei Portraits so, auch andere Bilder erzählen Geschichten, nur der<br />

Fotograf muss sie sehen, muss das so festhalten, dass man versteht, was er<br />

kommunizieren will. Das kann ich nicht. Da bin ich zu blöd für. Ich kann nur<br />

Hochzeitsfotos und die mach ich lieber in der Natur als von Brautpaaren. Meine<br />

Bilder erzählen keine Geschichten, sind einfach nur schön, gefühlsansprechend,<br />

sentimental, kitschig eben.“ Entsetzlich, alles von dem, was er gesagt hatte, war ja<br />

keineswegs falsch, aber seine Bilder waren wundervoll, nicht kitschig. Kitsch ist,<br />

wenn das Gefühlsbetone, Triviale beziehungslos überquillt. Nichts von alledem, was<br />

man gemeinhin unter Kitsch versteht, war auf einem einzigen der Bilder zu<br />

erkennen gewesen, nirgendwo ein süßliches Schmusekätzchen, putziges Häschen<br />

oder dergleichen. „Das stimmt nicht, was du sagst, Ronnie. Wenn ich deine Fotos<br />

sehe, denke ich, ein Buch mit ihnen würde ich das kaufen? Wahrscheinlich schon,<br />

und kitschige Bücher kaufe ich grundsätzlich nicht. Mit Kitsch hat das nichts zu tun,<br />

was und wie du fotografierst, das sind ernsthafte Bilder und mir fallen auch<br />

Geschichten dazu ein. Die Fotos lassen den Betrachter schon verharren. Nur du<br />

willst wahrscheinlich etwas anderes, du willst große moralische oder soziale Fragen<br />

thematisieren, willst den Betrachter über Macht und geschundene Abhängigkeit<br />

sinnieren lassen. Das andere bedeutet dir nichts, ist nichts wert. Wenn du nicht die<br />

gequälte Seele oder den tyrannischen Familienvater rüberbringen kannst, bist du<br />

ein Stümper und Kitschfotograf. Und ändern lässt sich da sowieso nichts, weil du<br />

das nicht kannst, und du kannst das nicht, weil du zu blöd dafür bist. Ronnie, was<br />

bist du denn für ein Mensch? Ein fünfundzwanzigjähriger Mann in der Blüte seiner<br />

jungen Kraft lässt mich derart defätistisches Gedankengut hören. Deine Bilder sind<br />

toll, du hast sie doch gern gemacht, hast dich gefreut, dass sie so gut gelungen<br />

sind und zu Hause über<strong>mal</strong>st du sie mit schwarzer Farbe von Skepsis und<br />

Pessimismus. Sie sind toll und du prächtiger Mensch hast sie gemacht, und du bist<br />

sicher, dass du Wege finden wirst, auch anderes darstellen und vermitteln zu<br />

können. Es ist nicht so, dass du bestimmte Aspekte nicht fotografisch festhalten<br />

kannst, es ist so, dass dir jegliches Selbstvertrauen und Selbstwertempfinden zu<br />

fehlen scheint. Wahrscheinlich wirst du dich für alles, was dich nicht anfliegt, zu<br />

blöd halten. Du wirst eine Mutter brauchen, die dir immer über's Haar streicht und<br />

ermutigend verkündet: „Du schaffst das schon, mein Kleiner.“<br />

Schnell <strong>mal</strong> <strong>einkaufen</strong> – Seite 10 von 24

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