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Titelthema<br />
Titelthema: Neue Arbeitsformen<br />
„Idealer Ausbildungsberuf“<br />
Rollstuhlfahrerin Jana Treffler schildert ihre<br />
Erfahrungen im Berufsleben und gibt Tipps<br />
Jana Treffler an ihrem Arbeitsplatz in einer<br />
Medizintechnik-Firma<br />
Für mich sind neue Arbeitsformen<br />
für Menschen mit Behinderung ein<br />
wichtiges Thema auch in Bezug<br />
auf die Inklusion. Deshalb möchte ich<br />
in folgendem Artikel meine eigenen<br />
Erfahrungen dazu schildern und den<br />
einen oder anderen Tipp geben. Kurz<br />
zu meiner Person:<br />
Ich bin seit meiner Geburt inkomplett<br />
querschnittgelähmt und benötige<br />
deswegen einen Rollstuhl. Allerdings<br />
war es für mich – und auch für meine<br />
Familie – nie ein Thema, nicht „normal“<br />
arbeiten zu gehen.<br />
Wichtige Voraussetzungen<br />
In einem neuen Werbespot der „Aktion<br />
Mensch“ ist eine junge körperbehinderte<br />
Frau zu sehen, die eine Ausbildung<br />
in einer Firma absolviert, und der<br />
Slogan ist „Kommt man auch mit Gehhilfe<br />
die Karriereleiter hoch“. Diesen<br />
Spot finde ich toll und würde die Frage<br />
mit „ja“ beantworten. Eine wichtige<br />
©Jana Treffler<br />
Voraussetzung dafür ist natürlich eine<br />
gute schulische Ausbildung und die<br />
richtige Berufswahl. Dafür bedarf es<br />
vor allem der Unterstützung von Beratern,<br />
seien es Eltern, Lehrer oder die<br />
Agentur für Arbeit. Denn mit 16 Jahren<br />
möchte man sicher nicht gerade<br />
Bürokauffrau lernen. Es gibt sicher<br />
attraktivere Berufe, ich bin es aber<br />
trotzdem geworden und nach über<br />
20-jähriger Berufserfahrung kann ich<br />
sagen, dass dies ein idealer Ausbildungsberuf<br />
für Menschen mit einem<br />
körperlichen Defizit ist. Man kann in<br />
vielen Branchen als Sachbearbeiter<br />
oder Assistent arbeiten und findet so<br />
schneller eine geeignete Stelle.<br />
Wenn es um neue Arbeitsformen<br />
geht, fällt bei vielen schnell das Wort<br />
Werkstatt mit Behinderung (WfbM).<br />
Dies finde ich als Lösung für Menschen<br />
mit Mehrfachbehinderungen<br />
oder psychischen Problemen durchaus<br />
in Ordnung, aber für Menschen<br />
mit einer reinen Körperbehinderung<br />
sind die Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt<br />
nach einer ordentlichen<br />
Ausbildung oder Umschulung m. E.<br />
gar nicht so schlecht, wie es immer<br />
gesagt wird.<br />
Vorarbeit leisten<br />
Wie ich aus eigener Erfahrung sagen<br />
kann, ist es sehr hilfreich, sich erstmal<br />
aus eigener Initiative für ein Praktikum<br />
zu bewerben, damit der Arbeitgeber<br />
– vor allem der in der freien<br />
Wirtschaft – sich ein Bild von einem<br />
machen kann und man spürt, ob<br />
die „Chemie“ stimmt. Oft habe ich gehört,<br />
dass man als Rolli-Fahrer mehr<br />
als 100 Prozent geben müsse, um jemanden<br />
von sich zu überzeugen, aber<br />
ich glaube, mit etwas Übung und echtem<br />
Interesse an einem Job gelingt<br />
auch dies.<br />
Als ebenfalls wichtig erachte ich,<br />
dass man sich selbst vorher im Paragraphendschungel<br />
kundig macht,<br />
welche Fördermöglichkeiten der Arbeitgeber<br />
hat und wo er z. B. Hilfe<br />
zur Umgestaltung eines Arbeitsplatzes<br />
bekommt. Da für Unternehmer ja vor<br />
allem die finanzielle Seite wichtig ist,<br />
kann man damit im Bewerbungsgespräch<br />
auch punkten.<br />
„Durchhaltevermögen zeigen“<br />
Von mir persönlich kann ich sagen,<br />
dass ich seit der Wende inzwischen<br />
in vier kleineren Firmen gearbeitet<br />
habe und ich bereue keine Minute. Es<br />
waren total unterschiedliche Branchen<br />
– Porzellanindustrie, Physiotherapie,<br />
eine Baufirma und jetzt eine Rehatechnikfirma<br />
– und in jeder habe ich<br />
etwas dazugelernt und konnte meine<br />
persönlichen Erfahrungen machen und<br />
Praxis bekommen.<br />
Auch das ist m. E. sehr wichtig bei<br />
der Jobsuche. Zu diesen Erfahrungen<br />
zählt auch, dass man einem Arbeitgeber<br />
klar machen sollte, dass er einen in<br />
wirtschaftlich schwierigen Zeiten auch<br />
kündigen kann. Wichtig ist, dazu das<br />
Integrationsamt einzuschalten, denn<br />
wenn es der Kündigung zustimmt, bekommt<br />
man als Arbeitnehmer keine<br />
Sperre von der Arbeitsagentur. Auch<br />
bei einem neuen Arbeitgeber kommt<br />
es gut an, wenn man seine Position<br />
berücksichtigt. Denn bei einigen meiner<br />
Bewerbungsgespräche habe ich<br />
gehört, dass Arbeitgeber befürchten,<br />
einen schwerbehinderten Arbeitnehmer<br />
nie wieder loszuwerden. Und diese<br />
Einstellung fördert nicht gerade ein<br />
gutes Betriebsklima. Wenn man auf<br />
Grund seiner Behinderung nur eine<br />
bestimmte Anzahl Stunden arbeiten<br />
kann, kann man oft Arbeitszeitmodelle<br />
in Anspruch nehmen. Ich habe zum<br />
Beispiel an meinem jetzigen Arbeitsplatz<br />
eine Gleitzeitregelung, um z. B.<br />
anstehende Arztbesuche wahrnehmen<br />
zu können. Wichtig ist es, Durchhaltevermögen<br />
zu beweisen und nicht<br />
aufzugeben, dann hat man gerade<br />
im Zeitalter der Inklusion eine gute<br />
Chance, eine ordentliche Teilzeit- oder<br />
auch Vollbeschäftigung zu finden und<br />
sich so ins alltägliche Leben selbst zu<br />
integrieren bzw. inklusiv zu leben.<br />
Jana Treffler<br />
(Die Autorin ist Mitglied des BSK-<br />
Bundesvorstands)<br />
24 LEBEN&WEG 5/2013