Magazin 196605
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unser<br />
ul?<br />
ZU den erstaunlichsten Fähigkeiten des<br />
Menschen- und Tierkörpers gehört es,<br />
daß er Verletzungen mit einem Blutschorf<br />
verschließen kann, unter dem sich durch<br />
Neubildung von Gewebezellen die Heilung<br />
vollzieht. Wären wir dazu nicht imstande,<br />
so müßten wir bei jedem kleinen Unfall verbluten;<br />
vor allem würden Blutungen, wie sie<br />
sich in inneren Organen auch bei scheinbar<br />
gesunden Menschen oft ereignen, zum<br />
Tode führen. Die Natur hat aber Sorge getragen,<br />
daß die entstehende Kruste einen<br />
größeren Blutverlust fast immer verhindert<br />
und nach Erfüllung dieser Aufgabe entweder<br />
abfällt oder aufgelöst wird.<br />
Zur Aufklärung der komplizierten Vorgänge,<br />
die sich bei der Blutgerinnung abspielen,<br />
haben viele Forscher beigetragen. Trotzdem<br />
sind noch nicht alle Einzelheiten bekannt.<br />
Man weiß indessen, daß eine bestimmte<br />
Art von Blutkörperchen sowie eine<br />
lange Reihe von sogenannten Gerinnungsfaktoren,<br />
also Inhaltsstoffen des Blutes,<br />
eine maßgebende Rolle dabei spielen.<br />
Ein Modellversuch, der leicht zu veranstalten<br />
ist, erleichtert das Verständnis. Läßt<br />
man etwas Blut vom Menschen oder von<br />
einem Säugetier in einer senkrechten Glasröh<br />
re einige Zeit stehen, so bildet sich alsbald<br />
ein fester dunkelroter Bodensatz. Die<br />
darüberstehende dünne Flüssigkeit ist hellgelb.<br />
Der rote " Blutkuchen" besteht aus weißen<br />
und roten Blutkörperchen, Blutplättchen<br />
und Fibrin. Die Blutkörperchen schwimmen<br />
im gesunden Blut in ungeheuer großer<br />
Zahl ; die roten sind kernlose Zellen, dienen<br />
dem Sauerstofftransport und verleihen<br />
dem Blut seine charakteristische Farbe,<br />
während die weißen, rasch bewegliche<br />
.. Wanderzellen ", vo r allem zur Bekämpfung<br />
vo n eingedrungenen Krankheitserregern<br />
und Fremdkörpern eingesetzt werden. Der<br />
Zahl nach liegen die schon erwähnten Blutplättchen,<br />
die sogenannten Thrombozyten,<br />
zwischen beiden Arten von Blutkörperchen.<br />
Man hat etwa 250000 von ihnen in einem<br />
Kubikmillimeter Blut gezählt. Mit diesen<br />
Thrombozyten müssen wir uns später noch<br />
beschäftigen. Das gelbe dünne Serum ist<br />
aus dem Plasma, dem flüssigen Anteil des<br />
Blutes, entstanden.<br />
Gerinnung an der "fremden" Fläche<br />
Unser Versuch spielt sich in ähnlicher Form<br />
jedesmal ab, wenn Blut bei einer Verletzung<br />
aus einem Gefäß hervorquillt und dann mit<br />
irgendeiner Fläche in Berührung kommt. In<br />
unserem Modellversuch war es die Wand<br />
des Glases, bei Verwundungen sind es benachbarte<br />
Organe, zerrissene Gefäßwände<br />
oder die Haut. Auch die Innenwand der<br />
Blutgefäße kann das nämliche Ereignis zur<br />
Folge haben, wenn eine Verengung oder<br />
Entzündung des Blutweges vorliegt. Die Berührung<br />
mit einer solchen "fremden" Oberfläche<br />
hat zur Folge, daß das Calcium des<br />
Blutes, der sogenannte Faktor IV, mehrere<br />
andere Faktoren - insgesamt werden etwa<br />
15 unterschieden - in Aktion setzt; dadurch<br />
werden die oben erwähnten Thrombozyten<br />
aus ihrem Ruhezustand angeregt; sie ballen<br />
sich zusammen oder setzen sich an der<br />
Oberfläche oder an Fremdkörpern nieder.<br />
Es wäre für unsere kurze Betrachtung zu<br />
weitläufig, wollten wir das Zusammenspiel<br />
aller Blutgerinnungsfaktoren in seiner Komj:liziertheit<br />
darlegen ; dazu kommt, daß über<br />
manches die Meinungen der Wissenschaftler<br />
auseinandergehen.<br />
Einem Inhaltsstoff des Blutes müssen wir<br />
nun unsere Aufmerksamkeit zuwenden, den<br />
wir bisher noch nicht besprochen haben.<br />
Wir meinen das Fibrinogen. Es ist dies ein<br />
Eiweißkörper, der in der Leber gebildet<br />
wird und den man auch als Faktor I bezeichnet.<br />
Während mehrere der übrigen<br />
Faktoren miteinander reagieren, entsteht<br />
Thrombin, welches das Fibrinogen in Fibrin<br />
umwandelt. Es bildet elastische Fasern, die,<br />
wie in unserem Modellversuch beschrieben,<br />
den gallertartigen Blutkuchen entstehen<br />
lassen. Indem sie sich zusammenziehen,<br />
wird das Serum ausgepreßt und das Gerinnsel<br />
immer mehr verfestigt.<br />
Blutegel verhindert Erstarren<br />
Wir dürfen noch einmal betonen, daß die an<br />
der Gerinnung beteiligten Bestandteile des<br />
Blutes sämtlich erst durch ein höchst verwickeltes<br />
Zusammenspiel in ihre aktive<br />
Form übergehen. Das Blut kann also unter<br />
normalen Umständen in den Adern nicht<br />
von selbst gerinnen. Im übrigen läßt sich<br />
der Vorgang durch verschiedene Medikamente<br />
verzögern oder ganz verhindern.<br />
In erster linie ist hier das Hirudin zu erwähnen,<br />
das vom Blutegel gebildet wird ;<br />
saugt er sich an einem Warmblüter fest, so<br />
ergießt sich etwas Hirudin in die BißsteIle.<br />
Dadurch erreicht das Tier, daß das Blut an<br />
der Wunde und in seinem Körperinnern<br />
nicht vorzeitig erstarrt. Heparin, das in der<br />
menschlichen Leber vorkommt, und mit ihm<br />
verwandte Heparinoide werden ebenso wie<br />
Hirudin dazu benutzt, auf dem Wege der<br />
Einspritzung oder Einreibung bei Stauungen<br />
der verschiedensten Art das Blut<br />
flüssig zu erhalten.<br />
Eine Reihe von synthetischen Stoffen, von<br />
denen etliche mit dem Cumarin oder dem<br />
Indandoin verwandt sind, erfÜllten ähnliche<br />
Zwecke. Blutgerinnsel in den Gefäßen kann<br />
man mit den Fermenten Streptokinase und<br />
Streptodornase zur Auflösung bringen.<br />
Ernsthafte Krankheiten, die mit Gefäßversdllüssen<br />
zusammenhängen, werden so in<br />
oft verblüffender Weise geheitt.<br />
Umgekehrt hat die wissenschaftliche Forschung<br />
eine Reihe von Substanzen aufgefunden<br />
und als Medikamente dem Apotheker<br />
und dem Arzt in die Hand gegeben,<br />
welche die Blutgerinnung fördern. Sie wer·<br />
den au s Eiweiß, Gelatine oder Blut gewonnen<br />
und dem Patienten äußerlich, z. B. al s<br />
Verband oder als Streupuder, aber auch al s<br />
einzunehmende oder einzuspritzende Arznei,<br />
zugeführt und bringen so manche bedrohliche<br />
Blutung zum Stehen. Einer der<br />
größten Fortschritte ist es, daß der Arzt<br />
heute auch Patienten erfolgreich behandeln<br />
kann, die an der früher so gefürchteten<br />
Hämophilie, der Bluterkrankheit, leiden.<br />
Dr. P. B./ GDA<br />
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