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Marcel Kolvenbach - Heinz-Kühn-Stiftung

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Peru<br />

<strong>Marcel</strong> <strong>Kolvenbach</strong><br />

4. Cusco<br />

4.1 Verbotener Pfad<br />

Alle hatten mir von dieser Strecke abgeraten. Aber ich fand die Vorstellung,<br />

aus den Bergen Huancavelicas umständlich per Bus zurück in den Moloch<br />

Lima zu reisen, um dann dort ein Flugzeug zu nehmen, obwohl ich hier doch<br />

schon auf der halben Strecke nach Cusco war, unsportlich. Außerdem wollte<br />

ich mir nicht das Erlebnis der „verbotenen Straße“ nehmen, die Strecke<br />

war erst seit wenigen Jahren wieder für den Personenverkehr freigegeben,<br />

in den Hochzeiten des Leuchtenden Pfads, war sie unpassierbar. Der Weg<br />

von Huancavelica über Huancayo, Ayacucho nach Cusco führte also durch<br />

das Herz der Region, die am meisten unter dem Terror zu leiden und den<br />

höchsten Blutzoll zu zahlen hatte. Die Regionen Ayacucho, Junín, Huánuco,<br />

Huancavelica, Apurímac und San Martín verwandelten sich zwischen 1980<br />

und 2000 zum Friedhof von 83% der Opfer des bewaffneten Kampfes.<br />

Ich musste mir einen Eindruck von der Geografie dieses Ortes des<br />

Grauens machen. Der Bus schlängelt sich über enge Bergpfade und durch<br />

kleine Dörfer, deren Häuser sich in braunem Lehm aus der Erde erheben.<br />

Menschen leben gemeinsam mit ihren Schweinen, Hunden, Hühnern,<br />

Ochsen und Pferden im gleichen, gemeinsam durchpflügten Dreck. Sie<br />

leben auf ihrem Acker von den Geschenken der Natur – Geschenke, die<br />

sie der Erde nur durch ihre harte Arbeit abringen können. Von den kalten,<br />

kargen Höhen in viertausend Metern, in denen nur noch die Lamas Nahrung<br />

finden, herunter auf zweitausend Meter schlängelt sich die halsbrecherische<br />

Piste. Abstieg in die fruchtbar-feuchte subtropische Zone mit braunen fetten<br />

Äckern und grünen Büschen am Wegesrand. Agaven und Opuntien gesellen<br />

sich zunehmend dazu, die Überleitung in die pazifische Halbwüste. Der Weg<br />

schneidet sich durch Gipfel und Felsen, nie einer Richtung folgend, sondern<br />

fast wie eine Liebeserklärung an Berge und Täler ein endloses Schleifen am<br />

Hang entlang, so dass man oft nicht mehr zu sagen weiß, ob es bergauf oder<br />

bergab gehen soll, nach Osten oder nach Westen, offensichtlich ist das Ziel<br />

dieser Serpentinen, die längst mögliche Strecke zu erzeugen, um an möglichst<br />

vielen Dörfern und Höfen und „chakras“ (Äckern) vorbeizustauben.<br />

Beunruhigend für den machtlosen Mitfahrer, die Schluchten, die den<br />

Blick viele hundert Meter ungebremst in die Tiefe ziehen. Der einen Nacht<br />

ohne Schlaf soll eine weitere folgen, die dritte im Bus. Enge Brücken, die<br />

unter den Tonnen des Busses ächzen unterbrechen hin und wieder einen<br />

Bröckelweg, der mal links, mal rechts abzubrechen droht. Wenig später<br />

versperren haushohe Felsbrocken den Weg: ein frischer Erdrutsch. Die<br />

wohl erst vor wenigen Stunden oder Tagen hineingeschnittene Schneise<br />

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