Marcel Kolvenbach - Heinz-Kühn-Stiftung
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Peru<br />
<strong>Marcel</strong> <strong>Kolvenbach</strong><br />
Generalstreik der Taxifahrer. Alle Straßen sind mit Steinen blockiert,<br />
nur wenige Fahrer trauen sich an den mit Steinen bewaffneten Streikposten<br />
vorbei. Ich habe Glück und springe mit auf einen Firmenbus von Shell, der<br />
Geschäftsleute zu ihren Hotels bringt. Der Fahrer erkundigt sich per Funk,<br />
wo es freie Straßen gibt. In den vergangenen Jahren hat das Zentrum der<br />
Stadt einen weniger schönen Rand bekommen. Die Ärmsten der Armen<br />
haben mit provisorischen Gebäuden die Stadt in den sie umgebenden<br />
Wüstensand fortgeschrieben. Ein Schachbrettmuster aus Mauern, viele<br />
ohne Dach – hier regnet es nie – unter Fujimori wurde das Land an die vor<br />
Armut und Terror Flüchtenden verteilt und mit zinsfreien Krediten kleine<br />
Hütten hochgezogen.<br />
In der Stadt aber lebt man eine Art westlichen Lebensstil mit mediterraner<br />
Lebensfreude. Essen beim Türken, einen Drink in der Bar, Tanzen zu Salsa<br />
und Merengue bis tief in die Nacht.<br />
Am Abend nimmt mich Angela auf eine Ausstellung mit. Gesponsert von<br />
der größten Bierbrauerei des Landes ein Sektempfang und kaltes Buffet<br />
der ersten Klasse. Ein bisschen Hollywood, mit Security am Eingang und<br />
einer Liste mit geladenen Gästen, ich habe Glück und stehe mit drauf. Ein<br />
riesiges Partyzelt und Gaslampen sind vor dem Museum aufgebaut, es<br />
werden die Schwarzweißfotos der Brüder Vargas vorgestellt, Portraits der<br />
Arequipenischen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aufwändig<br />
restauriert bei einer Spezialfirma in den USA. Fünf Schönheitsköniginnen,<br />
oder solche, die es noch werden wollen, eingehüllt in weiße Seide und mit<br />
einer goldenen Schärpe umhangen, auf der der Name der Brauerei gut lesbar<br />
eingewoben ist, gehören ebenso zum Bild, wie eine perfekte Audiovision<br />
mit Video-Beamer und einem Podium auf dem die Laudatio gehalten wird.<br />
Ich treffe die Filmemacherin Judith Vélez wieder, die hier ist, um sich bei<br />
den Sponsoren und Mitwirkenden ihres gerade abgedrehten Spielfilms zu<br />
bedanken und lerne die Enkelin der Fotografen kennen, Roxana Chivinos,<br />
die gerade eine Rede auf das Werk gehalten hat. Wie in Europa schaut sich<br />
niemand die wirklich herausragenden Arbeiten an, die viel Ähnlichkeit mit<br />
dem Werk von August Sander haben, sondern man ist hier, um gesehen zu<br />
werden und zu sehen, wer hier ist. Die Arbeitsteilung ist klar, auch wenn<br />
es den einen oder anderen Grenzgänger gibt: bedient wird die weiße Elite,<br />
in makellose Kellneranzüge gezwängt, bedient das indigene Personal.<br />
Rassismus begegnet man hier nicht, er ist auch nicht nötig, da Einfluss und<br />
Wohlstand seit Generationen vererbt werden, wer dennoch den Sprung<br />
aus einem indigenen Umfeld in die Gesellschaft macht, hat sich so an die<br />
herrschenden Verhältnisse angepasst, dass er sicher willkommen ist. Aber es<br />
bleibt die Ausnahme. Nach dem offiziellen Teil verschwinden Roxana und<br />
ihre Freunde auf eine Privatparty in einem kleinen Zweizimmer Apartment,<br />
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