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Marcel Kolvenbach - Heinz-Kühn-Stiftung

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Peru<br />

<strong>Marcel</strong> <strong>Kolvenbach</strong><br />

Viele Quechua und Aymará gehen in die katholischen Kirchen. Sie sind<br />

aber nicht katholisch. Sie kommen, weil sie in den Bildern ihre Mythen und<br />

Götter wieder erkennen. Das Spanisch ist den meisten so vertraut, wie den<br />

Deutschen das Lateinisch, so werden sie nicht von der Predigt abgelenkt.<br />

Sie erkennen in dem getöteten Christus das Menschenopfer, das auch Teil<br />

ihrer Kultur war, und in Maria, die in den Kirchen hier ein sehr weites Kleid<br />

trägt, das fast einem Berg gleicht, erkennen sie Pacha Mama, Mutter Erde,<br />

die Leben schenkt.<br />

Andrea weiß, dass es in einigen kleinen Dörfern an der Grenze zu<br />

Bolivien immer noch Menschenopfer gibt. Mädchen, die noch Jungfrauen<br />

sind, werden der Erde geopfert, um die Götter milde zu stimmen – pago a<br />

la tierra. Aber sie möchte nicht darüber reden. In langen Gesprächen mit<br />

Sara und Andrea wird klar, dass es einen ganzen Kosmos gibt, der unsere<br />

Welt von dem indigenen Weltbild trennt. Und es gibt nur wenige Versuche,<br />

zwischen den beiden Systemen zu vermitteln. Wir benutzen die gleichen<br />

Worte, meinen aber vielleicht etwas völlig anderes.<br />

Mit Sara besuche ich den „Tempel der Fruchtbarkeit“ am Ufer des Titicaca<br />

Sees. Drei Kinder sprechen uns auf Englisch an und erzählen dann in Spanisch<br />

die Geschichte des Tempels, der aus der Zeit vor der Inkaherrschaft stammt.<br />

Sara fragt sie, ob sie die Geschichte auch auf Quechua erzählen können,<br />

sie drucksen verschämt herum und verneinen es dann, Quechua sprechen<br />

sie nur in der Familie. Sie schämen sich und wollen von uns ein paar neue<br />

Worte auf Englisch beigebracht bekommen. „Dollar“ kennen sie schon.<br />

7. La Paz<br />

7.1 Koka – Symbol für indigene Selbstbestimmung<br />

Von Peru nach Bolivien reist man über Desaguadero. Eine pittoreske<br />

Grenzstation. Berge von Waren türmen sich auf beiden Seiten der Grenze<br />

auf und warten darauf, entweder über die Grenze geschafft zu werden, oder<br />

ihren Weg zum Bestimmungsort fortzusetzen. Fernseher, Lebensmittel,<br />

Seifen, lebende Tiere, Kunststoffverpackungen. Manche tragen ihre Waren<br />

in bunten Tüchern auf dem Rücken, andere werden von Fahrradrikschas über<br />

die Grenze gelotst. Niemand zwingt einen, sich einen Stempel bei Ein- oder<br />

Ausreise in den Pass machen zu lassen, kontrolliert wird ein paar Kilometer<br />

später. Schlupflöcher gibt es genug. Sara kennt die Tricks der Schmuggler<br />

und weist mich auf die Frauen mit Benzinkanistern oder die Kisten mit<br />

Eiern hin, die unversteuert von dort nach hier gelangen. In der Nacht<br />

brausen ganze Lastwagenladungen unkontrolliert über die Kontrollpunkte,<br />

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