Ausgabe lesen - rheinkiesel
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Natur<br />
Ein Kraut der<br />
Zwietracht?<br />
Der wissenschaftliche Name Paris<br />
quadrifolia nimmt direkt Bezug<br />
auf diese geheimnisvolle Konstel -<br />
lation. Während die Artbezeichnung<br />
quadrifolia „vierblättrig“<br />
bedeutet, läßt der eigens eingerichtete<br />
Gattungsname „Paris“<br />
zwei Interpretationsmöglichkeiten<br />
zu: Zum einen ist eine Bezug -<br />
nahme auf die Gleichzähligkeit,<br />
lateinisch par = gleich, möglich.<br />
An dererseits – und das ist die<br />
span nendere Variante – könnte<br />
da mit auch der Jüngling Paris aus<br />
der griechischen Mythologie ge -<br />
meint sein: Zur Hochzeit von<br />
Peleus und Thetis sind alle versammelt,<br />
nur Eris, die Göttin der<br />
Zwietracht, war nicht geladen.<br />
Beleidigt wirft sie von außen einen<br />
goldenen Apfel mit der Aufschrift<br />
„der Schönsten“ in die göttliche<br />
Gesellschaft, die darauf in ein allzu<br />
menschliches Gezänk verfällt.<br />
Aphro dite, Athene und Hera streiten<br />
sich um den Schönheitstitel,<br />
ausgelöst durch den „Erisapfel“.<br />
Dieser fand unter dem Namen<br />
„Zankapfel“ Eingang in unsere<br />
Alltagssprache. Die verführerische,<br />
gekrönte Beere könnte diesen<br />
symbolisieren. Die Vierzähligkeit<br />
der Einbeere steht für die drei<br />
Göt tinnen und den schönen,<br />
sterb lichen Königssohn Paris aus<br />
Troja, der die pikante Entschei -<br />
dung treffen soll.<br />
So hat es der oberste Gott Zeus in<br />
seiner Weisheit bestimmt, weil er<br />
wohl ahnte, daß man sich damit<br />
nur in die Nesseln setzen kann.<br />
Jede der Göttinnen versuchte<br />
durch Tricks und Intrigen, die<br />
Sache für sich zu entscheiden, was<br />
schließlich zum Raub der schönen<br />
und ebenfalls sterblichen Helena<br />
führte – aber das ist bekanntlich<br />
schon eine andere Geschichte.<br />
Magisches Heilmittel<br />
Geizt mit Blüten wie mit Früchten: Einbeere in der Blüte<br />
Tödliches Gift spielte dabei im -<br />
mer hin keine Rolle, auch wenn<br />
die Teufelsbeere giftig ist. Ihre<br />
Wir kung wurde aber in der Ver -<br />
gangenheit mystifiziert und bis<br />
heute stellen die Schriften, auch<br />
der aktuellen Gelehrten, unterschiedliche<br />
Behauptungen auf.<br />
Ursprünglich soll das Vierblatt zu<br />
den giftigsten heimischen Pflan -<br />
zen gezählt haben und als Pfeilgift<br />
verwendet worden sein.<br />
Dioscurides, ein griechischer Arzt<br />
und der berühmteste Arznei kund -<br />
ler seiner Epoche, schrieb etwa 50<br />
nach Christus über die Einbeere:<br />
Sie „tödtet die Panther Thier, Säu,<br />
Wölff und andere Thier, in Fleisch<br />
gefült und denen zu essen für<br />
geworffen“.<br />
Noch im 19. Jahrhundert sah man<br />
die Pflanze als „giftig genug“ an,<br />
um sie als Gegenmittel bei Tollwut<br />
einzusetzen. Dazwischen, im Mit -<br />
telalter, behandelte man Pest und<br />
weitere Infektionskrankheiten mit<br />
der „Pestbeere“ beziehungsweise<br />
dem „Hexen- und Teufelskraut“,<br />
dem besondere Kräfte inne wohnen<br />
sollten – ja, mußten! Tat säch -<br />
lich steckt das Gift in allen Pflan -<br />
Juni 2013 15