Neue Armut und ökologische Verhaltensmöglichkeiten. - WZB
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3.4 Die Rolle der Gewerkschaften in der sozialpolitischen<br />
Auseinandersetzung<br />
In allen Debatten zu <strong>Armut</strong> <strong>und</strong> Erwerbslosigkeit wird deutlich, daß die Gewerkschaften<br />
sich erheblich schwer tun, auf den radikalen Wandel der Arbeitswelt mit<br />
einhergehender Massenarbeitslosigkeit aktiv <strong>und</strong> gestaltend zu reagieren. Zwar werden<br />
auf der programmatischen Ebene durchaus gesellschaftspolitische Ziele wie <strong>ökologische</strong><br />
Modernisierung <strong>und</strong> soziale Gerechtigkeit formuliert; auch von Arbeitszeitverkürzung<br />
<strong>und</strong> neuen Formen des Arbeitens <strong>und</strong> Zusammenlebens ist die Rede (vgl.<br />
DGB 1999), aber auf der realpolitischen <strong>und</strong> praktischen Ebene beschränken sich die<br />
Gewerkschaften seit langer Zeit auf das (innerbetriebliche) Kerngeschäft, indem sie<br />
versuchen, die materiellen <strong>und</strong> sozialen Standards der von ihnen vertretenen Arbeitnehmerschaft<br />
zu verteidigen. Oberstes Ziel <strong>und</strong> Leitbild ist nach wie vor die Vollbeschäftigung<br />
nach mehr oder minder altem Muster. So sind die Antworten auf die gesellschaftliche<br />
Entwicklung eher traditionell <strong>und</strong> von dem Ideal der normalen, männlichen<br />
Erwerbsbiographie geprägt.<br />
Diese Sichtweise prägt auch das Verhältnis der Gewerkschaften gegenüber den Erwerbslosen(-organisationen):<br />
Vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Normalarbeitsverhältnisses<br />
als Norm ist Erwerbslosigkeit ein Mangelzustand, eben die Abweichung von der<br />
Norm, <strong>und</strong> Erwerbslose sind die bedauernswerten Opfer der Krise. Aus dieser Perspektive<br />
erscheint die Auflösung dieses herkömmlichen Normalarbeitsverhältnisses<br />
mit wiederkehrenden Phasen von Erwerbslosigkeit <strong>und</strong> die Entstehung anderer Beschäftigungs-,<br />
Tätigkeits-, Lebens- <strong>und</strong> Organisationsformen potentiell als suspekt<br />
<strong>und</strong> bedrohlich. Die Norm selbst wird kaum in Frage gestellt. So ist es naheliegend,<br />
die Lösung in der Wiederherstellung des Normalarbeitsverhältnisses zu sehen <strong>und</strong><br />
z. B. im Bündnis für Arbeit für die Bereitstellung entsprechender Erwerbsarbeitsplätze<br />
zu streiten.<br />
Darüber gerät aus dem Blick, daß Erwerbslose kein monolithischer Block sind, die<br />
einem ebensolchem Block von Normal-Erwerbstätigen gegenüber stehen, sondern<br />
daß (neben einem Sockel von Langzeitarbeitslosen) eben jene unterbrochenen Berufsbiographien<br />
mit Phasen von Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> Erwerbslosigkeit für viele<br />
Menschen bereits die Normalität sind <strong>und</strong> noch zunehmen werden.<br />
Ebenso aus dem Blick geraten die Chancen, die neben allen Risiken in der Veränderung<br />
der Arbeitswelt liegen. Nicht nur gezwungenermaßen verliert das Normalarbeitsverhältnis<br />
seinen Stellenwert. Nicht mehr die lebenslange Vollzeitbeschäftigung<br />
bei einem Arbeitgeber ist attraktiv, sondern ein Arbeitsleben, in dem sich Erwerbsarbeit<br />
(voll oder teilzeit) mit Reproduktions-, Familien-, Eigen- oder freiwilliger Arbeit<br />
<strong>und</strong> Phasen von (Aus-)Bildung, Urlaub, Orientierung etc. abwechseln <strong>und</strong> mehr<br />
Freiheit für die Lebensgestaltung schafft. So wären auch Phasen von Nicht-Erwerbstätigkeit<br />
normaler Bestandteil einer Biographie, <strong>und</strong> Erwerbslose wären nicht mehr<br />
„die anderen“. Die Akzeptanz eines solchen Modells von der Zukunft der Arbeit<br />
würde eine andere Sicht auf Problem <strong>und</strong> Lösung ermöglichen <strong>und</strong> eine andere Prioritätensetzung<br />
erfordern.<br />
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