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14 Andreas Fischer – Reden über HIV. Reden über HIV? Blickpunkt <strong>Aids</strong><br />

er bis dahin mit niemandem über seine mehrjährige Infektion<br />

gesprochen hatte. Diese Haltung fand ich ziemlich einsam. Vor<br />

meinem Coming-out als Homosexueller war das auch nicht anders.<br />

Damals dachte ich über viele Jahre, ich wäre der einzige<br />

Homosexuelle auf dieser Welt. Und wenn ich mich recht entsinne,<br />

war das die einsamste Zeit meines Lebens.<br />

Mit Ingo gibt es ein besonderes Versteckspiel: Ich weiß, dass<br />

er seit langem positiv ist und HAART einnimmt. Ich möchte<br />

ihn nicht mit meinem Wissen erschrecken und deshalb nicht<br />

persönlich darauf ansprechen. Also nehme ich, sozusagen als<br />

diskretes Angebot, meine Tabletten ganz offen und unübersehbar<br />

vor ihm ein. Bis heute tut er so, als wenn er es nicht<br />

sehen würde. Ich lasse ihn jetzt in Ruhe, obwohl ich weiß,<br />

dass er unter der Infektion seelisch leidet.<br />

Nach zwei Jahrzehnten, in denen HIV ein viel diskutiertes Thema<br />

war, hat HAART verstärkt dazu geführt, dass wieder geschwiegen<br />

wird und die Infizierten sich zurückziehen. In den letzten<br />

Jahren ist niemand auf mich zugekommen, um von sich aus zu<br />

erzählen, er sei positiv. Die Angst im Umgang mit diesem Thema<br />

ist unverändert groß. Dass jedoch sehr oft ein gutes Gespräch<br />

zustande kommt und gegenseitiges Vertrauen entsteht, sobald<br />

ich von mir und meiner Infektion erzähle, zeigt mir, dass es einen<br />

unverändert großen, aber verdrängten Wunsch gibt, darüber zu<br />

reden.<br />

Über seine Infektion zu reden bedeutet aber noch wesentlich<br />

mehr, als das Verständnis und die Akzeptanz für Positive zu<br />

verbessern und die Wahrnehmung des Themas durch Positive<br />

wie Negative zu ändern. Reden über HIV ist vor allem wichtig<br />

für das eigene Seelenleben. Unsere Seele passt ständig auf,<br />

was wir tun und was wir lassen. Sie merkt ganz genau, wenn<br />

wir zu einem Thema schweigen, das uns emotional wichtig ist<br />

und uns viel beschäftigt. Sie kann dann nur zu dem Schluss<br />

kommen, dass es dabei um etwas Schlimmes gehen muss,<br />

und wird – meist unbemerkt – traurig oder sogar depressiv.<br />

Diese Traurigkeit sieht man im Gesicht vieler Positiver.<br />

Ich glaube, dass es Parallelen zwischen dem angsterfüllten<br />

schwulen Coming-out vor 20 Jahren und dem ebenso angsterfüllten<br />

heutigen Coming-out als Infizierter gibt. Nicht über<br />

sich zu reden war damals kraftraubend und ist es heute noch.<br />

Es nimmt uns die Chance auf gesellschaftliche Integration und<br />

mehr persönliches Glück. Mehr Mut zum Reden und damit ein<br />

schrittweises „HIV-Coming-out“ ist gut für alle: die Unwissenden,<br />

die Ängstlichen, die Ausgegrenzten, ob nun HIV-negativ<br />

oder HIV-positiv. Und es tut vor allem, wie ich selbst erfahren<br />

habe, der eigenen Seele gut.<br />

Anfänglich habe ich sehr genau überlegt, mit wem ich darüber<br />

reden mag, aber mit der Zeit wurde ich immer freier und offener.<br />

Mit jedem Gespräch (sie waren alle gut), stieg der Mut zum<br />

Reden und mein Umgang mit der Infektion wurde unbelasteter.<br />

Zum Wissen, dass HAART hilft, kam immer mehr auch das Gefühl,<br />

dass mich HIV nicht stärker bedroht als andere Lebensrisiken.<br />

Dies ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, zumal ich in<br />

der Anfangsphase meiner Infektion panischer und irrationaler<br />

reagiert hatte als alle mir bekannten Betroffenen.<br />

Der Mut, über seine Infektion zu reden, darf aber nicht mit einer<br />

Mutprobe verwechselt werden, indem man sich keine Gedanken<br />

über die damit verbundenen Risiken macht. Ich habe daher nur<br />

ganz selten darauf verzichtet, vorab über die Folgen und möglichen<br />

Gefahren meines Redens nachzudenken. Für mich wäre<br />

es derzeit eine Mutprobe, meinen Arbeitskollegen von meiner<br />

Infektion zu erzählen, obwohl wir uns hervorragend verstehen.<br />

Letztlich weiß ich trotz des guten zwischenmenschlichen Verhältnisses<br />

nicht, was in deren Köpfen vor sich geht. Der Preis,<br />

in der Arbeit täglich mit Angst oder Ausgrenzung konfrontiert<br />

zu werden, ist mir zu hoch.<br />

Ähnlich verhält es sich im Sportverein. Ich weiß, dass ich andere<br />

nicht gefährde, wenn ich mit ihnen Sport treibe. Und da ich nicht<br />

die geringste Lust habe, beim Sport mit der Angst eines Mitspielers<br />

konfrontiert zu werden, sich beim Körperkontakt oder<br />

einer Verletzung anstecken zu können, halte ich auch dort lieber<br />

meinen Mund.<br />

Neben der Möglichkeit, über HIV zu sprechen, lasse ich mir<br />

auch die Freiheit, über meine Infektion zu schweigen. Was<br />

nichts an meinem Wunsch ändert, HIV immer mehr als Teil<br />

meines Lebens wahrzunehmen, den ich vor niemandem verstecken<br />

muss. Insgesamt glaube ich, dass sich ein Harvey Milk<br />

– 20 Jahre nach seinem Aufruf zum Coming-out aller Homosexuellen<br />

– auch an Positive gewandt hätte, um ihnen Mut zu<br />

machen, miteinander und mit Negativen zu reden und das<br />

Coming-out als Positive zu wagen. Er hätte nicht gesagt, dass<br />

das einfach ist, aber er hätte wahrscheinlich gesagt “Wenn ihr<br />

das schafft, dann werdet Ihr euch so viel besser fühlen!”

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