Download (6,5 MB) - Aids-Hilfe - Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
Download (6,5 MB) - Aids-Hilfe - Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
Download (6,5 MB) - Aids-Hilfe - Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
engagieren Fabian Straßenburg – Sensibilität statt Rollenspiel 25<br />
Die Zielgruppe sind junge Schwule und<br />
Lesben von 14 bis 26. Das weckt und<br />
schürt Erwartungen: Freizeit, Sonne,<br />
Spaß, Entspannung – eben Urlaub. Und<br />
zwar in einer Gruppe Gleichaltriger, vor<br />
denen man sein Schwul- oder Lesbischsein<br />
nicht verstecken muss.<br />
Hunderte von Jugendlichen nehmen Jahr<br />
für Jahr an Lambda-Veranstaltungen im<br />
In- und Ausland teil. Klar, dass da auch so<br />
mancher Jugendliche mitfährt, der auf<br />
der Suche nach der ersehnten Liebe oder<br />
einfach einer Romanze ist. Spätestens<br />
dann stellt sich mir und den ehrenamtlichen<br />
Teamern der Lambda-Freizeiten,<br />
alles junge Frauen und Männer im Alter<br />
zwischen 20 und 30 Jahren, die Frage:<br />
Muss ich, kann ich, will ich als Teamer<br />
jetzt und hier Aufklärungsarbeit über<br />
HIV leisten?<br />
Der Kontakt zu Aufklärungsmedien zum<br />
Thema ist bei Jugendlichen am höchsten<br />
unter allen Altersgruppen in Deutschland. 1<br />
Neun von zehn der 16- bis 20-Jährigen<br />
geben an, in der Schule das Thema behandelt<br />
zu haben. Davon sagen sieben,<br />
sie hätten viel oder sehr viel darüber erfahren<br />
und fühlten sich insgesamt gut<br />
informiert.<br />
Bei schwulen und lesbischen Jugendlichen<br />
dürfte diese Quote noch höher<br />
liegen, sind sie doch als spezielle Zielgruppe<br />
einem regelrechten Präventionsbombardement<br />
ausgesetzt. Vor diesem<br />
Hintergrund macht es stutzig, dass<br />
„Sorgen wegen <strong>Aids</strong>“ nach den Themen<br />
„Partnerschaftsprobleme / Liebeskummer“<br />
und „Einsamkeit“ für schwule<br />
Jugendliche an dritter Stelle der sie am<br />
meisten beschäftigenden Probleme steht.<br />
<strong>Aids</strong> ist für immerhin 40 Prozent der<br />
jungen Schwulen ein Grund für Sorgen. 2<br />
Die Ursache ist, hört man sich einmal<br />
bei den Jugendlichen auf Lambda-<br />
Veranstaltungen um, nicht schwer zu<br />
erkennen: Die Wissensdecke ist dünn.<br />
„Gefühlter“ Aufklärungsstand und der<br />
vielfach geäußerte Eindruck der Präventionsübersättigung<br />
stehen großen<br />
Wissenslücken im Detail gegenüber,<br />
gepaart mit einer zunehmenden Sorglosigkeit<br />
– jedenfalls im entscheidenden<br />
Moment. Grund zur Beunruhigung, nicht<br />
nur für die Jugendlichen selbst.<br />
Doch wie können die schwul-lesbischen<br />
Teamer die Abwehrhaltung und das Übersättigungsgefühl<br />
– „nicht schon wieder<br />
das Thema!“ – überwinden und das offenbar<br />
vorhandene Wissensdefizit bekämpfen,<br />
das in Teilen auch „nur“ ein Defizit an<br />
konsequentem Handeln ist? Die Antwort<br />
liegt bei dem, was Jugendleiter ohnehin<br />
lernen müssen, nämlich den Spagat zwischen<br />
den eigenen Ansprüchen und den<br />
Erwartungen und Wünschen der Jugendlichen<br />
hinzukriegen.<br />
<strong>Aids</strong> ist nur ein Thema unter vielen,<br />
die danach verlangen, in geschickter<br />
Weise im Rahmen der allgemeinen<br />
Arbeit berücksichtigt zu werden.<br />
Die Basis besteht aus einer fundierten<br />
Vorbereitung der Teamer. Denn wer<br />
selbst unsicher ist, kann keine Unsicherheit<br />
bei anderen beseitigen.<br />
Also keine dozierende Einweisung am<br />
Beginn der Freizeit, kein Themenabend<br />
zu <strong>Aids</strong> als Pflichtveranstaltung und kein<br />
sozialpädagogisches Rollenspiel, das den<br />
Jugendlichen zwanghaft und aufgesetzt<br />
vorkommen muss. Stattdessen werden<br />
Sensibilität für Situationen und Aufmerksamkeit<br />
im Gespräch geboten. Und zwar<br />
ohne Scheu, die eingenommene Position<br />
des Gegenübers in Frage zu stellen und<br />
am eigenen Panzer zu kratzen.<br />
Dazu gehört im Zweifel der Mut, sich<br />
an einer Stelle zu exponieren, an der es<br />
einem selbst vielleicht unangenehm ist.<br />
Nicht jeder kann von Anfang an mit Selbstsicherheit<br />
über Fragen der Sexualität mit<br />
Leuten reden, die er erst seit wenigen<br />
Tagen, ja Stunden kennt.<br />
Vor einiger Zeit schrieb mir ein enger,<br />
knapp über zwanzig Jahre alter Freund:<br />
„Ich habe erfahren, dass ich HIV-positiv<br />
bin. Das ist so schrecklich und ich begegne<br />
dieser Wahrheit mit Kompensation<br />
und völliger Leere. Brauche jetzt für mich<br />
Zeit. Wenn ich Kraft habe, melde ich mich<br />
wieder.“ Zweitausend HIV-Neuinfektionen<br />
im Jahr sind eine Statistik, ein infizierter<br />
Freund ist eine Tragödie. 3 Vielleicht gelingt<br />
es besser, Bewusstsein zu schaffen<br />
und Veränderungen zu erreichen,<br />
wenn die Gefährdung nicht abstrakt<br />
bleibt.<br />
Am Wichtigsten scheint, das Ausmaß der<br />
Verantwortung klarzumachen, das alle<br />
tragen – für sich und andere.<br />
Es geht um mehr als die Vermittlung<br />
eines Themas, es geht um Wertebildung,<br />
auf die ich als Teamer Einfluss<br />
nehmen kann. Es geht darum, den<br />
Boden zu bereiten, auf dem die Saat der<br />
im Überfluss zur Verfügung stehenden<br />
Informationsangebote aufgehen kann.<br />
Einen Boden, der nicht vom ersten Wind<br />
davon geweht wird.<br />
1<br />
<strong>AIDS</strong> im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik<br />
Deutschland 2002. Herausgegeben von der<br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.<br />
Köln 2003.<br />
2<br />
Biechele, Ulrich: Schwule Jugendliche. Ergebnisse<br />
zur Lebenssituation, sozialen und sexuellen Identität.<br />
Dokumentation. Herausgegeben vom Niedersächsischen<br />
Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales.<br />
Hannover 2001.<br />
3<br />
Hier natürlich ganz anders gemeint als das zynische<br />
Ursprungszitat von Josef Stalin: “Ein Toter ist eine<br />
Tragödie, eine Million Tote sind eine Statistik.“