Download (6,5 MB) - Aids-Hilfe - Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
Download (6,5 MB) - Aids-Hilfe - Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
Download (6,5 MB) - Aids-Hilfe - Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
36 Sebastian Müller – Jung + positiv Blickpunkt <strong>Aids</strong><br />
weil es halt von Schwulen kommt. Die wollen nun mal immer<br />
was Junges, Frisches haben. Ich habe auch schon als Rechtfertigung<br />
für Unsafen Sex von einem Älteren gehört: „Ich habe<br />
nur Jüngere, die sind ja noch gesund“. Was soll man dazu<br />
sagen?<br />
Vielleicht ist das mit dem sexuellen Interesse nur eine böse<br />
Unterstellung. Aber ich glaube sogar, dass sie die gemeinsame<br />
Betroffenheit als Ausgangspunkt sehen, ein junges positives<br />
Schmuckstück zu finden. Das sind Vermutungen und Vorbehalte,<br />
ich weiß. Aber keine unüberbrückbaren.<br />
Kannst du dir vorstellen, wie es vor zehn oder zwanzig<br />
Jahren war, positiv zu werden?<br />
Gewisse Sachen hat man durch die Medien mitbekommen…<br />
Ich kenne Erzählungen, wie es vor der Kombitherapie war. Ich<br />
würde mir aber nicht anmaßen, wirklich etwas davon zu wissen.<br />
In den Schwulenmagazinen stand sicherlich was drin, aber das<br />
hat mich früher alles nicht erreicht. Man muss die Geschichten<br />
von früher respektieren und akzeptieren, dass die damaligen Zeiten<br />
die Leute sehr stark beeinflusst haben. Das merke ich an<br />
den Freunden, von denen ich mir die Geschichten schon anhöre,<br />
aber in Maßen. So viel Spielraum muss sein. Wenn meine Oma<br />
aus dem Krieg erzählte, war das auch wichtig und richtig, sie hat<br />
es ja nun mal erlebt und es hat sie geprägt! Dafür habe ich Verständnis.<br />
Aber mir hört der größte Teil der Älteren auch nicht wirklich offen<br />
zu oder setzt sich persönlich mit meiner Situation auseinander.<br />
Weil sie damit nichts anfangen können. Die haben zwar Interesse,<br />
aber ich muss den meisten vorwerfen, dass sie in ihrer<br />
eigenen Welt bleiben. Auch irgendwie verständlich, schließlich<br />
waren sie in meinem Alter noch nicht mit HIV konfrontiert. Einer<br />
sagte mal, es sei blöd, dass wir nicht auch eine Jugend mit freier<br />
Sexualität und allem erleben können.<br />
Findest du, die Älteren haben gegenüber den Jüngeren<br />
mehr Verantwortung beim Sex?<br />
Ich sage mal, für meine Infektion bin ich verantwortlich. Anderseits<br />
wäre ich froh gewesen – und hätte auch anders gehandelt<br />
– wenn ich wirklich gesagt bekommen hätte, dass es nicht nur<br />
Ältere betrifft. Wenn man einfach mal klarer formuliert hätte<br />
“Es kann auch dich treffen“. Das wäre schon Sache der Älteren<br />
gewesen. Man kann nicht erwarten, dass so was von<br />
Teenagern kommt!<br />
Mir liegt es nicht, zu sagen „Du hättest mich informieren müssen“.<br />
Vielleicht bin ich ja an jemanden geraten, der es von sich<br />
selbst nicht wusste. Ich habe mich schon gefragt, wie es wäre,<br />
wenn ich wüsste, wer mich infiziert hat. Aber das würde nichts<br />
ändern, denn selbst, wenn ich denjenigen verprügeln würde,<br />
wäre ich nicht wieder negativ. Vielleicht kann ich das deshalb<br />
sagen, weil ich nicht weiß, wer es war – worüber ich, so gesehen,<br />
auch ein bisschen froh bin.<br />
Musstest du dir schon mal die Frage „Wie konnte das<br />
passieren?“ anhören?<br />
Von Gleichaltrigen kam die Frage noch nie! Die erschrecken sich,<br />
weil sie es nicht von mir gedacht hätten. Und dass das überhaupt<br />
möglich ist. Ob sie deshalb selbst mehr Kondome benutzen,<br />
bezweifle ich jedoch.<br />
Auch die schon lange Infizierten machen uns diesen Vorwurf<br />
nicht. Eigentlich kommt er nur von denen, die so um die fünf<br />
Jahre länger als ich infiziert sind und die mit ihrer eigenen Infektion<br />
noch zu kämpfen haben, was sie auf mich abwälzen.<br />
Meinen Mitschülern gegenüber war ich bis vor einigen Monaten<br />
weder offen schwul noch positiv. Durch eine Radioreportage<br />
über mich zum Welt-<strong>Aids</strong>-Tag hat sich das schnell geändert. Als<br />
ich im Hotel kündigte, wollte meine Chefin, dass ich zumindest<br />
als Aushilfe bleibe. Das mache ich bis heute gerne. Als ich ihr<br />
von meinem HIV erzählte, zeigte sie viel Verständnis und wollte,<br />
dass ich es den Kollegen sage. Ich wollte das damals nicht, aber<br />
als sie mich nach der Radiosendung anrief, kam ich schon in Verlegenheit.<br />
Ich fand es okay, dass sie es den Mitarbeitern erzählte,<br />
nachdem sie angesprochen wurde. Ich wurde zum Glück<br />
weiterhin einfach als netter Kollege gesehen, der gebraucht<br />
wird, und nicht als Positiver.<br />
In der Schule wissen es zwei Leute, denen gegenüber es mir<br />
mal bei etwas viel Wein rausgerutscht war. Ich bat sie, es nicht<br />
weiterzuerzählen. Sie kamen nicht wirklich darauf zurück, sind<br />
aber schon interessiert, wie es mir geht.<br />
Der Schuldirektor reagierte gelassen, als ich es ihm sagte,<br />
weil ich Sonderurlaub für den <strong>Aids</strong>kongress brauchte. Der<br />
Stufenleiterin sagte ich es in einer dämlichen Situation: Ich verbrachte<br />
fast einen ganzen Tag mit Apotheken- und Arztbesuch<br />
und da ich nicht lügen wollte, erzählte ich ihr von den Medikamenten<br />
und wofür ich sie so dringend benötigte. Sie fragte am<br />
nächsten Tag nach, was sehr okay war. Vor zwei Wochen hielt<br />
ich ein Referat über HIV und <strong>Aids</strong> und sie frage mich, ob ich es<br />
den anderen miteilen wolle, was ich aber nicht tat.<br />
Richtig quer gekommen ist mir mal in der Kneipe einer, der es<br />
aber auch darauf angelegt hatte. Der Kerl baggerte mich an, und<br />
um ihn loszuwerden, erzählte ich von meiner Infektion. Er fand<br />
das natürlich „überhaupt kein Problem“, aber der Kopf rauchte<br />
ihm ganz schön und er verzog sich.