Download (6,5 MB) - Aids-Hilfe - Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
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engagieren Sebastian Müller – Jung + positiv 37<br />
Wofür engagierst du dich?<br />
Zu 20+pos stieß ich im Sommer 2000 durch einen Aufruf in der<br />
Selbsthilfezeitung „Position“. Damals war die Gruppe ganz neu.<br />
Der Kontakt zu positiven Gleichaltrigen hat mein Selbstbewusstsein<br />
stark geprägt und mich aus der Isolation geholt.<br />
Mit zwei aus der Gruppe bin ich so gut befreundet, dass mir das<br />
eigentlich reichen würde. Ich engagiere mich aber weiter, weil<br />
ich weiß, wie wichtig die Gruppe für mich damals war. Deshalb<br />
möchte ich sie für andere erhalten.<br />
Inzwischen machen sich Unterschiede bemerkbar. Wenn heute<br />
neue Leute hinzukommen, merkt man, dass sie ein Anspruchsdenken<br />
haben. Die wollen eher unterhalten werden oder kommen<br />
zur Partnersuche, und wenn dann nichts dabei ist, gehen<br />
sie wieder. Wir wollten damals nur die Möglichkeit zum Treffen<br />
und Austauschen.<br />
Also in der Regel sind die Neuen nicht ganz frisch infiziert und<br />
haben schon mit anderen darüber geredet. Wie sie den ersten<br />
Austausch hinkriegen, der uns damals so wichtig war, weiß ich<br />
nicht. Jedenfalls suchen sie das nicht in der Gruppe.<br />
Wir mussten vor kurzem einen fast gleichaltrigen Freund aus<br />
unserer Gruppe beerdigen, der <strong>Aids</strong> und Krebs hatte. Zum<br />
„Glück“ konnten wir uns auf sein Sterben vorbereiten und die<br />
<strong>Aids</strong>hilfe bot uns Unterstützung. Aber die Gruppe hat schon<br />
einen Knacks abbekommen. Die ihn kannten sind enger zusammengerückt,<br />
aber einige Neue waren Außenstehende. Für<br />
mich hat <strong>Aids</strong> und Sterben immer zusammengehört, für andere<br />
in meinem Alter, auch für Positive, ist Sterben sehr weit weg.<br />
Bei JuPo, einem Kölner Präventionsprojekt, habe ich an einem<br />
Spot mitgewirkt. Mich hat hauptsächlich das Entstehen eines<br />
Films gereizt, denn ich wollte mich mehr mit Prävention beschäftigen.<br />
Ich habe nicht das Recht, jemandem zu sagen, er<br />
solle Kondome nehmen. Ich wollte wissen, ob ich mir diesen<br />
Konflikt selbst einrede und ich fand heraus, dass ich diesen<br />
Zwiespalt nicht haben muss und dass ich natürlich andere aufmerksam<br />
machen kann.<br />
Da ich keine Eltern mehr habe, kann ich etwas freier agieren.<br />
Ich spüre eine gewisse Verantwortung, in die Öffentlichkeit<br />
zu gehen und zu sagen „Es gibt junge positive Menschen“.<br />
Ich möchte von den Problemen mit den Pillen, den Arztbesuchen,<br />
den Auseinandersetzungen mit Tod und Sterben<br />
berichten. Das sehen die Leute nicht, das muss man ihnen<br />
erzählen. Ich persönlich kann keinen verurteilen, der trotzdem<br />
leichtsinnig ist, aber ich kann Einblicke verschaffen. Ich möchte<br />
durch die Mediengeschichten der letzten Zeit aber nicht zum<br />
Vorzeigepositiven werden. Bei Anfragen ist zwar klar, dass ich<br />
die Freiheit habe, mich zu zeigen, aber ich spreche das immer<br />
mit meinem Bruder ab. Mein Foto sollte nicht unbedingt auf<br />
der Titelseite sein, so viel Rücksicht nehme ich gerne auf ihn.<br />
Die nimmt er ja auch auf mich, wenn er es Freunden erzählt.<br />
Manche gehen schon anders mit mir um, alleine schon, wie sie<br />
fragen, wie es mir geht. Aber das ist auch meine Hellhörigkeit.<br />
Neulich war ein großes Foto von mir in der “Exit“, einem kostenlosen<br />
Schwulenmagazin in Nordrhein-Westfalen, abgebildet.<br />
Ich wurde von jemandem angesprochen, der meine Offenheit<br />
ganz toll fand, sich so was aber nicht trauen würde. Ich fragte<br />
ihn, wie man für Akzeptanz und Toleranz werben soll, wenn<br />
man nicht bereit ist, dafür etwas zu tun. Außerdem war ein<br />
positives Coming-out früher noch was ganz anderes, da macht<br />
man heute doch andere Erfahrungen. Das Klima ist weniger<br />
panisch und man muss sich nicht mehr verstecken. Was es<br />
andererseits aber auch schwieriger macht, auf sich aufmerksam<br />
zu machen. Vielleicht müssen wir deshalb wieder provokativer<br />
und offener werden, sonst finden wir kein Gehör.<br />
Wenn man mir sagt, ich wäre durch mein Engagement zu sehr<br />
eingespannt, antworte ich, dass ich auf diese Weise meinen<br />
Interessen folge. Ich setze mich dadurch mit mir und mit der<br />
HIV-Infektion auseinander. Das tut mir gut.<br />
Ich hätte gerne, dass jeder schaut, wo er sich engagieren und<br />
einbringen kann. Ich bin nicht das Maß der Dinge, es reicht ja<br />
schon, wenn man sich einmal im Monat eine Stunde mit etwas<br />
auseinandersetzt. Ich glaube, dass man dadurch etwas gegen<br />
die gesellschaftliche Kälte erreichen könnte.<br />
Ich möchte für Akzeptanz und Toleranz eintreten. Deshalb bin<br />
ich im Forum der LAG (Landes Arbeitsgemeinschaft) „Positiv<br />
handeln“ in der <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong> Nordrhein-Westfalen aktiv, wo man<br />
mich so schätzt, dass ich einstimmig zum Sprecher gewählt<br />
wurde.