DER RING - Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel
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12. Angehörigentag in <strong>Bethel</strong><br />
Für das Recht auf Unvernunft<br />
Als vor 20 Jahren das Betreuungsrecht<br />
in Kraft trat, wurde<br />
das Miteinander von betreuender<br />
und betreuter Person<br />
neu definiert. »Das war eine<br />
Stärkung der Selbstbestimmung<br />
von Menschen mit<br />
Behinderung durch den<br />
Gesetzgeber«, betonte Richter<br />
Ralf Stoffregen in Bielefeld-<strong>Bethel</strong>.<br />
Dass das Betreuungsrecht<br />
immer noch ein<br />
Thema ist, das viele Angehörige<br />
bewegt, belegte die<br />
große Resonanz des zwölften<br />
Angehörigentags. Er fand<br />
Ende September in der Neuen<br />
Schmiede statt.<br />
Über die Gesundheitsfürsorge bei betreuten Menschen diskutierten (v. l.) die Angehörigenvertreter<br />
Rolf Winkelmann und Prof. Dr. Silvia Pöld-Krämer, Moderatorin Ulrike<br />
Föhst, <strong>Bethel</strong>.regional-Geschäftsführer Michael Conty, Marco Möller vom AWO-Betreuungsverein,<br />
Ralf Stoffregen, Dr. Christian Beckers und Lars Timm, Geschäftsführer des<br />
Vereins für Betreuungen in Bielefeld.<br />
Foto: Elbracht<br />
Besonders herausfordernd seien<br />
Situationen in der Betreuung<br />
eines Menschen, in denen der zu<br />
Betreuende sich einer medizinischen<br />
Behandlung verweigere,<br />
stellte Ralf Stoffregen, Richter<br />
am Amtsgericht Bielefeld, fest.<br />
Schließlich dürfe in der Gesundheitsfürsorge<br />
keine Betreuung<br />
über den Kopf des Betreuten<br />
erfolgen. »Das findet heute auf<br />
Augenhöhe statt.« Das hierarchische<br />
Beziehungsmodell –<br />
etwa eines Vormunds zu seinem<br />
Mündel – habe ausgedient,<br />
»Entmündigungen« seien passé.<br />
So gebe es zahlreiche »Genehmigungserfordernisse«,<br />
wie bei<br />
gefährlichen medizinischen Maßnahmen,<br />
bei der – heute stark<br />
rückläufigen – Sterilisation oder<br />
bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen.<br />
Diese Maßnahmen seien<br />
ohne Zustimmung der betreuten<br />
Person nur zulässig, wenn eine<br />
freie Willensbestimmung ausgeschlossen<br />
werden könne. »Um<br />
diese auszuschließen, reichen<br />
gelegentliche unsinnige Entscheidungen,<br />
wie sie etwa von<br />
Suchtkranken getroffen werden,<br />
nicht aus.«<br />
20<br />
Die positive Entwicklung im<br />
Betreuungsrecht belegte auch<br />
Dr. Christian Beckers vom Ärztlichen<br />
Dienst von <strong>Bethel</strong>.regional.<br />
Der Mediziner erinnerte an die<br />
1970er-Jahre. Damals habe die<br />
Psychiatrie zu 80 Prozent aus<br />
geschlossenen Stationen bestanden:<br />
»Im Grunde genommen<br />
war das ausschließlich Zwangsbehandlung.«<br />
Heute gebe es solche<br />
Bereiche – mit wenigen Ausnahmen,<br />
wie etwa der Gerontopsychiatrie<br />
– so gut wie gar nicht<br />
mehr. Auch der <strong>Bethel</strong>-Mediziner<br />
ist überzeugt, dass nicht alles<br />
nachvollziehbar sein müsse, was<br />
ein Betreuter wolle: »Es gibt ein<br />
Recht auf Unvernunft, für behinderte<br />
wie für nicht behinderte<br />
Menschen.«<br />
Oft Missverständnisse<br />
Seiner Erfahrung nach sind es oft<br />
Missverständnisse, die eine Verweigerungshaltung<br />
hervorrufen.<br />
Ein Patient habe das Krankenhaus<br />
partout nicht betreten wollen, gab<br />
Dr. Christian Beckers ein Beispiel.<br />
Auf Nachfrage erklärte er seine<br />
Haltung: »Ich kann mir das nicht<br />
leisten.« Anstelle langwieriger –<br />
und sehr wahrscheinlich erfolgloser<br />
Erklärungen zur Kostenträgerschaft<br />
– sagte Dr. Beckers<br />
nur kurz: »Ach, wissen Sie was?<br />
Ich lade Sie ein!« Der Patient war<br />
beruhigt – und kooperierte.<br />
»Ersparen Sie den Patienten<br />
umfangreiche Diagnostik«,<br />
appellierte der Mediziner an<br />
Angehörige und Ärzte. 90 Prozent<br />
aller Krankheiten würden<br />
bereits in der Anamnese erkannt.<br />
»Man kann auf ein Röntgen verzichten,<br />
wenn man weiß, dass<br />
das den Patienten stark belastet.«<br />
Schließlich sei jeder Zwang<br />
an sich auch eine oftmals traumatisierende<br />
Beeinträchtigung:<br />
»Menschen im Langzeitbereich,<br />
die vor 20 Jahren einmal fixiert<br />
wurden, können Ihnen heute<br />
noch sagen, wie der beteiligte<br />
Arzt oder Pfleger hieß.«<br />
Eigentlich sei das Betreuungsrecht<br />
ein »nüchternes und klares<br />
Geschäft«, stellte Pastor Bernward<br />
Wolf, <strong>Bethel</strong>s stellvertretender<br />
Vorstandsvorsitzender, fest.<br />
»Aber bei diesem Thema spielen<br />
Gefühle, Sorgen oder Bindungen<br />
eine große Rolle. Dann erscheinen<br />
Rechte und Pflichten plötzlich<br />
gar nicht mehr abstrakt.«<br />
Deshalb forderte er: »Wir müssen<br />
diese Gefühle in Verbindung bringen<br />
mit nüchterner Erkenntnis.«<br />
– Robert Burg –