Grevener Geschichtsblätter 7 - Stadt Greven
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<strong><strong>Greven</strong>er</strong> <strong>Geschichtsblätter</strong> 7 (2012/2013)<br />
Klassifikationsfeldern für eine nähere Charakterisierung<br />
des Einzelstücks (Brief, Feldpostkarte, Bildpostkarte<br />
etc.) und seiner Zuordnung zum Kriegsjahr<br />
(für eine Gruppenbildung und Aussortierung von<br />
nicht in diese Sammlung gehörenden Einzelstücken)<br />
ist damit ein schneller Zugriff auf wesentliche Bereiche<br />
gegeben. Für eine spätere genauere Beschreibung<br />
der Postkarten und Briefe stehen dann weitere<br />
Felder für eine Beschreibung des Einzelstücks, Inhaltsangabe,<br />
Schreibträgerbeschreibung, Empfänger,<br />
Format, Stempelung(en) etc. zur Verfügung.<br />
Feldpost im Ersten Weltkrieg<br />
Die Zahl von rund 600 Feldpostkarten und –briefen<br />
des Depositum 38 erscheint nur auf den ersten Blick<br />
hoch, denn das geschriebene Wort war das häufigste<br />
Kommunikationsmittel zwischen Front und Heimat.<br />
So wird die Gesamtzahl postalischer Sendungen im<br />
Ersten Weltkrieg auf fast dreißig Milliarden geschätzt.<br />
Das waren fast sieben Millionen Briefe,<br />
Päckchen und Karten täglich! Es fand zwar Briefzensur<br />
statt, aber die Mengen an Post überstiegen das<br />
Arbeitspensum der Kontrolleure. Hier ist zu beachten,<br />
dass die Postzensur „in beide Richtungen“<br />
zensieren musste – auch die ausländischen<br />
Kriegsgefangenen in Deutschland hatten einen regen<br />
Postverkehr mit ihrer Heimat. 16 Roger Chickering<br />
schreibt der deutschen Feldpost daher zu, sie vermittle<br />
„ein unverfälschteres Bild vom Krieg als die<br />
Zeitungen“. 17 Hier ist die Wortwahl wichtig, denn er<br />
schreibt bewusst nicht „unverfälscht“! Denn die Geschichte<br />
der Feldpostkarte ist gleichzeitig eine Geschichte<br />
der Propaganda, die schon während des Ersten<br />
Weltkrieges einsetzte, indem Briefeditionen herausgegeben<br />
wurden, deren Auswahl in politischer<br />
Absicht getroffen worden war. Dabei half 1929 sogar<br />
das Reichsarchiv mit, dessen Edition „Feldzugsbriefe<br />
und Kriegstagebücher von Frontkämpfern aus<br />
dem Material des Reichsarchivs“ „Bewertungskriterien<br />
für die ‚richtige’, d.h. von Dolchstoßlegende<br />
und Frontgemeinschaftsmythos bestimmte Wahrnehmung<br />
liefern“ 18 sollte. Bernd Ulrich stellt daher<br />
auch die Grundsatzfrage, ob Feldpost vor diesem<br />
Hintergrund überhaupt als historische Quelle taugt.<br />
Gleichzeitig beantwortet er seine Frage positiv für<br />
den Fall, dass quellenkritische Vorgaben Berücksichtigung<br />
finden. Diese Quellenkritik setzt auf biographischer<br />
Ebene an, d.h. der Brief- oder Postkartenschreiber<br />
und seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg<br />
müssen in den Blick kommen. 19 Gerade hier<br />
unterscheidet sich der Feldpostkartenbestand im<br />
<strong>Stadt</strong>archiv <strong>Greven</strong> von den zahlreichen Feldpost-<br />
karten und -briefen, die auf jedem größeren Flohmarkt<br />
zu finden sind: Denn wir können die Schreiber<br />
der Briefe identifizieren und mit ein wenig Aufwand<br />
ihre Lebensverhältnisse (Konfession, Beruf, Geburtsjahr<br />
etc.) herausfinden. Und erst mit diesem<br />
Kontext erhalten sie den für seriöse Forschung nötigen<br />
Quellenwert.<br />
Einige Beispiele sollen einen Einblick in die<br />
Möglichkeiten und Grenzen der Forschung bieten.<br />
Dabei muss immer klar sein, dass die Feldpost allein<br />
nie ausreicht, um Aussagen über das Erleben der<br />
Soldaten zu treffen. So müssen nämlich Zeit und Ort<br />
jeder Postsendung berücksichtigt werden: Kam die<br />
Post von der West- oder Ostfront, um welche Kriegsphase<br />
handelt es sich, war der Briefschreiber an der<br />
Front oder in der Etappe eingesetzt? 20<br />
Beispiele<br />
Mehrere erhaltene gedruckte Zettel zeigen, dass der<br />
Kriegerverein an die <strong><strong>Greven</strong>er</strong> Soldaten Päckchen<br />
versandte und offenbar die Zettel beilegte: „Die besten<br />
Grüße aus der Heimat sendet der Krieger-Verein.<br />
Um genaue Adresse und sonstige Wünsche wird gebeten.<br />
Der Vorstand.“ 21 Daher sind die Feldpostkarten<br />
in der Regel Danksagungen, die oft weitere<br />
Nachrichten transportierten. „Der Trick bestand darin,<br />
die Seite zu füllen, indem man nichts sagte, und<br />
die größtmögliche Zahl an Klischees zu bieten.“ 22<br />
Diese Beobachtung mit englischen Feldpostbriefen<br />
trifft auch auf etliche Passagen unserer Postkartensammlung<br />
zu. „Mit Gott für Kaiser und Vaterland“,<br />
„Jeder Stoß ein Franzos“, „treue Pflichterfüllung<br />
fürs Vaterland“ – eine Auflistung dieser Klischees<br />
würde sehr lang. Aber es gab auch Gegenbeispiele.<br />
So schreibt B. Spooren schon am 14. Oktober 1914<br />
aus Frankreich:<br />
„Es war mir eine große Freude mal wieder Heimatliche<br />
Zigarren rauchen zu können. Wir warren gerade<br />
wieder 5 Tage vor dem Feind gewesen. Jetzt lasse<br />
ich mich die Zigarren gut schmecken. Heute den 14.<br />
Oktober hatten wir 1 Tage Ruhe. Morgen schlagen wir<br />
die Rothosen wieder was aufs Dach. Wir haben ja auch<br />
schon viele Tode und verwunde aber wir lassen den<br />
Mut nicht sinken. Von <strong>Greven</strong> ist Grabe Tod. B. Westoff.<br />
P. Ottenjann. J. Harnisch verwundet. Jetzt will ich<br />
schließen denn es ist 5 Uhr denn um 7 Uhr ist antreten<br />
jetzt gehts wieder 5 Tage vor dem Feind. Jetzt meinen<br />
beßten Dank für die vielen Arbeiten die sie übernommen<br />
haben und besonders meinen beßten Dank die<br />
sich daran beteiligen. Viele grüße vom Frankreich<br />
[...]“ 23 Das klingt nach großer Ernüchterung.<br />
Andere versteckten sich hinter Floskeln:<br />
16 Vgl. Rainer Pöppinghege, Leben im Lager, Die<br />
Kriegsgefangenen-Zeitschrift „L’Echo du Camp de Rennbahn“<br />
als sozialgeschichtliche Quelle, in: Westfälische<br />
Zeitschrift 149 (1999), S. 195-207, hier: S. 204. So trafen<br />
im Juni 1916 mehr als 450.000 Pakete für die ausländischen<br />
Kriegsgefangenen allein in Münster ein.<br />
17 Chickering, Das Deutsche Reich, S. 124f.<br />
18 Bernd Ulrich, Feldpostbriefe des Ersten Weltkrieges<br />
– Möglichkeiten und Grenzen einer alltagsgeschichtlichen<br />
Quelle, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 53<br />
(1994), S. 73-83. Zitat: S. 75.<br />
19 Ulrich, Feldpostbriefe, S. 79ff.<br />
20 Ulrich, Feldpostbriefe, S. 82f.<br />
21 StaG, Dep. 38-581.<br />
22 „The trick was to fill the page by saying nothing<br />
and to offer the maximum number of clichés”, P. Fussell<br />
über englische Feldpostbriefe, P. Fussell, The Great War<br />
and Modern Memory, New York/London 1975, S. 182;<br />
zitiert in: Bernd Ulrich, Die Augenzeugen, Deutsche Feldpostbriefe<br />
in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914-1933,<br />
Essen 1997, S. 18.<br />
23 StaG, Dep. 38-016.<br />
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