12.01.2014 Aufrufe

"DIE NIEDERLANDE UND EUROPA**^ ~~ T T J

"DIE NIEDERLANDE UND EUROPA**^ ~~ T T J

"DIE NIEDERLANDE UND EUROPA**^ ~~ T T J

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

DAS N E U E E U R O P A<br />

"<strong>DIE</strong> <strong>NIEDERLANDE</strong><br />

<strong>UND</strong> <strong>EUROPA**^</strong><br />

VORTRAGE VON<br />

PROFESSOR DR. G. A. S. SNjjMR<br />

nSf<br />

tipt MBLBTKEEK<br />

<strong>UND</strong> H. C. VAN MAASDYJ^Ift/V<br />

<strong>~~</strong> T T J<br />

GEHALTEN AUS ANLASS DER ^^~-~ =-S^'<br />

GRÜNDUNG DER SOCIAAL ECONOMISCH GENOOTSCHAP<br />

„NEDERLAND EN EUROPA"<br />

MIT EINER EINLEITUNG<br />

PROFESSOR DR. J. VAN<br />

VON<br />

LOON<br />

HERAUSGEGEBEN VON DER<br />

GESELLSCHAFT FÜR EUROPAISCHE WIRTSCHAFTS-<br />

PLANUNG <strong>UND</strong> GROSSR AUMWIB TSCH AFT E. V., BERLIN<br />

19 4 2


Druck von C. C. Meinhold ét Sijbnc GmbH, Dreiden


VOR^ÖRT<br />

Es ist eine der wichtigsten Forderungen für die Wiedergeburt<br />

Europas 1 ), da£S dieser gemeinsame Lebensraum der europaischen<br />

Völkerfamilie wieder von den englischen Ideologien befreit wird, die<br />

seine naturliche Struktur in den letzten zwei Jahrhunderten auf<br />

wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet zersetzten und<br />

damit zugleich die Lebensganzheit und Lebensmüchtigkeit der europaischen<br />

Völkerfamilie schwachten. An ihre Stelle müssen wieder<br />

europaische Ideen treten, die auf die Starkung und Unabhangigkeit<br />

eines jeden Volkes und seine natürliche politische, wirtschaftliche und<br />

kulturelle Zusammenarbeit mit den übrigen europaischen Vólkern<br />

gerichtet sind.<br />

Diese Wiedergeburt Europas ist aber nur möglich über die<br />

Wiedergeburt eines jeden einzelnen Volkes, die ihm eine neue nationale<br />

und damit zugleich europaische Haltung verleiht. Diese Wiedergeburt<br />

verlangt also, dafi jeder Europaer zuerst Bürger seines Volkes,<br />

dann Bürger Europas und zuletzt erst Weltbürger ist. Nach dem<br />

englischen Weltbild war es umgekehrt. Diese erneute Bindung des<br />

einzelnen Menschen an Volkstum, Völkerfamilie und Welt ist die<br />

Folge der unlösbaren biologischen Zusammengehörigkeit, der biologischen<br />

Gravitation, die die einzelnen zum Volk, die Völker zur<br />

Völkerfamilie bindet und dann erst, in der dritten Stufe, die Völkerfamilien<br />

in der Menschheit zusammenfaBt.<br />

Weil diese in der gegenwartigen Weltrevolution mit aller Harte<br />

wieder in die Erscheinung tretenden Bindungen keine künstlichen und<br />

erdachten, sondern natürliche und lebensgesetzliche sind, sind sie zugleich<br />

auch sittliche. Denn sie bedeuten ja nicht nur Bindung, sondern<br />

*) v gl- Werner Daitz: „Die englische Krankheit des Kontinents 1 ' im Mitteilungsblatt<br />

der Gesellschaft für europiiische Wirtschaftsplanung und GroBraumwirtsehaft e. V.,<br />

2. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februai 1942.<br />

3


zugleich auch Berechtigung, also Freiheit in der natürlichen Gebundenheit.<br />

Diese erneute sittliche Ordnung erlegt also dem einzelnen<br />

gegenüber seinem Volk und dem einzelnen Volk gegenüber seiner Völkerfamilie<br />

nicht nur Pflichten auf, sondern gewahrt ihnen auch entsprechende<br />

Rechte: das Recht auf gegenseitigen Schutz und Bevorzugung<br />

auf wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet zur<br />

Wahrung gröfitmöglicher Eigenstandigkeit des einzelnen innerhalb<br />

der Volksgemeinschaft, des einzelnen Volkes innerhalb der Völkerfamilie<br />

und der einzelnen Völkerfamilien innerhalb des Erdraumes.<br />

Werner Daitz hat dieses neue europaische Sittengesetz folgendermaBen<br />

formuliert: „Europaischer Gemeinnutz geht vor nationalistischem<br />

Eigennutz." 1 ) Hieraus ergibt sich, daB die Völker der<br />

europaischen Völkerfamilie unter voller Wahrung ihrer kameradschaftlichen<br />

Verpflichtungen und Verbundenheit innerhalb der europaischen<br />

Völkerfamilie und ihres gemeinsamen Grofilebensraumes<br />

doch jedes ein möglichst eigenstiindiges Leben führen sollen. Denn<br />

die europaische Völkerfamilie kann nur dann stark sein, wenn jedes<br />

ihrer Glieder stark ist. So ist ja auch ein Wald gegenüber Katastrophen<br />

nur dann widerstandsfahig, wenn jeder einzelne Baum<br />

sich möglichst vollkommen nach seinem ihm innewohnenden unabanderlichen<br />

Lebensgesetz und -stil entfalten kann: die Eiche als<br />

Eichc, die Buche als Buche, die Birke als Birke usw. So kann auch<br />

die europaische Völkerfamilie nur dann stark sein, wenn jedes europaische<br />

Volk — ob groB oder klein — nach seinem ihm eingeborenen<br />

Lebensgesetz und den Möglichkeitcn seines Raumes sich<br />

möglichst frei und eigenstandig innerhalb der Bindung an die<br />

Völkerfamilie entfalten kann. Ein englisches Weltwirtschaftssystem<br />

im kleinen — also eine Aufteilung Europas in Monokuituren etwa<br />

im Sinne von reinen Industrie- und Agrarstaaten — wird deshalb<br />

als dem europaischen Sittengesetz widersprechend nicht in Frage<br />

kommen. Eine europaische Arbeitsteilung, die die natürliche und<br />

berechtigte Eigenstandigkeit jedes Volkes innerhalb der europaischen<br />

Völkerfamilie inFrage stellt,wirdkeinenPlatz imneuen Europa finden.<br />

J<br />

) Vgl. "Werner Daitz: „Echte und unechte GroBianme" in „Reich, Volksordnung, Lebensraum",<br />

Zeitschrift für völkische Verfassung und Verwaltung, 2. Band des 1. Jahrgangeü<br />

1941.<br />

4


Zweifelsohne ist es notwendig, daB die in der europaischen Revolution<br />

geborenen Grundprinzipien der lebensgcsetzlichen Neuordnung<br />

jedes europaischen Volkes und der europaischen Völkerfamilie<br />

als Ganzes nunmehr aus der Nacht des UnbewuBten in die Tageshelle<br />

des BewuBtseins gehobcn und zur Erörtcrung zwischen den<br />

europaischen Vólkern gestellt werden. Denn wie wir ja schon wiederholt<br />

erwahnten, müssen diese alle europaischen Völker in gleicher<br />

Weise verpflichtenden Grundprinzipien von jedem Volk seinem<br />

Lebensstil gemaB selbst verwirklicht werden. Jedes europaische Volk<br />

kann nur selbst seinen lebensgesetzlichen, d. h. autoritaren Aufbau<br />

in Staat, Wirtschaft und Kultur vollziehen. Und nur so kann<br />

auch eine europaische Gesamtplanung entstehen, die dem Lebensrecht<br />

jedes Volkes und seiner Eigenart zu seinem und zum Nutzen<br />

des Ganzen gerecht wird. Die Struktur des neuen'Europa wird keine<br />

hiërarchische, von oben nach unten in unselbstandige Organe sich<br />

ausgliedernde Einheit sein, sondern eine lebendige, aus selbstandigen<br />

Völkerpersönlichkeiten bestehende kameradschaftliche Gemeinschaft<br />

darstellen, die aus dem Boden der natürlichen biologischen Zusammengehörigkeit<br />

erwaehst, eine Lebensgemeinschaft.<br />

Aus diesem Grunde ist es notwendig, daB jedes Volk, ob groB<br />

oder klein, seine Stimme erhebt und sich an dem europaischen<br />

Gespriich über Zusammenarbeit und Planung auf allen Gebieten<br />

beteiligt. Diese Zusammenarbeit der europaischen Völker auf Grund<br />

gleicher Prinzipien wird sich naturgemaB auf dem Gebiete der Wirtschaft<br />

am ehesten verwirklichen und auch erst dann in der europaischen<br />

GroBraumwirtschaft ihre lebensgesetzliche Struktur gewinnen,<br />

wenn die heute aus der Not geborene Kriegswirtschaft,<br />

durch die sie noch verdeckt wird, nach Kriegsende durch eine gelenkte<br />

Wirtschaft wird ersetzt werden können. Dies isL in allen<br />

heutigen Erörterungen und Forschungen zu berücksichtigen.<br />

Die Niederlande haben durch ihre frühere ausgesprochen weltbürgerliche<br />

und kommerzielle Gesinnung und durch die schwere<br />

Schuld ihrer letzten Regierung nun ihr stolzes Kolonialreich und<br />

ihre bisherigen Lebensgrundlagen verloren. Sie sind damit unter den<br />

Vólkern Europas mit am schwersten durch die gegenwiirtige Weltrevolution<br />

betroffen worden. Es ist deshalb nicht verwunderlich,<br />

5


dafi sich gerade in den Niederlanden die Einsicht, daB es mit dem<br />

bisherigen demokratischen und liberalen Leben vorbei ist und eine<br />

neue Ordnung von Grund auf erfolgen muB, unter allen Westlandern<br />

Europas am ehesten durchgesetzt hat. Die Sociaal Economisch<br />

Genootschap „Nederland en Europa", die von hervorragenden<br />

Mannern des niederlandischen Wirtschaftslebens gebildet ist, hat<br />

sich zur Aufgabe gestellt, vom niederlandischen Gesichtspunkt die<br />

wirtschaftliche Neuordnung ihres Landes sowie seine Stellung und<br />

Zusammenarbeit in der europaischen GroBraumwirtschaft zu untersuchen<br />

und ihre Forschungsergebnisse mit unserem Institut und<br />

darüber hinaus mit den übrigen Forschungsinstituten in den anderen<br />

Landern Europas auszutauschen.<br />

Deutschland, das nicht nur geographisch in der Mitte Europas<br />

liegt, sondern auf Grund seiner Leidenszeit von Versailles her, die<br />

langer war als die jedes anderen europaischen Volkes, auch am tiefsten<br />

von den Prinzipien der europaischen Revolution, der Neugestaltung<br />

der europaischen Lebensgemeinschaft, erfaBt wurde, unterzieht<br />

sich gern seiner europaischen Verpflichtung, einen solchen wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Forschungs- und Gedankenaustausch zwischen den<br />

europaischen Vólkern zu vermitteln und so mit seinen Erfahrungen<br />

den übrigen europaischen Vólkern zu helfen, um die natürliche europaische<br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit in Form der europaischen<br />

GroBraumwirtschaft zu gemeinsamem Nutzen zu fördern.<br />

Die Gesellschaft für europaische Wirtschaftsplanung und GroBraumwirtschaft<br />

e. V. übergibt mit dieser Publikation der deutschen<br />

Öffentlichkeit und den europaischen wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Institutionen, mit denen sie in Austausch steht, den ersten Beitrag<br />

der Sociaal Economisch Genootschap „Nederland en Europa", in<br />

dem die Niederlande sich zum Worte melden.<br />

Wir hoffen, in Kürze aus anderen Landern Europas ahnliche<br />

Beitrage der deutschen und der europaischen Öffentlichkeit vorlegen<br />

zu können.<br />

6<br />

Im Februar 1942.<br />

FÜR EUROPAISCHE<br />

GESELLSCHAFT<br />

WIRTSCHAFTSPLANUNG<br />

<strong>UND</strong> GROSSRAUMWIRTSCHAFT E.V., BERLIN


<strong>DIE</strong> <strong>NIEDERLANDE</strong> <strong>UND</strong> EUROPA<br />

EINLEITENDE WORTE<br />

VON<br />

PROF. DR. JAN VAN<br />

LOON<br />

Nach dem ZusammenschluB des Sozialwirtschaftlichen Kreises<br />

(„Kring") und der Gesellschaft „Die Niederlande und Europa" zum<br />

Sozialwirtschaftlichen Verein „Die Niederlande und Europa" 1 )<br />

ist von verschiedenen Seiten die Frage gestellt worden, ob dadurch<br />

das Ziel, zu dem diese Vereinigungen gegründet wurden, sich verandert<br />

habe.<br />

Ich habe diese Fragesteller jedesmal darauf verwiesen, daB das<br />

Ziel sich keinesfalls geandert habe. Das Ziel war und bleibt: eine<br />

Zusammenarbeit zwischen allen Niederlandern herbeizuführen, die<br />

auf Grund ihrer Überzeugung bereit und imstande sind, aktiv<br />

mitzuwirken am sozialwirtschaftlichen Aufbau des neuen niederlandischen<br />

Staates im Bereich des vereinigten Europa.<br />

Parteipolitik ist dem neuen Verein fremd; damit befaBt unser<br />

Verein sich nicht. Und ich glaube, daB die übergroBe Mehrheit des<br />

niederlandischen Wirtschaftslebens dem begeistert zustimmen wird,<br />

im Hinblick auf die groBen Verheerungen, die die Parteipolitik in<br />

unserem Volk angerichtet hat.<br />

Hat denn der Verein ganz und gar nichts mit Politik zu tun? —<br />

Wenn man unter Politik die Kunst, etwas zu erreichen, versteht,<br />

befafit sich der Verein in der Tat mit Politik, denn er strebt nach<br />

einer sozialwirtschaftlichen Entwicklung des niederlandischen Volkes,<br />

die es instand setzen soll, sich unter den Vólkern des europaischen<br />

Kontinents seinen ehrenvollen Platz zu erhalten. Denn darum geht<br />

es! Die Niederlande sind infolge ihrer Vergangenheit verpflichtet,<br />

') Sociaal Economisch Genootschap „Nederland en Europa"<br />

7


nicht die Hande in den SchoJi zu legen und abseits zu stehen, jetzt,<br />

da sie aus ihrer behaglichen Ruhe durch das Weltgeschehen aufgerüttelt<br />

worden sind. Die Niederlande sind und bleiben ein Teil<br />

von Europa. Würden sie nicht imstande sein, ihre Stellung im neuen<br />

Europa zu behaupten, so könnten sie auch auBerhalb Europas keine<br />

Bedeutung mehr haben. Für die Niederlande ist also ihre Stellung<br />

in Europa von primarer Bedeutung. Die Aufrechterhaltung dieser<br />

Stellung erfordert die Mitarbeit des gesamten niederlandischen<br />

Volkes vom einfachsten Arbeiter bis zum gröfiten Unternehmer.<br />

Wir müssen uns bewuBt sein, daB in Europa eine Umwalzung<br />

vor sich geht. Jahrhunderte hindurch war in den Niederlanden der<br />

Gedanke an ein zusammenarbeitendes Europa lebendig. Viele ernste<br />

und weniger ernste Bemühungen sind unternommen worden, um<br />

diese Zusammenarbeit zu ermöglichen. Bis jetzt aber sind alle Anstrengungen<br />

gescheitert. Diese europaische Zusammenarbeit hat<br />

gegenwartig eine groBe Möglichkeit zur Verwirklichung. DaB sie<br />

erst durch einen<br />

Krieg Tatsache wird und auf andere Weise<br />

zustande kommt, als viele es sich ertraumt hatten, mag für groBe<br />

Bevölkerungsteile eine liefe Enttauschung sein, darf jedoch niemals<br />

ein Grund werden, sich der Pflicht zu enlziehen, die auf<br />

allen Niederlandern in der Sorge dafür ruht, daB das Land<br />

m neuen<br />

Europa den Platz einnehmen wird, auf den es ein<br />

Recht hat. Aber jedem Recht geht eine Pflicht voraus. W lr<br />

können unser Recht nicht erwerben. ohne unsere Pflicht zu erfüll<br />

en.<br />

Der Sozialwirtschaftliche Verein ist sich seiner Pflicht vollkommen<br />

bewuBt und geht mit groBem Eifer an seine Aufgabe, die in ihrer<br />

Zielsetzung deutlich umrissen ist.<br />

Wir können bereits jetzt feststellen, daB der Verein einen starken<br />

Widerhall im niederlandischen Wirtschaftsleben gefunden hat.<br />

Hunderte von Mitgliedern meideten sich an, und noch immer hört<br />

der Zustrom neuer Mitglieder nicht auf.<br />

Die<br />

zahllosen Probleme, die unter den gegenwartigen Umstanden<br />

im niederlandischen Wirtschaftsleben auftauchen, gaben<br />

uns AnlaB zur Einsetzung mehrerer Arbeitskommissionen. Durch<br />

diese, aus sachverstandigen Mitgliedern gebildeten Arbeitsausschüsse<br />

wird der Verein trachten, in kürzester Frist mit Vorschlagen zur<br />

8


Lösung der bestenenden Probleme kommen zu können. Neben den<br />

inlandischen Fragen steht das groBe Problem, wie der niederlandische<br />

Unternehmungsgeist am wirksamsten auf den europaischen Kontinent<br />

gerichtet werden kann, nun, da Schiffahrt und Handel nach Übersee<br />

praktisch vollkommen lahmgelegt sind. In Südost- und Osteuropa<br />

liegen auch für die Niederlande groBe Möglichkeiten, aber<br />

nur dann, wenn die Gelegenheit dazu zeitig genug aufgegriffen wird.<br />

Es gibt also auch für die Niederlande sehr viel Arbeit zu verrichten.<br />

Die Devise des Sozialwirtschaftlichen Vereins wird dementsprechend<br />

lauten: „Arbeiten und noch einmal arbeilen!" Dabei soll<br />

nicht mehr geredet werden, als unbedingt erforderlich ist. Wir<br />

können uns auf die Mitarbeit sehr vieler im Lande stützen, die aus<br />

voller Überzeugung bereit sind, mitzuschaffen am sozialwirtschaftlichen<br />

Aufbau der neuen Niederlande im Bereich eines geeinten<br />

Europa.<br />

So ist denn auch alle Veranlassung gegeben, der Zukunft des<br />

Vereins hoffnungsvoll entgegenzusehen.<br />

Die am 24. Juli 1941 zu Scheveningcn abgehallene Versammlung,<br />

in der beinahe 300 Mitglieder und Teilnehmer anwesend waren,<br />

hat viele aufgerüttelt.<br />

Die bedeutsamen Reden der Herren Prof. Snijder und van<br />

Maasdyk, die in dieser Versammlung gehalten wurden, haben<br />

groBes Interesse erweckt. Von vielen Seiten wurden wir um denText<br />

der Ansprachen gebeten. Aus diesem Gmnde hat der Verein beschlossen,<br />

die Reden im Druck erscheinen zu lassen, so daB alle<br />

Teilnehmer Gelegenheit haben, ihren Inhalt noch einmal ruhig zu<br />

durchdenken.<br />

9


PROF. DR. G. A. S. SNIJDER :<br />

Über die Ursachen, die zur Gründung des Vereins „Die Niederlande<br />

und Europa" führten, haben Sie seinerzeit in der Presse, wenn<br />

auch nur in kurzen Abrissen, lesen können. Warum wir uns entschlossen<br />

haben, unseren jungen Verein mit dem etwas weniger<br />

jungen Sozialwirtschafllichen Kreis zu vereinigen, hat Herr Prof.<br />

van Loon bereits auseinandergesetzt. Ich kann mir übrigens nicht<br />

vorstellen, daB es jemanden unter den Anwesenden gibt, der<br />

sich nicht darüber freuen würde, wenn zwei, die ungefahr dasselbe<br />

wollen, einander finden und die bestehenden, verhaltnisniaBig<br />

kleinen Unterschiede beiseite stellen, um — was bei weitem die<br />

Hauptsache ist —• das Gemeinschaftliche zu suchen.<br />

Wenn hier schon von Unterschieden die Rede sein soll, dann geht<br />

es höchstens um einen Unterschied des Akzentes. Der ursprüngliche<br />

Kreis legte mehr den Nachdruck auf die praktische, die Gesellschaft<br />

vielleicht etwas zu viel auf die theoretische Seite der Aufgabe. Wir<br />

hoffen, daB diese Ehe zwischen Theorie und Praxis sich in jeder Hinsicht<br />

als fruchtbar erweisen wird. Wo der Nachdruck aber in der<br />

Hauptsache auf die Praxis gelegt werden muB, versteht es sich von<br />

selbst, dafi Herr Prof. van Loon hier den Vorsitz angetreten hat.<br />

Als 2. Vorsitzender hoffe ich dann, die eigentliche Arbeit mit der<br />

etwas allgemeineren Melodie der Theorie begleiten zu können.<br />

So kommt es, daB mir die Aufgabe zufallt, noch ein Wort von<br />

allgemeinerer Art zu sagen.<br />

Im ersten Aufruf haben wir betont, daB unser Verein auf der<br />

Überzeugung beruht und alle Vorzeichen darauf hindeuten, daB<br />

eine neue europaische Ordnung entsteht, in welcher das Deutsche<br />

Reich den führenden Platz einnehmen wird.<br />

Seitdem ist einige Zeit verflossen, und ein - - das bedeutsamste —<br />

Vorzeichen ist in Erfüllung gegangen. Wenn bis vor kurzem manch<br />

10


einer noch zögerte und viele vielleicht noch den Krieg zwischen den<br />

„Besitzenden und Nichtbesitzenden" als einen Machtstreit ansahen,<br />

der wohl bedeutungsvoll war und der auch wohl für unser Land<br />

Folgen haben würde, dessen Resultat man jedoch mit Gelassenheit<br />

abwarten könne, dann ist das seit dem 22. Juni anders geworden.<br />

Verstehen Sie mich recht. Auch vor dem Ausbruch des Kampfes<br />

mit dem Bolschewismus war ich mir nicht darüber im Zweifel, daB<br />

für unser Volk vitale Interessen auf dem Spiel standen. Auch damals<br />

war es klar, daB es nicht etwa um die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen<br />

Ordnungen ging, sondern um den Kampf zwischen<br />

neuer Ordnung und Chaos. In dem Augenblick aber, da wir sehen,<br />

wie das Alte, Abgetane sich mit der Unordnung des Bolschewismus<br />

verbunden hat, und wir andererseits erleben, wie sich mitten im<br />

Kampf die Verwirklichung der neuen Ordnung — begreiflicherweise<br />

unter StöBen und Stürzen — vollzieht, kann es eigentlich niemandem<br />

mehr entgehen, daB wir eine Umwalzung von gewaltigen AusmaBen<br />

erleben. Wir wollen uns deshalb einmal — mit der berühmten hollandisehen<br />

Nüchternheit — die Frage vorlegen, ob wir noch glauben,<br />

,,wahlen" zu können zwischen der alten und der neuen Ordnung.<br />

Nun, eine solche Wahlmöglichkeit besteht nicht mehr, aus dem<br />

einfachen Grunde, weil die alte Ordnung und alles, was sich daran<br />

klammert, durch die Verbindung mit dem Chaos zum Untcrgang<br />

verurteilt ist.<br />

Man kann also nicht mehr die alte Ordnung „wahlen", denn<br />

eine solche hieBe die Unordnung, nein, arger: das Chaos walden.<br />

Niemand gebe sich der Illusion hin, dafi das deutsche Volk sich,<br />

nach seinen Erfahrungen des letzten Vierteljahrhunderts, wieder<br />

gefiigig ins Joch spannen lieBe — gesetzt, daB die andere Partei<br />

dazu je imstande sein würde. Wenn man sich jedoch nicht in törichten<br />

Phantastereien wiegen will, wird man einsehen mussen, daB<br />

diese Möglichkeit unter den gegebenen Umstanden einfach nicht<br />

denkbar ist.<br />

Wir suchen uns mit unseren Erwagungen allein auf den Boden<br />

der Wirklichkeit zu stellen und halten uns frei von Gefühlsmomenlen<br />

— es sei denn, daB man als Gefühlsmomenl unsere Vorliebe für<br />

Ordnung, unsere Abkehr vom Chaos bezeichnen wollte. Unsere Über-<br />

11


zeugung bringt jedoch die Verpflichtung mit sich, mit ihr übereinstimmend<br />

zu handeln. Dabei — es sei nochmals gesagt — geht es<br />

nicht um unsere persönliche Vorliebe oder MiBbilligung, sondern<br />

um die Frage: Welche Folgen bringt dieses alles mit sich für unser<br />

Volk?<br />

So wie die Lage zur Stunde ist, muB man feststellen, daB ein<br />

grofier und wichtiger Teil unseres Volkes sich um die Entwicklung,<br />

die sich vollzieht, gar nicht oder kaum kümmert. Man scheint nicht<br />

zu begreifen, daB die Niederlande durch den kurzdauernden Krieg,<br />

den sie zu eitragen hatten, nicht aus-, sondern eingeschaltet wurden,<br />

daB sie — sei es auch mehr nolens volens — in eine Entwicklung<br />

eingegliedert wurden, die mit oder ohne unser Mittun ihren Fortgang<br />

nimmt. Ich habe früher schon einmal darauf hingewiesen, daB dieser<br />

Krieg in jeder Hinsicht auBergewöhnlieh ist. Das Ungewöhnlichste<br />

dabei — hierfür kann man bereits in der Weltgeschichte Parallelen<br />

aufzeigen — ist wohl, daB er kein Krieg ist, der erst endet und<br />

dann durch einen Frieden zwischen den kampfenden Parteien beschlossen<br />

wird, sondern daB der Friede, nach dem wir alle verlangen,<br />

im Krieg selbst mit Gewalt und Macht zustande gebracht wird.<br />

Dieser Kampf wird nicht mit einem Vergleich enden; er geht um<br />

alles. Das Ende des Krieges ist der Friede, und gegcnwartig — ich<br />

wiederhole es — stehen wir mitten in den Unterhandlungen für<br />

diesen Frieden.<br />

Das will sagen — und es ist uns haufig und deutlich genug durch<br />

den Reichskommissar gesagt worden: unsere jetzige Haltung und<br />

unser Handeln werden unseren Platz und Wert in Europa nach dem<br />

Kriege bestimmen.<br />

Nicht jeder sieht das ein, viele wollen selbst diese Tatsache,<br />

die uns taglich deutlicher vor Augen gestellt wird, nicht einmal<br />

sehen. Wer es aber sieht, wer sich mit diesem Gedankengang vertraut<br />

machen will, wer begreift, daB die Niederlande sich nicht wie<br />

ein totes Stück Holz auf dem Strom der Geschehnisse mitschleppen<br />

lassen dürfen und daB Aufmerksamkeit, Bereitsein zum Handeln<br />

und Lenkung nötig ist, der möge sich uns anschlieBen. Wir können<br />

uns nicht damit genug sein lassen, unsere eigenen Schwierigkeiten<br />

seufzend zu betrachten, auch nicht, daB jeder für sich zwischen den<br />

12


unbekannten Klippen durchlaviert, so gut oder so schlecht es geht.<br />

Wir müssen trachten, eine Übersicht über das Ganze zu erhalten, wir<br />

mussen uns in die Zusammenhange vertiefen, um von höheren Gesichtspunkten<br />

aus unseren Platz zu bestimmen und wenn nötig,<br />

zu verteidigen. Auf dieser Zielsetzung ist unser Verein gegründet.<br />

Wir suchen Manner, die als Niederlander ohne Vorurteile den FuB<br />

wieder ans Ufer setzen und das Neuland Europa, das uns — wer<br />

wird es in Abrede stellen wollen? — noch fremd und ungewohnt ist,<br />

auskundschaften und dem nachgehen, was uns als Niederlandern<br />

zu tun verbleibt.<br />

Auf welche Weise, ist bereits kurz angedeutet. Wir können<br />

von Stadt zu Stadt zusammenkommen, Manner, die auf verschiedenen<br />

Gebieten arbeiten, die jedoch alle mit offenen Augen, jeder<br />

auf seinem Gebiet, den Weg suchen, den auch unser Volk einmal<br />

wird gehen können. Wir können in artverschiedenen Gruppen Probleme<br />

von allgemeinem Interesse selbst untersuchen oder von anderen<br />

behandeln lassen. Das Beisammensein von Niederlandern, die<br />

in erster Linie einem überpersönlichen Interesse nachstreben und<br />

das, was sie sonst vielleicht veruneinigt, zur Seite stellen, ist an<br />

sich schon der Mühe wert. Weiterhin können wir durch die Bildung<br />

von Fachgruppen für bestimmte Gebiete unsere Einsicht in die<br />

einzelnen Probleme und Aufgaben vertiefen und durch ausgearbeitcte<br />

Vorschlage aufklarend wirken. Das sind jedoch Fragen organisalorischer<br />

Art, die hier nicht in Einzelheiten dargelegt zu werden<br />

brauchen.<br />

Die Hauptsache ist, wie wir hier noch einmal feststellen, dafi wir<br />

uns nicht mit inneren politischen Gegensatzen beschaftigen wollen.<br />

Das will nicht heiBen, daB wir uns ge gen politische Richtungen<br />

stellen. A priori wird niemand auf Grund politischer Erwagungen<br />

ausgeschlosscn oder gesucht. Es geht uns in erster Linie um eine<br />

vorurteilsfreie, sachliche Zusammenarbeit.<br />

Man wird uns vielleicht entgegenhalten, daB dies im Augenblick<br />

in den Niederlanden nicht möglich ist. Es wird sich ergeben,. daB<br />

es doch der Fall ist. Es würde daher zu beklagen sein, wenn man auf<br />

Grund soldier nicht stichhaltiger Bedenken vermeinte, sich der<br />

Vertrautmachung mit den Tatsachen enthalten zu müssen.<br />

13


Man wird uns vielleicht auch vorhalten, daB kein Niederlander<br />

«ich gegenwartig von Gefühlsmomenten freimachen könne. Das<br />

mag richtig sein. Wir handeln — Gott sei Dank — nicht nur auf<br />

Grund rein verstandesmaBiger Argumente, und jeder hat seine<br />

Gefühlserwagungen, die ihm, beinahe instinktiv, eine bestimmte<br />

Richtung weisen. Darum kann es seinen Nutzen haben, einen<br />

Augenblick gerade bei diesen „Gefühlsmomenten", die viele noch<br />

davon abhalten, sich aus ihrer starren Tragheit loszureiBen, zu verweilen.<br />

Tausche ich mich nicht, dann geht es hier in erster Linie<br />

um das Gefühl von Freiheit, dessen Fehlen viele verhindert, ihre<br />

Richtung zu bestimmen und sie dafür zum „Abwarten" verurteilt.<br />

Diejenigen, die sich auf diesen Standpunkt stellen, vergessen<br />

dabei eins: daB sie sich selbst gerade durch das „Abwarten" des<br />

wichtigsten Elementes der Freiheit, der Wahl, auf die Dauer berauben.<br />

Denn wenn die Entscheidung einmal gefallen ist, bleibt naturgemaB<br />

nur eine Möglichkeit offen, und es scheint mir mehr als<br />

zweifelhaft, ob man sich dann „freier" fühlen- wird als jetzt.<br />

Aber wir wollen die Sache auch noch von einem anderen Gesichtspunkt<br />

aus betrachten. Was haben wir unter dieser Freiheit<br />

zu verstehen? Doch sicher nicht, dafi wir ganz unabhangig von jedem<br />

EinfluB von auBen her imstande sind, so zu handeln, wie wir es<br />

persönlich wollen. Denn die Freiheit haben wir niemals besessen<br />

und werden sie auch nie besitzen. Wer danach strebt, auch der verstockteste<br />

Individualist, tastet nicht allein die Grundlagen des<br />

menschlichen Zusammenlebens überhaupt an, sondern kann auch<br />

am vermeintlichen Erreichen oder selbst schon an dem Sichannahern<br />

an sein Ideal in der Pracht seiner Isolierung zugrunde gehen. Denn<br />

der Mensch kann nun einmal nicht ohne Bindung und Verpflichtung<br />

leben und glücklich sein. Jeder Versuch dazu ist ein Anlauf zur<br />

Selbstvernichtung und ein Anschlag auf die Gesellschaft. Ich weiB<br />

wohl, daB etliche auf diesem Weg ein betrachtliches Stüclc vorwarts<br />

gegangen sind. Aber ... wurden sie auch glücklich dadurch? Und<br />

was kommt bei solchem AuBenseitertum heraus? Jeder normale,<br />

gesunde Mensch braucht sich nur eben zu besinnen, um zu begreifen,<br />

daB diese Freiheit nie und nimmer ein Ideal war, noch je sein kann.<br />

14


Die Freiheit ist nichts Absolutes; sie besteht nur in dem Gefühl,<br />

frei zu sein in seinen Handlungen, und in dem, seine Entschlüsse in<br />

Übereinstimmung mit der Grundlage seines Wesens und seiner vernünftigen<br />

Einsicht zu treffen. Ich glaube jedoch zu wissen, daB<br />

unter Ihnen kaum jemand ist, der nicht in den hinter uns liegenden<br />

Jahren oft anders gehandelt und sich entschieden hat, als er selbst<br />

es gewünscht haben würde. Unter Zwang von auBen her! Wir<br />

waren doch an Begrenzungen und Beschriinkungen mehr oder weniger<br />

gewöhnt, wir empfanden sie nur nicht jeden Augenblick als<br />

solche.<br />

„Aber nun ist es anders", wird man mir entgegenhalten, „unser<br />

Land ist besetztes Gebiet, und wir können nicht mehr tun und<br />

lassen, was wir wollen." In der Tat, wir leben im „besetzten Gebiet",<br />

das braucht man mir wirklich nicht zu erzahlen, und ich glaube,<br />

daB ich die Bedeutung dieser Tatsache besser verstehe als viele,<br />

die sich über eine „Protestkundgebung" und durchgeschnittene<br />

Kabel oder über andere unbesonnene Dummheiten ins Faustchen<br />

lachen — Vorkommnisse, für die schon zu haufig Menschen büBen<br />

muBten, die nicht den geringsten Anteil daran hatten. In der Tat,<br />

es ist noch immer Krieg, und der Krieg hat sein eigenes Recht,<br />

das Recht der Macht, wie jeder, der dies im kleinsten Geschichtsbuch<br />

einmal nachlesen will, erfahren kann. Wir müssen uns darein<br />

schicken und die uns auferlegten Beschrankungen tragen, wissend<br />

und begreifend, daB es noch ganz anders sein könnte.<br />

AuBerdem geht dieser Krieg — wie jeder — einmal vorüber.<br />

Von diesem Gesichtspunkt aus aber fragen sich nun wieder manche:<br />

Ist es nicht früh genug, unsere Entschlüsse zu treffen, wenn wenigstens<br />

erst einmal die Besetzung aufgehoben ist?<br />

Darauf müBte ich das Folgende erwidern: Diese Besetzung ist<br />

nicht eine flüchtige, auf militarischen Notwendigkeiten beruhende<br />

Tatsache, sondern — und das wird erheblich verkannt — ein Symbol,<br />

ein Kennzeichen — für uns am scharfsten ins Auge springend —<br />

einer gewaltigen Verschiebung der Machtverhaltnisse. Diese Verschiebung<br />

wird das bleibende Resultat des Krieges sein, und wir<br />

können diesem Umstand nicht früh genug Rechnung tragen. Es ist<br />

die einzige Tatsache, nach der wir uns richten müssen, denn es gibt<br />

15


für uns keine Alternative. Wer in einer vagen Hoffnung noch<br />

glaubt, dafi England — mit oder ohne Rufiland, mit oder ohne<br />

Amerika — diesen Krieg militarisch gewinnen könnte, den möchte<br />

ich bitten, vor sich selber diese Hoffnung einmal zu prazisieren.<br />

Ich sehe keine Möglichkeit dazu! Und — eins weiU ich sicher: niemals<br />

wird sich das deulscheVolk wieder in das englische Joch zwingen<br />

lassen. Ein militariseher Sieg Englands bedeutet keine neueOrdnung —<br />

welche auch immer es sein mag — sondern das vollkommene Chaos<br />

und die Bolschewisierung, den Untergang Europas. So gesehen, besteht<br />

für uns keine Alternative. Wir dürfen für unser Volk, und, in<br />

weiterem Sinne für Europa, das Chaos nicht wünschen; wir müssen<br />

uns jetzt bereits hineindenken in ein neu geordnetes Europa und<br />

uns ihm — anpassen. Wir sind unserem Volke gegenüber verpflichtet,<br />

an dieser Neuordnung mitzuarbeiten. Das bedeutet für uns alle<br />

neue Bindungen und bisher ungekannte Verpflichtungen. Wir alle —<br />

auch die, die nicht mittun wollen — sehen diese nah oder fern am<br />

Horizont vor uns, und je nach dem MaC, in dem wir diese Bindungen<br />

und Verpflichtungen wünschen oder suchen oder ihnen ausweichen<br />

und sie abweisen, fühlen wir uns frei oder unfrei. Auf dieser Basis<br />

liegt die Ursache für die Gründung dieses unseres Vereins und die<br />

Notwendigkeit, uns vertraut zu machen mit unseren neuen Bindungen,<br />

um so, und nicht anders, unsere innere Freiheit zurückzugewinnen.<br />

Denn — haben wir einmal Einsicht in unsere neuen<br />

Pflichten gewonnen, haben wir erkannt, dafi es unsere Pflichten<br />

sind, dann können, ja, dann müssen wir diese als freie Menschen<br />

auf uns nehmen und aus freiem Willen erfüllcn.<br />

Ich will heute nicht von den Banden der Blutsverwandtschaft<br />

sprechen, die uns mit dem anderen germanischen Volk, dem deutschen,<br />

verbinden, sondern lediglich auf das hohe Ziel hinweisen, das<br />

ihm und uns vor Augen gestellt ist: ein neues und besseres Europa.<br />

Und ich will hier noch hinzufügen, dafi wir Niederlander in der<br />

Vergangenheit und auch in der Gegenwart genügend bewiesen<br />

haben, was twir vermogen, um es uns zur Ehre anzurechnen,<br />

mitzubauen und an der Zusammenarbeit teilzunehmen. Es geht<br />

um die Ehre unseres Volkes in der Zukunft; dadurch wird unsere<br />

Pflicht deutlich genug.<br />

16


Und nun zum SchluB: Wie wird es mit unscrer Freiheit im auBeren<br />

Sinne bestellt sein? Wird in der Zukunft unser niederlandisches<br />

Volk mit seiner Eigenart, seinem eigenen Naturcll, seiner Sprache<br />

und seiner eigenen ausgesprochenen Kultur als Volk bestehen bleiben?<br />

— Das ist die Frage, die viele leidenschaftlich bewegt. Die<br />

Zweifel hierin treiben sie zu starrem Stillstand.<br />

Die Zweifel beruhen, meines Erachtens, auf einer Reihe verkehrter<br />

Voraussetzungen und auf MiBverstandnissen. Ja, sehr viele,<br />

die an die Selbstandigkeit unseres Volkes denken, können sich diese<br />

nur vorstellen in den ihnen vertrauten staatlichen Formen. Ich<br />

will selbst noch weiter gehen und sagen, daB sie sich unter Selbstandigkeit<br />

nicht viel mehr vorstellen als das Beibehalten ciner Reihe<br />

langst veralteter und verworfener Formen. Ihr Wünschen und ihr<br />

Hoffen hangt an Formeln und Schemen, die nicht nur nicht in<br />

Übereinstimmung mit der Realitat stehen, sondern auch des wirklichen<br />

Inhaltes entbehren. Dieser Inhalt kann niemals etwas anderes<br />

sein als das lebendige Volk. Erstarrt dieses Volk zur Leblosigkeit,<br />

dann braucht es nicht zu hoffen, eine wirkliche politische<br />

Form zu finden. Will es fatalistisch abwarten, bis es sich klar zeigt,<br />

was aus ihm werden wird, dann braucht man über das Ergebnis<br />

nicht im Zweifel zu sein. Die Antwort, das kann heute schon gesagt<br />

werden, lautet: Nichts!<br />

Man kann es nicht haufig genug wiederholen: keine auBer uns<br />

liegende Macht bestimmt über unser Schicksal als Volk. Wir selbst —<br />

jeder für sich und alle gemeinsam, das niederlandische Volk selbst —<br />

haben unser Schicksal in Handen. Bleibt unsere Sprache, unsere<br />

Kunst, unsere Art, bleibt die Weise und Beschaffenheit unserer<br />

Arbeit niederlandisch, dann bleiben wir Niederlander. Das wird<br />

aber nicht durch Worte, sondern durch Taten geschehen, das wird<br />

nicht in defensiver AbschlicBung, sondern nur in offener, kampfbereiter<br />

Zusammenarbeit erreicht werden können. Wir müssen uns<br />

wieder an den weiten Raum, nicht allein zur See, sondern auch zu<br />

Lande,'gewöhnen, wir müssen den Zusammenhang dieses Raumes<br />

wieder erkennen lcrnen. Will man hier von dem „Reich", dem groBgermanischen<br />

Reich, sprechcn, so ist es mir recht, wenngleich ich<br />

dann im voraus vor der falschen Auffassung warnen mufi, daB<br />

17


„Das Reich" ein Imperium von sozusagen greifbarer Art sein wird,<br />

nach dem Stil, der Art und Weise des altrömischen oder englischen<br />

Imperiums. Das Reich mul3 man weit eher als eine bindende, verpflichtende<br />

Idee sehen und empfinden, als eine unzerbrechliche<br />

Schicksalsgemeinschaft aller, die diesen Gedanken als etwas Grofies<br />

und Unantastbares in sich tragen — und behüten. Will man lieber<br />

von einem germanischen Staatenbund sprechen, so ist mir dies<br />

auch recht, jedoch fühle ich mich dann verpflichtet, darauf hinzuweisen,<br />

daB der volle Nachdruck auf das Wort „Bund", die Verbundenheit,<br />

zu legen ist.<br />

In diesem grollen Ganzen ist, davon bin ich überzeugt, Platz<br />

für uns als selbstandiges Volk. Seine politische Form kann dieses<br />

Volk sich auf die Dauer nur selber schaffen. Ein geschenktes Flickenstück<br />

überlieferter Formen aber kann niemals das passende Kleid<br />

für einen lebenden Körper sein.<br />

So liegt unsere innere und unsere aufiere Freiheit in unserer<br />

eigenen Hand. Wir stehen jetzt wieder in einer Welt voller Leben<br />

und Bewegung. Das deutsche Volk ist uns vorausgegangen, es ist<br />

in neuer Gestalt wieder erstanden und hat die Zeichen vor uns begriffen.<br />

An die Wand der Kammer, in der wir jetzt beklommen, beinahe<br />

angstvoll und scheinbar von der Weltgeschichte vergessen<br />

lebten, hat der Krieg mit feurigen Lettern eine harte Warnung geschrieben.<br />

Lafrt diese Lehre nicht ungelesen verlöschen, und lafit<br />

uns mit aller Kraft, mit allem Mut und Vertrauen, die in uns leben,<br />

nach ihr handeln.<br />

Solche Erkenntnis und solches Handeln anzuregen, ist das vornehmste<br />

Ziel des Sozialwirtschaftlichen Vereins „Die Niederlande<br />

und Europa".<br />

18


H. C. VAN MAASDYK:<br />

Meine Herren! Die Kommission für den Aufbau einer selbstandigen<br />

Organisation des Wirtschaftslebens ist imAugenblick noch<br />

mitten in ihrer Arbeil. Es ist also jetzt noch nicht an der Zeit,<br />

eine zusammenfassende Übersicht über das von dieser Kommission<br />

bisher Geleistete zu geben. Es würde auch unangebracht sein,<br />

jetzt schon von den Fragen zu sprechen, mit denen sie sich im<br />

Augenblick beschaftigt.<br />

Es haben sich jedoch im Verlaufe dieser Arbeit die wichtigsten<br />

Organisationsprobleme herausgeschalt, und es zeigte sich, hinsichtlich<br />

welcher Punkte eine Erlauterung notwendig wurde. Ich will<br />

daher hier an Hand der fraglichen Verordnungen einigen dieser<br />

Punkte nachgehen.<br />

Es ist Ihnen bekannt, dafi eine Organisation des Wirtschaftslebens<br />

keineswegs eine neue Erscheinung ist, sondern daB man<br />

bereits in früheren Zeiten eine weitgehende Ordnung des Handelsund<br />

Gewerbelebcns gekannt hat. Ich erinnere hier an das Mittelalter,<br />

in dem wir eine starke Reglementierung der gewerblichen<br />

Wirtschaft und des Handels feststellen.<br />

Eins der hervorstechendsten Merkmale der mittelalterlichen Wirtschaftsordnung<br />

ist wohl das Gildewesen. Diese Gilden waren Organisationen<br />

von Handel- und Gewerbetreibenden, die als Körperschaften<br />

öffentlichen Rechtes anzusehen sind. Sie empfingen von der Obrigkeit<br />

eine Stiftungsurkunde und erfüllten in gewissem Sinne eine<br />

öffentliche Funktion. Einerseits arbeiteten sie im Interesse der<br />

Handel- und Gewerbetreibenden, indem sie darüber wachten, daB<br />

unerwünschte Elemente dem Betriebsleben ferngehalten wurden,<br />

und dadurch, daB sie Preisvorschriften auferlegen konnten. Andererseits<br />

arbeiteten sie auch im allgemeinen Interesse, denn auch die<br />

19


Abnehmer wurden geschützt durch die Forderung nach Fachtauglichkeit<br />

und Qualitat.<br />

Diese Zeit der starken Reglementierung des Handels- und Gewerbelebens<br />

war es, die die glanzenden Vorbilder von Handwerkskunst<br />

erstehen lieB, ebenso wie sie die groBen Dome schuf. Jahrhundertelang<br />

hat eine weitgehende Regulierung des Handelslebens<br />

die Grundlage für die Kultur des Abendlandes gebildet.<br />

Ebensowenig wie jede andere Regulierung aber konnte sie eine<br />

für alle Zeiten taugliche Ordnung sein. Gewaltige Veranderungen in<br />

der Struktur Europas machten eine Revision der alten Ordnung<br />

erforderlich.<br />

Die groBe Zunahme der Bevölke.rung, der stets starker werdende<br />

Verkehr, die Erfindung neuer Maschinen lieBen auf die Dauer<br />

Spannungen von einer Art und Starke entstehen, daB es nicht möglich<br />

war, sie im Rahmen der alten Organisation zu bewültigen. Auch<br />

damals, gerade wie jetzt, widersetzten sich viele einer neuen Ordnung.<br />

Die Gewalt der Geschehnisse hat sie jedoch hinweggefegt,<br />

so daB im Laufe der Jahre die Auffassungen, die einstmals als revolutionar<br />

galten, nach und nach zum Gemeingut geworden sind.<br />

Anfanglich sahen nur einzelne, spater jedoch immer mehr Menschen<br />

ein, daB es nicht möglich war, auf dem alten FuBe fortzuleben.<br />

Damals war aber viel weniger als heute die Richtung deutlich, in<br />

der sich die kommenden Ereignisse bewegen würden.<br />

Es ist begreiflich, daB viele eine absolute Freiheit forderten,<br />

weil man an dem natürlichen Ablauf der Dinge glaubte erkennen<br />

zu können, in welcher Richtung sich das wirtschaftliche Leben entwickeln<br />

würde. Begreiflich ist es auch, daB dieser Ruf nach Freiheit<br />

von solchen Elementen schnell aufgenommen wurde — z. B. von<br />

den Juden in ihren Ghettos — denen unter den früheren Verhaltnissen,<br />

sehr zu Recht, bestimmte Freiheiten versagt waren. Wir<br />

wissen, daB der Ruf nach Freiheit auf diese Weise immer mehr zu<br />

einer allgemeinen Losung wurde, ohne daB man dem Zweck Rechnung<br />

trug, für den eine angemessene Freiheit notwendig sein konnte.<br />

Wir wissen, wie in spateren Zeiten diese Losung zu einer Forderung<br />

um ihrer selbst willen wurde und zu einem alles beherrschenden<br />

Dogma erstarrte. Es tauchten damals Theorien auf, die davon aus-<br />

20


gingen, dafi, wenn der einzelne nur seinem Eigenintcresse nachstrebte,<br />

dem allgemeinen Interesse von selbst gedient sein würde.<br />

Es ist aber merkwürdig, zu sehen, wie bald,nachdem dieses Dogma<br />

allgemein durchzudringen begann, sich eine ihm entgegenarbeitende<br />

Tendenz offenbarte. Völlige Freiheit hat man dem Wirtschaftsleben<br />

nie gegeben. Ein groBer Teil der alten Reglementierung wurde<br />

aufrechterhalten. Doch bald erwies sich die Notwendigkeit neuer<br />

Vorschriften.<br />

i§|Ieh will hier nur auf die Schwierigkeiten hinweiscn, die entstanden,<br />

wenn in einem Betriebszweig sich der Produktionsapparat<br />

als zu groB herausstellte und die Wirkung der freicn Konkurrenz,<br />

infolge der Unbeweglichkeit des Kapitals, diesem MiBverhaltnis<br />

kein Ende bereiten konnte. Wie haufig ist nicht durch Kartell- und<br />

Trustbildungen usw. eine Regulierung der Produktion ohne Einwirkung<br />

staatlicher Instanzen zustande gekommen! Doch schien auf<br />

die Dauer eine Lösung der Probleme nur durch die Wirtschaftsbeteiligten<br />

nicht erreichbar zu sein, so daB schlieBlich doch ein Eingreifen<br />

des Staates erforderlich wurde. In vielen Fallen sehen wir,<br />

daB der Staat dann als Ausgangspunkt die schon bestehenden Organisationen<br />

aus dem Betriebsleben selbst übernahm und ihnen als<br />

Obrigkeit durch ihre Sanktion eine allgemeinerc und kraftigere<br />

Wirkung verlieh.<br />

In einzelnen Landern ist man jedoch nicht den evolutionarcn<br />

Weg gegangen, sondern hat nach einer Revolution einen völlig<br />

anderen eingeschlagen. So hat Mussolini in Italien, nachdem er<br />

im Jahre 1922 zur Macht gekommen war, eine Neugestaltung des<br />

Verhaltnisses der Obrigkeit zum Wirtschaftsleben angekündigt. Man<br />

hat aber in Italien nicht auf einmal ein ganz anderes System eingeführt,<br />

sondern der Aufbau der wirtschaftlichen Organisation fand<br />

allmahlich statt und ist auch jetzt noch nicht ganz abgeschlossen.<br />

Ich will hier noch etwas naher auf die italienische Organisationsform<br />

eingehen, weil sie in verschiedenen Punkten von der deutschen<br />

abweicht. Der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sind im Prinzip<br />

getrennt organisiert. Die Mitgliedschaft innerhalb der Organisationen<br />

der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber ist nicht obligatorisch, wohl<br />

aber werden auch die nichtorganisierten Arbeitgeber und Arbeit-<br />

21


uehmer durch die Organisationen, denen sie nicht angehören, vertreten.<br />

Sie sind ebenso verpflichtet, die Anordnungen zu befolgen,<br />

wie Beitrage zu zahlen usw. In jedem Wirtschaftszweig wird vom<br />

Staat nur eine Organisation zugelassen.<br />

Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden wiederum durch einen<br />

höheren Verband vertreten: die Korporationen. Durch diese Korporationen<br />

hat denn auch das italienische System den Namen: „Korporative<br />

Organisation" erhalten.<br />

Die Korporationen erstrecken sich über das ganze Land und umfassen<br />

einen Betriebszweig im vertikalen Sinn, also z. B. die ursprünglichen<br />

Produzenten — etwa die Bauern — ferner die verarbeitende<br />

Industrie und schlieBlich den Handel. Zur Zeit bestehen<br />

in Italien 22 derartige Korporationen, so beispielsweise für Getreide,<br />

für Gartenbau, Viehzucht, Textilwesen usw.<br />

An der Spitze einer Korporation steht ein Rat, der aus Vertretern<br />

von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zusammengesetzt ist, wahrend<br />

auBerdem auch Vertreter anderer Belange hier ihren Sitz haben,<br />

z. B. Vertreter der Exportinteressen. AuBerdem sitzen im Rat drei<br />

Vertreter der Partei, die darüber zu wachen haben, daB das Allgemeininteresse<br />

im Auge behalten wird.<br />

Die Organisation des Betriebslebens wird in Italien als ein<br />

Staatsorgan angesehen. Neben einer allgemein beratenden Funktion<br />

für die Regierung besitzen die Korporationen zugleich verordnende<br />

Befugnis. Derartige Verordnungen können sich auch auf das Gebiet<br />

der Preise und Tarife erstrecken.<br />

Vom politischen Gesichtspunkt aus ist es weiterhin noch von<br />

Interesse, daB diese Korporationen zugleich die Grundlage für eine<br />

vertretende Körperschaft bilden, da sie einen Teil der Vertreter<br />

stellen. AuBerdem haben in der Kammer dann noch Parteivertreter<br />

ihren Sitz. Erst unlangst wurde das SchluBstück dieser Entwicklung<br />

gebildet, indem jetzt eine Kammer für Fascien und Korporationen<br />

eingesetzt ist.<br />

In Spanien und Portugal sind entsprechende Organisationen<br />

gebildet worden, die neben kleinen Unterschieden eine groBe Übereinstimmung<br />

mit dem italienischen System zeigen. So sind die<br />

Korporationen in beiden Landern ebenfalls aus Arbeitgebern und<br />

22


Arbeitnehmern zusammengesetzt. In beiden Landern ist die Mitgliedschaft<br />

ebenfalls nicht Pflicht, auch folgte man dem vertikalen<br />

Einteilungsprinzip.<br />

In den Niederlanden zeigte sich in den Jahren vor dem Mai<br />

1940 die gleiche Entwicklung des immer weiteren Eingreifens des<br />

Staates und die Tendenz des gruppenweisen Auftretens der Wirtschaft<br />

streibenden.<br />

Ich möchte Sie hier daran erinnern,da£S AbrahamKuyper schon am<br />

Ende des vorigen Jahrhunderts den Gedanken verteidigt hat, neben<br />

einer politischen Kammer auch eine Interessenkammer zu wahlen.<br />

Gleichfalls bestand die Idee — nicht neben dem Reichsgesetzgeber,<br />

sondern unter ihm — eine Körperschaft mit verordnender Befugnis<br />

zu bilden. Eine erste Bemühung in dieser Richtung wurde von<br />

Minister Talma unternommen, der im Jahre 1913 den Raten der<br />

Arbeit verordnende Befugnis zuerkennen wollte. Dieser Plan kam<br />

nicht zur Verwirklichung. Aber im Jahre 1922 nahm man in die<br />

Grundgesetzrevision einen Artikel auf, demzufolge bestimmten<br />

Körperschaften Verordnungsbefugnis gegeben werden konnte.<br />

Bei der Grundgesetzrevision im Jahre 1938 hat man dies noch<br />

erweitert und in das Grundgesetz eine Bestimmung aufgenommen,<br />

nach der für das Berufs- und Betriebsleben Körperschaften eingesetzt<br />

werden können, um regulierend zu wirken. Diese Körperschaften<br />

sollten auch eine verordnende Befugnis erhalten können.<br />

Ebenso hatte man schon vor der Grundgesetzanderung im Jahre<br />

1938 im Betriebsrategesetz die Möglichkeit zur Bildung von Körperschaften<br />

mit anordnender Befugnis für das Betriebsleben geschaft'en.<br />

Diese Betriebsrate, die durch die Krone für eine bestimmte Wirtschaftsgruppe<br />

eingesetzt werden sollten, sollten zur einen Halfte aus<br />

Vertretern von Arbeitgebern, zur anderen aus Veitretern von Arbeitnehmern<br />

gebildet werden. Dies erinnert also an die italienischen<br />

Korporationen.<br />

Auch in anderen Gesetzen wurde dem gruppenweisen Auftreten<br />

der Beteiligten Rechnung getragen. Ich denke z. B. an das Gesetz<br />

über das Verbindlicherklaren der kollektiven Arbeit sübereinkommen,<br />

wobei man von den Fachvereinigungen der Arbeitnehmer und den<br />

Vereinigungen der Arbeitgeber ausging und diese Anordnung durch<br />

23


die behördliche Sanktion auch für diejenigen als verbindlich erklaren<br />

wollte, die keine Pan ei im Kollektivkontrakt gebildet hatten.<br />

Derselbe Fall zeigt sich bei dem Gesetz über das Verbindlichoder<br />

Unverbindlicherklaren der Unternehmerübereinkommen. Auch<br />

hier geht man von dem Bestehen der Organisationen der Beleiligten<br />

aus. Die Behörde kann Beschlüsse, die diese Organisationen getroffen<br />

haben, auch für Nichtmitglieder verbindlich erklaren. Diese Regelung<br />

zeigt also ebenfalls groBe tjbereinstimmung mit der in den<br />

lateinischen Landern, wo die Beteiligten, selbst wenn sie nicht zu<br />

den Mitgliedern der Organisationen zahlen, nicht minder gebunden<br />

sind.<br />

In dieser Richtung bewegte sich die Entwicklung bei uns, bis<br />

vor mehr als einem Jahr unser Land in den groBen Strom neuen<br />

Lebens aufgenommen wurde, der in Deutschland seinen Ursprung<br />

nahm. Es wird für unser Land erforderlich sein, danach zu trachten,<br />

Schritt zu halten mit der schnelleren Arbeitsweise, die man in<br />

Deutschland verfolgt.<br />

Durch Minister Fischböck wurde in mehreren Reden auseinandergesetzt,<br />

dafi es nötig sein würde, die niederlandische Organisation<br />

des Wirtschaftslebens auf die deutsche abzustimmcn. Dieses sei allein<br />

schon deswegen erforderlich, weil man über verschiedene wichtige<br />

Punkte miteinander heraten müsse und in den Niederlanden bei<br />

verschiedenen Wirtschaftsgruppen eine Vielzahl von Organisationen<br />

bestehc, von denen haufig keine als genügend reprasentativ erachtet<br />

werden kónne.<br />

Eine straffe Organisation des niederlandischen Wirtschaftslebens<br />

ist natürlich, auch in breiterem Zusammenhang gesehen, in einer<br />

Zeitperiode, in der die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Hilfsquellen<br />

des europaischen Kontinents viel starker als bisher ausgeschöpft<br />

und aufeinander abgestimmt werden müssen, unbcdingt<br />

erforderlich.<br />

Die Einschaltung der niederlandischen Wirtschaft, der natürlichen<br />

Hilfscruellen des Landes, der Produktionskapazitat auf landwirtschaftlichem<br />

Gebiet, der groBen Möglichkeiten, die das dichte<br />

Verkehrsnetz zu Lande und zu Wasser in unserem flachen Deltaland<br />

bietet, in eine geordnete, gelenkte europaische GroBraumwirt-<br />

24


schaft macht es erforderlich, auch hierzulande einen zweckentsprechenden<br />

Wirtschaftsapparat aufzubauen. Zweckentsprechend<br />

bedeutet hier in erster Linie, dafi die Struktur eines solcheu Wirtschaftsapparates<br />

nicht zu sehr von der deutschen abweicht. Man mufi<br />

bei der Organisation des niederlandischen Wirtschaftslebens in<br />

grofien Zügen dem deutschen Vorbild, das schon seit einer Reihe<br />

von Jahren praktisch erprobt ist, folgen.<br />

Selbstverstandlich' wird man dabei den besonderen niederlandischen<br />

Verhaltnissen, die naturgemafi in einigen Punkten von den<br />

deutschen abweichen, Rechnung tragen. Ich denke hier beispielsweise<br />

an die Organisation des Handels — insbesondere des Transithandels<br />

und des Handels in kolonialen Waren usw. — bei welchem<br />

die Verhaltnisse höchst verschieden von denen in Deutschland sind.<br />

Im Verordnungsblatt vom 12. November 1940 erschien ein Beschlufi<br />

des Generalsekretars des Departements für Handel, Industrie<br />

und Schiffahrt hinsichtlich des Aufbaues einer selbstandigen Organisation<br />

zur Entwicklung des Wirtschaftslebens, wahrend gleichzeitig<br />

eine Kommission eingesetzt wurde, um diese Organisation zustande<br />

zu bringen. Schnell handeln und arbeiten war in diesem Fall<br />

für die Kommission eine Notwendigkeit. Sie konnte weder dem<br />

italienischen Vorbild folgen, wo man in Iangsamem Wachstum in<br />

mehr als 15 Jahren die Organisation allmahlich geschaffen hat, noch<br />

dem deutschen, wo der Aufbau ebenfalls eine Frucht jahrelanger<br />

Arbeit gewesen ist. Schon vor einigen Monaten wurden beispielsweise<br />

die Anordnungen der Lederindustrie verkündet, wahrend inzwischen<br />

noch einige Wirtschaftsgruppen gebildet wurden und eine<br />

Reihe anderer Gruppen im Begriff stehen, gebildet zu werden.<br />

Die Organisationskommission, obwohl in der Gesamtheit der<br />

Körperschaft geordnet versammelt, hat in sich verschiedene Unterkommissionen<br />

für bestimmte Aufgaben gebildet. Ferner ernannte<br />

sie für die verschiedenen Unterabteilungen Personen aus dem Wirtschaftsleben<br />

zu Beratern, mit dem Zweck, der Organisationskommission<br />

Bericht über die Lage in bestimmten Wirtschaftszweigen<br />

zu erstatten und um Vorschlage für den Aufbau der Organisation<br />

in den betreffenden Wirtschaftszweigen zu machen. Schon im Mai<br />

1941 hat man eine grofie Anzahl von Berichten erhalten. Über die<br />

25


hierfür geleistete Arbeit bekommt man einigermaBen eine Vorstellung,<br />

wenn man weifi, daB sich darunter Berichte von 50, 70<br />

und selbst einer von 235 Seiten befanden. Wenn man bedenkt, daB<br />

sowohl die Arbeit der Mitglieder der Organisationskommission als<br />

der Berater rein ehrenamtlich geschieht, dann wird es deutlich, daB<br />

die Devise „Gemeinnutz geht vor Eigennutz" in diesem Fall eine<br />

wirksame Befolgung gefunden hat.<br />

Sie sehen also wohl, daB sich der Geist der neuen Zeit auch in<br />

der auBerordentlich umfangreichen Arbeit, die die Organisationskommission<br />

auf sich genommen hat, widerspiegelt.<br />

Die Organisation, die durch diese Kommission geschaffen werden<br />

soll, wird, wie die Verordnung sagt, eine selbstandige Organisation<br />

werden. Hierdurch ist zugleich von dem Gedanken eines<br />

Staatssozialismus, also einer völlig als Behördcnapparat anzusehenden<br />

Organisation, Abstand genommen worden. Man hat statt<br />

dessen den fruchtbaren Gedanken der Selbstwahrnehmung ihrer<br />

Interessen durch die Beteiligten verwirklichen wollen.<br />

Dieser Gedanke hat auch der deutschen Organisation von Anfang<br />

an zugrunde gelegen. In ihrer Erklarung vom 23. Marz 1933 sagt<br />

die Reichsregierung: „Grundsatzlich wird die Regierung die Wahrnehmung<br />

der Interessen des deutschen Volkes nicht über den Umweg<br />

einer staatlich zu organisierenden Wirtschaflsbürokratie betreiben,<br />

sondern durch die starkste Forderung der Privatinitiative<br />

und durch die Anerkennung des Eigentums."<br />

Mit dieser bedeutsamen Erklarung wird das Wirtschaftsleben als<br />

ein selbstandiger Faktor anerkannt. Doch würde es nicht richtig<br />

sein, daraus nun die Möglichkeit eines Gegensatzes zwischen den<br />

Staatsinteressen und den Interessen des Wirtschaftslebens zu folgern.<br />

Die Organisation der Wirtschaft bildet vielmehr das Verbindungsglied<br />

zwischen Staatsführung und Wirtschaftsleben. Der vom Staat<br />

auf das Wirtschaftsleben ausgehende Antrieb wird dieses über seine<br />

eigene Organisation erreichen, wahrend umgekehrt über diese Organisation<br />

die Forderungen und Wünsche der Wirtschaft der Staatsführung<br />

zur Kenntnis gebracht werden.<br />

Dieser Gedanke einer eigenen Organisation ist keineswegs neu,<br />

sondern besteht beispielsweise schon in den Gemeinden und Pro-<br />

26


vinzen. Auch da sehen wir, dafi man bestimmte InteresseD nicht<br />

zentral regeln konnte, sondern dafi man sehr oft diese Regelung den<br />

Beteiligten selbst überliefi.<br />

Staacsrechtlich unterscheidet man hier noch zwischen der Selbstverwaltung<br />

und der Autonomie. Unter der Selbstverwaltung versteht<br />

man die Selbstausführung der An- und Verordnungen, die<br />

von oben her gegeben werden, wahrend die Autonomie das Recht,<br />

eigene Interessen selbst wahrzunehmen, bezeichnet. Diese beiden<br />

Befugnisse sollen auch die neuen Körperschaften erhalten, denn zufolge<br />

einer am 14. Mai 1941 verkündeten Abanderung des ursprünglichen<br />

Beschlusses kann den Organisationen verordnende Befugnis<br />

verliehen werden.<br />

Wir können somit die Aufgabe, die den Körperschaften gestellt<br />

werden soll, zusammenfassen in: ausführen, verordnen, Gutachten<br />

erstatten und VorschlSge machen.<br />

Die Staatsführung hat bei diesen Funktionen das letzte Wort<br />

zu sprechen. Der Staat bestimmt, was die Organisation ausführen<br />

wird, und entscheidet, welche Folgerungen er aus den erhaltenen<br />

Gutachten und Vorsehlagen ziehen soll. In bezug auf die verordnende<br />

Befugnis ist bestimmt, dafi die Verordnungen durch den<br />

Generalsekretar des Departements für Handel, Industrie und Schifffahrt<br />

vorher genehmigt werden müssen und er auch befugt ist,<br />

beschlossene Verordnungen für nichtig zu erklaren.<br />

Dr. Albert Pietsch, der Leiter der Reichswirtschaftskammer, hat<br />

in einer Rede vom 8. Marz 1940 die Vorteile der Selbstausführung<br />

seitens der Organisation des Wirtschaftslebens ausführlich geschildert.<br />

Ich möchte auf einige Punkte dieser Rede hinweisen:<br />

Auf vielen Gebieten sind die Beamten nicht ausreichend sachkundig,<br />

jedenfalls nicht in dem Mafie wie die Angehörigen der Wirtschaft<br />

selbst.<br />

Haufig mufi bei einer Anordnung von seiten des Staates zu sehr<br />

auf Einzeiheiten eingegangen werden, wahrend dies bei einem wirtschaftlichen<br />

Selbstverwaltungsorgan mit eigener Initiative in Fortfall<br />

kommt.<br />

Sofern man selbst bestimmen kann und selber die Verantwortung<br />

tragt, ist man eher geneigt, seine Arbeitskraft voll einzusetzen.<br />

27


Es wird immer einen Puukt geben, in dem der Staat nicht mehr<br />

selbst anordnen kann, sondern dieses den Unternehmern überlassen<br />

muB, es sei denn, dafi der Staat die gesamte Produktion selbst in<br />

die Hand nehmen will.<br />

Über die Zusaiumensetzung der Organisation spricht ein erster<br />

AusführungsbeschluB, der zugleich mit dem GrundbeschluB erschienen<br />

ist. Die Mitglieder der Organisation sollen sich demnach<br />

aus Einzelunternehmern und Gesellschaften zusammensetzen.<br />

AuBerhalb der Organisation stehen somit die Arbeitnehmer.<br />

Wir stellen hier also einen groBen Unterschied zu dem System der<br />

lateinischen Lander fest. Eine andere Abweichung besteht darin,<br />

daB die Mitgliedschaft als obligatorisch festgesetzt werden kann und<br />

es in der Regel auch ist.<br />

In Übereinstimmung mit der Zusammensetzung der Organisation<br />

ausschlieBlich aus Unternehmern steht auch die Bestimmung, daB<br />

sie lediglich die Wirtschaftsinteressen der Unternehmer zu wahren<br />

hat. Die Behandlung sozialer Fragen liegt auBerhalb ihrer Aufgabe.<br />

Es liegt auf der Hand, daB nun, wo die Wirtschaftsorganisationen<br />

alle Unternehmer der betreffenden Branche umfassen, die bestehenden<br />

Vereinigungen gröBtenteils verschwinden können. Eine Schwierigkeit<br />

kann sich allerdings hierbei ergeben, namlich, wenn hierunter<br />

Vereinigungen fallen, die soziale Vorkehrungen zum Inhalt ihrer<br />

Tatigkeit gemacht haben, und dies wird noch kompliziert durch<br />

die — für die verschiedensten Zwecke erfolgten — Kapitalsbildungen.<br />

Hier wird man von Fall zu Fall eine Entscheidung treffen müssen.<br />

Im zweiten AusführungsbeschluB, der ebenfalls zugleich mit dem<br />

GrundbeschluB erschienen ist, wird die groBe Linie der Einteilung<br />

verkündet. Es sollen sechs Hauptgruppen gebildet werden, namlich<br />

für die Industrie, das Gewerbe, den Handel, das Bankwesen,<br />

das Versicherungs- und das Verkehrswesen.<br />

Aus dieser Aufzahlung ist bereits ersichtlich, daB man hier nicht<br />

wie in den lateinischen Landern dem vertikalen, sondern dem horizontalen<br />

Prinzip gefolgt ist.<br />

Man hat also nicht die Produktionsverwandtschaft zur Grundlage<br />

der Einstellung gemacht, sondern artgleiche Unternehmungen<br />

organisatorisch zusammengefaBt.<br />

28


Beide Arten der Zusammenfassung, die vertikale sowohl wie die<br />

horizontale, haben natürlich jede ihre Vorteile, wahrend mit beiden<br />

nalürlich auch Nachteile verknüpft sind. Die Wahl eines der beiden<br />

Einteilungsprinzipien braucht es jedoch keineswegs mit sich zu<br />

bringen, daB man nun alle Vorteile, die mit der anderen Organisationsform<br />

verbunden sind, missen muB.<br />

Wenn z. B. die Bauindustrie in die Hauptgruppe Industrie eingegliedert<br />

und der Handel mit Baumaterialien in der Gruppe Handel<br />

organisiert ist, dann ist es sehr wohl möglich, durch die Schaffung<br />

von Querverbindungen zwischen diesen getrennien Organisationen<br />

doch den nötigen Kontakt zu erzielen. Es ist auch nicht erforderlich,<br />

daB diese Querverbindungen nur zeitweiliger Art sind, sondern<br />

sehr wohl denkbar, daB man standige Körperschaften zu diesem<br />

Zweck ins Leben ruft.<br />

Ein anderes Problcm, das sich bei der Organisation ergibt, ist<br />

die Frage der Grenzziehung zwischen den einzelnen Gruppen. Da<br />

haben wir z. B den bekannten Streit über den Unterschied zwischen<br />

Industrie und Gewerbe. Dieser Streit datiert nicht erst aus den<br />

letzten Jahren, sondern besteht schon von dem Augenblick an, da<br />

man einsah, daB es nötig war, ein Gewerbe gegen die Gefahren, die<br />

von seiten der GroBindustrie drohten, zu schützen.<br />

Alsbald nachdem in der Mitte des vorigen Jahrhunderts Schutzbestimmungen<br />

für das Gewerbe und spater auch für den Kleinhandel<br />

erlassen wurden, hat sich das Problem der Grenzen aufgetan. So hat<br />

man beispielsweise den Unterschied zwischen Industrie und Gewerbe<br />

darauf gründen wollen, ob der Leiter der Produktion an ihr selbst<br />

teilnimmt oder nicht. Oder man hat ihn in der Anzahl der<br />

Arbeiter, in der GröBe der Anlagen, im Umfang der Produktion,<br />

oder in dem MaB, in dem die Arbeitsverteilung durchgeführt war,<br />

gesucht, ferner darin, ob eine Vorratsproduktion stattfand, ob<br />

Maschinen gebraucht wurden, ob man seine Ausbildung im Betrieb<br />

erhielt usw.<br />

Eine Schwierigkeit ergab sich bei der Organisationszuweisung<br />

des Handels. Auf den ersten Bliek erscheint es verhaltnismaBig einfach<br />

festzusetzen, was Handel ist und was nicht. Man muB dabei<br />

jedoch bedenken, daB alle industriellen Unternehmungen ihre Pro-<br />

29


dukte absetzen, also verkaufen müssen und somit am Handel tcilnehmen.<br />

Doch wird man wohl nicht verlangen, dafi alle industriellen<br />

Betriebe neben ihrer Zuteiiung zur Industrie gleichzeitig auch dem<br />

Handel zugeteilt werden, wenn auch anerkannt werden muB, daB<br />

es haufig gerade kommerzielle Fragen sind, durch die eine Zusammenfassung<br />

von industriellen Betrieben im Gruppenverband erforderlich<br />

ist.<br />

Ich führe diese Beispiele an, um Ihnen Einsicht in die Vielfaltigkeit<br />

der Probleme zu geben, vor die die Organisationskommission<br />

sich bei ihren Arbeiten gestellt sieht.<br />

Es bcsteht zuweilen hinsichtlich der Organisationskommission<br />

die falsche Auffassung, daB sie auch befugt sei, selbst bestimmte<br />

Regeln für das Wirtschaftsleben vorzuschreiben. Man muB jedoch<br />

den Aufbau der Organisationen nicht mit den Arbeiten, die sie<br />

spater selbst verrichten können, verwechseln. Es steht namlich im<br />

ganzen noch nicht fest, wie die Organisationen arbeiten werden.<br />

Der Organisationskommission obliegt es nur, die Einteilung der<br />

Gruppen vorzunehmen und die Personen zu benennen, die bei diesen<br />

ihre Funktionen ausüben sollen.<br />

Wie die Organisationen arbeiten werden, hangt von zwei Faktoren<br />

ab. Erstens, und darauf muB ich den Nachdruck legen, ist<br />

dies zum sehr groBen Teil von den Gruppen selbst abhangig. Es ist<br />

hier, wie überall, in der Hauptsache eine Frage der gröBeren oder<br />

geringeren Energie, die von der Leitung entwickelt wird, von der<br />

Initiative, die von ihr ausgeht. Es hangt aber auch weitgehend von<br />

der Staatsführung ab, da sie schlieBlich bestimmt, was sie den<br />

Gruppen überlassen will und was sie selbst in der Hand zu behalten<br />

wünscht.<br />

Doch es ist wohl sicher, daB sich die staatliche Direktive nun<br />

keinesfalls aus allen Gebieten zurückziehen und daB das Ministerium<br />

für Handel, Industrie und SchifTahrt seine Mit- und Einwirkung<br />

zum groBen Teil aufgeben wird.<br />

Selbst die Reichsstellen werden nicht ganz und gar verschwinden<br />

können. Staatssekretar Dr. Landfried weist 1 ) in diesem Zusammen-<br />

1<br />

) lm Wirtschaftsblatt der Industrie- und Handelskaimner, Berlin, vom 2. Dezember 1939.<br />

30


hang z. B. auf die Rohstoffversorgung hin und sagt: „Es ist nicht<br />

die Aufgabe einer fachlich gegliederten Gruppe, über wirtschaftliche<br />

Tatbestande zu befinden, die Produktionsumfang und Betriebsschicksal<br />

von Mitgliedern anderer fachlicher Gruppen entscheidend berühren.<br />

Hier handelt es sich vielmehr nach meiner Überzeugung<br />

um Aufgaben, die sowohl ihrer Art als ihrer Bedeutung nach typische<br />

Staatsaufgaben, namlich Hoheitsaufgaben sind. Würde heute erst<br />

das Problem der Einfuhrüberwachung und der Rohstoffbewirtschaftung<br />

entstehen, man müBte es, davon bin ich überzeugt, in der<br />

gleichen Form lösen, wie es damals geschah."<br />

Er will also prinzipiell bestimmte Gebiete dem Staat und eventuell<br />

auch den betreffenden Reichsstellen überlassen. Sicher ist aber,<br />

dafi ein grolJer Teil der Aufgaben der Reichsstellen von der neuen<br />

Organisation übernommen werden kann.<br />

Obschon also die Organisation des Wirtschaftslebens einen Teil<br />

der Behördenaufgaben übernehmen soll, wird, wie oben gesagt,<br />

der Beamtenapparat nicht entbehrt werden können.<br />

Ebensowenig aber ist beabsichtigt, die neuen Organisationen an<br />

die Stelle der Kartelle treten zu lassen. In Deutschland ging man<br />

von der prinzipiellen Trennung dieser beiden Organisationen aus,<br />

und es ist Kartellen verboten, sich Fachschaft oder Gruppe zu<br />

nennen. Jedoch schreibt Dr. Eberhard Barth in seinem Buch<br />

„Wesen und Aufgaben der Organisation der gewerblichen Wirtschaft"<br />

im Anschlufi an den KartellerlaB vom 12. November 1936:<br />

„Durch diesen ErlaB wurde eine vollkommene Wendung der<br />

Gruppen bewirkt ... zu dem ihnen bis dahin verschlossenen<br />

Gebiet der Marktordnung." 1 )<br />

Zwar ist die Aufgabe der Gruppen: „Beaufsichtigung der markt -<br />

regelnden Verbande", und sie stehen „über den marktregelnden Verbanden,<br />

nicht neben ihnen", es können aber zuweilen doch, sagt<br />

Barth, „bestehende Kalkulationskartelle auf die Gruppen überführt<br />

werden."<br />

„Darüber hinaus wird aber auch bei Preiskartellen und bei Vereinbarungen<br />

über einheitliche Lieferungsbedingungen voraussicht-<br />

*) Selte 32.<br />

31


lich im Zuge der Entwicklung von Fall zu Fall mit immer gröBerem<br />

Nachdruck geprüft werden, ob solche Marktverbande nicht auf die<br />

Gruppe zu überführen sind, wenn ihre volkswirtschaftliche Notwendigkeit<br />

erwiesen ist. Das wird zunachst bei allen Zwangskarlellen,<br />

die auf Grund des Zwangskartellgesetzes vom 15. Juli 1933 gebildet<br />

werden, vordringlich geprüft werden, wenn sich der Kreis der Mitglieder<br />

mit demjenigen der Gruppengliederung deckt. Eine solche<br />

Zusammcnlegung kann im Einzelfall Konzentration der Krafte und<br />

Ersparnis von Kosten und Reibungsverlusten bedeuten." 1 )<br />

Er geht jedoch noch weiter und sagt 2 ): „Dieser Überblick über<br />

die Tatigkeit der Organisation auf dem Gebiete der Marktregelung<br />

ware aber unvollstandig, wenn nicht auch hier vor allem die unzahligen<br />

marktregelnden MaBnahmen erwahnt würden, welche insbesondere<br />

die Gruppen gleichsam als stcllvcrtretende Gesetzgeber für den<br />

Staat fast taglich in Form genehmigter Anordnungen erlassen."<br />

Und weiter: „Zu Hunderten sind ergangen und ergehen weiter Anordnungen<br />

und Regelungen über Beschrankungen in der Verwendung<br />

von Rohstoffen, über Verwendung bestimmter Verfahren, über stoffsparendes<br />

Zuschneiden, Verwendung von Resten, über Zuteilung<br />

von Kontingenten an Rohstoffen, über Zulassigkeit von Rabatten,<br />

über Höhe der Provisionen, über Forcierung des Absatzes bestimmter,<br />

vorübergehend im ÜberfluB vorhandener Nahrungsmittel zum<br />

Zwecke des Marktausgieiches durch Einzelhandel und ambulantes<br />

Gewerbe usw."<br />

Man kann also sagen, daB viele Kartelle unabhangig neben den<br />

Gruppen stehen, aber der Aufsicht der Gruppen untcrworfen sind.<br />

Daneben aber werden den Mitgliedern durch die Gruppen Kartellbestimmungen<br />

auferlegt.<br />

Nun ist, was unser Land anbetrifft, den Gruppen über die Kartelle<br />

eine Aufsicht nicht ausdrücklich zuerkannt. Wohl aber steht im<br />

Artikel a des Gmndbeschlusses, daB die Verordnungen der Organisationen,<br />

die Kartellverhültnisse regeln, oder die Marktregelung vorher<br />

durch den Generalsekretar des Departements von Handel, Industrie<br />

und Schiffahrt genehmigt werden müssen. Dieses setzt also<br />

>) Seite 79. -) Seite 83.<br />

32


voraus, daB der Generalsekretar den Gruppen das Recht geben<br />

könnte, Kartellverhaltnisse zu regeln, was also wiederum das Bestehen<br />

von besonderen Kartellen voraussetzt, wihrcnd auBerdem<br />

die Organisation auch selbst den Markt regeln darf.<br />

Die Verordnungen der Organisationen dürfen aber nicht, wie<br />

ausdrücklich bestimmt ist, auf die Vorschriften auf dem Gebiet der<br />

Preisbildung einwirken. Der Preiskommissar kann also durch Vorschriften<br />

der Grappen nicht behindert werden.<br />

Das Führerprinzip ist auch in der neuen niederlandischen Organisation<br />

der Wirtschaft gewahrleistet. Das will heiBen, daB der Vorsitzende,<br />

dessen Amt etwa dem des deutschen „Leiters" einer Gruppe<br />

entspricht, nicht der Ausführende eines Mehrheitsbeschlusses der<br />

Mitglieder und nicht der Beauftragte seiner Gruppe ist, sondern eine<br />

andere, ich möchte sagen doppelte Verantwortlichkeit tragt. Der<br />

Vorsitzende tritt einerseits als der Vertreter seiner Gruppeninteressen,<br />

andererseits als Vertreter der Allgemeininteressen auf.<br />

Diese zwischen den zwei Polen des Allgemein- und des Einzelinteresses<br />

befindliche Stellung des Vorsitzenden kommt auch in der<br />

Art seiner Ernennung und dem durch die Mitglieder abzugebenden<br />

Vertrauensvotum zum Ausdruck. Die Ernennung erfolgt von<br />

oben her. Die Vorsitzenden der unteren Gruppen werden durch den<br />

Vorsitzenden der Wirtschaftsgruppe ernannt, wahrend die Vorsitzenden<br />

der Wirtschafts- und Hauptgruppe, also der höheren<br />

Gruppen, durch den Generalsekretar des Departements für Handel,<br />

Industrie und Schiffahrt ernannt werden.<br />

Gegenüber dieser Ernennung von hoher staatlicher Stelle, die<br />

die Gewahr schafft, daB die Allgemeininteressen über die Eigeninieressen<br />

gestellt werden, steht nun das Vertrauensvotum, das dem<br />

Vorsitzenden gewöhnlich jahrlich durch die Mitglieder ausgesprochen<br />

wird. Man geht also davon aus, daB es nicht genügt, daB der Vorsitzende<br />

das Vertrauen der Stelle genieBt, die die Beherzigung der<br />

Allgemeininteressen gewahrleisten muB, sondern daB es zugleich<br />

erforderlich ist, daB auch die Gruppe, die er leitet, Vertrauen in<br />

seine Umsicht und seine Fiihigkeiten hat.<br />

Diese veranderte Stellung des Vorsitzenden zeigt sich auch in<br />

seinen wichtigen Befugnissen. Ich verweise hier auf den dritten<br />

33


Abschnitt des Artikels 13 des dritten Ausführungsbeschlusses, worin<br />

steht, dafi der Vorsitzende befugt ist, den Mitgliedern seiner Organisation<br />

Anweisungen zu geben. Es geht hier also nicht um Beschlüsse<br />

der Mitgliedcrversammlung, sondern um MaBregeln, die der Vorsitzende<br />

selbst, aus eigener Verantwortlichkeit, im Interesse der<br />

Gruppe treffen zu müssen glaubt.<br />

Es ist klar, daB diese dem Vorsitzenden übertragene Machtbefugnis<br />

eine ganz besondere geistige Einstellung verlangt; denn er<br />

ist selbst Unternehmer. Die Anordnung sagt jedenfalls, daB der<br />

Vorsitzende in der Regel aus Personen, die in dem betreffenden<br />

Gebiet der Wirtschaft eine leitende Funktion bekleiden, gewahlt<br />

wird. Es wird also von ihm erwartet, daB er sich gleichsam über sich<br />

selbst erhebt und unbekümmert um sein eigenes Gruppeninteresse<br />

das allgemeine Interesse im Auge behalt.<br />

Aus der groBen Machtfülle des Vorsitzenden darf man nun aber<br />

nicht ableiten, daB er tun und lassen und daB er von oben herunter<br />

vorschreiben könne, was ihm beliebt. Der deutsche Reichswirtschaftsminister<br />

sagt in seinem ErlaB vom 8. Juli 1936: „Die Organisation<br />

der gewerblichen Wirtschaft ist, wie jede Organisation, lcbensnotwendig<br />

darauf angewiesen, engste Fühlung mit ihren Mitgliedern<br />

zu suchen und zu halten. Ich mache es den Leitern und Geschaftsführern<br />

samtlicher Gruppen zur Pflicht, immer wieder von neuem<br />

in unmittelbarer Gegenüberstellung und Aussprache den Mitgliedern<br />

die Wirtschaftspolitik des Dritten Reiches, ihre Schwierigkeiten und<br />

Erfolge im groBen vor Augen zu führen und von den Mitgliedern<br />

Wünsche und Sorgen entgegenzunehmen. Dabei wird dem Verkehr<br />

mit den Mitgliedern und ihrer Beratung und Betreuung in allen<br />

Gliederungen besondere Sorgfalt zu widmen sein. Wo die GröBe<br />

der Organisation jahrliche Gesamtmitgliedervcrsammlungen nicht<br />

angezeigt erscheinen laBt, müssen andere Formen gesucht und gelünden<br />

werden, welche die unmittelbare Fühlung mit den Mitgliedern<br />

sicherstellen."<br />

Sie sehen, der Reichswirtschaftsminister hat empfunden, daB<br />

zugleich mit der Erteilung gröBerer Befugnisse an die Leitung einer<br />

Gruppe der engste Kontakt mit den Mitgliedern einhergehen muB.<br />

Der Vorsitzende muB stets wissen, was in seiner Gruppe vorgeht,<br />

34


;<br />

Mitgliederi.<br />

Lüd<br />

Geschaftseder<br />

von<br />

neuem<br />

ie den<br />

Mitgliedern<br />

ichwierigkeiten und<br />

von den Mitgliedern<br />

jei wird dem<br />

Verkehr<br />

nd Betreuung in allen<br />

1 sein. Wo die GröfJe<br />

rversammlungen<br />

nicht<br />

"en gesucht und<br />

geg<br />

mit den Mit-<br />

•nfunden,<br />

tung<br />

dafi<br />

einer<br />

- muB.<br />

>t.


er muB über die Wünsche und Forderungen ihrer Mitglieder n !<br />

tiert sein. Diese Funktion kom.nt auch „ seine n V t ft<br />

i s<br />

J—den Ra t z u m A l l 5 c I r u c k<br />

.<br />

D p r<br />

den Vorschlagen seines beisitzenden Rates zu folgen, denn ni n a l<br />

"<br />

ïïr 1 'ir^r zcndcRat ' kannihm —<br />

Zust.mmung des höheren Vorgesetzten einzuholen.<br />

?<br />

'<br />

teil dalur gesor^t st ill» T7„* u -J tregengesorgt<br />

ist, alle Entsche.dungen soweit wie möfdirh in<br />

ÜWnstunm„„ g m i t d e n W ü n 6 c h e n<br />

^<br />

F o r d<br />

•as Afir em<br />

r<br />

~<br />

H ,<br />

' S-Be Unterschied^.<br />

E R L I 6 G T D 6 R<br />

fordMlLch k., .ehal.cn " !," , " reinst .^Beme.n.meresBen verstand] ich wird für natürv<br />

er-<br />

, ' m u "'<br />

• gegenüber dem<br />

Vorsitzenden,<br />

h*z G; n —:rü "'""»», +<br />

r on der ^r-j^^<br />

Betreffende<br />

cxuaiien werden muil<br />

iel. habe Ihnen ganz kurz eine Übcrsicht über<br />

u e r<br />

niederlandischen Wirtschaft, wie<br />

»=»i.unsKomn.ission ms Leben ,r Pr,,.V.„<br />

;en — and ich kann da*,, w„M „11- » '<br />

faal rechnen — di» ;„ ,i„... v •. • .<br />

— ... ^cngcscnenen. das<br />

k e<br />

«nvcrmeidlichen unanffenphm»,,<br />

Lmstande sehen, sondern crl a„l,.„'.._j :<br />

•» li,,,. r, b-ouiicn uiiu inner-<br />

Fnd daB d.ese Ze.t der gewaltigen Umwalzungen<br />

U l S a m e n u n d<br />

Inlt Y, • j<br />

Pos.tiven Inhalt für<br />

*olk hat, werden wohl h«»r«if»„ ,...n j :. r, . .<br />

,<br />

Pandischen Wirtschaft einen<br />

^ T'^<br />

Tèn irtutznleiler des v m3,„l.,.,„„ . , „ " l l ' u u i '<br />

&j ,i. r<br />

„; , * , , 7 ««meinsflialtsbereichcs bUden<br />

W. der s.ch auch fur die Niederlande in unseren Tagen for.nt<br />

:!.-.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!