page 18 - Fragile Suisse
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Urs Nussbaumer bei der Arbeit: In der Werkstatt der Zuger Verkehrsbetriebe überprüft er die Stanzmaschine.<br />
«Mein Leben wird nie mehr so sein<br />
wie früher»<br />
Text: Natascha Gerisch, Fotos: Martin Weiss<br />
Nach einer Hirnverletzung fallen viele Betroffene aus ihrem bisherigen Berufsleben<br />
heraus. Urs Nussbaumer erzählt, wie er nach einem Schlaganfall in die Arbeitswelt<br />
zurückkehrte.<br />
«Meine erste Erinnerung ist, dass ich mich<br />
im Trainer auf der Intensivstation sehe»,<br />
schildert Urs Nussbaumer. Der 52-Jährige<br />
erlitt vor zehn Jahren, am 14. Februar<br />
2003, eine Hirnblutung und ist seither<br />
halbseitig gelähmt. Der Unternehmer arbeitete<br />
an jenem Tag in seinem eigenen<br />
Gartenbaugeschäft. «Ich habe mit dem<br />
Bagger eine Mulde ausgehoben, bin ausgestiegen<br />
und plötzlich bewusstlos zusammengebrochen.»<br />
Die Sanität bringt<br />
ihn ins Universitätsspital Zürich. Mehrere<br />
Wochen liegt er auf der Intensivstation.<br />
Doch an diese Zeit kann er sich nicht<br />
mehr erinnern.<br />
Nach einem halben Tag erschöpft<br />
Bereits im Spital beginnen die Thera pien.<br />
Wegen seiner halbseitigen Lähmung muss<br />
Urs Nussbaumer sich alle Bewegungen<br />
linkshändig neu aneignen. Ausser Schreiben<br />
beherrscht er heute fast alles wieder<br />
mit beiden Händen. Seine Leistungsfähigkeit<br />
aber ist seit der Hirnverletzung stark<br />
eingeschränkt. Früher sei er mit vier bis<br />
fünf Stunden Schlaf pro Nacht ausgekommen.<br />
Heute ist er nach einem halben Tag<br />
auf den Beinen erschöpft und muss schlafen<br />
oder sich zurückziehen.<br />
Immer wieder gibt es Situationen, die<br />
ihn an seine Grenzen bringen, in denen<br />
ihn Sinneseindrücke überfluten und er<br />
sich aus dem Geschehen herausnehmen<br />
muss. «Mein Gehirn weiss nicht mehr, in<br />
welche Schublade die vielen Eindrücke<br />
gehören», beschreibt er. Er trägt stets Ohrstöpsel<br />
bei sich, um sich vor Lärm und Geräuschen<br />
zu schützen. Daneben meditiert<br />
er, meidet grössere Menschenmengen,<br />
plant genügend Pausen ein und macht<br />
sich Notizen, um Abstand zu gewinnen.<br />
«Es ist unvorstellbar anstrengend: von<br />
frühmorgens bis spätabends, immer bin<br />
ich am Trainieren, am Verbessern der Bewegungen,<br />
und ich weiss: Trotzdem wird<br />
das Leben nie mehr so sein wie früher.»<br />
Arbeitsabläufe sind plötzlich unbekannt<br />
Über sieben Monate verbringt Urs Nussbaumer<br />
im Rehabilitationszentrum des<br />
Luzerner Kantonsspitals. Dann kehrt er<br />
nach Hause zurück. Vor seiner Hirnblutung<br />
hatte er bei der Feuerwehr eine Ausbildung<br />
zum Instruktor begonnen, die er<br />
nun nicht mehr beenden kann. «Weiter<br />
habe ich Menschen nicht wiedererkannt,<br />
ich konnte ihre Gesichter und ihre Namen<br />
nirgends einordnen.» Auch gelang es ihm<br />
nicht mehr, vertraute Arbeitsabläufe zu<br />
rekonstruieren: «Ich hatte keine Ahnung<br />
mehr, was in meiner Arbeit zu tun war.<br />
Vorher war ich Chef, und nachher wusste<br />
ich gar nichts mehr – wie ein Anfänger.»<br />
Urs Nussbaumer blieb zuhause, etwas<br />
anderes liess sein Zustand nicht zu. Er erledigte<br />
die Hausarbeit und nahm sich anstehender<br />
Renovationen an. In dieser Zeit<br />
besuchte er auch eine Selbsthilfegruppe<br />
von FRAGILE Zentralschweiz. Hier traf er<br />
mit Menschen zusammen, die ein ähnliches<br />
Schicksal erlitten hatten.<br />
12 FRAGILE <strong>Suisse</strong> 03 | 2013