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CHRONIQUES ET COMPTES RENDUS

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<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong><br />

PAYS DE LANGUE ALLEMANDE<br />

Wiederum kann eine größere Zahl an neuen Texteditionen angezeigt werden ;<br />

begonnen sei mit kirchenrechtlichen Quellen :<br />

Ungewöhnlich in ihrer Art ist eine systematisch angelegte Kanonessammlung aus der<br />

2. Hälfte des 8. Jahrhunderts, in welcher unter 21 Titeln in 351 kurzen Kapiteln, und<br />

zwar großenteils in Katechismusform, zahlreiche Gebiete des kirchlichen Rechtes dargestellt<br />

werden. Zu den behandelten Themen gehören : die Konzilien, Wahl und Weihe der<br />

Bischöfe, das Verhältnis von Bischof und Diözesanklerus, der Lebensunterhalt der Geistlichkeit,<br />

Sexualmoral und kultische Reinheit, die Weihegrade unterhalb des Priesteramtes,<br />

die Ekklesiologie, kirchliche Feiertage, Sünde und Buße, das Eherecht sowie<br />

Wahrsagerei und Zauberei. Augenscheinlich handelt es sich um ein Nachschlagewerk für<br />

Priester. Diese Sammlung ist durch sieben Textzeugen überliefert, vollständig allerdings<br />

nur in Paris BNF ms. lat. 12444 aus St-Germain-des-Prés. Dies ist zugleich die älteste<br />

Handschrift : sie stammt aus dem Ende des 8. oder dem Anfang des 9. Jahrhunderts. Die<br />

Anlage der Sammlung selber liegt etwas weiter zurück ; die Sprachform erinnert noch<br />

an das merowingische Latein. Als (hauptsächliche) Quellen wurden ermittelt die<br />

‘Collectio Hibemensis’, die ‘Statuta ecclesiae antiqua’ und die ‘Collectio vetus Gallica’.<br />

Vor kurzem ist nun in der Schule von Hubert Mordek (Freiburg im Breisgau) eine kritische<br />

Edition dieser umfangreichen Sammlung erarbeitet worden, begleitet von einer<br />

eingehenden Untersuchung : Michael S t a d e l m a i e r . Die Collectio Sangermanensis XXI<br />

titulorum. Eine systematische Kanonessammlung der frühen Karolingerzeit. Studien und<br />

Edition. (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte, Studien und Texte 16).<br />

Frankfurt am Main: Lang, 2004. XXVIII, 372 Seiten. ISBN 3-631-52544-3.<br />

Unter den Editionen kirchenrechtlicher Quellen innerhalb der Monumenta Germaniae<br />

Histórica ist soeben eine Reihe abgeschlossen worden, deren Eröffnung auf eine<br />

Zeit zurückgeht, in der an dieser Stelle noch nicht systematisch über dergleichen Publikationen<br />

berichtet wurde ; hier denn nun ein Hinweis auf das Ganze : Es geht um die<br />

sogenannten Capitula episcoporum, auch Bischofskapitularien genannt, welche seit der<br />

Zeit Karls des Großen bis ins 10. Jahrhundert hinein erlassen worden sind. Es handelt<br />

sich um Anweisungen teils an die Laien, vor allem jedoch an die Pfarrgeistlichkeit. Die<br />

Gesamtzahl der edierten Texte liegt bei 61, im engeren Sinne gehören 48 bzw. 52 dazu.<br />

Vielfach steht nur ein einziger Textzeuge zur Verfügung, und nur zu 18 Stücken sind uns<br />

die Namen der Urheber überliefert. Die größte Bedeutung hatte diese Textgattung im<br />

westfränkischen Reich in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts, schwergewichtig in den<br />

Diözesen der Kirchenprovinzen Tours, Sens und Rouen bis etwa 870, später vermehrt in<br />

der Kirchenprovinz Reims. Im ostfränkischen Reich ist sie nur in der Anfangszeit<br />

vertreten, in Italien erst spät und nur vereinzelt. Der Anfang läßt sich bezeichnen mit<br />

Theodulf von Orleans (t821), dessen erstes Kapitular ungewöhnlich gut überliefert und<br />

breit rezipiert worden ist, der Schlußpunkt mit Bischof Atto von Vercelli (926-960).<br />

Inhaltlich geht es um Bestimmungen zu verschiedenen Aspekten des kirchlichen Lebens,


270 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

welche an Diözesankapiteln erlassen worden sind. Hiernach die bibliographischen<br />

Angaben: Capitula episcoporum. 4 Teile (Monumenta Germaniae Histórica [Leges:]<br />

Capitula episcoporum 1-4): 1. Teil. Herausgegeben von Peter B r o m m e r . Hannover:<br />

Hahn, 1984. XX, 286 Seiten. ISBN 3-7552-5140-5 / 2. Teil : Herausgegeben von Rudolf<br />

P o k o r n y und Martina S t r a t m a n n unter Mitwirkung von Wolf-Dieter R u n g e . Hannover :<br />

Hahn, 1995. XVI, 241 Seiten. ISBN 3-7752-5148-0 / 3. Teil : Herausgegeben von R’ P \<br />

Hannover: Hahn,1995. XVIII, 379 Seiten. ISBN 3-7752-5460-9 / 4. Teil. Bearbeitet von<br />

R’ P’ unter Mitwirkung von Veronika L u k a s . Hannover: Hahn, 2005. VII, 251 Seiten.<br />

ISBN 3-7752-5461-7. — Der zuletzt erschienene Band enthält unter dem Titel «Die<br />

Textgattung capitula episcoporum» einen detaillierten Überblick über alle interessierenden<br />

Belange: Überlieferung, Abfassungzeitraum und Wirkungsregionen, Terminologie<br />

und Definitionsrahmen, Inhalte, Typologie, Publikation, Vorlagen, inhaltlich<br />

verwandte Quellengattungen, Entwicklungslinien der Quellengattung, Auslaufen und<br />

nachfolgende Quellengattungen sowie Rezeption. Dann folgen ergänzende Hinweise zu<br />

den Bänden 1 bis 3, zwei Exkurse sowie verschiedene Register, darunter ein umfangreiches<br />

Wort- und Sachregister.<br />

In Handschrift 217 der Stiftsbibliothek St. Gallen findet sich ein Ensemble naturwissenschaftlich-medizinischer<br />

Texte aus dem Frühmittelalter. Sie sind anderswo, vielleicht<br />

in Oberitalien, geschaffen worden, sind jedoch früh ins Kloster St. Gallen gelangt. Dazu<br />

gehört der ‘Botanicus Sangallensis’, ein nur hier überliefertes Herbar, das den Simplicia-<br />

Sammlungen zugehört. 62 Pflanzen werden darin beschrieben, und es werden Rezepte<br />

gegen vielerlei Beschwerden mitgeteilt, auch Magisches gehört dazu. 38 Pflanzenbeschreibungen<br />

gehen auf das Herbar des Pseudo-Apuleius aus dem 4. Jahrhundert zurück.<br />

Der Text wurde 1928 von Erhard L a n d g r a f ediert (MLW/NGML: B o t a n . Sangall.),<br />

doch sonst ist er im Wesentlichen unerforscht geblieben. Hier hat nun die Dissertation<br />

einer Schülerin des Berichterstatters Abhilfe geschaffen: Monica N i e d e r e r . Der<br />

St. Galler Botanicus. Ein frühmittelalterliches Herbar. Kritische Edition, Übersetzung<br />

und Kommentar. (Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 38). Bern : Lang,<br />

2005. 459 Seiten. ISBN 3-03910-195-1. — Der Text hat in stärkstem Maße vulgärlateinisches<br />

Gepräge, so war die Herstellung eines sinnmäßig befriedigenden Wortlautes oft<br />

recht beschwerlich. Mit der Überlieferung mußte behutsam umgegangen werden, doch<br />

ohne Eingriffe ging es nicht ab. Nebst der Textkonstitution stellte sich immer wieder die<br />

Frage, was der Verfasser oder Redaktor gemeint haben mochte, denn augenscheinlich<br />

hat er seine Quellen immer wieder mißverstanden. Auch die Identifikation der gemeinten<br />

Pflanzen gestaltete sich oft mühsam; gewisse Zuordnungen mußten hypothetisch<br />

bleiben. Weiter waren die hier gebotenen Pflanzencharakterisierungen wie auch die<br />

Rezepturen mit der übrigen Rezept- und Antidotarienliteratur des frühen und hohen<br />

Mittelalters zu konfrontieren. Neben der kritischen Neuedition wird eine parallel<br />

laufende Übersetzung ins Deutsche geboten, zudem wird dieser intrikate Text nach textkritischen,<br />

quellenkritischen und interpretatorischen Gesichtspunkten durch einen eingehenden<br />

Kommentar erschlossen. Dabei kommt nicht allein die botanische Literatur bis<br />

in die frühe Neuzeit in den Blick, sondern, was die sprachwissenschaftlichen Fragen<br />

betrifft, die mittelalterliche Latinität, soweit erschlossen, insgesamt. Besonders ergiebig<br />

war dabei das Zettelmaterial des MLW ; auch in gewissen formalen Belangen ist die<br />

Arbeit nach dessen lexikographischer Praxis ausgerichtet.<br />

Die Erschließung der Bücherverzeichnisse aus dem Mittelalter wurde in Deutschland<br />

mit dem Unternehmen ‘Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der<br />

Schweiz’ (MBK) eine Zeitlang auf breiter Basis vorangetrieben. Während sich hier ein<br />

gewisser Stillstand eingestellt hat, sind weitere Verzeichnisse in monographischer Form<br />

bearbeitet worden, so vor einigen Jahren dasjenige von Fulda (s. ALMA 53, 1995,


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 271<br />

S. 216f.). Gleiches gilt nun für das Kloster Lorsch an der Bergstraße : Angelika H ä s e .<br />

Mittelalterliche Bücherverzeichnisse aus Kloster Lorsch. Einleitung, Edition und<br />

Kommentar. (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 42). Wiesbaden : Harrassowitz,<br />

2002. IX, 417 Seiten. Abb. ISBN 3-447-04490-X. — Wie in manchen ändern Klöstern<br />

wurden in Lorsch um die Mitte des 9. Jahrhunderts die Bücherbestände inventarisiert.<br />

Aus diesen Dezennien haben sich in zwei Handschriften der Palatina insgesamt vier,<br />

ihrem Inhalt nach weitgehend übereinstimmende Verzeichnisse gefunden (A bis D, C<br />

zweigeteilt in Ca und Cb). Hinzu kommt das Verzeichnis der Handbibliothek des Priesters<br />

Heilrat aus dem späten 9. Jahrhundert (H). Im ersten Teil dieser umfangreichen<br />

Arbeit, einer Heidelberger Dissertation von 2000, werden diese Kataloge beschrieben<br />

und in engster Anlehnung an die Regeln des MBK ediert. Dabei wird paläographischkodikologisehen<br />

Einzelheiten große Aufmerksamkeit gewidmet. Der zweite Teil besteht<br />

aus einem Kommentar, worin für jeden einzelnen alten Band nach einem festen Schema<br />

das Nötige und Mögliche gesagt wird, u. a. geht es um die Zusammenführung der<br />

Einträge in den Verzeichnissen untereinander, um die Verknüpfung mit einer früheren,<br />

wenig hilfreichen Edition von Angelo M a i bzw. Gustav B e c k e r , um die Identifikation<br />

der Texte, den Nachweis des Drucks bei M i g n e und (möglichst) einer kritischen Edition,<br />

sodann die — oft nur tentative — Identifikation mit einer heute noch erhaltenen Handschrift.<br />

Die Einträge werden fünf Gruppen zugeordnet : Bände für Sakristei und Kirche,<br />

Bibelhandschriften, historiographische Schriften, Kirchenväter — Augustin ist weitaus<br />

am stärksten vertreten —, sodann der ganze Rest: Dogmatisches und Kirchenrechtliches,<br />

jüngere christliche Schriftsteller, antike Autoren, Briefsammlungen und Grammatiken.<br />

Konkordanzen sorgen für die nötigen Verstrebungen, detaillierte Register helfen<br />

die Materialien erschließen.<br />

Über den ersten Bischof der Diözese Würzburg, den Angelsachsen Burchard, einen<br />

Schüler und Mitarbeiter des Bonifatius, weiß man nur wenig Gesichertes. Im Jahre 742<br />

an die Spitze des neuerrichteten Bistums gestellt, hatte er sich vor allem mit missionarischen<br />

Aufgaben zu befassen ; als sein Todesjahr gilt 753. Geraume Zeit später, 986,<br />

wurden seine Gebeine erhoben und in ein Würzburger Kloster überführt, das von da an<br />

nach ihm hieß. Im Zusammenhang damit wurde, am ehesten im Zeitraum 960/970, eine<br />

knappe Vita (BHL 1483) verfaßt. Demselben Umkreis entstammt die Passio maior<br />

Kiliani; in 15 von 26 bekannten Handschriften der älteren Burchardsvita steht diese<br />

damit in Überlieferungsgemeinschaft. Als Verfasser hat man den Würzburger Domscholaster<br />

Stephan von Novara vermutet. Auf dieser Vita und vielen anderen Quellen beruht<br />

eine etwas jüngere, viel umfangreichere, in drei Bücher abgeteilte Gestaltung des Stoffes<br />

(BHL 1484). In ihrem Widmungsprolog wendet sich ein E. an einen P. ; dabei handelt es<br />

sich offensichtlich um Ekkehard von Aura und Pilgrim, Abt des Klosters St. Burkard von<br />

(spätestens) 1130 bis 1146. Zwischen diesem Text und Ekkehards Weltchronik lassen<br />

sich stilistische Gemeinsamkeiten feststellen. Der Text ist in drei Handschriften aus<br />

Würzburg und aus dem Zeitraum 1450/1588 und in einer Amorbacher Handschrift von<br />

1448 erhalten. Auf Anregung des Michael de Leone, eines Würzburger Gelehrten, schuf<br />

ein Johannes von Lauterbach aus Erfurt 1350 auf der Grundlage der jüngeren Prosavita<br />

eine Versifikation in 465 zweisilbig gereimten Versus concatenati (BHL 1485) ; von ihm<br />

stammt außerdem eine Kiliansvita in Versform. Die Versvita Burchards ist in fünf Handschriften<br />

vom 14. bis zum 17. Jahrhundert erhalten. Diese drei Viten sind soeben in kritischer<br />

Edition vorgelegt worden : Die Lebensbeschreibungen Bischof Burchards von<br />

Würzburg : Vita antiquior - Vita posterior - Vita metrica. Hrsg. Desirée B a r l a v a . (MGH.<br />

Script, rer. germ. 76). Hannover : Hahn, 2005. VIII, 277 Seiten. ISBN 3-7752-5476-5.<br />

Die Arbeit ist hervorgegangen aus einer Bonner Dissertation von 2003/04, die unter der<br />

Leitung von Rudolf Schieffer stand.


272 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

In der Reihe ‘Reichenauer Texte und Bilder’ (zuletzt: ALMA 62, 2004, S. 234)<br />

erscheinen immer wieder gefällige, reich illustrierte Bändchen mit lateinischen Texten<br />

samt deutscher Übersetzung, die mit dem Kloster Reichenau in Bezug stehen. So<br />

neulich : Walter B e r s c h i n und Martin H e l l m a n n . Hermann der Lahme. Gelehrter und<br />

Dichter (1013-1054). (Reichenauer Texte und Bilder 11). Heidelberg: Mattes, 2004.<br />

113 Seiten, Abb. ISBN 3-930978-67-9. — Darin sind fünf Beiträge vereinigt. Den<br />

Eingang (S. 6-13) bildet die ‘Vita Herimanni’, d. h. das, was Berthold von der Reichenau<br />

in seiner Chronik über Herimannus, qui et heros magnus zu sagen weiß. Der lateinische<br />

Text ist der neuen Ausgabe der Chronik von Ian S. R o b i n s o n ( s . ALMA 62, 2004, S.<br />

236) entnommen; er ist von W. B. ins Deutsche übertragen. Sodann folgt eine biographische<br />

Studie von W. B. : «Hermann der Lahme: Leben und Werk in Übersicht»<br />

(S. 15-31). Der dritte Beitrag stammt von M. H. : «Der Rechenlehrer Herimannus. Mit<br />

Edition der Regulae, qualiter multiplicationes fiant in abaco ». Diese kurze Schrift wird<br />

zunächst eingehend erläutert und in der Folge nach fünf Handschriften kritisch ediert<br />

und ins Deutsche übersetzt (S. 33-71). Unter dem Titel «Hermann der Lahme als<br />

Sequenzendichter» (S. 73-105) bespricht W. B. die fünf Hermann beigelegten<br />

Sequenzen, wobei er sie je nach ihrem lateinischen Text und in einer deutschen Übersetzung<br />

wiedergibt. Die bekannte ältere Edition, Analecta hymnica 50, S. 308-317, ist<br />

inzwischen ersetzt worden im Rahmen einer Dissertation aus Berschins Schule — und<br />

ihr sind hier die lateinischen Texte entnommen. Diese Arbeit ist seinerzeit wegen der Art<br />

ihrer Veröffentlichung kaum zur Kenntnis genommen worden (leider auch an dieser<br />

Stelle nicht) : Bettina K l e i n - I l b e c k . Antidotum vitae. Die Sequenzen Hermanns des<br />

Lahmen. 1998. III, 252 Seiten auf 4 Microfiches. Diss. Univ. Heidelberg 1992/93.<br />

Außerdem werden die beiden mit Hermanns Namen in Bezug gesetzten Marianischen<br />

Antiphonen, Salve, regina und Alma redemptoris mater, besprochen (ebenfalls mit Textdruck<br />

und Übersetzung). Das Bändchen wird beschlossen durch eine Besprechung des<br />

einzigen mittelalterlichen Bildnisses Hermanns des Lahmen durch M. H. (S. 107-109).<br />

Vor kurzem erst durfte an dieser Stelle (ALMA 60, 2002, S. 264f.) eine sehr überlieferungsnahe<br />

Ausgabe der um 1060 geschaffenen ‘Expositio in Cantica canticorum’<br />

Willirams von Ebersberg angezeigt werden. Während es dort im Wesentlichen um die<br />

diplomatisch getreue Wiedergabe der aus dem Kloster Ebersberg selber stammenden<br />

Handschrift München, Staatsbibliothek Cgm 10 geht, so wird mit folgender zweisprachiger<br />

Edition ein etwas anderes Ziel verfolgt: Williram von Ebersberg. Expositio in<br />

Cantica Canticorum und das ‘Commentarium in Cantica Canticorum’ Haimos von<br />

Auxerre. Herausgegeben und übersetzt von Henrike L ä h n e m a n n und Michael R u p p .<br />

Berlin: de Gruyter, 2004. XXXV, 290 Seiten. ISBN 3-11-017724-2. Ebenso wie in der<br />

etwas älteren Edition wird hier ein Text geboten, welcher die dreispaltige Seiteneinteilung<br />

Willirams getreu widerspiegelt: links die Nachdichtung in lateinischen Hexametern,<br />

in der Mitte, in weit größerer Schrift, der biblische Grundtext, rechts die spätalthochdeutsche<br />

Paraphrase samt den lateinischen Reservaten. Als Leithandschrift wird die<br />

verlorene, jedoch durch Photographien dokumentierte Handschrift Breslau, Universitätsbibliothek<br />

R 347 herangezogen. Dieser Text wird bei Bedarf nach der Ebersberger<br />

(Münchener) Handschrift korrigiert. Für die (in der Breslauer Handschrift großenteils<br />

fehlenden) Angaben der voces (das heißt : der biblischen Sprecherrollen) ist die Handschrift<br />

Leiden, Universitätsbibliothek B.P.L. 130 beigezogen.) Nebst dem textkritischen<br />

und dem quellenkritischen Apparat — beide können recht kurz gefaßt sein — steht nun<br />

am Seitenfuß jeweils der entsprechende Abschnitt aus dem Bezugstext, nach welchem<br />

Williram gearbeitet hat, nämlich aus dem Hoheliedkommentar Haimos von Auxerre<br />

(nach der Ausgabe von Gottfried H i t t o r p , Köln 1529, nachgedruckt in PL 117, Sp. 295-<br />

358). All dies ist jeweils der linken Seite zugewiesen, während auf der rechten Seite die


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 273<br />

vier Textelemente, in genau entsprechender Druckanordnung, ins Deutsche übersetzt<br />

gegenüberstehen. In der 3., dem althochdeutschen Text vorbehaltenen Spalte ist nicht<br />

nur in der Edition, sondern auch in der Übersetzung, durch die Verteilung von Antiqua<br />

und Kursive, zwischen Deutsch und Latein genau unterschieden. Der modernen deutschen<br />

Wiedergabe ist große Sorgfalt gewidmet; in der Einleitung wird über die<br />

befolgten Grundsätze eingehend Rechenschaft abgelegt. Eine mit viel Überlegung erarbeitete,<br />

höchst benutzerfreundliche Edition !<br />

An der mittelalterlichen Weltchronistik fesselt uns vor allem die in ihr zutage<br />

tretende geistige Gesamtschau, interessiert die Art der historischen Darstellung und die<br />

Bewertung der Ereignisse. Hervorgegangen ist sie jedoch — das vergißt man vielleicht<br />

bisweilen — aus komputistisch-chronologischen Bemühungen. Zunächst, aber auch<br />

immer wieder neu, stellte sich das Problem, die verschiedenen Zyklen (Mondjahr,<br />

Sonnenjahr, 7-Tage-Woche) und Ären, die chronologischen Fixpunkte in der historia<br />

sacra und der Profangeschichte, miteinander in Einklang zu bringen. Ganz im Banne<br />

dieser Bemühungen steht das Werk ‘De decursu temporum’ Heimos von Bamberg (etwa<br />

1080/90 bis 1139), eines Schülers des Chronisten Frutolf von Michelsberg. Heimo fühlt<br />

sich veranlaßt, die Zeitrechnung zu verbessern, nämlich die Weltschöpfungsära um<br />

73 Jahre im Sinne einer Verlängerung zu korrigieren. Er tut dies in einer ausladenden,<br />

aus sieben Büchern bestehenden Untersuchung, welche eine Weltchronik eigener Art<br />

darstellt. Die ersten drei Bücher gelten der Zeit bis zur Passion Christi, das vierte und<br />

fünfte Buch der Zeit seither, somit der sexta aetas nach der hergebrachten Weltalterlehre<br />

; in den Büchern VI und VII wird das zuvor Ausgeführte in tabellarischer Form<br />

nochmals dargestellt. Näherhin enthält Buch I eine grundlegende Untersuchung des zeitlichen<br />

Ablaufs zwischen Weltschöpfung und Passion, in Buch II werden die Ergebnisse<br />

aus Nachrichten der profanen Geschichtsschreiber bestätigt, während Buch III der<br />

Erklärung der Prophetie von den siebzig (Jahr-)Wochen (Dan. 9, 24-27) gewidmet ist. In<br />

Buch IV werden die anni Domini mit den Regierungsjahren der Herrscher verrechnet —<br />

eine Eigenheit Heimos ist, daß er die sexta aetas nicht mit der Geburt, sondern mit der<br />

Passion Christi beginnen läßt —, in Buch V werden die Pontifikatsjahre der Päpste damit<br />

koordiniert. Von Heimos Arbeit gibt es zwei Fassungen, die sich je in einer Münchener<br />

Handschrift erhalten haben : Die erste datiert vom Jahre 1135 und ist in einer aus Augsburg,<br />

aus der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts stammenden Handschrift (clm 2, Sigle A)<br />

enthalten. Eine zweite, überarbeitete und vermehrte Fassung, entstanden im Zeitraum<br />

1135/38, ist in einer Tegemseer Handschrift aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts (clm<br />

18769, T) überliefert. Soeben ist die kritische Erstedition dieses Werks erschienen,<br />

hervorgegangen aus einer Würzburger Dissertation von 1983/84 : Heimo von Bamberg.<br />

De decursu temporum. Herausgegeben von Hans Martin W e i k m a n n . (Monumenta<br />

Germaniae Histórica: Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 19). Hannover :<br />

Hahn, 2004. VIII, 610 Seiten, 12 Abb. ISBN 3-7752-1019-9. Ediert sind darin die<br />

Bücher I bis V, während von den — großenteils aus Tabellen bestehenden — Büchern<br />

VI und VII nur die rahmenden Textpartien berücksichtigt sind. Der Hauptsache nach<br />

geht es, wie sich versteht, um die Endfassung, doch wird die kürzere Erstfassung auf der<br />

unteren Seitenhälfte mit ediert. Beigegeben ist eine in beiden Handschriften mit Heimos<br />

Chronik verbundene, verhältnismäßig kurze komputistische Schrift, die Heimo redigiert<br />

hat, für die er jedoch als Verfasser nicht feststeht.<br />

Vor kurzem ist, hervorgegangen aus einer Kölner Dissertation von 2000, eine auf<br />

breiter handschriftlicher Grundlage erarbeitete kritische Edition der metrischen ‘Vita<br />

beate Marie Egiptiace’ Hildeberts von Lavardin (BHL 5419) vorgelegt worden : Hildeberti<br />

Cenomanensis episcopi Vita beate Marie Egiptiace. Cura et studio Norbert Klaus<br />

L a r s e n . (Corpus christianorum, Continuado mediaevalis 209). Tumhout : Brepols, 2004.


274 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

328 Seiten. ISBN 2-503-05099-9. — Nach den Untersuchungen des Bearbeiters lassen<br />

sich unter den gut 90 Textzeugen zwei Gruppen (a und b) bilden, einige entziehen sich<br />

einer Einordnung. Im Allgemeinen wird der etwas jüngeren und längeren Fassung b der<br />

Vorzug gegeben ; der so hergestellte Text umfaßt 904 Hexameter. Fünf Handschriften<br />

enthalten ungefähr für das letzte Drittel eine völlig andere Fassung (f), die hier als<br />

Anhang ediert wird (Vs. 638-994). Angesichts der herrschenden Kontamination hat sich<br />

der Herausgeber dazu entschlossen, keiner Leithandschrift zu folgen, sondern einen<br />

Mischtext herzustellen — zu « rekonstruieren », wie er zuversichtlich sagt. Die breite<br />

Überlieferung hat ungeschmälert in den Apparat Eingang gefunden. Im Text wurden die<br />

Schreibungen weitgehend normalisiert, bis hin zu mihi statt michi und nihil statt nichil<br />

— womit freilich die für jene Zeit normalen Formen durch weniger gebräuchliche<br />

ersetzt worden sind.<br />

Die mittelalterliche Visionsliteratur scheint unerschöpflich zu sein. In den Berichten<br />

der zurückliegenden Jahre konnten schon mehrfach Neuentdeckungen seitens eines der<br />

besten Kenner dieses Gebietes, Paul Gerhard Schmidt, gemeldet werden. Kürzlich hat er<br />

erneut einen Fund vorgelegt. Der kurze Text steht in mehreren Handschriften jeweils in<br />

Überlieferungsgemeinschaft mit den ‘Miracula’ des Petrus Venerabilis und beschreibt<br />

eine Vision, die einem klugen, vornehmen und reichen Ritter namens Walter, welcher in<br />

der Gegend von Nivelles und Brüssel ansässig war, zuteil wurde : Paul Gerhard S c h m i d t .<br />

Die Visio Walteri. In : Runica - Germanica - Mediaevalia, herausgegeben von Wilhelm<br />

H e i z m a n n und Astrid v a n N a h e (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen<br />

Altertumskunde 37), Berlin : Walter de Gruyter, 2003, S. 719-726. — Wie üblich, ist der<br />

lateinische Bericht nach den Angaben des Visionärs von einem Geistlichen niedergeschrieben<br />

worden. Das Besondere an ihm ist, daß sich die Vision nicht unter dem<br />

Einfluß von Krankheit oder in einer sonstigen Grenzsituation einstellt, sondern daß der<br />

Visionär sie inmitten von wohligem Behagen, neben seiner Frau im warmen Bette<br />

liegend, empfängt. Die Vision wird bei ihm vorher sozusagen angemeldet, und der Ritter<br />

willigt, nach einer Bedenkzeit, in das Angebot ein. Die Vision gliedert sich in drei<br />

einzelne Jenseitsreisen ; zwischendurch besprengt ihn seine Frau jeweils mit Weihwasser.<br />

Das erste Mal besucht er den Ort der Strafe, das zweite Mal den Aufenthaltsort<br />

der geläuterten Seelen. Schließlich aber wird er einer Schändung von Heiligenreliquien<br />

ansichtig, und es geht um die bevorstehende Bestrafung der Schuldigen. Augenscheinlich<br />

ist die damit verbundene Androhung einer Strafe, die der Visionär unter die Leute<br />

bringen soll, der eigentliche Skopus des Ganzen. Der Text wird hier ediert nach der<br />

Handschrift Paris, BNF lat. 14463.<br />

Aus dem jungen Zisterzienserorden gibt es eine Sammlung von Wunder- und — dies<br />

vor allem — Visionserzählungen, welche Schlaglichter auf den Alltag und das geistliche<br />

Leben der Ordensangehörigen werfen : den Liber miraculorum Herberts von Clairvaux.<br />

Herbert, der wohl aus Südfrankreich stammte, weilte im Zeitraum von 1153 bis 1168/69<br />

als Mönch in Clairvaux und war dann bis 1178 Abt des Klosters Mores in der Champagne.<br />

Nach einem erneuten Aufenthalt in Clairvaux wurde er 1181 Erzbischof von<br />

Torres auf Sardinien, wo er spätestens 1198 starb. Die von ihm zusammengetragenen<br />

Berichte finden sich, vollständig oder in Auszügen, in dreißig bekannten Handschriften.<br />

Während eine Forschergruppe auf Sardinien den Komplex im Ganzen bearbeitet, ist<br />

neulich von anderer Seite ein Teilbereich gut aufgearbeitet worden, dies in Form der<br />

Edition und Kommentierung einer Sonderfassung, im Rahmen einer Habilitationsschrift<br />

der Universität Innsbruck : Gabriela K o m p a t s c h e r G u f l e r . Herbert von Clairvaux und<br />

sein Liber miraculorum. Die Kurzversion eines anonymen bayerischen Redaktors.<br />

Untersuchung, Edition und Kommentar. (Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters<br />

39). Bern: Lang, 2005. 372 Seiten. ISBN 3-03910-480-2. — Innerhalb der


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 275<br />

Gesamtüberlieferung, und von kürzeren Auszügen abgesehen, unterscheidet man<br />

zwischen der Langfassung (ed. P.-F. C h i f f l e t , Dijon 1660; PL 185, Sp. 1273-1384),<br />

vertreten durch 15 bekannte Handschriften, und einer Kurzfassung im Umfang von<br />

81 Erzählungen, vertreten durch zwei Handschriften des 13. Jahrhunderts : München,<br />

clm 6914 (aus Fürstenfeld) und Handschrift 6 ARC des tirolischen Zisterzienserstifts<br />

Stams. Dieser Kurzfassung gilt die vorliegende Arbeit. Beigezogen wurde zusätzlich ein<br />

besonders wichtiger Textzeuge der Langfassung, nämlich die Handschrift München clm<br />

2607 (aus Aldersbach), die dem Redaktor der Kurzfassung als Vorlage gedient haben<br />

dürfte. Auf dieser Grundlage wird eine kritische Edition geboten, die von einem knapp<br />

gehaltenen Stellenkommentar begleitet wird. Innerhalb der einleitenden Untersuchungen<br />

wird unter anderm der Frage nachgegangen, welches die leitenden Gesichtspunkte bei<br />

der Erstellung der Kurzfassung war : Augenscheinlich ging es darum, eine rein zisterziensische<br />

Sammlung herzustellen ; alle Erzählungen über Nichtzisterzienser wurden<br />

ausgeschieden. Und während in der Langfassung die Wunder- und Visionsberichte nach<br />

einzelnen Themengruppen geordnet sind, wird hier durch Umgruppierung eine hierarchische<br />

Ordnung erreicht : Erzählungen über Äbte, über Mönche, über Konversen und<br />

schließlich über weitere Ordensangehörige stehen je beieinander.<br />

In seinem anregenden Vortrag « Das Interesse an mittellateinischer Literatur » (Wolfgang<br />

Stammler Gastprofessur für Germanische Philologie, Vorträge, Heft 3, Freiburg<br />

Schweiz : Universitätsverlag, 1995, hier S. 27-32) erzählt Paul Gerhard S c h m i d t — ohne<br />

zunächst zu verraten, wovon er spricht — einen dem hohen, allenfalls späten Mittelalter<br />

angehörenden « Legendenroman » nach, in welchem es um Vergewaltigung und<br />

Entführung, Entfremdung und Wiedererkennen geht : den ‘Libellus de Constantino<br />

Magno eiusque matre Helena’. Erst spät wiederentdeckt und 1879 erstmals publiziert,<br />

liegt er seit kurzem in einer modernen kritischen Edition vor (ed. Giulietta G i a n g r a s s o ,<br />

Firenze 1999). Die im Folgenden anzuzeigende Publikation beruht textlich auf dieser<br />

Edition (nebst einer späteren Ergänzung durch die Herausgeberin, in : Schede medievali<br />

38, 2000, S. 211-219), nur daß da oder dort eine andere Lesart bevorzugt wird. Wenn die<br />

Arbeit an dieser Stelle genannt wird, so deshalb, weil dieser und zwei damit zusammenhängende<br />

Texte in lateinisch-deutschem Paralleldruck bequem präsentiert und zumal<br />

der ‘Libellus ...’ einer eingehenden, vor allem sprachlich ausgerichteten Kommentierung<br />

unterzogen wird: Incerti auctoris Historia de ortu atque iuventute Constantini Magni<br />

eiusque mater Helena / Historie über Herkunft und Jugend Constantins des Großen und<br />

seine Mutter Helena. Von einem unbekannten Verfasser. Ein Beitrag zum Constantin-<br />

Jahr 2006. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Paul D r ä g e r . Trier : Kliomedia,<br />

2005. 238 Seiten. ISBN 3-89890-080-0. — An der Spitze steht der Text des<br />

‘Libellus’ — hier ‘Historia ...’ oder, nach seinem Entdecker, Anonymus Heydenreichianus<br />

genannt —, begleitet von einer deutschen Übersetzung. Daran schließt sich die<br />

kurze Tnstoria Helene matris Costantini inperatoris que requisivit crucem Domini nostri<br />

Jesu Christi’, nach deren Entdecker und Editor (Amos P a r d u c c i , in: Studi romanzi ...,<br />

1, Roma 1903, S. 101-105) auch ‘Anonymus Parduccianus’ genannt. Beigegeben ist<br />

ferner De nativitate Constantini imperatoris’ nach der Ausgabe von Alfons H i l k a (in :<br />

Aufsätze, Fritz Milkau gewidmet, Leipzig 1921, S. 149-152). Während diesen Begleittexten<br />

je nur in geringem Maße Anmerkungen beigegeben sind, umfaßt der Kommentar<br />

zum Haupttext ungefähr 150 Seiten. Auf kurze Angaben zu den textkritischen Voraussetzungen<br />

folgen detaillierte Erläuterungen vor allem sprachlich-stilistischer und quellenkritischer<br />

Art. Sie werden durch verschiedene Indices erschlossen. Erst danach, also<br />

am Schluß des Buches, folgt die Einleitung in das Ganze. Darin wird die erzählte Handlung<br />

sowie das literarische Genus, dem sie angehört, behandelt, auch wird sie mit der<br />

historischen Wirklichkeit konfrontiert. Nach ausgiebiger Behandlung der Konstantin-


276 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

und Helena-Legende als solcher wird auf die Bibel als Spenderin einzelner Motive<br />

eingegangen, sodann auf Sprache und Stil, und — fast ganz am Schluß — auf die (nach<br />

wie vor ungelösten) Fragen nach Verfasser und Abfassungszeit. Die Arbeit schließt mit<br />

Erklärungen zum Vorgehen des Bearbeiters, vor allem auch zu seiner Übersetzungspraxis.<br />

Die in Trier entstandene Arbeit versteht sich als Beitrag zu der in Trier 2006 festlich<br />

begangenen 1700. Wiederkehr der Proklamation des — aus dieser Stadt stammenden<br />

— Konstantin zum Augustus.<br />

Der — je nach Zählweise aus 31 oder 32 Kapiteln bestehende — pseudoaristotelische<br />

‘Liber de causis’ (vgl. ALMA 58, 2000, S. 247f.) hat seit dem späten 12. Jahrhundert<br />

große Beachtung gefunden. Der arabische Traktat ‘Kalam fi mahd al-khair’<br />

(‘Abhandlung über das reine Gute’) wurde, wie angenommen wird, im 9. Jh. im Raum<br />

Bagdad von einem uns unbekannten Autor auf der Basis der ‘Elementado theologica’<br />

des Proklos verfaßt und ist von Gerhard von Cremona (im Zeitraum 1167/87) ins Lateinische<br />

übersetzt worden. Von dem arabischen Text haben sich drei Handschriften<br />

gefunden, von der lateinischen Übersetzung nahezu 240. Nicht weniger als 27 mittelalterliche<br />

Kommentare zu dieser Schrift sind bekannt, darunter diejenigen von Thomas<br />

von Aquin und von Albertus Magnus (‘De causis et processu universitatis a prima<br />

causa’ ; MLW : A l b e r t . M. caus. univ.). Auch auf die spätmittelalterliche Mystik hat sie<br />

beträchtlichen Einfluß, so bezieht sich Meister Eckhart häufig auf sie. Die maßgebende<br />

Textedition ist diejenige von A. P a t t i n , Le Liber de causis. Édition établie à l’aide de<br />

90 manuscrits avec introduction et notes (Tijdschrift voor filosofie 28, 1966, S. 90-203).<br />

Zahlreiche Verbesserungen sind beigesteuert worden von R. C. T a y l o r , Remarks on the<br />

Latin text and the translator of the Kalam Fi Mahd al-Khair / Liber de causis (Bulletin<br />

de philosophie médiévale 31, 1989, S. 75-102). Anzuzeigen ist hier nicht eine neue<br />

Edition, sondern sind gleich drei ungefähr gleichzeitig erschienene Bearbeitungen, die je<br />

einen Textdruck, eine deutsche Übersetzung und eingehende Erklärungen des Textes<br />

bieten, sich jedoch in manchen Belangen voneinander unterscheiden. Zunächst sei<br />

genannt : Alexander F i d o r a / Andreas N i e d e r b e r g e r . Von Bagdad nach Toledo. Das<br />

«Buch der Ursachen » und seine Rezeption im Mittelalter. Lateinisch-deutscher Text,<br />

Kommentar und Wirkungsgeschichte des Liber de causis. Mit einem Geleitwort von<br />

Matthias L u t z - B a c h m a n n . (Excerpta classica 20). Mainz: Dieterich, 2001. 270 Seiten,<br />

Abb. ISBN 3-87162-053-X. — Die Arbeit enthält den lateinischen Text nach Pattin mit<br />

Korrekturen Taylors, eine deutsche Übersetzung und einen knapp gehaltenen<br />

Kommentar, ferner einen Überblick über die Wirkungsgeschichte dieser Schrift im 12.<br />

und 13. Jahrhundert. — Anzuzeigen ist sodann : [Anonymus] Liber de causis / Das Buch<br />

von den Ursachen. Mit einer Einleitung von Rolf S c h ö n b e r g e r . Übersetzung, Glossar,<br />

Anmerkungen und Verzeichnisse von Andreas S c h ö n f e l d . Lateinisch-Deutsch. (Philosophische<br />

Bibliothek 553). Hamburg : Felix Meiner, 2003. LI, 207 Seiten. ISBN 3-7873-<br />

1639-6. — Auf die eigentliche Einleitung folgt die Erörterung der Disposition der<br />

Schrift, dann im Paralleldruck der unverändert von Pattin übernommene Text und eine<br />

deutsche Übersetzung. Der Text wird in Form einzelner Anmerkungen erklärt. Schätzenswert<br />

sind die zahlreichen Beigaben : zunächst eine umfangreiche, strukturierte Literaturübersicht,<br />

sodann Vergleichstabellen betreffend Proklos, die Kommentare von<br />

Thomas und Albertus Magnus — einschließlich je einer detaillierten Disposition dieser<br />

beiden Schriften — und die Zitate bei Meister Eckhart. Hinzu kommen eine Zeittafel<br />

und ein lateinisch-deutsches Glossar mit Stellenangaben. — Sodann ist als Habilitationsschrift<br />

der Universität Bern die folgende weitere Bearbeitung erschienen : Andreas<br />

B ä c h l i - H i n z . Monotheismus und neuplatonische Philosophie. Eine Untersuchung zum<br />

pseudo-aristotelischen Liber de causis und zu dessen Rezeption durch Albert den<br />

Großen. Sankt Augustin : Academia Verlag, 2004. [VIII], 214 Seiten. ISBN 3-89665-


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 277<br />

22-3-0, — Der umfangmäßig weit überwiegende erste Teil dieser Arbeit enthält, nächst<br />

einer Einführung, kapitelweise den lateinischen Wortlaut und im Paralleldruck eine deutsche<br />

Übersetzung, die der Verfasser seinerzeit mit seinem Lehrer, Andreas G r a e s e r ,<br />

erarbeitet hatte. Jedesmal schließt sich daran eine ausführliche Interpretation. In dem<br />

weit schmaleren zweiten Teil befaßt sich der Autor unter dem Obertitel « Der Liber de<br />

causis in aristotelischer Perspektive » mit der Deutung dieser Schrift durch Albert den<br />

Großen. Dabei wird herausgestellt, daß Albertus sich dessen bewußt war, daß es sich um<br />

kein echtes Werk des Aristoteles handelt, es jedoch im aristotelischen Sinne interpretiert<br />

hat.<br />

Innerhalb der Albertus-Magnus-Edition selbst darf ein neuer Band willkommen<br />

geheißen werden (zuletzt : ALMA 62, 2004, S. 242) : Alberti Magni Super Porphyrium<br />

De V universalibus. Edidit Manuel S a n t o s N o y a . (Alberti Magni Opera omnia, Tomus<br />

1, Pars 1A; numerus currens 26). Monasteri! Westfalorum : Aschendorff, 2004. XXVI,<br />

192 Seiten. ISBN 3-402-04753-5. — Darin geht es um den von Albertus im Zeitraum<br />

1254/57 abgefaßten Kommentar zur ‘Isagoge’ des Porphyrios nach der Übersetzung des<br />

Boethius ; in den Handschriften trägt er recht unterschiedliche Titel, so etwa ‘Liber de<br />

praedicabilibus’ (entsprechend im MLW : A l b e r t . M. praedicab.). Alberts letzte Abhandlung<br />

in diesem Werk geht auf ein Kapitel in der ‘Logik’ Avicennas zurück. Als Leithandschrift<br />

dient Cambrai, Bibi. Mun. ms. 961, doch muß verhältnismäßig oft von ihr<br />

abgewichen werden.<br />

Mit dem Titel De novitiis instruendis’ ist ein kurzer Text überschrieben, der sich in<br />

einer Sammelhandschrift mit zahlreichen Stücken geistlich-erbaulichen Charakters aus<br />

dem Ende des 16. Jahrhunderts (Douai 827) findet, die als ganze wohl auf eine oder<br />

mehrere Vorlagen aus dem letzten Drittel des 12. Jahrhunderts zurückgeht. Die darin<br />

vertretenen Texte dürften im Wesentlichen aus dem Zeitraum 1166/1201 stammen, und<br />

das wird auch für die vorliegende Schrift gelten. Da in ihrem Eingang Abt Goswin von<br />

Anchin (nach 1085-1166) genannt wird, ist dieser in der Forschung verschiedentlich,<br />

aber wohl zu Unrecht, als ihr Urheber bezeichnet worden. Sie selber stellt nichts weiter<br />

als ein Florilegium dar, mit Zitaten aus Väterschriften wie auch aus solchen geistlicher<br />

Autoren des 12. Jahrhunderts : Anselms von Canterbury, Bernhards von Clairvaux,<br />

Hugos von St. Viktor, Wilhelms von St-Thierry und anderer. Ein besonderer Bezug zur<br />

Schulung des monastischen Nachwuchses, zu der Phase des Eintritts in den Mönchsstand,<br />

ist aus dem Textkonglomerat nicht ersichtlich ; es scheint einzig der — gewiß aus<br />

dem Hochmittelalter stammende — Titel zu sein, der die Schrift in dieser Weise festlegt.<br />

Diese wird kritisch ediert und ausgiebig interpretiert in folgender Neuerscheinung :<br />

Mirko B r e i t e n s t e i n (Hg.). De novitiis instruendis. Text und Kontext eines anonymen<br />

Traktates vom Ende des 12. Jahrhunderts. (Vita regularis. Ordnungen und Deutungen<br />

religiösen (sic) Lebens im Mittelalter: Editionen 1). Münster : LIT Verlag, 2004. VIII,<br />

174 Seiten. ISBN 3-8258-7241-6. — Die Arbeit entstammt dem Projekt «Institutioneile<br />

Strukturen religiöser Orden im Mittelalter » innerhalb des in Dresden angesiedelten<br />

Sonderforschungsbereiches 537 : « Institutionalität und Geschichtlichkeit ».<br />

Im Jahre 1852 edierte J.-L.-A. H u i l l a r d - B r é h o l l e s unter der Bezeichnung ‘Breve<br />

chronicon de rebus Sicilie’ — richtiger wäre : ‘... de regibus ...’ — eine kurze Darstellung<br />

der Könige Siziliens, dies auf recht unsicherer Textgrundlage. Als Abfassungszeit<br />

dieses Geschichtswerkes ergibt sich 1272: die Zeit, in der das Haus Anjou seine Herrschaft<br />

in Süditalien errichtete und festigte. Der Verfasser war offenbar ein Geistlicher,<br />

der mit Brindisi oder mit Siponto besonders verbunden und Beziehungen zum Hofe<br />

Friedrichs II. unterhalten haben dürfte, ihn als junger Mann auch auf seinem Kreuzzug<br />

begleitet hatte. Die große Affinität zu joachitischem Schrifttum ist kein genügendes<br />

Indiz für die Annahme, es handle sich um einen Florensermönch. Der Text beruht auf


278 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

zwei (relevanten) Handschriften, die beide aus Süditalien und aus dem Ende des<br />

14. Jahrhunderts stammen. Die eine, Vat. Ottob. lat. 2940, endet mit dem Tode des<br />

Kaisers (1250), fügt jedoch noch dessen Testament an. In der ändern Handschrift,<br />

Neapel BN VIII C 9, ist die Erzählung bis zum Sieg Karls von Anjou bei Benevent<br />

(1266) herabgeführt ; das Testament erscheint dort nicht. Bei der weiterführenden<br />

Fassung des Neapolitanus dürfte es sich um die ursprüngliche handeln. Vorstehendes<br />

sind die Ergebnisse der Untersuchungen, welche der Bearbeiter der folgenden Neuedition<br />

angestellt hat : Breve chronicon de rebus Siculis. Herausgegeben und übersetzt von<br />

Wolfgang S T ü R N E R . (Monumenta Germaniae Histórica : Scriptores rerum Germanicarum<br />

in usum scholarum separatim editi 77). Hannover : Hahn, 2004. VII, 129 Seiten. ISBN<br />

3-7752-5477-3. — Nach den Ermittlungen des Herausgebers bewahrt der Neapolitanus<br />

etwas häufiger als der Ottobonianus den korrekten Wortlaut. Ihm folgt er denn allgemein,<br />

auch in sonstigen Zweifelsfällen. Die Ausgabe gehört zu jenen MGH-Editionen,<br />

denen eine deutsche Parallelübersetzung mitgegeben ist. Als Anhang wird das Testament<br />

Friedrichs II. nach dem Ottobonianus ediert.<br />

Die Geschichtsschreibung des Spätmittelalters ist zu einem nicht unbeträchtlichen<br />

Teil geprägt durch regionale Fortsetzungen großer, umfassender Geschichtswerke.<br />

Dieser aufs Ganze gesehen unscheinbare Zweig historiographischer Tätigkeit ist noch<br />

ungenügend erforscht. Dies gilt unter anderm für die beiden weit verbreiteten<br />

Geschichtswerke des Dominikaners Martin von Troppau ( f l278): seine Papst- und<br />

seine Kaiserchronik. Zwar sind einzelne daran anknüpfende Fortsetzungen bereits<br />

ediert, unter anderm durch den in Würzburg lehrenden Rolf S p r a n d e l . (Eine der von<br />

ihm erarbeiteten Editionen ist in ALMA 55, 1997, S. 304 kurz vorgestellt worden.)<br />

Doch insbesondere für die Aufnahme, Nachwirkung und Weiterführung der<br />

Geschichtswerke Martins in England standen Untersuchungen bisher aus. Diesem<br />

Forschungsdesiderat wird nunmehr abgeholfen durch eine bei Sprandel 2001 eingereichte<br />

Dissertation, welche zu zwei separaten Publikationen geführt hat : einer Monographie<br />

und einem Editionsband. Erstere sei hier nur eben kurz erwähnt : Wolfgang-<br />

Valentin I k a s . Martin von Troppau (Martinus Polonus), O. P. ( f l278) in England.<br />

Überlieferungs- und wirkungsgeschichtliche Studien zu dessen Papst- und Kaiserchronik.<br />

(Wissensliteratur im Mittelalter, Schriften des Sonderforschungsbereichs 226<br />

Würzburg / Eichstätt 40). Wiesbaden: Reichert, 2002. XV, 418 Seiten, Abb. ISBN 3-<br />

89500-313-1. — Die Arbeit umfaßt die Musterung der Textzeugen der Chronik<br />

Martins von Troppau : quantitative Erhebungen, die Untersuchung der englischen<br />

Überlieferung insgesamt, die Frage nach einzelnen Provenienzen und die Analyse der<br />

Abhängigkeiten untereinander. In der zweiten Hälfte der Arbeit geht es um die<br />

Wirkungsgeschichte des Textes : zunächst um die verschiedenen Fortsetzungen, sodann<br />

um Exzerpte und Interpolationen. Nach einer Einzelfallstudie zu einer Cambridger<br />

Handschrift wendet sich der Verfasser den mittelenglischen Übersetzungen zu, sodann<br />

der Verwendung der Chronik durch insulare Geschichtsschreiber vom späten 13. bis<br />

zum 15. Jahrhundert. — Nun zum Editionsband: Fortsetzungen zur Papst- und Kaiserchronik<br />

Martins von Troppau aus England. Herausgegeben von Wolfgang-Valentin<br />

I k a s . Zweite, verbesserte Auflage. (Monumenta Germaniae Histórica : Scriptores rerum<br />

Germanicarum, Nova series 19). Hannover : Hahn, 2004. XXI, 397 Seiten. ISBN 3-<br />

7752-0299-4. — Der Bearbeiter gibt einen Überblick über die Fortsetzungen aus dem<br />

englischen Raum. In die Aufzählung bereits edierter Texte bezieht er auch zwei wichtige<br />

Fassungen italienischer Herkunft ein, welche in England zu großer Wirksamkeit<br />

gelangt sind. Vor allem aber widmet er sich den bis dahin ungedruckten Fortsetzungen,<br />

die im Folgenden ihre Erstedition erfahren. Ihre Zahl beläuft sich auf knapp zwanzig ;<br />

die meisten von ihnen führen die Papstchronik weiter, nur ihrer zwei die Kaiser­


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 279<br />

chronik. Zwei weitere hierher gehörende Texte sind angeschlossen. Unter den Papstchronik-Fortsetzungen<br />

lassen sich zwei Gruppen unterscheiden : solchen, die auf bestehenden<br />

Fortsetzungen aufbauen oder sonstwo anknüpfen, stehen andere Texte<br />

gegenüber, für die eine vermittelnde Schrift zumindest nicht nachweisbar ist. Für die<br />

erste Gruppe lassen sich die Abhängigkeiten durch eine stemma-artige Figur veranschaulichen;<br />

an deren Spitze stehen aus Italien gekommene Fortsetzungen. Manche<br />

englische Papstchronik-Fortsetzungen knüpfen bei anderen kontinentalen oder englischen<br />

Chroniken an. In dem umfangreichen Editionsteil werden sechzehn Texte (oder<br />

Auszüge aus solchen) kritisch ediert. — Es ist darauf zu achten, daß diese Edition<br />

wirklich nur in der 2., verbesserten Auflage verwendet wird.<br />

Engelbert von Admont (um 1250-1331), ein Denker, der durch seine Studien in Prag<br />

und in Padua mit den aristotelischen Schriften zur praktischen Philosophie in Berührung<br />

gekommen war, und der später als Abt zunächst von St. Peter in Salzburg, dann des<br />

Klosters Admont in der Steiermark wirkte, verfaßte drei Traktate ethisch-politischen<br />

Charakters, darunter den Fürstenspiegel ‘De regimine principum’ und ein Werk über<br />

Tugend und Glückseligkeit, gerichtet an adelige Laien, ‘Speculum virtutum’. Unter der<br />

Leitung von Jürgen Miethke hat Karl U b l — welcher bereits in seiner Dissertation über<br />

Engelbert gehandelt hatte (s. ALMA 62,2004, S. 253) — die kritische Erstedition des Laienspiegels<br />

an die Hand genommen : Engelbert von Admont, Speculum virtutum. Herausgegeben<br />

von Karl U b l . In : Die Schriften des Alexander von Roes und des Engelbert von<br />

Admont, Teil 2. (Monumenta Germaniae Histórica : Staatsschriften des späteren Mittelalters<br />

I 2). Hannover : Hahn, 2004. VIII, 522 Seiten. ISBN 3-7752-0300-1. — Diese sich<br />

in 12 partes oder (kleine) Bücher gliedernde Schrift ist geprägt durch ein auf naturrechtlichen<br />

Vorstellungen beruhendes Gottesverständnis, in welchem christlich-theologische<br />

Gedankengänge weitgehend gemieden sind ; dementsprechend sind Zitate aus der<br />

Bibel oder Anklänge an sie für mittelalterliche Verhältnisse höchst selten. Das Werk<br />

beruht weitestgehend auf den Schriften des Aristoteles, vor allem auf der Nikomachischen<br />

Ethik und der Rhetorik. Weitere Quellen sind Texte Ciceros, Senecas und des Boethius,<br />

die Engelbert jedoch, im Gegensatz zu den Schriften des Aristoteles, vielfach nicht wörtlich,<br />

sondern nur sinngemäß zitiert. Neben vielen weiteren antiken und mittelalterlichen<br />

Schriftstellern — unter ihnen etwa Thomas von Aquin und Aegidius Romanus, ‘De regimine<br />

principum’ — zieht Engelbert auch zahlreiche Florilegien sowie Sprichwortgut<br />

heran. Großes Gewicht haben bei ihm exempla. Was den Inhalt betrifft, geht es nicht<br />

nur um gute und schlechte Lebensführung im moralischen Sinne, sondern auch — so<br />

in Buch 10 — um das, was den Umgang mit den Mitmenschen angenehm macht,<br />

um Urbanität. Zu den feinen Manieren, die man sich zulegen soll, gehört die Meisterung<br />

gepflegter Konversation und dergleichen mehr. Engelbert hat seinen Tugendspiegel<br />

wohl im Zeitraum 1306/13, somit während seines langen Admonter Abbatiats (1297-<br />

1327), abgefaßt und er widmet es zwei habsburgischen Herzögen. Er wird erstmals<br />

im Geschichtswerk des Johannes von Viktring (vor 1343) erwähnt, war dann auf den<br />

Konzilien von Konstanz und von Basel in Umlauf, sodann an der Universität Köln<br />

und weiteren deutschen Universitäten, ferner in Cambridge. Das ‘Speculum virtutum’<br />

hat sich in 28 Handschriften erhalten ; diese gliedern sich in zwei Klassen, von denen die<br />

eine (a) mehr und ältere Textzeugen umfaßt, welche im Einzelfall oft gute Lesarten aufweisen.<br />

Die andere Klasse (b) bietet jedoch insgesamt den besseren Text und wird daher<br />

im allgemeinen zur Editionsgrundlage genommen. In einem Werk wie dem vorliegenden<br />

läßt sich verhältnismäßig leicht zwischen sinnvollen und unsinnigen Varianten unterscheiden,<br />

und durch Weglassung der letzteren konnte der textkritische Apparat knapp<br />

gehalten werden. Als kleine Gegenprobe wird der Widmungsprolog mit allen Varianten<br />

abgedruckt.


280 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

Innerhalb der Erzählliteratur der zweiten Hälfte des Mittelalters gibt es, wie bekannt,<br />

einzelne Komplexe, die in zahlreichen Fassungen im Lateinischen wie in den Volkssprachen<br />

zirkulierten, und bei denen die Beeinflussungen hin- und hergehen — der Text<br />

also während Jahrhunderten «unfest», lebendig eben, blieb. Dazu gehören die europäischen<br />

Ableger des wohl aus Persien stammenden Komplexes der ‘Sieben weisen Meister’,<br />

bestehend aus einer Rahmenerzählung und unterhaltsam-belehrenden Binnenerzählungen.<br />

Früh faßbare Textformen sind der ‘Dolopathos’ des Johannes de Alta Silva (Ende<br />

12. Jahrhundert) und eine altfranzösische Versversion. Auf die letztere geht eine französische<br />

Prosafassung zurück, die mit der Sigle A gekennzeichnet wird, auf sie wiederum die<br />

stark verbreitete lateinische Fassung ‘Historia septem sapientum’ (Sigle H). Diese letztere,<br />

um die es in der Folge ausschließlich geht, ist seit der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts<br />

in lateinischer Sprache im Umlauf, vom 15. Jahrhundert an in Übersetzungen in fast alle<br />

europäische Sprachen. Innerhalb der Gesamtüberlieferung zeichnet sich die lateinische<br />

‘Historia ...’ dadurch aus, daß in den meisten Handschriften den Erzählungen geistliche<br />

Auslegungen beigegeben worden sind, und zwar gehörten diese, entgegen anderslautenden<br />

Ansichten, von Anfang an dazu. In den meisten Handschriften steht die ‘Historia ...’<br />

in Überlieferungsgemeinschaft mit einer ändern Sammlung von Erzählungen, den ‘Gesta<br />

Romanorum’. Ein Desiderat der Forschung war eine kritische Sichtung der Überlieferungsverhältnisse<br />

und die Bereitstellung einer ihnen entsprechenden Edition, dies nicht<br />

zuletzt auch als Grundlage für den Vergleich mit volkssprachlichen Fassungen. Dieser<br />

Herculeus labor ist geleistet worden in Form einer 1999 eingereichten Basler Dissertation,<br />

betreut von dem Germanisten Rüdiger Schnell und von Paul Gerhard Schmidt (Freiburg<br />

im Breisgau) : ‘Historia septem sapientum’. Überlieferung und textgeschichtliche<br />

Edition. Von Detlef R o t h . 2 Bände (1 : Untersuchung und Edition der Redaktionen I und<br />

II ; 2 : Edition der Redaktionen III und IV und Anhang). (Münchener Texte und Untersuchungen<br />

zur deutschen Literatur des Mittelalters 126. 127). Tübingen : Max Niemeyer,<br />

2004. XI, VI, 763 Seiten (durchpaginiert). ISBN 3-484-89126-2. — Zunächst wird eine<br />

gründliche Einführung in den Gang der Überlieferung und in die Textgeschichte gegeben,<br />

dabei werden bereits einige markante Handschriften ihrem Entstehungskontext nach charakterisiert.<br />

Dem Bearbeiter sind 72 Handschriften bekanntgeworden ; vor seinen Ermittlungen<br />

waren es nur gut 30 gewesen. Nach seinen Feststellungen lassen sie sich in vier<br />

Gruppen gliedern. Seinen Überblick über die Textzeugen beginnt er mit einer tabellarischen<br />

Kürzestbeschreibung aller Handschriften, alphabetisch nach Siglen (und damit :<br />

nach dem Aufbewahrungsort). Danach folgt ihre detaillierte Beschreibung — stets unter<br />

minuziöser Verzeichnung des jeweiligen Gesamtinhaltes —, geordnet nach den Gruppen<br />

I bis IV. Es folgt die Beschreibung der insgesamt 11 alten Drucke (zwischen 1473 und<br />

1526), ferner die Zusammenstellung derjenigen ‘Gesta Romanorum’-Handschriften (drei<br />

Gruppen), bei denen den ‘Gesta ...’ einzelne Erzählungen der ‘Historia ...’ eingegliedert<br />

worden sind. Im Zuge der aufwendigen Recensio wird sodann zunächst das Verhältnis der<br />

Handschriften innerhalb der vier Gruppen, dann dasjenige der Gruppen zueinander<br />

bestimmt. Hierauf werden die Textgestalten näher beschrieben, es wird auf die geistlichen<br />

Auslegungen eingegangen, zudem auf das Verhältnis zu den ‘Gesta Romanorum’. — Der<br />

umfangreichere zweite Teil der Arbeit enthält nun die textgeschichtliche Edition<br />

der ‘Historia ...’ ; dabei läßt sich aus den Gruppen I und II ein gemeinsamer Text herstellen,<br />

während die Gruppen III und IV je gesondert ediert werden. Damit synoptisch-vergleichendes<br />

Lesen ermöglicht wird, sind die Fassungen der letzten beiden Gruppen in<br />

einem Band für sich untergebracht. Für jede der drei Textfassungen wird eine Leithandschrift<br />

bestimmt ; es wird also von dem Versuch einer Rekonstruktion des jeweiligen Hyparchetyps<br />

abgesehen. Bei dem Text der Gruppen I/II sind die Lesarten der Handschriften<br />

in zwei gesonderten Apparaten einander gegenübergestellt. Anhangsweise werden die aus


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 281<br />

dem Rahmen fallenden reductiones einer bestimmten Handschrift wiedergegeben, die<br />

dort für sich überliefert sind und mit den üblichen Ausdeutungen (Gruppe I) nicht übereinstimmen.<br />

Schließlich folgen textkritische und sprachliche Erläuterungen, sodann<br />

Zusammenstellungen von Zitaten und biblischen Similien wie auch von Parallelen zu den<br />

‘Gesta Romanorum’.<br />

Im Spätmittelalter hat man — wir wissen es alle — intensiv nachgedacht und<br />

gestritten über das Verhältnis zwischen der geistlichen und der weltlichen Macht,<br />

zwischen den Rechten des deutschen Königs und Kaisers und den Prärogativen des<br />

Papstes. Zu den rechtskundigen, politisch denkenden Geistlichen, welche sich auf<br />

kaiserlicher Seite über dieses Verhältnis Gedanken gemacht haben und in diesem Sinne<br />

publizistisch tätig gewesen sind, gehört Lupoid von Bebenburg (um 1300-1363),<br />

Domherr in Würzburg und seit 1353 Bischof von Bamberg. Der aus dem niederen Adel<br />

Frankens stammende Lupoid erwarb sich in Bologna die Würde eines doctor decretorum.<br />

Als Kanonist war er dazu prädestiniert, in öffentlichen Auseinandersetzungen<br />

aufzutreten. Dies tat er nach seiner Rückkehr nach Deutschland denn auch ausgiebig,<br />

zunächst im Umkreis der Kurie von Mainz, dann als langjähriger Offizial des Bischofs<br />

von Würzburg. In zahlreichen Rechtsstreitigkeiten stand der Kaiser samt dem deutschen<br />

Episkopat der päpstlichen Kurie in Avignon gegenüber, und Lupoid erwarb sich in Jahrzehnten<br />

Erfahrung in der Behandlung strittiger Bischofswahlen. Zugleich ging es um die<br />

Ausgestaltung der Verfassung des Reiches; in diesem Zusammenhang sei auf einen<br />

Rechtsspruch der deutschen Kurfürsten in Rhense vom Sommer 1338 hingewiesen.<br />

Lupoid könnte daran beteiligt gewesen sein ; jedenfalls ist sein ‘Tractatus de iuribus<br />

regni et imperii Romanorum’ (im Wesentlichen 1340 fertiggestellt) ist in manchen<br />

Dingen geradezu eine Paraphrase, ein Kommentar der fürstlichen Verlautbarung. Von<br />

diesem Traktat und zwei weiteren Texten Lupolds ist, nach einer nahezu hundertjährigen<br />

Vorgeschichte, eine kritische Edition erschienen : Politische Schriften des Lupoid von<br />

Bebenburg. Herausgegeben von Jürgen M i e t h k e und Christoph F l ü e l e r . (Monumenta<br />

Germaniae Histórica: Staatsschriften des späteren Mittelalters 4). Hannover : Hahn,<br />

2004. XXIV, 608 Seiten. ISBN 3-7752-0304-4. — An erster Stelle steht hier der<br />

genannte ‘Tractatus ...’, ein umfangreicher Text, der sich vollständig in zwanzig Handschriften<br />

erhalten hat. Auf der Grundlage der kanonistischen Staatstheorie des 13. Jahrhunderts<br />

wird hier die Stellung und werden die Rechte des deutschen König- und<br />

Kaisertums herausgearbeitet. Dabei werden fünf Hauptthesen verteidigt, die sich mit der<br />

Erklärung von Rhense berühren. Eine ähnliche Stoßrichtung, doch einen gänzlich<br />

anderen Inhalt hat der wenig später (1342) fertiggestellte und dem Herzog von Sachsen<br />

gewidmete ‘Libellus de zelo Christiane religionis veterum principum Germanorum’. In<br />

diesem durch 11 vollständige Handschriften vertretenen Text legt Lupoid dar, welchen<br />

Glaubenseifer und welche Ergebenheit gegenüber dem römischen Stuhl die deutschen<br />

Herrscher bewiesen hätten, und welch hohes Verdienst ihnen daraus erwachsen sei. Hier<br />

beschreibt er mehr, als daß er argumentiert — diesbezüglich verweist er oft auf seinen<br />

‘Tractatus ...’. Vielfach folgt er textlich recht eng seinen historiographischen Quellen.<br />

Hinzu kommt als dritter Text eine etwa gleichzeitig mit dem ‘Tractatus ...’ geschaffene<br />

Dichtung — 180 Langzeilen zu 14 Silben, vielfach von der Form 7pp+7p. Ihr Titel<br />

lautet : ‘Ritmaticum querulosum et lamentosum dictamen de modemis cursibus et defectibus<br />

regni ac imperii Romani’. Dem Dichter erscheint in einem Traum eine venustissima<br />

domina als allegorische Verkörperung des Reichs und beklagt sich über erlittenes<br />

Unrecht und die Mißachtung ihrer Vorrechte. Der Dichter soll als ihr Diener furchtlos in<br />

ihrem Namen auftreten. Diese in nur einer Handschrift erhaltene Dichtung enthält<br />

31 Glossen, die sich auf den Verfasser selber zurückführen lassen. 1341 und um 1349<br />

sind davon deutsche Nachdichtungen geschaffen worden. In der vorliegenden Edition


282 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

werden zunächst, über das sonst in Einleitungen Übliche weit hinausgehend, und unter<br />

Rückgriff auf ein breites und hier konkret reproduziertes Material, die historisch-politischen<br />

Konstellationen deutlich gemacht, in welchen diese drei Schriften Lupolds stehen.<br />

Schon früh gab es rabbinische Jesustraditionen, aus denen — vielleicht etwa zu Ende<br />

des 3. Jahrhunderts — ein zusammenhängender Text polemisch-parodierender Art<br />

geschaffen wurde. Unter dem Namen ‘Toldot Jeschu’ (‘[Abstammungs-]Geschichte<br />

Jesu’) war dieser im Mittelalter in zahlreichen Fassungen in Umlauf, außer in Hebräisch<br />

auch in Übersetzungen ins Arabische, Persische, Spanische und Deutsche. Die erste<br />

Spur einer Kenntnis davon im christlichen Westen findet sich in Form von Zitaten in der<br />

Schrift ‘De Iudaicis superstitionibus’ Agobards von Lyon von 826/827. Im 13. Jahrhundert<br />

gibt Raymundus Martinus in seinem ‘Pugio fidei adversus Mauros et Iudaeos’ eine<br />

größere Partie des ‘Toldot Jeschu’ in lateinischer Übersetzung wieder. Diese gelangte<br />

über die ‘Victoria Porcheti adversus impíos Hebreos’ des Porchetus de Salvaticis (1303,<br />

gedruckt 1520) zur Kenntnis Martin Luthers, der sie (1543) ins Deutsche übersetzte. Die<br />

erste vollständige Übersetzung des ‘Toldot Jeschu’ ins Lateinische stammt indessen von<br />

dem Wiener Geschichtsschreiber Thomas Ebendorfer (1388-1464) (vgl. zuletzt ALMA<br />

62, 2004, S. 245). Davon liegt eine autographe, mit Fehlem behaftete Abschrift Ebendorfers<br />

in einer Wiener Handschrift vor ; eine Kopie findet sich in einem Göttweiger<br />

Manuskript. Vor kurzem ist eine von einer deutschen Parallelübersetzung begleitete<br />

Ausgabe dieses und damit zusammenhängender Texte erschienen : Das jüdische Leben<br />

Jesu / Toldot Jeschu. Die älteste lateinische Übersetzung in den Falsitates Judeorum von<br />

Thomas Ebendorfer. Kritisch herausgegeben, eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen<br />

versehen von Brigitta C a l l s e n , Fritz Peter K n a p p , Manuela N i e s n e r und Martin<br />

P r z y b i l s k i . (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung<br />

39). Wien / München : R. Oldenbourg, 2003. 107 Seiten. ISBN 3-7029-0475-1 (Wien) /<br />

3-486-46852-7 (München). Zu Ebendorfers Schrift ‘Falsitates Iudeorum’ gehören als<br />

rahmende Teile: 1] ein Prolog des Übersetzers, 2] nach dem Text von ‘Toldot Jeschu’<br />

ein in der Handschrift in hebräischer Sprache und Schrift wiedergegebenes, mit lateinischen<br />

Interlinearglossen versehenes (nur hier überliefertes) Schmähgedicht, begleitet<br />

von kurzgefaßten Anmerkungen Ebendorfers, sowie 3] ein gegen die Juden gerichteter<br />

Traktat Ebendorfers, der jedoch unvollendet geblieben oder hier nur unvollständig eingetragen<br />

worden ist. Beigegeben ist außerdem die lateinische Teilübersetzung des<br />

Porchetus samt deren deutscher Wiedergabe durch Luther. Seine Übersetzung des<br />

‘Toldot Jeschu’ hat Ebendorfer mit Hilfe eines jüdischen Konvertiten bewerkstelligt ;<br />

wahrscheinlich lief die Umsetzung über das Deutsche. Die Abfassung seiner antijüdischen<br />

Schrift als ganzer könnte, so vermuten die Herausgeber, von der Wiener Gesera<br />

von 1420, einem großangelegten Pogrom, angestoßen worden sein. Vielleicht gehört sie<br />

der Mitte des 15. Jahrhunderts an und bedeutet eine Stellungnahme gegen die verhältnismäßig<br />

judenfreundliche Politik Friedrichs III.<br />

Des Weiteren ist hier die Edition einer eigenen Schrift Ebendorfers anzuzeigen.<br />

Während der Arbeit an seiner Kaiserchronik (vgl. ALMA 62, 2004, S. 245) kam ihm der<br />

Gedanke, eine zurückblickende Abhandlung über die Schismen im Papsttum zu<br />

verfassen und dieser Chronik als Anhang beizugeben. Veranlassung dazu mögen ihm<br />

Eindrücke gegeben haben, die er 1432-1435 als Abgesandter der Universität Wien am<br />

Konzil von Basel empfing. Die Absicht ließ sich in dieser Form nicht verwirklichen, und<br />

so schuf er denn einen selbständigen Schismentraktat, begonnen bei dem Schisma<br />

zwischen Cornelius und Novatian und herabführend bis zu Kalixt III. und Pius II., der<br />

nur eben noch erwähnt wird. Der Hauptsache nach schrieb Ebendorfer diese Abhandlung<br />

1451 nieder, doch arbeitete er bis 1458 weiter daran. Ihr Text ist autograph überliefert<br />

in Handschrift 3423 der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, die zahl­


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 283<br />

reiche weitere Arbeiten Ebendorfers enthält ; es sind keine weiteren Textzeugen bekannt.<br />

Ebendorfer verzichtete auf die Weiterführung und den Abschluß der Schrift wegen der<br />

Arbeit an seiner Papstchronik (s. ALMA 55, 1997, S. 304f.), die inzwischen eingesetzt<br />

hatte, und wozu der Schismentraktat eine Vorarbeit ist. Für die Behandlung der, je nach<br />

Zählung, 24 oder 25 Schismen stützte Ebendorfer sich hauptsächlich auf die ‘Chronica<br />

summorum pontificum et imperatorum Romanorum’ des Regensburger Chorherm<br />

Andreas (vollendet 1422), daneben auf Martin von Troppau, den Anonymus Leobiensis<br />

und andere Texte, unter anderm auch solche joachitischer Herkunft, vor allem auf die<br />

Schrift ‘De causis, statu, cognitione ac fine schismatis et tribulationum futurarum’ des<br />

Telesphorus von Cosenza (1386). Soeben hat Ebendorfers Schismentraktat eine neue<br />

kritische Edition erhalten : Thomas Ebendorfer. Tractatus de schismatibus. Herausgegeben<br />

von Harald Z i m m e r m a n n . (Monumenta Germaniae Histórica: Scriptores rerum<br />

Germanicarum, Nova series 20). Hannover : Hahn, 2004. XXXIV, 147 Seiten. ISBN<br />

3-7752-O22O-X. — Vorliegende Edition ist die Neubearbeitung der Dissertation, mit<br />

welcher der Herausgeber 1952 bei Alphons Lhotsky promoviert hatte (erschienen in:<br />

Archiv für österreichische Geschichte 120, 1954, S. 43-147).<br />

Unter den zahlreichen historischen Werken von Enea Silvio Piccolomini (Pius II.,<br />

1405-1464) ist seine im Sommer 1458, kurz vor seiner Papstwahl, vollendete<br />

Geschichte Böhmens nicht das geringste. Sie reiht sich ein in eine ganze Reihe von<br />

Beschreibungen einzelner Regionen Europas, hat denn auch Gemeinsamkeiten mit<br />

seiner etwa gleichzeitig entstandenen Schrift ‘Europa’ sowie mit seiner ‘Historia<br />

Austrialis’ (1453/58). Bereits während des Konzils von Basel war er auf Böhmen, vor<br />

allem auf die Hussiten, aufmerksam geworden, in denen er eine große Gefahr sah. Die<br />

‘Historia Bohémica’ ist nach heutiger Kenntnis in 39 Handschriften sowie zwei Inkunabeln<br />

überliefert. Bald schon ist sie in einzelne Volkssprachen übersetzt worden.<br />

Noch in die Lebenszeit des Autors fällt die deutsche Übersetzung des Peter Eschenloër.<br />

Bald folgte eine Übertragung ins Tschechische durch Jan Hüska. Übersetzungen<br />

ins Spanische und ins Italienische schlossen sich an. Im Gefolge vierer deutsch-tschechischer<br />

Humanismus-Konferenzen (1985 bis 1993) entstand ein umfangreiches<br />

Editionswerk: Aeneas Silvius Piccolomini. Historia Bohémica. Herausgegeben von<br />

Joseph H e j n i c und Hans R o t h e . 3 Bände : Band 1 : Historisch-kritische Ausgabe des<br />

lateinischen Textes, besorgt von J’ H’, mit einer deutschen Übersetzung von Eugen<br />

U d o l p h / Band 2 : Die frühneuhochdeutsche Übersetzung (1463) des Breslauer Stadtschreibers<br />

Peter Eschenloër, herausgegeben von Václav B o k / Band 3 : Die erste alttschechische<br />

Übersetzung (1487) des katholischen Priesters Jan Hüska, herausgegeben<br />

von Jaroslav K o l á r . (Bausteine zur Slavischen Philologie und Kulturgeschichte, Neue<br />

Folge, Reihe B: Editionen 20, 1-3). Köln: Böhlau, 2005. ISBN 3-412-15404-0<br />

(Gesamtwerk) / -5504-7 (Band 1). — Nachstehend einige Angaben zum lateinischen<br />

Text und zu dessen Edition in Band 1 : Geboten wird eine kritische Edition unter<br />

Berücksichtigung der gesamten bekannten Überlieferung, im Paralleldruck mit einer<br />

deutschen Übersetzung. Am Fuß der linken Seite findet der umfangreiche Variantenapparat<br />

Platz, an dem der rechten die konzis gehaltenen Sachanmerkungen. Voran steht<br />

eine Einleitungspartie von 263 Seiten. Hervorgehoben sei daraus der — von einer<br />

deutschen Übersetzung begleitete — Abdruck dreier umfangreicher biographischer<br />

Zeugnisse zu Piccolomini, sodann Erörterungen zu seiner Kenntnis Böhmens, zu den<br />

Gemeinsamkeiten mit ändern seiner historiographischen Werke, zu den für die<br />

‘Historia Bohémica’ selber herangezogenen — antiken und zeitgenösisschen —<br />

Quellen, zur Überlieferung und zur Wirkungsgeschichte des Werkes und endlich zum<br />

geschichtlich-politischen Denken Piccolominis, wie es hier zutagetritt, vor allem<br />

betreffend die Rolle Böhmens im deutschen Reich.


284 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

Emeut ist ein neuer Band innerhalb der Reihe der Editionen monastischer Brauchaufzeichnungen<br />

anzuzeigen (zuletzt : ALMA 59, 2001, S. 277f.). Er gilt einem der wichtigsten<br />

Consuetudinestexte des ausgehenden Mittelalters, nämlich den Caeremoniae der<br />

Klöster, welche sich der Bursfelder Reform angeschlossen hatten : jener Bewegung, die<br />

seit 1434 von dem Kloster Bursfelde (bei Göttingen) ausging und sich binnen kurzer<br />

Frist vor allem in Norddeutschland, aber auch in ändern Regionen des nördlichen und<br />

mittleren Europa ausbreitete und welcher am Vorabend der Reformation nicht weniger<br />

als 94 Männer-, dazu zahlreiche Frauenklöster zugehörten. 1449 wurde in Bursfelde und<br />

in Mainz je ein Ordinarius zusammengestellt ; in der ältesten, in Melk liegenden Handschrift<br />

von 1457/58 ist der Bursfelder Ordinarius mit den Caeremoniae vereinigt. Die<br />

Texte wurden im Auftrag des Kapitels in verschiedenen Arbeitsgängen redigiert;<br />

1474/75 wurde die daraus hervorgegangene und approbierte Fassung gedruckt. Vor<br />

kurzem ist nun eine kritische Ausgabe der Caeremoniae erschienen : Caeremoniae Bursfeldenses.<br />

Edidit Marcellus A l b e r t . (Corpus consuetudinum monasticarum 13). Siegburg<br />

: Franciscus Schmitt, 2002. XIII, 477 Seiten. ISBN 3-87710-400-2. — Leitender<br />

Textzeuge ist die genannte Inkunabel ; aus der großen Zahl von Handschriften sind ihrer<br />

15 im Apparat berücksichtigt. Aus der ältesten unter ihnen, der Melker Handschrift, wird<br />

für jedes Kapitel, soweit darin bereits vorhanden, die Anfangspartie im vollen Wortlaut<br />

dem Inkunabeltext in Spaltendruck gegenübergestellt. Große Sorgfalt ist dem Sachkommentar<br />

gewidmet ; hier geht es vor allem um die Quellen der in die Caeremoniae eingegangenen<br />

Vorschriften. Auf sie und auf die Art ihrer Verarbeitung wird denn auch in der<br />

Einleitung im Detail eingegangen. Unter den zahlreichen Indices sei hier das 75 Seiten<br />

umfassende allgemeine Wortregister hervorgehoben.<br />

Das im Braunschweigischen gelegene Kloster Königslutter trägt die Erinnerung an<br />

seine Gründung durch König Lothar III. im Jahre 1135 in seinem Namen weiter. Heute<br />

ein namhaftes Reiseziel wegen der aus dieser Zeit stammenden Kirche, war die königliche<br />

Gründung bald nach der glanzvollen Anfangszeit zu einem unscheinbaren Kloster<br />

herabgesunken. Ein ihm angeblich von hoher Stelle verliehener Ablaß war eine willkommene<br />

Einkommensquelle ; 1491 fand die Bursfelder Reform Eingang. Ganz zu Ende<br />

des Mittelalters fand das Haus in der Person von Johannes Jacobi, der hier von 1503 bis<br />

zu seinem Tod im Jahre 1540 die Abtswürde innehatte, einen Geschichtsschreiber, der in<br />

seinem ‘Chronicon monasterii Regiae-Lothariae’ im Stile der althergebrachten ‘Gesta<br />

abbatum’ die Geschicke des Klosters aufzeichnete. Dieser Text wird erstmals herausgegeben<br />

in: Die Chroniken des Klosters Königslutter. Von Klaus N a s s . (Quellen und<br />

Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte 37). Braunschweig : Selbstverlag<br />

des Braunschweigischen GeschichtsVereins, 2001. 142 Seiten, Abb. ISBN<br />

3-928009-18-4. — Diese Chronik wird hier, begleitet von einer deutschen Parallelübersetzung<br />

und von zahlreichen Sachanmerkungen, aus der einzigen Handschrift (dem<br />

Kopialbuch des Abtes) ediert. Beigegeben ist die Erstedition einer etwa hundert Jahre<br />

jüngeren Geschichtsquelle, der ‘Chronica des Stiffts Königs Lutter’, verfaßt von Heinrich<br />

Meibom dem Älteren (1555-1625) in den Jahren 1613/25. Meibom wirkte seit 1583<br />

an der Universität Helmstedt. Er gab regionale Geschichtsquellen heraus und verfaßte<br />

mehrere Chroniken von Klöstern und Stiften jener Gegend. Seine deutsch geschriebene<br />

Chronik von Königslutter ergänzte er durch achtzehn lateinische Urkunden aus der Zeit<br />

von 1135 bis 1331, die er einem (inzwischen verlorenen) Kopialbuch entnahm. Der<br />

Herausgeber seinerseits gibt seiner Arbeit nebst einem Verzeichnis der Äbte des Klosters<br />

die kritische Edition fünf lateinischer Urkunden bei.<br />

Mitgeteilt sei an dieser Stelle, daß sämtliche Blockbücher der Universitätsbibliothek<br />

München in einer Mikrofiche-Ausgabe zugänglich gemacht worden sind: Farbmikrofiche-Edition<br />

der Blockbücher der Universitätsbibliothek München. Historische


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 285<br />

Einführung von Wolfgang M ü l l e r . Katalogbeschreibungen und Verzeichnisse der Tafeln<br />

von Helga L e n g e n f e l d e r . (Monumenta xylographica et typographica 5). München :<br />

Lengenfelder, 2004. 96 Seiten Text, 8 Mikrofiches. ISBN 3-89219-405-X. — Zu den<br />

publizierten Blockbüchem gehören: Armenbibel, ‘Speculum humanae Salvationist ‘Ars<br />

memorandi’, ‘Defensorium virginitatis Mariae’, Apocalypsis, ‘Ars moriendi’ und andere.<br />

Nunmehr ist auf einige M onographien hinzuweisen. Begonnen sei mit einem<br />

Werk, das eine große Spannweite aufweist, und dessen Hauptausrichtung nicht zu den in<br />

dieser Zeitschrift gepflegten Schwerpunkten gehört, jedoch aller Beachtung wert ist.<br />

Thema sind die Formen und Methoden, in und mit denen die Inhalte der Artes liberales<br />

im Mittelalter vermittelt worden sind, dies mit dem Blick auf die volkssprachliche<br />

Umsetzung für ein Laienpublikum, und auf deren Darstellung in Medien, die von der<br />

gelehrten Abhandlung zur veranschaulichenden Darstellung, zur « Inszenierung » führen,<br />

handle es sich nun um Bilderhandschriften, Einblattholzschnitte oder Fastnachtsspiele :<br />

Michael Stolz. Artes liberales-Zyklen. Formationen des Wissens im Mittelalter.<br />

2 Bände. (.Bibliotheca Germanica. Handbücher, Texte und Monographien aus dem<br />

Gebiete der Germanischen Philologie 47/1. II). Tübingen: Francke, 2004. XIII,<br />

9 9 2 Seiten (durchpaginiert), 130 Abb. ISBN 3-7720-2 0 3 8 -0 . — Das umfangreiche Werk,<br />

eine Habilitationsschrift der Universität Bern von 2 000, wird gerahmt von zwei Großkapiteln<br />

von allgemeinerer Ausrichtung, « Zugänge » und « Perspektiven ». Dazwischen<br />

steht ein — selber schon über 3 0 0 Seiten starker Mittelteil mit « Fallstudien » über Artes<br />

liberales-Zyklen aus der Rezeption des ‘Anticlaudianus’ des Alanus ab Insulis. Der<br />

zweite Band enthält Anhänge mit dem Abdruck lateinischer und deutschsprachiger<br />

Texte, einen großzügig bestückten Abbildungsteil und umfangreiche Verzeichnisse und<br />

Register. In dem einführenden Teil « Zugänge » geht es unter anderm um die bildungsgeschichtlichen<br />

Grundlagen — mit Benennung auch der mittelalterlichen Instanzen wie<br />

Gerberts, der Schule von Chartres, Johannes’ von Salisbury, Hugos von St-Victor und<br />

anderer —, um die fachlichen Inhalte der einzelnen Artes, um Gebrauchskontexte und<br />

die Methodik ihrer Vermittlung. Daran schließen sich drei « Pilotuntersuchungen » an ;<br />

sie betreffen die Übersetzung des Martianus Capella durch Notker den Deutschen, die<br />

Artes-Miniatur in Herrads ‘Hortus deliciarum’ und Verwandtes sowie den Aries-Zyklus<br />

im ‘Welschen Gast’ des Thomasin von Zerklære. Der Mittelteil handelt von Artes-Personifikationen<br />

mit unterschiedlichem Status in Bilderhandschriften des ‘Anticlaudianus’,<br />

über Artes-Signaturen in Einblattillustrationen sowie über die Heranziehung des Motivs<br />

des Wagenbaus bzw. von Rad und Wagen zur Vergegenwärtigung der Artes. Im weiteren<br />

geht es um Aries-Personifikationen als similitudines corporales in der Gedächtnislehre<br />

des Thomas von Aquin, mit einer eingehenden Analyse der Quellen. Im Mittelpunkt des<br />

Schlußteils, « Perspektiven », stehen « diskursive Transformationen » des Gegenstandes<br />

in drei deutschsprachigen Texten : Die Artes stehen dabei im Dienste der Herrschaftsrepräsentation,<br />

dienen als Memento mori oder vermitteln die Liebeskunst. Von den<br />

Anhängen des zweiten Bandes seien erwähnt : die Edition lateinischer Aries-Merkverse<br />

aus verschiedenen Handschriften (Anh. 1-3), eines enzyklopädischen Vorspanns zum<br />

Psalmenkommentar des Wilhelm Müncher (nebst Bildbeischriften ; Anh. 5), von Aries-<br />

Abschnitten im Spruchbuch des Heinrich von Mügeln (teils lateinisch, teils deutsch,<br />

Anh. 6) sowie der (ebenfalls teils lateinischen, teils deutschen) Bildbeischriften einer<br />

‘Vermahnung der geistlichen und weltlichen Stände Deutschlands’ (Anh. 7).<br />

In Walter Berschins breit angelegter Arbeit über die Biographie im lateinischen<br />

Mittelalter bis etwa 1220 hat die Darstellung der einzelnen Epochen ihr Ziel erreicht<br />

(vgl. ALMA 59, 2001, S. 281). Inzwischen ist, wie angekündigt, ein das Ganze überwölbender<br />

Schlußband erschienen: Walter B e r s c h i n . Biographie und Epochenstil im<br />

lateinischen Mittelalter. 5 : Kleine Topik und Hermeneutik der mittellateinischen Biogra-


286 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

phie — Register zum Gesamtwerk. (Quellen und Untersuchungen zur Lateinischen<br />

Philologie des Mittelalters 15). Stuttgart : Hiersemann, 2004. XIV, 361 Seiten. ISBN<br />

3-7772-0409-9. — Seinen umfangreichen Essay, der das erste Drittel des Buches<br />

ausmacht, ordnet der Verfasser nach dem bekannten Frage-Hexameter : Quis, quid,, ubiy<br />

quibus auxiliis, cur, quomodo, quando ? Unter quis ? wird beispielsweise erörtert, ob der<br />

Biograph seinen Helden kennen müsse, und es wird zwischen Distanzierung und Identifikation<br />

geschieden. Unter quid ? werden nebst anderem Gattungsfragen und solche der<br />

Darstellung (Chronologie) behandelt. Mit ubi ? wird nicht nur nach den Orten von<br />

Produktion und Rezeption gefragt, sondern auch nach der Anzahl der Exemplare eines<br />

bestimmten Textes, quibus auxiliis ? bezieht sich auf Modelle der Biographie, auf angewandte<br />

Schemata und gewisse Leitideen. Bei cur? geht es um die immer wieder<br />

genannten Veranlassungen zur Abfassung einer Biographie : Angaben, denen man allerdings<br />

bisweilen ein gewisses Mißtrauen entgegenzubringen hat. Die Frage quomodo ?<br />

vereinigt unterschiedliche schriftstellerische Erwägungen und Entscheidungen, so etwa,<br />

ob Prosa oder Versform zu wählen sei. Eine ganze Reihe von Topoi wird hier gebucht.<br />

Und schließlich geht es unter quando ? um die zeitliche Dimension bei Produktion<br />

(Arbeitszeit) und Rezeption (Lesezeit), aber auch hinsichtlich des Abstandes des Autors<br />

zu den beschriebenen Ereignissen. Unter all diesen Gesichtspunkten wird unablässig auf<br />

Stellen in der vorangegangenen Darstellung der einzelnen biographischen Werke<br />

verwiesen. Die umfangreichen Register zum Gesamtwerk umfassen lateinische Wörter,<br />

Wortformen und Junkturen, ein Register der angeführten Stellen (Autoren bis etwa 600),<br />

ein Sachregister (auch betreffend Zahlen), ein Register der geographischen Namen, eine<br />

Konkordanz mit der BHL und schließlich ein Incipitregister für Stücke in gebundener<br />

Form.<br />

An der Universität Kiel läuft ein Graduiertenkolleg « Imaginado borealis : Perzeption,<br />

Rezeption und Konstruktion des Nordens ». In diesem Rahmen und als Dissertation<br />

der Universität Hamburg von 2003/04 ist eine mentalitätsgeschichtliche Untersuchung<br />

erschienen, welche der Frage nachgeht, welche Benennungen für den ‘Norden’<br />

bestanden haben, welche Vorstellungen von ihm, vor allem jedoch, welche Bewertungen<br />

: David F r a e s d o r f f . Der barbarische Norden. Vorstellungen und Fremdheitskategorien<br />

bei Rimbert, Thietmar von Merseburg, Adam von Bremen und Helmold von<br />

Bosau. (Orbis mediaevalis, Vorstellungswelten des Mittelalters 5). Berlin: Akademie<br />

Verlag, 2005. 415 Seiten. ISBN 3-05-004114-5. Im ersten Hauptteil der Arbeit geht es<br />

um die Vorstellungen, die man sich vom ‘Norden’ gemacht hat. Zunächst werden die<br />

griechischen und lateinischen Bezeichnungen des Nordens besprochen, sodann die<br />

geographischen Vorstellungen, die man sich in der Antike, dann im 8. bis 10., und<br />

schließlich im 11. und 12. Jahrhundert darüber gemacht hat. Was die Einschätzungen<br />

angeht, wird bei denen der Himmelsrichtungen allgemein angesetzt, dann werden die<br />

Wertungen des ‘Nordens’ bei den vier im Titel genannten Autoren gemustert. Im zweiten<br />

Hauptteil geht es um das « Barbarische », um das Fremde am Norden. (Insofern trifft<br />

sich die Arbeit teilweise mit der in ALMA 62, 2004, S. 250f., angezeigten von Völker<br />

S c i o r . ) Eingesetzt wird hier mit methodischen Überlegungen und bei den sprachlichen<br />

Bezeichnungen der Fremdheit in Antike und Mittelalter. Dann werden bei den vier<br />

Autoren unterschiedliche Kategorien der Fremdheit dingfest gemacht : religiöse, ethnische,<br />

politische und kulturelle Fremdheit. Bei R i m b . Anscar. geht es nebst anderem um<br />

das missionarische Interesse, in T h i e t m . chron. erscheint der ‘Norden’ als Gegenwelt ;<br />

bei A d a m . gest. wird ein antikisierendes Nördlichkeitsbild und die eschatologische<br />

Bedeutung des ‘Nordens’ hervorgehoben.<br />

Der St. Galler Mönch Ekkehart IV. ist vor allem als hochbegabter Erzähler bekannt<br />

und geschätzt. Vielleicht nicht ganz so anziehend, jedoch bildungs- und kulturge­


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 287<br />

schichtlich von nicht minderem Interesse sind seine verschiedenen — kleineren und<br />

größeren — Dichtungen. Kürzlich ist hierzu ein willkommener kurzer Überblick vorgelegt<br />

worden : Stefan Weber. Ekkehardus poeta qui et doctus. Ekkehart IV. von St. Gallen<br />

und sein gelehrt poetisches Wirken. Nordhausen : Traugott Bautz, 2003. 103 Seiten.<br />

ISBN 3-88309-113-8. — Unter dem Obertitel Ekkehardus poeta wird zunächst ausführlich<br />

über die verschiedenartigen Dichtungen gehandelt, die Ekkehart autograph in seinen<br />

‘Liber benedictionum’ eingetragen hat: die vermischten Gedichte in ‘Benedictiones<br />

super lectores per circulum anni’, die Serie der spruchartigen ‘Benedictiones ad<br />

mensas’, die Gemäldetituli für Mainz und diejenigen für St. Gallen, seine Übersetzung<br />

von Ratperts althochdeutschem Galluslied und verschiedene Gelegenheitsgedichte sowie<br />

Epitaphien. Außerhalb dieser Sammlung steht eine Poetik in nuce, nämlich ‘De lege<br />

dictamen omandi’, stehen ferner Spottverse auf einen Trinker. Abgerundet wird dieser<br />

Teil mit Gedanken über Ekkeharts dichterischen Stil. Ein ganz kurzer zweiter Teil gilt<br />

dem Ekkehardus glossator, dies in engem Anschluß an einen Aufsatz von Peter Osterwalder<br />

mit diesem Obertitel (in : Variorum muñera florum..., Sigmaringen 1985, S. 73-<br />

82). Nützlich ist der anhangsweise beigegebene Überblick über alle Gedichte Ekkeharts<br />

IV. mit Incipit (bei den ganz kurzen Texten : mit Vollabdruck) und Nachweis der<br />

kritischen Edition.<br />

Von dem Bibelepos ‘Hypognosticon’ des Laurentius von Durham ist vor kurzem die<br />

kritische Erstedition vorgelegt worden (s. ALMA 62, 2004, S. 237). Nun hat die Herausgeberin<br />

dieses Textes den Ertrag ihrer interpretatorischen Arbeit daran in einer Monographie<br />

veröffentlicht : Susanne Daub. Von der Bibel zum Epos. Poetische Strategien des<br />

Laurentius am geistlichen Hof von Durham. Köln : Böhlau, 2005. 283 Seiten. ISBN<br />

3-412-14005-8. — Die Bearbeiterin bündelt ihre Beobachtungen nach den Kategorien<br />

‘Makrostrukturen’ und ‘Mikrostrukturen’. Unter dem ersten Gesichtspunkt geht es um<br />

die narrative Ordnung : einesteils um ihr Verhältnis zur Auswahl der Stoffe, andemteils<br />

um Vor- oder Rückgriffe. Wie es in der Natur der Sache liegt, gibt es an Mikrostrukturen<br />

weit mehr zu behandeln. Hauptgesichtspunkte sind hier der « narrative Schmuck » und<br />

die « gedankliche Intensivierung des Diskurses ». Unter den Begriff ‘Schmuck’ gestellt<br />

werden Ausführungen über Schlachtengemälde, Reden der auftretenden Figuren,<br />

Vergleiche mit Tieren, allegorische Bilder — hier : das Lebensschiff und das Gefängnis<br />

der Liebe —, sodann nicht-allegorische Beschreibungen, handle es sich um Dinge oder<br />

um Personen — hier: der Sara und des häßlichen Menschen —, und schließlich um<br />

katalogartige Textstellen. Als gedankliche Intensivierung werden hier gesehen : die<br />

Ausdeutung einzelner Erzählsequenzen — hier: Sündenfall, Josephsgeschichte und<br />

Amnons Liebe zu Thamar —, sodann die ausführliche Erörterung einzelner Gesichtspunkte.<br />

Hierunter fallen Exkurse wissenschaftlichen Charakters — etwa : zur Zeugungsfähigkeit<br />

alter Menschen — und solche meditativer Art — über das heilige Kreuz und<br />

Gottes Güte — und schließlich verschiedene Typen von Apostrophe : intradihegetisch —<br />

der Dichter spricht eine Figur der Erzählung an —, extradihegetisch — er spricht den<br />

Leser an — oder aber als Anrede seiner selbst oder seiner Muse. Die gewonnenen<br />

Einsichten in die handwerklichen Fertigkeiten und die literarischen Verfahren des<br />

Dichters werden in Form von Zwischenergebnissen und in einer Gesamtwertung zusammengefaßt.<br />

Wer sich bisher mit der Überlieferungsgeschichte der Werke der Hildegard von<br />

Bingen (1098-1179) befaßte, tat dies vorwiegend unter textkritischen Gesichtspunkten<br />

und fragte nach Überlieferungen, welche der Autorin besonders nahestehen. Von anderen<br />

Hauptgesichtspunkten geleitet ist die folgende Arbeit : Michael Embach. Die Schriften<br />

Hildegards von Bingen. Studien zu ihrer Überlieferung und Rezeption im Mittelalter und<br />

der Frühen Neuzeit. (Erudiri sapientia. Studien zum Mittelalter und zu seiner Rezepti­


288 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

onsgeschichte 4). Berlin : Akademie Verlag, 2003. 595 Seiten. ISBN 3-05-003666-4. —<br />

Das Hauptziel dieser Trierer Habilitationsschrift ist, die Rezeption und den Wirkungserfolg<br />

der einzelnen Werke Hildegards über einen längeren Zeitraum hin zu erkunden. In<br />

einem ersten Hauptteil werden die Basishandschriften und die Editionen von Hildegards<br />

Werken erforscht. Ausgangspunkt ist dabei die Handschrift, die für Jahrhunderte die<br />

Grundlage für die Kenntnis von Hildegards Schriften war: der Wiesbadener Riesencodex,<br />

und ist der Prozeß von dessen Herstellung im Skriptorium des Klosters Rupertsberg.<br />

Nacheinander werden dann die großen Werke bzw. Werkkomplexe untersucht nach<br />

Rezeptionsspuren im Mittelalter, nach der handschriftlichen Überlieferung im<br />

Einzelnen, nach der jeweiligen Editio princeps u. a. m. An der Spitze stehen die drei<br />

großen Visionsbücher : ‘Scivias’, ‘Liber vitae meritorum’ und ‘Liber divinorum<br />

operum’. Dann folgt das Epistolarium, einschließlich der ursprünglich darin überlieferten<br />

beiden Viten, ‘Vita Ruperti’ und ‘Vita Disibodi’, sowie der umfangreicheren<br />

Brieftraktate, die zum Teil ausgegliedert und als Werke eigener Geltung behandelt<br />

wurden. Die beiden Sprachtraktate ‘Lingua ignota’ und ‘Litterae ignotae’ haben eine nur<br />

ganz schmale Wirkungsgeschichte. Besondere Probleme werfen die beiden naturkundlich-medizinischen<br />

Schriften auf : der ‘Liber simplicis medicinae’ (auch ‘Physica’<br />

genannt, bereits 1533 gedruckt) und der ‘Liber compositae medicinae’ (auch ‘Causae et<br />

curae’ genannt, 1903 erstmals ediert). Der zweite, weit weniger umfangreiche Teil der<br />

Arbeit betrifft einzelne Rezeptionsweisen und -Zusammenhänge : die Erwähnung Hildegards<br />

in chronistisch-annalistischen Texten, sodann in der Mystik, in Ars moriendi-<br />

Texten, in Reformschriften und in der Predigtliteratur. Auch pseudepigraphische und<br />

polemische Überlieferungen werden erörtert. Schließlich wird Johannes Trithemius<br />

(1462-1516) als großer Propagator Hildegards gewürdigt. Zu den Ergebnissen dieser<br />

vielschichtigen Studie zählen die folgenden : Der Anteil Hildegards als Autorin an den<br />

einzelnen Werkgruppen ist unterschiedlich und die Erarbeitung der Werke gliedert sich<br />

in drei Phasen; der Verlust ihres Sekretärs Volmar 1173 bedeutet einen wichtigen<br />

Einschnitt. (Der Anteil der verschiedenen Sekretäre an Hildegards Schriften ist noch<br />

nicht genügend geklärt.) Die dritte Phase liegt in den Jahrzehnten nach ihrem Tode, als<br />

sich eine « produktive Fortschreibung » von Hildegards Werk ereignete. Im 12./13. Jahrhundert<br />

waren vor allem ihre visionären Werke beliebt. Erwähnt sei die Zusammenstellung<br />

von Auszügen aus ihrem Werk unter apokalyptischem Blickwinkel durch Gebeno<br />

von Eberbach SOCist in seinem ‘Pentachronon’ (um 1220). Teile ihrer visionären<br />

Schriften wirkten vielfach in Überlieferungssymbiose mit vergleichbaren Texten anderer<br />

Autoren fort. Wichtig war die Überlieferung im monastischen Milieu, namentlich auch<br />

bei den Zisterziensern. Die naturkundlichen Werke gelangten erst spät zu nennenswerter<br />

Wirkung. Interessant ist der Entstehungsprozeß des ‘Liber compositae medicinae’, in<br />

welchen spätere Redaktoren eingegriffen haben. Im 13. und vollends im 14. Jahrhundert<br />

kommt es in der Produktion von Hildegard-Handschriften zu einem Einbruch, im<br />

15. Jahrhundert wieder zu einem Aufschwung, der sich damals allerdings noch nicht in<br />

gedruckten Ausgaben äußerte.<br />

Kurz sei hier von einer Monographie die Rede, welche einem kirchen- und theologiegeschichtlich<br />

wichtigen Legendenkomplex gewidmet ist, nämlich Erzählungen<br />

davon, daß eine (Kloster-)Kirche von Christus und den Engeln selber gçweiht worden<br />

sei : Matthias M. Tischler. Die Christus- und Engelweihe im Mittelalter. Texte, Bilder<br />

und Studien zu einem ekklesiologischen Erzählmotiv. (Erudiri sapientia. Studien zum<br />

Mittelalter und zu seiner Rezeptionsgeschichte 5). Berlin: Akademie Verlag, 2005.<br />

244 Seiten, Abb. ISBN 3-05-004075-0. — Ausgehend von der Feststellung, daß die<br />

mittelalterlichen Kirchweihlegenden ganz allgemein in der Kirchen- und Theologiegeschichte<br />

bisher nicht die nötige Aufmerksamkeit gefunden haben, kommt der Verfasser


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 289<br />

auf einen Komplex von Erzählungen zu sprechen, welche die Weihe einem übernatürlichen<br />

Eingreifen Christi und seiner Engel zuschreiben. In seiner Untersuchung geht er<br />

altkirchlichen Traditionen und Vorstellungen nach, welche diese Legenden vorbereitet<br />

und genährt haben dürften. Dann behandelt er die ältesten Weiheerzählungen selber,<br />

zunächst solche innerhalb hagiographischer Texte, dann solche in selbständiger Form.<br />

Hierauf fragt er nach dem jeweiligen kirchenpolitischen Umfeld dieser Legenden an<br />

einem bestimmten Ort. Als prominentes Fallbeispiel dient hier zunächst das Kloster<br />

Einsiedeln ; andere Orte folgen. Schließlich wird nach der zeitlichen Staffelung gefragt<br />

hinsichtlich einzelner Orte, Motive und Überlieferungsformen. Christus- und Engelweihlegenden<br />

insgesamt erscheinen erst nach 1000 ; sie lösen gewissermaßen die Erzählungen<br />

von Michaelserscheinungen im 879. Jh. ab. Die Anstöße zur Herausbildung<br />

solcher Erzählungen liegen weniger im Wettstreit zwischen älteren und jüngeren<br />

Klöstern oder in der Bedrückung durch Klostervögte als in dem Bestreben, gegenüber<br />

dem Diözesanbischof den « Status der spirituellen wie jurisdiktioneilen Unantastbarkeit<br />

» zu wahren. Im Mittelteil der Arbeit werden in alphabetischer Folge für zwanzig<br />

Orte, von Andechs über Figeac und Saint-Maur-des-Fosses bis Westminster, die<br />

einschlägigen Texte — fast durchweg sind es lateinische — gedruckt. Ihre Textform<br />

beruht auf älteren Ausgaben, die jedoch vielfach auf Grund der handschriftlichen Überlieferung<br />

revidiert worden sind. Im dritten Teil wird die bildliche Überlieferung behandelt<br />

für die Engelweihe der Bartholomäuspassion sowie für die Christus- und Engelweihe<br />

von St-Denis und von Einsiedeln.<br />

Wenigstens ganz knapp sei hingewiesen auf eine Arbeit geistesgeschichtlicher<br />

Ausrichtung, welche das Zeitverständnis in drei hochmittelalterlichen Weltchroniken<br />

zum Gegenstand hat : Fabian Schwarzbauer. Geschichtszeit. Über Zeitvorstellungen in<br />

den Universalchroniken Frutolfs von Michelsberg, Honorius’ Augustodunensis und<br />

Ottos von Freising. (Orbis mediaevalis, Vorstellungswelten des Mittelalters 6). Berlin :<br />

Akademie Verlag, 2005. 305 Seiten. ISBN 3-05-004112-9. — Der Arbeit, die auf eine<br />

historische Dissertation der Universität Hamburg von 2002 zurückgeht, ist zum Ziel<br />

gesetzt, «die allgemeinen Züge der Geschichtszeit in diesen Weltchroniken als<br />

Geschichtszeit des hochmittelalterlichen Weltchronisten auszuweisen und deren spezifische<br />

Ausformungen abzugrenzen ».<br />

An dieser Stelle ist eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zu erwähnen : Peter<br />

v o n Moos. ‘Öffentlich’ und ‘privat’ im Mittelalter. Zu einem Problem historischer<br />

Begriffsbildung. (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger<br />

Akademie der Wissenschaften 33). Heidelberg : Winter, 2004. 107 Seiten. ISBN 3-8253-<br />

1668-8. — Die höchst vielschichtig geführte Erörterung kann hier nicht in wenigen<br />

Worten resümiert werden. Ausgangspunkt ist ein « forschungspraktisches Problem »,<br />

nämlich der Umstand, daß in der neueren deutschsprachigen Mediävistik berechtigte<br />

Hemmungen bestehen, die deutschen Begriffe ‘öffentlich’ und ‘privat’ auf mittelalterliche<br />

Verhältnisse anzuwenden. Der Verfasser der Studie geht dem Problem dadurch auf<br />

den Grund, daß er das zweipolige Begriffsfeld zeit- und sprachenübergreifend<br />

ausleuchtet. Dabei geht es zunächst um das Begriffspaar publicus / privatus und dessen<br />

Entsprechungen im Italienischen, Französischen und Englischen, mit Beizug auch von<br />

Srjpômoç und iôuüTr|ç. Herausgearbeitet wird so der Unterschied zwischen einem<br />

alteuropäischen Gemeinschaftsbegriff, der sich mit Ausdrücken wie res publica oder<br />

‘Gemeinnutz’ verbindet — dies in dem (politisch-sozialen) Spannungsfeld zwischen<br />

« universell » und « partikulär » —, einerseits, und einem im Deutschen geltenden<br />

Begriff von ‘öffentlich’ in dem (medialen) Sinne von ‘offen zutagetretend, manifest’ (im<br />

älteren Deutsch offenlich): einem Begriff, der als Substantiv ‘Öffentlichkeit’ mit der<br />

Aufklärung normative Züge angenommen hat. Im Zuge einer ausgreifenden Analyse


290 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

werden auch die Bedeutungsentwicklungen von publicus im Mittelalter verfolgt — etwa<br />

publicus ~ ‘herrschaftlich’, publicare ‘konfiszieren’ — und werden gesellschaftstheoretische<br />

Konzepte einzelner Denker von der Patristik bis zur Moderne berührt.<br />

Mit etwas Verspätung sei an dieser Stelle ein Aufsatz textkriti sch-interpretatorischen<br />

Charakters erwähnt, der eine Dichtung aus der Zeit um 8 0 0 ( V u l f . Marc. II)<br />

betrifft: Thomas G ä r t n e r . Kritisch-Exegetisches zur Marcellus-Vita des Vulfinus von<br />

Die (MGH poet. lat. IV 3 p. 9 6 3 -9 7 6 Strecker). (Eranos 9 9 , 2 0 0 1 , 18-27). Der Bearbeiter<br />

sucht durch Umstellungen eine größere Zahl krasser Prosodiefehler auszumerzen, dies<br />

mit Rücksicht darauf, daß im einzigen Textzeugen, einer Bologneser Handschrift aus der<br />

frühen Neuzeit, manche Lücken klaffen und vielleicht in Vorgängerfassungen am Rande<br />

stehende Wörter falsch eingesetzt worden sind.<br />

Auf den Zeitpunkt der Beendigung seiner akademischen Lehrtätigkeit an der Universität<br />

Heidelberg ist von Walter Berschin ein Sammelband erschienen, der nicht<br />

weniger als 38 kleinere Arbeiten vereinigt: Walter Berschin. Mittellateinische<br />

Studien. Heidelberg : Mattes Verlag, 2005. XII, 456 Seiten, 31 Abb. ISBN 3-930978-75-<br />

X. — Die meisten dieser Arbeiten sind — an ganz unterschiedlichen Orten — bereits<br />

früher erschienen, wurden für diesen Wiederabdruck jedoch formal, teilweise auch<br />

inhaltlich bearbeitet. Leitender Gesichtspunkt bei der Auswahl war, ob die jeweilige<br />

Arbeit inhaltlich oder methodisch etwas Neues bringt. Immerhin wurden fünf Arbeiten<br />

mit Überblickscharakter mit abgedruckt : diejenigen über Dinamius Patricius von<br />

Marseille (s. ALMA 59, 2001, S. 287), über die Ost-West-Gesandtschaften am Hof<br />

Karls des Großen und Ludwigs des Frommen, über die Schule der Reichenau, über<br />

Hildegund von Schönau und schließlich diejenige über Homer im Reich Friedrichs II.<br />

Durchweg ist das chronologische Prinzip gewahrt. Insgesamt neun Arbeiten betreffend<br />

die Zeit bis 800. Hervorgehoben seien aus dieser Gruppe die kurze, bisher unveröffentlichte<br />

Studie : « Possidius, Vita Sancii Augustini. Eine patristische Biographie mit klassischem<br />

Hintergrund » (S. 1-7), sodann die Arbeiten über «die älteste erreichbare Textgestalt<br />

der Passio Sanctae Afrae » (BHL 107b ; mit Edition und Übersetzung), über<br />

« Gallus abbas vindicatus» und « Columban und Gallus in Bregenz » sowie über die<br />

zweite Prosavita des hl. Cuthbert, verfaßt von Beda. Neben diesen Arbeiten aus dem<br />

biographisch-hagiographischen Bereich stehen andere aus einem ändern großen<br />

Forschungsgebiet Berschins, der Vermittlung des Griechischen im Westen : so zunächst<br />

die Studie über Griechisches in der Domschule von Verona, dann diejenige über den<br />

Übersetzer Bonifatius Consiliarius (s. ALMA 50, 1991, S. 149). — Elf Arbeiten<br />

beschlagen Themen aus der Karolingerzeit, darunter solche über bestimmte Handschriften<br />

und Texte, so zur Lokalisierung und Datierung der althochdeutschen Benediktregel<br />

(s. ALMA 62, 2004, S. 254), zum St. Galler Klosterplan als Literaturdenkmal<br />

(s. ALMA 60, 2002, S. 276) sowie zur Überlieferungsgeschichte der Werke des Notker<br />

Balbulus (die deutschsprachige Version des entsprechenden Beitrags in : La trasmissione<br />

dei testi latini del medioevo ... TE TRA 1, Firenze 2004) und über « neun Psalteria<br />

quadrupartita Salomons III. von Konstanz » (neu darin, als Appendix : Edition, Übersetzung<br />

und Besprechung des Gedichts Nongentis paritérque novem labentibus annis<br />

¡¡Schalter / Könsgen 10539]). Die Kodikologie betrifft Berschins Inventar von 28 Handschriften<br />

im Diptychonformat. Hervorgehoben sei der erstmals publizierte Aufsatz « Vier<br />

karolingische Exlibris » (S. 169-178). Die griechische Sprache betrifft der Aufsatz über<br />

« Griechisches in der Klosterschule des alten St. Gallen ». Hinzu kommen Studien zu<br />

einzelnen Inschriften, so zu den Tituli der Wandbilder von Reichenau-Oberzell (s.<br />

ALMA 54, 1996, S. 265). — Fünf Arbeiten betreffen die ottonische Kultur. Mit<br />

Berschins Hrotsvit-Ausgabe (s. ALMA 59, 2001, S. 273) hängt eine Studie über « Tradition<br />

und Neubeginn » bei dieser Dichterin zusammen (die deutschsprachige Version des


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 291<br />

in Poesía latina m e d ie v a lFirenze 2005, in spanischer Sprache erschienenen Beitrags),<br />

mit dem hagiographischen Forschungsschwerpunkt zwei neue Studien über die Viten<br />

Ulrichs von Augsburg : « Realistic writing in the tenth century : Gerhard of Augsburg’s<br />

Vita (I) S. Uodalrici (A.D. 982-993) (S. 249-254) sowie: « Gebehardus episcopus Augustensis,<br />

Vita (II) S. Uodalrici (BHLS nr. 8361)» (S. 255-266) : Letzteres im Wesentlichen<br />

eine Neuedition dieser fragmentarischen Vita mit einer Übersetzung. Zu nennen ist<br />

außerdem eine biographische Studie über Bischof Erkanbald von Straßburg (965-991).<br />

— Acht Beiträge sind Themen aus dem Hochmittelalter gewidmet. Zu dem Forschungsgebiet<br />

« Griechisches im Westen » gehören ein Aufsatz über die Übersetzer des 11. Jahrhunderts<br />

in Amalfi (mit einer Edition des ‘Obitus s. Nikolay’, übersetzt von Iohannes<br />

monachus Amalfitanus, BHL 6156h) und eine Studie über den «byzantinisch-liturgischen<br />

Hintergrund » salemitanischer Übersetzungen aus der Zeit um 1100. Genannt<br />

seien ferner die Arbeiten über die Reaktion auf den Tod Gregors VII. nach fünf oberitalienischen<br />

Streitschriften, über einen Text von Rupert von Deutz zu Johannes dem<br />

Täufer sowie ein bisher unveröffentlichter Vortrag über die Gedichte Hildegards von<br />

Bingen (S. 339-346). — Die verbleibenden fünf Arbeiten betreffen die Zeit vom Spätmittelalter<br />

bis zum 20. Jahrhundert. Dazu gehören Beiträge über Sueton und Plutarch im<br />

14. Jahrhundert, über Rudolf Agrícolas Biographie Petrarcas, sodann über « Neulateinische<br />

Utopien im Alten Reich (1555-1741) ». Themen der Forschungsgeschichte<br />

beschlagen die hier erstmals veröffentlichte Studie « Fachmann (1*1851) und der<br />

Archetyp » (S. 389-394) und diejenige über « Bücher des Jahres 1948». — Der Band<br />

wird durch mehrere Register erschlossen — eines betrifft « Wörter, Junkturen, Zeichen »<br />

— und enthält außerdem die vollständige Bibliographie der Arbeiten Berschins.<br />

Nun sei der Blick auf zwei Festschriften gelenkt :<br />

Zu seinem 65. Geburtstag haben Kollegen, Freunde und Schüler dem Zürcher Historiker<br />

Ludwig Schmugge eine umfangreiche Festschrift überreicht, in welcher die drei<br />

Felder, auf denen der Jubilar in letzter Zeit hauptsächlich geforscht hat, durch ganz<br />

unterschiedliche, doch zusammen einen Eindruck von Homogeneität erweckende<br />

Beiträge vertreten sind : Päpste, Pilger, Pönitentiarie. Festschrift für Ludwig Schmugge<br />

zum 65. Geburtstag. Herausgegeben von Andreas Meyer, Constanze Rendtel und Maria<br />

Wittmer-Butsch. Tübingen: Max Niemeyer, 2004. XIV, 582, Abb. ISBN 3-484-80167-<br />

0. — Im Folgenden seien diejenigen Beiträge genannt, in denen es vorwiegend um Textliches<br />

geht, zunächst zum Bereich « Päpste » : Peter Landau. Fälschungen zum Begriff<br />

des Benefiziums und der Simonie im Decretum Gratiani. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte<br />

des kirchlichen Benefiziums im kanonischen Recht und zu Papst Alexander<br />

II. (S. 3-13). — Patrick Hersperger. Die Dekretale Ecclesia vestra nuper von<br />

Honorius III. in der Rezeption verschiedener Werke der klassischen Kanonistik (S. 31-<br />

48). — Bernhard Schimmelpfennig. Der Ablaßtraktat des Genueser Arztes Galvanus de<br />

Levanto (S. 73-82). [Mit Textauszügen.] — Ottavio Clavuot. Ve rus Christi vicarius.<br />

Programmatik der Darstellung Papst Eugens IV. in Biondos Schriften und an Filaretes<br />

Portal von St. Peter (S. 83-107, 5 Abb.). — Arnold Esch. Aus dem Alltag eines Ablaßkollektors.<br />

Eine Reise durch Deutschland, die Niederlande und Österreich anhand der<br />

Buchführung 1470-1472 (S. 109-134, 2 Abb.). — Knut Schulz. Was ist deutsch ? Zum<br />

Selbstverständnis deutscher Bruderschaften im Rom der Renaissance (S. 135-179,<br />

1 Abb., 3 Karten). [Enthält ein lateinisches Gutachten über die Voraussetzungen für die<br />

Aufnahme in die deutsche Schuhmacherbruderschaft in Rom v. J. 1633 mit paralleler<br />

deutscher Übersetzung.] — Mit dem Thema « Pilger » befassen sich : Maria Wittmer-<br />

Butsch und Martin Gabathuler. Karl der Große und Zürich. Zur Gründungsphase des<br />

« Großmünsters » (S. 211-224). [Mit Analyse von Textstellen aus dem sogenannten<br />

Zürcher Rotulus.] — Michele C. Ferrari. Inquisitione diligenti et fideli. Beglaubi-


292 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

gungsstrategien und hagiologische Recherchen im Mittelalter (S. 225-236). [Unter<br />

anderem geht es um den Bericht eines gewissen Godefridus über seine Recherchen (v. J.<br />

1256) zur Identität von in Clairvaux verehrten Heiligen ; dieser Text wird anhangsweise<br />

ediert.] — Martina Wehrli-Johns / Peter Stotz. Der Traktat des Dominikaners Albert<br />

von Weißenstein über das Salve regina (gedruckt : Zürich um 1479/1480) (S. 283-313).<br />

[Mit Edition und Übersetzung dieses Textes im Paralleldruck.] — Dem Forschungsschwerpunkt<br />

« Pönitentiarie » sind zugeordnet : Andreas Meyer. Quellen zur Geschichte<br />

der päpstlichen Pönitentiarie aus Luccheser Imbreviaturen des 13. Jahrhunderts (S. 317-<br />

351). [Mit Edition von 13 Urkunden und Briefen.] — Jürgen Miethke. Die Eheaffäre der<br />

Margarete «Maultasch», Gräfin von Tirol (1341/1342). Ein Beispiel hochadliger Familienpolitik<br />

im Spätmittelalter (S. 353-391). [Unter anderm geht es um vier lateinische<br />

Traktate in einer heute in Bremen liegenden Sammelhandschrift aus der Zeit kurz nach<br />

1356.] — Michael Haren. Montaillou and Drogheda. A medieval twinning (S. 435-456).<br />

[Anhangsweise ist Sermo 40 der Predigtsammlung von Erzbischof Richard FitzRalph<br />

von Armagh (Mitte 14. Jh.) ediert.] — Wolfgang P. Müller. The price of papal pardon.<br />

New fifteenth-century evidence (S. 457-481). [Mit Edition einer Taxordnung von 1431.]<br />

— Daniel Rutz. Incipit formularius, quo utebantur minores penitenciara sacri concilii<br />

Basiliensis (S. 483-498). [Mit Edition.] — Paolo Ostinelli. L’offerta della grazia.<br />

Dispense e assoluzioni concesse da vescovi e invitati pontifici in Lombardia nel<br />

XV secolo (S. 531-549). [Mit Edition von acht Schreiben betreffend Ehedispense v. J.<br />

1478.] — Hinzu kommen zahlreiche weitere Arbeiten kultur- und sozialgeschichtlichen,<br />

personen-, familien- und institutionengeschichtlichen sowie quellenkundlichen Charakters.<br />

Die Festschrift enthält zudem das Schriftenverzeichnis des Geehrten.<br />

Mit Heinrich Tiefenbach hat vor kurzem ein Altgermanist seinen sechzigsten<br />

Geburtstag gefeiert, der in seinen Forschungen immer wieder deutlich gemacht hat, wie<br />

eng verzahnt Latein und Deutsch im frühen und hohen Mittelalter sind. (Am bekanntesten<br />

sind den Mittellateinem wohl seine « Studien zu Wörtern volkssprachiger Herkunft<br />

in karolingischen Königsurkunden» von 1973 (zu D ipl. Loth. I./ Dipl. Loth. IL, s.<br />

ALMA 40, S. 150f.). Dies spiegelt sich denn auch in der ihm zu Ehren veranstalteten<br />

Festschrift : Entstehung des Deutschen. Festschrift für Heinrich Tiefenbach. Herausgegeben<br />

von Albrecht Greule, Eckhard Meineke, Christiane Thim-Mabrey. (Jenaer germanistische<br />

Forschungen, Neue Folge 17). Heidelberg : Winter, 2004. 563 Seiten, Abb.<br />

ISBN 3-8253-1593-2. — Im Folgenden werden diejenigen Beiträge genannt, in welchen<br />

Lateinisches als Ausgangspunkt oder Gegenposition in Erscheinung tritt : Rolf Bergmann.<br />

Das Sachglossar im Clm 13090 (S. 9-29). [Betrifft. Gloss. III S. 388f. St.-S.] —<br />

Helge Eilers. Die Satzsyntax der althochdeutschen Isidorübersetzung im Vergleich zur<br />

lateinischen Vorlage (S. 65-86). — Evelyn Scherabon Firchow and Richard Louis<br />

Hotchkiss. Notker Labeo’s œuvre : The description of a long-time project (S. 87-118).<br />

— Elvira Glaser und Andreas N ievergelt. Althochdeutsche Griffelglossen :<br />

Forschungsstand und Neufunde (S. 119-132). — Emst Hellgardt. Die Praefatio in<br />

librum antiquum lingua Saxonica conscriptum, die Versus de poeta et interprete huius<br />

codicis und die altsächsische Bibelepik (S. 173-230). [Enthält unter anderm : einen<br />

diplomatischen Abdruck dieser beiden lateinischen Texte nach alten Drucken nebst ihrer<br />

Übersetzung und ihre Untersuchung auf Similien, auf Prosarhythmus bzw. Verstechnik<br />

sowie deren inhaltliche Erörterung. Anhangsweise werden ältere Editionen der Praefatio<br />

wiedergegeben und werden Testimonien des 16. Jahrhunderts für die beiden Texte beigebracht.<br />

Es folgt ein Katalog von Similien sowie eine Aufstellung über den Cursus im<br />

Prosatext. Den Abschluß macht eine ausführliche Forschungsbibliographie.] — Patrizia<br />

Lendinara. Old High German niunouga ‘lamprey’ and the glosses in a manuscript of the<br />

Quid suum virtutis (S. 271-286). [Betrifft die moralisierende Lehrdichtung Quid suum


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 293<br />

virtutis aus dem 11. Jahrhundert, ed. Anke Paravicini, Heidelberg 1980 ; NGML : Theod.<br />

S. Trud.(?) quid virt.] — Achim Masser. Der Glossator der lateinisch-althochdeutschen<br />

Benediktinerregel (S. 287-302). — Claudine Moulin. Work in progress. Zu einem Würzburger<br />

Bibelglossar (Würzburg, UB. M. p. th. f. 3) (S. 303-354). [Mit Edition und<br />

Kommentar.] — Ingo Reiffenstein. Hallein — salina nostra. Zur Semantik des Diminutivs<br />

(S. 367-381). — Jörg Riecke. Texttraditionen frühmittelalterlicher Fachprosa<br />

(S. 383-394). [Betrifft das ‘Sommale Danielis’ (vgl. ALMA 46/47, 1986/87, S. 154f.) :<br />

einerseits volkssprachliche Fortführungen der Traumbuch-Tradition, andererseits<br />

althochdeutsche Glossen zum lateinischen Text ; ferner die Anamnese Notkers des Deutschen.]<br />

— Hans Ulrich Schmid. Die Pariser Tatian-Zitate — Edition, Analysen, Überlegungen<br />

(S. 395-425). — Ruth Schmidt-Wiegand. Der sermo rusticus und die Lex Salica<br />

(S. 427-432). — Franz Simmler. Methodische Grundlagen zur Ermittlung von Gesamtsatzstrukturen,<br />

ihrer Teilsatzanzahl und ihren Abhängigkeitsbeziehungen in der lateinisch-althochdeutschen<br />

Tatianbilingue (S. 433-470). — Stefanie Stricker. Die althochdeutsche<br />

Glossierung von Priscian: Institutio de arte grammatica. Merkmale einer<br />

Sachtextglossierung im 9. Jahrhundert (S. 471-490). — Petrus W. Tax. Die Glosa Psalmorum<br />

ex traditione seniorum — eine weitere exegetische Quelle für Notkers Psalter ?<br />

Eine wahrscheinliche neue Nebenquelle und ihre Problematik (S. 491-501). [Zu der aus<br />

dem frühen 7. Jahrhundert und wohl aus der Provence stammenden Glosa psalmorum<br />

vgl. ALMA 51, 1992/93, S. 211 und 53, 1995, S. 213.] — Lothar Voetz. Zur Rekonstruktion<br />

der lateinischen Vorlage der ‘St. Pauler Interlinearversion zu Lc 1, 64-2, 51’<br />

(sogenannte St. Pauler Lukasglossen) (S. 503-513). — Den Abschluß des Bandes bildet<br />

die Bibliographie des Jubilars.<br />

Wie immer an dieser Stelle ein Blick auf die neuesten Bände und Faszikel der<br />

einschlägigen Zeitschriften.<br />

Begonnen sei wie üblich mit dem ‘Mittellateinischen Jahrbuch’, und zwar Band 39<br />

(2004), Heft 2 ; daraus sind hier zu erwähnen : Christiane Grossmann. Pietas est dei<br />

notio — eine Untersuchung zu Lact. Inst. V 14, llf. (S. 171-181). — Gerlinde Bretzigheimer.<br />

Der Herkules-Mythos als Gefäßdekor : eine ‘descriptio’ des Theodulf von<br />

Orleans (S. 183-205). [Betrifft Theodulf. carm. 28 (Contra indices) Vs. 177-210.] —<br />

Armando Bisanti. Appunti sulla fortuna mediolatina e romanza dei ‘Novi Aviani’<br />

(S. 207-218). — Der Band wird ergänzt durch Arbeiten über «Manetti und Ficino über<br />

die Schönheit der Welt » (Clemens Zintzen) und über sprichwörtliche Lehren in Wolframs<br />

von Eschenbach ‘Parzival’ (Wolfgang Mieder). Eine Forschungsmitteilung (Clara<br />

Wille) betrifft den Kommentar des Pseudo-Alanus zu den ‘Prophetie Merlini’. — An<br />

der Spitze des Heftes stehen Worte des Gedenkens an I Deug-Su (1938-2004), einen<br />

Mittellateiner koreanischer Abstammung, der in Italien (und Deutschland) wirkte, von<br />

Seiten seines einstigen Lehrers, Claudio Leonardi.<br />

In Band 39, Heft 3 beschlagen im engeren Sinn unser Interessengebiet : David<br />

R. Carlson. The invention of the Anglo-Latin public poetry (circa 1367-1402) and its<br />

prosody, especially in John Gower (S. 389-406). — Christiane N eerfeld / Anja Wolkenhauer.<br />

Pietro Dolfin di Giorgio: ein venezianischer Humanist und seine Bibliothek<br />

(S. 407-440). [Mit kommentierter Edition des Inventars der Bücher aus seinem<br />

Nachlaß.] — Weitere, gewichtige Beiträge betreffen die « Fama in antiker und mittelalterlicher<br />

Sprache und Literatur» (Werner Wunderlich) sowie das Thema « Dogmatischer<br />

oder emergenter Dialog ? Überlegungen zur Konzeptualisierung theologischer und<br />

philosophischer Erkenntnis im Hochmittelalter » (Wolfram Drews).<br />

Heft 1 von Band 40 (2005) enthält die Beiträge : Thomas Gärtner. Die Bucheinteilung<br />

als künstlerisches Gliederungsprinzip lateinischer Erzähldichtung in Antike und Mittelalter<br />

(S. 3-33). — William Sayers. The etymology of Late Latin malina ‘spring tide’ and


294 P<strong>ET</strong>ER STOTZ<br />

ledo ‘neap tide’ (S. 35-43). — Florian Schaffenrath. Eugippius und sein Leser. Zur Funktion<br />

dreier Figuren im Brief des Eugippius an Paschasius am Beginn seiner ‘Vita sancti<br />

Severini’ (S. 45-51). — Sam Barrett. The rhythmical songs of Paulinus of Aquileia<br />

(S. 53-73). [Betrifft : Secondary reports / primary sources / musico-poetic analysis / transmission.]<br />

— Martha Bayless. Simulation and dissimulation in the snow child sequence<br />

(‘Modus Liebinc’) (S. 75-83). [Betrifft Carm. Cantabr. 14.] — Armando Bisanti. Il fior<br />

del giglio nella tradizione poetica latina e medievale (note ad Alessandro Neckam, Suppl.<br />

defect. 1, 331-346) (S. 85-95). — Benedikt Konrad Vollmann. Das ‘Metrum Leonis’ des<br />

Leo von Vercelli. Anmerkungen zu einer Neuedition (S. 101-108). [Bericht zur Forschung,<br />

anschließend an: Leone di Vercelli, Metrum Leonis ..., Edizione critica a cura<br />

di Roberto Gamberini, Firenze 2002 ; mit einer deutschen Übersetzung der Fragmente.] —<br />

Eine Forschungsmitteilung betrifft den Inkunabelkatalog der Bayerischen Staatsbibliothek<br />

im Internet (BSB-Ink online ; Bettina Wagner). — Am Eingang des Heftes steht<br />

ein Nachruf auf Bengt Löfstedt (1931-2004), verfaßt von Franz B runhölzl.<br />

Aus Heft 2 des 40. Bandes seien folgende Beiträge herausgegriffen : Klaus Bitterling.<br />

Physiologus und Bestiarien im englischen Mittelalter (S. 153-170, mit 19 Abb.). —<br />

Udo Kühne. Die Lehre vom Predigtaufbau in frühen Artes praedicandi (S. 171-190). —<br />

Kurt Schneider. Adamnan als Stilist (S. 191-195). — Carsten Wollin. Die Lebenswelt<br />

der mittelalterlichen Intellektuellen im Spiegel der lateinischen Epigrammatik (S. 225-<br />

261). — Tobias Leuker. Sparsa anime fragmenta recolligere — Ciceros Beitrag zu<br />

Petrarcas Bild (S. 263-266) (S. 263-266). — Konrad Bund. Die Rezeption Hildegards<br />

von Bingen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit (S. 267-271). [Bericht, der sich<br />

auseinandersetzt mit: Michael Embach, Die Schriften Hildegards von Bingen ..., Berlin<br />

2003 (siehe oben Seite 287).]. — Weitere Beiträge tragen die Titel «Buchreligionen als<br />

Reichsreligionen? Lokale Grenzen überregionaler religiöser Kommunikation» (Jörg<br />

Rüpke) und : « Der klügste Bischof der Christenheit oder nur der Bischof von lesi ? Der<br />

anonyme ‘Ritmo laurenziano’ und die europäische Vagantendichtung (Frank-Rutger<br />

Hausmann). Dazu kommt ein Bericht über eine Bibliographie zu Nikodemus Frischlin<br />

(1547-1590 ; Robert Seidel) sowie eine Mitteilung über die Fortschritte des ‘Mittellateinischen<br />

Wörterbuches’ (Marie-Luise Weber).<br />

Aus Band 117 (2004) der ‘Wiener Studien’ ist hier zu nennen : D. Thomas Benediktson.<br />

Ut balatus ouis sic est rugiré leonis. Medieval composition and modem editing<br />

(S. 225-232). [Es geht um das Tierstimmengedicht mit diesem Incipit, welches in insgesamt<br />

zehn Handschriften in zwei verschiedenen Fassungen überliefert ist, die hier ediert<br />

werden. Anhangsweise wird ein Überblick über insgesamt neun dichterische Texte<br />

gegeben, die auf dem Tierstimmenkatalog von Pseudo-Sueton beruhen.]<br />

Im 60. Jahrgang (2004) des ‘Deutschen Archivs für Erforschung des M ittelalters’<br />

sind folgende Beiträge textlich-sprachlich ergiebig: Herbert Schneider. Ein<br />

unbekannter Ordo ad principem consecrandum aus dem süditalienischen Normannenreich<br />

(S. 53-95). [Wohl aus der Mitte des 11. Jahrhunderts. — Mit Edition.] — Amo<br />

Mentzel-Reuters. Literaturbericht Handschriftenkataloge (S. 201-231). [Fortsetzung<br />

des in ALMA 60, 2002, S. 287 erwähnten Berichtes.] — Hartmut Hoffmann. Die Transla<br />

tio n s et Miracula s. Mennatis des Leo Marsicanus (S. 441-481). [Es geht um zwei<br />

unterschiedliche Translationen dieses unbekannten Heiligen (1094 und wohl 1102/07).<br />

Mit Edition der Translationes I (BHL 5927a) / II (BHL 5928) und der Miracula (BHL<br />

5929).] — Nikolas Jaspert. Zwei unbekannte Hilfsersuchen des Patriarchen Eraclius vor<br />

dem Fall Jerusalems (1187) (S. 483-516). [Mit Edition.] — Gabriela Signori. Hochmittelalterliche<br />

Memorialpraktiken in spätmittelalterlichen Reformklöstem (S. 517-547).<br />

[Es handelt sich um den Gebrauch von Totenrotuli ; mit Abdruck einiger dichterischer<br />

und prosaischer Einträge.]


<strong>CHRONIQUES</strong> <strong>ET</strong> <strong>COMPTES</strong> <strong>RENDUS</strong> 295<br />

Aus dem 37. Band (2003) der ‘Frühm ittelalterlichen Studien’ seien herausgegriffen<br />

: Bruno Reudenbach. Bild — Schrift — Ton. Bildfunktionen und Kommunikationsformen<br />

im ‘Speculum virginum’ (S. 25-45 ; Abb. 1-11). — Bernd Roling. Das<br />

Moderancia-Konzept des Johannes de Hauvilla. Zur Grundlegung einer neuen Ethik<br />

laikaler Lebensbewältigung im 12. Jahrhundert (S. 167-258). — Christoph Friedrich<br />

Weber. Schriftstücke in der symbolischen Kommunikation zwischen Bischof Johann<br />

von Venningen (1458-1478) und der Stadt Basel (S. 355-383 ; Abb. 38).<br />

Innerhalb von Band 31/1 (2004) der Zeitschrift ‘Francia, Forschungen zur westeuropäischen<br />

Geschichte’ sind sprachlich-textlich von besonderem Interesse : Hans<br />

Hummer. The identity of Ludouicus piissimus Augustus in the Prœfatio in librum<br />

antiquum lingua Saxonica conscriptum (S. 1-14). — Mireille Chazan. Les vies latines<br />

de saint Clément, premier évêque de Metz (S. 15-43). — Pascale Bourgain. Le poème<br />

sur Clovis attribué à saint Remi (S. 141-149). [inc. Dives opum, virtute potens clarusque<br />

triumpho (vgl. den Aufsatz von F. Staab, erwähnt ALMA 60, 2002, S. 284) : mit Edition<br />

und Übersetzung.] — Thierry Lesieur. Les gloses du manuscrit Clm 14137 : Othlon et<br />

la pensée dionysienne (S. 151-163).<br />

Universität Zürich<br />

Peter Stotz<br />

CRONACA DEGLI AVVENIMENTI ITALIANI : 2004-2005<br />

Tra i convegni e le iniziative culturali che hanno avuto luogo in Italia negli ultimi<br />

mesi del 2004 e lungo il corso del 2005 sono da ricordare :<br />

Arezzo (23-25 settembre 2004) : Alberti e la tradizione. Per uno « smontaggio » dei<br />

«m osaici» albertiani. Convegno intemazionale di studi organizzato dal Comitato<br />

Nazionale per il VI centenario della nascita di Leon Battista Alberti insieme con il<br />

Centro di studi sul Classicismo e la Fondazione Aretina di studi sul Classicismo di<br />

Arezzo.<br />

San Miniato (Pisa) (8-10 ottobre 2004) : La morte e i suoi riti in Italia tra Medioevo<br />

e prima Età moderna. X Convegno intemazionale di studi della Fondazione Centro studi<br />

sulla civiltà del Tardo medioevo di San Miniato.<br />

Tolentino (Macerata) (27-29 ottobre 2004) : Santità e società civile nel medioevo.<br />

Esperienze storiche della santità agostiniana. Convegno intemazionale di studio organizzato<br />

dal Comitato nazionale per la celebrazione del VII centenario della morte di San<br />

Nicola da Tolentino (1305-2005) in collaborazione con la SISMEL.<br />

Salerno (3-5 novembre 2004) : La Scuola medica salernitana. Gli autori e i testi.<br />

Convegno intemazionale organizzato dall’Università degli Studi di Salerno in collaborazione<br />

con l’École pratique des Hautes Études - IVe section, l’Université de Lausanne, la<br />

SISMEL e Micrologus, Natura, Scienza e Società medievali.<br />

Perugia (1-2 dicembre 2004) : Gregorio Magno e Veresia tra memoria e testimonianza.<br />

Convegno nazionale organizzato dal Dipartimento di studi paleocristiani<br />

tardoantichi e medievali dell’Università degli Studi di Perugia e dal Dipartimento di<br />

Studi storici dal Medioevo all’età contemporanea dell’Università degli Studi di Lecce<br />

con il patrocinio del Comitato Nazionale per le celebrazioni del XIV centenario della<br />

morte di Gregorio Magno.<br />

Roma (2-4 dicembre 2004) : Petrarca e Roma. Convegno di studi organizzato<br />

dall’Associazione Roma nel Rinascimento.

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