Massgeblichkeitsprinzip und Privatisierung - IFF - Universität St.Gallen
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10 Madeleine Simonek, <strong>Massgeblichkeitsprinzip</strong> <strong>und</strong> <strong>Privatisierung</strong><br />
schritten, im Rahmen einer vorsichtigen Bewertung aber<br />
unterschritten werden dürfen. Die steuerliche Gewinnermittlung<br />
hat dagegen zum Ziel, den tatsächlichen, der<br />
w irtschaftlichen Leistungsfähigkeit der steuerpflichtigen<br />
Person entsprechenden Gewinn festzustellen 54 . Der «will -<br />
kür liche» handelsrechtliche Gewinn muss deshalb im<br />
Hinblick auf diese Zielsetzung korrigiert werden.<br />
Die steuerrechtlichen Korrekturvorschriften können sich<br />
zugunsten wie zuungunsten der steuerpflichtigen Person<br />
auswirken 55 . Sie stützen sich vor allem auf zwei gr<strong>und</strong>legende<br />
Prinzipien des Gewinnsteuerrechts.<br />
– Das Totalgewinnprinzip besagt, dass ein Unternehmen<br />
während seiner ganzen Lebensdauer auf nicht mehr als<br />
seinem tatsächlich erwirtschafteten Gewinn <strong>St</strong>euern<br />
entrichten sollte 56 . Der Totalgewinn entspricht dabei<br />
der Differenz zwischen dem Schluss- <strong>und</strong> dem Anfangskapital<br />
eines Unternehmens, zuzüglich sämtlicher<br />
Kapitalentnahmen <strong>und</strong> abzüglich sämtlicher Kapitaleinlagen<br />
57 . Um ein Unternehmen auf seinem Totalgewinn<br />
erfassen zu können, müssen erfolgswirksam<br />
verbuchte Kapitalentnahmen <strong>und</strong> Kapitaleinlagen zum<br />
handelsrechtlichen Gewinn hinzugerechnet bzw. davon<br />
abgezogen werden.<br />
– Gemäss dem Periodizitätsprinzip entspricht der steuerbare<br />
Gewinn dem in der betreffenden <strong>St</strong>euerperiode tatsächlich<br />
erwirtschafteten Gewinn. Die Korrekturen, die dem<br />
Periodizitätsprinzip Rechnung tragen, haben zum Zweck,<br />
der unbegrenzten zeitlichen Verschiebung des Gewinnausweises<br />
einen Riegel vorzuschieben. Zu dieser Art<br />
von Korrekturvorschriften gehören vor allem die Bestimmungen<br />
über die steuerlich zulässigen Abschreibungen,<br />
Wertberichtigungen <strong>und</strong> Rückstellungen 58 .<br />
Dem Totalgewinnprinzip kommt aus Sicht des Leistungsfähigkeitsprinzips<br />
ein höherer <strong>St</strong>ellenwert zu als dem<br />
Periodizitätsprinzip. Mit dem Totalgewinnprinzip wird die<br />
Frage beantwortet, was überhaupt zum steuerbaren Gewinn<br />
eines Unternehmens gezählt werden darf. Das Periodizitäts -<br />
prinzip dient dazu, den Totalgewinn möglichst sachgerecht<br />
auf die einzelnen <strong>St</strong>euerperioden zu verteilen 59 .<br />
4.3.5.2.2 Zur Verbindlichkeit der Handelsbilanz<br />
im Besonderen<br />
Das <strong>Massgeblichkeitsprinzip</strong> führt nach Lehre <strong>und</strong> Praxis<br />
zu einer Verbindlichkeit der Handelsbilanz sowohl für die<br />
<strong>St</strong>euerbehörden wie auch für die steuerpflichtige Person 60 .<br />
Die <strong>St</strong>euerbehörden sind an eine handelsrechtskonforme<br />
Erfolgsrechnung geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> dürfen davon nur abweichen,<br />
wenn steuerrechtliche Korrekturvorschriften zur Anwendung<br />
kommen. Der <strong>St</strong>euerpflichtige kann namentlich<br />
nicht gezwungen werden, steuerlich einen höheren als den<br />
nach Handelsrecht maximal zulässigen Gewinn auszuweisen.<br />
Handelsrechtswidrige Ansätze sind im Gegenteil von<br />
den <strong>St</strong>euerbehörden zu korrigieren. Bei Aktivierungswahlrechten,<br />
die das Handelsrecht zur Verfügung stellt, sind die<br />
<strong>St</strong>euerbehörden an die in der Handelsbilanz getroffene<br />
Wahl geb<strong>und</strong>en 61 .<br />
Für die steuerpflichtige Person ist die Handelsbilanz<br />
gemäss Lehre <strong>und</strong> Praxis vor allem in zwei Fällen verbindlich.<br />
Erstens ist die steuerpflichtige Person an eine einmal<br />
an die <strong>St</strong>euerbehörden eingereichte Handelsbilanz geb<strong>und</strong>en;<br />
sie darf diese nicht beliebig wieder abändern <strong>und</strong> einen<br />
handelsrechtskonformen Ansatz aus steuerlichen Gründen<br />
durch einen anderen handelsrechtskonformen Ansatz ersetzen.<br />
Es gilt das Verbot von Bilanzänderungen 62 . Zweitens<br />
darf sie in ihrer <strong>St</strong>euererklärung gr<strong>und</strong>sätzlich keine<br />
Buchungen geltend machen, die nicht auch in der Handelsbilanz<br />
enthalten sind. So ist die steuerpflichtige Person bei<br />
Aktivierungswahlrechten an ihre handelsrechtliche Wahl<br />
geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> kann nicht für steuerliche Zwecke eine an -<br />
dere Wahl vornehmen 63 . Zudem gilt der Gr<strong>und</strong>satz der<br />
Buchmässigkeit von Abschreibungen, Rückstellungen <strong>und</strong><br />
Wertberichtigungen. Er besagt, dass steuerlich zulässige<br />
Abschreibungen, Rückstellungen <strong>und</strong> Wertberichtigungen<br />
bereits in der Handelsbilanz geltend gemacht werden müs-<br />
54 CAGIANUT/HÖHN § 4 N 163; GURTNER 47; REICH, Realisation, 40.<br />
55 REICH, <strong>St</strong>euerfolgen, 512; SPORI, Massgeblichkeit, 116.<br />
56 BRÜLISAUER/KUHN Art. 58 N 40; REICH, Realisation, 45. Vgl. auch<br />
PETER GURTNER, Die <strong>St</strong>euerbilanz als wirtschaftspolitisches Lenkungsinstrument<br />
– Würdigung der wehrsteuerlichen Erleichterungen<br />
zur Milderung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten,<br />
ASA 47 (1977/78) 561 ff., insb. 567.<br />
57 Das Totalgewinnprinzip wird im schweizerischen Gewinn -<br />
steuerrecht allerdings nicht konsequent befolgt <strong>und</strong> vor allem<br />
durch die befristete Verlustverrechnung <strong>und</strong> den fehlenden<br />
Verlustrücktrag durchbrochen. Vgl. dazu BERNHARD FELIX SCHÄ-<br />
RER, Verlustverrechnung von Kapitalgesellschaften im interkantonalen<br />
Doppelbesteuerungsrecht, Diss. Zürich 1997,<br />
insb. 37 ff., mit Nachweisen.<br />
58 BRÜLISAUER/KUHN Art. 58 N 41; REICH, Realisation, 45 f.<br />
59 BRÜLISAUER/KUHN Art. 58 N 42 (vgl. Bemerkung in Anm. 34, vorne).<br />
60 BEHNISCH 25 ff.; BLUMENSTEIN/LOCHER 239 f.; REICH, Realisation,<br />
41 f.<br />
61 Vgl. zum Ganzen u.a. BEHNISCH 25 f.; BLUMENSTEIN/LOCHER 239 f.;<br />
CAGIANUT/HÖHN § 4 N 55 ff.; REICH, Realisation, 41 f.; A. WE-<br />
BER 57. Zugunsten der <strong>St</strong>euerpflichtigen darf <strong>und</strong> muss die<br />
<strong>St</strong>euerbehörde jedoch nur bei offensichtlichen, ins Auge<br />
springenden Verstössen gegen zwingendes Handelsrecht von<br />
der eingereichten Handelsbilanz abweichen: VGE ZH 17. Dezember<br />
1997, <strong>St</strong>E 1998 B 72.11 Nr. 7. Eine Korrektur vorgenommen<br />
hat dagegen die <strong>St</strong>euerrekurskommission Bern im Entscheid<br />
vom 10. April 1990, <strong>St</strong>E 1991 B 72.12 Nr. 3.<br />
62 BLUMENSTEIN/LOCHER 239; CAGIANUT/HÖHN § 4 N 68; A. WE-<br />
BER 92 f.<br />
63 BEHNISCH 25.<br />
<strong>IFF</strong> Forum für <strong>St</strong>euerrecht 2002