Massgeblichkeitsprinzip und Privatisierung - IFF - Universität St.Gallen
Massgeblichkeitsprinzip und Privatisierung - IFF - Universität St.Gallen
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Madeleine Simonek, <strong>Massgeblichkeitsprinzip</strong> <strong>und</strong> <strong>Privatisierung</strong><br />
13<br />
kann dem Postulat der Einheit der Rechtsordnung nicht entnommen<br />
werden.<br />
Anders als die ESTV annimmt, ist die Errichtung einer<br />
<strong>St</strong>euerbilanz im Falle einer <strong>Privatisierung</strong> somit nicht einzig<br />
auf den Fall zu beschränken, wo das Privatrecht die Aktivierung<br />
der Einlage in der Handelsbilanz ausdrücklich<br />
untersagt. Eine Bindungswirkung muss immer dann wegfallen,<br />
wenn sie infolge der unterschiedlichen Zwecke der<br />
handelsrechtlichen <strong>und</strong> steuerlichen Gewinnermittlung zu<br />
unsachgemässen Resultaten führte. Bestehen sachliche<br />
Gründe, um im Falle einer <strong>Privatisierung</strong> auf eine Offenlegung<br />
stiller Reserven in der Handelsbilanz zu verzichten,<br />
sind diese von den <strong>St</strong>euerbehörden zu akzeptieren 82 .<br />
Dieses Resultat muss erst recht nach Inkrafttreten des Fu -<br />
sionsgesetzes gelten. Das Fusionsgesetz stellt mit dem Inventar<br />
ein Instrument zur Verfügung, das auch für steuer -<br />
liche Zwecke dienstbar gemacht werden kann. Anders als in<br />
der Botschaft des B<strong>und</strong>esrates ausgeführt, ist eine Offenlegung<br />
der stillen Reserven einzig im Inventar nach dem oben<br />
Ausgeführten nicht nur dann zuzulassen, wenn eine Aufwertung<br />
in der Handelsbilanz untersagt ist, sondern immer<br />
dann, wenn die Handelsbilanz aus sachlichen Gründen eine<br />
andere Ausgestaltung erfahren hat.<br />
Schliesslich bleibt die Frage zu beantworten, ob eine steuer -<br />
liche Offenlegung verdeckter Kapitaleinlagen auch erst<br />
nachträglich, namentlich im Zeitpunkt des Verkaufs eines<br />
eingebrachten Gutes, geltend gemacht werden kann. Eine<br />
verdeckte Kapitaleinlage ändert ihren Charakter durch den<br />
Zeitablauf nicht. Die Mittel, die einem Unternehmen durch<br />
eine verdeckte Kapitaleinlage zur Verfügung gestellt werden,<br />
behalten für das Unternehmen den Charakter von nicht<br />
selber erwirtschafteten Zugängen. Aus Sicht des Leistungsfähigkeitsprinzips<br />
müssten verdeckte Kapitaleinlagen somit<br />
jederzeit steuerlich erfolgsneutral offengelegt werden<br />
können. Mit zunehmendem Zeitablauf kommt allerdings<br />
dem Praktikabilitätsaspekt, der auch bei dieser Frage mit<br />
dem Leistungsfähigkeitsprinzip in Konflikt steht, eine<br />
grössere Bedeutung zu. Eine beliebige Nachführung verdeckter<br />
Kapitaleinlagen zu einem späteren Zeitpunkt ist<br />
deshalb abzulehnen. Anders stellt sich die Situation dar,<br />
wenn das Unternehmen nach relativ kurzer Zeit feststellt,<br />
dass die von ihm im Zeitpunkt der <strong>Privatisierung</strong> vorgenommene<br />
Bewertung des Unternehmens mangelhaft war<br />
82 Der rechtsgenügliche Beweis für von der Handelsbilanz abweichende<br />
tatsächliche Werte muss als steuermindernder Faktor<br />
vom <strong>St</strong>euerpflichtigen erbracht werden. Der Einwand der<br />
ESTV, dass nur die handelsrechtliche Eröffnungsbilanz von einer<br />
besonders befähigten Revisorin oder einem besonders befähigten<br />
Revisor geprüft werde <strong>und</strong> die <strong>St</strong>euerbehörde deshalb<br />
nicht die Möglichkeit habe, in der <strong>St</strong>euerbilanz geltend<br />
gemachte höhere Übernahmewerte zu kontrollieren, ist deshalb<br />
nicht stichhaltig.<br />
<strong>und</strong> dadurch ohne Wissen <strong>und</strong> Willen zu niedrige Werte ermittelt<br />
wurden. In diesem Fall sollte es dem Unternehmen<br />
gestattet werden, die verdeckte Kapitaleinlage in der<br />
<strong>St</strong>euerbilanz offenzulegen, vorausgesetzt, die Offenlegung<br />
wird unmittelbar nach Entdeckung der mangelhaften Bewertung<br />
gegenüber den <strong>St</strong>euerbehörden geltend gemacht.<br />
Die Beweislast für den Nachweis, dass die Verkehrswerte<br />
im Zeitpunkt der <strong>Privatisierung</strong> tatsächlich höher waren,<br />
liegt auch in diesem Fall selbstredend bei der steuerpflichtigen<br />
Person.<br />
5 Fazit<br />
Das <strong>Massgeblichkeitsprinzip</strong> ist kein absoluter Gr<strong>und</strong>satz;<br />
es kann nur unter Berücksichtigung des verfassungsrecht -<br />
lichen Gesamtrahmens zum Tragen kommen. Keine Anwendung<br />
kann es dann finden, wenn es zu offensichtlich<br />
verfassungswidrigen Beteuerungen führt. Eine solche<br />
Situation liegt bei verdeckten Kapitaleinlagen, die aus einem<br />
steuerfreien Raum kommen, in aller Regel vor. Ihre<br />
Besteuerung ist mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip nicht<br />
vereinbar. Dem steht der Gr<strong>und</strong>satz der Verbindlichkeit der<br />
Handelsbilanz für die steuerpflichtige Person nicht entgegen.<br />
Dieser hat zurückzutreten, wenn die steuerpflichtige<br />
Person aus sachlichen Gründen in der Handelsbilanz andere<br />
Ansätze wählt <strong>und</strong> dem Wechsel im <strong>St</strong>euerstatus wegen<br />
der divergierenden steuerrechtlichen <strong>und</strong> handelsrecht -<br />
lichen Interessen nicht Rechnung tragen kann. Mit einem<br />
strikten Festhalten an der Bindungswirkung des <strong>Massgeblichkeitsprinzip</strong>s<br />
würde diesem Gr<strong>und</strong>satz ansonsten eine –<br />
absolute – Bedeutung zugemessen, die ihm nicht zukommt.<br />
Literatur <strong>und</strong> Materialien<br />
AGNER PETER/JUNG BEAT/STEINMANN GOTTHARD, Kommentar<br />
zum Gesetz über die direkte B<strong>und</strong>essteuer,<br />
Zürich 1995<br />
BEHNISCH URS, Zur Massgeblichkeit der Handelsbilanz für<br />
die <strong>St</strong>euerbilanz, in: Roland von Büren (Hrsg.), Ak -<br />
tienrecht 1992 – 1997, Versuch einer Bilanz, FS für<br />
Rolf Bär, Bern 1998, 21 ff.<br />
BENZ<br />
ROLF, Handelsrechtliche <strong>und</strong> steuerrechtliche<br />
Gr<strong>und</strong>sätze ordnungsmässiger Bilanzierung, Diss.<br />
Zürich 2000 (Schriften zum <strong>St</strong>euerrecht, Heft 2)<br />
BLUMENSTEIN ERNST/LOCHER PETER, System des <strong>St</strong>euerrechts,<br />
5. Auflage, Zürich 1995<br />
BÖCKLI PETER, Schweizer Aktienrecht, 2. Auflage, Zürich<br />
1996 (zit.: Aktienrecht)<br />
<strong>IFF</strong> Forum für <strong>St</strong>euerrecht 2002