Massgeblichkeitsprinzip und Privatisierung - IFF - Universität St.Gallen
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48 Jonas Misteli, Effektenhandel an ausländischen Börsen<br />
dass der Geltungsbereich von Art. 19 Abs. 1 <strong>St</strong>G auf Geschäfte<br />
mit inländischen Titeln ausgedehnt worden wäre.<br />
Mit einer solchen Ausdehnung wäre jedoch mehr als der allgemein<br />
anerkannte Nachteil schweizerischer virt-x-Mitglieder<br />
beseitigt worden, indem davon auch Effektenhändler<br />
ohne Mitgliedschaft bei der virt-x profitiert hätten, weil<br />
Art. 19 Abs. 1 <strong>St</strong>G nicht an den ausländischen Börsenhandel<br />
anknüpft.<br />
Der B<strong>und</strong>esrat <strong>und</strong> auch das Parlament haben sich denn<br />
auch nicht für eine solche Ergänzung von Art. 19 Abs. 1 <strong>St</strong>G<br />
ausgesprochen, sondern – offenbar in enger Anlehnung an<br />
den (nicht-öffentlichen) Bericht einer vom Chef des Eidg.<br />
Finanzdepartements eingesetzten gemischten Arbeitsgruppe<br />
«Revision der Umsatzabgabe» 20 – die Entlastung von<br />
der Mitgliedschaft bei einer ausländischen Börse abhängig<br />
gemacht <strong>und</strong> mit dem dBG 2000 neu einen dritten<br />
Absatz zu Art. 19 <strong>St</strong>G eingeführt:<br />
«Ist ein inländischer Effektenhändler Mitglied einer<br />
ausländischen Börse, so entfällt bei über diese Börse<br />
gehandelten Titeln die die Gegenpartei betreffende<br />
halbe Abgabe.»<br />
Damit ist gemäss Botschaft des B<strong>und</strong>esrates zum<br />
dBG 2000 die Ausnahme «auf das Nötigste eingeschränkt»<br />
worden, indem sie nur dann wirkt, wenn der betroffene inländische<br />
Effektenhändler tatsächlich auch selber Mitglied<br />
der ausländischen Börse ist 21 .<br />
3 Tatbestand<br />
Die in Art. 19 Abs. 3 <strong>St</strong>G verankerte Befreiungsnorm setzt<br />
nach ihrem Wortlaut die kumulative Erfüllung der beiden<br />
folgenden Tatbestandselemente voraus:<br />
– Ein gr<strong>und</strong>sätzlich abgabepflichtiger inländischer Effektenhändler<br />
muss Mitglied einer ausländischen Börse<br />
sein; <strong>und</strong><br />
– die gr<strong>und</strong>sätzlich steuerbaren Titel müssen über diese<br />
ausländische Börse gehandelt werden.<br />
Nur wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, d.h.<br />
nur soweit ein inländischer Effektenhändler als Mitglied<br />
einer ausländischen Börse steuerbare Wertschriften über<br />
diese ausländische Börse handelt, tritt die Rechtsfolge,<br />
nämlich die Befreiung von der für die Gegenpartei geschuldeten<br />
Umsatzabgabe 22 , ein.<br />
3.1 Mitgliedschaft eines inländischen<br />
Effektenhändlers bei einer aus -<br />
ländischen Börse<br />
3.1.1 Mitgliedschaft bei einer ausländischen<br />
Börse<br />
Das Mitgliedschaftsverhältnis einer Bank oder eines<br />
Brokers bei einer ausländischen Börse ist regelmässig in<br />
den internen Vorschriften der jeweiligen ausländischen<br />
Börse geregelt. Bei der virt-x sind die Voraussetzungen<br />
einer Mitgliedschaft <strong>und</strong> das entsprechende Zulassungsverfahren<br />
in den virt-x rules definiert 23 . Schweizerische<br />
Effektenhändler, welche im Rahmen dieses Zulassungsverfahrens<br />
als Mitglied der virt-x aufgenommen wurden,<br />
fallen gr<strong>und</strong>sätzlich in den Geltungsbereich von Art. 19<br />
Abs. 3 <strong>St</strong>G. Dabei steht der Umstand, dass die meisten inländischen<br />
virt-x-Mitglieder zugleich auch Mitglieder der<br />
SWX sind, einer Inanspruchnahme von Art.19 Abs. 3 <strong>St</strong>G<br />
nicht entgegen. Ein inländisches Mitglied einer ausländischen<br />
Börse kann zugleich auch Mitglied einer inländischen<br />
Börse sein, ohne von der Befreiungsnorm per se ausgeschlossen<br />
zu sein.<br />
Obschon Art.19 Abs. 3 <strong>St</strong>G speziell im Hinblick auf die Inbetriebnahme<br />
von virt-x erlassen wurde, ist der Geltungsbereich<br />
dieser Bestimmung nicht auf Transaktionen über<br />
die virt-x beschränkt, sondern erfasst auch inländische Mitglieder<br />
anderer ausländischer Börsen, wie beispielsweise<br />
der belgischen Nasdaq Europe (EASDAQ), an der per Ende<br />
November 2001 ebenfalls zwei in der Schweiz domizilierte<br />
Institute als Remote Members angeschlossen sind 24 .<br />
Der in Art. 19 Abs. 3 <strong>St</strong>G verwendete Begriff der «ausländischen<br />
Börse» wird weder im Gesetz noch in der aktuellen<br />
Wegleitung zur Umsatzabgabe näher definiert. Insbeson -<br />
dere wird nicht ausdrücklich vorausgesetzt, dass es sich um<br />
eine im jeweiligen ausländischen <strong>St</strong>aat als eigentliche Börse<br />
anerkannte Einrichtung handeln muss. Weil die Grenze<br />
zwischen Börsenhandel <strong>und</strong> Over-the-Counter-Handel infolge<br />
des Einflusses der modernen Informationstechnologie<br />
weder rechtlich noch funktional scharf gezogen werden<br />
kann 25 , sollte nach der hier vertretenen Auffassung die<br />
Bedeutung des Begriffs «ausländische Börse» in Art. 19<br />
Abs. 3 <strong>St</strong>G durch eine vom Zweck dieser Bestimmung ausgehende,<br />
wirtschaftliche Betrachtungsweise 26 ermittelt<br />
wer den. Demnach ist davon auszugehen, dass es sich bei<br />
einer «ausländischen Börse» mindestens um eine im<br />
20 Zur Zusammensetzung <strong>und</strong> zur genauen Aufgabe dieser Arbeitsgruppe<br />
vgl. Botschaft zum dBG 2000, 5842 f.<br />
21 Botschaft zum dBG 2000, 5851.<br />
22 Zur Rechtsfolge vgl. Ziff. 4.<br />
23 virt-x rules sec.1. Bisherige SWX-Teilnehmer werden demnach<br />
unter vereinfachten Voraussetzungen als Mitglieder der virt-x<br />
zugelassen. Für alle weiteren interessierten Effektenhändler<br />
gilt das ordentliche Zulassungsverfahren.<br />
24 Vgl. www.easdaq.com.<br />
25 Vgl. dazu eingehend GIGER (1998) 8 ff.<br />
26 Zur wirtschaftlichen Betrachtungsweise im Bereich der <strong>St</strong>empel -<br />
abgaben vgl. etwa STOCKAR (2000) 20.<br />
<strong>IFF</strong> Forum für <strong>St</strong>euerrecht 2002