Massgeblichkeitsprinzip und Privatisierung - IFF - Universität St.Gallen
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46 Jonas Misteli, Effektenhandel an ausländischen Börsen<br />
Effektenhändler sowie die gleichzeitig eingeführte Befreiung<br />
bestimmter Investorengruppen von der Umsatzabgabe<br />
8 . Die anderen im Dringlichkeitsverfahren vor -<br />
genommenen Änderungen sind weitestgehend unbestritten.<br />
Dies trifft namentlich auch auf die ebenfalls mit dem<br />
dBG 2000 in Art. 19 Abs. 3 <strong>St</strong>G normierte Befreiung des<br />
Handels mit steuerbaren Urk<strong>und</strong>en an ausländischen Börsen<br />
zu. Der B<strong>und</strong>esrat hat in seiner Botschaft zum <strong>St</strong>euerpaket<br />
2001 vorgeschlagen, diese Massnahme unverändert<br />
in ordentliches Recht zu übernehmen 9 . Der Nationalrat ist<br />
diesem Vorschlag als Erstrat ohne Gegenstimmen gefolgt,<br />
<strong>und</strong> es kann nach dem jetzigen <strong>St</strong>and der Dinge davon<br />
ausgegangen werden, dass sich auch der <strong>St</strong>änderat<br />
ohne weiteres für eine unveränderte Überführung von<br />
Art. 19 Abs. 3 <strong>St</strong>G in ordentliches Recht aussprechen wird.<br />
Dieses Eintreten des B<strong>und</strong>esrates <strong>und</strong> auch des Parlaments<br />
für eine Übernahme des in Art. 19 Abs. 3 <strong>St</strong>G eingeführten<br />
Dringlichkeitsrechts erweckt den Anschein, als hätte der<br />
Gesetzgeber bereits beim Erlass des dBG 2000 quasi «optimales»<br />
Recht gesetzt. In diesem Beitrag wird aufgezeigt,<br />
dass dieser Anschein teilweise zu Unrecht erweckt wird. In<br />
der geltenden Fassung von Art. 19 Abs. 3 <strong>St</strong>G weist die Befreiungsnorm<br />
nämlich erhebliche gesetzessystematische<br />
Mängel auf, beinhaltet (in Bezug auf einen konkreten Sachverhalt)<br />
wohl ein gesetzgeberisches Versehen <strong>und</strong> erfüllt<br />
schliesslich den ihr – zumindest nach Auffassung der ESTV<br />
<strong>und</strong> der virt-x-Mitglieder – zugedachten Zweck nur bei einer<br />
den Wortlaut <strong>und</strong> auch den Rechtsgleichheitsgr<strong>und</strong>satz<br />
strapazierenden Auslegung.<br />
Das laufende Gesetzgebungsverfahren sollte dazu genutzt<br />
werden, diese gravierenden Mängel <strong>und</strong> die damit einhergehende<br />
Rechtsunsicherheit im Zusammenhang mit der<br />
Anwendung der Bestimmung zu beseitigen <strong>und</strong> damit das<br />
schweizerische Umsatzabgaberecht ein <strong>St</strong>ück weit besser<br />
auf mögliche technische <strong>und</strong> strukturelle Fortentwicklungen<br />
der Kapitalmärkte vorzubereiten.<br />
2 Entstehungsgeschichte<br />
2.1 Hintergr<strong>und</strong><br />
Am 25. Juni 2001 hat die Londoner Börse virt-x ihren Betrieb<br />
aufgenommen. virt-x ist eine dem englischen Finanzmarktrecht<br />
unterstellte elektronische Handelsplattform, die<br />
von der in Grossbritannien ansässigen Gesellschaft virt-x<br />
Exchange Ltd. betrieben wird. Die Handelsplattform ist aus<br />
einer Zusammenarbeit zwischen der Swiss Exchange<br />
(SWX) <strong>und</strong> der Tradepoint Financial Networks Plc. (TFN)<br />
entstanden, im Rahmen derer die zuvor von TFN unter dem<br />
Namen «Tradepoint» betriebene elektronische Börse in<br />
«virt-x» umbenannt wurde. virt-x führt den regulatorischen<br />
<strong>St</strong>atus von Tradepoint als sog. Recognised Investment<br />
Exchange im Sinne des britischen Financial Services Act<br />
weiter.<br />
Die SWX ist an der die virt-x betreibenden Gesellschaft indirekt<br />
über eine Holding-Gesellschaft mit 38,9 % massgeblich<br />
beteiligt, betreibt in deren Auftrag die elektronische<br />
Handelsplattform <strong>und</strong> tritt als Software-Entwicklerin <strong>und</strong><br />
-Lieferantin auf 10 . Im Gegenzug hat sich die SWX dazu<br />
verpflichtet, den bisher über die SWX betriebenen Handel<br />
mit SMI-Titeln 11 vollumfänglich auf die virt-x zu<br />
übertragen. Seit der Inbetriebnahme von virt-x können<br />
deshalb schweizerische Blue Chips – zusammen mit den<br />
wichtigsten europäischen Aktien 12 – nicht mehr über die<br />
SWX, sondern nur noch über die virt-x <strong>und</strong> z.T. noch<br />
über andere ausländische Börsen (z.B. London <strong>St</strong>ock<br />
Exchange [LSE], New York <strong>St</strong>ock Exchange [NYSE]<br />
etc.) gekauft <strong>und</strong> verkauft werden. Der Handel am<br />
«Heimmarkt» der SWX beschränkt sich seit der Inbetriebnahme<br />
der virt-x auf mittlere <strong>und</strong> kleinere schweizerische<br />
Werte («mid» <strong>und</strong> «small caps») <strong>und</strong> auf gewisse<br />
ausländische Titel.<br />
Die virt-x ist in erster Linie darauf ausgerichtet, Angebot<br />
<strong>und</strong> Nachfrage an bzw. nach Wertschriften zusammenzubringen.<br />
Der Handel erfolgt dabei ausschliesslich über die<br />
an das Börsensystem angeschlossenen, in verschiedenen<br />
<strong>St</strong>aaten ansässigen Börsenmitglieder, welche ent weder<br />
für den Eigenbestand oder im Auftrag eines K<strong>und</strong>en Wertschriften<br />
kaufen bzw. verkaufen. Bis Ende November<br />
2001 hat die virt-x insgesamt 112 Banken <strong>und</strong> Broker aus<br />
8 verschiedenen Ländern als Mitglieder aufgenommen,<br />
davon 64 mit Domizil in der Schweiz 13 .<br />
Hinsichtlich der Art <strong>und</strong> Weise des Zustandekommens<br />
der Abschlüsse wird – wie im System der SWX – zwischen<br />
einem börslichen (Order Book Transactions) <strong>und</strong><br />
einem ausserbörslichen Handel (Off-Order Book Trans -<br />
actions) unterschieden:<br />
Im börslichen Handel werden Angebot <strong>und</strong> Nachfrage<br />
nach einer bestimmten Wertschriftengattung von den<br />
Börsenmitgliedern in ein elektronisches Handelsbuch<br />
(sog. Order Book) eingegeben <strong>und</strong> von einem Rechner<br />
nach genau definierten Regeln zusammengeführt (sog.<br />
8 Vgl. etwa WALSER (2001).<br />
9 Botschaft zum <strong>St</strong>euerpaket 2001, 3112.<br />
10 Vgl. SWX-Rahmenbedingungen Rn 1 f.<br />
11 Eine Liste der im Swiss Market Index (SMI) zusammengefass -<br />
ten Titel findet sich auf der Homepage der SWX, www.swx.ch.<br />
12 FTSE Eurotop 300, Dow Jones STOXX, S&P Europe 350, MSCI<br />
Euro & Pan Euro, CAC 40, DAX 30, MIB 30 and AEX.<br />
13 Vgl. www.virtx.co.uk.<br />
<strong>IFF</strong> Forum für <strong>St</strong>euerrecht 2002