Massgeblichkeitsprinzip und Privatisierung - IFF - Universität St.Gallen

50 Jonas Misteli, Effektenhandel an ausländischen Börsen
geber nicht dazu durchringen können, bleibt zu hoffen, dass
die ESTV ihre oben genannte Praxis – vor dem Hintergrund
der hier aufgezeigten Schlechterstellung – überdenkt und
in Zukunft bei der Anwendung von Art. 13 Abs. 3 lit. e StG
darauf abstellt, wo der Handel mit inländischen Titeln im
konkreten Fall effektiv zustande kommt.
3.2 Handel über eine ausländische Börse
3.2.1 Börsliche und ausserbörsliche Geschäfte
Die in Art. 19 Abs. 3 StG vorgesehene Befreiung von der
Umsatzabgabe knüpft an den «Handel über die ausländische
Börse» an. Gemäss geltender Praxis liegt ein solcher
Handel nicht nur bei den über das eigentliche Börsensys -
tem 34 zustande gekommenen börslichen Abschlüssen vor,
sondern auch bei ausserbörslichen Vermittlungen und
Selbsteintritten, sofern diese «nach den Börsenregeln
rapportiert werden» 35 . Entscheidend für die Frage, ob eine
in den sachlichen Geltungsbereich von Art. 19 Abs.3
StG fallende ausserbörsliche Transaktion vorliegt, ist somit
die Rapportierung nach den jeweiligen Börsenregeln. Mit
Bezug auf den Handel über die virt-x muss es sich dementsprechend
um eine gemäss virt-x rules sec. 3.1 ff. der virt-x
gemeldete «off-order book transaction» handeln 36 .
Dass für eine solche ausserbörsliche Transaktion mit an
der ausländischen Börse gehandelten Titeln u.U. gleichzeitig
auch aufgrund des schweizerischen Kapitalmarktrechts
eine Rapportierungspflicht gegenüber einer schwei -
zerischen Börse besteht 37 , schliesst die Anwendung von
Art. 19 Abs. 3 StG nach geltender Praxis nicht aus.
Ebenfalls unbeachtlich ist, ob das inländische Börsenmitglied
in die ausserbörsliche Transaktion über die ausländische
Börse selbst eintritt oder ob es lediglich als Vermittler
agiert. Beide Konstellationen fallen nach geltender Praxis
in den Geltungsbereich von Art. 19 Abs. 3 StG, sofern das
jeweilige Geschäft der ausländischen Börse gemeldet wird.
3.2.2 Handel mit in- und ausländischen Titeln
Im Unterschied zu Art. 19 Abs. 1 StG, der sich auf Trans -
aktionen mit ausländischen Titeln bezieht, beschränkt sich
Art. 19 Abs. 3 StG nicht auf in- oder ausländische Wertschriften,
sondern erfasst generell den Handel (mit in- und
ausländischen Titeln) über ausländische Börsen. Der sachliche
Geltungsbereich der Bestimmung überschneidet sich
deshalb im Bereich der Geschäfte mit ausländischen Titeln
an ausländischen Börsen mit demjenigen von Art. 19 Abs.1
StG. Anders formuliert, fällt ein Geschäft mit ausländischen
Titeln über eine ausländische Börse zwischen einem
inländischen Effektenhändler (als Mitglied der ausländischen
Börse) und einer ausländischen Bank bzw. einem
ausländischen Börsenagenten sowohl in den Geltungsbereich
von Art. 19 Abs. 1 StG als auch in denjenigen von
Art. 19 Abs. 3 StG.
Art.19I
Handel mit ausländischen Titeln
über eine ausländische Börse mit
Beteiligung eines inländischen
Effektenhändlers als Mitglied der
ausländischen Börse und mit einer
ausländischen Bank/Börsenagent/
Central Counterparty als Vertragsbzw.
Gegenpartei
Art.19III
Kauft beispielsweise eine inländische Bank als virt-x-Mitglied
über die virt-x ausländische Aktien und steht der inländischen
Bank als Verkäuferin eine ausländische Gegenpartei
(in Phase 1: ein ausländisches virt-x-Mitglied; in
Phase 2: LCH) gegenüber, kommen sowohl Abs. 1 als
auch Abs. 3 von Art. 19 StG zur Anwendung.
Eine solche Überschneidung von zwei unterschiedlich motivierten
und strukturierten Befreiungsnormen, etwa nach
dem Motto «Doppelt genäht hält besser», sollte m.E. aus
gesetzessystematischen Gründen und insbesondere auch
zwecks Wahrung der Übersichtlichkeit vermieden werden.
Dies könnte – sofern dem Begriff der «Gegenpartei» in
Art. 19 Abs. 3 StG auch in Zukunft die nachfolgend dargestellte,
weite Bedeutung beigemessen wird 38 – relativ einfach
dadurch erzielt werden, dass Art. 19 Abs. 3 StG auf
Transaktionen mit inländischen Titeln eingeschränkt wird.
In diesem Fall käme bei Transaktionen mit ausländischen
Wertschriften (über eine ausländische Börse) Art. 19 Abs.1
StG und bei Transaktionen mit inländischen Titeln über eine
ausländische Börse ausschliesslich Art. 19 Abs. 3 StG
zur Anwendung.
34 Bei elektronischen Börsen (wie etwa der virt-x) über das Order
Book, bei traditionellen Börsen über den Parketthandel.
35 ESTV-Wegleitung 2001 Rn 70.
36 Vgl. ESTV-Wegleitung 2001 Rn 70; ESTV-Informationsschreiben
2001.
37 Wie dies insbesondere bei ausserbörslichen Transaktionen
von SMI-Titeln über die virt-x der Fall ist: Sind SMI-Titel Gegenstand
von «off-order book transactions» über die virt-x und
ist daran ein schweizerisches virt-x-Mitglied beteiligt, sind diese
Transaktionen nach geltendem Recht grundsätzlich sowohl
der SWX als auch der virt-x zu melden. Gemäss EBK kann jedoch
mit dem formell richtigen Reporting an die virt-x gleichzeitig
auch die Meldepflicht gegenüber der SWX erfüllt werden;
vgl. EBK-Mitteilung 18/2001 und darauf verweisend SWX-
Rahmenbedingungen Rn 14 ff.
IFF Forum für Steuerrecht 2002