23.01.2014 Aufrufe

Heft 1 (2013) - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV

Heft 1 (2013) - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV

Heft 1 (2013) - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

PROSA<br />

aufs flache Land. Genauso fühlte ich mich. Und<br />

der Dienstalltag begann wieder in mir zu fressen,<br />

besonders das innerdienstliche Hick-Hack.<br />

Mit dem Geld, das Fritz mir zugesteckt hatte,<br />

fuhr ich vier Wochen später samt Familie nach<br />

Cannes, genau gesagt in den chemin de l’Olivet,<br />

wo wir im vierten Stock eines Hochhauses<br />

die Zweitwohnung einerBekannten angemietet<br />

hatten. In mir brodelte es. Kaum zu Hause setzte<br />

ich mich an die Schreibmaschine und begann<br />

sie zu traktieren. Meine Arbeit in Frankreich<br />

stellte ich meinem Dienstalltag gegenüber, mein<br />

Ferienpatron meinem Dienststellenleiter. Geh‘<br />

und komme, was da mag! Drei Monate später<br />

war mein Werk abgeschlossen, ein dreiviertel<br />

Jahr später veröffentlicht. Es war literarisch<br />

gesehen kein großes Werk, aber plötzlich genoss<br />

ich eine besondere Art Narrenfreiheit. Finanziell<br />

hatte sich der Aufwand nicht gelohnt. Aber es<br />

hatte mir den Druck genommen und anderen<br />

seelisch-moralischen Auftrieb vermittelt. Und<br />

Jean-Marie?<br />

Sommer 1996. Zehn Jahre waren vergangen, seit<br />

wir letztmalig zusammengearbeitet hatten. Wir<br />

hatten damals in Straßburg Fußgängerüberwege<br />

markiert. Er überraschte mich zu Hause, als ich<br />

mit der Innenausstattung eines Anbaus beschäftigt<br />

war. „Ich hab‘ nur fünf Minuten Zeit.“ Dann erfuhr<br />

ich, dass er jetzt auf Martinique lebt, und dass es<br />

ihm sehr gut gehe. Er sah auch gut aus. Minuten<br />

später war er verschwunden. Den Regenschirm<br />

ließ er zurück...<br />

Ein halbes Jahr später läutete um Drei in der<br />

Nacht das Telefon. Meine Frau nahm den Hörer<br />

ab, lauschte erste Worte und reichte mir dann den<br />

Hörer: „Nimm du. Ein Besoffener.“<br />

„Hallo Peter! Geht’s dir gut?“ Es war Jean-<br />

Marie. Er lachte und schien leicht beschwipst.<br />

„Wo steckst du denn?“ „An der Bar… Willst du<br />

nicht mitsaufen?“ „Dann sag‘ mir endlich, wo du<br />

steckst!“ Er lachte. „Du kennst Fort-de-France?“<br />

„Bist du denn wahnsinnig. Weißt du überhaupt<br />

wie spät es ist?“ Er wusste es. Er wusste auch,<br />

dass ich mich freute, nochmals seine Stimme zu<br />

hören. Sogar um diese Zeit. Zwei Jahre später.<br />

Einen Roten Tropfen im Glas saß ich vor „Chez<br />

Alex“ in der rue Louis Pasteur. Der Kellner<br />

begann Sonnenschirme einzuholen und Stühle<br />

zusammenzustellen. Dunkle Wolken zogen über<br />

Sarreguemines zusammen und kündigten einen<br />

Gewitterregen an. Aufmerksam folgte ich dem<br />

Treiben. Wind blies vom Himmelsberg und fegte<br />

Staub über den Trottoirs. Plötzlich sah ich ihn.<br />

Den Rucksack auf dem Rücken, das lichte Haar<br />

leicht ergraut, von einem Jungen und einer Frau<br />

begleitet. Das konnte nicht wahr sein! Während<br />

er sprach fiel sein Blick auf mich. Ein freudiges<br />

Grinsen überzog sein Gesicht. Ich sprang von<br />

meinem Stuhl ihm entgegen. Wir umarmten uns,<br />

musterten uns von Kopf bis Fuß und lachten.<br />

Graue Hunde waren wir geworden. „Quelle<br />

surprise!?!<br />

Er fand die ersten Worte. Danach ging es schnell.<br />

Die Frau sei seine Schwester, der Junge deren<br />

Sohn. Er lebe immer noch auf Martinique. Es<br />

gehe ihm gut und morgen fliege er ab Paris<br />

zurück. Gleich seien die Geschäfte zu, und er<br />

müsse noch einkaufen. „Au revoir!“<br />

Sekunden später schluckte ihn die Fußgängerzone.<br />

„Schade!“ dachte ich. Wenig später fuhr ich<br />

nach Hause. Es regnete, blitzte und donnerte.<br />

Ich goss mir einen Chiroubles ins Glas! Und an<br />

der Garderobe hing immer noch Jean-Maries<br />

Regenschirm…<br />

Wolfgang Seekamp, Achim<br />

Postkarte aus dem Paradies -<br />

eine Frühlingsgeschichte<br />

Draußen ist der Schnee fast weggeschmolzen, es<br />

ist milder geworden und mir kommt es mit einem<br />

Mal tatsächlich schon ein wenig frühlingshaft<br />

vor. Und zumindest denke ich wohl nicht alleine<br />

so, sicherlich empfinden es andere so wohl auch,<br />

wie z.B. die putzigen und niedlichen Singvögel<br />

hinter meinem Fenster, ihr Singen und Piepen<br />

hört sich mit einem Mal wesentlich intensiver<br />

und nicht mehr so zaghaft an wie vorher. Es<br />

sind die ersten vorsichtigen Versuche unseres<br />

norddeutschen Frühlingszauderers, sich ein wenig<br />

in Erinnerung zu bringen. Manchmal habe<br />

ich aber schon oft gedacht, warum der Frühling<br />

nur bei uns am Anfang des Jahres immer so<br />

seltsam schüchtern ist, soll er sich doch mal<br />

Verstärkung holen, z.B. bei Herrn ‚Printemps’<br />

aus Frankreich oder bei dem altehrwürdigen ‚Sir<br />

IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2013</strong>) Seite 10

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!