Heft 1 (2013) - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV
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PROSA<br />
wollte alles anders machen – das hatte sie ihm<br />
bereits mehrmals versprochen. – Der Geist ist<br />
willig – aber würde er ihr noch einmal glauben?<br />
Sie wollte ihn nicht verlieren. Sie wollte mit<br />
ihm gemeinsam den letzten Lebensabschnitt<br />
verbringen. Wie würde er reagieren, wenn sie<br />
zusammentreffen würden?<br />
Das Gespann hielt vor dem Gasthaus. Sie war auf<br />
dem Bock neben Fiete mitgefahren. Es war eine<br />
erlebnisreiche Zeit gewesen. Sie hatte das flache<br />
Land, das sie nicht ausstehen konnte, weil es für<br />
sie so langweilig erschien, lieben gelernt. Sie<br />
hatte Zeit zum Nachdenken gehabt, konnte mit<br />
sich und ihren Vorstellungen ins Reine kommen.<br />
Franz Preitler, Graz<br />
Gewalt ist keine Lösung. Oder:<br />
„ohne Gewalt ist auch keine<br />
Lösung…“<br />
„Hatten sie zuvor schon öfters Gewaltausbrüche?“,<br />
schreit der Richter am Straflandesgericht in Graz<br />
den vor ihm sitzenden Mann, einen hageren<br />
Typen, an. Dieser weiß in seiner Angst nicht,<br />
wie ihm dabei geschieht. Er zuckt gewaltig<br />
zusammen und starrt verloren auf den Boden.<br />
„Wie jetzt?“, zischt der Richter mit gewaltiger<br />
Stimme, fast zu laut und wirft dem Mann einen<br />
bösartigen Blick zu, sodass sich dieser der<br />
ausweglosen Situation bewusst wird und mit aller<br />
Kraft aufrafft und zaghaft zu sprechen beginnt.<br />
„Ja, vielleicht als Kind. Meine Mutter hat mir<br />
hin und wieder erzählt, dass ich als Kind sehr<br />
jähzornig, sogar gewalttätig sein konnte!“<br />
„Wie hat sich das ausgewirkt?“, hakt der Richter<br />
nach. Ein gewaltiges Raunen geht durch den<br />
Raum. Die Leute warten gespannt, was der<br />
Angeklagte zu sagen hat. Dieser beginnt zu<br />
stottern:<br />
„Wenn…wenn etwas nicht nach meinem Kopf<br />
ging, habe ich getobt und geschrien und alles<br />
Mögliche, was mir unterkommen ist mit Gewalt<br />
gegen die Wand geworfen!“<br />
„Wie hat ihre Mutter darauf reagiert?“, will der<br />
Richter schonungslos in Erfahrung bringen.<br />
„Gewaltsam! Sie hat mich geschlagen und in<br />
mein Zimmer gesperrt, bis ich mich beruhigt<br />
habe!“<br />
„Es war Rache!“, hört man aus der Menge. Eine<br />
Frau ruft laut: „Der Mörder muss hinter Gitter!“,<br />
ein Anderer: „Die Todesstrafe muss wieder<br />
her!“ Unruhe tritt ein, die Leute im Gerichtssaal<br />
werden immer lauter, sodass der Richter<br />
letztendlich eingreifen muss und wild zu schreien<br />
beginnt, fast tobt. „Ruhe, oder ich lasse mit aller<br />
Gewalt den Saal räumen!“ Von einem Moment<br />
auf den anderen wird es still. Unheimlich still.<br />
Die Menge ist vom Wutausbruch des Richters<br />
eingeschüchtert und der Angeklagte sitzt nach<br />
wie vor mit gesenktem Kopf da und beteuert<br />
seine Unschuld. „Ich war es nicht, Gewalt liegt<br />
mir nicht. Ich bin kein Mörder!“<br />
Der Richter erhebt sich und seine gewaltige<br />
Statur kommt zum Vorschein, er plustert sich in<br />
aller Strenge auf. „Da bin ich anderer Meinung.<br />
Man hat gesehen, wie sie an dem besagten Tag<br />
versucht haben, gewaltsam die Haustür zu<br />
öffnen!“ Dadurch versucht er den Angeklagten<br />
gewaltig unter Druck zu setzen und hofft, dass<br />
dieser die Beherrschung verliert und seine Schuld<br />
gesteht. Er täuscht sich.<br />
„Daran, daran kann ich mich nicht mehr erinnern“,<br />
stottert der Angeklagte und schüttelt verlegen den<br />
Kopf. Er drückt die Hände zwischen seine Knie,<br />
blickt zum immer wütender werdenden Richter<br />
auf und wartet was jetzt kommt. Er braucht nicht<br />
lange zu warten, denn mit bitterer Vehemenz<br />
schreit ihn der Richter an. Der Angeklagte wird<br />
bleich, die Leute schauen neugierig. „Dann<br />
werde ich ihrer Erinnerung schonungslos auf die<br />
Sprünge helfen!“<br />
„Sie haben die verschlossene Haustür mit einer<br />
Axt, die sie zuvor aus der Scheune holten,<br />
gewaltsam aufgebrochen!“ Ein Raunen geht<br />
erneut durch den Saal und der Richter blickt streng<br />
auf, versucht die Beherrschung zu bewahren und<br />
fährt fort. „Sie wussten, dass sich ihre Mutter aus<br />
Angst vor ihnen im Haus versteckt hielt! Was<br />
wollten sie von ihrer Mutter?“<br />
„Geld, ich brauchte dringend Geld“, stottert der<br />
Angeklagte verzweifelt und beginnt zu zittern.<br />
„Richtig, sie brauchten Geld für Alkohol und<br />
Drogen. Das war ihr Motiv, denn ohne Alkohol und<br />
Drogen wurden sie aggressiv und gewalttätig!“<br />
Die Augen des Richters funkeln voller Zorn und<br />
IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2013</strong>) Seite 27