Heft 1 (2013) - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV
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PROSA<br />
Peter J. Kempf, Blieskastel-Biesingen<br />
Freunde<br />
Die Franzosen riefen ihn Frederic,<br />
den Saarländer, der mit seinen Mannen in<br />
Frankreich Straßenmarkierungen auftrug und<br />
Leitplanken setzte. Wir würden nach dem<br />
ersten Tag sterben, wir „Sesselfurzer“ und<br />
„Schaffschuhversteckler“, tönte er im Verlauf<br />
einer Diskussion auf der Geburtstagsfeier<br />
seines Freundes, meines Nachbarn. Ich musste<br />
lachen. Zwei Jahre zuvor hatte ich ein Haus<br />
gebaut, war als Polizist gut durchtrainiert und<br />
hatte vorm Staatsdienst unter Tage mein Geld<br />
verdient. Körperliche Anstrengungen waren<br />
mir nicht fremd. Das war im April 1978, nach<br />
mehreren St. Emilion Grand Cru. Zwei Monate<br />
später stand ich mit meinem Nachbarn im<br />
Depot der Firma „Secouroute“ in Senlis und<br />
blickte in Fritzes Gesicht. „Zwei Freunde von<br />
mir, Hans und Peter, ein Buchhalter und ein<br />
Polizist. Die werden uns in den nächsten<br />
zwei Wochen unterstützen. Ihr braucht sie<br />
nicht zu schonen. Die sind ausgeruht.“ Etwa<br />
fünfzehn Gesichter strahlten uns freudig<br />
erregt an. Kurz und bündig die Vorstellung,<br />
dann ging’s an die Arbeit. Wir trugen jetzt<br />
eine orange Kluft. Vierzig Kilo wog eine<br />
Leitplanke und der Vorschlaghammer war<br />
auch nicht ohne. Bald floss der Schweiß<br />
in Strömen. Die Dusche am Abend, eine<br />
Wohltat für die geschundenen Knochen.<br />
Ein Krampf der Armmuskulatur ließ nicht<br />
mehr zu, dass ich Hals und Haare wusch.<br />
Hans erging es nicht anders. Wir hatten uns<br />
gut vorbereitet, doch nicht gut genug. Aber<br />
wir schliefen tief wie Murmeltiere und der<br />
nächste Morgen sah uns mit strahlendem<br />
Gesicht. Keine Schwäche zeigen…<br />
Nach nur drei Tagen hatten wir uns den<br />
Respekt der Jungs erarbeitet. Fritz, der uns<br />
nach der Vorstellung im Depot verlassen hatte,<br />
kam am Donnerstag von einer Baustelle bei<br />
Montpellier zurück. Bald war er über alles<br />
informiert, auch über unsere Leistung. Dass<br />
wir so mithalten würden, daran hatte er nicht<br />
geglaubt. Wir hatten Spaß an unserer Arbeit,<br />
auch weil wir wussten, dass das Ende der<br />
Knochenarbeit abzusehen war.<br />
„Das Wochenende verbringen wir in Paris“,<br />
versprach Fritz, der mit uns äußerst zufrieden<br />
schien. Während der Woche hatte ich einen<br />
Freund gefunden. Jean-Marie war Lehrer,<br />
hatte aber keine Anstellung gefunden, da<br />
er Kommunist sei, hatte er mir erklärt. Er<br />
stammte aus dem lothringischen Sarralbe,<br />
wo die Firma ihren Sitz hatte, und er sprach<br />
besser Deutsch als ich Französisch. Vom<br />
Aussehen her hätte er Pierre Richards<br />
Cousin sein können. Auch seine Haare<br />
versuchten vom Haupt zu flüchten. Und<br />
genau wie der große Blonde mit dem<br />
schwarzen Schuh, ließ er keine Gelegenheit<br />
aus, mit Wortwitz zu glänzen. Seine ernste<br />
Seite bugsierte den Frankreichbazillus in<br />
meine Hirnwindungen, nachdem er mich<br />
bereits nach den ersten Tagen in Senlis und<br />
die Histoire der Krondomäne eingetaucht<br />
hatte. Montags war ich eingetroffen, mittwochs<br />
war mir Hugo Capet kein Fremder<br />
mehr. Jeanne d’Arc sah ich im Schlaf<br />
nach Paris reiten und Louis de Funes als<br />
Geizigen durch die Fausse Porte hecheln.<br />
Am Samstagmorgen starteten wir Richtung<br />
Paris. Jean-Marie und Robert, ein bärbeißig<br />
scheinender Auvergnate, begleiteten uns. In<br />
St. Denis stellten wir as Auto ab und stiegen<br />
in die Metro. Einmal umsteigen, dann<br />
brachte uns beim Trocadero eine Treppe<br />
hoch zum Palais de Chaillot. Die Sonne<br />
schien und der Platz erschlug mich fast. Wir<br />
liefen einige Meter am Palais vorbei, dann<br />
sah ich ihn, den Eiffelturm. Ich war zum<br />
ersten Mal in Paris, und das, was hier meine<br />
Augen erblickten, begeisterte mich. Dieses<br />
Stahlgerüst…Phänomenal !!! Bis zum Abend<br />
hatten unsere Freunde uns Pariser Fassaden<br />
gezeigt, in der Nacht machten sie uns am<br />
Place de Clichy und Pigalle mit der Seele<br />
bekannt. Eine Taxe brachte uns gegen Morgen<br />
nach St. Denis. In Senlis angekommen fiel<br />
ich bald in tiefen Schlaf. Dann begann ich zu<br />
träumen, und am Morgen wusste ich, dass<br />
Paris einen Platz in meinem Herzen erobert<br />
hatte. Auf der Rückfahrt nach Sarralbe, wo wir<br />
von unseren Frauen sehnsüchtig erwartet wurden,<br />
IGDA aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (<strong>2013</strong>) Seite 8