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Ursprung und Verbreitung des alldeutschen Annexionismus in der ...

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120 Klaus Schwabe<br />

sehe Strömung im W<strong>in</strong>ter 1914 erlangt hatte. Delbrück sah sich gezwungen zuzugestehen,<br />

daß<br />

„die Erwerbung etwa bloß von Luxemburg <strong>und</strong> dem französischen Westafrika . . .<br />

dem deutschen Volke für die gebrachten Opfer wohl zu ger<strong>in</strong>g ersche<strong>in</strong>en"<br />

würde. Da aber e<strong>in</strong>e Ausdehnung nach Westeuropa „<strong>in</strong> je<strong>der</strong> Beziehung unrätlich"<br />

sei, sei „irgende<strong>in</strong>e wenigstens <strong>in</strong>direkte Expansion nach Osten als Siegespreis be<strong>in</strong>ahe<br />

notwendig". Delbrück hatte damit e<strong>in</strong>en Gedanken angedeutet, auf den er<br />

später immer wie<strong>der</strong> zurückgekommen ist <strong>und</strong> <strong>der</strong> ihm e<strong>in</strong>e Rechtfertigung lieferte<br />

für se<strong>in</strong>e Expansionswünsche nach Osteuropa: Man müßte durch Aufstellung<br />

nach Osten gerichteter Kriegsziele die öffentliche Me<strong>in</strong>ung von westlichen Annexionswünschen<br />

ablenken.<br />

Auf den ersten Blick mag es sche<strong>in</strong>en, als ob Delbrück damit von se<strong>in</strong>er ursprünglichen<br />

Ablehnung je<strong>der</strong> Annexion <strong>in</strong> Europa abgerückt wäre. Kann man aber <strong>des</strong>halb<br />

schon von e<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>flussung durch spezifisch alldeutsche Gedanken sprechen?<br />

Daß dies nur sehr bed<strong>in</strong>gt gilt, zeigte <strong>der</strong> tiefe Graben, <strong>der</strong> sich zwischen Delbrück<br />

<strong>und</strong> den Alldeutschen sogleich auftat, wenn die Methoden zur Sprache kamen, mit<br />

denen das Reich se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß nach Osten h<strong>in</strong> ausdehnen sollte. Polen bildete dafür<br />

den Testfall, wie Delbrück <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Denkschrift zur polnischen Frage deutlich<br />

machte: Es sollte, staatsrechtlich unabhängig, mit Deutschland nur zolltarifüch <strong>und</strong><br />

u. U. durch e<strong>in</strong>en deutschen Fürsten als polnischen Monarchen verb<strong>und</strong>en se<strong>in</strong>.<br />

Delbrück dachte dabei an e<strong>in</strong>e Wie<strong>der</strong>belebung <strong>der</strong> sächsisch-polnischen Personalunion,<br />

obwohl er auch die Erhebung e<strong>in</strong>es polnischen Adeligen zum König <strong>des</strong><br />

neuen Staates für möglich hielt. Geographisch sollte dieses Polen nur das sog. Kongreßpolen<br />

umfassen. Von „Ausräumung" war nicht die Rede 68 .<br />

Verfassungsmäßig hatte <strong>der</strong> neue Staat — formal an die Verfassung von 1791 anknüpfend,<br />

tatsächlich aber dem deutschen Vorbild folgend - e<strong>in</strong>e konstitutionelle<br />

Monarchie zu bilden, die sich auf e<strong>in</strong> demokratisch gewähltes Parlament, e<strong>in</strong> Oberhaus<br />

<strong>und</strong> die monarchische Exekutive stützen würde. Delbrück hoffte, durch e<strong>in</strong><br />

solches Programm gerade die bürgerlichen Schichten Kongreßpolens für Deutschland<br />

zu gew<strong>in</strong>nen. Aber würde sich <strong>der</strong> neu belebte polnische Nationalismus nicht<br />

entwe<strong>der</strong> gegen Deutschland - mit se<strong>in</strong>er polnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit - o<strong>der</strong> aber gegen<br />

Rußland wenden, wo Polen historische Ansprüche geltend machen konnte? Würde<br />

Deutschland durch solch e<strong>in</strong>e Befreiungspolitik gegenüber Polen nicht <strong>in</strong> unabsehbare<br />

<strong>in</strong>nen- <strong>und</strong> außenpolitische Schwierigkeiten gestürzt werden? Delbrück ließ sich<br />

von solchen Möglichkeiten nicht entmutigen. Er hoffte, die Polen würden — ähnlich<br />

den Deutschen nach 1866 - nach e<strong>in</strong>er immerh<strong>in</strong> teilweisen Realisierung ihrer<br />

nationalen Aspirationen beg<strong>in</strong>nen, „realpolitisch" zu denken, <strong>und</strong> sich gewöhnen,<br />

ihre Grenzen gegen das Reich <strong>und</strong> die Doppelmonarchie als unabän<strong>der</strong>liche Tatsachen<br />

h<strong>in</strong>zunehmen. Außerdem würde die Verfassung, die Delbrück vorsah, ähnlich<br />

wie ihr deutsches Vorbild (so dachte Delbrück wenigstens!) <strong>in</strong> ihren konservativen<br />

Elementen nationalistisch-radikale Strömungen vor dem „Durchgehen"<br />

88 Wie wir sehen werden, lehnte Delbrück solche Pläne r<strong>und</strong>weg ab (s. u. S. 129).

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