Totem und Tabu
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Menschen, die dem <strong>Tabu</strong> gehorchen, haben eine ambivalente Einstellung gegen das<br />
vom <strong>Tabu</strong> Betroffene. Die dem <strong>Tabu</strong> zugeschriebene Zauberkraft führt sich auf die Fähigkeit<br />
zurück, die Menschen in Versuchung zu führen; sie benimmt sich wie eine Ansteckung,<br />
weil das Beispiel ansteckend ist, <strong>und</strong> weil sich das verbotene Gelüste im Unbewußten<br />
auf anderes verschiebt. Die Sühne der Übertretung des <strong>Tabu</strong> durch einen Verzicht<br />
erweist, daß der Befolgung des <strong>Tabu</strong> ein Verzicht zugr<strong>und</strong>e liegt.<br />
2.3<br />
Wir wollen nun wissen, welchen Wert unsere Gleichstellung des <strong>Tabu</strong> mit der Zwangsneurose<br />
<strong>und</strong> die auf Gr<strong>und</strong> dieser Vergleichung gegebene Auffassung des <strong>Tabu</strong> beanspruchen<br />
kann. Ein solcher Wert liegt offenbar nur vor, wenn unsere Auffassung einen<br />
Vorteil bietet, der sonst nicht zu haben ist, wenn sie ein besseres Verständnis des <strong>Tabu</strong><br />
gestattet, als uns sonst möglich wird. Wir sind vielleicht geneigt zu behaupten, daß wir<br />
diesen Nachweis der Brauchbarkeit im vorstehenden bereits erbracht haben; wir werden<br />
aber versuchen müssen, ihn zu verstärken, indem wir die Erklärung der <strong>Tabu</strong>verbote<br />
<strong>und</strong> Gebräuche ins einzelne fortsetzen.<br />
Es steht uns aber auch ein anderer Weg offen. Wir können die Untersuchung anstellen,<br />
ob nicht ein Teil der Voraussetzungen, die wir von der Neurose her auf das <strong>Tabu</strong> übertragen<br />
haben, oder der Folgerungen, zu denen wir dabei gelangt sind, an den Phänomenen<br />
des <strong>Tabu</strong> unmittelbar erweisbar ist. Wir müssen uns nur entscheiden, wonach wir<br />
suchen wollen. Die Behauptung über die Genese des <strong>Tabu</strong>, es stamme von einem uralten<br />
Verbote ab, welches dereinst von außen auferlegt worden ist, entzieht sich natürlich<br />
dem Beweise. Wir werden also eher die psychologischen Bedingungen für das <strong>Tabu</strong> zu<br />
bestätigen suchen, welche wir für die Zwangsneurose kennengelernt haben.<br />
Wie gelangten wir bei der Neurose zur Kenntnis dieser psychologischen Momente?<br />
Durch das analytische Studium der Symptome, vor allem der Zwangshandlungen, der<br />
Abwehrmaßregeln <strong>und</strong> Zwangsgebote. Wir fanden an ihnen die besten Anzeichen für<br />
ihre Abstammung von ambivalenten Regungen oder Tendenzen, wobei sie entweder<br />
gleichzeitig dem Wunsche wie dem Gegenwunsche entsprechen oder vorwiegend im<br />
Dienste der einen von den beiden entgegengesetzten Tendenzen stehen. Wenn es uns<br />
nun gelänge, auch an den <strong>Tabu</strong>vorschriften die Ambivalenz, das Walten entgegengesetzter<br />
Tendenzen, aufzuzeigen, oder unter ihnen einige aufzufinden, die nach der Art<br />
von Zwangshandlungen beiden Strömungen gleichzeitigen Ausdruck geben, so wäre die<br />
psychologische Übereinstimmung zwischen dem <strong>Tabu</strong> <strong>und</strong> der Zwangsneurose im nahezu<br />
wichtigsten Stücke gesichert.<br />
Die beiden f<strong>und</strong>amentalen <strong>Tabu</strong>verbote sind, wie vorhin erwähnt, für unsere Analyse<br />
durch die Zugehörigkeit zum <strong>Totem</strong>ismus unzugänglich; ein anderer Anteil der <strong>Tabu</strong>satzungen<br />
ist sek<strong>und</strong>ärer Abkunft <strong>und</strong> für unsere Absicht nicht verwertbar. Das <strong>Tabu</strong> ist<br />
nämlich bei den entsprechenden Völkern die allgemeine Form der Gesetzgebung geworden<br />
<strong>und</strong> in den Dienst von sozialen Tendenzen getreten, die sicherlich jünger sind<br />
als das <strong>Tabu</strong> selbst, wie z.B. die <strong>Tabu</strong>, die von Häuptlingen <strong>und</strong> Priestern auferlegt werden,<br />
um sich Eigentum <strong>und</strong> Vorrechte zu sichern. Doch bleibt uns eine große Gruppe<br />
von Vorschriften übrig, an denen unsere Untersuchung vorgenommen werden kann; ich<br />
hebe aus dieser die <strong>Tabu</strong> heraus, die sich 1. an Feinde, 2. an Häuptlinge, 3. an Tote<br />
knüpfen, <strong>und</strong> werde das zu behandelnde Material der ausgezeichneten Sammlung von J.<br />
G. Frazer in seinem großen Werke THE GOLDEN BOUGH entnehmen. 39<br />
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