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Totem und Tabu

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2.4<br />

Haben wir so den Boden geklärt, auf dem das überaus lehrreiche <strong>Tabu</strong> der Toten erwachsen<br />

ist, so wollen wir nicht versäumen, einige Bemerkungen anzuknüpfen, die für<br />

das Verständnis des <strong>Tabu</strong> überhaupt bedeutungsvoll werden können.<br />

Die Projektion der unbewußten Feindseligkeit beim <strong>Tabu</strong> der Toten auf die Dämonen ist<br />

nur ein einzelnes Beispiel aus einer Reihe von Vorgängen, denen der größte Einfluß auf<br />

die Gestaltung des primitiven Seelenlebens zugesprochen werden muß. In dem betrachteten<br />

Falle dient die Projektion der Erledigung eines Gefühlskonfliktes; sie findet<br />

die nämliche Verwendung in einer großen Anzahl von psychischen Situationen, die zur<br />

Neurose führen. Aber die Projektion ist nicht für die Abwehr geschaffen, sie kommt<br />

auch zustande, wo es keine Konflikte gibt. Die Projektion innerer Wahrnehmungen<br />

nach außen ist ein primitiver Mechanismus, dem z.B. auch unsere Sinneswahrnehmungen<br />

unterliegen, der also an der Gestaltung unserer Außenwelt normalerweise den<br />

größten Anteil hat. Unter noch nicht genügend festgestellten Bedingungen werden innere<br />

Wahrnehmungen auch von Gefühls- <strong>und</strong> Denkvorgängen wie die Sinneswahrnehmungen<br />

nach außen projiziert, zur Ausgestaltung der Außenwelt verwendet, während<br />

sie der Innenwelt verbleiben sollten. Es hängt dies vielleicht genetisch damit zusammen,<br />

daß die Funktion der Aufmerksamkeit ursprünglich nicht der Innenwelt, sondern den<br />

von der Außenwelt zuströmenden Reizen zugewendet war, <strong>und</strong> von den endopsychischen<br />

Vorgängen nur die Nachrichten über Lust- <strong>und</strong> Unlustentwicklungen empfing.<br />

Erst mit der Ausbildung einer abstrakten Denksprache, durch die Verknüpfung der<br />

sinnlichen Reste der Wortvorstellungen mit inneren Vorgängen, wurden diese selbst<br />

allmählich wahrnehmungsfähig. Bis dahin hatten die primitiven Menschen durch Projektion<br />

innerer Wahrnehmungen nach außen ein Bild der Außenwelt entwickelt, welches<br />

wir nun mit erstarkter Bewußtseinswahrnehmung in Psychologie zurückübersetzen<br />

müssen.<br />

Die Projektion der eigenen bösen Regungen in die Dämonen ist nur ein Stück eines Systems,<br />

welches die »Weltanschauung« der Primitiven geworden ist, <strong>und</strong> das wir in der<br />

nächsten Abhandlung dieser Reihe als das »animistische« kennenlernen werden. Wir<br />

werden dann die psychologischen Charaktere einer solchen Systembildung festzustellen<br />

haben <strong>und</strong> unsere Anhaltspunkte wiederum in der Analyse jener Systembildungen finden,<br />

welche uns die Neurosen entgegenbringen. Wir wollen vorläufig nur verraten, daß<br />

die sogenannte »sek<strong>und</strong>äre Bearbeitung« des Trauminhalts das Vorbild für alle diese<br />

Systembildungen ist. Vergessen wir auch nicht daran, daß es vom Stadium der Systembildung<br />

an zweierlei Ableitungen für jeden vom Bewußtsein beurteilten Akt gibt, die<br />

systematische <strong>und</strong> die reale, aber unbewußte. 75<br />

W<strong>und</strong>t 76 bemerkt, daß »unter den Wirkungen, die der Mythus allerorten den Dämonen<br />

zuschreibt, zunächst die unheilvollen überwiegen, so daß im Glauben der Völker sichtlich<br />

die bösen Dämonen älter sind als die guten«. Es ist nun sehr wohl möglich, daß der<br />

Begriff des Dämons überhaupt aus der so bedeutsamen Relation zu den Toten gewonnen<br />

wurde. Die diesem Verhältnis innewohnende Ambivalenz hat sich dann im weiteren<br />

Verlaufe der Menschheitsentwicklung darin geäußert, daß sie aus der nämlichen Wurzel<br />

zwei völlig entgegengesetzte psychische Bildungen hervorgehen ließ: Dämonen- <strong>und</strong><br />

Gespensterfurcht einerseits, die Ahnenverehrung anderseits. 77 Daß die Dämonen stets<br />

als die Geister kürzlich Verstorbener aufgefaßt werden, bezeugt wie nichts anderes den<br />

Einfluß der Trauer auf die Entstehung des Dämonenglaubens. Die Trauer hat eine ganz<br />

bestimmte psychische Aufgabe zu erledigen, sie soll die Erinnerungen <strong>und</strong> Erwartungen<br />

der Überlebenden von den Toten ablösen. Ist diese Arbeit geschehen, so läßt der<br />

Schmerz nach, mit ihm die Reue <strong>und</strong> der Vorwurf <strong>und</strong> darum auch die Angst vor dem<br />

Dämon. Dieselben Geister aber, die zunächst als Dämonen gefürchtet wurden, gehen<br />

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