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Totem und Tabu

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nicht als etwas Letztes <strong>und</strong> für die Psychologie Unauflösbares gelten lassen. Wir sind<br />

gleichsam hinter die Dämonen gekommen, indem wir sie als Projektionen der feindseligen<br />

Gefühle erkannten, welche die Überlebenden gegen die Toten hegen.<br />

Die nach unserer gut begründeten Annahme zwiespältigen – zärtlichen <strong>und</strong> feindseligen<br />

– Gefühle gegen die nun Verstorbenen wollen sich zur Zeit des Verlustes beide zur<br />

Geltung bringen, als Trauer <strong>und</strong> als Befriedigung. Zwischen diesen beiden Gegensätzen<br />

muß es zum Konflikt kommen, <strong>und</strong> da der eine Gegensatzpartner, die Feindseligkeit –<br />

ganz oder zum größeren Anteile –, unbewußt ist, kann der Ausgang des Konfliktes nicht<br />

in einer Subtraktion der beiden Intensitäten voneinander mit bewußter Einsetzung des<br />

Überschusses bestehen, etwa wie man einer geliebten Person eine von ihr erlittene<br />

Kränkung verzeiht. Der Prozeß erledigt sich vielmehr durch einen besonderen psychischen<br />

Mechanismus, den man in der Psychoanalyse als Projektion zu bezeichnen gewohnt<br />

ist. Die Feindseligkeit, von der man nichts weiß <strong>und</strong> auch weiter nichts wissen<br />

will, wird aus der inneren Wahrnehmung in die Außenwelt geworfen, dabei von der eigenen<br />

Person gelöst <strong>und</strong> der anderen zugeschoben. Nicht wir, die Überlebenden, freuen<br />

uns jetzt darüber, daß wir des Verstorbenen ledig sind; nein, wir trauern um ihn, aber er<br />

ist merkwürdigerweise ein böser Dämon geworden, dem unser Unglück Befriedigung<br />

bereiten würde, der uns den Tod zu bringen sucht. Die Überlebenden müssen sich nun<br />

gegen diesen bösen Feind verteidigen; sie sind von der inneren Bedrückung entlastet,<br />

haben sie aber nur gegen eine Bedrängnis von außen eingetauscht.<br />

Es ist nicht abzuweisen, daß dieser Projektionsvorgang, welcher die Verstorbenen zu<br />

böswilligen Feinden macht, eine Anlehnung an den reellen Feindseligkeiten findet, die<br />

man von letzteren erinnern <strong>und</strong> ihnen wirklich zum Vorwurf machen kann. Also an ihrer<br />

Härte, Herrschsucht, Ungerechtigkeit, <strong>und</strong> was sonst den Hintergr<strong>und</strong> auch der zärtlichsten<br />

Beziehungen unter den Menschen bildet. Aber es kann nicht so einfach zugehen,<br />

daß uns dieses Moment für sich allein die Projektionsschöpfung der Dämonen begreiflich<br />

mache. Die Verschuldungen der Verstorbenen enthalten gewiß einen Teil der<br />

Motivierung für die Feindseligkeit der Überlebenden, aber sie wären unwirksam, wenn<br />

nicht die letzteren diese Feindseligkeit aus eigenem entwickeln würden, <strong>und</strong> der Zeitpunkt<br />

ihres Todes wäre gewiß der ungeeignetste Anlaß, die Erinnerung an die Vorwürfe<br />

zu wecken, die man ihnen zu machen berechtigt war. Wir können die unbewußte Feindseligkeit<br />

als das regelmäßig wirkende <strong>und</strong> eigentlich treibende Motiv nicht entbehren.<br />

Diese feindselige Strömung gegen die nächsten <strong>und</strong> teuersten Angehörigen konnte zu<br />

deren Lebzeiten latent bleiben, das heißt sich dem Bewußtsein weder direkt noch indirekt<br />

durch irgend eine Ersatzbildung verraten. Mit dem Ableben der gleichzeitig geliebten<br />

<strong>und</strong> gehaßten Personen war dies nicht mehr möglich, der Konflikt wurde akut.<br />

Die aus der gesteigerten Zärtlichkeit stammende Trauer wurde einerseits <strong>und</strong>uldsamer<br />

gegen die latente Feindseligkeit, anderseits durfte sie es nicht zulassen, daß sich aus<br />

letzterer nun ein Gefühl der Befriedigung ergebe. Somit kam es zur Verdrängung der<br />

unbewußten Feindseligkeit auf dem Wege der Projektion, zur Bildung jenes Zeremoniells,<br />

in dem die Furcht vor der Bestrafung durch die Dämonen Ausdruck findet, <strong>und</strong> mit<br />

dem zeitlichen Ablauf der Trauer verliert auch der Konflikt an Schärfe, so daß das <strong>Tabu</strong><br />

dieser Toten sich abschwächen oder in Vergessenheit versinken darf.<br />

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