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Editorial

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evolutionär-zerstörerischen und evolutionär-bewahrenden, „Gang der<br />

Demokratie“ in Frankreich und Amerika, jene zwieschlächtige Gestalt des<br />

Fortschritts, die als solche, wenngleich nicht überall mit derselben Intensität,<br />

die „Natur des Menschen“ gefährdete, auch in Gestalt des „Marsches<br />

zur (Welt)Einheit“, als dessen Hauptfiguren sich Amerikaner und Russen<br />

erwiesen. Tocqueville hält diese Entwicklung für unumgänglich, ja für<br />

providentiell, und dennoch bejaht er sie nicht mit ganzem Herzen: Zwar<br />

führt die Geschichte zur Wahrheit des Menschen, der ein universales Wesen<br />

ist, aber sie zerstört die Schönheit der bisherigen aristokratischen Verhältnisse<br />

und zugleich die Größe einzelner Menschen. Und Hoffnung für<br />

die Zukunft Europas läßt sich nur noch aus einer paradoxen Möglichkeit<br />

schöpfen, daß nämlich die amerikanische Gestalt der Demokratie sich<br />

auch in Frankreich sowie im übrigen Europa gegen die französisch-revolutionär-destruktive<br />

Erscheinungsform durchsetzt.<br />

Der diplomatische Untergebene des zeitweiligen Außenministers Tocqueville,<br />

Arthur de Gobineau, kam weit mehr als dieser von dem „germanischen“<br />

Selbstverständnis des französischen Adels her, aber er verknüpfte<br />

diese altertümliche Konzeption mit tendenziell sehr modernen Betrachtungsweisen<br />

naturwissenschaftlicher Art, und so erschien ihm die ganze<br />

Weltgeschichte als ein einziger Prozeß der Dekadenz, der aus der zunehmenden<br />

Rassenmischung resultierte und schließlich eine Bevölkerung hervorbringen<br />

würde, die den „wiederkauenden Büffeln in den stagnierenden<br />

Pfützen der Pontinischen Sümpfe“ zu vergleichen sein würde.<br />

Wesentliche Teile der Philosophie Nietzsches lassen sich von diesem<br />

einfachen Ansatz herleiten, nicht zuletzt sein schroffer, nach Vernichtung<br />

der Entarteten durch eine neue „Partei des Lebens“ rufender Antisozialismus,<br />

aber sein Denken ist viel zu umfassend und widerspruchsvoll, als<br />

daß auch nur eine Skizze sinnvoll wäre.<br />

Es war ein Engländer und schwerlich ein Philosoph, William Thomas<br />

Stead, der im Jahre 1902 mit seinem Buch The Americanization of the<br />

World dem Denken des 20. Jahrhunderts eins der aktuellsten Stichwörter<br />

gab. Die Zukunft Europas ist mithin nichts anderes als Amerika, und<br />

in dieser Auffassung kommt er bei allem abgründigen Unterschied des<br />

Niveaus Tocqueville nahe. Während des ersten Weltkriegs formuliert ein<br />

Wortführer der Gedanken Wilsons, George D. Herron, das amerikanische<br />

Selbstverständnis mit dem Satz, Amerika habe sich selbst zum kriegerischen<br />

Kämpfer für das tausendjährige Friedensreich der Apokalypse<br />

gemacht, das heißt er entwirft eine säkularisierte Version der christlichjüdischen<br />

Geschichtstheologie.<br />

Faschismus als Gegenbewegung<br />

– Massendemonstration<br />

in Madrid nach<br />

dem Beginn des deutschen<br />

Angriffs auf die Sowjetunion,<br />

Juni 1941<br />

Nolte – Zukunft Europas<br />

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