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Editorial

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28 Nolte – Zukunft Europas<br />

weitaus besser gesichert, als sie es nach den mit den eigenen Waffen errungenen<br />

Siegen von 1948, 1967 und 1973 war, und diese Sicherung war<br />

zweifellos eins der obersten Kriegsziele der Amerikaner. Die nächste Folge<br />

dieses Krieges der „einzigen Weltmacht“ gegen einen kleinen und seit<br />

1991 ungemein geschwächten Staat wird eine abermalige Ausweitung der<br />

Sphäre der „amerikanischen Weltzivilisation“ sein, und daraus ergibt sich<br />

für Europa die Gefahr, daß es sich vollständig dem politischen Willen und<br />

dem kulturellen Einfluß der USA unterwerfen muß. Es würde für Europa<br />

nicht leicht sein, darin, wie es einst Tocqueville trotz seiner Sorgen und<br />

Ängste tat, ein positives Ereignis zu sehen.<br />

Aber Israels Zukunft hängt von der Wahl einer der beiden Lösungsmöglichkeiten<br />

für sein Hauptproblem ab, nämlich für sein Verhältnis zu<br />

den Palästinensern, den Arabern im ganzen und dem Islam als solchem.<br />

Im Zusammenhang dieser Entscheidung dürfte auch für Europa eine Alternative<br />

entstehen. Wenn Israel in stillschweigender Übereinstimmung<br />

mit den Amerikanern die Gelegenheit der Nachkriegsturbulenzen wahrnimmt,<br />

jenen „Transfer“ der Palästinenser ins Werk zu setzen, welcher<br />

– sofern die Resultate demoskopischer Untersuchungen richtig sind – von<br />

einer starken Minorität der Bevölkerung gewünscht wird, dann wird nur<br />

noch „Auschwitz“ als Unterscheidungsmerkmal übrigbleiben, also ein Tatbestand,<br />

der einen großen Krieg zur Vorbedingung hatte, zu welchem es<br />

im Nahen Osten kein Analogon gibt. Wenn Israel dagegen mit den Palästinensern<br />

und dem Islam zwar gewiß nicht zu Freundschaft, aber doch<br />

zu einem tragbaren und gerechten Modus vivendi gelangt, dann können<br />

auch die Europäer den Willen entwickeln, nicht die Vasallen einer „einzigen<br />

Weltmacht“, sondern selbständige Freunde und Alliierte der USA zu<br />

sein.<br />

Jene erste Alternative muß dagegen zu einer Explosion des islamistischen<br />

Terrorismus führen, und da neuerdings unter „Massenvernichtungswaffen“<br />

nicht mehr in erster Linie Atombomben verstanden werden,<br />

zu deren Fabrikation umfangreiche und aus der Luft leicht erkennbare<br />

Anlagen erforderlich sind, sondern biologische Waffen neuer Art, die in<br />

versteckten Kellern hergestellt werden und die schon in geringer Quantität<br />

zur Tötung von vielen Hunderttausenden von Menschen benutzt werden<br />

können, dann kann allenfalls ein weltweites Überwachungssystem der<br />

Menschheit eine prekäre Sicherheit geben, mit dem verglichen die Totalitarismen<br />

der Vergangenheit liberale Musterbilder waren. Irgendeinen<br />

qualitativen Unterschied zwischen Europa und den USA oder Europa und<br />

Indonesien wird es dann in Zukunft nicht mehr geben.<br />

Aber haben wir uns damit nicht allzuweit von der Philosophie entfernt<br />

und von der möglichen Zukunft Europas ein Bild gezeichnet, das<br />

nicht eine Spur von „Europäischem“ mehr an sich hat? Indessen würde<br />

es die in Kellern oder im Wüstensand versteckten Waffen so wenig geben<br />

wie die globale Kommunikation, und die völlig flexiblen modernen Menschen,<br />

die von einer „Kolonisierung des Weltalls“ träumen, würden so<br />

wenig existieren wie die Hedonisten, welche auf der Erde zurückbleiben,<br />

wenn nicht im Menschen als einzigem uns bekannten Wesen jene „Fortschrittlichkeit“<br />

zu konstatieren wäre, von der seit Turgot und Condorcet<br />

so viele Philosophen gesprochen haben. Aber ein Condorcet müßte sich<br />

heute eingestehen, daß er sich vom „Fortschritt“ eine viel zu idyllische,<br />

viel zu simple Vorstellung gebildet hatte, obwohl er sich gewiß nicht den<br />

Gegenbegriff des Niedergangs oder der Dekadenz zu eigen machen würde.<br />

Ebensowenig würde er sich mit der Feststellung trösten, daß die Entstehung<br />

des „Fortschritts“ sehr wesentlich mit „Europa“ verknüpft war.<br />

Deshalb scheint es mir unter philosophischen Gesichtspunkten erforderlich<br />

zu sein, den Begriff des Fortschritts durch den der Transzendenz<br />

zu ersetzen und innerhalb dieses altbekannten und doch für das<br />

Geschichtsdenken neuartigen Begriffs Unterscheidungen zu treffen. Aber<br />

darüber zu sprechen, wäre wahrhaftig ein „allzuweites Feld“, und ich<br />

habe Ihre Geduld schon viel zu lange in Anspruch genommen, obwohl ich<br />

mich nicht in der Lage sah, ein Bild von der Zukunft Europas zu umreißen,<br />

das Optimismus und Zuversicht hervorrufen würde.

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