Editorial
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Kurzbeiträge<br />
Sezession 2 · Juli 2003<br />
Habermas, Schröder und die Nation<br />
von Götz Kubitschek<br />
Die Politik in Deutschland ist derzeit von Verwerfungen<br />
gekennzeichnet: Die Innenpolitik ist<br />
reduziert auf das traurige Schauspiel einer losen<br />
Folge von Offenbarungseiden, die allesamt nur<br />
die Frage aufwerfen, wer das trudelnde Land abfangen<br />
und stabilisieren könnte. Außenpolitisch<br />
findet sich Deutschland nach seiner sentimentalen<br />
und machtlosen Aufwallung in einer letztendlich<br />
vereinzelten und damit schärfer konturierten<br />
Position wieder und hat ausschließlich jenseits<br />
der Machtzentren neue Freunde gefunden.<br />
Besonders die Demographie-Diskussion der<br />
letzten Monate hat mehr oder weniger direkt<br />
auf einen seltsam unmodernen Zusammenhang<br />
der in diesem Land versammelten Individuen<br />
verwiesen und selbst eingefleischten Kinderlosen<br />
die Fragen nach dem „Wir?“, „Woher?“ und<br />
„Wohin?“ in Erinnerung gerufen.<br />
Es könnte diese Rückkehr banalen Wissens<br />
den Beginn einer Selbstfindung und – ins Kräftige<br />
gewendet – eines Selbstbewußtseins markieren:<br />
Die Tatsachen sind so mächtig geworden,<br />
daß bestimmte Fragen mehr als nur auf der<br />
Zunge liegen. Und tatsächlich geschieht das eine<br />
oder andere: Von Bonn aus – dies bereits wieder<br />
symbolisch bedeutend und verhängnisvoll<br />
– hat sich ein „BürgerKonvent“ mit millionenschweren<br />
Anzeigen zu Wort gemeldet, der Proteste<br />
kanalisiert und noch einmal der „Mitte“<br />
der Gesellschaft eine Frischzellenkur verabreichen<br />
möchte.<br />
Zu allem Überfluß haben sich dann noch<br />
europaweit Intellektuelle um den Staatsphilosophen<br />
der Bundesrepublik, Jürgen Habermas, geschart,<br />
um aus der durch den Irakkrieg provozierten<br />
Neuauflage der Uneinigkeit Europas ein<br />
deutliches Signal der Einigkeit herauszudestilieren.<br />
Bemüht werden in einem FAZ-Artikel, den<br />
Habermas und sein französicher Kollege Jacques<br />
Derrida unterzeichnet haben, alte Hüte der<br />
Diskussion über dieses völlig uninspirierte, blutleere<br />
Europakonstrukt, das als Beamtenüberbau<br />
trotz der Habermasschen Appelle keine Integrationskraft<br />
aufbringen wird.<br />
Denn wie immer läuft alles Argumentieren,<br />
Räsonieren, alles Hinterfragen, Entwerfen und<br />
Betonen auf den Rückzug in die immer offene<br />
Fluchtburg einer moralischen Überlegenheit hinaus.<br />
Von dort läßt sich der gute Wille stets bekunden,<br />
und in der Vergangenheit hat dieses Bekunden<br />
oft gereicht, um aus der Flucht vor den<br />
besseren Argumenten der Gegner die Verweigerungsgeste<br />
einer moralischen Instanz zu machen.<br />
Seltsam ist für diesmal, daß in der Wochenzeitung<br />
Die Zeit Jan Ross eine Antwort auf<br />
Habermas verfaßte, die in der Aussage gipfelt:<br />
„Europa muß mehr aufbieten als überlegene<br />
Moral.“ Habermas habe die heißen Eisen nicht<br />
angepackt, sondern viel Wirbel um eine Position<br />
gemacht, deren Fundament bei näherem Hinsehen<br />
nicht solide erscheine.<br />
Solches gilt auch – und noch umfassender –<br />
für Gerhard Schröder. Seine Aufwallungen und<br />
moralischen Höhenflüge der letzten sechs Monate<br />
sind noch deutlich in Erinnerung. Seine Position<br />
hätte die Aufstellung einer Interventionsarmee<br />
gegen die USA nahegelegt. Aber das vermochte<br />
Schröder nicht und so ist seine moralische<br />
Position einem Politiker nicht angemessen.<br />
Sie ist unpolitisch, weil sie unwirksam ist, irrelevant,<br />
konsequenzlos, ehrenwert gerade noch für<br />
einzelne, verzweifelte Bürger, lächerlich für einen<br />
Bundeskanzler.<br />
Das Unwirkliche des Verhaltens von Schröder<br />
und der Intellektualitäten von Habermas<br />
rührt aus einer nichtgestellten Frage: Es ist die<br />
Frage nach der deutschen Nation und nach den<br />
Grundbedingungen einer Identität, die den Einzelnen<br />
für das Ganze zu mobilisieren imstande<br />
wäre. Und daß es darum geht, den Einzelnen<br />
zur Kraftanstrengung für ein festgefahrenes<br />
System zu treiben, ist so ziemlich das ein-<br />
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Kubitschek – Habermas, Schröder und die Nation