06.02.2014 Aufrufe

Editorial

Editorial

Editorial

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Gerhard Nebel: Bei den<br />

nördlichen Hesperiden.<br />

Tagebuch aus dem Jahr<br />

1942, Wuppertal 1947<br />

Gerhard Nebel: Tyrannis<br />

und Freiheit, Düsseldorf<br />

1947<br />

Gerhard Nebel:<br />

Unter Partisanen und<br />

Kreuzfahrern. Tagebuch<br />

1944/1945, Stuttgart 1950<br />

Gerhard Nebel: Auf ausonischer<br />

Erde. Italienisches<br />

Tagebuch 1943/<br />

1944, Wuppertal 1949<br />

die Luftwaffe mit einem Schwarm dicker Käfer verglichen und damit die<br />

Blicke der Zensur und des Staatspolizei auf sich gelenkt. Unbedachte Äußerungen<br />

im Kameradenkreis machten das Maß übervoll und Nebel wurde<br />

auf die Kanalinsel Alderney zu einer Baukompanie strafversetzt. Jünger<br />

bedauert in seinem Tagebuch den „Abzug eines so glänzenden Geistes<br />

aus unserer Stadt“.<br />

Nebels Publikationstätigkeit war damit beendet, bevor sie richtig<br />

begonnen hatte. Er führte aber ein Tagebuch, das erst nach dem Krieg<br />

erschien, drei Bände füllte und Nebel den Ruf eines verhaltenen, jedoch<br />

konsequenten Kritikers der NS-Zeit einbrachte. 1950 bekam Nebel für<br />

diese Aufzeichnungen den Kunstpreis der Stadt Wuppertal verliehen. Er<br />

hielt in diesen Tagebüchern neben den Alltäglichkeiten vor allem seine<br />

Stimmungen fest und gab seinem Ressentiment gegen seine Vorgesetzten<br />

Ausdruck, denen er sich als „intellektueller Gefreiter“ ausgesetzt sah.<br />

Am wenigsten authentisch, dafür aber verdichteter als die anderen,<br />

ist das Tagebuch Unter Partisanen und Kreuzfahrern (1950) aus der Zeit<br />

in der italienischen Etappe, von 1944 bis zu Nebels Gefangenschaft und<br />

Entlassung im November 1945. Damit wollte Nebel nicht nur ein Tagebuch<br />

und eine subjektive Situationsbeschreibung, sondern eine Phänomenologie<br />

des Nihilismus vorlegen. Die theoretischen Überlegungen zum Nihilismus,<br />

die seine Meister Jünger und Heidegger angestellt hatten, sollten<br />

empirisch gestützt werden. Hatte Jünger im Nihilismus eine „Reduktion“<br />

gesehen und Heidegger einen Ausdruck der „Seinsvergessenheit“, so konzentrierte<br />

sich Nebel auf das „Partisanentum“ als eine Äußerungsweise<br />

des Nihilismus. Der Soldat, so Nebel, sei eine der Gestalten des Lebens,<br />

„deren sich in unserem Jahrhundert der Nihilismus“ bemächtigt habe.<br />

„Er wird zum Partisanen einer Weltanschauung und muß die fürchterlichen<br />

... Folgen dieser Verwandlung auf sich nehmen.“<br />

Nebel deutete seine Aufzeichnungen als Erlebnisbericht eines Beobachters,<br />

der Zeuge des Triumphs des Nihilismus in der Form des Weltbürgerkrieges<br />

geworden war. Partisanen seien Nihilisten, weil sie als<br />

Parteigänger einen Weltbürgerkrieg führten, der zwischen Ideologien<br />

ausgefochten werde und der keinen Unterschied zwischen Zivilisten und<br />

Militärs mache. Carl Schmitt erkannte in seiner Theorie des Partisanen<br />

den Wert von Nebels Interpretation durchaus: „Insbesondere trifft Nebels<br />

Schilderung in ausgezeichneter Weise den Moment, in dem eine große reguläre<br />

Armee sich auflöst und als Gesindel entweder von der Bevölkerung<br />

totgeschlagen wird, oder selbst totschlägt und plündert, wobei dann beide<br />

Teile Partisanen heißen können.“ Nach Schmitt bestand dieses Gesindel<br />

aber gerade nicht aus Nihilisten. Nihilismus sei die Differenz zwischen<br />

Ortung und Ordnung. Nebel habe einfach den zeitgemäßen begriffsverwirrenden<br />

Sprachgebrauch übernommen.<br />

Die Begegnung mit Schmitt ist neben derjenigen mit Jünger und Heidegger<br />

ein weiteres grundlegendes Ereignis in Nebels Biographie gewesen.<br />

Bereits kurz nach der Machtergreifung hatte er in Köln eine Vorlesung<br />

Schmitts gehört, die für ihn den Ausschlag gab, sich von marxistischen<br />

Anschauungen zu emanzipieren, ohne auf den Nationalsozialismus umzuschwenken.<br />

Im Frühjahr 1943 lernten sich Schmitt und Nebel persönlich<br />

kennen. Der Kontakt war fünf Jahre später so eng, daß sich beide gegenseitig<br />

häufig besuchten und in regem Briefwechsel standen. In seinem<br />

Glossarium lobt Schmitt Nebel fast durchgehend. Eine erste Verstimmung<br />

trat ein, als Nebel Schmitt in seinem 1949 erschienenen Italientagebuch<br />

Auf ausonischer Erde durch die „Weichheit“ seiner Meinungen charakterisierte.<br />

Im November desselben Jahres folgte das Zerwürfnis, ohne daß<br />

es jemals zur Versöhnung gekommen wäre. Der Bruch war so tief, daß<br />

Nebel in seinem letzten posthum veröffentlichten Aufsatz Schmitt des<br />

„Antisemitismus der Wiener Gosse“ verdächtigte.<br />

Nicht nur hier zeigt sich ein merkwürdiger Charakterzug Nebels: seine<br />

Intoleranz anderen Menschen gegenüber, seine Streitsucht, die dazu<br />

führt, daß er sich mit allen engen Freunden über kurz oder lang überwarf.<br />

Selbst ein so verständnisvoller Geist wie Erhart Kästner konnte dem nicht<br />

mehr entgegensetzen als die Bitte: „Aber laß uns doch alles vermeiden,<br />

was Zank und Zorn in die Welt trägt, in unsere Welt unter uns Wenigen,<br />

die sich nur lieben sollten.“ Der Bruch folgte auch hier unweigerlich und<br />

konnte bis zum Lebensende nicht mehr behoben werden, wenn Nebel es<br />

auch in diesem Fall kurz vor seinem Tode versuchte.<br />

4 Autorenportrait Nebel

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!