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Editorial

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satz des hier zu besprechenden<br />

Buches beschreibt. Topitsch,<br />

der Wissenschaftstheoretiker<br />

und Philosoph, der einer größeren<br />

Öffentlichkeit mit der<br />

Veröffentlichung unangenehmer<br />

Wahrheiten über „Stalins<br />

Krieg“ bekanntgeworden ist,<br />

plädiert in diesem Spannungsfeld<br />

energisch für die Freiheit<br />

der Wissenschaft und schlägt<br />

sich auf die Seite der Tatsachen.<br />

Wissenschaftstheoretisch<br />

gesprochen: Er ist ein Positivist<br />

und will die wissenschaftliche<br />

Debatte auf überprüfbare Aussagen<br />

begrenzen. Die deshalb<br />

notwendige Trennung zwischen<br />

Religion und Wissenschaft<br />

ist das Kernthema jener<br />

kleinen Auswahl von fünf Aufsätzen,<br />

die jetzt bei Duncker<br />

& Humblot erschienen ist und<br />

die wohl die letzte Veröffentlichung<br />

des im Frühjahr verstorbenen<br />

Topitsch darstellt.<br />

Nun ist der Weg über die<br />

Nachprüfbarkeit auch dem Rezensenten<br />

immer als der einzig<br />

mögliche Weg erschienen,<br />

überhaupt Wissenschaft zu<br />

betreiben. Dennoch, die Gegner<br />

dieses Wissenschaftskonzepts<br />

sind wie gesagt zahlreich<br />

und ihre Meinungen haben<br />

Einfluß. Topitsch hat zwei<br />

besonders profilierte Denker<br />

dieser Richtung zum Gegenstand<br />

seiner Kritik erhoben,<br />

die sich bislang höchst selten<br />

in einem Atemzug genannt<br />

sahen: Jürgen Habermas und<br />

Carl Schmitt. Er kommt zu<br />

einem für beide durchaus unerfreulichen<br />

Schluß: Sie hätten<br />

sich das zentrale Problem ihrer<br />

Wissenschaftsauffassung nicht<br />

bewußt gemacht, das sich bei<br />

der Anwendung ihrer von Topitsch<br />

konzedierten theologischen<br />

Grundvorstellungen auf<br />

die Realität stelle. Weil diese<br />

Vorstellungen nicht prüfbar<br />

seien, führe die stillschweigende<br />

Orientierung an ihnen auch<br />

zu unrichtigen Ergebnissen.<br />

Das ende, so Topitsch, in einem<br />

mehr oder weniger ausgeprägten<br />

Wirklichkeitsverlust.<br />

Carl Schmitt bleibt für Topitsch<br />

trotzdem eine der interessantesten<br />

Gestalten des deutschen<br />

Geisteslebens, dem man<br />

manches glänzende Aperçu<br />

verdanke, der aber zeitlebens<br />

mit unklaren Begriffen gear-<br />

beitet und einem überbordenden<br />

Hang zur Selbstinszenierung<br />

nachgegeben habe.<br />

Beides zusammen habe Schmitt<br />

zu den teilweise spektakulären<br />

Fehlschlüssen verleitet, die<br />

besonders seine politisch-juristischen<br />

Arbeiten in der nationalsozialistischen<br />

Ära kennzeichnen.<br />

Topitsch verweist<br />

in diesem Zusammenhang<br />

als mögliche Haltung auf den<br />

Unterschied zwischen Schmitt<br />

zu Thukydides, den er einen<br />

der bedeutendsten politischen<br />

Denker der Antike nennt. Das<br />

historisch-politische Werk dieses<br />

heimlichen Atheisten ging<br />

aus der Erfahrung des Peloponnesischen<br />

Kriegs hervor,<br />

an dem er als Politiker und<br />

Flottenführer persönlich beteiligt<br />

war. Seine Thematik hätte<br />

für Schmitt gerade in der Situation<br />

nach 1930 faszinierend<br />

sein können, so Topitsch. Sie<br />

enthielt die Mischung von<br />

Krieg und Bürgerkrieg, die<br />

verschiedensten Freund-<br />

Feind-Kombinationen und ein<br />

düster-realistisches Bild der<br />

menschlichen Natur. Thukydides<br />

an Ranke erinnernder Anspruch,<br />

zu zeigen wie es eigentlich<br />

gewesen sei, enthielt<br />

jedoch keine theologischen<br />

Reserven, wie sie Topitsch bei<br />

Carl Schmitt gegeben sieht.<br />

Thukydides, so darf man vermuten,<br />

kam in seinen Augen<br />

jenem ‚Don Capisco‘ recht<br />

nah, den Carl Schmitt eher<br />

„mimte“.<br />

Nicht weniger hart trifft<br />

es Jürgen Habermas. Dessen<br />

dialektische Kniffe vergleicht<br />

Topitsch ungerührt mit denen<br />

von ‚Zauberern und Wahrsagern‘.<br />

Genaugenommen<br />

kommt Habermas bei ihm<br />

deutlich schlechter weg als<br />

Schmitt, denn er ist nachvollziehbarer<br />

Weise weder für seinen<br />

brillanten Stil noch als<br />

Quelle geistreicher Aperçus zu<br />

loben. Jürgen Habermas argumentiert<br />

jederzeit ernst und<br />

mit dem undurchdringlichen<br />

Gestus des Hohepriesters, wie<br />

Topitsch ihm attestiert. Man<br />

müsse ihm auf seinen dunklen<br />

Wegen im Glauben folgen,<br />

denn wer Begriffe oder Methode<br />

hinterfrage und wissen<br />

wolle, wovon Habermas im<br />

Kern eigentlich rede, dem<br />

drohe buchstäblich die Exkommunikation.<br />

Der ‚herrschaftsfreie<br />

Diskurs‘, von dem<br />

bei Habermas so häufig die<br />

Rede sei, stehe tatsächlich für<br />

ein System totaler Argumentationsverweigerung,<br />

er sei eine<br />

„Heilslehre, die von vornherein<br />

gegen jede Infragestellung“<br />

abgeschirmt sei.<br />

Beispiele gibt es auch hier<br />

reichlich, und neben viel interessantem<br />

Nachhall auf den<br />

Positivismusstreit der sechziger<br />

Jahre findet der Autor auch<br />

den Bogen zurück in den „Irrgarten<br />

der Zeitgeschichte“,<br />

den Habermas während des<br />

Historikerstreits mit erkennbarem<br />

Willen noch weiter ausgebaut<br />

hat. Sein Versuch, mit<br />

Ernst Nolte, Michael Stürmer<br />

und Andreas Hillgruber gleich<br />

mehrere prominente Historiker<br />

und deren Positionen aus<br />

der öffentlichen Debatte auszuschließen,<br />

sei keineswegs zufällig<br />

entstanden. Er sei nur zu<br />

verstehen aus den Grundlagen<br />

des Habermasschen Denkens<br />

und Selbstverständnisses. Die<br />

Akzeptanz solcher Gedankengebilde<br />

in der Öffentlichkeit<br />

hänge weitgehend davon ab,<br />

in welchem Maße sie politischen<br />

Interessen und emotionalen<br />

Bedürfnissen ihrer Zeit<br />

entspricht, schließt Topitsch<br />

etwas resigniert. Man wird<br />

ihm nicht widersprechen wollen,<br />

zumal wenn man sich in<br />

Erinnerung ruft, daß Habermas<br />

mit der Wahl Jan Philipp<br />

Reemtsmas als Laudator bei<br />

der Verleihung des Friedenspreises<br />

des deutschen Buchhandels<br />

den Stab bereits in die<br />

nächste Generation weiterzugeben<br />

versuchte. Reemtsmas<br />

Verdienste um den herrschaftsfreien<br />

Diskurs sind spätestens<br />

seit der von ihm angestrengten<br />

Prozeßlawine um die Wehrmachtsausstellung<br />

bekannt.<br />

Stefan Scheil<br />

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