2. Ausgabe Leselicht

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Zu Wort gekommen „Am liebsten wollte ich ‚lieber Gott‘ werden“ Prof. Dr. Gerd Antos – der ’Chef‘ – der Germanistischen Sprachwissenschaft Seit 1993 lehrt Prof. Dr. phil. habil. Prof. h.c. Gerd Antos, M.A. am Germanistischen Institut in Halle. Sein beruflicher Werdegang ist beeindruckend - auch wenn er doch nicht ‚lieber Gott‘ geworden ist. Uns interessierte neben dem Alltag des Professor-Seins auch die private Seite des charismatischen Herrn Antos. Das Interview führten Diana Schlinke und Christian Rex. Herr Prof. Dr. Antos, woher stammen Sie ursprünglich? Geboren wurde ich in der Nähe von Görlitz, auf einem schönen Bauernhof – über scharrenden Pferden und blökenden Kühen – übrigens als Gerd Erwin Paul Antoskiewicz. Mein Vater (Kaufmann aus Liegnitz/Berlin) und meine Mutter (Tochter eines Bauern/ Bürgermeisters) hießen im Dorf gleichwohl „Zachmann“. Denn gegen die Polen (insbesondere jenseits der Neiße) hatte man etwas. Wenn Sie mich heute fragen, woher ich ursprünglich stamme, dann sage ich: aus Schlesien! Wo haben Sie studiert? Ich habe in Erlangen und Saarbrücken Germanistik, Philosophie, Geschichte und Sozialkunde, und dann ab und zu im Leben studiert. Haben Sie damals in einer WG gelebt? Damals nicht (wir waren ohne Vater zu arm, ich musste also immer wieder nach Hause)! Aber später in Halle habe ich mit einem Kollegen und einem Mitarbeiter von mir in einer WG gelebt – genauer: Ich lebe da noch immer mit besagtem Kollegen. Was gefällt Ihnen am WG-Leben und was nicht? Früh morgens aufzustehen ist schon schwer genug! Aber dann noch ganz einsam und alleine Semmeln zu schmieren ist total öde. Wie schön der Tag, wo man bereits vor dem Duschen ungekämmt drauflosreden kann. Mein Kollege nennt das, was wir in der WG früh morgens gemeinsam machen, „Semmel-Kolloquium“! Also: Eine wunderbare Einstimmung auf ein erfülltes Universitäts-Leben. Abends stellen wir aber manchmal dann doch fest, dass wir zur wahren Erfüllung noch ein Bier oder eine Flasche Wein benötigen. – Und damit wären wir auch schon beim Abwasch und den Abgründen des gemeinsamen Wohnens. War es schon immer Ihr Wunsch, Sprachwissenschaft zu studieren und später auch Professor dafür zu werden? Mit drei Jahren wollte ich „Lieber Gott“ werden (um sicher zu gehen, dass ich im nächsten Weltkrieg nicht getötet werde – wie so viele, um die auf unserem Hof geweint wurde); später Botschafter (weil ich immer weg wollte, ohne dabei die Pension zu verlieren). Doch dann hat es bei mir nur noch bis zum Professor gereicht. Und warum Sprachwissenschaft? Vielleicht weil Sprache so multifunktional ist wie das berühmte Schweizer Offiziersmesser: Man kann damit Bäume fällen, aber zur Not auch jemanden operieren. Diese Facettenhaftigkeit hat mich immer schon fasziniert. Sind Studierende von heute anders, als die Ihrer Generation? Sie sind durchweg schlauer, aber zum Glück nicht weiser (jedenfalls nicht die meisten)! Kann man mit der Sprachwissenschaft berühmt werden? Ich wäre schon froh, wenn man damit Geld verdienen könnte. (lächelt) Sie befassen sich derzeit intensiv mit der Optimierung von Rechtstexten: Gibt es schon einige Fortschritte in Sachen Verständlichkeit von Rechtstexten? Das schlimmste, was Ihnen als Lehrer oder Lehrerin passieren kann, ist mit Ihrer Klasse wandern oder ins Schwimmbad gehen zu müssen. Sie glauben gar nicht, wie gefährlich das unter rein rechtlichen Aspekten sein kann. Auch Nachbar zu sein ist ja heute schon ein Abenteuer. Daher ist es vielleicht hilfreich, wenn man zumindest erahnt, worauf man sich da überhaupt einlässt. Und dazu wollen wir als Linguisten mit Hilfe unserer Juristen Brücken ins Leben schlagen. Welche Projekte laufen diesbezüglich oder sind geplant? 1. Wir sollen 2010 das Nachbarschaftsgesetz des Landes für „den gemeinen Mann“ bzw. für die gebildete Frau noch etwas transparenter machen. <strong>2.</strong> In einem weiteren Projekt wollen wir anhand der Wirtschaftsberichterstattung der ausgehenden DDR zu erklären versuchen, warum man z.B. „Opfer seiner eigenen Propaganda“ werden kann. Wir greifen dabei auf einen weltberühmten Unbekannten, 16
auf den polnischen Mikrobiologen und Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck (1896-1961) und sein Konzept des „Denkstils“ zurück – übrigens der Vorläufer des berühmten Paradigmen- Begriffs. Haben Sie ein Unwort der Jahres 2009? Schweine-Grippe. Wie sieht ein typischer Tag im Leben eines Professors aus? Unübersichtlich! Und ansonsten: Zu Vieles und zu Unterschiedliches gleichzeitig und das mehrmals im Kreise. Wie motivieren Sie sich an Tagen, an denen Sie lieber nicht vor hundert Studierenden stehen wollen? Bitte nur einmal einen Tag ohne Mails und ohne Verwaltung! Verbunden mit dem Traum zu lesen und ungestört „herumzuforscheln“. Sie sind ja bekanntlich leidenschaftlicher Kaffeetrinker. In welchem Café in Halle schmeckt Ihrer Meinung nach der Kaffee am besten? Ich bin aus gesundheitlichen Gründen inzwischen auf den Tee gekommen (außer in Seminaren, um dort durchzuhalten). Ansonsten gibt es –sorry – den besten Kaffee in Pisa, am Ufer des Arno, im Hotel Viktoria. Als Professor hat man sicher wenig Freizeit. Was machen Sie, um zu entspannen und Abstand vom Unistress zu bekommen? Nordic Walking, Musik hören und angestrengt faulenzen. Sie haben ja schon in verschiedenen Städten Seminare gehalten; wie schneidet Halle im Vergleich zu anderen Städten ab? Wo halten Sie sich in Halle am liebsten auf? Halle schneidet sich in vielen Dingen ins eigene Fleisch und damit auch manches ab! Trotzdem: Am liebsten in meinem Büro in der Luisenstraße und in einer schönen Wohnung in Halle, wohin ich mich ab und an zurückziehen kann. Welches Buch liegt derzeit auf Ihrem Nachttisch? Ich habe keinen Nachttisch! Momentan starte ich aber meine erste Koran-Lektüre, leider nur auf Deutsch. Unser Titelthema lautet diesmal „Tagebücher“. Führen Sie selbst eins? Leider nicht. Ich habe dazu keine Zeit und kein Talent! Wir bedanken uns für das Gespräch. Prof. Dr. Gerd Antos, Germanistisches Institut Foto: Gerd Antos 17
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