Interview Très CHER (Vorschau)
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MOSS: Das ist ihre Entscheidung. Wobei es<br />
zumindest jetzt nicht danach aussieht. Sie<br />
mag es nicht, fotografiert zu werden. Sie ist<br />
eher schüchtern.<br />
INTERVIEW: Die jungen Models von heute<br />
sind Social-Media-Stars. Du hast nicht<br />
einmal einen Twitter-Account.<br />
MOSS: Es ist eben eine andere Generation,<br />
eine, die über diese Plattformen<br />
kommuniziert. Alle Kids machen das heute.<br />
Meine Tochter liebt Instagram – wobei auch<br />
ich Instagram benutze, ich habe jedoch nur<br />
25 Follower.<br />
INTERVIEW: Wenn du uns deinen<br />
Instagram-Namen verrätst, hast du sicher etliche<br />
mehr, wenn dieses Heft erscheint.<br />
MOSS: Ja, aber mir ist es lieber, wenn nicht so<br />
viele Leute wissen, wo ich mich gerade<br />
aufhalte oder was ich gerade mache. Das<br />
entspricht einfach nicht meiner Natur.<br />
Linda Evangelista<br />
INTERVIEW: Hast du in den Anfangstagen als<br />
Model eigentlich Tagebuch geführt?<br />
LINDA EVANGELISTA: Anfangs schon, da habe<br />
ich das Tagebuch auch als Kalender für<br />
Termine und Verabredungen genutzt.<br />
Außerdem bewahrte ich darin die Polaroids<br />
der Shootings auf, mit kleinen Randnotizen<br />
und dergleichen. Das ging die ersten Jahre so.<br />
Doch als ich meinen Sohn zur Welt brachte,<br />
dachte ich, ich bräuchte es nicht mehr, da ich<br />
mich ohnehin an jeden Tag mit ihm erinnere.<br />
Kürzlich fragte er mich jedoch, wann er<br />
seinen ersten Zahn verloren habe – und ich<br />
wusste es nicht (lacht).<br />
INTERVIEW: Du planst also nicht, deine<br />
Memoiren zu schreiben?<br />
EVANGELISTA: Um das zu tun, müsste ich eine<br />
Menge Leute erst einmal fragen, was zum<br />
Teufel alles wirklich passiert ist.<br />
INTERVIEW: Aber du erinnerst dich sicher<br />
noch, wie alles angefangen hat – und an den<br />
beschwerlichen Weg nach oben?<br />
EVANGELISTA: Ich kann mich an die endlosen<br />
Vorstellungsrunden in New York erinnern,<br />
auf die mich die Modelagentur Elite in New<br />
York geschickt hat. Ich erinnere mich auch<br />
noch sehr gut an John Casablancas, ich habe<br />
ihn vergöttert.<br />
INTERVIEW: In einem Nachruf über ihn<br />
stand, du seist das einzige Model gewesen,<br />
das sich jemals bei ihm wirklich dafür<br />
bedankt habe, dass er es zu einem<br />
Supermodel gemacht hat.<br />
EVANGELISTA: Das ist sehr traurig. Es ist ja<br />
nicht so, dass wir nie gestritten oder nie<br />
versucht hätten, uns die Köpfe einzuschlagen.<br />
Aber ich wusste immer, dass ich nicht alleine<br />
so weit gekommen bin. Ich bin kein<br />
Selfmade. Es gab immer Leute, die mir<br />
geholfen haben, dorthin zu kommen, wo ich<br />
heute bin.<br />
INTERVIEW: Wie hat das mit dem Modeln bei<br />
dir angefangen?<br />
EVANGELISTA: Mit einem Modelkurs in<br />
meiner Heimatstadt St. Catharines in<br />
Ontario, Kanada, was eigentlich eine miese<br />
Abzocke war. Wer dort modeln wollte,<br />
musste für Kurse bezahlen. Meine Mum<br />
übernahm die Kosten, und als ich 16 wurde,<br />
bekam ich eine Einladung nach Japan, um<br />
dort für eine Agentur den Sommer über zu<br />
modeln. Ich komme aus einer sehr strengen<br />
italienischen Familie, durfte nie später als<br />
22 Uhr zu Hause sein und musste mir am<br />
Wochenende genau überlegen, wann ich<br />
ausgehen will. Entweder Freitag oder Samstag<br />
– beide Abende, das war tabu. Einen Freund<br />
durfte ich auch nicht haben. Aber die Reise<br />
nach Japan erlaubten sie mir. Als ich jedoch<br />
dort ankam, entpuppte sich alles als eine<br />
große Katastrophe. Ich bekam totale Panik<br />
und bat letztendlich die kanadische Botschaft<br />
um Hilfe. Zwei Tage später war ich wieder zu<br />
Hause und verkündete voller Inbrunst: „So<br />
etwas werde ich nie wieder machen, damit<br />
will ich nichts zu tun haben.“ Daraufhin<br />
überredete mich meine Agentur, wenigstens<br />
noch einmal bei einem Schönheitswettbewerb<br />
mitzumachen, bei Miss Teen Niagara.<br />
INTERVIEW: War das eine echte Misswahl?<br />
Mit Bademoden und einer Rede, in der du<br />
erklärt hast, wie die Welt zu einem besseren<br />
Ort werden würde?<br />
EVANGELISTA: Ja, das volle Programm. Ich<br />
trug zudem ein Kleid, das meine Freundin<br />
Christina extra für mich genäht hatte.<br />
INTERVIEW: Und hast du gewonnen?<br />
EVANGELISTA: Nein, ich war nicht einmal auf<br />
einem der vorderen Plätze. Aber ein Scout<br />
von Elite saß im Publikum und sprach mich<br />
danach an. Da ich ein Jahr schneller mit der<br />
Highschool fertig war und nicht wusste, was<br />
ich bis zum College machen könnte,<br />
überredete meine Mutter mich, ihn einfach<br />
mal anzurufen. Wir trafen uns, er machte ein<br />
paar Bilder und schickte sie nach New York.<br />
Daraufhin wurde ich nach New York<br />
eingeladen, um John Casablancas zu treffen.<br />
INTERVIEW: Wie hast du dich in New York<br />
geschlagen?<br />
EVANGELISTA: Ich blieb ungefähr einen Monat<br />
und drehte meine Runden bei den Agenturen<br />
und Magazinen. Dann schickte man mich<br />
nach Paris, da in New York nicht wirklich was<br />
.<br />
passierte. Dort wohnte ich mit ein paar<br />
anderen jungen Models im L’HÔtel in der Rue<br />
des Beaux-Arts, dem Hotel also, in dem Oscar<br />
Wilde starb. Wir hatten alle Bettwanzen.<br />
INTERVIEW: Hast du dich unter Druck gesetzt<br />
gefühlt, weil du wusstest, du musst Jobs an<br />
Land ziehen – oder nach Hause fliegen?<br />
EVANGELISTA: Ach, am Ende habe ich ja Jobs<br />
bekommen. Irgendwelche Kataloge und<br />
kleine Strecken in Magazinen. Insgesamt<br />
dauerte es jedoch drei Jahre. Ich war kein<br />
Erfolg über Nacht. Deswegen hätte ich auch<br />
nie von Vogue oder Versace zu träumen<br />
gewagt. Ich dachte, dafür käme ich einfach<br />
nie infrage (lacht).<br />
INTERVIEW: Und wann ist dann der Knoten<br />
geplatzt?<br />
EVANGELISTA: Als Arthur Elgort anfing, mich<br />
für die französische Vogue zu buchen.<br />
Daraufhin lernte ich Peter Lindbergh und<br />
Steven Meisel kennen, später dann Irving<br />
Penn und Richard Avedon. Irgendwann<br />
folgte der erste Haarschnitt …<br />
INTERVIEW: Hast du Buch geführt, wie oft du<br />
dir die Haare gefärbt hast?<br />
EVANGELISTA: Gefühlt passierte das eher<br />
sporadisch. Allerdings kann ich mich daran<br />
erinnern, dass ich nach ein paar Monaten<br />
nach Hause zu meiner Mutter gekommen<br />
bin, mit kürzeren Haaren und ungefärbt.<br />
Daraufhin sagte sie: „Was ist denn das für<br />
eine Farbe? Die sieht viel zu hart aus an dir.<br />
Warum hast du dir denn diese Farbe<br />
ausgesucht?“ (lacht) Es konnte sich niemand<br />
mehr an meine natürliche Haarfarbe<br />
erinnern, nicht einmal meine Mutter.<br />
INTERVIEW: Hast du viele Stücke behalten,<br />
die du über die Jahre bekommen hast?<br />
EVANGELISTA: Ich besitze viele, aber kein<br />
Lager voll, wie das bei anderen Models der<br />
Fall ist. Man bekommt ja auch nicht alles<br />
geschenkt, was man bei Schauen oder<br />
Shootings trägt. Mein Held Karl Lagerfeld ist<br />
jedoch sehr großzügig, deswegen habe ich<br />
unfassbar schöne Teile von Chanel. Das ist<br />
das einzige Archiv, das ich besitze.<br />
INTERVIEW: Du hast in mehreren Videos von<br />
George Michael mitgespielt …<br />
EVANGELISTA: Egal wo ich auf der Welt<br />
hinkomme: Die Leute kennen mich aus<br />
diesen Videos – und nicht aus irgendwelchen<br />
Kampagnen.<br />
INTERVIEW: Das Video zu Freedom! ’90 ist so<br />
toll – und ziemlich lange her. Aber du bist<br />
immer noch hier und modelst!<br />
EVANGELISTA: Zumindest so viel, wie ich<br />
möchte. Ich arbeite nicht mehr jeden Tag und<br />
kann mir genau aussuchen, was ich mache.<br />
INTERVIEW: Fällt es dir schwerer, Jobs<br />
anzunehmen, die außerhalb von New York<br />
stattfinden, seit du einen Sohn hast?<br />
EVANGELISTA: Man kann an einer Hand<br />
abzählen, wie oft ich ihn alleine gelassen