Interview Die nächste Kate Moss? - Cara Delevingne (Vorschau)
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Kunst. Und das hat Paris dir gegeben. Das war eine<br />
weise Entscheidung. Bei dir sehe ich nur Kunst, keine<br />
Politik, keine Religion. Reine Kunst. Und das schaffen<br />
nicht viele. Man muss der Kunst vertrauen.<br />
JAUNE: Es darf in der Kunst keine Grenzen geben.<br />
Alles andere ist begrenzt. Es gibt so viele Gesetze:<br />
In der Natur, in der Gesellschaft, aber dort in der<br />
Kunst ist alles möglich. Das muss man ausnutzen und<br />
alles geben. Wenn ich male, dann mache ich das extrem.<br />
Ich kann dann auch nicht auf Messages antworten,<br />
auch nicht von lieben Menschen. Ich mag auch<br />
nicht viel essen, wenn ich male. Dann mache ich mir<br />
eine passierte Suppe und für drei Tage ein Fläschchen,<br />
denn es muss schnell gehen. Seit November arbeite<br />
ich sehr intensiv, bestimmt noch bis September.<br />
MEESE: Super.<br />
JAUNE: Wenn ich ein neues Bild beginne, mache<br />
ich keine Zeichnungen vorher. Ich habe etwas vor,<br />
und dann fange ich an, und dann verändert es sich die<br />
ganze Zeit. Es ist ein Prozess, bei dem ganz viele Dinge<br />
im Unterbewusstsein passieren. Jedes fertige Bild<br />
ist dann eine Art Erlösung.<br />
MEESE: Genau, dann kann man endlich das <strong>nächste</strong><br />
machen. Es ist eine Quelle, die immer sprudeln<br />
wird, wenn man sich drauf einlässt. Das ist wie Schlaf,<br />
das ist was ganz Normales. Aber die Leute haben so<br />
viel Angst vor der Kunst, aber nicht vor der Realität.<br />
JAUNE: Das stimmt. Das ist ganz erstaunlich. Sie<br />
zelebrieren ja sogar die NichtKunst. Wahnsinn.<br />
MEESE: Für mich ist es ja ganz leicht, ein Bild zu<br />
malen. Ich hatte noch nie eine Problematik mit der<br />
Kunstproduktion. Ich habe noch nie eine Krise mit<br />
der Arbeit gehabt. Das war schon vorgeburtlich so.<br />
Zwischen 10 und 20 war ich, wie du auch, ein totaler<br />
Träumer. Ich bin in Ahrensburg zur Schule gegangen,<br />
habe es aber geschafft, die Schule ohne diese Realität<br />
durchzuziehen. Zwischen 20 und 30 war dann diese<br />
Aufbruchsphase. Jetzt komme ich gerade wieder in<br />
die Phase 10 bis 20. Ich träume auch die ganze Zeit<br />
von der Schulzeit. Ich träume von Lehrern und Fantasielehrern.<br />
Ich träume vom Sportplatz, um den ich<br />
laufe. Ich träume vom Shirt, das ich anhatte, von dem<br />
es keine Fotos gibt, was ich unverzeihlich finde, denn<br />
ich sah aus wie ein junger Gott. Ich sah einfach geil<br />
aus. Ich hatte aber kein Selbstvertrauen.<br />
JAUNE: Nein, das hat man nicht in dem Alter.<br />
Aber ich habe auch noch nie eine Zeit gehabt, wo ich<br />
gesagt habe: So, jetzt ist alles super, das ist perfekt.<br />
Aber vielleicht kommt das noch …<br />
MEESE: Ja, vielleicht.<br />
JAUNE: Mit 70. Das ist eine gute Zeit.<br />
MEESE: Sehe ich ganz genauso. Ich glaube, ab 70<br />
wird man wieder ein Mensch, und zwischen 40 und 70<br />
ist die problematischste Zeit. In dieser Zeit werden<br />
viele frustriert, viele bringen sich um. Sehr oft. Oder<br />
sie werden käuflich.<br />
JAUNE: Das stimmt.<br />
MEESE: Und zwischen 10 und 20 bist du nicht<br />
käuflich. Und zwischen 70 und 90 geht’s auch nicht<br />
mehr. Also, meine Mutter kann man nicht mehr kaufen.<br />
Der kann man fünf Billionen Euro auf den Tisch<br />
legen, aber wenn die Party scheiße ist, geht sie nicht<br />
hin. Schwierig sind für mich auch Menschen, die Zeit<br />
haben. Ich habe gar keine Zeit mehr.<br />
JAUNE: Ich auch nicht. Aber warum kommt es mir<br />
so vor, als hätten die Menschen so viel Zeit?<br />
MEESE: <strong>Die</strong> haben nichts zu tun, die brennen für<br />
nichts, da ist nichts. Viele Künstler werden auch Professoren,<br />
weil sie keine Energie mehr haben. Was maßen<br />
die sich an, mit ihrer Vitalitätslosigkeit, andere<br />
Menschen auszubilden? Ich bin so sauer auf die.<br />
JAUNE: Ich wundere mich über Freunde, die so<br />
viel Zeit mit Dinner, Partys und TVSerien verbringen.<br />
Ich habe diese Zeit nicht, ich muss meine Bilder<br />
malen. Ich arbeite sehr einsam. Ich habe einen Kühlschrank,<br />
das Licht, meine Materialien und ein paar<br />
Bilder an den Wänden. Manchmal reiße ich mir Sachen<br />
aus Magazinen aus, die mich sehr bewegen. Ich<br />
mag es gerne, wenn es ordentlich ist, aber ganz schnell<br />
sieht es aus, als wenn eine Bombe eingeschlagen hätte.<br />
Und die Luft ist hart. Kennst du Liquin?<br />
MEESE: Leider nicht.<br />
JAUNE: Es ist das Lösungsmittel, mit dem ich<br />
meine Farben mische, und es greift meine Atemwege<br />
an, aber ich habe bisher keinen Ersatz dafür gefunden.<br />
Man muss auch einen Preis für die Kunst zahlen.<br />
MEESE: Absolut. Wenn es keinen Ersatz dafür<br />
gibt, dann muss man es nehmen.<br />
JAUNE: Und sonst ist es einfach schön. Ich schaue<br />
kein Fernsehen, höre keine Nachrichten. <strong>Die</strong> Zeit ist<br />
dafür zu kostbar. Schaust du manchmal Nachrichten?<br />
MEESE: Manchmal, um mich wieder der Realität<br />
zu verweigern. Ich mache das, um mich gegen sie aufzuputschen.<br />
Was du gerade sagtest: Einsamkeit. Ein<br />
Künstler, der keine Einsamkeit erträgt, sollte sich aus<br />
der Kunst verabschieden. Man kann ja auch andere<br />
Sachen machen. Einen guten Bus fahren, zum Beispiel.<br />
JAUNE: Ja, davor habe ich Respekt.<br />
MEESE: Vollen Respekt.<br />
Foto: Oda Jaune, Twosome dated back from 2012, Courtesy Galerie Daniel Templon, Paris<br />
JAUNE: Man muss sich dem, was man tut, hingeben,<br />
voll und ganz. Das finde ich ganz wichtig. Ich<br />
habe das Gefühl, dass ich mich meiner Arbeit hingebe<br />
und dass ich mich und andere nicht damit belüge. Ich<br />
muss das tun. Ich hatte nie die Wahl.<br />
MEESE: Ich fand übrigens den neuen James Bond<br />
großartig. <strong>Die</strong> Insel, auf der der Böse lebt, da habe ich<br />
Kunst gesehen. Auch der Böse: Wie der seine Zähne<br />
rausnimmt, das ist großartig. Ich habe fast geheult. Szenen<br />
absoluter Kunst. Ich will der Böse im James-Bond-<br />
Film sein. Das ist die Zielsetzung in meinem Leben.<br />
JAUNE: Toll!<br />
MEESE: Ich möchte der Böse sein oder das Böse,<br />
das wäre noch besser. Ich will auch James-Bond-<br />
TwoSoME, 2012<br />
Drehbücher schreiben, ich möchte auch Regie führen.<br />
Da habe ich so Bock drauf. Da ist was. Ich bin<br />
begeistert.<br />
JAUNE: Und ich könnte dann James Bond sein.<br />
MEESE: Supergeil. Natürlich! Der <strong>nächste</strong> Gegner<br />
von James Bond muss auch ein Kind sein, ein Tier<br />
oder eine Frau, die ganz anders ist als die üblichen<br />
James-Bond-Frauen. Oder Gegenstände werden Gegner.<br />
Oder James Bond wird der Gegner von James<br />
Bond. Das ist doch klar. Das steht doch alles schon<br />
fest. Das ist doch alles schon in den Schubladen.<br />
JAUNE: Ja, wie fertige Bilder. Es ist immer auch<br />
für mich spannend, wenn die Bilder von der Öffentlichkeit<br />
wahrgenommen werden. Wenn jemand sagt:<br />
“<br />
Mein Herz ist<br />
leider zu groß, aber<br />
damit muss ich leben.<br />
Mich interessieren<br />
Herzen generell, und<br />
auch Organe male<br />
ich oft, weil ich mir<br />
vorstelle, dass da die<br />
Seele weilt<br />
”<br />
– Oda Jaune<br />
„Das hat mich berührt.“ Das reicht mir vollkommen.<br />
Meine Bilder haben ja auch selten Titel. Ich möchte<br />
nicht noch irgendeinen Link geben oder irgendeine<br />
Beschreibung, wie man das verstehen soll. Das Bild ist<br />
die Antwort auf alle Fragen. Manche Menschen können<br />
in die Bilder reingehen, und andere gehen nur<br />
daran vorbei. Ich freue mich aber immer, wenn etwas<br />
passiert. Das macht mich total glücklich.<br />
MEESE: Ich produziere ja sehr viel und finde es<br />
sehr toll, wenn Profis und hingebungsvolle Menschen<br />
sich für meine Arbeit interessieren. Ich möchte überhaupt<br />
nicht mehr, dass Spekulanten meine Bilder kaufen.<br />
<strong>Die</strong> sollen sich verpissen.<br />
JAUNE: Ich mag es so gerne, wenn Menschen sich<br />
für ein Bild entscheiden, und dann weiß man, wo es ist<br />
und dass sie eine eigene Beziehung dazu haben. Ich<br />
mag es sehr gern, wenn Leute mir ihre Gründe erzählen,<br />
warum sie sich für etwas entschieden haben. Auch<br />
wenn sie sich entscheiden, damit zu leben. Ich habe in<br />
meiner Wohnung zum Beispiel nicht meine eigenen<br />
Sachen, aber von dir, Jonathan, habe ich dort zwei<br />
sehr, sehr schöne Sachen und auch Fotos von meiner<br />
Familie. Ich habe aber auch nicht so viele Wände,<br />
denn meine Wohnung ist sehr klein. Wohnst du mit<br />
deinen Bildern?<br />
MEESE: Meine Mutter wohnt mit Bildern von mir.<br />
Ich habe ja eher so eine Art Büro, und da sind auch<br />
Bilder von mir, aber ich bin ja manischer Sammler<br />
von anderen Sachen, von Magazinen, Büchern, Gegenständen,<br />
Spielzeugen. Das umgibt mich.<br />
JAUNE: Spielzeug?<br />
MEESE: Ich liebe Spielzeug. Und dann sammle ich<br />
auch noch ein bisschen Kunst. Aber findest du nicht,<br />
dass es brutal ist, was einem Künstler heute abverlangt<br />
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