Interview Die nächste Kate Moss? - Cara Delevingne (Vorschau)
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Er ist Virtuose und<br />
Grenzgänger in einer<br />
besonders statischen<br />
Welt: dem Orgelspiel.<br />
CamErOn<br />
CarpEntEr<br />
vermengt bei seinen<br />
auftritten Bach,<br />
Leonard Cohen,<br />
Filmmusik, er gastierte<br />
bei den Berliner<br />
philharmonikern –<br />
und überzeugt durch<br />
seinen eigenwil ligen<br />
modegeschmack.<br />
mit der Künstlerin<br />
Katharina<br />
GrOssE, als junges<br />
mädchen spielte<br />
sie Charles ives auf der<br />
Flöte, diskutiert er<br />
die Kunst der Fuge,<br />
abstraktion bei tizian<br />
und Kniebeschwerden<br />
beim malen<br />
Cameron Carpenter und Katharina Grosse in ihrem atelier vor einem Bild,<br />
das derzeit im De pont museum in tilburg zu sehen ist<br />
Katharina Grosse: Ich bin kein Performing Artist.<br />
In gewisser Weise funktioniert meine Kunst wie eine<br />
Maske, hinter der ich verschwinde. Wie geht es dir?<br />
Cameron Carpenter: Eins meiner großen<br />
Vorbilder für mich als Künstler ist die New Yorker<br />
Dragqueen Mother Flawless Sabrina. Ihr echter<br />
Name ist Jack Doroshow, und sie spielte in einigen<br />
Warhol-Filmen mit und war Teil seiner Entou rage.<br />
Ihre wichtigste Regel lautet: „Inhabit the mask“ (werde<br />
deine Maske).<br />
Grosse: So ähnlich erklären das die Lehrer an<br />
Musikhochschulen ihren Schülern, die Opernsänger<br />
werden wollen. Es geht dabei immer wieder darum,<br />
wie der Ton in die Maske und darüber hinaus projiziert<br />
werden muss.<br />
Carpenter: Der wichtigste Unterschied zwischen<br />
deiner und meiner Kunst ist Zeit. Du kannst ein<br />
Bild ausstellen und im Jahre 3030 kann man es immer<br />
noch betrachten – falls das Bode-Museum dann noch<br />
steht. Youtube gibt es gerade mal zehn Jahre, elektronische<br />
Tonaufnahmen vielleicht seit 1905. Deswegen<br />
ist der Aspekt der Live-Performance für mich extrem<br />
wichtig.<br />
Grosse: Dafür gab es in jüngster Zeit interessante<br />
Beispiele. Marina Abramović etwa führte die<br />
Performances von anderen Künstlern wieder auf: von<br />
Joseph Beuys, von Valie Export etc. Und Tino Sehgal<br />
verfasst genaue Anweisungen, wie seine Arbeiten aufgeführt<br />
werden sollen.<br />
Carpenter: Ich habe die Unterscheidung zwischen<br />
unseren künstlerischen Disziplinen, die du ansprichst,<br />
immer von der anderen Seite gesehen. Bevor<br />
ich auf die Juilliard School kam, war ich an einem<br />
Gymnasium, das sehr interdisziplinär gearbeitet hat.<br />
<strong>Die</strong> meisten meiner Freunde waren Maler oder Tänzer.<br />
Nicht jeder Künstler ist natürlich ein Akademiker.<br />
Ich mag zum Beispiel, wie warmherzig und direkt<br />
Chuck Close über seine Arbeit spricht. Aber damals<br />
merkte ich, dass es einen akademischen Diskurs in der<br />
Musik nicht gibt.<br />
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“<br />
Ich habe David<br />
Bowie erst entdeckt,<br />
als ich 21 war. Vergiss<br />
nicht, dass ich mit<br />
Privatunterricht zu<br />
Hause aufgewachsen<br />
bin. Ich bin ein totaler<br />
Spätzünder<br />
”<br />
– Cameron Carpenter<br />
Grosse: Liegt das daran, dass man als Musiker<br />
vor allem darin trainiert wird, gut zu spielen? Oder<br />
daran, dass man als Musiker in der Regel etwas spielt,<br />
was bereits komponiert wurde? Während der Künstler<br />
ja in gewisser Weise Komponist und Interpret<br />
gleichzeitig ist.<br />
Carpenter: Im 19. Jahrhundert schufen alle<br />
großen Interpreten bei ihren Konzerten unendlich<br />
viel Neues. Anton Rubinstein hat die Partitur eher<br />
als Anregung verstanden und ist sehr frei damit umgegangen.<br />
Bei der Orgel haben wir es mit einer besonders<br />
konservativen, strengen und abergläubischen<br />
Gemeinschaft zu tun. Es gibt kein Vorbild dafür, wie<br />
man als Organist Songs von Leonard Cohen und<br />
Klaviermusik von Liszt spielen und damit berühmt<br />
werden kann. Wenn ich nur Bach und religiöse Musik<br />
spielen wollte, bräuchte ich keine „digitale Orgel“.<br />
Das ist mein wichtigstes Projekt. Denn sie wird diese<br />
Musik – und nicht zuletzt mich – befreien.<br />
Grosse: Das ist in der bildenden Kunst seit einigen<br />
Jahren ein großes Thema: dass Künstler für einen<br />
bestimmten Raum oder ein bestimmtes Museum ihre<br />
Arbeit anfertigen. Was macht man später mit dieser<br />
Arbeit? <strong>Die</strong> Hälfte meiner Arbeiten ist site specific.<br />
Carpenter: Site specificity ist mein persönlicher<br />
Dämon.<br />
Grosse: Deswegen entwickelst du dieses Reiseinstrument?<br />
Carpenter: <strong>Die</strong> Pfeifenorgel ist für mich die<br />
Entsprechung zum Theater.<br />
Grosse: Ist es nicht interessant, einerseits mit<br />
Instrumenten zu spielen, die fest installiert und nicht<br />
beweglich sind, und andererseits mit einem mobilen<br />
Instrument?<br />
Carpenter: Interessant ja. Aber nicht unbedingt<br />
hilfreich für meine Absichten und Ziele, was das Orgelspiel<br />
betrifft. Ich will die Rolle der Orgel in der<br />
westlichen Kultur verändern.<br />
Grosse: Das ist deine Mission.<br />
Carpenter: Oh, ich hasse dieses Wort. Das<br />
klingt für mich nach einem Kreuzzug, bei dem Menschen<br />
verletzt werden.<br />
Grosse: Dann eben deine Vision.<br />
Carpenter: Verrückte haben Visionen. Insofern<br />
gefällt mir dieser Ausdruck schon wesentlich besser.<br />
Ich bin 31, ich kann mich nicht mehr als wilder junger<br />
RamboKünstler aufführen, der plötzlich merkt, dass<br />
er die Welt verändern will. Aber die Entscheidung,<br />
welche Musik auf der Orgel gespielt wird, hing immer<br />
damit zusammen, wo sie steht, wann sie gebaut<br />
wurde, wie groß sie ist. Nichts davon hat mit künstlerischem<br />
Ausdruck zu tun. Ich stelle den Künstler über<br />
sein Instrument.<br />
Grosse: Ich verstehe deinen Wunsch, die Orgel<br />
quasi zu befreien. Ich war immer fasziniert von den<br />
Möglichkeiten dieses Instruments, seiner Multivokalität,<br />
seiner Mehrstimmigkeit. Aber mir gefällt eben<br />
auch, dass sie an einen bestimmten Ort gebunden ist.<br />
Oft sind es Kirchen, und das ist ein seltsamer Rahmen,<br />
da diese ja auch ihre ursprüngliche Bedeutung<br />
verlieren.<br />
Carpenter: Gott sei Dank.<br />
Grosse: Endlich erwähnst du ihn mal!<br />
Carpenter: Ich spiele das teuerste Instrument,<br />
das es gibt. Wenn man dessen Rolle ändern will, hat<br />
man automatisch mit Kirche und Wirtschaft zu tun.<br />
In gewisser Weise ist das eine politische Frage. Man<br />
will den Kurs eines riesigen Schiffes ändern.<br />
Grosse: Auch in der Rockmusik wurde doch viel<br />
Orgel eingesetzt.<br />
Carpenter: Das war mir früher gar nicht bewusst.<br />
Ich habe David Bowie erst entdeckt, als ich<br />
21 war. Vergiss nicht, dass ich mit Privatunterricht<br />
zu Hause aufgewachsen bin. Ich bin ein totaler Spätzünder.<br />
Grosse: Was ich mich gefragt habe, als ich deine<br />
Musik gehört habe: Wie wichtig ist dir John Cage?<br />
Als er zum Beispiel die Fenster geöffnet hat, den Straßenlärm<br />
der 5th Avenue aufnahm und gesagt hat, das<br />
sei die schönste Symphonie. Was hat das mit dir gemacht?<br />
Carpenter: John Cage zeigte, dass so unglaublich<br />
viele Dinge Musik sein können. Deswegen empfanden<br />
ihn viele als Bedrohung. Mit Cage geht es mir<br />
wie mit Kunst im Museum, die ich nicht zwingend<br />
verstehe, aber die mir einen von Millionen Standpunkten<br />
zeigt und ermöglicht. Als Komponist habe<br />
ich wenig mit ihm zu tun. Ich sage gern, dass ich keine<br />
Musik nach 1918 schreibe.<br />
Grosse: Mir geht es anders. <strong>Die</strong> Arbeit von Cage<br />
ändert mein Denken. Sogar das über meine eigene Arbeit.<br />
Genauso Charles Ives, den ich sehr bewundere.<br />
Sein Vater ist mit ihm auf einen Kirchturm gestiegen<br />
und hat ihn auf die vier Blaskapellen hören lassen, die<br />
aus vier Richtungen auf den Turm zukamen und das<br />
gleiche Stück in verschiedenen Tempi spielten.<br />
Carpenter: Er war auch ein toller Organist.<br />
Grosse: Oder die Orchester, die er in einem<br />
Park verteilte, durch den man spazieren konnte. Das<br />
stellt infrage, was wir mit unserer Arbeit tun. Was<br />
sind die Paradigmen, von denen wir uns leiten lassen?<br />
Mich wundert es ein bisschen, wenn du sagst, Musik<br />
nach 1918 interessiere dich nicht.<br />
Carpenter: Oh nein! Den Witz habe ich schon<br />
ein paar Mal zu oft gemacht. Daran merke ich, dass ich<br />
alt und langweilig werde. Was ich meine ist dies: Mein<br />
Ausdruck ist tonal und emotional. Ich beschreibe<br />
meine Musik als cinematic. Das ist nicht das, was man<br />
gemeinhin für zeitgenössisch hält. Der unmittelbare<br />
Hörgenuss, den ich mit meiner Musik erreichen will,<br />
ist heute immer noch passé und tabu. Als Komponist<br />
hat man immer intellektuell wie Schönberg zu sein.<br />
Wer Musik schreibt, die Millionen Menschen gefallen<br />
könnte, wie Rachmaninow oder John Williams, ist<br />
verdächtig. Wer Geld verdient, ist billig. Schrecklich,<br />
aber so ist es. Meine Musik basiert auf Melodien und<br />
auf der Entwicklung von Motiven, meist kontrapunktisch,<br />
was natürlich stark von Bach beeinflusst ist.<br />
Grosse: Bach hatte gesellschaftliche oder politische<br />
Gründe dafür, warum er Traditionen übernahm<br />
– oder änderte. Wir leben in einer komplett anderen<br />
Welt. Warum sind dir Bachs kompositorische Mittel<br />
wichtig – abgesehen von der Tatsache, dass du sie<br />
magst?<br />
Carpenter: Bach ist nicht der Erste, den ich nennen<br />
würde, wenn man mich fragt, was ich mag. Manche<br />
seiner Stücke gefallen mir, andere wollen einfach<br />
nicht aufhören. Es gibt sehr viele Stücke für Orgel,<br />
die besser zu spielen als anzuhören sind. Warum ich<br />
mich auf die Geschichte beziehe? Ich habe mich für<br />
die Art von Musik entschieden, die die stärkste emotionale<br />
Macht auf mich ausübt. Bei Bach zum Beispiel<br />
ist es die Fuge, ein mehrteiliges Stück, das horizontal<br />
strukturiert ist und auf einer mathematischen Grundordnung<br />
basiert. Bachs Fugen haben jeden Organisten<br />
und im Grunde jeden Komponisten beeinflusst.<br />
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