„Die multikulturelle Gesellschaft – Konsequenzen für die Diakonie ...
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Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 1<br />
<strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“<br />
Thomas Zippert, FHDD<br />
Vortrag im Rahmen der Westfälische Konferenz theologischer Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter in der <strong>Diakonie</strong> <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> Herausforderung <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>Diakonie</strong>“ <strong>–</strong> Jahrestagung 19./20.3.2013 in Gelsenkirchen<br />
1. Lage<br />
Die Fakten sind klar <strong>–</strong> und werden immer klarer:<br />
Wir leben, lebten schon immer und werden leben in einer <strong>multikulturelle</strong>n <strong>Gesellschaft</strong>.<br />
Das war schon zu Zeiten der deutschen Kleinstaaterei so. Bayern und Preußen<br />
tickten und ticken nun einmal nicht genauso und Sachsen und Rheinländer<br />
auch nicht. Und der Graben zwischen Lippern und Schaumburg-Lippern ist tiefer als<br />
ich aus der Ferne dachte. Das ist erst recht zu Zeiten des Föderalismus in Bildungsund<br />
Sozialfragen so, deren provinzielle Regelungen auf mittelalterliches Hausarmenrecht<br />
zurückgehen. Und es ist nicht absehbar, dass sich das ernsthaft ändern wird.<br />
Die Migrationsbewegungen der letzten drei(!)hundert Jahre <strong>–</strong> begonnen mit Hugenotten,<br />
Salzburger Protestanten, polnischen Arbeitern im Ruhrgebiet und den kriegsund<br />
ökonomiebedingten des 20. Jahrhunderts <strong>–</strong> werden nicht plötzlich aufhören.<br />
Eher ist das Gegenteil zu erwarten, weil sich auf einer Welt, <strong>die</strong> unter Überbevölkerung<br />
leidet, herumspricht, dass hier immer mehr Wohnraum frei wird.<br />
Die demographische Entwicklung tut ihr Übriges.<br />
Für <strong>die</strong> evangelischen Kirchen heißt das schon auf <strong>die</strong>ser Ebene:<br />
Sie werden schrumpfen, weil sie nicht kinderfreudig genug sind und weil nicht so arg<br />
viele protestantische Migranten in Sicht sind wie zu Zeiten des Großen Kur<strong>für</strong>sten.<br />
Und <strong>für</strong> ihre Mitglieder heißt es genauso wie <strong>für</strong> alle anderen: Eine Minderheit wird<br />
ihre Bindung verstärken <strong>–</strong> <strong>die</strong> anderen leben in Folge der Multioptionsgesellschaft in<br />
Halbdistanz zur Kirche wie zu allen Organisationen, <strong>die</strong> Bindung fordern: „Wieso soll<br />
ich mich an eine binden? Man könnte ja gerade etwas Spannendes in einer anderen<br />
verpassen!“ Andere verknüpfen fröhlich <strong>die</strong>se und jene Tradition zu einem religiösweltanschaulichen<br />
Patchwork. Während <strong>die</strong> einen <strong>die</strong> Positionalität überbetonen und<br />
<strong>die</strong> andere <strong>die</strong> offene Kommunikativität, bleibt <strong>die</strong> Verbindung beider, nämlich Treue<br />
zur eigenen Tradition und Position bei gleichzeitigem Interesse an anderen Positionen,<br />
oft unbesetzt.
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 2<br />
Meist bestimmen patchwork und bricolage bzw. Halbdistanz das Bild. Das gilt inzwischen<br />
auch <strong>für</strong> das Verhältnis zum Arbeitgeber: Lebenslange Bindungen sind allenfalls<br />
noch Realität <strong>für</strong> Beamte und Angestellte, <strong>die</strong> das 50. Lebensjahr hinter sich haben;<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> anderen nicht mehr. Für <strong>die</strong> jungen Menschen, <strong>die</strong> wir ausbilden, erst<br />
recht nicht. Es werden Patchworkbiografien.<br />
Das gilt auch <strong>für</strong> Familien: Es gibt patchworkfamilien und zu konfessionsverschiedenen<br />
Familien kommen religionsverschiedene dazu. Menschen wachsen in zwei Religionen<br />
auf, fühlen sich möglicherweise beiden zugehörig und verändern beide unter<br />
der Hand <strong>–</strong> ein Phänomen, das uns Theologen zutiefst unheimlich und fremd ist und<br />
erst langsam erforscht wird.<br />
All das ist Markt, aber nicht der, auf dem <strong>die</strong> Preise gebildet werden, sondern der von<br />
wechselnden Angeboten, Optionen und Nachfragen als „alles bestimmender Wirklichkeit“<br />
(Bultmann). Leben wird riskant und kann schiefgehen. Die Menschen sind<br />
auf sich selbst zurückgeworfen und immer auf der Suche nach neuen Anschluss-,<br />
Knoten- oder Schnittstellen.<br />
Und in <strong>die</strong>sen Strudel schwindenden Vertrauens und fehlender Verlässlichkeit werden<br />
alle Bindung und Halt gebenden Institutionen mit hineingerissen und unter Druck<br />
gesetzt: <strong>die</strong> Familien, der Nahraum, <strong>die</strong> alten Institutionen, auch <strong>die</strong> Kirchen und <strong>die</strong><br />
<strong>Diakonie</strong>. Die Kirchen haben ihren Vertrauensvorschuss <strong>für</strong> <strong>die</strong> politischen Eliten<br />
schon 1648 verspielt, <strong>die</strong> andern folgten, nicht erst jetzt, mit dem anstehenden Generationenwechsel<br />
in Politik und Verwaltung.<br />
Umgekehrt zeigt <strong>die</strong>ser kurze Ritt: Multikulturalität ist in Deutschland eine uralte Realität.<br />
Das soll akute Entwicklungen, wie das rasante Anwachsen muslimischer bzw.<br />
türkischstämmiger Bevölkerungsanteile nicht bagatellisieren. Aber es könnte einen<br />
auf <strong>die</strong> Spur bringen, dass möglicherweise mehr Ressourcen als gedacht vorhanden<br />
sind, um mit <strong>die</strong>ser Vielfalt konstruktiv umzugehen.<br />
2. Leben mit Pluralismus <strong>–</strong> <strong>für</strong> den Protestantismus nicht neu<br />
Vielfalt ist insbesondere dem Protestantismus nicht fremd. Ihn gibt es nur im Plural:<br />
von lutherisch bis reformiert, von pietistisch bis liberal, von städtisch-selbstbewusst<br />
bis ländlich-treu. Verliebt in <strong>die</strong> jeweils eigene Orthodoxie, <strong>die</strong> sich schon in geringem<br />
Abstand als kultivierter Individualismus zeigt. Was ist das <strong>für</strong> eine lutherische „Orthodoxie“,<br />
in der jeder Dogmatiker seine eigene Dogmatik schreiben muss, weil <strong>die</strong> der<br />
anderen nicht orthodox genug ist? Bestenfalls doch eine behauptete, oder eine
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 3<br />
eschatologische, eine „regulative Idee“ (Kant), dass man doch über <strong>die</strong> gemeinsame<br />
Wurzel, sei es Christus oder Wittenberg, zusammenhängt und Frucht desselben<br />
Baumes ist oder möglicherweise auf dasselbe Reich Gottes zugeht. Dieser Individualismus<br />
ist direkte Folge des Gedankens des allgemeinen Priestertums und der Entdeckung<br />
der je eigenen Verantwortlichkeit vor Gott <strong>–</strong> klassisch formuliert in den ersten<br />
Invokavit-Predigt am 9. März 1522 vor 491 Jahren:<br />
„Wir sind allesamt zu dem Tod gefordert und wird keiner <strong>für</strong> den andern sterben. Sondern ein<br />
jeglicher wird in eigener Person <strong>für</strong> sich mit dem Tode kämpfen. In <strong>die</strong> Ohren können wirs<br />
wohl schreien, aber ein jeglicher muß <strong>für</strong> sich selber bereit sein in der Zeit des Todes: ich<br />
werde dann nicht bei dir sein noch du bei mir.“ 1<br />
Mit der Zeit ist <strong>die</strong>ser Individualismus bei jedem Gläubigen angekommen. Es kann<br />
sogar <strong>die</strong> Gestalt des „protestantischen Prinzips“ annehmen, zunächst und zuallererst<br />
als Widerspruch gegen alles und jeden, vor allem gegen alles, was „von oben“<br />
kommt (eine Haltung, <strong>die</strong> auch noch so säkularisierte Mitarbeitende in der <strong>Diakonie</strong><br />
gerne pflegen).<br />
Aus der Perspektive der Mitglieder sah <strong>die</strong>s seit Jahrhunderten zunächst anders aus.<br />
Ein gewisses Diversitätsmanagement war schon durch geringste Migrationsbewegung<br />
gefordert: Mit einem Umzug in der alten Bundesrepublik konnte man, ohne es<br />
vorher zu ahnen, <strong>die</strong> Konfession wechseln (vom Wechsel der Lernstoffs in der Schule<br />
zu schweigen). Einige Flüchtlinge aus dem Osten wechselten in uraltem Bewusstsein<br />
des „cuius regio <strong>–</strong> eius religio“ in <strong>die</strong> Konfession der neuen Heimat, weil es doch<br />
eh derselbe Gott ist, der in Ostpreußen und der hier. Viele wurden bewusst in anders<br />
konfessionelle Milieus verpflanzt, um <strong>die</strong>se aufzusprengen <strong>–</strong> was als mit großer<br />
Nachhaltigkeit gelungen bezeichnet werden muss, freilich verstärkt durch aktuelle<br />
Mobilität. Auch hier entsteht wohl derselbe Effekt, wie oben beschrieben: Halbdistanz<br />
oder Patchwork in der Multioptionsgesellschaft <strong>–</strong> als Option <strong>für</strong> <strong>die</strong> Meisten, während<br />
andere Wenige <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bekennende Kirche und später <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bekenntnis- und Beteiligungsgemeinden<br />
optierten.<br />
Wie reagiert der Protestantismus, um mit <strong>die</strong>ser Vielfalt umzugehen?<br />
Nun: Vor allem mit dem synodalen Prinzip: vom Kirchenvorstand vor Ort bis hin zu<br />
Kreis-, Landes- und EKD-Synode, auch vom Religionsgespräch zur Konkor<strong>die</strong> als<br />
1 Martin Luther: Acht Sermone gepredigt zu Wittenberg in der Fastenzeit. Martin Luther: Gesammelte Werke, S.<br />
2461 (vgl. Luther-W Bd. 4, S. 61) (c) http://www.digitale-bibliothek.de/band63.htm ]
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 4<br />
Orte, um <strong>die</strong> Vielfalt zur Sprache zu bringen und mühsam um Entscheidungen zu<br />
ringen.<br />
Dazu kam <strong>die</strong> zunächst literarische, dann später <strong>die</strong> mediale Öffentlichkeit, <strong>die</strong> man<br />
nutzte, um ihre Sichten der Dinge bekanntzumachen.<br />
Wie lange solche Entscheidungen brauchen können, zeigt der heute beinah vergessene<br />
Prozess, der durch <strong>die</strong> Leuenberger Konkor<strong>die</strong> (1973) zur Abendmahlsgemeinschaft<br />
zwischen Reformierten und Lutheranern führt. Man hielt fest, in vielen Themen<br />
noch nicht einer Meinung zu sein und dennoch brachte man es über sich, Abendmahlsgemeinschaft<br />
zu ermöglichen.<br />
Noch mühsamer verlaufende ökumenische Prozesse zeigen trotz aller Verzweiflung<br />
an den minimalen Fortschritten, dass alte Organisationen (und <strong>die</strong> Kirchen sind mit<br />
<strong>die</strong> ältesten bestehenden Organisationen!) eigene Kulturen ausgebildet haben, <strong>die</strong><br />
nicht einfach fusionieren können und wollen.<br />
Wie nun zeigen sich Reflexe <strong>die</strong>ser Entwicklungen in der <strong>Diakonie</strong>?<br />
3. <strong>Diakonie</strong> im Pluralismus heute<br />
Die Unternehmerpersönlichkeiten aus der Gründungszeit der <strong>Diakonie</strong> im 19. Jahrhundert<br />
sind in <strong>die</strong>ser Perspektive selbst Prototypen eines Protestantischen Individualismus.<br />
Sie gingen bewusst den Weg aus der Landeskirche hinaus, gründeten Vereine<br />
und Stiftungen, nutzten alle Wege, Methoden und Me<strong>die</strong>n, um ihre Sicht der<br />
Dinge zu verwirklichen und voranzubringen, von eifrig geschriebenen, gedruckten<br />
und in alle Welt gesandten Newslettern, von Reisen und Netzknüpfungen bis hin zum<br />
Zentralausschuss der Inneren Mission (dem Vorläufer des Diakonischen Werkes)<br />
sind <strong>die</strong>s allesamt typisch protestantische und typisch neuzeitliche Wege und Methoden.<br />
Zwar kam <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong> in ihren ersten Jahrzehnten überwiegend aus einem bestimmten<br />
protestantischen Milieu, dem der Erweckungsbewegung. Das sah unter<br />
dem Regiment <strong>die</strong>ser Patriarchen und Matriarchinnen nach Einheitlichkeit aus.<br />
Unter dem Modell des patri-/matriarchal-autoritär geführten „Hauses“, des Mutter- wie<br />
des Bruderhauses und des Hausfamilie diakonischer Hauseltern mit den ihnen anvertrauten<br />
eigenen und fremden Kindern verstärkte sich <strong>die</strong>ser Eindruck zunächst.<br />
Sehr schnell <strong>–</strong> z.B. im geringen räumlichen Abstand der Gemeinschaften Nazareth<br />
und Sarepta <strong>–</strong> öffnet er sich in einen nicht einfach zu regulierenden Pluralismus.
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 5<br />
In <strong>die</strong>ser Perspektive wirkt auch das ökonomische Paradigma in der <strong>Diakonie</strong> verzögernd.<br />
Die „Theologische Achse“ (Alfred Jäger) erweist sich als Paternalismus in<br />
neuer Gestalt. Man kann/Sie können es testen, indem Sie prüfen, welches Bild im<br />
Kopf entsteht: Ist <strong>die</strong> Achse waagerecht oder senkrecht? Wo ist sie verankert? In<br />
welche Richtung entsteht Bewegung?<br />
Klar ist doch: Unternehmerpersönlichkeiten oder Entrepreneurship zeichnen sich dadurch<br />
aus, dass der Wille und <strong>die</strong> Initiative der Unternehmerpersönlichkeit Wirklichkeit<br />
setzen und bestimmen kann. Jede Organisation mit ihrem Organigramm geht<br />
davon aus, dass irgendjemand letztverantwortlich an der Spitze steht und im Ernstfall<br />
letzte Entscheidungen trifft. Das Unternehmen soll sich als nach außen homogener<br />
Körper in einem pluralen Umfeld oder Markt zeigen. Dem <strong>die</strong>nen auch Prozesse, denen<br />
sich kaum ein diakonisches Unternehmen entziehen konnte: Leitbildprozesse<br />
oder solche, <strong>die</strong> den Markenkern oder <strong>die</strong> Identität klar beschreiben und kommunizieren<br />
bzw. das Profil scharf hervortreten lassen wollen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
<strong>die</strong>s und jenes zu „vermitteln“, damit sie dazugehören, sich orientieren können<br />
und das Erscheinungsbild des Unternehmens einheitlich nach außen vertreten,<br />
zumindest nicht stören.<br />
Nur drängt sich mir der Eindruck auf, dass es auch hier typisch protestantisch entweder<br />
eine Fülle unterschiedlicher Leitbilder gibt oder sie so allgemein gefasst sind,<br />
dass sie unter ihrer einheitlich schimmernden Oberfläche eine Vielfalt vermuten lassen<br />
oder man immer mit Mitarbeitenden zu tun haben wird, <strong>die</strong> sagen: „Das ist nicht<br />
meins!“ <strong>–</strong> und <strong>die</strong> dennoch halbwegs loyal sind. Die verschiedenen Alters- und Bildungskohorten<br />
der Mitarbeitendenschaft stellen sowieso eine Gleichzeitigkeit des<br />
Ungleichzeitigen (sprich eine besondere Melange widersprüchlicher Professionalitäten<br />
und Konzepte) dar.<br />
Schlussfolgerung: Interne Vielfalt scheint zunächst etwas zu sein, was verborgen<br />
oder überdeckt oder mit etwas Verbindendem bzw. Verbindlichen überbrückt werden<br />
muss. Auf dem Markt, in der Öffentlichkeit möchte man <strong>–</strong> muss man? <strong>–</strong> einheitlich<br />
erscheinen. Daran scheint ein gehöriges Quantum Wahrheit zu stecken (also nicht<br />
nur ein Körnchen).<br />
Man könnte es aber in der Weisheit der Alten Kirche auch so verstehen: Leitbilder<br />
sind wie in deren Zeiten eher Grenzpfähle, zwischen denen sich <strong>die</strong> individuelle<br />
Glaubens- und Lehrbildung entwickelt. Um es leicht transformiert zu sagen: Professi-
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 6<br />
onalität und Nächstenliebe gehören zur Doppelnatur der <strong>Diakonie</strong>, aber „unvermischt<br />
und ungetrennt“. Die Bestimmung des Verhältnisses geschieht im Alltag des individuellen<br />
Lebens- und Arbeitszeugnisses. Leitung setzt <strong>die</strong>se Pole, bewegt sich also<br />
einerseits auf einer Meta-Ebene, ohne zu verbergen, dass sie als Christenmenschen<br />
in <strong>die</strong>sem oder anderen essentiellen Spannungsfeldern Position beziehen können.<br />
Aber worin kann bei vorhin skizzierter Eigenart des Protestantismus samt historischer<br />
Tiefendimension bzw. bei realer kulturell-religiöser Vielfalt der Markenkern bestehen?<br />
Meine Hauptthese in <strong>die</strong>sem Kontext wäre, dass es Leitbilder, Markenkerne<br />
und Profile nicht ohne Vielfalt („Proviel“) gibt, ja geben kann. Und das ihre<br />
Qualität in der ebenso fachlich begründeten wie menschlich gelungenen Achtung<br />
von Vielfalt und Individualität, samt Halte- und Integrationsfähigkeit von<br />
Differenzen, Spannungen und Varianten besteht.<br />
Das ist mehr als Toleranz (Ertragen des schwer Erträglichen), mehr als Wertschätzung<br />
(<strong>die</strong> vom Begriff her schon wieder ökonomisch argumentiert) sondern Eröffnung<br />
eines Raumes, in dem sich Vielfalt zeigen und zueinander in ein befruchtendes Verhältnis<br />
setzen kann, ohne bleibende Differenzen vertuschen zu müssen, und wo es<br />
auch einen offenen bis offensiven Umgang mit dem Nichttolerablen gibt.<br />
Dasselbe noch einmal anders ansetzend formuliert: Es gibt Kindertheologie, Jugendlichentheologie,<br />
Alltagstheologie <strong>–</strong> es wird mit ziemlicher Sicherheit auch eine Theologie<br />
der Diakonischen Mitarbeitenden geben? Das kann man gar nicht anders, als<br />
es zu unterstellen! Und zwar unverkürzbar individuell.<br />
Theologie entsteht ja schon durch erste Reflexion von Glaubenserfahrungen (zumindest<br />
seit Schleiermacher). Und das Denken ist schon mit dem Sprechen untrennbar<br />
verbunden. Sie ist, sie kann nicht begrenzt werden auf Vorsteher/innen und DiakonInnen.<br />
Bei allen wächst das Handeln aus Überzeugungen, elementaren Erfahrungen<br />
und Haltungen (klassisch „Religion“ genannt).<br />
Nur: Wo zeigt sich <strong>die</strong> Vielfalt <strong>die</strong>ser individuellen Theologiebildungen? Wo wird sie<br />
diskutiert? Wo gelebt? Wo sind ihre Grenzen, damit ein Unternehmen als Unternehmen<br />
handlungsfähig bleibt? Wo wird sie dringend real erlebbar benötigt, damit diakonische<br />
Dienstleistungen (besser: Dienste) nicht um ihre personale oder spirituelle<br />
Dimension gebracht werden?
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 7<br />
Diese Dimension umfasst natürlich <strong>die</strong> jeweilige Motivation, aber auch <strong>die</strong> Zielsetzung<br />
und <strong>die</strong> Brechung oder Beförderung durch persönliche oder beruflichinstitutionelle<br />
Erfahrungen, auch durch <strong>die</strong> Klienten selbst.<br />
Meist zeigt sich <strong>die</strong>se Vielfalt implizit z.B. darin, dass Mitarbeitende in Kirche und <strong>Diakonie</strong><br />
eine <strong>–</strong> verglichen mit anderen Arbeitgebern <strong>–</strong> hohe individuelle Gestaltungsfreiheit<br />
ihres Arbeitsbereiches beanspruchen, meist haben; und wenn sie ihnen nicht<br />
zugebilligt wird, dann ertrotzten oder erschleichen <strong>–</strong> unter stillem oder lautem „Protest“.<br />
Leitung in evangelischen Einrichtungen muss mit der Individualität der Mitarbeitenden<br />
rechnen und ihr Rechnung tragen (ja, das kostet was <strong>–</strong> bringt aber auch was,<br />
nämlich hoch selbständig agierende Mitarbeitende).<br />
Damit sind wir bei einem weiteren Thema: Wie und wo kann man <strong>die</strong>ses diakonische<br />
Handeln von Mitarbeitenden und Leitenden begründen?<br />
4. Theologische Begründungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> diakonische Handeln<br />
Kein Theologe wird heute Uhlhorn mit Ernst wiederholen: <strong>„Die</strong> Welt vor Christus war<br />
eine Welt ohne Liebe.“ Liebe und helfendes bzw. unterstützendes Handeln sind bis in<br />
<strong>die</strong> Steinzeit als allgemein menschliches Phänomen nachgewiesen <strong>–</strong> freilich auch ihr<br />
Gegenteil: tödliche Aggressivität und Vernichtung von Leben, das als lebensunwert<br />
gilt. Liebe und Solidarität sind immer bedroht und brauchen Pflege, sprich: „Kultur“.<br />
In jüngster Zeit haben Heinz Rüegger und Christoph Sigrist umfänglich nachgewiesen,<br />
dass, wenn Gott <strong>die</strong> Quelle aller Liebe ist, liebendes, prosoziales Verhalten nicht<br />
allein Folge der Gnade, sondern auch als eine natürliche Gabe <strong>für</strong> alle Menschen<br />
verstanden werden kann. 2 Es gilt nicht nur: Wo Gott ist, ist Liebe, sondern auch: ubi<br />
caritas, deus ibi est. Der Umkehrschluss ist also erlaubt, liturgisch zumindest schon<br />
lange! Ähnlich argumentierten schon Ross und Pompey, wenn sie in Rahners Nachfolge<br />
vom „anonymen Diakonentum“ sprechen (ebd. 125f).<br />
Es sind nicht <strong>die</strong> ersten. Begonnen hat es schon vor über 200 Jahren, als andere<br />
Religionen und Kulturen unübersehbar in den europäischen Horizont traten.<br />
- Johann Gottfried Herder hat in seine „Briefen zur Beförderung der Humanität“ mit<br />
dem aus dem Französischen importierten Wort humanité/„Humanität“ (Menschlichkeit)<br />
einen Begriff eingeführt, der Verständigung über <strong>die</strong> Religionsgrenze hinaus<br />
ermöglicht und immer neu erfordert (Herder 1793-97/1991).<br />
2 <strong>Diakonie</strong> - eine Einführung: Zur theologischen Begründung helfenden Handelns, Zürich 2011, S. 127.
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 8<br />
- Auch <strong>die</strong> beinah zeitgleich erstmals formulierten Menschenrechte samt den sie<br />
erläuternden weiteren Deklarationen bis in heutige Zeit sind ein weiterer Versuch,<br />
Grundlagen, Plattformen und Minimalwerte zu formulieren, <strong>die</strong> gerade trotz weltanschaulicher<br />
und kultureller Unterschiede gelten bzw. immer neue Diskurse erfordern,<br />
ihre jeweils aktuelle Bedeutung und Interpretation abzustimmen. So ist<br />
<strong>die</strong> Idee der unbedingten Anerkennung der Menschenwürde sowohl <strong>für</strong> Christen<br />
mit Bezug auf <strong>die</strong> Ebenbildlichkeit Gottes als auch <strong>für</strong> andere ohne <strong>die</strong>sen Bezug<br />
möglich, aber z.B. mit Muslimen nicht ohne andauernden Diskurs zu erhalten.<br />
- Albert Schweitzer hat ein seiner Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben einen Grundsatz<br />
formuliert, der außerordentlich integrationsfähig ist: „Ich bin Leben, das leben<br />
will, inmitten von Leben, das leben will“ (1918) <strong>–</strong> konfessionelle Grenzen waren<br />
dabei ausgeschlossen.<br />
- Das von Hans Küng angestoßene „Projekt Weltethos“ (1990) hat versucht, gemeinsame<br />
ethische Grundlagen der großen Weltreligionen aufzudecken, sozusagen<br />
als „kleinster gemeinsamer Nenner“. Er hat dabei eine ganze Reihe von Unterschieden,<br />
aber auch Konvergenzen und Schnittmengen entdeckt, z.B. <strong>die</strong> Goldene<br />
Regel (Mt 7,12) in vielen Gestalten.<br />
- Ähnlich argumentiert auch das NT: Es gilt exegetisch als gesichert, dass der<br />
barmherziger Samariter kein Christ war, kein Diakoniker und sein Handeln auch<br />
nicht diakonisch begründet oder gedeutet hat.<br />
Ein weiteres Beispiel, das <strong>die</strong> kulturelle Vieldeutigkeit zentraler Begriffe, auch des<br />
diakonischen Handelns verdeutlicht, ist der Begriff der Barmherzigkeit. Es gibt wohl<br />
keinen schöneren Text, der christliche Barmherzigkeit in Worte fasst, als der folgende:<br />
8<br />
Barmherzig und gnädig ist der HERR,<br />
geduldig und von großer Güte. a<br />
9<br />
Er wird nicht <strong>für</strong> immer hadern<br />
noch ewig zornig bleiben. a<br />
10<br />
Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden<br />
und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat.<br />
11<br />
Denn a so hoch der Himmel über der Erde ist,<br />
lässt er seine Gnade walten über denen, <strong>die</strong> ihn <strong>für</strong>chten.<br />
12<br />
So fern der Morgen ist vom Abend,<br />
lässt er unsre Übertretungen von uns sein.<br />
13<br />
Wie sich a ein Vater über Kinder erbarmt,<br />
so erbarmt sich der HERR über <strong>die</strong>, <strong>die</strong> ihn <strong>für</strong>chten.<br />
Nur „leider“ ist das kein christlicher, sondern ein jüdischer Text (Ps 103).
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 9<br />
Zentral ist der Begriff auch im Islam. Barmherzigkeit ist <strong>die</strong> hervorragende<br />
Eigenschaft Allahs, vgl. <strong>die</strong> erste, mehrmals täglich wiederholte Sure <strong>–</strong> und <strong>die</strong><br />
Einleitung, <strong>die</strong> jeder weiteren Sure voransteht:<br />
1 Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Gütigen.<br />
2 Lob sei Allah, dem Herrn der Menschen in aller Welt (al-`aalamuun)<br />
3 dem Barmherzigen und Gütigen,<br />
4 der am Tag des Gerichts regiert!<br />
5 Dir <strong>die</strong>nen wir, und dich bitten wir um Hilfe.<br />
Dass das Almosengeben eine der fünf Pflichten jedes Moslems ist, verbindet jedenfalls<br />
uns Christen mit ihnen. Das Almosengeben ist seit Paulus Zeiten allgemeine<br />
Christenpflicht und zumindest im christlichen Mittelalter das diakonische Mittel<br />
schlechthin. Im heutigen Kollekten- und Spendenwesen pflegen wir es weiter. Erst im<br />
Laufe der Jahrhunderte wurde aus den Almosen eine Hilfeleistung, <strong>die</strong> zwar den<br />
fröhlichen Tausch von Geld gegen Fürbittgebet beendete, aber damit auch Abhängigkeitsverhältnisse<br />
nicht mehr zementiert.<br />
Wie islamische Theologen heute das Almosengeben über den reinen Finanztransfer<br />
hinaus interpretieren, darüber braucht es bald Dialoge und Forschung <strong>–</strong> und <strong>die</strong> genaue<br />
Beobachtung dessen, was in den ersten Einrichtungen islamischen Wohlfahrtspflege<br />
geschieht.<br />
Summa: Das alles ermöglicht es, eine ganze Reihe von Brücken zwischen den Religionen<br />
zu bauen, jedenfalls zwischen den abrahamitischen. Es ermöglicht gemeinsame<br />
Aktivitäten und gemeinsame Projekte humanitären Engagements, sprich: Es<br />
ermöglicht gemeinsamen Dienst der Menschen guten Willens an den Menschen, <strong>die</strong><br />
in Not sind oder Hilfe brauchen.<br />
<strong>„Die</strong>nstgemeinschaft“ bekommt hier eine neue Dimension: Teilnahme an der „missio<br />
Dei“, nicht der Mission, sondern dem Ziel, das Gott in seinem schöpferischen und<br />
erlösenden Handeln <strong>für</strong> <strong>die</strong> ganze Welt verfolgt und wozu er <strong>die</strong>se und jene Menschen<br />
in Dienst nimmt.<br />
Es macht es aber schwer, Liebe, Solidarität, Ganzheitlichkeit, Würde, unbedingte<br />
Annahme und Zuwendung als unverwechselbares Proprium diakonischen (und nur<br />
des diakonischen) Handelns zu identifizieren. Es ist klar, dass all <strong>die</strong>s konstitutiv <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong>ses Handeln ist, aber es wäre vermessen zu behaupten, es sei das Proprium, das<br />
niemand anderem zukäme bzw. zu dem ein Nichtchrist nicht in der Lage sein könne<br />
(non posse non amare <strong>–</strong> um den lieben Augustin einmal abzuwandeln; freilich auch:
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 10<br />
posse noch amare bzw. schärfer noch: non posse non aliud quam amare) (Rüegger/Sigrist,<br />
S. 130ff).<br />
Das ist eine weitere wichtige These: Die Suche nach dem Konstitutiven ist vielversprechender<br />
als <strong>die</strong> nach dem unverwechselbar und niemand anderem Eigenen und<br />
Unverwechselbaren (Proprium). Das Konstitutive besteht nicht in Dingen, <strong>die</strong> andere<br />
nicht haben oder vorweisen können, sondern hält fest, dass <strong>die</strong>s <strong>für</strong> einen selber<br />
bzw. <strong>für</strong> <strong>die</strong> eigene Institution oder Organisation unverzichtbar, notwendig, eben:<br />
konstitutiv ist. Das Proprium bestünde dann eher in der Verlässlichkeit des Gegebenseins<br />
bzw. in der Kombination dessen, was andere in <strong>die</strong>ser Kombination nicht haben.<br />
Oder in der prinzipiellen Pluralismusfreundlichkeit des Protestantismus, seiner<br />
Offenheit <strong>für</strong> neue Positionen, <strong>die</strong> mit seinem theologisch tiefgründig verankerten<br />
Individualismus zu tun haben <strong>–</strong> der aber selber zu einem sozialen Größe, ja Teil unserer<br />
Kultur geworden ist, aber qua Individualismus nur schwer gemeinsam zu pflegen/kultivieren<br />
ist.<br />
Theologisch heißt <strong>die</strong>s, dass man nicht nur nach dem unterscheidend Christlichen<br />
sucht, sondern in der eigenen Tradition nach denjenigen Theologumena, <strong>die</strong> pluralismusfreundlich<br />
sind, z.B.<br />
- den diakonischen Klassiker Mt 25 so wahrzunehmen, dass Gott sich nicht nur<br />
vor den Frommen wirkungsvoll verborgen, sondern dass er sogar möglicherweise<br />
in Menschen anderer Religion verborgen ist (<strong>die</strong> Religionszugehörigkeit<br />
spielt in den barmherzigkeitsbedürftigen Menschen keine Rolle).<br />
- Dem Heiligen Geist ist wohl zuzutrauen, dass er in Wort und Sakrament wirkt,<br />
aber auch, „ubi et quando visum est Deo“, mal woanders.<br />
- Der Leib Christi könnte größer sein als unsere Mitgliederkartei oder gar als <strong>die</strong><br />
„Kerngemeinde“.<br />
- Selbst <strong>die</strong> anonymen Diakone und Christen mögen zwar als übergriffig gelten,<br />
sie stellen aber eine Möglichkeit dar, Fremdes nicht nur als fremd, sondern als<br />
etwas im Kern Vertrautes wahrzunehmen.<br />
Spannend dürfte in Zukunft sein, wie wir <strong>die</strong>se pontifikalen (brückenbauenden) Theologumena<br />
nutzen und ausbauen <strong>–</strong> und unsere menschlichen Brüder und Schwestern<br />
in anderen Religionen zu ähnlichen Schritten hinaus aus der Ängstlichkeit der Minderheit<br />
oder des Ghettos oder der Kammer des Schreckens theologischer Richtigkeiten<br />
zu ermutigen.
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 11<br />
5. Konkretionen:<br />
Mit drei Verfahren geht <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong> schon seit längerem den Weg des offensiven<br />
und konstruktiven Umgangs mit anderen Kulturen bzw. mit einer unreduzierbaren<br />
Vielfalt ethischer Positionen, und zwar (1) mit den Konzepten kultur- bzw. religionssensibler<br />
Pflege und (2) mit den Ethikkomitees zunächst in Krankenhäusern, aber<br />
beginnend auch in Altenheimen und wohl bald auch in Einrichtungen der Jugendund<br />
der Eingliederungshilfe.<br />
Dh., es gibt schon jetzt innerhalb diakonischer Organisationen, hier vor allem und<br />
zunächst des Krankenhauses, <strong>die</strong> Notwendigkeit, mit ethischem und religiösem Pluralismus<br />
methodisch klar und geordnet (dh. nicht einfach per Machtentscheid oder<br />
Ausgrenzung) umzugehen.<br />
(3) Diakonische Träger im Osten der Republik beschäftigen schon lange Menschen,<br />
<strong>die</strong> keiner Kirche mehr angehören, und entwickeln da<strong>für</strong> unterschiedliche Konzepte<br />
der Pflichtinformation aller Mitarbeitenden über Gründe und Regeln eines diakonischen<br />
Trägers (hier v.a. das der von Bodelschwinghschen Stiftungen in Berlin interessant).<br />
Dh. sie arbeiten faktisch mit <strong>die</strong>sen Menschen in <strong>multikulturelle</strong>n und multireligiösen<br />
Settings zusammen. Das scheint den Begriff der Dienstgemeinschaft nicht<br />
zu sprengen. Und es muss nicht nur als Ausnahme von der Regel konfessionshomogener<br />
Mitarbeiterschaft definiert werden zu müssen. Es kann und sollte auch als<br />
konsequente Weiterentwicklung des dem Protestantismus insgesamt eigenen Pluralismus<br />
auf dem Gebiet der Werke und des Dienstes gedeutet werden.<br />
Weitere 4 Wege möchte ich andeuten:<br />
a. <strong>„Die</strong>nstgemeinschaft mit Anderen“<br />
Im Jahr 2010 hat <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong> in Hessen und Nassau das Konzept „Auf dem Weg zu<br />
einer ‚Dienstgemeinschaft mit Anderen‘“ 3 vorgelegt, in dem energisch <strong>für</strong> eine „Institutionelle<br />
Öffnung“ diakonischer Einrichtungen nicht nur <strong>für</strong> Patientinnen und Klienten<br />
anderer Religionen und Kulturen, sondern auch <strong>für</strong> Mitarbeitende aus deren Reihen.<br />
Sie plä<strong>die</strong>rt da<strong>für</strong>, den Begriff der <strong>„Die</strong>nstgemeinschaft“ theologisch-normativ neu zu<br />
gewinnen (S. 14). Gott nimmt Menschen in Dienst <strong>–</strong> und zwar seit biblischen Zeiten<br />
auch solche jenseits des Gottesvolkes oder der Kirche (Kyros! Römischer Hauptmann,<br />
Witwe und ihr Scherflein). Man bewegt sich also weiterhin im Rahmen des<br />
3 Das Stichwort erscheint auch im Perspektivpapier Uwe Becker (Hg.), Perspektiven der <strong>Diakonie</strong> im gesellschaftlichen<br />
Wandel (Neukirchen 2011), aber wieder nur mit Blick auf <strong>die</strong> Öffnung hin zu andersreligiösen Zielgruppen<br />
der Arbeit, nicht der Mitarbeitenden (nur als Aufforderung darüber zu diskutieren, s. Nr 98).
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 12<br />
Selbstbestimmungsrechts und uralter Kulturprägung der Kirchen, <strong>die</strong> sich faktisch als<br />
offener erweist als <strong>die</strong> dogmatischen Selbst- und Fremdbilder.<br />
Für Probleme im Detail lassen sich Lösungen finden, seien es Äquivalente <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Kirchensteuerpflicht, oder seien es Grundrechte <strong>für</strong> Teilhabe von ausgetretenen,<br />
aber weiterhin gültig getauften Menschen oder solchen, <strong>die</strong> sich wie früher als Proselyten<br />
um <strong>die</strong> Synagoge hielten, ohne je selbst Jude zu werden. Das Mitgliedschaftsrecht<br />
darf sich differenzieren und muss es auch <strong>–</strong> das faktische Teilnahmeverhalten<br />
hat sich schon längst (und sich von der Norm lebendiger Gemeindearbeit in Gruppen<br />
gelöst).<br />
In den vielfältigen Begründungen wird u.a. auch auf <strong>die</strong> von mir oben skizzierten<br />
Prozesse kultureller „Melangen“ hingewiesen. Es gibt nicht <strong>die</strong> Kultur, auch nicht <strong>die</strong><br />
Leitkultur, sondern nur hybride, ineinander übergehende, sich gegenseitig ständig<br />
befruchtende, inspirierende oder auch sich auseinander entwickelnde und voneinander<br />
abgrenzende Tendenzen.<br />
Zur Öffnung gehören aber auch notwendig schließende, sich auf Identität und Profil<br />
besinnende Tendenzen Der Weg der Öffnung der Institutionen von Kirche und <strong>Diakonie</strong><br />
mit klarem Christus-Zeugnis und möglichst großer „kultureller und religiöser<br />
Öffnung“ bewegt sich zwischen den Extremen einer sich auf bekennende Gläubige<br />
zurückziehenden „Kirche ohne oder gegen Andere“ und einer sich vollständig öffnenden<br />
„Kirche der Anderen“ (ebd. S. 1)<br />
b. Loyalitätsrichtlinie ausdifferenzieren<br />
Diese Prozesse sind faktisch schon jetzt rechtlich möglich, wenn man <strong>die</strong> Loyalitätsrichtlinie<br />
des Rates der EKD vom 1.7.2005 mutig und offen interpretiert. Das tut auch<br />
das Papier der <strong>Diakonie</strong> in Hessen und Nassau (S. 16).<br />
§ 4 Berufliche Anforderung während des Arbeitsverhältnisses<br />
(1) Je nach Aufgabenbereich übernehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Verantwortung <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> glaubwürdige Erfüllung kirchlicher und diakonischer Aufgaben. Sie haben sich daher loyal<br />
gegenüber der evangelischen Kirche zu verhalten.<br />
(2) Von evangelischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie Schrift und<br />
Bekenntnis anerkennen. Sofern sie in der Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung oder Leitung<br />
tätig sind, wird eine inner- und außer<strong>die</strong>nstliche Lebensführung erwartet, <strong>die</strong> der übernommenen<br />
Verantwortung entspricht.<br />
(3) Von christlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie Schrift und Bekenntnis<br />
achten und <strong>für</strong> <strong>die</strong> christliche Prägung ihrer Einrichtung eintreten.<br />
(4) Nichtchristliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben den kirchlichen Auftrag zu beachten<br />
und <strong>die</strong> ihnen übertragenen Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen.<br />
Hier wie dort wird <strong>die</strong> von allen Mitarbeitenden zu fordernde Loyalität wird differenziert<br />
in:
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 13<br />
• Beachtung des kirchlichen Auftrags und Diensterfüllung im Sinn der Kirche<br />
• Achtung von Schrift und Bekenntnis und Eintreten <strong>für</strong> <strong>die</strong> christliche Prägung<br />
• Anerkennung von Schrift und Bekenntnis und bei Leitung, Seelsorge, Bildung<br />
und Verkündigung auch eine entsprechende inner- und außer<strong>die</strong>nstliche Lebensführung<br />
(entsprechend der übernommenen Verantwortung); in den Worten<br />
der <strong>Diakonie</strong> in Hessen und Nassau: „Leitende müssen das ‚evangelische<br />
Profil ‚ der ‚Kirche und <strong>Diakonie</strong> mit Anderen‘ vertreten und mit den Dienstleistungen<br />
konkurrenzfähig sein“ (DWHN, S. 16).<br />
Das aber erhöht den Kommunikation- und Kooperationsbedarf erheblich, und zwar<br />
auf eine Weise, wie sie weder in der Loyalitätsrichtlinie noch in dem Papier der <strong>Diakonie</strong><br />
in Hessen und Nassau vorgesehen ist.<br />
Wo geschieht <strong>die</strong> Kommunikation über Schrift und Bekenntnis, so dass offensichtlich<br />
wird, dass Mitarbeitende sie achten oder beachten? Wer kennt den Unterschied?<br />
Gibt es ihn? Wie wäre er zu finden? Wo werden <strong>die</strong> Kriterien diskutiert, beschlossen<br />
und angewandt, um irgendwann sagen zu können: „Hier sind Grenzen überschritten<br />
worden“? Wie kann man/frau überhaupt <strong>für</strong> <strong>die</strong> christliche Prägung eintreten <strong>–</strong> wie<br />
und wo und womit kann man sie stören (möglicherweise sogar als ordentliches Mitglied<br />
einer Landeskirche)?<br />
c. Differenz von religiös und ethisch orientierter Kommunikation<br />
Eine wichtige Zusatzunterscheidung ist nun einzuführen: <strong>die</strong> von überwiegend ethischer<br />
und religiöser Kommunikation. Beide haben unter den Bedingungen von Pluralität<br />
eine unterschiedliche, ja komplett gegensätzliche Dynamik. Mit ethischer Kommunikation<br />
soll <strong>die</strong>jenige Kommunikation gemeint sein, in der es um das rechte Handeln<br />
geht <strong>–</strong> im beruflichen Kontext also um <strong>die</strong> Analyse und Bewertung von Handlungen<br />
bzw. Handlungsentscheidungen im beruflichen Kontext, also nicht nur<br />
scheinbar von speziell ethischen oder religiösen Fragen, wie sie am Anfang und Ende<br />
Lebens konfliktreich auftreten, sondern auch anderer fachlicher Handlungen, <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> offensichtlich widersprüchliche Optionen, Bewertungs- und Vorzüglichkeitskriterien<br />
vorliegen, <strong>die</strong> aber (jedenfalls irgendwann) entschieden werden müssen,<br />
weil ein Patient nicht endlos warten kann, ein Bewohner <strong>die</strong>se oder eben jene Unterstützung<br />
bekommt, aber sicher nicht beide, usw. Hier geht es auch um <strong>die</strong> hohe<br />
Schule tragfähiger Kompromisse bzw. im Ernstfall auch um klare Standpunkte.
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 14<br />
Im Unterschied zu in jedem Unternehmen unvermeidlichen ethischen, handlungsund<br />
auf Einigung hin orientierten Verständigungsprozessen bleibt religiöse Kommunikation<br />
im engeren Sinne notwendig plural. Rituale kann man nicht zusammenlegen.<br />
Gebete richten sich entweder an den einen oder den anderen Gott (auch wenn beide<br />
möglicherweise trotz unterschiedlicher Namen <strong>die</strong>selben sein mögen, was wir Menschen<br />
aber nicht so leicht entscheiden können). Gottes<strong>die</strong>nste und Rituale funktionieren<br />
nur auf Grund der oft unbewussten Selbstverständlichkeit geteilter Traditionen.<br />
Damit sie ihre Kraft entfalten, müssen sie eben nicht erklärt, neu erfunden, moderiert<br />
werden, sondern sie sind oft uralte und vertraute Gefäße, Ausdrucksformen<br />
und -me<strong>die</strong>n <strong>für</strong> existenzielle menschliche Gefühle (Freude/Trauer, Angst/Hoffnung)<br />
und Erfahrungen (Geburt, Liebe, Tod), <strong>die</strong> gerade keine pädagogische Kurzeinführung<br />
vertragen (schon gar nicht in Situationen starker Betroffenheit). Sie müssen so<br />
ablaufen, wie Menschen sie kennen und gewohnt sind und wie sie über Jahrhunderte<br />
gewachsen und deshalb mehr oder weniger bewusst auch kollektiv vertraut sind.<br />
Oder sie müssen wenigstens überwiegend so ablaufen, dass man sich nicht hier<br />
auch noch fremd und fehl am Platze fühlt. In Situationen, in denen man den Boden<br />
unter den Füßen verliert oder sich selbst nicht mehr helfen kann, brauchen Menschen<br />
etwas, von dem sie gewiss sind, dass es sie trägt, dass es verlässlich und vertraut<br />
ist.<br />
Hier kann also zwischen unterschiedlichen religiösen Kommunikations- und Ritualtraditionen<br />
kein Kompromiss oder kleinster gemeinsamer Nenner gefunden werden.<br />
Hier bleibt <strong>die</strong> Vielfalt irreduzibel.<br />
Aber hier können sich <strong>die</strong> Beteiligten gegenseitig Gastfreundschaft gewähren und<br />
einander als Gäste zu den jeweils eigenen Feiern einladen und sie am jeweils eigenen<br />
teilhaben lassen. Das schließt nicht aus, sondern ein, dass man Gästen auch<br />
das Wort gewährt oder gemeinsam Verträgliches auch gemeinsam formuliert. Für<br />
konfessionelle Träger sozialdiakonischer Arbeit heißt das, dass sie auf ihre Form religiöser<br />
Kommunikation nicht verzichten müssen und <strong>die</strong>s ohne Identitätsverlust auch<br />
nicht dürfen oder können. 4 Es heißt aber auch, dass sie sich <strong>–</strong> zumindest punktuell <strong>–</strong><br />
Mitarbeitenden anderer Religionen öffnen müssen. Diese müssen sowohl in ihrer<br />
eigenen religiösen Tradition verwurzelt sein als auch ein jeweils individuell auszulo-<br />
4 Dies wird vermutlich auch <strong>für</strong> weltanschaulich neutrale staatliche Träger gelten, denn auf Grund der Religionsfreiheit<br />
darf der Staat niemanden in seinen Institutionen und Organisationen hindern seine Religion auszuüben.
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 15<br />
tendes und dann auch festzulegendes Maß an Loyalität <strong>für</strong> den konfessionellen Träger<br />
und seine religiöse Identität aufbringen.<br />
Es ist <strong>für</strong> alle aus dem Orient stammenden Religionen (Judentum, Christentum, Islam)<br />
eine Frage der unbedingt geschuldeten Gastfreundschaft, ihnen <strong>die</strong>se Möglichkeit<br />
zu gewähren, auch in Räumen von <strong>Diakonie</strong> (und Kirche) ihren Glauben auf ihre<br />
Weise auszudrücken, zu leben und Ansprechpartner in und <strong>für</strong> ihre eigene Religion<br />
vorzufinden. Wem Religion selbst wichtig ist, der wird (bzw. sollte) <strong>für</strong> andere, denen<br />
Religion wichtig ist, so viel Verständnis haben, dass auch sie ihre Religion auszuüben<br />
können, und zwar auch auf der Dienstnehmerseite.<br />
Da<strong>für</strong> braucht es Verständigungen im Vorfeld:<br />
- über <strong>die</strong> Inhalte und Methoden <strong>–</strong> ohne interkulturell-religiöse Kompetenz geht<br />
es nicht, und eine „Gewissensprüfung“ kann es schon gar nicht sein.<br />
- auch über Zeit und Ort (wie häufig?).<br />
- Am tragfähigsten scheinen mir Gespräche, <strong>die</strong> auch Christen selten untereinander<br />
führen, <strong>die</strong> aber <strong>–</strong> in nicht zu starker Dosis <strong>–</strong> allen gut tun, und zwar<br />
über <strong>die</strong> eigenen Motive und <strong>die</strong> daran hängenden Geschichten, <strong>die</strong> eigenen<br />
Ziele <strong>–</strong> vor allem <strong>die</strong> Geschichten, an denen das mal so richtig deutlich wurde,<br />
also so etwas wie „diakonische Now-moments“<br />
- Vielleicht könnten auch Dilemma-Geschichten über heikle Themen, wie Umgang<br />
mit Macht, mit Sexualität (bei Behinderten), mit Drogenmissbrauch interessante<br />
interreligiöse encounter anstoßen. Solche Gespräche auf Mitarbeiterfreizeiten,<br />
Teamtrainings usw. sind pluralismusoffene Formen der Pflege diakonischer<br />
Kultur.<br />
- Dazu braucht es auch Menschen, mit denen das verlässlich möglich ist: Sie<br />
werden mir verzeihen, dass ich neben Pfarrmenschen hier<strong>für</strong> besonders Diakoninnen<br />
und Diakone <strong>für</strong> geeignet halte: nah dran an der Professionalität der<br />
anderen, aber gesprächsfähig in Glaubens- und Nächstenliebedingen.<br />
d. Öffnung des Unternehmensbegriffs<br />
Möglicherweise fällt es Ihnen schwer, sich solche encounter und Kommunikationen in<br />
Ihrem Unternehmen vorzustellen. Solche Kommunikationen sind auch nicht typisch<br />
<strong>für</strong> Unternehmenskommunikation im klassischen Sinn. Für eine „Achse“ ist das viel<br />
zu vieldimensional und unberechenbar. Es setzt vielmehr <strong>–</strong> ganz im evangelischen<br />
Sinn <strong>–</strong> voraus, dass es quasi synodale Strukturen des Austauschs gibt. Oder sozio-
Zippert <strong>„Die</strong> <strong>multikulturelle</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Diakonie</strong>“ (Vortrag <strong>Diakonie</strong> RWL 19.3.2013 16<br />
logisch gesagt: Dass sich Menschen im Unternehmen nicht nur systembedingt und<br />
systemspezifisch in den drei Rollen als Vorgesetzter, Untergebener und Kunde begegnen,<br />
sondern auch als Bruder und Schwester, Mitbürgerin oder Mitmensch, und<br />
zwar über alle sonst bestehenden Grenzen hinweg und auch in den unternehmensspezifischen<br />
Rollen. Das dürfte übrigens in der Sache eines der stärksten Argumente<br />
gegen eine einseitige ökonomische Interpretation diakonischen Handelns sein.<br />
Unter Gemeinwesenbedingungen wird das m.E. früher oder später sowieso nötig<br />
werden. Mit allen Menschen guten Willens zu kooperieren (und zwar auch außerhalb<br />
der Unternehmung), das dürfte nun nicht mehr so ängstigen. Solche Menschen einzustellen,<br />
sich auf sie einzustellen und sich mit ihnen oder mit Unternehmen anderer<br />
weltanschaulicher Prägung im doppelten Wortsinn „zu vertragen“, das scheint mir in<br />
Zukunft unvermeidbar zu sein. Deshalb sollte man es fröhlich rechtzeitig angehen.<br />
Wer so auftritt, entgeht dem früher oder später erwartbaren Austrocknen in einem<br />
vermeintlich rein protestantischen Milieu, denn er wird Menschen guten Willens finden,<br />
<strong>die</strong> mehr als nur loyal mitarbeiten und ziemlich wahrscheinlich sogar <strong>die</strong> protestantische<br />
Diskussionskultur auch in der <strong>Diakonie</strong> neu beleben werden: Muslimische<br />
Schülerinnen diakonischer Altenpflegeschulen schaffen es schon heute hier und da,<br />
ihre deutschen Mitschülerinnen vom Tabu der religiösen Rede zu befreien.<br />
Wie sich unter <strong>die</strong>sen Bedingungen Identitäten ändern oder <strong>die</strong>se unterschiedlichen<br />
Rollen und ihre sehr unterschiedlichen Inszenierungen überlagern, stören oder stützen,<br />
das könnte ein spannendes Forschungsthema der Zukunft sein (…).