Oktober (Doppelseiten) - experimenta.de
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*1: Hier stellt jemand <strong>de</strong>m Lyrischen Ich eine Frage. Da jenes <strong>de</strong>n Menschen entsagte, habe<br />
ich für <strong>de</strong>n Fragen<strong>de</strong>n ein Lyrisches Du eingesetzt, als Verweis auf <strong>de</strong>n Leser. *2: nan shan =<br />
Südberg. Ich belasse Berge und Eigennamen chinesisch. So dringt <strong>de</strong>r frem<strong>de</strong> Sprachraum in<br />
die Übertragung.<br />
du fu<br />
frühlingsbild<br />
春 望 chūn wàng frühling bild<br />
国 破 山 河 在 guó pò shān hé zài land zerstört berg fluss hier<br />
城 春 草 木 深 chéng chūn cǎo mù shēn statt frühling krass bäume tief<br />
感 时 花 溅 泪 gǎn shí huā jiàn lèi fühlen moment blume platschen träne<br />
恨 别 鸟 惊 心 hèn bié niǎo jīng xīn bedauern trennen vogel verwirren herz<br />
烽 火 连 三 月 fēng huǒ lián sān yuè signal feuer beigetreten drei monat<br />
家 书 抵 万 金 jiā shū dǐ wàn jīn familie brief wert unzählige/zehntausend gold tael<br />
白 头 搔 更 短 bái tóu sāo gèng duǎn weiß kopf kratzen schon dünn<br />
浑 欲 不 胜 簪 hún yù bù shēng zān einfach beinahe nicht (können) halten na<strong>de</strong>l<br />
nach du fu<br />
frühlingsbild<br />
zerrüttet das land, es bleiben berge und fluss<br />
die frühlingsstatt bewuchern büsche, gras<br />
o zeitgefühl: die blumen weinen. *1<br />
verfluchte trennung: <strong>de</strong>r vogel rührt das herz *2<br />
signalfeuer scheinen drei mon<strong>de</strong> weit<br />
und briefe heimwärts tausend gold-tael schwer. *3<br />
das weiße haar, gerauft, dünnt immer mehr<br />
vermag schon kaum die na<strong>de</strong>l halten<br />
Auch dies scheinbar ein Einsiedlergedicht. Doch legen die Zeilen 1,2 und 5 nahe: ein Krieg<br />
entrückte das Lyrische Ich. Typisch für viele chinesische Gedichte: ein explizites Lyrisches Ich<br />
existiert gar nicht. *1: Um das Lyrische Ich ich in <strong>de</strong>r Übertragung implizit zu halten verallgemeinere<br />
ich: „zeitgefühl“. *2: Der Parallelismus <strong>de</strong>r grammatikalischen Struktur verbin<strong>de</strong>t im chinesischen<br />
Gedicht zwei Zeilen beson<strong>de</strong>rs stark. Ich bil<strong>de</strong> ihn wo möglich nach. *3: Tael ist eine Maßeinheit,<br />
ich belasse sie aus <strong>de</strong>n gleichen Grün<strong>de</strong>n wie oben „nan shan“.<br />
Sören Heim, freier Journalist, Dichter und Übersetzer, veröffentlichte bisher unter an<strong>de</strong>rem in Bibliothek <strong>de</strong>utschsprachiger Gedichte,<br />
eXperimenta und Podium Literatur. Dritter Preis beim Nachwuchswettbewerb <strong>de</strong>r Internationalen Gemeinschaft <strong>de</strong>utschsprachiger<br />
Autoren 2009.<br />
Homepage: http://wortkraemer.jimdo.com Kontakt: heim.soeren@gmx.<strong>de</strong><br />
li he<br />
traum vom paradies<br />
梦 天 meng tian Traum Himmel<br />
老 兔 寒 蟾 泣 天 色 , Lao tu han chan qi tian se,<br />
云 楼 半 开 壁 斜 白 。 yun lou ban kai bi xie bai。<br />
玉 轮 压 露 湿 团 光 , Yu lun ya lu shi tuan guang,<br />
alt hase kalt kröte weinen himmel<br />
farbe<br />
wolke turm halb offen mauer<br />
abhang weiß<br />
ja<strong>de</strong> rat rollen tau nass ball/rund<br />
licht<br />
鸾 佩 相 逢 桂 陌 香 。 luan pei xiang feng gui mo xiang。 simurgh gehänge einan<strong>de</strong>r treffen<br />
kassie duft pfad<br />
黄 尘 清 水 三 山 下 , Huang chen qing shui san shan xia, geld dust klar wasser drei berg<br />
unter<br />
更 变 千 年 如 走 马 。 geng bian qian nian ru zou ma。<br />
遥 望 齐 州 九 点 烟 , Yao wang qi zhou jiu dian yan,<br />
一 泓 海 水 杯 中 泻 。 yi hong hai shui bei zhong xie。<br />
nach li he<br />
traum vom paradies<br />
alter hase, kalte kröte : weinen himmelsfarben<br />
wolkenturm halboffen, weiß beworfen.<br />
<strong>de</strong>r mond, das ja<strong>de</strong>rad, rollt lichten tau *1<br />
man trifft sich zum simurgh, beim kassiensüßen weg *2<br />
gelbe er<strong>de</strong>, wasser klar, darunter berge drei<br />
wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r äonen, wie wil<strong>de</strong> reiterei.<br />
neun blicke nach qi: sehn neunmal rauch,<br />
tiefes meer auch: nur ein schluck mir, im glas.<br />
vertauschen verän<strong>de</strong>rn tausend<br />
jahre wie rennen pferd<br />
fern blick qi region neun orte rauch/<br />
nebel<br />
eins klar/tief meer wasser tasse<br />
innen abfließen<br />
Li He war zu seiner Zeit ein eher abseitiger Dichter, <strong>de</strong>ssen symbolische Sprache heute seltsam<br />
mo<strong>de</strong>rn anmutet. Es existieren kaum erhellen<strong>de</strong> Kommentare zu seinen Gedichten. Der Interpret,<br />
ob er Chinesisch spricht o<strong>de</strong>r nicht muss vieles ratend erschließen. *1: Ich stelle <strong>de</strong>m Ja<strong>de</strong>rad<br />
präzisierend <strong>de</strong>n Mond bei. Die Metapher ist typisch für chinesische Lyrik. *2: Zu „simurgh“ lassen<br />
sich zwei Erklärungen fin<strong>de</strong>n, einmal sei es ein persischer Vogel, ein an<strong>de</strong>res Mal Schmuck am<br />
Zaumzeug. Ich schreibe „zum simurgh“, als sei es ein Eigenname, weil damit wohl ein Ort gemeint<br />
ist, an <strong>de</strong>m „man sich trifft“.<br />
www.eXperimenta.<strong>de</strong> 56 <strong>Oktober</strong> 2013<br />
<strong>Oktober</strong> 2013<br />
57<br />
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