stereoplay Überlegene Prinzipien (Vorschau)
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sinfonik<br />
AUDIOPHILE SACD<br />
KLANGTIPP<br />
Musik:<br />
Klang:<br />
Klangdetails:<br />
Räumlichkeit:<br />
Bass:<br />
Transparenz:<br />
Robert Schumann: Sinfonien Nr. 1 und 3 Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Paavo Järvi (2009/10)<br />
Der unterschätzte Symphoniker<br />
Als Paavo Järvi und seine Kammerphilharmoniker aus<br />
Bremen 2006 die ersten Folgen ihres bahnbrechenden<br />
Beethoven-Zyklus veröffentlichten, waren nicht<br />
wenige Kritiker-Kollegen völlig aus dem Häuschen:<br />
Auch ich schwärmte von einer echten „Beethoven-Revolution“,<br />
die man seit Toscanini so nicht gehört hätte,<br />
und verwies auf die Aura und Sogkraft eines „Kollektivs<br />
von Besessenen“, das endlich einmal das unabgegoltene<br />
Potenzial dieser Musik spüren lasse. Mehr<br />
als vier Jahre lang arbeitete der smarte Este damals an<br />
der Komplettierung seines SACD-Zyklus. Es wurde<br />
die neue Referenz, der neue Maßstab für innovatives<br />
Beethoven-Spiel.<br />
Im siebten Jahr der engen und überaus erfolgreichen<br />
Kooperation mit dem selbstverwalteten Bremer Musikerkollektiv<br />
– Järvi fungiert da als “künstlerischer<br />
Leiter“ - hat sich der mittlerweile 51-jährige Stardirigent<br />
mit den noch immer hartnäckig unterschätzten<br />
Symphonien Schumanns ein weiteres ehrgeiziges Ziel<br />
der interpretatorischen Auffrischung gesteckt, bei dem<br />
es wohl auch darum geht, Schumann vom Hautgout<br />
des mäßigen Instrumentators zu befreien. Und schon<br />
die ersten Takte der üppig besetzten „Rheinischen<br />
Symphonie“, mit der Järvi seine Zweikanal-SACD eröffnet,<br />
lassen keinen Zweifel daran, dass er und seine<br />
50 hochmotivierten „Stadtmusikanten“ mit Präzision<br />
und Enthusiasmus die innere Vielschichtigkeit, die<br />
komplexe rhythmische Textur und den Farbenreichtum<br />
von Schumanns romantischer Polyphonie in der<br />
Vordergrund rücken wollen - und somit auch sein symphonisches<br />
Schaffen als legitime Weiterentwicklung<br />
der Beethovenschen Idee begreifen, als eine neue Art<br />
des „Durchbruchs“. Vor allem in der unglaublich kompakten,<br />
geradezu sogartigen Aufnahme der Ersten<br />
kommt ein Optimismus, ein Überschwang an Fantasie<br />
und Originalität zum Klingen, der das gängige Bild<br />
korrigiert.<br />
Endlich wird Schumann aus der Rolle des unsicheren<br />
Zauderers und des innerlich Zerrissenen befreit und als<br />
großer, eigenwilliger Symphoniker rehabilitiert. Auch der<br />
Audiophile kommt hier auf seine Kosten: Das Tonmeisterteam<br />
Porter und Geijsen hat Raum und Transparenz<br />
sehr schön ausbalanciert.<br />
Sony 88697 96432 2 (62:30, SACD)<br />
Weiterentwicklung der Beethovenschen Idee: Paavo Järvi<br />
und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen während<br />
der Aufnahme der Schumann-Sinfonien.<br />
Attila Csampai<br />
KLAVIER<br />
Musik:<br />
Klang:<br />
KLANGTIPP<br />
harmonia mundi 902115.16 (157:00, 2 CDs) <br />
Franz Schubert: Klaviersonaten D 840, 850 und 894; Impromptus D 899 u. a. Paul Lewis, Klavier (2011)<br />
Zwar muss man längst keine Schwammerl-Klischees<br />
mehr von der Tastatur<br />
fegen, doch Paul Lewis räumt auch<br />
mit scheinbar begründeten Schubert-<br />
Ansichten auf. Keinen Komponierträumer<br />
auf dem langen Marsch durch<br />
die Intuitionen, keine Musik einer<br />
schweifenden Organik vernimmt man<br />
in diesem straffen, konturierten, bedachtsam-energischen<br />
Klavierspiel.<br />
Vielmehr ist es die architektonische<br />
Dimension der Schubertschen Großformen,<br />
die hier in souveräner Darstellung<br />
ins Gehör tritt (nur die gelegentlichen<br />
Rubati bräuchte es nicht).<br />
Lewis spannt weite Bögen, gründet<br />
sie in scharf zeichnender motivischer<br />
Prägnanz, klarer Beleuchtung der thematischen<br />
Metamorphosen und enormer<br />
Spannkraft.<br />
Die harmonischen Abgründe werden<br />
dramatisch ausgelotet, die Begleitstimmen<br />
gegenüber der Melodik akzentuiert,<br />
das Klangbild aufgeraut. Was<br />
nicht heißt, dass Lewis nicht auch<br />
„singen“ kann. Im Kopfsatz der G-<br />
Dur-Sonate, in den Refrains des Es-<br />
Dur-Klavierstücks aus D 946 und an<br />
anderen Stellen fließt ihm feine, verhaltene<br />
Kantabilität aus den Fingern.<br />
Aber es bleiben Momente innerhalb<br />
einer übergreifenden kompositorischen<br />
Dynamik, die eben nicht mehr<br />
im lieb gewonnenen Bild Schubertscher<br />
Innerlichkeit aufgeht. Denn Lewis<br />
offenbart den Visionär, der etwa<br />
in der fragmentarischen C-Dur-Sonate<br />
nach sinfonischen Utopien strebt,<br />
die im Klavierklang nur anzudeuten,<br />
doch nicht zu realisieren sind.<br />
Hier werden – frei nach Eichendorff –<br />
Ahnung und Gegenwart zur dialektischen<br />
Spannung in einer Schubert-Interpretation,<br />
die damit durchaus neue<br />
Wege beschreitet.<br />
Martin Mezger<br />
KONZERT<br />
Musik:<br />
Klang:<br />
KLANGTIPP<br />
EMI 6 785902 3 (56:04) <br />
Seraph – Alison Balsom spielt Trompetenwerke der Moderne Balsom, Scottish Ensemble, Morton, Renes u.a. (2012)<br />
Mit ihrer Mischung aus Arrangements<br />
und Klassik-Hits waren die<br />
Alben der Trompeten-Virtuosin Alison<br />
Balsom in der Vergangenheit oft<br />
etwas gefällig. Mit ihrer neuesten CD<br />
betritt Balsom das Gebiet der Neuen<br />
Musik und tut damit das Richtige.<br />
In dem ihr gewidmeten Konzert<br />
„Seraph“ von James MacMillan<br />
spannt sie den Bogen von neobarocker<br />
Virtuosität und dramatischen<br />
Klanggesten hin zu pastoraler Lyrik<br />
und körperlosen Klängen.<br />
Toru Takemitsus „Paths“ für Solotrompete<br />
gestaltet Balsom mit Hilfe<br />
eines Harmon-Dämpfers wie einen<br />
Dialog mit sich selbst über zeitliche<br />
und räumliche Abgründe hinweg. In<br />
Alexander Arutiunians Trompetenkonzert<br />
As-Dur ist sie eleganter als<br />
das berühmte Vorbild Timofei Dokschizer<br />
und setzt sich augenzwinkernd<br />
mit dem Triumphalismus der<br />
Partitur auseinander. Im Adagio lässt<br />
sie magische Kantilenen leuchten<br />
und zeigt organisches Zusammenspiel<br />
mit dem punktgenau agierenden<br />
Orchester. Das Trompetenkonzert<br />
„Nobody knows de trouble I<br />
see“ von Bernd Alois Zimmermann<br />
ist eine zitatreiche Tour de Force, in<br />
der Balsom alles gibt und dennoch<br />
den Überblick behält.<br />
Für das passend dazu von Alison Balsom<br />
und Tom Poster arrangierte Spiritual<br />
„Nobody knows“ hat die Solistin<br />
neben der Melodiestimme im<br />
Overdub-Verfahren vier gedämpfte<br />
Trompetenstimmen aufgenommen<br />
und sich selbst auf dem Klavier begleitet.<br />
Das wirkt dann, als würde sie<br />
zum Klang einer geheimnisvollen Orgel<br />
spielen.<br />
Alison Balsom macht dieses Mal alles<br />
richtig: ein brillantes Album.<br />
Miquel Cabruja<br />
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