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Politik und Kultur - Deutscher Kulturrat

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ERINNERUNGSKULTUR<br />

politik <strong>und</strong> kultur • März – April 2007 • Seite 13<br />

Fortsetzung von Seite 12<br />

kann, zeigt die viel beachtete Ausstellung<br />

„Flucht, Vertreibung, Integration“<br />

der Stiftung Haus der Geschichte<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland,<br />

die auf große Zustimmung stieß.<br />

Dennoch wäre es klug, die bestehende<br />

Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen<br />

in die weitere Arbeit einzubeziehen,<br />

wie es auch mit dem Initiativkreis<br />

um Lea Rosh beim Holcaust-<br />

Mahnmal geschieht. Die Verantwortlichen<br />

der Stiftung Zentrum gegen<br />

Vertreibungen stellen sich gegen<br />

Flucht <strong>und</strong> Vertreibung, sie wollen<br />

nicht Schuld gegeneinander aufrechnen,<br />

sie wollen im Sinne der Versöhnung<br />

ein sichtbares Zeichen in der<br />

deutschen Hauptstadt errichtet wissen<br />

<strong>und</strong> sie beziehen die europäische<br />

Perspektive ein. Es wäre ein positives<br />

Zeichen, dieser von bürgerschaftlichem<br />

Engagement getragenen<br />

Initiative die Hand zu reichen<br />

<strong>und</strong> damit jene Kräften in den Vertriebenenverbänden<br />

zu stärken, die<br />

die Versöhnung <strong>und</strong> Verständigung<br />

mit unseren europäischen Nachbarn<br />

betreiben.<br />

Nichts ist so schwer wie Erinnerung.<br />

Erinnerung wird immer überlagert<br />

von Geschichten <strong>und</strong> Geschichtlichem.<br />

Erinnerung ist verb<strong>und</strong>en mit<br />

Schmerz <strong>und</strong> Trauer über das Geschehene.<br />

Diesem Schmerz den<br />

Raum zu geben, zugleich darüber hinaus<br />

zu weisen <strong>und</strong> die Gründe für<br />

Vertreibung, gestern <strong>und</strong> heute, zu<br />

analysieren, wird die Aufgabe des<br />

Zentrum gegen Vertreibungen sein.<br />

Der Verfasser ist Geschäftsführer des<br />

Deutschen <strong>Kultur</strong>rates<br />

<strong>Kultur</strong> der Erinnerung braucht einen Ort<br />

Vier Aufgaben des Zentrums gegen Vertreibung • Von Erika Steinbach<br />

„Es wird leider immer Vertreibungen<br />

geben.“ Dieser Satz des neuen<br />

tschechischen Außenministers,<br />

Fürst Karl Schwarzenberg, beschreibt<br />

das Gr<strong>und</strong>dilemma, gegen<br />

das sich seit dem 6. September<br />

2000 das Zentrum gegen Vertreibungen<br />

(ZgV) als gemeinnützige<br />

Stiftung der deutschen Heimatvertriebenen<br />

wendet. Fürst Schwarzenberg<br />

sieht dabei neben den europäischen<br />

Aspekten auch ganz neutral<br />

die Befindlichkeit der jeweils<br />

betroffenen Nation: „Ich verstehe<br />

völlig, dass man für die Opfer des<br />

eigenen Volkes <strong>und</strong> für die Vertriebenen,<br />

die Entsetzliches mitgemacht<br />

haben, ein Denkmal, eine Erinnerungsstätte<br />

schaffen soll.“ Dies<br />

steht ganz in der Tradition der<br />

deutsch-tschechischen Aussöhnungserklärung<br />

von 1997, in der<br />

Deutschland die nationalsozialistischen<br />

Verbrechen in Tschechien bedauerte,<br />

während Prag sein Bedauern<br />

über die Vertreibung der Sudetendeutschen<br />

zum Ausdruck brachte.<br />

B<strong>und</strong>eskanzlerin Angela Merkel<br />

zitierte mit Recht den französischen<br />

Philosophen <strong>und</strong> Goethepreisträger<br />

Raymond Aron: „Der<br />

Charakter <strong>und</strong> die Selbstachtung einer<br />

Nation zeigen sich darin, wie sie<br />

mit ihren Opfern der Kriege <strong>und</strong> mit<br />

ihren Toten umgeht.“<br />

Der ungarische Staatspräsident<br />

László Sólymon enttabuisiert die<br />

Vertreibung der Ungarndeutschen<br />

<strong>und</strong> weihte eine Gedenkstätte „Vertreibung<br />

der Ungarndeutschen“ ein.<br />

Ganz selbstverständlich legt in Mittelosteuropa<br />

die Jugend tradierte<br />

Denkverbote ab <strong>und</strong> hinterfragt die<br />

Geschichte ihrer Heimatländer.<br />

Vier Aufgaben<br />

Der B<strong>und</strong> der Vertriebenen hat dem<br />

Zentrum gegen Vertreibungen als<br />

Stiftungsgründer vier gleichberechtigte<br />

Aufgaben gestellt.<br />

· Zum einen soll das Zentrum das<br />

Schicksal der mehr als 15 Millionen<br />

deutschen Deportations- <strong>und</strong> Vertreibungsopfer<br />

aus ganz Mittel-,<br />

Ost- <strong>und</strong> Südosteuropa mit ihrer<br />

<strong>Kultur</strong> <strong>und</strong> ihrer jahrh<strong>und</strong>ertealten<br />

Siedlungsgeschichte erfahrbar machen.<br />

Tausende der Vertriebenen<br />

<strong>und</strong> Deportierten durchlitten jahrelange<br />

Zwangsarbeit <strong>und</strong> Lagerhaft<br />

unter unmenschlichen Bedingungen.<br />

Fast 2,5 Millionen Kinder, Frauen<br />

<strong>und</strong> Männer haben die Torturen<br />

von Vertreibung, Folter, Zwangsarbeit<br />

oder monatelanger Vergewaltigung<br />

nicht überlebt. Die Überlebenden<br />

dürfen mit ihren Schicksalen<br />

nicht allein gelassen werden.<br />

Chef der Sächsischen Polizei: Keine Rückkehr von Antifaschisten, Sudetendeutsches<br />

Archiv, München. Alle Fotos auf dieser Seite: © Zentrum gegen Vertreibungen<br />

· Die zweite Hauptaufgabe des Zentrums<br />

soll es sein, die enormen<br />

Auswirkungen zu ergründen, die<br />

die Aufnahme von Millionen<br />

Flüchtlingen auf die religiösen,<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

Strukturen jener Regionen<br />

hatten, die sie aufnehmen mussten.<br />

Es gibt wohl kaum einen Lebensbereich,<br />

der von diesen Umwälzungen<br />

in der Bevölkerung<br />

nicht betroffen war. Das „unsichtbare<br />

Fluchtgepäck“ (Gertrud Fussenegger)<br />

war dabei das gesammelte<br />

Fachwissen der deutschen<br />

Land- <strong>und</strong> Stadtbevölkerung des<br />

Ostens. Von den Universitäten, aus<br />

den Fabriken, den Handwerksbetrieben<br />

<strong>und</strong> den florierenden Agrarstrukturen<br />

des Ostens kamen<br />

ganze Belegschaften mitsamt ihren<br />

Arbeitgebern, die Professoren mit<br />

ihren Studenten, die Ingenieure<br />

wie die Facharbeiter. Die Integration<br />

der Vertriebenen wurde als die<br />

größte sozial- <strong>und</strong> wirtschaftspolitische<br />

Aufgabe bezeichnet, die von<br />

Deutschland gemeistert worden sei<br />

(Alfred Grosser). Diese Leistung ist<br />

eine Aufarbeitung wert!<br />

· Das Zentrum gegen Vertreibungen<br />

hat als dritte Aufgabe die generelle<br />

Dokumentation von Vertreibungen<br />

<strong>und</strong> Genoziden. Allein in Europa<br />

waren bzw. sind mehr als 30<br />

Volksgruppen von solchen Menschenrechtsverletzungen<br />

betroffen:<br />

von den Albanern, Armeniern,<br />

Azeris über die Esten, Georgier, Inguschen,<br />

Krim-Tataren, Polen,<br />

Tschetschenen, Urkrainern bis zu<br />

den Weißrussen <strong>und</strong> griechischen<br />

Zyprioten <strong>und</strong> der singuläre Massenmord<br />

an den Juden Europas<br />

durch die Nationalsozialisten. So<br />

hat die Völkergemeinschaft über<br />

den Genozid 1914/15 am armenischen<br />

Volk durch das Osmanische<br />

Reich lange hinweggesehen. Ethnische<br />

„Flurbereinigung“ durch<br />

Zwangsumsiedlungen wurden 1922<br />

vom Völkerb<strong>und</strong> nicht nur geduldet,<br />

sondern selbst beschlossen.<br />

Hitler spekulierte auf das Desinteresse<br />

der Völkergemeinschaft bei<br />

seinen Vernichtungsplänen. Er<br />

setzte Schritt um Schritt sein grausames<br />

Werk an unseren jüdischen<br />

Mitbürgern, an den europäischen<br />

Juden <strong>und</strong> anderen Menschen in<br />

die Tat um. Er öffnete die Büchse<br />

der Pandora vollständig. Und so<br />

gab es auch nach ihm kein Halten.<br />

Neben den Deutschen erlitten<br />

Krim-Tartaren <strong>und</strong> Ostpolen durch<br />

Stalin wie auch die der Ungarn<br />

durch Beneš im Nachkriegszeitraum<br />

ihre Vertreibung aus der Heimat.<br />

Auf dem Balkan <strong>und</strong> in Tschetschenien<br />

sehen wir bis heute Bilder<br />

der Gewalt. Getrieben von Rache<br />

<strong>und</strong> Vergeltung sind die Menschen<br />

oft in einem Teufelskreis gefangen.<br />

Gründe der Rechtfertigung<br />

werden immer wieder gesucht. Es<br />

gibt sie nicht! Vertreibung <strong>und</strong> Genozid<br />

lassen sich niemals rechtfertigen.<br />

Sie sind immer ein Verbrechen,<br />

sie widersprechen den Menschenrechten<br />

<strong>und</strong> sie verharren im<br />

archaischen Denken von Blutrache.<br />

· Die vierte Stiftungsaufgabe ist die<br />

Verleihung des mit 10.000 € dotierten<br />

Franz-Werfel-Menschenrechtspreises<br />

für Verantwortungsbewusstsein<br />

förderndes Handeln. Der<br />

Preis kann an Einzelpersonen, aber<br />

auch an Initiativen oder Gruppen<br />

verliehen werden, die sich gegen<br />

die Verletzung von Menschenrechten<br />

durch Völkermord, Vertreibung<br />

<strong>und</strong> die bewusste Zerstörung nationaler,<br />

ethnischer oder religiöser<br />

Gruppen gewandt haben. Die<br />

Ausweis Elisabeth Pfuhle: Fritz A. Pfuhle (Professor für Freihandzeichnen an<br />

der Fakultät für Architektur) aus Danzig gehörte zu den nicht kriegsdienstverpflichteten<br />

Hochschulangehörigen, die im Januar 1945 auf das Schiff „Deutschland“<br />

evakuiert wurden. Begleitet wurde er von seiner Ehefrau Irene Pfuhle sowie<br />

seinen Töchtern Elisabeth Roggemann, geb. Pfuhle, <strong>und</strong> Gesa Pfuhle.<br />

Preisverleihung erfolgt im Geiste<br />

des IV. Haager Abkommens von<br />

1907, das ausdrücklich die Zivilbevölkerung<br />

während <strong>und</strong> nach kriegerischen<br />

Handlungen unter<br />

Schutz stellte. Sie erfolgt im Sinne<br />

der Allgemeinen Erklärung der<br />

Menschenrechte von 1948, des Internationalen<br />

Paktes von 1966, der<br />

Entschließung der Menschenrechtskommission<br />

der Vereinten<br />

Nationen von 1998, aber auch der<br />

Kopenhagener Kriterien des Europäischen<br />

Rates von 1993.<br />

Ohne Unterstützung<br />

geht es nicht<br />

Ein solches Zentrum kann nicht<br />

ohne Unterstützung entstehen. Die<br />

Stiftung hat in den letzten Jahren viel<br />

an Unterstützung erfahren. Namhafte<br />

Persönlichkeiten wie unter anderem<br />

Arnulf Baring, Axel Frhr. von<br />

Campenhausen, Joachim Gauck,<br />

Ralph Giordano, Otto von Habsburg,<br />

Helga Hirsch, Walter Homolka, Imre<br />

Kertesz, Eckart Klein, Freya Klier, György<br />

Konrad, Rudolf Kucera, Otto<br />

Graf Lambsdorff, Franz Maget, Hans<br />

Maier, Siegfried Matthus, Horst Möller,<br />

Rüdiger Safranski, Julius Schoeps,<br />

Peter Scholl-Latour, Christoph<br />

Stölzl, Christian Thielemann, Christian<br />

Tomuschat, Gabriele Wohmann,<br />

Michael Wolffsohn, Alfred M. de Zayas<br />

oder Tilman Zülch gaben ihren<br />

guten Namen zur Unterstützung des<br />

Zentrums gegen Vertreibungen. Die<br />

ConBrio Zeitschriften<br />

Internationale Gesellschaft für Menschenrechte<br />

hat über 10.000 Unterschriften<br />

gesammelt. Die B<strong>und</strong>esregierung<br />

hat ihre Unterstützung für<br />

einen Ort der Erinnerung signalisiert.<br />

Alle Kommunen Deutschlands<br />

haben die Möglichkeit mit 5 Cent<br />

pro Einwohner Pate unserer Stiftung<br />

zu werden. Über 450 Städte haben<br />

bereits ein Zeichen gesetzt – für die<br />

gelungene Eingliederung der Vertriebenen<br />

<strong>und</strong> Aussiedler <strong>und</strong> den gemeinsamen<br />

Wiederaufbau nach<br />

Krieg, Flucht <strong>und</strong> Vertreibung.<br />

Die Zukunft<br />

Bis zur Mitte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts galt<br />

Vertreibung als geeignetes Mittel der<br />

<strong>Politik</strong>, obwohl es gegen geltendes<br />

Völkerrecht verstieß. Die Erfahrung<br />

<strong>und</strong> das Leid im „Jahrh<strong>und</strong>ert der<br />

Vertreibung“ führten zu der Erkenntnis,<br />

dass erzwungene Bevölkerungsverschiebungen<br />

nie human waren.<br />

Das „Recht auf Heimat“ wurde von<br />

den Vereinten Nationen kodifiziert,<br />

die Vertreibung geächtet. Es bleibt<br />

eine Aufgabe für die Zukunft über<br />

eine Erinnerungskultur zu einer <strong>Kultur</strong><br />

des besseren Umgangs miteinander<br />

zu kommen <strong>und</strong> gangbare<br />

Wege für ein Miteinander der Völker<br />

zu finden.<br />

Stellen wir uns dieser Aufgabe.<br />

Die Verfasserin ist Vorsitzende<br />

der Stiftung Zentrum gegen<br />

Vertreibungen<br />

Oper&<br />

Tanz<br />

Zeitschrift der VdO für<br />

Opernchor <strong>und</strong> Bühnentanz<br />

ZEITUNG DES DEUTSCHEN KULTURRATES<br />

Armbinde zur Kennzeichnung von Deutschen. Die hier auf dieser Seite abgedruckten Bilder zeigen Exponate aus der<br />

Ausstellung „Erzwungene Wege. Flucht <strong>und</strong> Vertreibung im Europa des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts“, die die Stiftung Zentrum<br />

gegen Vertreibungen vom 11. August bis zum 29. Oktober 2006 im Kronprinzenpalais in Berlin veranstaltet hat.<br />

ConBrio Verlagsgesellschaft,<br />

Brunnstr. 23, 93053 Regensburg,<br />

Tel. 0941/945 93-0, Fax 0941/945 93-50,<br />

E-Mail: info@conbrio.de, www.conbrio.de

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