19.04.2014 Aufrufe

nachlesen. - Kultur macht Europa

nachlesen. - Kultur macht Europa

nachlesen. - Kultur macht Europa

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

46 Lorenz Richter<br />

Platz für eventuell zu vermittelnde Botschaften anbieten. Stellvertretend<br />

werden hier einige markante Beispiele beleuchtet.<br />

Leonardo Da Vincis sicherlich bekannteste Illustration, der »Vitruvische<br />

Mensch«, war 1954 im Palais des Beaux-Arts in Brüssel zu sehen. Dieses<br />

Meisterwerk verkörpert wie kaum ein anderes die humanistische Entdeckung<br />

des Menschen und hätte dementsprechend im Sinne des Ausstellungszieles<br />

von den belgischen Ausstellungsmachern beschrieben werden<br />

können. Tatsächlich findet sich nur ein Hinweis auf den Bekanntheitsgrad<br />

des Werks, sowie eine Übersetzung der handschriftlich angefügten Worte<br />

des italienischen Meisters. 101<br />

Im deutschen Katalog der Rokokoausstellung wird in der Beschreibung<br />

der ausgestellten Bücher deren Außenwirkung erwähnt. Zum Beispiel lautet<br />

der Text zum Ausstellungsstück Nr. 1004, der ersten illustrierten Ausgabe<br />

der »Leiden des jungen Werthers« von Johann Wolfgang von Goethe: »Der<br />

lyrische Briefroman, der die übersteigerte Empfindsamkeit der Zeit mit hinreißender<br />

Wirkung widerspiegelt, war von ungeheurer Wirkung auf die Literatur<br />

aller <strong>Kultur</strong>völker.« 102 Abgesehen davon, dass heute eine Formulierung<br />

wie »alle <strong>Kultur</strong>völker« mit dem gemeinten Sinn »(West-)<strong>Europa</strong>« (hoffentlich)<br />

nicht mehr anzutreffen wäre, waren solche schlichten Hinweise auf die<br />

übernationale Wirkung des betreffenden Exponats sehr spärlich gesät. Sie<br />

werden sicherlich ihren Teil dazu beigetragen haben, die Idee hinter dem<br />

Titel »Europäisches Rokoko« zu untermauern, nahmen aber keinen hervorragenden<br />

Platz in der Ausstellung ein.<br />

Alle sechs Kataloge bieten in kurzen Essays Informationen zum Lebenslauf<br />

der Künstler, deren Werke in den Expositionen ausgestellt wurden.<br />

Dem in Amsterdam Titel gebenden spanischen Maler griechischer Abstammung<br />

El Greco wird ähnlich viel Raum bemessen wie anderen aufgeführten<br />

Künstlern. Das knappe über ihn verfasste Essay zeugt von den südeuropäischen<br />

Stationen seines Lebensweges, gibt aber diesbezüglich auch nicht<br />

mehr Informationen als ein ähnlich gearteter Lexikonartikel und lenkt die<br />

Aufmerksamkeit des Lesers keinesfalls auf den – durchaus als solchen interpretierbaren<br />

– »europäischen« Charakter des Lebens von Doménikos Theotokópoulos.<br />

103<br />

Für die Frage nach der textuellen Codierung des europäischen Gedankens<br />

in den Bildunterschriften kann auch über die genannten Beispiele hinaus<br />

festgestellt werden, dass eine solche Codierung nicht stattgefunden hat. Die<br />

101 »Ce dessin d’un homme dans un cercle reproduisant le canon de proportions<br />

humaines de Vitruve est célèbre. La traduction du texte a été ajoutée de la main<br />

de Léonard«, Ausstellungskatalog zur 1. <strong>Europa</strong>ratsausstellung: L’Europe Humaniste,<br />

Brüssel 1954–1955, S. 104.<br />

102 Ausstellungskatalog zur 4. <strong>Europa</strong>ratsausstellung: Europäisches Rokoko. Kunst<br />

und <strong>Kultur</strong> des 18. Jahrhunderts, München 1958, S. 281.<br />

103 Ausstellungskatalog zur 2. <strong>Europa</strong>ratsausstellung: Le Triomphe Du Maniérisme<br />

Européen. De Michel-Ange au Gréco, Amsterdam 1955, S. 69.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!