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ThyssenKrupp<br />

techforum<br />

Ausgabe 1 I 2012<br />

Wir entwickeln die Zukunft für Sie.


Titelbild<br />

Die Produktinnovation iwalk ® von ThyssenKrupp Elevator überzeugt durch zukunfts-<br />

weisende Technologie, größtmöglichen Nutzerkomfort und eine hohe Umweltverträglichkeit.<br />

Der neue Fahrsteig geht in besonderem Maße auf spezielle Kunden-<br />

anforderungen ein und löst so die Herausforderungen bisheriger Anlagentypen – ein<br />

entscheidendes Kriterium für die Installation von insgesamt vier horizontalen und<br />

drei geneigten iwalk ® auf dem Bahnhof Atocha in Madrid/Spanien. Verschiedene<br />

Neuerungen versprechen den Fahrgästen ein noch sicheres Fahrgefühl: So reduziert<br />

die geringere Höhe der Kammsegmente in den Ein- und Ausstiegszonen das Stolperrisiko<br />

deutlich – gerade bei der Nutzung mit Reisegepäck. Darüber hinaus erfüllt der<br />

iwalk ® nicht nur die europäische Norm EN 115, nach der ein Fahrsteig 400 mm<br />

Freiraum bieten muss, sondern erlaubt durch die größere Palettenbreite auch die<br />

Verwendung von großen Koffer-Trolleys und Einkaufswagen. Diese Vorgabe erfüllt der<br />

iwalk ® trotz reduzierter Außenmaße und setzt so neue Maßstäbe in der Branche. Ein<br />

zusätzliches Plus in Sachen Sicherheit bieten die zwei Arten von Balustraden, die den<br />

neuen Fahrsteig gleichzeitig auch zu einem ästhetischen Highlight machen. Sowohl<br />

die schmale Variante – wie hier im Bild – als auch die robuste Ausführung bestehen<br />

aus zwölf Millimeter starkem bruchfestem Sicherheitsglas und verlaufen über die<br />

gesamte Länge. Der iwalk ® wurde auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit<br />

entwickelt. Die technischen Eigenschaften, wie zum Beispiel weniger Komponenten,<br />

die Verwendung neuartiger Energie-Einsparungssysteme und LED-Beleuchtung<br />

sowie die Verringerung des Gewichtes, führen zu einem niedrigeren Energieverbrauch<br />

und geringeren Umweltbelastungen. Das reduzierte Transportvolumen und weniger<br />

Verpackungsmaterial sind weitere Aspekte, die den vielseitigen Fahrsteig noch<br />

umweltverträglicher machen.<br />

Der iwalk ® wurde mit dem ThyssenKrupp Innovationspreis 2011 ausgezeichnet.<br />

Herausgeber<br />

ThyssenKrupp AG, Corporate Center Technology, Innovation & Quality, ThyssenKrupp Allee 1, 45143 Essen<br />

Redaktion: Guido Focke, Telefon: +49 201 844-536291, Fax: +49 201 8456-536291<br />

Erscheinungsweise<br />

’ThyssenKrupp techforum’ erscheint ein- bis zweimal jährlich in deutscher und englischer Sprache.<br />

Nachdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers. Fotomechanische Vervielfältigung einzelner Aufsätze<br />

ist erlaubt. Der Versand des „ThyssenKrupp techforum“ erfolgt über eine Adressdatei, die mit Hilfe<br />

der automatisierten Datenverarbeitung geführt wird.<br />

ISSN 1612-2763


Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

bereits seit dem Jahr 2000 schreibt ThyssenKrupp intern den Konzern-Innovationswettbewerb<br />

aus. Die Beteiligungsquote unserer Tochtergesellschaften war auch in 2011 wieder erfreulich<br />

hoch und die Qualität der Projekte bemerkenswert.<br />

Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure leisten hervorragende Arbeit, wenn es darum geht,<br />

im Sinne eines aktiven und nachhaltigen Innovationsmanagements neue Ideen in Produkte,<br />

Prozesse oder Dienstleistungen umzusetzen. Das trägt ganz entscheidend dazu bei, unseren<br />

Konzernanspruch „Wir entwickeln die Zukunft für Sie“ mit Leben zu füllen. Dafür möchte ich<br />

ihnen an dieser Stelle ganz herzlich danken!<br />

Innovationen und technischer Fortschritt sind für uns Schlüsselfaktoren, um das globale<br />

Wachstum und den Einsatz begrenzter Ressourcen nachhaltig zu gestalten. Die Einsicht, un-<br />

ausweichlich „besser“ werden zu müssen, bietet eindeutige Chancen für unseren Konzern: Mit<br />

unserer Ingenieurkompetenz in den Anwendungsfeldern „Material“, „Mechanical“ und „Plant“<br />

ermöglichen wir es unseren Kunden, den steigenden Bedarf nach „mehr“ auf „bessere“ Art<br />

zu bedienen, sich Vorteile im weltweiten Wettbewerb zu erarbeiten sowie innovative Produkte<br />

wirtschaftlich und ressourcenschonend herzustellen.<br />

Die Entwicklungsprojekte des ThyssenKrupp Innovationswettbewerbs unterstreichen die<br />

erfolgreiche Arbeit in unseren Forschungs- und Entwicklungsbereichen und dienen gleichzeitig<br />

als Ansporn, unsere Innovationsaktivitäten weiter auszubauen.<br />

Sieger des Innovationswettbewerbs 2011 ist der von ThyssenKrupp Elevator entwickelte<br />

iwalk ® , ein innovativer Fahrsteig, dessen Hauptmerkmal in der wesentlichen Verringerung<br />

des benötigten Bauraums besteht. Weitere erhebliche Vorteile bestehen in der Herstellung,<br />

dem Transport, der Installation sowie während der Nutzungsphase, beispielsweise hinsichtlich<br />

des Stromverbrauches.<br />

ThyssenKrupp Presta Camshafts hat mit dem Beitrag „Modulkonzepte mit integrierten Nockenwellen<br />

– Presta 2 “ den zweiten Preis errungen. Das Presta 2 -Verfahren ermöglicht – mittels eines<br />

thermisch-mechanischen Fügeprozesses – die Herstellung von Nockenwellen-Modulen. Dabei<br />

werden die gebauten Nockenwellen unter Beibehaltung des bewährten Presta-Kraft-Form-Schlusses<br />

untrennbar in eine Zylinderkopfhaube integriert. Mit diesem Verfahren können Emissionen signifikant<br />

reduziert und das Gesamtsystem Zylinderkopf/-haube kostengünstiger hergestellt werden.<br />

Die Verschleißfestigkeit der Komponenten in Windenergieanlagen spielt eine entscheidende<br />

Rolle bei der Verfügbarkeit einer Windenergieanlage und der Vermeidung von Anlagenausfällen.<br />

Im Rahmen des mit dem dritten Preis ausgezeichneten Projektes wurde von Rothe Erde zur<br />

Trennung und Führung der einzelnen Wälzkörper ein Lagerkäfig aus Stahl mit einer Polyamidbeschichtung<br />

entwickelt, der den Verschleiß dieser Komponente erheblich reduziert.<br />

Der Sonderinnovationspreis „Energie und Umwelt“ ging an ein Team von ThyssenKrupp<br />

Industries India für die Entwicklung einer energieeffizienten Zweiwalzenmühle für das Pressen<br />

von Zuckerrohr zur Zuckergewinnung. Durch eine grundlegende Neukonstruktion der Mühlenstruktur<br />

konnten Reibungsverluste und Abnutzung auf ein Minimum reduziert werden. Dies führt<br />

zu einem bedeutend geringeren Energieverbrauch im Vergleich zu einer konventionellen Mühle<br />

und somit zu erheblich verringerten CO 2-Emissionen.<br />

Einige herausragende Projekte, die im Rahmen des Innovationswettbewerbs 2011 ein-<br />

gereicht wurden, möchten wir Ihnen in dieser Ausgabe des ThyssenKrupp techforums vorstellen.<br />

Darüber hinaus freue ich mich insbesondere, dass wir mit Herrn Dr. Reinhold E. Achatz einen<br />

ausgewiesenen Experten für unsere Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten gefunden haben.<br />

Herr Dr. Achatz leitet seit April 2012 das Corporate Center Technology, Innovation & Quality.<br />

Näheres zu seiner Person finden Sie auf der folgenden Seite.<br />

Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Ihnen<br />

Ihr<br />

Dr.-Ing. Heinrich Hiesinger<br />

Vorsitzender des Vorstands<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Vorwort / 03


04 /<br />

Werte Leserinnen und Leser,<br />

die Welt verändert sich heute mit einer stetig wachsenden Geschwindigkeit. Daher wird<br />

das Thema Innovation, d.h. die erfolgreiche Umsetzung neuer Ideen im Markt, immer<br />

wichtiger. Dies gilt für alle Regionen, Branchen und Märkte.<br />

Nur innovative Organisationen können die eigene Wertschöpfung effizient und effektiv<br />

erhalten und durch Erschließen neuer Märkte ausbauen. Dabei ist die Fokussierung auf<br />

vorhandene und neu erworbene Kernkompetenzen entscheidend. Dazu müssen die<br />

Anforderungen unserer heutigen und künftigen Kunden gut verstanden sowie die Produkte<br />

und Lösungen in der vom Kunden erwarteten Funktion und Qualität geliefert werden.<br />

In meiner neuen Aufgabe als Leiter des Corporate Centers Technology, Innovation &<br />

Quality möchte ich zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen unserer Konzerngesellschaften<br />

eine konsistente und zukunftsweisende Innovationsstrategie für ThyssenKrupp entwickeln<br />

und diese konsequent umsetzen.<br />

Ihr<br />

Dr.-Ing. Reinhold Achatz<br />

Leiter Corporate Center Technology, Innovation & Quality<br />

Kurzportrait<br />

Reinhold Achatz studierte Elektrotechnik (Dipl.-Ing., 1979) an der Friedrich-Alexander Universität<br />

Erlangen-Nürnberg und promovierte an der TU München (Dr.-Ing., 2009) am Lehrstuhl Informationstechnologie<br />

im Maschinenwesen. Seit September 2010 ist er beratender Ehrenprofessor<br />

der Tsinghua-Universität (Hon. Advisory Professor Tsinghua University) in Peking.<br />

Herr Dr. Achatz war zuletzt Corporate Vice President der Siemens AG und leitete in<br />

dieser Funktion seit Oktober 2006 die globale Siemens Forschung (Corporate Research and<br />

Technologies) mit circa 1.800 Beschäftigten in Österreich, China, Dänemark, Deutschland,<br />

Indien, Japan, Russland, Singapur und USA. Er trug die Verantwortung für die Forschung zu den<br />

Themen: Electronics, Energy & Environment, Information & Automation, Materials & Hardware<br />

Design, Processes & Production, Industrial Communication Technologies, Software & Systems<br />

Engineering, SMART Innovation und Sustainable Solutions.<br />

Ab April 2009 verantwortete er zusätzlich das Corporate Development Center mit etwa<br />

4.000 Software-Entwicklern weltweit – die Mehrheit davon in Indien, Zentral- und Osteuropa.<br />

Diese Organisation entwickelt Software-Produkte und Lösungen für die geschäftsführenden<br />

Einheiten von Siemens.<br />

Ferner ist er Mitglied in einer Reihe von Organisationen und Institutionen, u.a. dem deutschen<br />

Wissenschaftsrat, dem deutschen Cybersicherheitsrats und von Kuratorien der Fraunhofer- und<br />

der Max-Planck-Gesellschaft.<br />

Zum 01.04.2012 übernahm Herr Dr. Achatz die Leitung des Corporate Centers Technology,<br />

Innovation & Quality bei der ThyssenKrupp AG in Essen.<br />

ThyssenKrupp techforum techforum 1 I 2012


10 /<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Inhalt<br />

16 /<br />

10 / Tailored Tempering<br />

Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften für warmumgeformte Bauteile<br />

Dipl.-inG. sascHa siKora, Dipl.-inG. JanKo BaniK, Dr.-inG. sTEpHané Graff, Dipl.-inG. roBErT laurEnZ,<br />

Dr.-inG. franZ-JosEf lEnZE ThyssenKrupp Steel Europe AG<br />

In der Automobilindustrie sind in den letzten Jahren die Anforderungen im Hinblick auf die Crash-Eigenschaften<br />

und den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge aufgrund veränderter Randbedingungen konsequent<br />

gestiegen. Verfahren, wie das Presshärten von Mangan-Bor-Stählen, können einen wirtschaftlichen<br />

Beitrag zur Reduzierung des Karosseriegewichtes bei optimierten Gebrauchseigenschaften leisten. Seitens<br />

ThyssenKrupp Steel Europe wurde das Presshärten durch eine zusätzliche Alternative weiterentwickelt. Bei<br />

dem neu entwickelten Verfahren, dem so genannten ’Tailored Tempering’ Prozess, kann durch eine gezielte<br />

Steuerung des Abkühlprozesses im Umformwerkzeug das gesamte Festigkeitsspektrum, den der Werkstoff<br />

Stahl bieten kann, ausgenutzt werden.<br />

Antikondensat<br />

16 / PLADUR ®<br />

Funktionale Oberfläche für trockene Innenraumgestaltung<br />

BEaTE fuGMann, Dr. rEr. naT. BETTina wErnEr, Dipl.-inG. ralf wiTTKowsKi, Dipl.-inG. axEl poHl,<br />

Dipl.-inG. rEinHarD TäGEr ThyssenKrupp Steel Europe AG<br />

ThyssenKrupp Steel Europe hat gemeinsam mit einem Lackhersteller als erster Bandbeschichter in Europa<br />

ein wasserabsorbierendes Coil Coating Lacksystem für Stahloberflächen entwickelt: PLADUR ® Antikondensat<br />

kommt im Baubereich zum Einsatz und ist ein kosteneffizientes Alternativprodukt zur konventionell<br />

verwandten Vliesfolie. Das Beschichtungssystem kann ohne Zusatzinvest auf den bestehenden Bandbeschichtungsanlagen<br />

(BBA) von ThyssenKrupp Steel Europe produziert werden. Der Zwei-Schichtaufbau<br />

aus Korrosionsschutzprimer und funktionalem Decklack wurde für Industrie- und Nutzgebäude mit ungedämmten<br />

Dächern und Wänden entwickelt. Die Antikondensatfunktion verhindert wirkungsvoll die Bildung<br />

von Schimmelpilzen durch Feuchtigkeit und schützt Menschen, Waren und Maschinen vor gesundheitlichen<br />

bzw. wirtschaftlichen Schäden. Das innovative Beschichtungssystem wurde bereits erfolgreich in<br />

den Markt eingeführt und bietet den Kunden neben Kostenvorteilen architektonische Gestaltungsfreiheit,<br />

da PLADUR ® Antikondensat unabhängig vom Neigungswinkel und farbvariabel verbaut werden kann.<br />

Inhalt / 05


06 / Inhalt<br />

22 /<br />

28 /<br />

22 / Solabs ® 2<br />

Regenerative Energiegewinnung durch solaraktives Fassadenmodul<br />

für den Industrie- und Gewerbebau<br />

Dr. rEr. naT. roMan Glass ThyssenKrupp Steel Europe AG<br />

Dipl.-inG. anDrEas liTZKow ThyssenKrupp Bausysteme GmbH<br />

32 /<br />

38 / 44 /<br />

Dr.-inG. lars pfEiffEr, Dr. rEr. naT. BETTina wErnEr ThyssenKrupp Steel Europe AG<br />

ThyssenKrupp Steel Europe hat zusammen mit den Tochtergesellschaften der Geschäftseinheit Color/<br />

Construction ein neues Sandwich-Fassadenmodul entwickelt, das zur Wärmeenergie-Bereitstellung in Gewerbe-<br />

und Industriegebäuden verwendet werden kann. Das Solabs ® 2-Fassadenmodul ist analog einem Standardmodul<br />

aufgebaut und besteht aus einem Dämmkern mit beidseitig schubsteif verbundenem, bandlackiertem<br />

Qualitätsstahl. Die Farbe für die Außenseite des Fassadenmodules ist so gewählt, dass ein hoher Absorptionsgrad<br />

der Sonnenstrahlung und damit ein hoher Energieeintrag erreicht wird. In den Dämmkern ist zusätzlich<br />

ein Rohrleitungssystem eingebracht, das mit der Fassadenaußenseite verbunden ist, sodass die auftreffende<br />

Solarstrahlung in Form von Wärme genutzt werden kann. Gemeinsam mit einem Kunden, einem Architekten<br />

und einem Systempartner wird aktuell ein Referenzgebäude unter Verwendung von solchen Modulen errichtet.<br />

Nach erfolgreichem Abschluss des Projektes wird eine Markteinführung des solaraktiven Fassadenmodules<br />

angestrebt.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

28 / HD – Hochduktile mikrolegierte Feinkornbaustähle<br />

Neue Produktserie für die Kaltumformung<br />

MaTTHias Gruss, Dipl.-inG. MaxiMilian naGEl, Dipl.-inG. pETEr HöfEl Hoesch Hohenlimburg GmbH<br />

Hochduktile (HD) Stahlgüten erweitern die konstruktiven Gestaltungsmöglichkeiten im automobilen Leichtbau.<br />

Der neue Werkstoff HSM 700 HD von Hoesch Hohenlimburg setzt dabei Maßstäbe durch die Kombination<br />

aus Streckgrenzen von mindestens 700 MPa und Bruchdehnung von ca. 20 %. Ermöglicht werden diese<br />

Werte durch ein neuartiges Mikrolegierungskonzept, das auf dem Einsatz von Niob beruht. Gepaart mit einer<br />

exakt definierten Prozessroutine beim Warmwalzen und dem anschließenden Abkühlprozess lassen sich die<br />

Streubänder der mechanischen Kennwerte so erheblich reduzieren.<br />

32 / Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke<br />

Einbringung dünnwandiger Stahlrohre mit Spezialgerät<br />

Dr.-inG. JoHannEs KöcHEr, Doris BEcKEr-spoHr ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik GmbH<br />

Solarthermische Kraftwerke und Anlagen basieren auf dem Prinzip, dass das Sonnenlicht über eine Vielzahl<br />

von Spiegeln auf einen engen Punkt auf einem Receiver-Turm fokussiert wird und hier eine enorme Hitze zur<br />

Erzeugung von Heißdampf erzeugt, der zum Antrieb von Turbinen zur Stromerzeugung genutzt werden kann.<br />

Die vielen tausend Spiegel, die für eine solche Anlage benötigt werden, müssen sicher am Boden verankert<br />

werden. Hierzu hat ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik als Hersteller von Baumaschinen und Komponenten<br />

für den Spezialtiefbau ein spezielles Werkzeug sowie ein Verfahren entwickelt, womit derartige Bodenveran-<br />

kerungen bzw. Gründungen schnell, wirtschaftlich und problemlos ausgeführt werden können.<br />

38 / iwalk ®<br />

Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie<br />

Dipl.-inG. MiGuEl GonZÁlEZ alEManY ThyssenKrupp Elevator (ES/PBB) GmbH<br />

Der iwalk ® ist der neue Fahrsteig von ThyssenKrupp Elevator. Größter Vorteil dieses neuartigen Anlagetyps:<br />

Der Platzbedarf wurde im Vergleich zu herkömmlichen Modellen gleich in mehreren Dimensionen verringert.<br />

Das neue Design reduziert die Einbautiefe um mehr als 50 % – so kann die Horizontalvariante des iwalk ®<br />

direkt auf dem vorhandenen Boden installiert werden. Das senkt den Konstruktionsaufwand für die<br />

Installation und die Kosten. Gleichzeitig sorgt ein modulares Konzept für eine größere Flexibilität und bietet<br />

enorme Vorteile bei der Produktion, Logistik und Installation. Diese Innovation stellt eine neue Konzeption<br />

der Fahrsteigtechnologie dar, die neben allen Produktvorteilen zu einer bedeutenden Steigerung des<br />

Kundennutzens führt.<br />

44 / Mini-PROven<br />

Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren Koksöfen mit<br />

einer Einzelkammerdruckregelung<br />

Dr. rEr. naT. friEDricH HuHn, Dipl.-inG. franK KrEBBEr, Dr.-inG. Joanna KüHn-GaJDZiK, KErsTin üBErscHär<br />

ThyssenKrupp Uhde GmbH<br />

Ein möglichst emissionsarmer Kokereibetrieb ist aus Umwelt- und Arbeitsschutzgründen immer wichtiger<br />

geworden. Veränderliche Druckverhältnisse in jedem Einzelofen mit besonders hohen Werten zu Beginn<br />

der Ausgarungszeit haben in der Vergangenheit zu erheblichen Emissionen an den Ofenverschlüssen<br />

geführt. Zur Vermeidung hat ThyssenKrupp Uhde für moderne Großraumöfen das Einzelkammerdruck-<br />

regelungssystem PROven™ (Pressure Regulated Oven) entwickelt, das eine Regelung des Druckes in den<br />

individuellen Verkokungskammern auf einem konstant niedrigen Niveau erlaubt. Dieses inzwischen lang-<br />

jährig bewährte System wurde konstruktiv und verfahrenstechnisch so erweitert, dass es zukünftig als<br />

Mini-PROven auch an älteren kleinen und mittelgroßen Koksofenbatterien zur Verbesserung des<br />

Umweltschutzes nachgerüstet werden kann.<br />

Inhalt / 07


08 / Inhalt<br />

50 /<br />

70 /<br />

56 /<br />

76 /<br />

50 / Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer<br />

GünTHEr KErKHoff BsEE, Dipl.-inG. pETEr sEHl, VlaDiMir sVirsKY MsME ThyssenKrupp Robins Inc.<br />

In vielen Bergbaugebieten sinkt die Erzqualität. Neue Minen entstehen in immer abgelegeneren Gebieten.<br />

Die Gruben werden tiefer und harte Erze werden zunehmend unter Tage abgebaut. Das bringt neue Heraus-<br />

forderungen mit sich: Es muss immer mehr Material über größere Entfernungen transportiert werden. Mit<br />

den wachsenden Fördergut-Volumina steigen gleichzeitig die hohen Anforderungen an die Verfügbarkeit der<br />

Förderanlagen. Vor diesem Hintergrund müssen die Anlagen mit modernen Antriebssystemen ausgestattet<br />

sein, die eine hohe Zuverlässigkeit garantieren.<br />

56 / Energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />

YasHwanT saKHarDanDE B.TEcH, arVinD KarMarKar B.E. (MEcH) ThyssenKrupp Industries India Pvt Ltd.<br />

Aufgrund der Nachfrage des Marktes nach energieeffizienten Systemen hat ThyssenKrupp Industries India<br />

eine äußerst sparsame Zweiwalzenmühle ohne Abfallplatte entwickelt, um die Nachteile der herkömmlichen<br />

Dreiwalzenmühle, wie Reibungsverluste, Komplexität und Verschleiß, zu umgehen. Sie spiegelt die Pionier-<br />

rolle von ThyssenKrupp Industries India in der indischen Zuckerindustrie wider. Mühlen sind ein bedeuten-<br />

der Stromverbraucher in der Zuckerindustrie, eine energieeffiziente Variante war daher dringend notwendig.<br />

Angesichts der großen Marktpräsenz in der Zuckerindustrie bemüht sich ThyssenKrupp Industries India stets<br />

um energieeffizientere Systeme und Prozesse in allen Bereichen der Zuckerproduktion.<br />

64 /<br />

80 /<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

64 / POLAB ® Shuttle<br />

Die neue Generation der Laborautomation<br />

Dipl.-inG. HuGo HassMann ThyssenKrupp Polysius AG<br />

In der Zement- und Baustoffindustrie ist eine umfassende und zeitnahe Qualitätsanalyse des gesamten<br />

Herstellungsprozesses unerlässlich. Neben den repräsentativen Probenahmen in den verschiedenen<br />

Prozessstufen sind Probenvorbereitung und Probenanalyse entscheidende Faktoren für die Überwachung<br />

der Qualität des Endproduktes. Der zunehmende Einsatz von Ersatzbrennstoffen und Ersatzrohstoffen erfor-<br />

dert ein hochflexibles und ständig verfügbares Laborautomationssystem, um heutigen und zukünftigen<br />

Anforderungen gerecht zu werden. Mit POLAB ® Shuttle ist es gelungen, eine frei konfigurierbare Labor-<br />

automation mit gemeinsamem Mensch-Maschine-Arbeitsraum zu entwickeln.<br />

70 / Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’<br />

Online Condition Monitoring System nicht nur für Windenergieanlagen<br />

Dipl.-inG. anDrEas EicKE ThyssenKrupp System Engineering GmbH<br />

Zustandsüberwachung (Condition Monitoring) zum Schutz von hochwertigen Investitionen, wie Wind-<br />

energieanlagen oder auch anderen größeren Maschinen und Anlagen in der Industrie, gewinnt zunehmend<br />

an Bedeutung. ThyssenKrupp System Engineering hat dazu ein ’Machine Diagnostic Interface’ (MDI) ent-<br />

wickelt, das Hardware-seitig auf bewährten und zuverlässigen Standardkomponenten basiert. Software-seitig<br />

wurde ein hauseigenes ausgereiftes Mess- und Automatisierungssystem genutzt, das sich in vielen Jahren<br />

in Test- und Montageanlagen in der Automobil- und Zulieferindustrie bewährt hat. Das grundlegende Konzept<br />

des Conditon Monitoring Systems (CMS) sowie wesentliche technische Elemente des MDI werden vorgestellt.<br />

Die Entwicklung wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) gefördert.<br />

76 / Käfigentwicklung für Großwälzlager in der Windenergietechnik<br />

Dr.-inG. JörG rollMann, Dr.-inG. wilfriED spinTiG, Dipl.-inG. sTEfan scHniEDEr, Dipl.-inG. rEinHarD JürGEns<br />

Rothe Erde GmbH<br />

Großwälzlager sind eine wesentliche Komponente im Antriebsstrang einer Windkraftanlage. Sie werden<br />

als Flügelverstelllager und Turmhauslager eingesetzt. Die Wälzkörper in diesen Lagern werden vorzugsweise<br />

durch Stahlkäfige voneinander getrennt. Zur Vermeidung von Verschleiß wurde bei Rothe Erde ein Verfahren<br />

zur Kunststoffbeschichtung von Käfigen entwickelt. Bei dem Einsatz der kunststoffbeschichteten Käfige in<br />

unterschiedlichen Versuchen an hoch belasteten Blattlagern (Ø 2m) konnte eine erhebliche Steigerung der<br />

Verschleißfestigkeit gegenüber unbeschichteten Käfigen nachgewiesen werden. Nach Integration des<br />

Beschichtungsverfahrens in die Fertigungslinie der Käfige gehören diese heute zum Rothe Erde Standard in<br />

der Ausrüstung von Lagern für Windenergieanlagen, die insbesondere im Offshore-Bereich eingesetzt werden.<br />

80 / DampTronic ® select<br />

Dipl.-inG. olE GöTZ, Dipl.-inG. Klaus scHMiDT ThyssenKrupp Bilstein Suspension GmbH<br />

Mit dem von ThyssenKrupp Bilstein Suspension entwickelten zweistufigen Dämpfungssystem DampTronic ®<br />

select wird die Lücke zwischen konventionellen, passiven Stoßdämpfern und aufwendigen elektronisch<br />

stufenlos verstellbaren Dämpfern geschlossen. Der Kunde muss sich bei seiner Fahrzeugkonfiguration nicht<br />

entscheiden, ob er ein Normal- oder ein Sportfahrwerk möchte, er kann mit einem Schalter am Armaturen-<br />

brett zwischen zwei Fahrwerkseinstellungen umschalten. Das Herzstück der Innovation ist das DampTronic ®<br />

select Ventil, das in einem sehr kompakten Bauraum zwei weitgehend unabhängig abstimmbare Dämpfkraft-<br />

kennlinien bereitstellt. Durch niedrige Bauteilkosten und geringen Integrationsaufwand konnten die System-<br />

kosten so stark reduziert werden, dass das System sogar für die Kompakt- und Kleinwagenklasse attraktiv ist.<br />

Inhalt / 09


10 /<br />

Tailored Tempering: Funktionale Bauteilherstellung mit<br />

temperierten Werkzeugsegmenten<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Tailored Tempering<br />

Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften<br />

für warmumgeformte Bauteile<br />

Dipl.-inG. sascHa siKora Projektleiter, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />

Dipl.-inG. JanKo BaniK Projektingenieur, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />

Dr.-inG. sTEpHané Graff Fachkoordinator, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />

Dipl.-inG. roBErT laurEnZ Fachkoordinator, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />

Dr.-inG. franZ-JosEf lEnZE Projektkoordinator Warmumformung, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />

In der Automobilindustrie sind in den letzten Jahren die Anforderungen im Hinblick auf<br />

die Crash-Eigenschaften und den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge aufgrund veränderter<br />

Randbedingungen konsequent gestiegen. Verfahren, wie das Presshärten von Mangan-<br />

Bor-Stählen, können einen wirtschaftlichen Beitrag zur Reduzierung des Karosserie-<br />

gewichtes bei optimierten Gebrauchseigenschaften leisten. Seitens ThyssenKrupp Steel<br />

Europe wurde das Presshärten durch eine zusätzliche Alternative weiterentwickelt. Bei dem<br />

neu entwickelten Verfahren, dem so genannten ’Tailored Tempering’ Prozess, kann durch<br />

eine gezielte Steuerung des Abkühlprozesses im Umformwerkzeug das gesamte Festigkeitsspektrum,<br />

den der Werkstoff Stahl bieten kann, ausgenutzt werden.<br />

Presshärten<br />

Im Spannungsfeld von Globalisierung, Kosteneffizienz<br />

und Emissionsschutz ermöglicht Stahl in der Karosseriefertigung<br />

vielfältige und neue Lösungsansätze. Die tempe-<br />

rierte Umformung, wie der Härtungsprozess, der in der<br />

Bauteilfertigung auch als Presshärten bezeichnet wird,<br />

bietet mit dem Stahlwerkstoff MBW ® 1500 die Möglichkeit,<br />

neue Potenziale für einen wirtschaftlichen Leichtbau zu<br />

realisieren. In der Automobilindustrie sind in den letzten<br />

Jahren die Anforderungen im Hinblick auf die Crash-<br />

Eigenschaften und den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge<br />

aufgrund veränderter Randbedingungen konsequent<br />

gestiegen. Um den gegenläufigen Zielen aus Sicherheits-<br />

aspekten und Fahrzeuggesamtgewicht gerecht zu werden,<br />

werden Leichtbaukonzepte mit innovativen Konstruktions-<br />

und Verfahrenstechniken entwickelt und umgesetzt.<br />

Verfahren wie das Presshärten von Mangan-Bor-<br />

Stählen können dazu beitragen, diese Anforderungen zu<br />

erfüllen. Durch eine geeignete Kombination von Fertigungs-<br />

/ 11<br />

technologien mit dem Werkstoff MBW ® 1500, lassen<br />

sich mit Hilfe des Härtens Zugfestigkeiten von bis zu<br />

1.600 MPa am fertigen Bauteil realisieren. Dieser Werkstoff<br />

wird im Karosseriebau z.B. für A- und B-Säulen, Dach-<br />

rahmen und Stirnwandquerträger eingesetzt. Die durch das<br />

Härten eingestellten maximalen Zugfestigkeiten ermöglichen<br />

eine Gewichtsreduzierung bei gleichzeitig hoher<br />

Crash-Sicherheit. Zudem lassen sich, im Vergleich zu<br />

hochfesten kaltumformbaren Werkstoffen, anspruchsvolle<br />

Geometrien mit einer guten Maß- und Formgenauigkeit<br />

ohne signifikante Rückfederung herstellen. Gegenüber der<br />

Kaltumformung von höchstfesten Werkstoffen lässt sich<br />

dabei der Werkstoff MBW ® 1500 aufgrund der zuvor durch-<br />

geführten Austenitisierung und den damit reduzierten<br />

Fließspannungen bei geringeren Presskräften umformen.<br />

Dies ist einer der wesentlichen Vorteile des Presshärtens.<br />

Generell ist die Warmumformung beziehungsweise das<br />

Presshärten ein weltweit etabliertes Verfahren zur Her-<br />

stellung von Karosseriestrukturbauteilen geworden.


12 / Tailored Tempering – Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften für warmumgeformte Bauteile<br />

Optimierungsansätze für gehärtete Strukturbauteile<br />

Parallel zu der bereits genannten Möglichkeit der hohen<br />

Festigkeitseinstellung durch das Härten des MBW ® 1500<br />

besteht derzeit großes Interesse seitens der Karosserieentwickler,<br />

eine lokale Festigkeitsreduzierung mit ver-<br />

besserten Restbruchdehnungswerten in einem Bauteil<br />

vorzunehmen. Dies resultiert aus den bei einer Bauteil-<br />

belastung auftretenden Spannungen und den damit<br />

verbundenen Verformungszuständen. Eine Verformung<br />

bzw. Deformation eines Karosseriebauteiles würde unter<br />

anderem durch die eingeleitete Energie bei einem<br />

Crash entstehen. Um für das gehärtete Bauteil mehr<br />

Verformungsreserve vorzuhalten, wird daher über eine<br />

lokale Verbesserung der Duktilität in Form erhöhter Restbruchdehnungswerte<br />

nachgedacht. Hierzu bestehen<br />

in der Warmumformung generell mehrere technologische<br />

Möglichkeiten. Allerdings müssen bei einer neuen<br />

Technologieauslegung auch die wirtschaftlichen Ferti-<br />

gungsaspekte berücksichtigt werden. Aus wirtschaftlicher<br />

Sicht bietet sich an, die Einstellung lokaler mechanischer<br />

Eigenschaften in den eigentlichen Presshärteprozess<br />

zu verlagern, um Fertigungsschritte einzusparen.<br />

ThyssenKrupp Steel Europe hat sich dieser Heraus-<br />

forderung gestellt und ein solches Verfahren zur<br />

gezielten lokalen Verbesserung der Duktilität unter<br />

Beachtung der wirtschaftlichen Randbedingungen ent-<br />

wickelt. Dabei wurde der Prozess für die so genannte<br />

direkte Warmumformung’ ausgelegt. Diese sieht nach<br />

der homogenen Austenitisierung der Formplatine eine<br />

Umformung dieser im Werkzeug vor. Dabei wird nur ein<br />

Umwandlungstemperatur [°C]<br />

1.000<br />

750<br />

500<br />

250<br />

0<br />

arbeitsbereich presshärten<br />

Bild 1 / ZTU-Digramm für den Werkstoff MBW ® 1500<br />

M<br />

einziger Umformschritt zur Herstellung von Karosserie-<br />

strukturbauteilen benötigt.<br />

Tailored Tempering Prozess<br />

Bei dem neu entwickelten ’Tailored Tempering’ Prozess,<br />

wird das gesamte Festigkeitsspektrum, das ein Werkstoff<br />

bieten, kann ausgenutzt. Werkstoffeigenschaften für<br />

moderne Stahlwerkstoffe werden zum einen durch die<br />

chemische Zusammensetzung und zum anderen durch<br />

eine intelligente Wärmebehandlungsstrategie eingestellt.<br />

Die dabei möglichen Gefügeumwandlungen werden<br />

anhand von Zeit-Temperatur Umwandlungsschaubildern<br />

(ZTU) dargestellt / Bild 1 /. Im Falle der Warmumformung<br />

des Werkstoffes MBW ® 1500 wurde die Nutzung<br />

dieses Werkstoffverhaltens gezielt in das Umformwerkzeug<br />

implementiert.<br />

Durch den Einsatz eines partiell beheizten Werkzeuges<br />

wird die Möglichkeit eröffnet, lokal eine langsamere<br />

Abkühlung des zuvor im Erwärmungsofen austenitisierten<br />

Werkstoffes zu erzielen. Während das Material im<br />

nicht beheizten Werkzeugsegment einer hohen Abkühlgeschwindigkeit<br />

unterworfen wird, sodass sich ein marten-<br />

sitisches Gefüge ausbildet, wird durch eine Verringerung<br />

der Abkühlgeschwindigkeit im beheizten Werkzeugsegment,<br />

je nach Prozessführung, ein ferritisch-<br />

perlitisches oder ferritisch-bainitisches Gefüge realisiert.<br />

Durch die martensitische Gefügeumwandlung wird eine<br />

Festigkeit von 1.500 MPa, durch die ferritisch-bainitische<br />

Gefügeumwandlung eine Festigkeit von 650 MPa erreicht.<br />

10 -1 10 0 10 1 10 2 10 3<br />

Sp<br />

Sp<br />

B<br />

35 70<br />

F<br />

40*<br />

Sp<br />

45<br />

70*<br />

25<br />

M<br />

P<br />

70*<br />

30*<br />

475 465 375 270 210 180 160<br />

2 4 6 8 2 4 6 8 2 4 6 8 2 4 6 8<br />

Abkühldauer t8/5 [s]<br />

arbeitsbereich Tailored Tempering<br />

Ac 3<br />

Ac 1<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Über die jeweils gewählte Werkzeugtemperatur lassen<br />

sich somit anforderungsgerechte mechanische Eigenschaften<br />

im Werkstoff und somit im Bauteil einstellen.<br />

Das resultierende Gefüge wird über die gewählten<br />

Abkühlgeschwindigkeiten eingestellt und indirekt durch<br />

die gewünschten mechanischen Eigenschaften am Bauteil<br />

bestimmt. Durch diesen abgestimmten Prozess ist es<br />

möglich, die Werkstoffeigenschaften sehr gezielt einzustellen<br />

und diese auch lokal zu begrenzen<br />

Technologische Umsetzung<br />

Im Rahmen des ThyssenKrupp Sonderforschungsprojektes<br />

InCar ® (siehe auch ThyssenKrupp techforum,<br />

Ausgabe 1/2011) wurden nach diesem Verfahren Bauteile<br />

aus MBW ® 1500 in einem seriennahen Versuchswerkzeug<br />

hergestellt. Eine innovative Lösung aus diesem Projekt<br />

ist die B-Säule, die unter anderem durch das Tailored<br />

Tempering Verfahren aus dem genannten Werkstoff hergestellt<br />

wurde. B-Säulen sind tragende Elemente und sicherheitsrelevante<br />

Bauteile der Fahrgastzelle. Die Vorgaben an<br />

die einzustellenden Festigkeiten dieses Bauteiles wurden<br />

zunächst anhand einer durchgeführten Crash-Simulation<br />

ermittelt. Dabei wurde die B-Säule unter anderem nach<br />

dem auftretenden Hauptlastfall aus dem IIHS-Test<br />

(Insurance Institute for Highway Safety) des Gesamtfahrzeuges<br />

ausgelegt. Aus den resultierenden Deformationsergebnissen<br />

wurde ersichtlich, dass im unteren Bereich<br />

der B-Säule Dehnungswerte von 15 % und Festigkeiten<br />

von 650 MPa zur Erfüllung der Crash-Anforderungen vorliegen<br />

müssen. Durch einen duktilen Fußbereich der<br />

FEM-Simulation Gefügeumwandlung<br />

Blechstärke<br />

2,5 mm<br />

Bild 2 / FEM-Simulation mit gekoppelter Gefügeumwandlung<br />

Übergangsbereich<br />

Tailored Tempering – Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften für warmumgeformte Bauteile / 13<br />

1.00<br />

0.95<br />

0.90<br />

0.85<br />

0.80.<br />

0.75<br />

0.70<br />

0.65<br />

0.60.<br />

0.55<br />

0.50<br />

0.45.<br />

0.40<br />

0.35<br />

0.30.<br />

0.25<br />

0.20<br />

0.15.<br />

0.10<br />

0.05<br />

0.00<br />

Martensitanteil<br />

1 = 100 %<br />

0 = 0 %<br />

B-Säule kann die kinetische Energie gezielt abgebaut<br />

werden, wobei der obere höchstfeste Bereich die benötigte<br />

Knicksicherheit bietet. Eine warmumgeformte B-Säule<br />

mit konstanten höchstfesten Eigenschaften hätte bei der<br />

gegebenen Geometrie die Crash-Anforderungen dieses<br />

Fahrzeuges nicht erfüllt.<br />

Zur Absicherung der generellen Machbarkeit aus<br />

umformtechnischer Sicht, wurde vor der Herstellung des<br />

Prototypenwerkzeuges eine thermomechanisch gekoppelte<br />

FEM-Simulation (Finite-Elemente-Methode) durchgeführt.<br />

Die theoretisch mit dem Tailored Tempering Verfahren<br />

einstellbaren mechanisch-technologischen Eigenschaften<br />

sind in Abhängigkeit der Abkühlhistorie vielfältig. Damit die<br />

mechanischen Eigenschaften von Bauteilen resultierend<br />

aus einem Tailored Tempering Umformprozess simulativ –<br />

ähnlich einer Machbarkeitsanalyse – abgeschätzt werden<br />

können, ist es demnach notwendig, ein genaues mathematisches<br />

Modell zur Abbildung von Gefügeumwandlungen<br />

anwenden zu können. ThyssenKrupp Steel Europe hat<br />

hierzu ein eigenes Programm zur mathematischen<br />

Beschreibung der Gefügeumwandlung entwickelt.<br />

Somit konnten erstmals für temperierte Werkzeuge<br />

auch die notwendigen Abkühlbedingungen und die daraus<br />

resultierenden Gefügeumwandlungen prognostiziert werden<br />

/ Bild 2 /. Aus den Simulationsergebnissen wurde ersichtlich,<br />

dass sich verfahrensbedingt ein Übergangsbereich<br />

zwischen weichem B-Säulenfuß und pressgehärtetem<br />

oberen B-Säulenbereich einstellen wird. Diese Ergebnisse<br />

dienten zur Auslegung der benötigten Werkzeugsegmente<br />

und als Prozessparameter für die Bauteilherstellung.<br />

1.00<br />

0.95<br />

0.90<br />

0.85<br />

0.80.<br />

0.75<br />

0.70<br />

0.65<br />

0.60.<br />

0.55<br />

0.50<br />

0.45.<br />

0.40<br />

0.35<br />

0.30.<br />

0.25<br />

0.20<br />

0.15.<br />

0.10<br />

0.05<br />

0.00<br />

Bainitanteil<br />

1 = 100 %<br />

0 = 0 %<br />

550<br />

525<br />

500<br />

475<br />

450<br />

425<br />

400<br />

375<br />

350<br />

325<br />

300<br />

275<br />

250<br />

225<br />

200<br />

175<br />

Härte [HV]


14 / Tailored Tempering – Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften für warmumgeformte Bauteile<br />

Bild 3 / Thermografie einer B-Säule im Tailored Tempering Verfahren<br />

Härte<br />

[HV5]<br />

500<br />

450<br />

400<br />

350<br />

300<br />

250<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

übergangsbereich<br />

0<br />

-80 -60 -40 -20 0 20 40 60 80 [mm]<br />

abstand von der Trennebene temperiertes und kaltes werkzeugsegment<br />

übergangsbereich<br />

Bild 4 / Härteverlauf einer B-Säule aus dem Werkstoff MBW ® 1500, hergestellt nach dem Tailored Tempering Verfahren<br />

Temperature [°C]<br />

550<br />

20<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Bauteile mit Eigenschaftsprofil<br />

Resultierend aus der vorausgegangenen Crash-Simulation<br />

und der thermomechanisch gekoppelten FEM-Simulation,<br />

konnte die Lage der gekühlten bzw. der temperierten<br />

Werkzeugsegmente bestimmt werden. Mit diesen Anforderungen<br />

wurde daher ein seriennahes Werkzeug aufgebaut,<br />

das parallel aus wassergekühlten und elektrisch<br />

beheizten Segmenten besteht. Die notwendige Prozessüberwachung<br />

in der Warmumformung beziehungsweise<br />

beim Presshärten wird im Wesentlichen über die Thermografie<br />

ermöglicht. Auch bei der Herstellung der B-Säule<br />

wurde diese eingesetzt. Sie ermöglicht die Ermittlung der<br />

Wärmeverteilung und somit der Prozessstabilität innerhalb<br />

des Bauteiles.<br />

Anhand der Thermografie ist zu erkennen, dass die<br />

Abkühlgeschwindigkeit des Werkstoffes durch temperierte<br />

Werkzeugsegmente gezielt reduziert wurde / Bild 3 /.<br />

Im Bereich des B-Säulenfußes liegt nach dem Öffnen des<br />

Werkzeuges eine Temperatur > 550 °C vor, wobei der<br />

Bereich der oberen B-Säule bei circa 80 °C liegt. Zwischen<br />

den Temperaturbereichen ist ein stetiger Temperaturanstieg<br />

zu beobachten. Dies ergibt sich aus dem<br />

Verfahrensablauf, in dem Bereiche mit hohen und<br />

niedrigen Abkühlraten eng nebeneinander vorliegen. In den<br />

anschließenden Bauteiluntersuchungen wurde daher der<br />

Fokus auf die Ermittlung des Härteübergangsbereiches<br />

und der Maßhaltigkeit gelegt.<br />

Anhand der ermittelten Härtewerte kann nun ein<br />

Rückschluss auf die Größe des Übergangsbereiches gezogen<br />

werden bzw. ein Abgleich mit der FEM-Simulation<br />

erfolgen / Bild 4 /. Obwohl die Werkzeugsegmente mit den<br />

jeweils unterschiedlichen Temperaturen konstruktiv unter<br />

5 mm nebeneinander liegen, liegt der Härteübergangsbereich<br />

bei einer Größenordnung von 50 mm. Dabei<br />

liegt ein stetiger, nicht sprunghafter Härteanstieg vor.<br />

Neben den Härtewerten wurden weitere mechanischtechnologische<br />

Kennwerte in dem B-Säulenfuß und im<br />

oberen Bereich der B-Säule ermittelt. Die im duktilen<br />

Bereich ermittelten Festigkeiten liegen auf dem Niveau<br />

der zuvor in den Grundlagenuntersuchungen ermittelten<br />

Eigenschaften von 650 MPa.<br />

Aufgrund der nach der Umformung vorliegenden<br />

Temperaturgradienten im Bauteil wurden Untersuchungen<br />

hinsichtlich der Maßhaltigkeit aufgrund von Temperaturverzug<br />

durchgeführt. Hierzu wurde das beschnittene<br />

Bauteil mit der Sollgeometrie aus den CAD-Daten<br />

(Computer Aided Design) verglichen. In der Regel lag<br />

die Maßabweichung unterhalb von 1 mm. Dies ist für ein<br />

Tailored Tempering – Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften für warmumgeformte Bauteile / 15<br />

Prototypenbauteil ein gutes Ergebnis, sodass auf weitere<br />

Optimierungsmaßnahmen verzichtet wurde. Durch eine<br />

Vorhaltung im Werkzeug können Maßabweichungen in<br />

einer späteren Serienfertigung kompensiert werden.<br />

Parallel zur Absicherung der benötigten Festigkeitskennwerte<br />

wurden auch fügetechnische Verarbeitungseigenschaften<br />

im Schweißlabor untersucht. Die durch das<br />

Tailored Tempering Verfahren eingestellten Festigkeitsbereiche<br />

ließen sich bezüglich der Breite des<br />

Schweißbereiches gut verarbeiten. Dabei liegen die<br />

Schweißbereiche der jeweiligen Festigkeitseigenschaften<br />

auf dem gleichen Schweißstromniveau. Dies liegt darin<br />

begründet, dass die Festigkeiten über den Verarbeitungsprozess<br />

eingestellt werden und nicht über eine<br />

Variation der chemischen Zusammensetzung. Anhand<br />

von Härteverläufen durch die Schweißlinse im<br />

B-Säulenfuß wurde ersichtlich, dass durch die Festigkeitsreduzierung<br />

die sonst beim MBW ® 1500 übliche<br />

Erweichungszone im Wärmeeinflussbereich entfällt. Für das<br />

Bauteil ergeben sich daraus weitere Vorteile für die<br />

späteren Gebrauchseigenschaften an den Fügestellen,<br />

wie zum Beispiel durch ein erhöhtes Energieaufnahmevermögen<br />

im Schweißpunkt. Ein weiterer Vorteil dieses<br />

Verfahrens besteht darin, dass in den Tailored Tempering<br />

Bereichen ein entsprechendes Anwendungspotenzial<br />

für mechanische Fügeverfahren, wie zum Beispiel das<br />

Clinchen, besteht.<br />

Fazit<br />

Wie in der durchgeführten Forschungsarbeit dargestellt<br />

wurde, kann durch eine Anhebung der Werkzeugtemperatur<br />

und der damit verbundenen Reduzierung der Abkühlgeschwindigkeit<br />

eines zuvor homogen austenitisierten<br />

Werkstoffes MBW ® 1500 die Festigkeit analog zur Härte<br />

eingestellt werden. Bei entsprechender Werkzeugtemperatur<br />

können somit die Duktilitätseigenschaften gezielt<br />

erhöht werden. Diese Tatsache trägt dazu bei, lokale<br />

Festigkeitseigenschaften in warmumgeformten Bauteilen<br />

zu realisieren. Dies wurde am Beispiel einer B-Säule nachgewiesen.<br />

Durch die lokale Anpassung der Gefügestruktur<br />

und somit der Festigkeiten, kann das Versagensverhalten<br />

crash-relevanter Strukturbauteile positiv beeinflusst<br />

werden. Daher wird das entwickelte Tailored Tempering<br />

Verfahren aufgrund der positiven Ergebnisse hinsichtlich<br />

der Werkstoffeigenschaften und der Wirtschaftlichkeit<br />

zeitnah zur Herstellung von B-Säulen in der Großserienfertigung<br />

umgesetzt.


16 /<br />

PLADUR ® Antikondensat für eine trockene Innenraumgestaltung<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

PLADUR ®<br />

Funktionale Oberfläche für<br />

trockene Innenraumgestaltung<br />

ThyssenKrupp Steel Europe hat gemeinsam mit einem Lackhersteller als<br />

erster Bandbeschichter in Europa ein wasserabsorbierendes Coil Coating<br />

Lacksystem für Stahloberflächen entwickelt: PLADUR ® Antikondensat<br />

kommt im Baubereich zum Einsatz und ist ein kosteneffizientes Alternativprodukt<br />

zur konventionell verwandten Vliesfolie. Das Beschichtungs-<br />

system kann ohne Zusatzinvest auf den bestehenden Bandbeschichtungsanlagen<br />

(BBA) von ThyssenKrupp Steel Europe produziert werden.<br />

Der Zwei-Schichtaufbau aus Korrosionsschutzprimer und funktionalem<br />

Decklack wurde für Industrie- und Nutzgebäude mit ungedämmten<br />

Dächern und Wänden entwickelt. Die Antikondensatfunktion verhindert<br />

wirkungsvoll die Bildung von Schimmelpilzen durch Feuchtigkeit und<br />

schützt Menschen, Waren und Maschinen vor gesundheitlichen bzw.<br />

wirtschaftlichen Schäden. Das innovative Beschichtungssystem wurde<br />

bereits erfolgreich in den Markt eingeführt und bietet den Kunden neben<br />

Kostenvorteilen architektonische Gestaltungsfreiheit, da PLADUR ®<br />

Antikondensat unabhängig vom Neigungswinkel und farbvariabel verbaut<br />

werden kann.<br />

/ 17<br />

Antikondensat<br />

BEaTE fuGMann Projektingenieurin Entw. Flacherzeugnisse, GE Color Constr. ThyssenKrupp steel Europe aG Eichen<br />

Dr. rEr. naT. BETTina wErnEr Teaml. Entw. Flacherzeugnisse, GE Color Constr. ThyssenKrupp steel Europe aG Eichen<br />

Dipl.-inG. ralf wiTTKowsKi Teamkoord. Produktion Siegerland, GE Color Constr. ThyssenKrupp steel Europe aG Eichen<br />

Dipl.-inG. axEl poHl Teamleiter Vertrieb Flacherzeugnisse, GE Color Constr. ThyssenKrupp steel Europe aG Eichen<br />

Dipl.-inG. rEinHarD TäGEr Geschäftsleitung, GE Color Constr. ThyssenKrupp steel Europe aG Eichen


18 / PLADUR ® Antikondensat – Funktionale Oberfläche für trockene Innenraumgestaltung<br />

Hintergrund<br />

Lagerhallen, Produktionsstätten, Sporthallen, landwirtschaftliche<br />

Betriebsgebäude, Stallungen, Reithallen und<br />

Unterstellplätze für Maschinen und Fahrzeuge werden<br />

oft aus einschaligen, nicht wärmegedämmten Dachund<br />

Wandelementen gebaut. Aufgrund von Temperaturdifferenzen<br />

zwischen kalter Gebäudeaußenseite und<br />

warmer Innenseite (sog. Kältebrücken) bildet sich an den<br />

Innenflächen von Dach und Wand häufig Kondenswasser.<br />

Gerade bei Flachdächern, wie sie im Industriebau üblich<br />

sind, kommt es an Staustellen oder auch großflächig zu<br />

unkontrollierbarem Heruntertropfen von Wasser. Um zu verhindern,<br />

dass Wasser auf Lagergut, Tiere oder Menschen<br />

tropft bzw. dass sich gefährliche Schimmelpilze an Feuchtstellen<br />

bilden, können die ungedämmten Elemente mit<br />

einer wasserabsorbierenden Vliesfolie versehen werden.<br />

Aufgrund von Kapillarwirkung lagert sie Feuchtigkeit ein,<br />

die Wasseraufnahmefähigkeit ist allerdings abhängig vom<br />

Verbauungswinkel. Materialbedingt sind Vliesfolien nur<br />

in einem einheitlichen grau lieferbar und neigen aufgrund<br />

der rauen Oberfläche zu sichtbaren Verschmutzungen.<br />

Um Architekten und Bauherren mehr Gestaltungsfreiraum<br />

im Industrie- und Nutzhallenbau zu ermöglichen,<br />

entwickelte ThyssenKrupp Steel Europe in enger<br />

Zusammenarbeit mit den Kunden ein funktionales<br />

Beschichtungssystem mit der Bezeichnung ’PLADUR ®<br />

Bild 1 / Bandbeschichtungsprozess für PLADUR ® Antikondensat<br />

Antikondensat’. Dieses bandbeschichtungsfähige Alternativprodukt<br />

zur Vliesfolie weist adäquate Absorptions-<br />

und Desorptionseigenschaften auf und hat eine glatte,<br />

hochwertige Optik. Das lackierte Produkt ist preislich<br />

attraktiv, variabel einsetzbar und kann je nach Kundenwunsch<br />

auch farbig gestaltet werden.<br />

Entwicklung und Applikation von PLADUR ®<br />

Antikondensat<br />

Das Produkt PLADUR ® Antikondensat wurde auf dem<br />

Substrat ZM EcoProtect ® (ZM = Zink-Magnesium) entwickelt<br />

und besteht aus einem Zwei-Schichtaufbau. Der Beschichtungsprozess<br />

ist im / Bild 1 / dargestellt.<br />

Nach der Applikation einer Cr- und Co-freien Vorbehandlung<br />

wird im ersten Coater-Schritt ein Primer aufgebracht<br />

und anschließend thermisch vernetzt. Der Primer<br />

schützt Fläche und Schnittkanten im Endprodukt vor<br />

Korrosion. Besonders wichtig ist die Optimierung der<br />

Primer-Eigenschaften bzgl. Substrathaftung, Haftung zum<br />

Decklack, Wasserdiffusion und -einlagerung im Hinblick<br />

auf die spätere Feuchteanwendung im verbauten Zustand.<br />

Nach dem Auslauf aus dem Primer-Ofen wird der<br />

funktionale Decklack appliziert. Die wasserabsorbierende<br />

Wirkung wird durch das Einbringen von funktionalen<br />

Mikropartikeln in die Beschichtung erreicht. Durch die<br />

richtige Temperaturführung im Decklackofen können<br />

Bandvorbehandlung<br />

Primer-Ofen<br />

Primer-Coater<br />

Decklack-Ofen<br />

Decklack-Coater<br />

PLADUR ® Antikondensat<br />

Intelligente Kühlung<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 2 / Profilierwerk Eichen: Rollformung eines mit PLADUR ® Antikondensat beschichteten,<br />

lackierten Stahlbleches zu einem Trapezprofil<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

sich die Partikel in der Lackoberfläche anreichern und<br />

werden durch das vernetzende Bindemittel fest in den<br />

Verbund eingebaut. Nach Durchlaufen des Decklackofens<br />

wird das heiße, beschichtete Stahlband wassergekühlt.<br />

Eine spezielle Kühleinrichtung und eine intelligente Anlagen-<br />

führung sorgen dafür, dass beim Aufhaspeln keine<br />

Feuchtigkeit in das Stahlband eingewickelt wird.<br />

Verarbeitung von PLADUR ® Antikondensat<br />

Durch den Einsatz von PLADUR ® Antikondensat als Ersatz<br />

für Vliesfolie kann in der werksinternen Verarbeitung des<br />

Coils zu einem einschaligen Bauelement Zeit und Geld<br />

gespart werden. Bei Verwendung eines Vliesfolien-<br />

produktes muss das ca. 1 mm dicke Folienfell nach dem<br />

Bandbeschichtungsprozess an einem weiteren Aggregat<br />

aufgeklebt werden. Dieser zusätzliche Arbeitsschritt<br />

kann durch die direkte Aufbringung der Funktionsschicht<br />

in der Bandbeschichtungsanlage vermieden werden. Das<br />

organisch veredelte Coil wird dem Bauteilwerk mit seinen<br />

Profilierungsanlagen direkt zugeführt und dort zum<br />

gewünschten Endprodukt umgeformt. Die / Bilder 2 und 3 /<br />

zeigen den Profiliervorgang eines beidseitig beschichteten<br />

Stahlbleches zu einem Trapezprofil.<br />

PLADUR ® Antikondensat – Funktionale Oberfläche für trockene Innenraumgestaltung / 19<br />

Bild 3 / Stapellagerung der profilierten Trapezprofile<br />

Blechunterseite: weiße PLADUR ® Antikondensat-Beschichtung für die Gebäudeinnenseite;<br />

Blechoberseite: bandlackierte graue PLADUR ® -Beschichtung in RAL 9002 (normiert durch<br />

RAL gGmbH) für die Gebäudeaußenseite<br />

Die innen (d.h. unten) liegende Antikondensatbeschich-<br />

tung lässt sich ohne zusätzliche Schutzfolie riss- und abdruckfrei<br />

umformen und stapeln. Neben der Zeit- und<br />

Kostenersparnis ergibt sich ein weiterer Vorteil: der Lack-<br />

film ist mit einer Gesamtschichtdicke von ca. 40 µm wesentlich<br />

dünner als die Vliesfolie. Dadurch können größere<br />

Banddicken profiliert und kleinere Umformradien ohne<br />

Oberflächenbeschädigung realisiert werden. Das fertige<br />

Bauteil weist eine im Vergleich zum Vliesfolienprodukt<br />

hochwertigere, glattere Anmutung auf.<br />

Eigenschaften von PLADUR ® Antikondensat<br />

Ziel der Entwicklung war es, ein zu handelsüblicher Vlies-<br />

folie gleichwertiges Antikondensatprodukt mit einer funktionalen<br />

Lackbeschichtung zu realisieren. Die Grafik im<br />

/ Bild 4 / zeigt das Absorptionsverhalten der Beschichtung<br />

im Vergleich zu einem kommerziellen Vliesfolienprodukt.<br />

Im sog. Konstantklima-Test werden bei 40 °C und 100 %<br />

Luftfeuchtigkeit die Lackoberfläche und die Vliesfolie in<br />

einem Neigungswinkel von 90° über einen Zeitraum von<br />

168 h mit Feuchtigkeit beladen. In den ersten 24 Stunden<br />

zeigen Lack- und Folienprodukt ein ähnliches Wasserauf-<br />

nahmeverhalten. Danach trennen sich die Kurven, die


20 / PLADUR ® Antikondensat – Funktionale Oberfläche für trockene Innenraumgestaltung<br />

[g/m 2 ]<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

0<br />

PLADUR ® Antikondensat<br />

Bild 4 / Vergleich der Wasseraufnahme im Konstantklima-Test (40 °C,<br />

100 % Luftfeuchtigkeit) bei einem Neigungswinkel von 90° zwischen einer<br />

handelsüblichen Vliesfolie und PLADUR ® Antikondensat über eine Testdauer<br />

von 168 h<br />

Wasserabsorption der Vliesfolie bleibt mit ca. 280 g/m 2<br />

konstant, während die Feuchteabsorption von PLADUR ®<br />

Antikondensat weiter bis auf ca. 500 g/m 2 ansteigt. Die<br />

Lackoberfläche erreicht ihr Sättigungsplateau nach 120<br />

Stunden, die Menge an aufgenommenem Wasser ist mit<br />

ca. 500 g/m 2 fast doppelt so hoch wie bei der hier getesteten<br />

Vliesfolie.<br />

Bzgl. der Wasserabgabe verhalten sich beide Oberflächen<br />

annähernd gleich: bei der notwendigen ausreichenden<br />

Belüftung gibt sowohl die Vliesfolie als auch die<br />

Antikondensat-Beschichtung die absorbierte Feuchtigkeit<br />

innerhalb von 4 Stunden wieder ab. / Bild 5 / verdeutlicht<br />

dies.<br />

Durch die Applikation eines optimierten Zwei-Schichtaufbaus<br />

kann das Produkt auch in korrosiver Umgebung,<br />

wie z.B. in landwirtschaftlichen Betrieben, eingesetzt<br />

werden. Der Korrosionsschutz der Stahlbauteile bleibt nachhaltig<br />

gewahrt.<br />

[h]<br />

Vlies<br />

1 2 3 4 5 6 24 48 120 144 168<br />

Bild 6 / Dacheindeckung einer Industriehalle mit PLADUR ® Antikondensat, Bauvorhaben Leipheim<br />

[g/m 2 ]<br />

300<br />

250<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

0<br />

PLADUR ® Antikondensat<br />

Vlies<br />

0 1 2 3 4 5<br />

[h]<br />

Bild 5 / Vergleich der Wasserabgabe nach Lagerung bei Normklima<br />

(20 °C, 55 % Luftfeuchtigkeit) bei einem Neigungswinkel von 90°<br />

zwischen einer handelsüblichen Vliesfolie und PLADUR ® Antikondensat<br />

über eine Testdauer von 5 h<br />

Physikalisch betrachtet ist die Neuentwicklung PLADUR ®<br />

Antikondensat dem konventionell eingesetzten Vliesprodukt<br />

überlegen. Ebenso verhält es sich auch im<br />

Hinblick auf Herstellkosten und -dauer. Gegenüber dem<br />

Vliesfolienprodukt kann ein Preisvorteil realisiert werden –<br />

ein wertvoller Faktor im hart umkämpften einschaligen<br />

Industriebau. Darüber hinaus ist das beschichtete Produkt<br />

universell einsetzbar. Durch seine Fähigkeit, Wasser in<br />

jeder Winkellage in den funktionalen Mikropartikeln zu<br />

speichern, ist der Einsatz von PLADUR ® Antikondensat<br />

nicht vom Neigungswinkel abhängig. Das Produkt kann<br />

daher in Steildächern, Flachdächern und in der Wand eingesetzt<br />

werden. Neben den technischen und wirtschaftlichen<br />

Vorteilen bietet PLADUR ® Antikondensat aber noch<br />

mehr: die glatte, weiße Oberfläche verleiht dem Produkt<br />

eine hochwertige Anmutung und reflektiert viel Licht,<br />

sodass eine helle, freundliche Arbeitsumgebung entsteht.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 7 / Farbige Parkdeckgestaltung mittels Additivdecke, Parkhaus des Rijnstate Hospital in Arnheim/Niederlande<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Fazit und Ausblick<br />

Mit PLADUR ® Antikondensat konnte ein innovatives,<br />

hochwertig anmutendes und universell einsetzbares<br />

Beschichtungssystem für den Einsatz in ungedämmten<br />

Industriegebäuden, wie Lagerhallen, Ställen etc., ent-<br />

wickelt werden. Das Beschichtungssystem verhindert<br />

wirkungsvoll und nachhaltig die Bildung von Schimmelpilzen<br />

bzw. das Ablaufen oder Heruntertropfen von<br />

Kondensat. Neben den physikalischen Vorteilen, wie dem<br />

höheren Wasserabsorptionsvermögen und dem individuell<br />

anpassbaren Korrosionsschutz, ermöglicht die Coil-<br />

Coating-Oberfläche einen kosten- und zeitoptimierten<br />

Herstellungsprozess und eine verbesserte Verarbeitbarkeit<br />

auf den Profilieranlagen. Durch die Reduzierung der<br />

Gesamtschichtdicke auf 40 µm lässt sich das Stahlprodukt<br />

mit engeren Radien umformen und kann dadurch z.B.<br />

auch in tragenden Bauteilen eingesetzt werden.<br />

PLADUR ® Antikondensat – Funktionale Oberfläche für trockene Innenraumgestaltung / 21<br />

Der Verbau unabhängig vom Neigungswinkel bietet<br />

Architekten viel Gestaltungsspielraum und eröffnet neue<br />

Märkte für ThyssenKrupp Steel Europe. Das Produkt<br />

PLADUR ® Antikondensat konnte innerhalb kurzer Zeit zur<br />

Serienreife gebracht und im Markt platziert werden. Erste<br />

Bauobjekte mit Kunden sind bereits realisiert / Bild 6 /.<br />

Im nächsten Schritt soll eine Weiterentwicklung<br />

bzw. Portfolio-Erweiterung bei PLADUR ® Antikondensat<br />

erfolgen: Durch Einbau von Farbstoffen in den Decklack<br />

oder durch Integration einer farbgebenden Schicht<br />

zwischen Primer und Decklack soll die Endoberfläche noch<br />

individueller gestaltet werden. Dabei werden RAL-Farbtöne<br />

(normiert durch RAL gGmbH) von transluzent bis deckend<br />

darstellbar. Dies ermöglicht den Architekten zusätzliche<br />

Gestaltungsspielräume und eröffnet weitere Märkte für<br />

<strong>Thyssenkrupp</strong> Steel Europe, wie z.B. die Produkteinführung<br />

im Bereich Additivdecke für Parkhäuser / Bild 7 /.


22 /<br />

Ästhetische Stahlhaut für Industriegebäude:<br />

Eine Industriefassade von ThyssenKrupp Steel nutzt die Sonnenenergie.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Solabs ® 2<br />

Regenerative Energiegewinnung durch solaraktives<br />

Fassadenmodul für den Industrie- und Gewerbebau<br />

Dr. rEr. naT. roMan Glass Senior Expert Neue Oberflächentechnologien u. Pilotfertigung, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />

Dipl.-inG. anDrEas liTZKow Qualitätsmanagement ThyssenKrupp Bausysteme GmbH Lübeck<br />

Dr.-inG. lars pfEiffEr Teamkoordinator Qualität u. Entwicklung Geschäftseinheit Color/Construction ThyssenKrupp steel Europe aG Kreuztal<br />

Dr. rEr. naT. BETTina wErnEr Teamleiterin Entwicklung Flach Geschäftseinheit Color/Construction ThyssenKrupp steel Europe aG Kreuztal<br />

ThyssenKrupp Steel Europe hat zusammen mit den<br />

Tochtergesellschaften der Geschäftseinheit Color/<br />

Construction ein neues Sandwich-Fassadenmodul<br />

entwickelt, das zur Wärmeenergie-Bereitstellung in<br />

Gewerbe- und Industriegebäuden verwendet werden<br />

kann. Das Solabs ® 2-Fassadenmodul ist analog<br />

einem Standardmodul aufgebaut und besteht<br />

aus einem Dämmkern mit beidseitig schubsteif<br />

verbundenem, bandlackiertem Qualitätsstahl. Die<br />

Farbe für die Außenseite des Fassadenmodules<br />

ist so gewählt, dass ein hoher Absorptionsgrad<br />

der Sonnenstrahlung und damit ein hoher Energie-<br />

eintrag erreicht wird. In den Dämmkern ist zusätzlich<br />

ein Rohrleitungssystem eingebracht, das mit der<br />

Fassadenaußenseite verbunden ist, sodass die auftreffende<br />

Solarstrahlung in Form von Wärme genutzt<br />

werden kann. Gemeinsam mit einem Kunden, einem<br />

Architekten und einem Systempartner wird aktuell<br />

ein Referenzgebäude unter Verwendung von solchen<br />

Modulen errichtet. Nach erfolgreichem Abschluss des<br />

Projektes wird eine Markteinführung des solaraktiven<br />

Fassadenmodules angestrebt.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

/ 23<br />

Hintergrund<br />

Die Einsparung von Energie sowie deren effizientere Nutzung sind seit<br />

einigen Jahren – vor dem Hintergrund des anstehenden Klimawandels<br />

und der erhöhten weltweiten Nachfrage nach Energie – stark in der<br />

Diskussion. Die geforderte Reduktion des CO 2-Ausstoßes zum einen<br />

und der Kostensenkungsdruck für die Bereitstellung von Energie<br />

zum anderen veranlasst auch Kunden, beim Bau von Gewerbe- und<br />

Industriegebäuden nach alternativen Konzepten und Produkten zu<br />

suchen, um jetzt und auch in Zukunft diesen Herausforderungen gerecht<br />

zu werden. Neben den bereits genannten Maßnahmen, wie Einsparung<br />

und effizientere Nutzung, kann als weiterer Baustein die lokale, regenerative<br />

Energiegewinnung und -bereitstellung gesehen werden.<br />

Die Sandwich-Bauprodukte der Geschäftseinheit Color/Construction<br />

übertreffen – je nach Dämmdicke – heute schon Dämmstandards und<br />

werden auch zukünftig bei der Einsparung von Energie im Gewerbe-<br />

und Industriebau als wichtiger Baustein gesehen.<br />

Die konsequente Weiterentwicklung dieser Sandwich-Produkte<br />

und deren Modifikation hin zur Energiegewinnung sind zur Bewältigung<br />

der erwähnten Herausforderungen ein bedeutendes Mittel. Die Gebäud-<br />

ehülle wird somit – neben der Erfüllung der Dämmstandards – auch<br />

als Energielieferant fungieren können. Die Solarthermie, also die Um-<br />

wandlung der solaren Strahlung in Wärmeenergie, ist eine Möglichkeit<br />

der regenerativen Energiebereitstellung.<br />

Ein weiteres Kriterium für ein derartiges Sandwichprodukt sind die<br />

Anforderungen, die sich unter dem Stichwort „architektonische Integration“<br />

zusammenfassen lassen. Die Nutzung der Gebäudehülle als<br />

Energielieferant sollte augenscheinlich derart sein, dass die optischen<br />

Anforderungen von Bauherren und Architekten getroffen werden.<br />

Das von der Geschäftseinheit Color/Construction koordinierte und<br />

unter dem Arbeitstitel ’Solabs ® 2’ aktuell laufende Projekt ist ein Beispiel<br />

für eine sehr gute interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener interner<br />

und externer Partner. Ziel der Produktentwicklung war es, in einem<br />

ersten Schritt die Funktion der Solarthermie in ein bereits bestehendes<br />

Fassadenmodul zu integrieren. Hierzu wurden zunächst unterschiedliche<br />

Vor-Prototypen mit variabler Materialauswahl durch die Forschungs- und<br />

Entwicklungsabteilung von ThyssenKrupp Steel Europe erstellt und<br />

hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit an einem unabhängigen, externen<br />

Institut vermessen. Im Anschluss wurden die gewonnenen Erkenntnisse<br />

erfolgreich in einen Prototyp umgesetzt, der in einer Kleinserie bei<br />

der Tochtergesellschaft Isocab N.V. in Belgien diskontinuierlich hergestellt<br />

wurde.


24 / Solabs ® 2 – Regenerative Energiegewinnung durch solaraktives Fassadenmodul für den Industrie- und Gewerbebau<br />

Diese Kleinserie der solaraktiven Module wird Bestandteil eines<br />

Gebäudeversorgungssystems sein. Die Erprobung wird aktuell durch<br />

die Erstellung und den Betrieb eines Referenzgebäudes mit einem<br />

Zielkunden und Systempartner vollzogen. In einem letzten Schritt werden<br />

die Erkenntnisse und gewonnenen Daten dazu genutzt werden, den<br />

optimalen Kundennutzen in diesem komplexen Szenario zu ermitteln.<br />

Hieraus leitet sich dann das weitere Vorgehen ab.<br />

Vom Fassadenelement zum Absorber<br />

Ein klassisches Sandwich-Fassadenelement besteht aus einer<br />

Außen- und Innenschale, die in der Regel jeweils aus bandlackiertem<br />

Qualitätsstahl hergestellt sind und einen Dämmkern umschließen. Die<br />

Außenseite kann – je nach Anforderung – entsprechend profiliert sein.<br />

In / Bild 1 / ist ein Sandwichprodukt in Form einer Explosionszeichnung<br />

dargestellt.<br />

Um die Energie, die durch die solare Strahlung auf der Gebäudehülle<br />

platziert wird, optimal zu absorbieren, ist es notwendig, den Lack der<br />

Außenschale mit einem möglichst hohen Absorptionskoeffizienten<br />

zu wählen. Klassischerweise zeigen die dunklen Farbtöne – je nach<br />

Pigmentierung des Lackes – einen hohen Absorptionswert. In / Bild 2 /<br />

ist das solare Spektrum als orange Kurve dargestellt, wobei die<br />

Wellenlänge und die Intensität (linke Ordinatenachse) aufgetragen sind.<br />

Für den gewählten Farbton ist die Absorption (rechte Ordinatenachse,<br />

invers) über der Wellenlänge aufgetragen. Dabei gilt: Je höher der<br />

Absorptionskoeffizient, desto besser der Eintrag der Sonnenenergie<br />

in die Oberfläche. Das hier verwendete Lacksystem hat eine solare<br />

Absorption > 90 % und erscheint anthrazitgrau, also ein Farbton, der im<br />

Industrie und Gewerbebau gerne eingesetzt wird.<br />

Die Energie, die in die Oberfläche eingebracht wird, wird nun über<br />

ein mit einem Wärmeträgermedium gefülltes Rohrleitungssystem abgeführt.<br />

Das Rohrleitungssystem steht in Kontakt mit der Außenschale,<br />

sodass die Wärme, die zunächst auf die Außenschale einwirkt, über<br />

die Verbindung zwischen Außenschale und Rohr, abgeführt werden<br />

kann. In / Bild 3 / ist der prinzipielle Aufbau des Fassadenmodules als<br />

Explosionszeichnung dargestellt.<br />

Bild 1 / Explosionszeichnung eines Sandwichproduktes<br />

Innenschale<br />

Dämmkern<br />

Außenschale<br />

Das Herausführen des Rohrleitungssystems auf der Rückseite des<br />

Fassadenmoduls hat den Vorteil, dass das Element an unterschiedlichen<br />

Positionen einer Fassade platziert werden kann. So kann es<br />

aufgrund der dunklen Farbgebung als gestalterisches Element für das<br />

Fassadenerscheinungsbild genutzt werden. Augenscheinlich lassen sich<br />

zudem die solaraktiven von den solarinaktiven Elementen bei gleicher<br />

Farbgebung und Oberfläche nicht unterscheiden, sodass für den<br />

Betrachter die Fassade das gewohnte Erscheinungsbild zeigt.<br />

Neben dem gestalterischen Aspekt kann es auch notwendig<br />

sein, die Elemente aufgrund ungünstiger Umgebungsverhältnisse,<br />

z.B. Verschattung durch angrenzende Gebäude, an optimalen Stellen<br />

zu positionieren. Das Element bietet mit diesem Aufbau eine gute<br />

Möglichkeit des individuellen Einsatzes hinsichtlich der Position in der<br />

Fassade. Dabei wird das Modul auch dem gestalterischen Anspruch von<br />

Kunden und Architekten gerecht.<br />

Der Energieeintrag durch die Sonne kann je nach Wetterlage und<br />

in Abhängigkeit der geographischen Lage beträchtlich sein. Auch<br />

diffuse Strahlung erzeugt bereits einen signifikanten Eintrag, sodass<br />

das Fassadenmodul nicht ausschließlich auf die Direktstrahlung angewiesen<br />

ist. Dies bedeutet, dass auch an bedeckten Tagen Energie<br />

zur Verfügung steht. In / Bild 4 / ist beispielhaft eine Thermographie-<br />

Aufnahme eines solaraktiven Fassadenelementes im stationären<br />

Zustand durch Eintrag diffuser Strahlung gezeigt (das Element ist nicht<br />

in Betrieb, die Energie an der Oberfläche wird nicht abgeführt).<br />

Vielfältige Kombinationsmöglichkeiten<br />

Um die Energie der Fassadenoberfläche zu nutzen, ist es notwendig,<br />

die solaraktiven Fassadenmodule in eine Systemtechnik einzubinden.<br />

So sind theoretisch zwei Anwendungs-Szenarien denkbar:<br />

Brauchwasservorwärmung oder Heizungsunterstützung. Die Fassade<br />

ist jedoch aufgrund des Sonnenstandes in den Wintermonaten deutlich<br />

besser geeignet für eine Heizungsunterstützung, auch vor dem<br />

Hintergrund, dass Gewerbe- und Industriegebäudedächer in der Regel<br />

einen geringen Neigungswinkel haben. Neben der oben beschriebenen<br />

architektonischen Integration in die Fassade muss nicht über eine nach-<br />

Intensität Solarstrahlung<br />

1<br />

0<br />

Solarspektrum<br />

Lacksystem<br />

Außenschale<br />

0,4 2,5<br />

Wellenlänge [µm]<br />

Bild 2 / Normiertes solares Spektrum (orange) und wellenlängenabhängige<br />

Absorptionseigenschaften des verwendeten Lacksystems (blau)<br />

Absorption<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

0<br />

1


Außenschale Außenschale<br />

Innenschale<br />

Dämmkern<br />

Rohre<br />

Bild 3 / Explosionszeichnungen des solaraktiven Fassadenmodules aus zwei Blickrichtungen; Bestandteile: Außen- und Innenschalen, ein Schaum-Dämmkern<br />

sowie ein Rohrsystem, das zur Innenseite hin herausgeführt wird (rechtes Bild)<br />

trägliche Aufständerung an der Fassade nachgedacht werden, da das<br />

Modul Absorber- und Fassadenfunktionalität umfasst.<br />

Zur Erzielung eines Best-Customer-Value ist die Systemtechnik<br />

hinsichtlich der geplanten Anwendung im Gebäude nach Maßgabe der<br />

geographischen Gegebenheiten und entsprechend der Kundenwünsche<br />

individuell auszulegen. / Bild 5 / zeigt eine mögliche Systemintegration.<br />

Das präferierte System zeigt die Kombination der solaraktiven Fassade<br />

mit einem Wärmepumpensystem zur Heizungsunterstützung, wobei die<br />

Fassade als Energielieferant für das System dienen wird.<br />

Bild 4 / Wärmebildaufnahme eines in Kleinserie gefertigten Modules (links),<br />

Nahaufnahme der profilierten Moduloberfläche (rechts)<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

45 °C<br />

10 °C<br />

Innenschale<br />

Dämmkern<br />

Rohre<br />

/ 25<br />

Referenzgebäude<br />

Der Kunde, der mit ThyssenKrupp Steel Europe gemeinsam das<br />

Referenzobjekt umsetzt, möchte eine nachhaltige und umweltschonende<br />

Energieversorgung seines Gebäudes. Bei dem Gebäude handelt<br />

es sich um ein Vertriebsbüro mit Logistikhalle. Die Fassade hat eine<br />

Dämmdicke von 170 mm, im Dach 220 mm, das Gebäude erreicht<br />

somit einen sehr hohen Dämmstandard. Zusätzlich wird die Fassade<br />

dazu genutzt werden, mit Hilfe einer Wärmepumpe sowohl das Büro<br />

als auch die Logistikhalle mit Wärme zu versorgen. Die Logistikhalle hat


26 / Solabs ® 2 – Regenerative Energiegewinnung durch solaraktives Fassadenmodul für den Industrie- und Gewerbebau<br />

Sonne<br />

Fassade<br />

Heizung<br />

Pumpe<br />

Lastenprofil<br />

Rohre<br />

Speicher Erdsonde<br />

Wärmepumpe<br />

Lage<br />

Bild 5 / Auswahl an Kombinationsmöglichkeiten zur Erreichung der besten Performance<br />

und des Best-Customer-Value: Die Fassade dient als Energiequelle (orange eingefärbte<br />

Bereiche). Zur Planung einer Halle sind die geographische Lage sowie die Ausrichtung<br />

des Gebäudes zu berücksichtigen. In Abhängigkeit des Energielastprofiles wird die<br />

Anlage konfektioniert. Je nach Kundenwunsch wird die Anlage zusammengestellt.<br />

eine Grundfläche von 20 x 20 m und das Büro ist zweistöckig mit einer<br />

Grundfläche von etwa 10 x 10 m ausgelegt. West- und Ostfassade sind<br />

mit insgesamt 46 solaraktiven Fassadenmodulen ausgestattet. Dies<br />

entspricht einer Absorberfläche von etwa 220 m 2 . Bei der Nordfassade<br />

ist das Rohrleitungssystem mit der Innenschale des Sandwichproduktes<br />

verbunden, sodass hier 23 Module als Flächenheizung genutzt werden,<br />

um die Logistikhalle zu temperieren. In / Bild 6 / sind die wichtigsten<br />

Fakten dargestellt. Das Bürogebäude wird mit konventionellen<br />

Heizkörpern temperiert. Gemeinsam mit Partnern aus den Bereichen<br />

Installations-, Regelungs-, Versorgungs-, und Gebäudeleittechnik wurde<br />

ein Anlagen- und Regelungskonzept erarbeitet, das zum einen die<br />

Versorgungssicherheit für den Kunden gewährleisten soll und zum anderen<br />

die Möglichkeit bietet, entsprechende Parameter, Betriebszustände<br />

und Einstellungen zu verfolgen und zu modifizieren.<br />

Das Referenzgebäude wurde in enger Zusammenarbeit mit dem<br />

Kunden, dem Architekten, dem Systempartner und der Installationsfirma<br />

im Zeitraum September bis Dezember 2011 erstellt. / Bild 7 / zeigt<br />

das Innere der Vertriebshalle vor dem Erstbezug; dargestellt ist die<br />

Nordost-Ecke. Hier sind rechts die schwarzen und links die grauen<br />

Sammelleitungen entlang der Holzträgerkonstruktion zu sehen. Die<br />

Elemente der Nordfassade werden die Halle durch das innen liegende<br />

Rohrleitungssystem beheizen, wobei die Energie hierfür aus der Fassade<br />

Ostfassade<br />

Westfassade<br />

Südfassade<br />

Bild 6 / Das Referenzgebäude im Überblick: Gezeigt sind die Ost-, West- und Südansicht;<br />

Logistikhalle: 20 mx20 m, Büro: 10 m x 10 m (zweistöckig). Erfasst werden die Wetterdaten<br />

sowie das System- und Nutzungsverhalten. Je 23 solaraktive Fassadenmodule sind<br />

in der Ost- und Westfassade platziert. Als Heizung dienen 23 Elemente in der Nordfassade.<br />

Das Büro ist nach Süden ausgerichtet, hier kann die solare Strahlung über die Fenster<br />

zusätzliche Energie in die Räume liefern.<br />

(schwarze Sammelleitungen, Ost und West) gewonnen wird. Die entsprechende<br />

Außenseite des Gebäudes ist in / Bild 8 / dargestellt und<br />

zeigt die Nordost-Ecke.<br />

Bild 7 / Innenansicht der Vertriebshalle. Blick in die Nordost-Ecke, links Sandwich<br />

Fassadenheizung (graue Leitungen), rechts Solaraktivmodule (schwarze Leitungen)<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 8 / Referenzgebäude: Außenansicht Nordost<br />

Fazit und Ausblick<br />

Im Industrie- und Gewerbebau findet die Solarthermie bisher kaum<br />

Anwendung, sodass die direkte Nutzung der Fassade als Energie-<br />

lieferant eine neue Möglichkeit aufzeigt. Gerade vor dem Hintergrund steigender<br />

Anforderungen, wie z.B. der Energieeinsparverordnung (EnEV),<br />

die unter anderem eine Reduktion des Primärenergieverbrauches<br />

von Gebäuden vorsieht, kann die Solarthermie hierbei eine Stellschraube<br />

bei der Energieversorgung zukünftiger Gebäude sein.<br />

Mit diesem Konzept, Sandwich-Produkte zur Energiegewinnung<br />

zu modifizieren, nimmt ThyssenKrupp Steel Europe mit der Geschäfts-<br />

einheit Color/Construction und ihren Töchtern eine Vorreiterstellung ein.<br />

Darüber hinaus wird der Weg zur Generierung neuartiger Nutzungs-<br />

konzepte für regenerative Energien und hier im speziellen für die<br />

Solarthermie geebnet.<br />

Durch die erfolgreiche Zusammenarbeit der involvierten Teams –<br />

der Geschäftseinheit Color/Construction, ThyssenKrupp Bausysteme,<br />

Isocab N.V., der Forschung und Entwicklung von ThyssenKrupp Steel<br />

Europe sowie externer Partner – konnte erfolgreich eine Kleinserie von<br />

Sandwichprodukten als Absorberfläche für solare Strahlung funktiona-<br />

lisiert werden. Die Kleinserie ist Bestandteil einer beim Kunden installierten<br />

solaraktiven Fassade, mit dem Ziel, die Gebäudeheizung sicher zu<br />

stellen. Gemeinsam mit dem Systempartner wurden neuartige Konzepte<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

/ 27<br />

zur Integration der solaraktiven Fassade mit der Versorgungstechnik<br />

erarbeitet. Das Referenzgebäude und die Systemtechnik sind fertig<br />

gestellt, in Betrieb genommen und der Kunde hat das Gebäude bereits<br />

bezogen. Innerhalb des nächsten Jahres werden Daten gesammelt und<br />

Erfahrungen mit dem neuen Konzept gemacht.<br />

Aktuelle Berechnungen zeigen, dass im Laufe des Betriebes eine<br />

erhebliche Menge CO 2 eingespart werden kann (für das Referenzgebäude<br />

bis zu 15 t pro Jahr). Darüber hinaus wird erwartet, dass durch<br />

die hohe Dämmdicke zum einen und durch die Nutzung der Fassadenoberfläche<br />

zum anderen die Energiekosten sehr gering sein werden.<br />

Das Fassadenmodul Solabs ® 2 befindet sich in der Pilotphase der<br />

Produktentwicklung, wobei die Integration der gewonnen Erkenntnisse<br />

eines stahlbasierten Absorbers in einen bereits bestehenden<br />

Produktionsablauf im Vordergrund standen. Zudem werden begleitende<br />

Methoden zur Qualitätssicherung und Verbesserung des Produktionsablaufes<br />

für eine spätere Serienproduktion entwickelt.<br />

Durch die erfolgreiche Pilotphase und durch den Aufbau des<br />

Referenzobjektes ist die Basis einer zukünftigen Vermarktung von<br />

Solabs ® 2 geschaffen. Das System stellt eine mögliche Antwort zur<br />

Bewältigung heutiger und zukünftiger Herausforderungen in der effizienten<br />

Gebäudeenergieversorgung dar.


28 /<br />

HD – Hochduktile mikrolegierte<br />

Feinkornbaustähle<br />

Neue Produktserie für die Kaltumformung<br />

MaTTHias Gruss Verfahrenstechnik / Produktweiterentwicklung Hoesch Hohenlimburg GmbH Hagen<br />

Dipl.-inG. MaxiMilian naGEl Verfahrenstechnik / Produktweiterentwicklung Hoesch Hohenlimburg GmbH Hagen<br />

Dipl.-inG. pETEr HöfEl Leiter Qualitätsmanagement / Labors Hoesch Hohenlimburg GmbH Hagen<br />

Hoesch Hohenlimburg hat die neue Produktserie „HD“ mit deutlich verbesserten<br />

Eigenschaften für die Kaltumformung entwickelt. Insbesondere Umformungen<br />

zu komplexen Bauteilen mit hohen Festigkeitsanforderungen lassen sich somit<br />

noch prozesssicherer darstellen. Bild: Hohenlimburger Mittelband in der Walzstraße<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Hochduktile (HD) Stahlgüten erweitern die konstruk-<br />

tiven Gestaltungsmöglichkeiten im automobilen<br />

Leichtbau. Der neue Werkstoff HSM 700 HD von<br />

Hoesch Hohenlimburg setzt dabei Maßstäbe durch<br />

die Kombination aus Streckgrenzen von mindes-<br />

tens 700 MPa und Bruchdehnung von ca. 20 %.<br />

Ermöglicht werden diese Werte durch ein neuartiges<br />

Mikrolegierungskonzept, das auf dem Einsatz von<br />

Niob beruht. Gepaart mit einer exakt definierten<br />

Prozessroutine beim Warmwalzen und dem an-<br />

schließenden Abkühlprozess lassen sich die Streubänder<br />

der mechanischen Kennwerte so erheblich<br />

reduzieren.<br />

Hochfeste mikrolegierte Feinkornbaustähle<br />

Für Warmband-Direktverarbeiter liegen mikrolegierte Feinkornbaustähle<br />

(HSLA = High Strength Low Alloy) voll im Trend. Diese hochfesten Werk-<br />

stoffe ermöglichen Kosteneinsparungen, vor allem weil teure Wärme-<br />

behandlungen entfallen können. Um die geforderten Festigkeiten<br />

des Bauteiles zu garantieren, werden Wärmebehandlungen oft nicht<br />

mehr benötigt, denn die mikrolegierten Werkstoffe bringen die geforderten<br />

mechanischen Eigenschaften von Hause aus schon mit. Hinzu<br />

kommt, dass überall dort, wo Maßhaltigkeit eine entscheidende Rolle<br />

spielt, Mittelband mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Ein Blick in<br />

die Norm genügt, um zu verstehen, warum: Der Toleranzbereich von<br />

Mittelband, sei es in den Breiten-, Dicken- oder Planheitstoleranzen, ist<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Haspelerzeugnis [t/a]<br />

500.000<br />

450.000<br />

400.000<br />

350.000<br />

300.000<br />

250.000<br />

200.000<br />

150.000<br />

100.000<br />

50.000<br />

0<br />

HD – Hochduktile mikrolegierte Feinkornbaustähle / 29<br />

deutlich enger gefasst als der von Warmbreitband (vgl. DIN EN 10048<br />

und DIN EN 10051). Daher wird Mittelband in diesen Güten besonders<br />

stark nachgefragt, was sich in den letzten Jahren entsprechend auf die<br />

Mengenentwicklung ausgewirkt hat / Bild 1 /.<br />

Neue HD-Güten: hochduktil und hochfest<br />

Die steigenden Anforderungen an Festigkeit und Duktilität haben<br />

auch die mikrolegierten Feinkornbaustähle an Ihre Grenzen geführt.<br />

Bei kritischen Umformoperationen mit mehreren Ziehstufen und hohen<br />

Umformgraden neigen diese zur Bildung von Makrorissen. Eine neue<br />

Güte musste her, um den Entwicklern und Konstrukteuren weitere<br />

Freiräume zu schaffen. Dies war der Ausgangspunkt für die Entwicklung<br />

der neuen HD-Güten (Hochduktil).<br />

Die Lösung für die Rissproblematik lag im Legierungs- und Walz-<br />

konzept. Konventionelle mikrolegierte Feinkornbaustähle bilden bei<br />

hohen Umformgraden porenförmige Anrisse die letztendlich zum Ver-<br />

sagen der Bauteile führen. Grund hierfür sind grobe Ausscheidungen<br />

im Gefüge, an denen sich die Versetzungslinien stauen und zu makros-<br />

kopischen Rissen anwachsen. In / Bild 2 / sind REM-Aufnahmen<br />

(Rasterelektronenmikroskop) aus zwei stark verformten Proben gegen-<br />

übergestellt. Im unteren Bild sind mehrere gröbere und feinere Aus-<br />

scheidungen als helle Flächen deutlich erkennbar, die im vorliegenden<br />

Verformungsfall bereits zu Porenbildung führen (dunkele Bereiche).<br />

Im oberen Teilbild ist die neu entwickelte Güte dargestellt, in der die<br />

Ausscheidungen in makroskopisch nicht nachweisbarer Nanogröße<br />

ausgebildet sind.<br />

Ausscheidungen können unterschiedlicher Art sein. Zementit, also<br />

Eisen-Carbid-Verbindungen, entsteht an den Korngrenzen, wenn aus-<br />

reichend Kohlenstoff im Werkstoff vorhanden ist. Weitere Ausscheidun-<br />

gen sind Carbonitride, also Kohlenstoff-Stickstoff-Verbindungen der<br />

Legierungselemente Titan, Niob oder Vanadin.<br />

Entscheidend für die Porenbildung ist in erster Linie die Größe der<br />

Ausscheidungen. Diese wird maßgeblich durch die Prozessroutine beim<br />

Warmwalzen beeinflusst. Nach dem Warmwalzen läuft das Mittelband<br />

98/99<br />

99/00<br />

00/01<br />

01/02<br />

02/03<br />

03/04<br />

04/05<br />

05/06<br />

06/07<br />

07/08<br />

08/09<br />

09/10<br />

10/11<br />

11/12<br />

12/13<br />

13/14<br />

14/15<br />

15/16<br />

Bild 1 / Entwicklung der nachgefragten Mittelbandgüten seit 1999<br />

Vergütungsstähle<br />

Mikrolegierte<br />

höherfeste Stähle<br />

Neuentwicklungen


30 / HD – Hochduktile mikrolegierte Feinkornbaustähle<br />

HD-Güte: Karbid-frei<br />

Konventionelle hochfeste Güte: grobe Karbide<br />

Bild 2 / Rasterelektronenmikroskop: Vergleich stark verformter Gefüge<br />

7 µm<br />

7 µm<br />

über den Auslaufrollgang und wird zu Coils aufgewickelt. Bereits auf<br />

dem Auslaufrollgang hat die Temperaturführung entscheidenden Einfluss<br />

auf das Ausscheidungswachstum. Im Coil setzt sich das Ausscheidungswachstum<br />

schließlich fort, wenn dieses nicht gezielt abgekühlt wird.<br />

Neben der Prozessfahrweise hat auch die Menge an Kohlenstoff<br />

entscheidenden Einfluss auf die Ausscheidungsgröße. So steigt die Größe<br />

des Korngrenzenzementits mit der Menge an Kohlenstoff im Werkstoff<br />

an. Mehr Kohlenstoff führt dann zu einer höheren Wahrscheinlichkeit<br />

der Rissbildung.<br />

Bild 3 / Kragenzugversuch, oben: HD-Güte, unten: konventionelle hochfeste Güte<br />

Da der Kohlenstoff jedoch auch die Funktion der Festigkeitssteigerung<br />

hat, kann er nicht einfach eliminiert werden. Schließlich soll der Werkstoff<br />

nicht nur gut umformbar, sondern auch stark beanspruchbar sein.<br />

Um möglichst vielfältige Anwendungen des neuen Werkstoffes zu ermöglichen,<br />

wurde die zu erreichende Mindeststreckgrenze auf 700 MPa<br />

festgelegt. In diesem Festigkeitsbereich kann der Werkstoff in sicherheitsrelevanten<br />

Bauteilen zum Einsatz kommen / Bild 3 /.<br />

Es galt also ein Legierungselement zu finden, um die Diffusion des<br />

festigkeitssteigernden Kohlenstoffes zu reduzieren. Dieses müsste die<br />

Entstehung der Ausscheidungen im Werkstoff hemmen und gleichzeitig<br />

die Festigkeit des Werkstoffes erhöhen.<br />

Niob zur Festigkeitssteigerung<br />

Das zielführende Konzept sah vor, nur Nano-Ausscheidungen zuzulassen.<br />

Diese Ausscheidungen sollten die Festigkeit gezielt steigern<br />

und die Ausscheidungskinetik durch Verlangsamung der Kohlenstoffdiffusion<br />

beeinflussen.<br />

Als Legierungselement fiel Niob in die engere Auswahl und hat sich<br />

für diesen Zweck als bestens geeignet erwiesen. Niob ist auf atomarer<br />

Ebene deutlich größer als das umgebende Eisen. Durch Einbau von Niob<br />

in das Fe-Gitter entstehen daher Gitterverzerrungen. Diese stehen den<br />

Kohlenstoffatomen bei deren Diffusion im Weg und verlangsamen so<br />

den Diffusionsprozess. Die Ausscheidungsgröße der Carbonitride kann<br />

dadurch gezielt gemindert werden.<br />

Ausscheidungsgröße, Festigkeit und Kohlenstoffgehalt des Werkstoffes<br />

stehen miteinander in direktem Zusammenhang. Eine hohe<br />

Anzahl kleiner Nano-Ausscheidungen steigert die Festigkeit auch bei<br />

abgesenktem Kohlenstoffgehalt. Eine mittlere Zugfestigkeit von 750 MPa<br />

kann daher bereits bei geringen Kohlenstoffgehalten erzielt werden.<br />

Bild 4 / Coil-Dusche zur Fixierung des eingestellten Gefüges<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Komplexere Geometrien<br />

Bruchdehnung [%]<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

Bild 5 / Parameterspektrum der ferritischen Stahlgüten (Bruchdehnung über Festigkeit)<br />

Wird bei der Herstellung des Mittelbandes eine spezifische Prozessfahrweise<br />

eingehalten, kann die Anzahl der Niob-Nano-Ausscheidungen<br />

schrittweise gesteigert werden. Das im Werkstoff gelöste Niob wird<br />

automatisch beim Warmwalzen zu Mittelband aus dem Gefüge ausgeschieden.<br />

So werden bereits bei der Erwärmung der Brammen hohe<br />

Zieltemperaturen und ausreichend lange Haltezeiten für die gleichmäßige<br />

Auflösung der Mikrolegierungselemente benötigt. Durch<br />

Umformung und Abkühlung werden die Mikrolegierungselemente anschließend<br />

wieder aus dem Gefüge ausgeschieden. Der thermomechanische<br />

Walzprozess unter kontrollierter Rekristallisation führt<br />

hierbei zu besonders feindispersen Ausscheidungen.<br />

Nach dem letzten Walzgang ist es wichtig das Gefüge zu fixieren, um<br />

die Ausscheidungen fein zu halten. Dazu muss die nach dem Walzen<br />

verbliebene thermische Energie aus dem Mittelband abgeleitet werden.<br />

In einer Kühlstrecke wird das Mittelband daher abgekühlt. So bleiben<br />

die Nano-Ausscheidungen bis zur Coil-Dusche – der letzten Station im<br />

thermomechanischen Behandlungsprozess – erhalten. Die Coildusche<br />

fixiert das Gefüge endgültig. Die Gefügebestandteile werden sozusagen<br />

eingefroren / Bild 4 /.<br />

Im kalten Zustand liegt nun das Niob in Form winziger Nano-<br />

Ausscheidungen vor. Prozesstechnisch ermöglicht die Coil-Dusche<br />

außerdem eine Erhöhung der Beizleistung, da die Beizgeschwindigkeit<br />

gesteigert werden kann.<br />

Erhöhte Prozesssicherheit und beste Umformbarkeit<br />

der HSM 700 HD<br />

Die neu erhältliche HD-Güte HSM 700 HD von Hoesch Hohenlimburg<br />

wird entsprechend der beschriebenen Prozessroutine hergestellt. Der<br />

Zusatz HD im Namen steht dabei für Hochduktil, also für einen Werkstoff<br />

mit erweiterten Umformeigenschaften / Bild 5 /.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Ferritische Stähle<br />

10<br />

0<br />

Mikrolegierte Feinkornbaustähle<br />

HSLA<br />

200 300 400 500 600 700 800 900 1.000 1.100<br />

Zugfestigkeit [MPa]<br />

Erhöhtes Leichtbaupotential<br />

HD700 Güte<br />

Dichte [?]<br />

0,025<br />

0,020<br />

0,015<br />

0,010<br />

0,005<br />

0,000<br />

Zu weich<br />

HD – Hochduktile mikrolegierte Feinkornbaustähle / 31<br />

Normal<br />

600 640 680 720 760 800 840 800<br />

Konventionell hochfest<br />

HD-Güte<br />

Streckgrenze [MPa]<br />

Teile reißen<br />

Mittelwert Standardabweichung Anzahlmessung<br />

753,9 29,20 105<br />

748,7 15,29 105<br />

Bild 6 / Abweichungen der Streckgrenzen vom Normalwert, Vergleich HD-Güte/<br />

konventionelle hochfeste Güte<br />

Aufgrund der fest definierten Prozessfahrweise ist das Streuband der<br />

Werkstoffparameter deutlich reduziert. In / Bild 6 / sind die Streckgrenzen<br />

einer konventionellen hochfesten Güte denen der neuen<br />

HD-Güte gegenübergestellt. Die HD-Güte verzeichnet dabei eine deutlich<br />

geringere Schwankung.<br />

Der Werkstoff HSM700HD zeichnet sich analytisch durch einen<br />

erhöhten Niob-Gehalt von max. 0,25 % sowie einen sehr geringen<br />

Kohlenstoff-Gehalt von max. 0,06 % aus. Die Zugfestigkeit liegt bei ca.<br />

800 MPa bei einer mittleren Streckgrenze von ca. 750 MPa / Bild 6 /.<br />

Gegenüber mikrolegierten Güten zeichnet sich der Werkstoff entscheidend<br />

durch die erhöhte Bruchdehnung aus. Diese ist mit ca. 20 % deutlich<br />

höher als bei konventionellen mikrolegierten Werkstoffen.<br />

Fazit<br />

Hochfeste Güten sind mittlerweile in allen Bereichen der Automobilfertigung<br />

im Einsatz. Die Ansprüche der Kunden gehen hier jedoch<br />

weiter, besonders in Bezug auf die Komplexität der Bauteilgeometrie.<br />

Das HD-Konzept greift dieses Absatzpotenzial auf, indem es gegenüber<br />

bereits am Markt erhältlichen Güten sowohl Festigkeits- als auch<br />

Bruchdehnungssteigerungen mit sich bringt. Der entscheidende Vorteil<br />

hierbei ist die Verlässlichkeit der HD-Güten. Die Streubreite der mechanischen<br />

Kennwerte ist gegenüber konventionellen hochfesten Güten<br />

deutlich verringert, was sich direkt positiv auf die Gestaltungsfreiheit<br />

in der Bauteilkonstruktion auswirkt. Es können somit sicherere und<br />

gleichzeitig komplexere Fahrzeugbauteile entwickelt werden.<br />

Bereits jetzt lässt sich ein erhebliches Marktpotenzial für diese<br />

neuen Güten erkennen. Mit Blick auf die kommenden Anforderungen<br />

der Elektromobilität erscheint daher eine Erweiterung des HD-Güten-<br />

Spektrums in weitere Festigkeitsbereiche erfolgversprechend.


32 / Thema<br />

Gründung von Heliostaten<br />

für Solarkraftwerke<br />

Einbringung dünnwandiger Stahlrohre mit Spezialgerät<br />

Dr.-inG. JoHannEs KöcHEr Geschäftsführer ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik GmbH Alsfeld<br />

Doris BEcKEr-spoHr Leiterin Vertrieb Export ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik GmbH Alsfeld<br />

Solarkkraftwerk in Kalifornien/USA<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke / 33<br />

Solarthermische Kraftwerke und Anlagen basieren<br />

auf dem Prinzip, dass das Sonnenlicht über eine Viel-<br />

zahl von Spiegeln auf einen engen Punkt auf einem<br />

Receiver-Turm fokussiert wird und hier eine enorme<br />

Hitze zur Erzeugung von Heißdampf erzeugt, der zum<br />

Antrieb von Turbinen zur Stromerzeugung genutzt<br />

werden kann. Die vielen tausend Spiegel, die für eine<br />

solche Anlage benötigt werden, müssen sicher am<br />

Boden verankert werden. Hierzu hat ThyssenKrupp<br />

GfT Tiefbautechnik als Hersteller von Baumaschinen<br />

und Komponenten für den Spezialtiefbau ein spezielles<br />

Werkzeug sowie ein Verfahren entwickelt, womit<br />

derartige Bodenverankerungen bzw. Gründungen<br />

schnell, wirtschaftlich und problemlos ausgeführt<br />

werden können.<br />

Maschinen für den Spezialtiefbau<br />

Das Unternehmen ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik beschäftigt sich<br />

seit Jahren mit der Herstellung von Maschinen für den Spezialtiefbau.<br />

Dies sind zum einen Maschinen für die Ramm- und Ziehtechnik, mit der<br />

Stahlbohlen, wie Träger, Rohre oder Spundwandtafeln, in den Unter-<br />

grund eingebracht werden können. Die Maschinen erzeugen mittels<br />

gegenläufig rotierender Wellen mit darauf montierten Unwuchten<br />

vertikale Schwingungen. Über ein Klemmelement, der so genannten<br />

Spannzange, induziert sie diese Schwingungen mit Frequenzen von<br />

ca. 40 Hz in den Boden. Der Boden wird durch die Schwingungen<br />

nahe um das einzubringende Rammelement aufgelockert und somit<br />

in einen flüssigkeitsähnlichen Zustand gebracht. Hierdurch werden<br />

die Mantelreibung und der Spitzenwiderstand so stark reduziert,<br />

dass letztendlich die Bohle durch das Eigengewicht in den Boden<br />

einsinkt. Angetrieben werden diese Maschinen über ein diesel-<br />

hydraulisches Aggregat, mit dem sie über Hydraulikschläuche verbunden<br />

sind / Bild 1 /.<br />

Bild 1 / Vibrationseinheit beim Rammen von Spundbohlen


34 / Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke<br />

Auf der anderen Seite sind dies so genannte Bohrhämmer und Drehantriebe,<br />

die – auf entsprechende Trägergeräte von Kunden montiert –<br />

insbesondere Bohrungen für Verankerungsaufgaben durchführen.<br />

Kleinere Geräte werden für Sprenglochbohrungen im Steinbruch,<br />

Tunnelbau oder in Minen eingesetzt. Durch das dem Drehen über-<br />

lagerte Schlagen der hochpräzisen hydraulisch angetriebenen Schlagwerke<br />

mit variablen Schlagfrequenzen bis zu 60 Hz werden insbesondere<br />

in felsigen Böden Bohrfortschritte erzielt, die um ein mehrfaches<br />

über denen der reinen Drehbohrungen liegen. / Bild 2 / zeigt einen<br />

auf ein Trägergerät montierten Bohrhammer bei der Erstellung von<br />

Bohrungen zur Sicherung einer tiefen Baugrube.<br />

Seit einigen Jahren werden diese Maschinen verstärkt im Bereich<br />

der Umwelttechnik bzw. der Technik der erneuerbaren Energien eingesetzt<br />

und für diese Aufgaben entsprechend konstruktiv angepasst<br />

und erweitert.<br />

Gründung von Offshore-Windenergieanlagen im Testfeld<br />

alpha ventus vor der niedersächsischen Nordseeküste<br />

Für die sichere Verankerung von so genannten Tripods / Bild 3a / als<br />

Basisstruktur der Windenergieanlagen werden diese mit jeweils drei<br />

„Nägeln“ am Meeresboden mit Hilfe der Vibrationstechnik und anschließendem<br />

Nachschlagen verankert / Bild 3b /. Die Tripods haben<br />

ein Gewicht von ca. 500 t, jeder einzelne „Nagel“ ein Gewicht von<br />

ca. 160 t. Für diese Arbeiten sind die größten verfügbaren Geräte mit<br />

Schwingkräften von mehr als 400 t und einer Leistung von mehr als<br />

1.000 kW eingesetzt worden. Eine neu konzipierte Gerätegeneration<br />

wird zukünftig Schwingkräfte von über 1.000 t bei Antriebsleistungen<br />

von mehr als 2.000 kW erzeugen. Sie sind so konstruiert, das sie<br />

in der Lage sind, das Rammgut direkt vom Arbeitsschiff oder -ponton<br />

aus der Waagerechten aufzunehmen und senkrecht im Boden ein-<br />

zubringen. Hierdurch werden die Installationszeiten signifikant verkürzt<br />

und damit die Gründungskosten deutlich gesenkt.<br />

Bild 2 / Erstellung von Bohrungen zur Sicherung einer Baugrube<br />

Geothermisches Bohren<br />

Eine umweltfreundliche geothermische Anlage zur Heizung (oder auch<br />

zur Kühlung) von Wohngebäuden basiert auf dem Prinzip, dass der<br />

Erde Wärme entzogen wird und diese über eine Wärmepumpe auf ein<br />

höheres Wärmeniveau zur Heizung der Gebäude transformiert wird.<br />

Um bei der auch oberflächennahe Geothermie genannten regenerativen<br />

Energiegewinnung dem Erdboden Wärme entziehen zu können,<br />

müssen hierfür Bohrungen bis in 100 m Tiefe erbracht werden, meist<br />

auf engstem Raum. Hierzu wurden kompakte spezielle Doppelkopf-<br />

Bohranlagen / Bild 4 / entwickelt, die zum einen eine sichere, richtungsgenaue<br />

Bohrung auch in lockeren Erdschichten mittels zweier<br />

konzentrisch eingebrachter Bohrstränge gewährleisten (verrohrte<br />

Bohrung) und zum anderen nach Ausbau des inneren Bohrstranges<br />

nach Erreichen der Endtiefe der Bohrung durch die Stützung der<br />

Bohrlochwandung durch den äußeren Rohrstrang den genauen Einbau<br />

der so genannten Erdwärmesonden sicherstellen. Nur auf diese Weise<br />

wird eine erforderliche, gute Wärmeleitfähigkeit zwischen Boden und<br />

Sonde erzielt, was für den Wirkungsgrad der Anlage entscheidend ist.<br />

Erdölgewinnung: Gründung von Heliostaten für<br />

die weltgrößte Solaranlage<br />

In einem Solarkraftwerk wird über viele hunderte oder tausende reflektierende<br />

Spiegel das Sonnenlicht in einem Brennpunkt eines Turmes<br />

fokussiert, um mit den dabei entstehenden über tausend Grad heißen<br />

Temperaturen Wasser zu verdampfen, wobei die Spiegel der wandernden<br />

Sonne entsprechend nachgeführt werden müssen. Der Wasserdampf<br />

treibt in der Regel eine Turbine zur Erzeugung von Strom an.<br />

Die einzelnen Spiegel müssen auf Fundamente gestellt werden,<br />

die die auf die Spiegel einwirkenden Kräfte durch die Verstellung bzw.<br />

die Windlasten auffangen können. Gängig sind hierbei Schwerlastfundamente<br />

aus Beton bzw. in den Boden eingetriebene Betonpfähle,<br />

auf die dann die Unterkonstruktionen der Spiegel verschraubt werden.<br />

Dies Verfahren ist aufwendig, kostspielig, zeitintensiv und verbunden<br />

mit einem hohen Materialverbrauch. Die konventionelle Arbeitsfolge<br />

sieht wie folgt aus:<br />

° Herstellung eines Betonfundamentes mit entsprechenden<br />

Schalungsarbeiten oder Einschlagen eines Betonpfahles<br />

in den Boden,<br />

° Erstellen von Bohrungen im Fundament zur Befestigung<br />

des Spiegelträgers,<br />

° Aufschrauben des Trägers auf das Fundament,<br />

° Montage von elektrischen Steuerkästen und Aktuatoren<br />

für die Spiegelnachführung und<br />

° Montage der Spiegelhalterung mit den Spiegeln.<br />

Die neue Gründungsmethode sieht vor, dünnwandige Rohre mit Hilfe der<br />

Vibrationstechnik und einem speziellen Klemmwerkzeug in den Boden<br />

einzuvibrieren, wobei das Rohr nur so tief eingebracht wird, dass ein<br />

oberer Teil direkt als Spiegelträger dienen kann. Hierdurch werden alle<br />

vorher beschriebenen Arbeitsschritte bis zur Montage von Steuerkästen<br />

und Aktuatoren auf einen einzigen Arbeitsschritt reduziert.<br />

Die Besonderheit der Zange liegt darin, dass ihre Gestalt<br />

eine zylindrische Form hat, die in das Rohr eingeführt wird und<br />

deren Außendurchmesser in etwa gleich dem Innendurchmesser<br />

des Rohres ist. Klemmkolben packen das Rohr im unteren Bereich<br />

/ Bild 5 /. Über eine den Rohrlängen angepasste Verlängerung ist<br />

die Zange mit der Vibrationseinheit verbunden. Durch diese Gestaltung<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 3a / Tripod mit Köchern als<br />

Unterwasser-Basisstruktur einer<br />

Offshore-Windenergieanlage<br />

Bild 3b / Einvibrieren von Rohren als<br />

„Nägel“ zur Verankerung eines Tripods<br />

auf dem Meeresboden<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke / 35


36 / Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke<br />

Trägerplatte<br />

hinteres Drehwerk<br />

vorderes Drehwerk mit Hohlwelle<br />

hydraulischer Steuerblock<br />

Bild 4 / Kompakte Doppelkopf-Bohranlage für geothermische Bohrungen Bild 5 / Prinzip der Rohrklemmung<br />

wird das Rohr „ziehend“ einvibriert, wobei die zylindrische Spannzange<br />

das Rohr gegen Knicken stützt, sodass auch ein Einsatz in schwereren<br />

Böden mit kleineren Hindernissen problemlos zu bewältigen ist und die<br />

notwendige Wandstärke des Rohres minimiert werden kann. Da der<br />

obere Bereich des Rohres nicht geklemmt wird und damit auch nicht<br />

beschädigt oder verformt werden kann, können Montagebohrungen für<br />

die Aktuatoren und deren Steuerung in wirtschaftlicher Weise bereits<br />

vor Einbringen der Rohre an diesen angebracht werden. Hierdurch<br />

wird zusätzlich eine Beschädigung der als Rostschutz vorgesehenen<br />

Zinkschicht der Rohre vermieden.<br />

/ Bild 6 / zeigt die Arbeitsabfolge der Technik bei einem Solarkraftwerk,<br />

das in diesem Falle nicht zur Stromerzeugung genutzt wird, sondern<br />

dazu dient, aus einer mit konventionellen Mitteln erschöpften Erdöllagerstätte<br />

in Kalifornien weitere beträchtliche Mengen des Rohöls<br />

zu gewinnen. Hierzu wird der unter hohem Druck stehende, erzeugte<br />

Heissdampf nicht zum Antrieb einer Turbine genutzt, sondern in die<br />

Tiefe einer Erdöllagerstätte eingeleitet. Durch die Hitze verringert sich<br />

die Viskosität des Öles und in Verbindung mit dem hohen Druck lässt<br />

sich das entstehende Öl-Dampf-Gemisch an die Erdoberfläche fördern.<br />

In einem Abscheider wird das Gemisch abgekühlt und das Öl zur<br />

weiteren Verarbeitung abgetrennt, während das abgeschiedene Wasser<br />

dem Arbeitskreislauf wieder zugeführt wird. Mit dieser Methode<br />

lässt sich bis zu 100 % mehr Öl aus vorhandenen Erdöllagerstätten<br />

Lösen:<br />

Klemmkolben eingefahren<br />

Spannen:<br />

Klemmkolben ausgefahren<br />

gewinnen, anstatt aufwendig und riskant neue Lagerstätten zu erschließen.<br />

Die installierte thermische Leistung der Anlage beträgt<br />

29 MW. Hierzu wurden insgesamt 3.822 Heliostaten mit 7.644<br />

Spiegeln installiert, die das Sonnenlicht auf einen ca. 100 m hohen<br />

Receiver-Turm reflektieren / siehe Titelbild Bericht /.<br />

Fazit<br />

Die beschriebenen Beispiele zeigen, dass sich durch Weiterentwicklungen<br />

und innovative Ideen neue Anwendungen im Bereich der<br />

regenerativen Energien für die Geräte von ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik<br />

erschließen lassen. Neben den beiden kurz angerissenen<br />

Beispielen im Bereich der Offshore-Windenergieanlagen und der Geothermie<br />

zeigt das dritte Beispiel eindrucksvoll, dass sich die Arbeitsprozesse<br />

mit einer einfachen Neuentwicklung in Kombination mit neuen<br />

Verfahren bei der Installation von Anlagen zur Erzeugung regenerativer<br />

Energien verkürzen lassen und Material eingespart werden kann.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


a / b / c /<br />

Bild 6<br />

a / Trägergerät mit Vibrator, Verlängerungsstück<br />

und Rohrspannzange<br />

b / Aufstellen des Rohres<br />

c / Einfädeln<br />

d / Spannen, Ausrichten und Einvibrieren<br />

e / Montage der Aktuatoren und der Steuerkästen<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

d / e /<br />

Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke / 37


38 /<br />

iwalk ® im Bahnhof Atocha, Madrid/Spanien<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

iwalk ®<br />

Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie<br />

Dipl.-inG. MiGuEl GonZÁlEZ alEManY Chief Research Officer<br />

ThyssenKrupp Elevator (Es/pBB) GmbH Gijon-Asturias/Spanien<br />

Der iwalk ® ist der neue Fahrsteig von ThyssenKrupp Elevator. Größter<br />

Vorteil dieses neuartigen Anlagetyps: Der Platzbedarf wurde im<br />

Vergleich zu herkömmlichen Modellen gleich in mehreren Dimensionen<br />

verringert. Das neue Design reduziert die Einbautiefe um mehr als<br />

50 % – so kann die Horizontalvariante des iwalk ® direkt auf dem<br />

vorhandenen Boden installiert werden. Das senkt den Konstruktionsaufwand<br />

für die Installation und die Kosten. Gleichzeitig sorgt ein<br />

modulares Konzept für eine größere Flexibilität und bietet enorme<br />

Vorteile bei der Produktion, Logistik und Installation. Diese Innovation<br />

stellt eine neue Konzeption der Fahrsteigtechnologie dar, die neben<br />

allen Produktvorteilen zu einer bedeutenden Steigerung des Kundennutzens<br />

führt.<br />

/ 39


40 / iwalk ® – Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie Ein neuer Meilenstein in der Fahrsteigindustrie<br />

Bild 1 / Geneigte Variante des iwalk ® im Bahnhof Atocha, Madrid/Spanien<br />

Fahrsteige<br />

Fahrsteige sind schon lange ein bewährtes Produkt, deren Entwicklung<br />

bereits über 100 Jahre zurückliegt. Heute decken verschiedene Anbieter<br />

den weltweiten Bedarf – alle mit einer ähnlichen Produktarchitektur.<br />

Die Bauweise von Fahrsteigen basiert auf dem Prinzip der Fahrtreppe,<br />

mit der sie mehrere Komponenten gemeinsam hat. Die gestiegenen<br />

Kundenanforderungen erfordern neue Technologien – auch bei<br />

schwierigen Einbauvoraussetzungen.<br />

Mit dem iwalk ® / siehe Titelbild Bericht sowie Bilder 1 und 2 / hat<br />

ThyssenKrupp Elevator ein neues Produkt mit einer bahnbrechenden<br />

Technologie entwickelt, das durch seine Flexibilität noch stärker die<br />

Anforderungen der Kunden berücksichtigt.<br />

Kundennutzen<br />

Auf fast jedem Flughafen der Welt sind Fahrsteige installiert. Sie<br />

regulieren die Passagierströme innerhalb der Terminals und machen<br />

den Weg zu den Anschlussflügen einfacher und bequemer. Doch nicht<br />

immer sind die Personenbeförderungsanlagen optimal positioniert.<br />

So gibt es lange Verbindungskorridore ohne Fahrsteige. Das liegt an<br />

den teilweise hohen baulichen Voraussetzungen, die herkömmliche<br />

Lösungen verlangen.<br />

Die verringerten Abmessungen des iwalk ® bieten den Kunden<br />

mehr Flexibilität: Die Einbautiefe verringert sich von 1.000 Millimeter<br />

auf weniger als 400 Millimeter. Durch diesen Fortschritt ist es sogar<br />

möglich, den iwalk ® direkt auf dem vorhandenen Fußboden zu<br />

installieren – ohne jegliche Vertiefungsarbeiten / Bild 3 /.<br />

So wie Menschen ihre Gewohnheiten neuen Technologien und<br />

Trends anpassen, geschieht das auch auf Flughäfen. Shopping-<br />

Bereiche werden erweitert oder verlegt; Passagierströme verändern<br />

sich ebenfalls. Herkömmliche Fahrsteige bieten keine ausreichende<br />

Flexibilität, um auf diese Veränderungen zu reagieren. Der iwalk ®<br />

ist modular; Länge und Standort können einfach verändert werden.<br />

Die Verlagerung von Fahrsteigen ist für Flughafenbetreiber dadurch<br />

wesentlich einfacher geworden.<br />

Verringerte Abmessungen und modulare Bauweise erleichtern<br />

auch den Einsatz in U-Bahn-Stationen. Das Ausheben von Gruben in<br />

Verbindungstunneln ist kostspielig, falls überhaupt baulich möglich.<br />

Zudem ist der Zugang zu diesen Tunneln meistens schwierig. Aus<br />

diesem Grund ist der iwalk ® die perfekte Lösung für die Installation<br />

in den langen Verbindungstunneln vieler Metro- bzw. U-Bahnstationen<br />

in der ganzen Welt.<br />

Wo Fahrsteige sind, werden meistens auch Einkaufswagen bewegt.<br />

Die verschiedenen Etagen vieler Einkaufszentren sind daher nicht<br />

mit Fahrtreppen, sondern durch geneigte Fahrsteige mit den Parkzonen<br />

verbunden. Der iwalk ® ist darauf ausgelegt, den Benutzern<br />

ein sicheres und bequemes Vorankommen zu ermöglichen – auch<br />

bei der Nutzung mit einem Einkaufswagen. Die geringere Höhe der<br />

Kammsegmente (nur sieben im Vergleich zu 45 Millimetern bei konventionellen<br />

Lösungen) erlaubt ein sicheres Betreten und Verlassen;<br />

und die Palettenbreite von 1.100 Millimetern bietet mehr Platz für<br />

breitere Einkaufswagen, ohne die äußeren Abmessungen des Fahrsteiges<br />

zu erhöhen / Bilder 4 und 5 /.<br />

Die Ästhetik spielt ebenfalls eine große Rolle. Fahrsteige fügen sich<br />

nahtlos in die Architektur von Flughäfen und Einkaufszentren ein. Der<br />

iwalk ® weist wichtige Merkmale auf, die von Kunden und Benutzern<br />

als sehr angenehm empfunden werden: Die Verwendung von Glas<br />

vermittelt Leichtigkeit. Abgerundete Formen, LED-Leuchten, die neue<br />

Handlaufführung und die Tatsache, dass keine Schrauben zu sehen<br />

sind, liegen im architektonischen Trend. In der Tat hat die Ästhetik die<br />

gesamte Entwicklung begleitet, bereits mit dem Entwurf wurde das<br />

elegante Aussehen festgelegt.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 2 / Horizontalvariante im Bahnhof Atocha, Madrid/Spanien<br />

Das neue Produkt ist umweltfreundlich und besteht aus rund 30 %<br />

weniger Material im Vergleich zu herkömmlichen Lösungen. Das<br />

Transportvolumen ist ebenfalls geringer: Ein 45-Meter-Fahrsteig erfordert<br />

nur einen Container – im Vergleich zu vier Containern bei bisherigen<br />

Anlagen. Durch das spezielle kettenlose Design benötigt<br />

der iwalk ® erheblich weniger Schmiermittel. Der Energieverbrauch<br />

ist aufgrund des geringeren Gewichtes der bewegten Masse, des<br />

höheren Antriebswirkungsgrades, der effizienteren LED-Leuchten und<br />

durch den Energy Efficiency Controller ebenfalls erheblich geringer.<br />

Eine Lebenszyklusanalyse (anhand des Eco-Indicators EI 99 HA) zeigt,<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Konventioneller Fahrsteig iwalk ®<br />

Ausschachtung<br />

Reduzierte Einbautiefe<br />

Bild 3 / Die Horizontalvariante des iwalk ® kann auch direkt auf dem vorhandenen Boden installiert werden.<br />

iwalk ® – Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie / 41<br />

dass die Umweltauswirkungen des iwalk ® bis zu 52 % geringer sind<br />

als bei konventionellen Fahrsteigen. ThyssenKrupp Elevator führt im<br />

Rahmen des Nachhaltigkeitsprogramms “sustainable efficiency” diese<br />

Analysen für alle neuen Produkte durch. Ziel ist die Verbesserung der<br />

Energieeffizienz aller Produkte während des gesamten Lebenszyklus.<br />

Innovation<br />

Bei der Konstruktion des iwalk ® haben die Ingenieure bewusst bei<br />

Null angefangen, anstatt die bestehende Technologie stufenweise zu<br />

verbessern. Grundlage war die feste Überzeugung, dass auch die<br />

Keine Ausschachtung


42 / iwalk ® – Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie<br />

Erfinder der konventionellen Fahrsteige anders entschieden hätten,<br />

hätten sie über die modernen Technologien verfügt und das veränderte<br />

Benutzerverhalten sowie die Kundenanforderungen berücksichtigt.<br />

Das Ergebnis dieser Entwicklung ist eine vollkommen neue<br />

Produktarchitektur, die einen Meilenstein darstellt.<br />

Zu den Schlüsselkomponenten gehört die Aluminiumpalette,<br />

das Element, auf dem die Personen stehen. Beim iwalk ® wird über<br />

sie auch die Energie auf das gesamte Palettenband übertragen.<br />

Die Paletten sind durch ein neues schmierfreies Gelenk mit großem<br />

Durchmesser miteinander verbunden. Das senkt den Druck auf die<br />

Gelenkbolzen und erhöht die Lebensdauer. So entfallen die sonst<br />

üblichen Palettenketten. Die Palettenunterseite ist besonders gestaltet,<br />

um mit den speziellen Polyurethan-Rollen ineinanderzugreifen, die die<br />

Kraftübertragung auf das Palettenband übernehmen / Bilder 6 und 7 /.<br />

Vibrationen erreichen nur noch einen Minimalwert von 8 mg und<br />

erhöhen den Fahrkomfort deutlich.<br />

Durch die Palettenlänge von 127 Millimetern – in Kombination mit<br />

speziellen Umkehrstellen – ist es erst möglich geworden, die geringe<br />

Einbautiefe von 350 Millimetern zu erreichen.<br />

Die zentralen Module sind aus speziellen Walzprofilen aus verzinktem<br />

Stahl gebildet, denen durch Laserschweißen eine röhrenartige<br />

Form gegeben wird. Diese Profile kombinieren die strukturelle<br />

Funktion des Fahrsteiges mit der Führung für das Palettenband.<br />

Die Balustradenträger sind ebenfalls an diesen Profilen angebracht,<br />

wodurch der gesamte Montageprozess ohne Nachjustierungen möglich<br />

ist. Die Modularität ist somit garantiert / Bild 8 /.<br />

Die verringerte Höhe der Kammsegmente wurde durch die reduzierte<br />

Palettenlänge und die neue Bauweise der feststehenden Platten<br />

in der Umkehrstation ermöglicht. Bisher war es so, dass Fahrsteige<br />

eine Spannvorrichtung an einem Ende benötigen, die in der Lage<br />

ist, die verschiedenen Palettenbandlängen auszugleichen. Diese entstehen<br />

einerseits durch Verschleiß und Abnutzung an den Gelenken<br />

und andererseits durch die unterschiedlichen Wärmeausdehnungen<br />

der Stahlkonstruktion und des Aluminium-Palettenbandes. Aus diesen<br />

Gründen verfügen konventionelle Fahrsteige über feste Kammplatten<br />

über dem Palettenband – mit einer üblichen Kammhöhe von mehr<br />

als 40 Millimetern. Die iwalk ® -Lösung besteht darin, die Kämme an<br />

dem Palettenband-Spannmechanismus anzubringen und dadurch<br />

eine konstante Position im Verhältnis zur Palettenführung an der<br />

Umkehrstelle zu ermöglichen. Die Kammplatte besteht bei dieser<br />

Innovation aus mehreren Lamellen, die sich unter die Abdeckplatte<br />

schieben, wenn sich das Palettenband streckt. Diese Lösung erlaubt<br />

eine Kammhöhe von sieben Millimetern, wodurch das Verlassen des<br />

Fahrsteiges sicherer wird.<br />

Insgesamt wird die iwalk ® -Technologie durch mehr als 15 neue<br />

Patentfamilien geschützt.<br />

Neuer Fertigungsprozess<br />

Der erste Schritt bei den meisten Fertigungsprozessen für herkömmliche<br />

Fahrsteige ist die Stahlkonstruktion. Diese Konstruktion kann erst<br />

gefertigt werden, wenn das Layout mit den endgültigen Einbaumaßen<br />

bestätigt worden ist. Ist der Träger gebaut, sind Veränderungen nahezu<br />

unmöglich. Die gesamte Montage ist ein maßgeschneiderter Prozess.<br />

Präzision und Erfahrung der Fachkräfte haben einen großen Einfluss<br />

auf die Qualität.<br />

Das modulare Konzept des iwalk ® basiert auf einem völlig neuen<br />

Prozess, der eine erheblich kürzere Fertigungszeit erlaubt. Die Module<br />

werden nahezu automatisch zusammengebaut. Justierungen sind nicht<br />

mehr erforderlich. Dabei wird die Qualität durch den Fertigungsprozess<br />

und die Präzision der Teile garantiert. Die Bedingungen vor Ort sind<br />

nicht mehr entscheidend.<br />

Aufgrund der Präzision der Module, die durch diesen neuen<br />

Herstellungsprozess erreicht wird, erhöht sich die Montagequalität auf<br />

der Baustelle und auch der Wartungsaufwand wird minimiert.<br />

Größere Palettenbereite<br />

1.100 mm<br />

Bild 4 / Reduzierte Höhe der Kammsegmente steigert Sicherheit und Komfort. Bild 5 / Geringe äußere Abmessungen bei größerer Palettenbreite<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Kunden-Feedback<br />

Die Markteinführung neuer Produkte – insbesondere im Metro- und<br />

Flughafenbereich – stellt immer eine Herausforderung dar. Vielfach<br />

wird ein Nachweis verlangt, dass sich das Produkt schon mehrere<br />

Jahre in der Praxis bewährt hat. Dennoch ist der iwalk ® wegen seiner<br />

Einzigartigkeit bereits bei mehreren Kunden die erste Wahl.<br />

Die Metro von São Paulo/Brasilien ist ein sehr anspruchsvolles<br />

Einsatzgebiet mit hohen Verkehrsströmen. Die schachtlose Konfiguration<br />

des iwalk ® (das heißt die direkte Montage auf dem vorhandenen<br />

Boden ohne Vertiefungsarbeiten) war wegen der bereits<br />

im Tunnel vorhandenen Installationen die effizienteste Lösung. Die<br />

Alternative auf Basis der herkömmlichen Technologie wäre sehr kostspielig<br />

geworden – wenn überhaupt machbar. Diese Konfiguration<br />

war auch die bevorzugte Wahl für die Metro von Madrid/Spanien und<br />

für den Flughafen von Málaga/Spanien. Das attraktive Design und<br />

die 1.100 Millimeter breite Palette waren die Elemente, die den<br />

Architekten des neuen Bahnhofs für Hochgeschwindigkeitszüge in<br />

Puerta de Atocha/Spanien überzeugten. Das Kundeninteresse an<br />

dieser neuen Technologie wächst, das unterstreichen die steigenden<br />

Produktionszahlen des iwalk ® .<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

iwalk ® – Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie / 43<br />

Bild 7 / Wartungsarmer Antrieb<br />

Bild 6 / Gut für die Umwelt: schmierfreies Palettenband Bild 8 / Einfache Installation durch Modularität<br />

und Gewichtsreduktion<br />

Fazit<br />

Der iwalk ® ist innovative Technologie und ein Meilenstein in der<br />

Fahrsteigindustrie. Durch die niedrigen Installationsanforderungen und<br />

das modulare Konzept erhält der Kunde deutlich mehr Flexibilität.<br />

Sicherheit und Komfort werden durch die reduzierte Kammhöhe und<br />

die größere Palettenbreite verbessert. Das attraktive neue Design<br />

bedient dabei die aktuellen architektonischen Trends. Die erhöhte<br />

Umweltverträglichkeit steht ganz im Einklang mit dem Nachhaltigkeitsprogramm<br />

“sustainable efficiency“ von ThyssenKrupp Elevator.<br />

Der iwalk ® wurde mit dem ersten Preis des ThyssenKrupp Innovationswettbewerbes<br />

2011 ausgezeichnet.


44 /<br />

Kokerei Schwelgern in Duisburg<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Mini-PROven<br />

Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren<br />

Koksöfen mit einer Einzelkammerdruckregelung<br />

Dr. rEr. naT. friEDricH HuHn Head of Process Engineering, Coke Plant Technologies Division ThyssenKrupp uhde GmbH Dortmund<br />

Dipl.-inG. franK KrEBBEr Senior Process Engineer, Coke Plant Technologies Division ThyssenKrupp uhde GmbH Dortmund<br />

Dr.-inG. Joanna KüHn-GaJDZiK Senior Process Engineer, Coke Plant Technologies Division ThyssenKrupp uhde GmbH Dortmund<br />

KErsTin üBErscHär Senior Design Engineer, Coke Plant Technologies Division ThyssenKrupp uhde GmbH Dortmund<br />

Ein möglichst emissionsarmer Kokereibetrieb<br />

ist aus Umwelt- und Arbeitsschutzgründen<br />

immer wichtiger geworden. Veränderliche<br />

Druckverhältnisse in jedem Einzelofen mit<br />

besonders hohen Werten zu Beginn der<br />

Ausgarungszeit haben in der Vergangenheit<br />

zu erheblichen Emissionen an den Ofenverschlüssen<br />

geführt. Zur Vermeidung hat<br />

ThyssenKrupp Uhde für moderne Großraum-<br />

öfen das Einzelkammerdruckregelungs-<br />

system PROven™ (Pressure Regulated Oven)<br />

entwickelt, das eine Regelung des Druckes<br />

in den individuellen Verkokungskammern<br />

auf einem konstant niedrigen Niveau erlaubt.<br />

Dieses inzwischen langjährig bewährte<br />

System wurde konstruktiv und verfahrenstechnisch<br />

so erweitert, dass es zukünftig als<br />

Mini-PROven auch an älteren kleinen und<br />

mittelgroßen Koksofenbatterien zur Verbesserung<br />

des Umweltschutzes nachgerüstet<br />

werden kann.<br />

Verkokung<br />

Koks ist ein unverzichtbarer Einsatzstoff für die Roheisen-<br />

erzeugung im Hochofen. Aus diesem Grund ist die Kokerei<br />

eine typische Teilanlage eines integrierten Hüttenwerkes.<br />

Herzstück einer Kokerei ist die Koksofenanlage, in der<br />

die Einsatzkohle in luftdicht abgeschlossenen Industrieöfen<br />

bei Temperaturen von ca. 1.100-1.300 °C entgast und zu<br />

Koks veredelt wird, der dann nach einer Garungszeit von<br />

ca. 18-25 h ausgedrückt werden kann. Die Koksofenanlage<br />

besteht aus einer Vielzahl von Beheizungskammern,<br />

bis zu 80 Öfen aus feuerfesten Steinen gemauert, die zu<br />

/ 45<br />

einer so genannten Batterie zusammengefasst werden.<br />

Jeder Ofen kann bis zu 8,5 m hoch, 20 m lang sowie 0,6 m<br />

breit sein und hat ein Fassungsvermögen von bis zu 70 t<br />

Kohle. Das während der Verkokung entstehende Rohgas<br />

wird über eine Absaugvorrichtung (Steigrohr, Krümmer<br />

und Vorlage) geleitet, wo es durch Einsprühen von<br />

Ammoniakwasser gekühlt wird und die teerigen Bestandteile<br />

auskondensieren. Danach wird das abgekühlte Rohgas<br />

in die Gasbehandlungsanlage weitergeleitet. Da der<br />

Verkokungsprozess drucklos ist, kann die Abdichtung der<br />

Kammern an den Ofenverschlüssen, z.B. an den Ofen-<br />

türen, durch Metall-auf-Metall-Dichtungen realisiert werden.<br />

Aufgrund der Randbedingungen des Kokereibetriebes<br />

(u.a. hohe Temperaturen, teerige Kondensate, diskontinu-<br />

ierlicher Batch-Betrieb, Anlagenalter) lassen sich aller-<br />

dings während des Verkokungsvorganges gas- und staub-<br />

förmige Emissionen an den Ofenverschlüssen – so<br />

genannte diffuse Emissionen – nicht völlig vermeiden.<br />

Um einen größtmöglichen Umwelt- und Arbeitsschutz<br />

zu gewährleisten, hat ThyssenKrupp Uhde als technologie-<br />

orientierter Anlagenbauer dieses Thema verstärkt aufgegriffen<br />

und entsprechende konstruktive und verfahrenstechnische<br />

Entwicklungen vorangetrieben.<br />

Hintergrund<br />

Das von ThyssenKrupp Uhde entwickelte System zur<br />

Emissionsreduzierung, das Einzelkammerdruckregelsystem<br />

PROven™ (Pressure Regulated Oven), hat dabei<br />

völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Im Gegensatz zur kon-<br />

ventionellen Kokereitechnik gestattet es aufgrund einer<br />

individuellen Regelung des Druckes in den Ofenkammern<br />

einen erheblich emissionsärmeren Betrieb von Koks-<br />

ofenbatterien.<br />

Bereits frühzeitig hatte sich ThyssenKrupp Uhde die<br />

Entwicklungsgrundlage gesichert und daraus ein betriebs-<br />

taugliches System entwickelt. Seit dem erstmaligen<br />

industriellen Einsatz in 2003 an den beiden Batterien der<br />

modernen Großkokerei Schwelgern mit 140 Öfen trägt<br />

das PROven™-System wesentlich zur umwelttechnischen<br />

Verbesserung zahlreicher Kokereianlagen bei / siehe Titel-<br />

bild Bericht /.


46 / Mini-PROven – Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren Koksöfen mit einer Einzelkammerdruckregelung<br />

Steigrohr<br />

NH3-Wasser<br />

Druckregler<br />

Pneumatik-<br />

Zylinder<br />

Bild 1 / Schematische Darstellung der Einzelkammerdruckregelung mit Mini-PROven<br />

Regelventil<br />

Schnellfüllleitung<br />

Regelstange<br />

FixCup-Gehäuse<br />

Überlaufregelorgan<br />

Verschlussstopfen<br />

eines Überlaufregelorganes individuell entsprechend dem<br />

Verkokungsfortschritt geregelt, dies bedeutet:<br />

° geringer Druck am Garungsanfang zur Emissionsminderung,<br />

° mit der Garungszeit stufenweise ansteigender Gegen-<br />

Inzwischen ist PROven™ weltweit erfolgreich an mehr<br />

als 2.000 Koksöfen mit einer Koksproduktion von fast<br />

30 Mio t/a installiert:<br />

°<br />

druck, sodass der Druck in der Kokskammer – trotz<br />

stark unterschiedlicher Gasentwicklung während der<br />

Garungszeit – stets leicht positiv ist und ein Eindringen<br />

von Luft in den Ofen verhindert wird.<br />

Im / Bild 2 / sind der resultierende Druckverlauf im<br />

Steigrohr-/Vorlagenbereich und die Auswirkung an dem hinsichtlich<br />

Emissionen besonders kritischen Ofentürbereich<br />

dargestellt.<br />

12 Koksofenbatterien in China,<br />

° 9 Koksofenbatterien in Süd-Korea,<br />

° 6 Koksofenbatterien in Brasilien,<br />

° 1 Koksofenbatterie in USA,<br />

° 3 Koksofenbatterien in Deutschland sowie<br />

° 1 Koksofenbatterie in Kanada.<br />

Das PROven™-System kam aber nicht nur bei vielen Neuanlagen<br />

weltweit zur Anwendung. Auch an etlichen bereits<br />

im Betrieb befindlichen Kokereien wurde es nachgerüstet.<br />

PROven™ hat nicht nur in Deutschland den behördlich<br />

anerkannten Umweltstandard für Neuanlagen gesetzt –<br />

inzwischen ist auch in den USA und Kanada seitens der<br />

dortigen Aufsichtsbehörde EPA (Environmental Protection<br />

Agency) ein Kammerdruckregelungssystem für neue Koksofenanlagen<br />

vorgeschrieben.<br />

Funktionsprinzip des PROven™-Systems<br />

2<br />

Die wesentlichen Funktionselemente von PROven™ sind 1<br />

Steigrohr<br />

im / Bild 1 / schematisch dargestellt. Zentraler Bestandteil<br />

des Systems ist eine Wassertasse (’FixCup’), mit der die<br />

druckmäßige Trennung zwischen der eigentlichen Ofen-<br />

0<br />

Ofentür<br />

20 % 40 % 60 % 80 % 100 %<br />

kammer und der Gassammelvorlage erfolgt. In der FixCup<br />

Garungszeit<br />

wird ein über den Wasserstand regelbarer Strömungs-<br />

Gasvorlage<br />

widerstand für das bei der Verkokung entstehende<br />

Rohgas aufgebaut. Über die Höhe des Wasserstandes in<br />

-3<br />

der FixCup wird der Druck in der Ofenkammer mit Hilfe Bild 2 / Druckregelverhalten des PROven™-Systems<br />

Druck [mbar]<br />

Vorlage<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Im Gegensatz zu konventionell betriebenen Koksöfen,<br />

bei denen der Druck in der Gassammelvorlage aufgrund<br />

der fehlenden Entkopplung zur Kammer im positiven<br />

Bereich (bei ca. +1 mbar) liegen muss, lässt PROven™<br />

vorteilhafterweise den Betrieb auch unter Saugung<br />

(ca. - 3 mbar) zu. Dies ermöglicht eine erheblich effektivere<br />

Absaugung der Gase beim Füllen des Ofens als mit<br />

bisher üblichen konventionellen Systemen.<br />

Mini-PROven – Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren Koksöfen mit einer Einzelkammerdruckregelung / 47<br />

Entwicklung von MINI-PROven<br />

Das „Normal“-PROven™-System ist konstruktiv für die<br />

Dimensionen im Vorlagenbereich von Großraumöfen, d.h.<br />

mit Kammerhöhen über 6 m, entwickelt worden. / Bild 3 /<br />

zeigt die baulichen Gegebenheiten exemplarisch für das<br />

PROven™-Equipment an einer Großraumofenbatterie.<br />

Bereits bei diesen großen Öfen mit einer Ofenhöhe<br />

von 7,6 m zeigen sich aber schon die relativ knappen<br />

Platzverhältnisse.<br />

Bild 3 / Platzverhältnisse im Steigrohr-/Vorlagenbereich beim „Normal“-PROven™-Equipment an einer Großraumbatterie


48 / Mini-PROven – Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren Koksöfen mit einer Einzelkammerdruckregelung<br />

Für einen Einbau an kleineren Koksofenbatterien mit<br />

Ofenhöhen von 4-6 m sind die Verhältnisse noch wesentlich<br />

beengter. Die standardisierten PROven™-Konstruktionselemente<br />

– insbesondere das Regelorgan – sind deutlich<br />

überdimensioniert, sodass eine Nachrüstung mit<br />

PROven™ hierfür bisher nicht angeboten werden konnte.<br />

Derartige meist ältere Batterien sind aber auf dem<br />

Weltmarkt zahlreich vertreten, insbesondere in den GUS-<br />

Staaten, Polen, China, Taiwan, Indien und Nord-Amerika.<br />

Um auch diesen Marktanteil für eine Umrüstung mit<br />

einem so genannten Mini-PROven erschließen zu können,<br />

wurden die dafür erforderlichen Anpassungen im Rahmen<br />

eines Projektes ausgearbeitet. Folgende konstruktiv und<br />

verfahrenstechnisch herausfordernden Aufgaben wurden<br />

dabei gelöst, ohne dass die bewährten grundsätzlichen<br />

Funktions- und Regelungsmerkmale von PROven™ aufgegeben<br />

werden mussten:<br />

° generelle dimensionsmäßige Verkleinerung der<br />

Konstruktionselemente,<br />

° Anpassung angrenzender Ausrüstungsteile und War-<br />

tungsöffnungen zur Schaffung größtmöglicher Zugänglichkeit<br />

für Servicearbeiten durch das Betriebspersonal –<br />

trotz der beengten Verhältnisse,<br />

° völlige Überarbeitung des wichtigen, von ThyssenKrupp<br />

Uhde entwickelten Regelorganes / Bild 4 /, dergestalt,<br />

dass einerseits trotz der kleineren Baugröße ein<br />

genügend großer Gasdurchtritt möglich ist, ohne dass<br />

es andererseits zu Teerablagerungen kommen kann,<br />

° Anpassung der Regelcharakteristik an die verminderte<br />

Rohgasmenge durch entsprechend neu gestaltete Einbauten<br />

für eine angepasste Regelcharakteristik.<br />

Bild 5 / Mini-PROven-Teststand<br />

Bild 4 / Überlaufregelorgan für Mini-PROven<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 6 / Mini-PROven-Neuinstallation an der alten Koksofenbatterie 9 bei Essar Algoma in Kanada<br />

Im Zuge der Entwicklung wurde die Funktion des neukonzipierten<br />

Systems an einem Teststand / Bild 5 / erprobt,<br />

wobei insbesondere<br />

° das Regelverhalten mit dem neuen Überlaufregelventil,<br />

° das für einen störungsfreien Betrieb wichtige Benetzungs-<br />

verhalten aller Komponenten sowie<br />

° die mechanische Anpassung an Bewegungen im System<br />

untersucht wurden.<br />

Im Jahre 2011 erfolgte im Rahmen der Umrüstung der 5 m<br />

großen Batterie Nr. 9 bei der Anlage Essar Algoma in<br />

Kanada die erste erfolgreiche großtechnische Umsetzung<br />

des neuen Mini-PROven-Konzeptes / Bild 6 /. Das System<br />

hat auch dort zu einer deutlichen Reduktion der diffusen<br />

Emissionen geführt.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Mini-PROven – Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren Koksöfen mit einer Einzelkammerdruckregelung / 49<br />

Fazit<br />

Mit dem neu entwickelten Mini-PROven-System können<br />

jetzt auch ältere kleinere und mittelgroße Öfen mit einem<br />

Kammerdruckregelungssystem zur Verbesserung der<br />

Emissionssituation im Zusammenhang mit der Einhaltung<br />

entsprechender Grenzwerte nachgerüstet werden. Damit<br />

ist der Einsatz des PROven™-Prinzips für die komplette<br />

Bandbreite von kleinen Öfen bis hin zu Großraumöfen<br />

sichergestellt. Weitere Kunden und Märkte sind somit<br />

zukünftig erschließbar.


50 /<br />

Moderne, getriebelose Antriebssysteme<br />

für durchsatzstarke Bandförderer<br />

GünTHEr KErKHoff BsEE General Manager Electrical ThyssenKrupp robins inc. Denver/USA<br />

Dipl.-inG. pETEr sEHl General Manager Sales & Service ThyssenKrupp robins inc. Denver/USA<br />

VlaDiMir sVirsKY MsME Chief Mechanical Engineer ThyssenKrupp robins inc. Denver/USA<br />

Getriebeloses Antriebssystem, 2 x 3.800 kW, 63 U/min, 631 kNm<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer / 51<br />

In vielen Bergbaugebieten sinkt die Erzqualität. Neue Minen entstehen in immer abgelegeneren Gebieten.<br />

Die Gruben werden tiefer und harte Erze werden zunehmend unter Tage abgebaut. Das bringt neue Heraus-<br />

forderungen mit sich: Es muss immer mehr Material über größere Entfernungen transportiert werden. Mit<br />

den wachsenden Fördergut-Volumina steigen gleichzeitig die hohen Anforderungen an die Verfügbarkeit der<br />

Förderanlagen. Vor diesem Hintergrund müssen die Anlagen mit modernen Antriebssystemen ausgestattet<br />

sein, die eine hohe Zuverlässigkeit garantieren.


52 / Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer<br />

Partnerschaft mit Siemens bei großen Fördersystemen<br />

Seit vielen Jahren arbeiten ThyssenKrupp und Siemens partnerschaftlich<br />

zusammen. Dabei sind einige der imposantesten Förderanlagen<br />

der Bergbaubranche entstanden. Einer der bislang größten Erfolge<br />

ist der Abwärtsförderer der chilenischen Mine Los Pelambres, dessen<br />

Band seit 1999 mit einer weltweit unübertroffen hohen Zugspannung<br />

arbeitet. Der Förderer transportiert Kupfererz über eine Strecke von<br />

12,7 km aus einer Höhe von 3.200 m über NN auf 1.600 m über NN<br />

hinunter. Dabei liefert er sogar noch bis zu 17 MW nutzbare elektrische<br />

Leistung an das Netz.<br />

Technische Grenzen herkömmlicher Antriebssysteme<br />

Die herkömmlicherweise in Antrieben von Förderern verwendeten<br />

Untersetzungsgetriebe stoßen an ihre physikalischen Grenzen, wenn die<br />

Einsatzfälle zu anspruchsvoll werden, also etwa bei Anlagen mit steilem<br />

Förderwinkel oder hoher Förderleistung. So benötigt beispielsweise<br />

ein modernes Fördersystem mit einer geforderten Gesamt-Antriebs-<br />

leistung von ≥ 20.000 kW mindestens acht herkömmliche Antriebe,<br />

jeweils mit Getriebe und 2.500-kW-Motor. Ein wesentlicher Nachteil<br />

der herkömmlichen Lösung besteht in der niedrigen Verfügbarkeit des<br />

Gesamtsystems aufgrund der hohen Anzahl mechanischer Komponenten<br />

(beispielsweise über 70 Lager für acht 2.500-kW-Getriebe), die zu<br />

einer niedrigen MTBF (Mean Time Between Failures) führt.<br />

Bild 1 / Werksinspektion eines getriebelosen Antriebsrotors bei Siemens<br />

Eigenschaften und Vorteile getriebeloser Antriebe<br />

Bei Förderern mit hoher Leistung sind getriebelose Antriebe eine attraktive<br />

Alternative. Wegen seines einfachen Aufbaus bietet ein solches<br />

System ein hohes Maß an Verfügbarkeit und Robustheit, zeichnet<br />

sich durch geringere Betriebs- und Wartungskosten aus, läuft leiser<br />

und hat obendrein den Vorteil einer variablen Geschwindigkeit.<br />

Bei getriebelosen Systemen ist ein langsam laufender Synchronmotor<br />

direkt mit der Welle der Bandantriebs-Trommel verbunden.<br />

Wegen der niedrigen Motordrehzahl wird kein Getriebe benötigt: Der<br />

Rotor des Synchronmotors / Bild 1 / ist an die Welle der Bandantriebstrommel<br />

angeflanscht.<br />

Die Technik des getriebelosen Antriebes ist in der Bergbaubranche<br />

nichts Neues. Schon seit vielen Jahren installieren Minenbetreiber hoch-<br />

leistungsfähige getriebelose Antriebe für Fördermaschinen, Bagger,<br />

Schürfbagger, Pumpen und Brecher. Bei Bandförderern sind die<br />

Anforderungen jedoch trotz vergleichbarer Technik anders. Ähnlich wie<br />

Brecher benötigen solche Förderer – insbesondere Aufwärtsförderer –<br />

beim Anlaufen ein sehr hohes Drehmoment. Getriebelose Antriebe<br />

steigern hier die Betriebseffizienz und garantieren zugleich hohe Zuverlässigkeit<br />

bei geringem Wartungsbedarf.<br />

Im Falle des oben genannten 20.000-kW-Beispieles kommt ein<br />

getriebeloser Förderer mit nur drei oder vier langsam laufenden<br />

Motoren aus und benötigt weder zusätzliche Lager noch Kupplungen.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Wegen der geringeren Komponentenzahl ist der Platzbedarf für die<br />

Antriebsstation und das Schalthaus geringer / Bild 2 /. Dies ist besonders<br />

für unter Tage platzierte Stationen vorteilhaft, denn hierfür sind<br />

kostenintensive Ausbaggerungen notwendig.<br />

Beim Abwärtsbetrieb können die Antriebe im Regenerativmodus<br />

arbeiten und so elektrische Energie für andere Einrichtungen der<br />

Mine liefern. Zudem werden die Möglichkeiten getriebeloser Antriebe<br />

durch Fortschritte in der Fördergurt-Technik ergänzt. Es gibt inzwischen<br />

zugfestere Gurte (Material ST-10.000), die den aus einer größeren<br />

Antriebsleistung resultierenden höheren Beanspruchungen gewachsen<br />

sind.<br />

Bergbauunternehmen bemühen sich heute verstärkt darum, den<br />

Energieverbrauch sowie die CO 2-Emissionen zu verringern und die<br />

Systemzuverlässigkeit zu steigern. Getriebelose Antriebe kommen<br />

diesen Wünschen entgegen, weil bei höherem Wirkungsgrad die<br />

Anzahl der mechanischen Komponenten wie Zahnräder, Lager und<br />

Kupplungen deutlich reduziert ist / Bild 3 /. Der Investitionsaufwand für<br />

einen Förderer mit getriebelosen Antrieben ist gleich oder kleiner als<br />

der für einen Förderer mit Getrieben, insbesondere dann, wenn das<br />

durch Ersatzteilhaltung gebundene Kapital Berücksichtigung findet.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer / 53<br />

Bild 2 / Geringer Platzbedarf eines getriebelosen Antriebssystems (der linke Motor befindet sich in Wartungsstellung mit zurückgezogenem Statorgehäuse)<br />

Kupplung<br />

Kupplung<br />

Bremse<br />

Fördergurt<br />

Transformator<br />

Umrichter<br />

Asynchronmotor<br />

Getriebe<br />

Bandantriebs-<br />

Trommel<br />

Bremse<br />

Synchronmotor<br />

Bandantriebs-<br />

Trommel<br />

Bild 3 / Vergleich der Lösungen mit normalem (links) und getriebelosem Antrieb (rechts)<br />

Fördergurt<br />

Transformator<br />

Direktumrichter


54 / Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer<br />

Erstes Vorzeigeprojekt mit getriebelosen Antrieben<br />

in deutschem Kohlebergwerk<br />

Schon 1985 haben O&K (heute Teil von ThyssenKrupp) und Siemens<br />

den allerersten Bandförderer mit getriebelosem Direktantrieb installiert.<br />

Die Synchronmotoren werden dabei über Direktumrichter versorgt.<br />

Die Ingenieure der RAG Deutsche Steinkohle waren damals von<br />

der neuen Umrichtertechnik begeistert und hatten sich dazu entschlossen,<br />

sie in der Kohlezeche Prosper-Haniel (Deutschland) unter<br />

Tage einzusetzen / Bild 4 /. Mehr als ein Vierteljahrhundert später<br />

sind diese Förderbandantriebe immer noch in Betrieb – und das<br />

zu vollster Zufriedenheit des Betreibers. Das Fördersystem hat eine<br />

Verfügbarkeit von mehr als 99 %.<br />

Erfahrungen laut Aussagen der RAG-Manager:<br />

° Es gab keine bedeutenden Unterbrechungen oder Ausfälle,<br />

die mit den Motoren oder Umrichtern zusammenhingen.<br />

° Die Wartungskosten sind deutlich geringer als bei Förderern<br />

mit Getriebeantrieb.<br />

° Verglichen mit Anlagen mit Getrieben und fester Geschwindigkeit<br />

werden jährlich geschätzte 10 % an elektrischer Energie eingespart.<br />

Bild 4 / Zeche Prosper-Haniel, Antriebsstation für Förderband, getriebeloses System, 2 x 3.100 kW<br />

Neues getriebeloses Antriebssystem für Kunden in Peru<br />

In Fortsetzung ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit liefern ThyssenKrupp<br />

Robins und Siemens jetzt einen Langstreckenförderer für die neue<br />

Mine Antapaccay (Peru) von Xstrata Copper. Dieser Förderer besitzt<br />

ein getriebeloses Antriebssystem / Bild 5 /. Das Erz wird von<br />

einem 1.370 mm breiten Förderband mit einer Geschwindigkeit<br />

von 6,2 m/s über eine Strecke von circa 6,5 km von der Mine zur<br />

Aufbereitungsanlage transportiert. Nach seiner Inbetriebnahme im<br />

Jahr 2012 wird das Fördersystem bis zu 5.260 t/h Kupfererz trans-<br />

portieren können. Das Antriebssystem besteht aus zwei langsam<br />

laufenden Synchronmotoren – jeder mit einer Nennabgabeleistung<br />

von 3.800 kW – und den zugehörigen Direktumrichtern, Motorkühl-<br />

systemen, Umrichtertransformatoren und einem kompletten Schalthaus<br />

für die Antriebsstation. Ein Regelsystem verbessert die Lastverteilung<br />

zwischen den beiden Motoren.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 5 / Computersimulation einer Antriebsstation für die Mine Antapaccay (Peru) von Xstrata Copper<br />

Zusammenfassung<br />

Lange Förderbänder mit hohem Durchsatz und/oder großen Hubhöhen<br />

benötigen hohe Leistungen. Sobald mehr als 3 MW pro Antriebstrommel<br />

erforderlich sind, gelten getriebelose Antriebe für den Förderer als die<br />

beste Lösung.<br />

Getriebelose Antriebe bieten viele Vorteile gegenüber Antrieben mit<br />

Getriebe:<br />

° höhere Anlagenverfügbarkeit durch Wegfall von elektrischen<br />

Komponenten, Kupplungen, Lagern und Getrieben, somit<br />

geringes Risiko von Ausfallzeiten,<br />

° bis zu 4 % bessere Energieausnutzung erreichbar,<br />

° längere Förderbänder, weniger Antriebsstationen mit weniger<br />

Platzbedarf, somit weniger Ausbaggerungen bei Anlagen<br />

unter Tage,<br />

° mehr Antriebskraft an der Antriebstrommel,<br />

° weniger Wartung aufgrund robusterer Komponenten und somit<br />

geringeres Risiko von Schäden an mechanischen Komponenten,<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

° reduzierte Lagerhaltung von Ersatzteilen, daher weniger Inventar und<br />

° leiserer Betrieb aufgrund des Wegfalls von Getrieben, die<br />

Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer / 55<br />

geringere Investitionskosten sowie<br />

bei herkömmlichen Antrieben die stärksten Lärmquellen darstellen.<br />

Aus der Bergbaubranche, insbesondere der in Südamerika, kommt<br />

mittlerweile eine verstärkte Nachfrage nach durchsatzstarken Förderern,<br />

mit denen die geänderten Anforderungen an den Transport von Erz und<br />

Abraum bedient werden können.<br />

Getriebelose Antriebslösungen haben das Potenzial, diese<br />

neuen Anforderungen zu erfüllen: effizient und dabei mit niedrigen<br />

Betriebskosten.


56 /<br />

Zweiwalzenmühle zum Mahlen von Zuckerrohr<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Energieeffiziente<br />

Zweiwalzenmühle<br />

YasHwanT saKHarDanDE B.TEcH Sr. Vice President, Design & Engineering ThyssenKrupp industries india pvt ltd. Pimpri, Pune/Indien<br />

arVinD KarMarKar B.E. (MEcH) Head of Research & Development ThyssenKrupp industries india pvt ltd. Pimpri, Pune/Indien<br />

Aufgrund der Nachfrage des Marktes nach energieeffizienten<br />

Systemen hat ThyssenKrupp Industries India eine äußerst<br />

sparsame Zweiwalzenmühle ohne Abfallplatte entwickelt,<br />

um die Nachteile der herkömmlichen Dreiwalzenmühle, wie<br />

Reibungsverluste, Komplexität und Verschleiß, zu umgehen.<br />

Sie spiegelt die Pionierrolle von ThyssenKrupp Industries<br />

India in der indischen Zuckerindustrie wider. Mühlen sind ein<br />

bedeutender Stromverbraucher in der Zuckerindustrie, eine<br />

energieeffiziente Variante war daher dringend notwendig.<br />

Angesichts der großen Marktpräsenz in der Zuckerindustrie<br />

bemüht sich ThyssenKrupp Industries India stets um energieeffizientere<br />

Systeme und Prozesse in allen Bereichen<br />

der Zuckerproduktion.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Entladekran<br />

Zuführtisch Zuckerrohr-<br />

Bild 1 / Schematische Ansicht einer Zuckerfabrik<br />

Hackmesser<br />

Zuführtisch Zuckerrohr-<br />

Kranwagenfahrgestell<br />

Zuckerrohr-Entladung<br />

Hackmesser<br />

Förderband<br />

Zuckerrohr-Vorbereitung<br />

Zerkleinerer Drehsieb<br />

Magnet<br />

Gesiebter Saft<br />

zur Verarbeitung<br />

/ 57<br />

Rückblick<br />

Indien hat den größten Zuckerverbrauch weltweit und ist<br />

der zweitgrößte Zuckerproduzent. Die voraussichtliche<br />

Zuckerrohrproduktion für das Jahr 2012 liegt bei 320 Mio<br />

Tonnen. Im Zuge der industriellen Entwicklung nach der<br />

Erlangung der Unabhängigkeit (1950-51) kamen immer<br />

mehr Zucker produzierende Agrargenossenschaften auf<br />

den Markt – ein Sektor von hoher Priorität. Die Zuckerwerke<br />

begannen moderne Maschinen und Prozesse<br />

nachzufragen, um die Zerkleinerungskapazität, Extraktionseffizienz<br />

und Qualität des Zuckers zu erhöhen.<br />

ThyssenKrupp Industries India (ehemals Buckau Wolf)<br />

spielt seit 1957 eine Pionierrolle in der indischen Zuckerindustrie<br />

und liefert schlüsselfertige Anlagen einschließlich<br />

Konstruktion, Fertigung, Installation und Inbetriebnahme<br />

für Kapazitäten von 800 bis 15.000 Tonnen ausgepresstem<br />

Zuckerrohr pro Tag. ThyssenKrupp Industries<br />

India hat über 132 Werke und Erweiterungsprojekte,<br />

543 Zuckerfabriken / Bild 1 / und 4.100 Zentrifugen in<br />

Indien, Afrika, Lateinamerika und den südost-asiatischen<br />

Nationen installiert.<br />

1. Mühle<br />

2. Mühle<br />

3. Mühle<br />

Mühlen zur Saftextraktion<br />

Bagasse zu Boiler<br />

4. Mühle


58 / Energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />

Bild 2 / Zuckerrohr – Quelle für Energie und Zucker<br />

Fokus der Zuckerindustrie auf Stromexporte<br />

Die Zuckerrohrpflanze ist umweltfreundlich, kohlenstoffneutral<br />

und dient als Nahrungsmittel und Energiequelle<br />

/ Bild 2 /. Seit einer Reform im Stromsektor Ende der<br />

90er Jahre können Zuckerfabriken durch Verwendung<br />

von Bagasse als Biotreibstoff Strom in das Energieversorgungsnetz<br />

einspeisen. Das Kyoto-Protokoll hat diesen<br />

Trend durch Finanzhilfen für die Stromerzeugung durch<br />

erneuerbare Energien noch verstärkt. Heute sind Stromexporte<br />

eine bedeutende Einnahmequelle, und immer mehr<br />

Zuckerwerke werden zu Verbundkraftwerken umgebaut.<br />

Herausforderungen der Zuckerrohrverarbeitung<br />

° Senkung des Energieverbrauches: Strom gespart<br />

bedeutet Strom erzegt<br />

° Senkung des Feuchtegehaltes der Bagasse:<br />

verbesserter Kraftstoffbrennwert im Verbundkraftwerk<br />

° Senkung der anfänglichen Investitionskosten:<br />

alte Fabriken zum Ausbau ermutigt, verbesserte<br />

Kapitalrendite für neue Werke<br />

° Verbesserte Ausnutzung der Mühle: erhöhte<br />

Zuckerproduktion<br />

° Senkung der Wartungskosten: verbesserte<br />

Anlagenverfügbarkeit<br />

Einschränkungen herkömmlicher Dreiwalzenmühlen<br />

Die Basiskonstruktion der Dreiwalzenmühle / Bilder 3 und<br />

4 /, die in den frühen 90er Jahren entwickelt wurde,<br />

bestand aus zwei Kompressionen mit hohen Reibungskräften<br />

zwischen den Kompressionen über der Abfallplatte.<br />

Die Reibungskräfte trugen zum Lockern der Fasern und<br />

Freilegen/Punktieren der safthaltigen Zellen bei, um ein<br />

effizienteres Auspressen durch die zweite Kompression<br />

zu ermöglichen. Durch die Geschwindigkeitsdifferenzen<br />

zwischen der rotierenden oberen Walze und der fest<br />

montierten Abfallplatte in Kombination mit schweren<br />

hydraulischen Lasten wurde der Effekt noch verstärkt<br />

/ Bild 5 /. Dabei kam es jedoch auch zu hohen Reibungsverlusten.<br />

Darüber hinaus kennzeichnet die Dreiwalzenmühle<br />

Folgendes:<br />

° mehr bewegliche Teile,<br />

° hohe Reibungsverluste in<br />

- der Abfallplatte sowie<br />

- im Kranzritzel und in der Vierkantkupplung,<br />

° hohe Saft-Resorptionsverluste über der Abfallplatte;<br />

die Abfallplatte verstopft den freien Saftabfluss zwischen<br />

Zu- und Abführwalze und führt zu Resorption,<br />

° schwieriges Einstellen und Ausrichten der Mühle,<br />

° alle Walzen drehen sich mit derselben Geschwindigkeit,<br />

° wenn die obere Walze Spiel hat, bleibt das Spalteinstellverhältnis<br />

zwischen Zu- und Abführwalze<br />

nicht konstant,<br />

° die obere Walze überträgt Kraft und zusätzliche<br />

hydraulische Last auf die Zu- und Abführwalze,<br />

sodass größere Wellen und Lager erforderlich sind;<br />

die Standardisierung der Walzenwellen (Zu- und<br />

Abführwalze wie obere Walze) führt zu größerem<br />

Antriebskopf und höherem Eigengewicht der Mühle,<br />

° aufgrund der Geometrie ist der zulässige Walzenverschleiß<br />

begrenzt und bei den einzelnen Walzen<br />

unterschiedlich; bei der oberen Walze ist der<br />

Walzenverschleiß maximal und bei der Zuführwalze<br />

minimal.<br />

Prinzip der Zweiwalzenmühle<br />

Heute bereiten hochbelastbare Zerkleinerungs- und<br />

Zerfaserungsmaschinen das Zuckerrohr mit bis zu 90 %<br />

offenen Zellen vor, bevor es den Mühlen zugeführt wird.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 3 / Dreiwalzenmühle<br />

Unwucht-Kraft-Reibungsverlust<br />

durch Gleiten der oberen Walze<br />

UFR<br />

(Under Feed Roller)<br />

Energieverlust durch<br />

Reibung auf Abfallplatte<br />

Obere Walze<br />

Zuführwalze<br />

Abführwalze<br />

Bild 5 / Hydraulische Lastverteilung, links: herkömmliche Mühle, rechts: Zweiwalzenmühle<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

25 %<br />

Obere Walze<br />

Zuführwalze Abführwalze<br />

Bild 4 / Energieverluste in einer herkömmlichen Dreiwalzenmühle<br />

100 %<br />

Resorptionsverluste<br />

50 %<br />

100 %<br />

100 %<br />

Energieeffiziente Zweiwalzenmühle / 59<br />

Energieverlust in Kranzritzeln<br />

Energieverlust durch Ende-Balken-<br />

und Vierkant-Kupplung<br />

Obere Walze<br />

Untere Walze


60 / Energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />

Dadurch ist keine Reibung auf der Abfallplatte mehr erforderlich,<br />

sodass diese eliminiert werden konnte.<br />

In herkömmlichen Mühlen absorbiert die Abfallplatte fast<br />

25 % der hydraulischen Last, die auf die obere Walze ausgeübt<br />

wird. Nur etwa 75 % der hydraulischen Last werden<br />

für die Saftextraktion genutzt. Außerdem gehen rund<br />

20-25 % der Energie beim Ziehen der Bagasse über die<br />

Abfallplatte verloren.<br />

Die neue Zweiwalzenmühle enthält keine Abfallplatte,<br />

sodass Energieverluste durch Reibung auf der Abfallplatte<br />

entfallen. Die gesamte hydraulische Last, die auf die obere<br />

Walze wirkt, wird auf die untere Walze übertragen und für<br />

die Saftextraktion genutzt.<br />

Diese äußerst energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />

wurde während der Entwicklung mit der herkömmlichen<br />

Dreiwalzenmühle verglichen. Die Grundstruktur ist an die<br />

neue Walzenkonfiguration der Mühle angepasst. Viele der<br />

bewährten und der Standardkomponenten/-baugruppen,<br />

wie z.B. Abdeckung, Lager, Messchaert-Rillen, Lotus-<br />

Bohrungen, obere Walze mit Spiel, wurden beibehalten.<br />

Eine Geschwindigkeitsdifferenz zwischen der oberen<br />

und der unteren Walze wurde auch für die neue Mühle<br />

eingeplant, um die geringe Reibungskraft zu erzeugen, die<br />

noch erforderlich ist.<br />

Die Zweiwalzenmühle ist mit neuen Komponenten/<br />

Systemen ausgestattet, die ihre Energieeffizienz erhöhen.<br />

Die für die energieeffiziente Zweiwalzenmühle verwendeten<br />

Neuentwicklungen werden nachfolgend kurz erläutert.<br />

Resorptions-Steuereinheit<br />

Das ausgepresste Zuckerrohr (Bagasse) ist infolge seiner<br />

Bearbeitung schwammartig und absorbiert Saft, wenn<br />

es sich nach der Kompression frei ausdehnen kann. Die<br />

einzigartige Resorptions-Steuereinheit / Bild 6 / verhindert<br />

Bild 6 / Resorptions-Steuereinheit<br />

ein Ausdehnen der Bagasse nach ihrer Kompression in<br />

den Walzen der Mühle. Dadurch wird die Resorption des<br />

extrahierten Saftes auf ein Minimum reduziert und die<br />

Bagasse von der Saftextraktionszone fern gehalten. Ein<br />

ungehinderter Saftablauf wird im neuen Design besonders<br />

berücksichtigt.<br />

Die Resorptions-Steuereinheit:<br />

° senkt den Zuckerverlust in der Bagasse und reduziert<br />

die Feuchtigkeit der Bagasse in der letzten Mühle,<br />

° senkt die benötigte Nachpresskraft in der nachgeschalteten<br />

Mühle in Tandemkonfiguration und<br />

spart Energie.<br />

Flexible Kombination mit<br />

verschiedenen Zuführsystemen<br />

Zweiwalzenmühlen können je nach Anforderungen des<br />

Kunden mit folgenden Zuführsystemen kombiniert werden:<br />

TRPF (Toothed Roller Pressure Feeder), GRPF (Grooved Roller<br />

Pressure Feeder) oder UFR (Under Feed Roller) / Bild 7 /.<br />

Implementierung energieeffizienter Antriebe<br />

Der wellenmontierte Planetenantrieb Hydraulikantrieb eliminiert<br />

die Energieverluste in Stirnradgetrieben, offenen<br />

Getrieben und Ende-Balken-Kupplungen / Bild 8 /. Die<br />

Getriebegröße kann reduziert werden, ein antriebsseitiges<br />

Fundament ist nicht weiter notwendig.<br />

Seilkupplung:<br />

° eliminiert die Energieverluste bei Ende-Balken-<br />

Kupplungen,<br />

° sorgt für ein freies Spiel der oberen Walze,<br />

° schützt das Getriebe durch Aufnahme von Stößen<br />

der Walzen und<br />

° senkt den Gesamtenergiebedarf der Mühle.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Perforierte Druckwalze<br />

GRPF – Untere Lotus*-Walze<br />

Perforierte Druckwalze<br />

Untere Mühlenwalze,<br />

Tiefe Messchaert-Rillen<br />

und Lotus*-Bohrungen<br />

* ) Lotus = Lochmuster in Walzen<br />

zur Saftentwässerung<br />

Bild 7 / Zweiwalzenmühle durch GRPF/TRPF zugeführt und Einzelwalze<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Donnelley-Schacht<br />

GRPF – Obere Lotus*-Walze<br />

Kurzer Druckschacht<br />

- Verhindert Resorption<br />

- Erhöht Bagassendichte und Kapazität<br />

der Zweiwalzenmühle<br />

Donnelley-Schacht<br />

Obere Lotus*-Mühlenwalze<br />

Saftauffang-Vorrichtung<br />

Energieeffiziente Zweiwalzenmühle / 61<br />

Obere Lotus*-Mühlenwalze<br />

Saftresorptions-Steuereinheit<br />

Untere Mühlenwalze,<br />

Tiefe Messchaert-Rillen<br />

und Lotus*-Bohrungen<br />

Saftauffang-Vorrichtung<br />

Saftresorptions-Steuereinheit


62 / Energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />

Produktmerkmale und Vorteile der<br />

neuen Zweiwalzenmühle<br />

° Geneigter Antriebskopf für leichte Zuführung durch<br />

Donnelley-Schacht oder Druck-Feeder<br />

° Individuelle Feineinstellung und Drehzahlsteuerung der<br />

Mühle bei jedem Auspressen<br />

° Zulässiger Walzenverschleiß der oberen und unteren<br />

Walze identisch durch gleiche hydraulische Last und<br />

Einzeldruckkontakt<br />

° Energieersparnis:<br />

- um bis zu 60-70 % geringerer Energieverbrauch des<br />

Antriebes gegenüber herkömmlicher Mühle<br />

- hydraulische Last beträgt etwa 70-75 % gegenüber<br />

der herkömmlichen Mühle und wird direkt auf die<br />

untere Walze übertragen<br />

° Geringere Investitionskosten:<br />

- kleinere Walzenwelle und -lager als bei einer herkömmlichen<br />

Mühle gleicher Größe, dadurch ist die<br />

Mühle kompakt und das Gewicht geringer<br />

- geringere Antriebskosten, höhere Antriebseffizienz<br />

- geringere Fundamentkosten<br />

- schnellere Erstinstallation<br />

° Verbesserter Ablauf und geringere Resorption:<br />

- Resorptions-Steuereinheit<br />

- obere und untere Walze vom Typ Lotus, tiefe Messchaert-Rillen<br />

für verbesserten Ablauf<br />

° Geringere Wartungs- und Ersatzteilkosten:<br />

- weniger Walzenvarianten, Einstellungen leicht zu ändern<br />

- kein Justieren und Auswechseln der Abfallplatte<br />

- höherer zulässiger Walzenverschleiß für längere<br />

Lebensdauer<br />

- weniger bewegliche Teile<br />

Bild 8 / Antriebskomponenten<br />

Wellenmontierter<br />

Planetenantrieb<br />

Vorteile des Zweiwalzen-Mühlentandems<br />

Ein Mühlentandem in einer Zuckerfabrik besteht aus vier<br />

bis sechs Mühlen.<br />

Durch Installation neuer Zweiwalzenmühlen erreicht man:<br />

° eine höhere Primärextraktion (etwa 2-4 % mehr) in der<br />

ersten Mühle und somit eine erhöhte Zuckerproduktion<br />

° eine geringere Bagassenfeuchtigkeit (< 48 %) sowie<br />

eine verbesserte Boiler-Effizienz<br />

/ Bild 9 /<br />

Projektstatus und Markteinführung<br />

Die Kombination aus oberer Walze mit Spiel und<br />

Resorptions-Steuereinheit macht das Produkt einzigartig.<br />

Nach Abschluss der konzeptionellen Entwicklung wurden<br />

die Basiskomponenten wie Antriebsköpfe, Abdeckung,<br />

Walzen- und Lagergehäuse eingehend analysiert,<br />

sodass ThyssenKrupp Industries India nun zum Quantensprung<br />

bereit ist. Der erste Auftrag ist eingegangen:<br />

eine 100 Zoll (2,54 m) breite Zweiwalzenmühle mit einem<br />

Durchmesser von 50 Zoll (1,27 m) wurde bestellt. Sie hat<br />

folgende Besonderheiten:<br />

° bislang größte Mühle selbst in herkömmlicher Form<br />

° mit GRFP-Zuführung<br />

° Endkapazität von 12.500 Tonnen ausgepresstem<br />

Zuckerrohr pro Tag<br />

° Leistungsparameter der letzten Mühle: 48-49 %<br />

Bagassenfeuchtigkeit und auf +96 % erhöhte<br />

Saftextraktion<br />

Mit ThyssenKrupp Industries Indias bedeutendem Marktanteil<br />

und hoher Kundenzufriedenheit dürfte das neue<br />

Produkt zu zahlreichen Umbauprojekten und Neuinstallationen<br />

von Zweiwalzenmühlen führen, sobald die erste<br />

Mühle installiert und in Betrieb genommen ist.<br />

Seilkupplung<br />

Fußmontierter Planetenantrieb<br />

Wellenmontierter<br />

Hydraulikantrieb<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Dreiwalzen-Mühlentandem:<br />

Vier Mühlen mit UFR (Under Feed Roller)<br />

100 % 100 % 100 %<br />

1. Mühle<br />

Drei Walzen mit UFR<br />

1. Mühle<br />

Zwei Walzen mit<br />

GRPF/TRPF (Toothed<br />

Roller Pressure Feeder)<br />

Bild 9 / Mühlentandem: installierte Leistung im Vergleich, Performance im Vergleich<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

2. Mühle<br />

Drei Walzen mit UFR<br />

2. Mühle<br />

Zwei Walzen mit UFR<br />

3. Mühle<br />

Drei Walzen mit UFR<br />

Zweiwalzen-Mühlentandem:<br />

Vier Mühlen, davon 1. und 4. mit GRPF (Grooved Roller Pressure Feeder)<br />

80 % 65 % 65 %<br />

3. Mühle<br />

Zwei Walzen mit UFR<br />

Zukünftige Herausforderungen weiter steigender<br />

Mühlenkapazitäten<br />

° Überhängendes Gewicht wellenmontierter Antriebe<br />

oder Ritzelreaktionen herkömmlicher Kranzritzel führen<br />

zu zusätzlichen Belastungen der getriebeseitigen Lager.<br />

° Seilkupplungen mit großen Durchmessern begrenzen<br />

die räumliche Flexibilität.<br />

Schlussfolgerung<br />

Die Kunden profitieren von dieser Innovation in vielerlei<br />

Hinsicht: geringere Investitions- und Energiekosten, zusätzliche<br />

Stromerzeugung durch reduzierte Bagassenfeuchtigkeit<br />

sowie erhöhte Zuckerproduktion durch verbesserte<br />

Saftextraktion. Die Einsparungen der Kunden sind enorm.<br />

100 %<br />

4. Mühle<br />

Drei Walzen mit UFR<br />

80 %<br />

4. Mühle<br />

Zwei Walzen mit GRPF<br />

Energieeffiziente Zweiwalzenmühle / 63<br />

PE (Primary Extraction) = 70 %<br />

RME (Reduced Mill Extraction) = 95 %<br />

Bagassenfeuchte = 50 %<br />

Installierte Gesamtleistung = 400 %<br />

PE (Primary Extraction) = 75 %<br />

RME (Reduced Mill Extraction) = 95,5 %<br />

Bagassenfeuchte = 49 %<br />

Installierte Gesamtleistung = 290 %<br />

Die Investitionskosten sind 12-15 % geringer, und die<br />

Senkung der CO 2-Emissionen bis 2020 liegt bei rund<br />

72.000 Tonnen.<br />

Die in diesem Artikel vorgestellte energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />

von ThyssenKrupp Industries India wurde mit<br />

dem ThyssenKrupp Sonderinnovationspreis „Energie und<br />

Umwelt“ 2011 ausgezeichnet.


64 /<br />

POLAB ® Shuttle Installation mit zwei mobilen Robotern in Lägerdorf<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


POLAB ® Shuttle<br />

Die neue Generation der Laborautomation<br />

Dipl.-inG. HuGo HassMann Senior Manager Development Automation & Electrical Engineering<br />

ThyssenKrupp polysius aG Neubeckum<br />

In der Zement- und Baustoffindustrie ist eine umfassende und<br />

zeitnahe Qualitätsanalyse des gesamten Herstellungsprozesses<br />

unerlässlich. Neben den repräsentativen Probenahmen in den<br />

verschiedenen Prozessstufen sind Probenvorbereitung und<br />

Probenanalyse entscheidende Faktoren für die Überwachung<br />

der Qualität des Endproduktes. Der zunehmende Einsatz von<br />

Ersatzbrennstoffen und Ersatzrohstoffen erfordert ein hochflexibles<br />

und ständig verfügbares Laborautomationssystem, um<br />

heutigen und zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden.<br />

Mit POLAB ® Shuttle ist es gelungen, eine frei konfigurierbare<br />

Laborautomation mit gemeinsamem Mensch-Maschine-Arbeitsraum<br />

zu entwickeln.<br />

Anlage<br />

Labor<br />

Bild 1 / POLAB ® Shuttle Laborautomation mit automatischer Probenahme, Rohrpost und Regelkreisen zur Prozessführung<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Feinheitsmessgerät<br />

ART<br />

Rückstellung<br />

Rohrpost<br />

APM<br />

APM<br />

Farbmessgerät<br />

E/A-Magazin<br />

XRF<br />

XRD<br />

/ 65<br />

POLAB ®<br />

Das ThyssenKrupp Polysius Laborautomationssystem<br />

POLAB ® ist seit mehr als 4 Jahrzehnten weltweit ein Markenzeichen<br />

in der Zementindustrie für die optimale Qualitätsüberwachung<br />

aller Produktionsstufen und Optimierung des<br />

Produktionsprozesses. Innovative Automationslösungen und<br />

intelligente Regelkreise dienen der Minimierung der Rohstoffkosten<br />

bei normgerechter Produktqualität.<br />

Dafür werden im Prozess vollautomatische POLAB ®<br />

Probenehmer eingesetzt, die den gesamten Prozess von der<br />

Rohmehlherstellung (Vermahlung der Rohstoffe Kalkstein,<br />

Mergel, Sand, Eisenerz etc.) über Heißmehl im Ofeneinlauf<br />

(entkarbonisiertes Rohmehl mit einer Temperatur von ca.<br />

900 °C) und Zementklinker bis zum Fertigprodukt Zement<br />

repräsentativ beproben. Eine auf ca. 300 Gramm geteilte<br />

Materialteilmenge bildet dabei eine Produktionsmenge von<br />

bis zu 500 Tonnen repräsentativ ab. Diese Proben werden<br />

in Rohrpostbüchsen über ein Rohrpostnetz vollautomatisch<br />

in das Labor gesendet, wo sie nochmals geteilt, aufbereitet<br />

und verschiedenen Analysatoren zugeführt werden / Bild 1 /.<br />

Probenversandstation<br />

POLAB ® -Rechner<br />

Probenahmepunkt<br />

Sollwertvorgabe<br />

APM = Automatic Preparation Module<br />

ART = Automatic Receiving and<br />

Transfer Module<br />

XRF = X-Ray Fluorescence<br />

XRD = X-Ray Diffraction


66 / POLAB ® Shuttle – Die neue Generation der Laborautomation<br />

Bild 2 / POLAB ® Shuttle – Der mobile Roboter<br />

POLAB ® Shuttle<br />

Für den Ausbau des Marktanteiles im Bereich des vollautomatischen<br />

Labors wurde daher eine innovative Laborautomation<br />

konzipiert, bei der folgende Aspekte im Vordergrund<br />

standen:<br />

° Zusammenarbeit von Mensch und Maschine<br />

in einem gemeinsamen Arbeitsraum,<br />

° hoher maximaler Probendurchsatz,<br />

° minimale Stillstandzeiten bei der Wartung,<br />

° Möglichkeit der vollständigen Redundanz,<br />

° Erweiterbarkeit für neue Komponenten und<br />

Analysatoren sowie<br />

° Verwendung bewährter Komponenten.<br />

Um die Stillstandzeiten während der Wartung zu minimieren<br />

(bei redundanter Auslegung der Einzelkomponenten<br />

sogar zu vermeiden) muss der Zugang des Laborpersonals<br />

zu den Maschinen auch bei aktivem Roboter möglich sein.<br />

Aus diesem Grund kam nur ein System mit gemeinsamem<br />

Mensch-Maschine-Arbeitsraum in Betracht. Beim<br />

POLAB ® Shuttle kommt ein mobiler Roboter / Bild 2 /<br />

zum Einsatz, der den raumgreifenden Roboter mit großem<br />

Gefährdungspotenzial ersetzt. Der mobile Roboter besteht<br />

aus einem Leichtbauroboterarm mit geringem Leistungs-<br />

bedarf und einem Transportroboter. Ein Transportroboter<br />

ist eine fahrbare Plattform, die sich auf einem Schien-<br />

ensystem autark zu vorher definierten Haltestellen bewegt.<br />

Er ist mit Energiespeichern ausgerüstet. Das Laden der<br />

Energiespeicher erfolgt an den Haltestellen. Der Transportroboter<br />

ist eigensicher und darf ohne zusätzliche<br />

Sicherheitseinrichtungen betrieben werden.<br />

Das Schienensystem wird mittels Umsetzer und Weichen<br />

so aufgebaut, dass die vorhandenen Laborräume optimal<br />

genutzt werden / Bild 3 /. Auch ein vertikaler Wechsel<br />

der Etage ist mit einem Lift möglich.<br />

Um maximalen Personenschutz zu gewährleisten,<br />

ist der Roboterarm mit einer TÜV-zertifizierten Leistungsbegrenzung<br />

ausgerüstet. Diese Elektronik überwacht,<br />

dass der Roboterarm die für den gemeinsamen Mensch-<br />

Maschine-Betrieb zulässige Energie nicht überschreitet.<br />

Entlang der Schienen sind die einzelnen Module<br />

zur Eingabe, Vorbereitung, Analyse und Rückstellung der<br />

Proben aufgestellt, die vom mobilen Roboter bedient werden:<br />

POLAB ® ART (Automatic Receiving and Transfer Module)<br />

° / Bild 4 / als Rohrpostempfangs- und -dosierstation für<br />

das Abfüllen der Rohrpostproben in Transportbecher<br />

zur Weiterverarbeitung<br />

° POLAB® APM (Automatic Preparation Module) / Bild 5 /,<br />

das bewährte Modul für die Probenvorbereitung<br />

(optimale Aufmahlung der Proben und Pressen von<br />

Tabletten für die Röntgenfluoreszenzanalyse und<br />

Röntgenbeugungsanalyse (vgl. ThyssenKrupp techforum<br />

1/2006)<br />

° Ein-/Ausgabemagazin zum Einschleusen<br />

manueller Proben<br />

° Rückstellmagazin zur Sammlung von<br />

Durchschnittsproben<br />

° Feinheitsmessgeräte zur Bestimmung der<br />

Korngrößenverteilung<br />

° Farbmessgeräte zur Überprüfung eines gleich-<br />

bleibenden Farbwertes<br />

° Röntgenspektrometer (XRF) zur Röntgen-<br />

fluoreszenzanalyse (Bestimmung der chemischen<br />

Zusammensetzung einer Probe)<br />

° Röntgendiffraktometer (XRD) zur Röntgenbeugungs-<br />

analyse (Bestimmung der Mineralogie einer Probe)<br />

Bild 3 / POLAB ® Shuttle Konfigurationsvarianten<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Bild 4 / POLAB ® ART<br />

Bild 5 / POLAB ® APM<br />

POLAB ® Shuttle – Die neue Generation der Laborautomation / 67


68 / POLAB ® Shuttle – Die neue Generation der Laborautomation<br />

Alle Geräte sind so konzipiert, dass der Roboter auf der<br />

Rückseite zugreift. Die Bedienung der Geräte durch das<br />

Laborpersonal erfolgt an der Vorderseite / Bild 6 /. Zu<br />

Durchführung von Wartungsarbeiten wird das jeweilige<br />

Gerät an einer der Bedienstationen abgemeldet. Der mobile<br />

Roboter bedient dann diese Komponente nicht mehr.<br />

So kann der vollautomatische Betrieb bei gleichzeitiger<br />

Wartung einzelner Geräte fortgesetzt werden. Bei redundant<br />

ausgeführten Systemen managt die Steuerung automatisch<br />

den Transport der Proben zu den freien Geräten.<br />

Erstinstallation POLAB ® Shuttle<br />

Das Betriebslabor des Zementwerkes verarbeitet Proben<br />

aus acht Probenversandstationen von insgesamt elf<br />

Probenentnahmestellen zur Sicherstellung einer gleichbleibenden<br />

Qualität der Produkte. Der umfangreiche Einsatz<br />

von Ersatzbrennstoffen und Ersatzrohstoffen erfordert eine<br />

sehr hohe Verfügbarkeit der Laborautomation bei hohem<br />

Probendurchsatz. Daher wählte die Holcim (Deutschland) AG<br />

das Laborautomationssystem POLAB ® Shuttle in einer<br />

vollredundanten Ausführung / Bilder 7 und 8 /.<br />

Das Laborsystem ist für einen Probendurchsatz von 750<br />

Analysen pro Tag ausgelegt und besteht aus:<br />

° 2 Rohrpostempfangsstationen POLAB® ART,<br />

° 4 Aufbereitungsmodulen POLAB® APM,<br />

° 2 Röntgenspektrometern,<br />

° 2 Röntgendiffraktometern,<br />

° 3 Feinheitsmessgeräten,<br />

° 1 Farbmessgerät,<br />

° 2 Ein-/Ausgabemagazinen und<br />

° 2 Rückstellmagazinen.<br />

Bild 6 / Gemeinsamer Mensch-Maschine-Arbeitsraum<br />

Automatikbetrieb<br />

Handbetrieb<br />

Das Schienensystem verfügt über zwei Spuren, auf denen<br />

zwei mobile Roboter die Proben befördern. Durch die<br />

Verbindung der Schienen mit Umsetzern ist die volle<br />

Redundanz gewährleistet. Da auch die Rohrpost über ein<br />

Weichenkreuz verfügt, kann jede Betriebsprobe zu beiden<br />

Empfangsstationen geschickt werden. Über Ein-/Ausgabemagazine<br />

lassen sich weitere Proben in das System einschleusen.<br />

Es besteht weiterhin die Möglichkeit, Handproben<br />

während des Roboterbetriebes direkt in die<br />

Analysatoren zur Messung einzugeben.<br />

Fazit<br />

POLAB ® Shuttle ist ein Laborautomationssystem mit<br />

einzigartiger Flexibilität. Der Probentransport durch den<br />

mobilen Roboter ermöglicht eine bislang unerreichte<br />

Freiheit bei der Konfiguration, Erweiterbarkeit und im<br />

räumlichen Aufbau. Die Einzelmodule wie Rohrpostempfang,<br />

Probenvorbereitung, Ein-/Ausgabemagazin sowie<br />

die Analysatoren werden durch den Schienenweg miteinander<br />

verbunden, auf dem der mobile Roboter sich<br />

bewegt. Durch das innovative Sicherheitskonzept wird<br />

das Labor zu einem gemeinsamen Mensch-Maschine-<br />

Arbeitsraum. Das Labor ist barrierefrei und die Einzelkomponenten<br />

lassen sich sowohl automatisch als auch<br />

manuell bedienen. Mit dem POLAB ® Shuttle Konzept lassen<br />

sich redundante Labore aufbauen, die höchste Verfügbarkeiten<br />

und Probendurchsätze erzielen.<br />

Durch den Erfolg der Erstinstallation hat inzwischen<br />

ein weiterer Kunde ein POLAB ® Shuttle System in<br />

Auftrag gegeben.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 7 / Schematischer Aufbau des vollautomatischen Labors der HOLCIM (Deutschland) AG in Lägerdorf<br />

Bild 8 / Vollautomatisches Labor bei der HOLCIM (Deutschland) AG in Lägerdorf<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Farbe<br />

ca. 15 m<br />

XRD1 XRF1 APM2 APM1<br />

XRD2 XRF2<br />

ART1<br />

ART2<br />

APM4 APM3<br />

Feinheit<br />

Probenteiler<br />

E/A-<br />

Magazin<br />

Rückstellung<br />

Feinheit<br />

Feinheit<br />

E/A-<br />

Magazin<br />

Rückstellung<br />

POLAB ® Shuttle – Die neue Generation der Laborautomation / 69<br />

ca. 12 m<br />

APM = Automatic Preparation Module<br />

ART = Automatic Receiving and<br />

Transfer Module<br />

XRF = X-Ray Fluorescence<br />

XRD = X-Ray Diffraction


70 /<br />

Der Status von Windenergieanlagen kann mit einem<br />

’Machine Diagnostic Interface’ online überwacht werden.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’<br />

Online Condition Monitoring System<br />

nicht nur für Windenergieanlagen<br />

Dipl.-inG. anDrEas EicKE Gruppenleiter Messtechnik ThyssenKrupp system Engineering GmbH Langenhagen<br />

Zustandsüberwachung (Condition Monitoring)<br />

zum Schutz von hochwertigen Investitionen, wie<br />

Windenergieanlagen oder auch anderen größeren<br />

Maschinen und Anlagen in der Industrie, gewinnt<br />

zunehmend an Bedeutung. ThyssenKrupp System<br />

Engineering hat dazu ein ’Machine Diagnostic<br />

Interface’ (MDI) entwickelt, das Hardware-seitig<br />

auf bewährten und zuverlässigen Standardkom-<br />

ponenten basiert. Software-seitig wurde ein<br />

hauseigenes, ausgereiftes Mess- und Automati-<br />

sierungssystem genutzt, das sich in vielen Jahren<br />

in Test- und Montageanlagen in der Automobil-<br />

und Zulieferindustrie bewährt hat. Das grundle-<br />

gende Konzept des Condition Monitoring Systems<br />

(CMS) sowie wesentliche technische Elemente<br />

des MDI werden vorgestellt. Die Entwicklung<br />

wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft<br />

und Technologie (BMWi) gefördert.<br />

Bild 1 / Ein Sensor für Schwingbeschleunigung überwacht ein Großgetriebe.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

/ 71<br />

Condition-Monitoring<br />

Condition-Monitoring steht für die Überwachung des Maschinenzustandes<br />

durch Messung und Analyse wichtiger physikalischer Größen, wie z.B.<br />

Schwingungen und Temperaturen einer Anlage, insbesondere mit dem<br />

Ziel der Kosteneinsparung durch „Zustandsorientierte Instandhaltung“<br />

/ Bild 1 /. Diese Strategie löst die bisher übliche reaktive oder präventive<br />

Instandhaltung ab. Reaktiv bedeutet in diesem Zusammenhang, dass<br />

der Schaden bereits eingetreten ist und das Bauteil getauscht oder<br />

repariert werden muss; präventiv bedeutet, dass möglicherweise<br />

noch intakte Bauteile unnötigerweise ausgetauscht werden. Dagegen<br />

ermöglicht die „Zustandsorientierte Instandhaltung“ Kosteneinsparungen<br />

durch möglichst vollständige Ausnutzung der Lebensdauer kritischer<br />

Maschinenelemente sowie frühzeitige Planung notwendig werdender<br />

Instandsetzungsmaßnahmen. Die Zustandsüberwachung kann entweder<br />

gelegentlich oder kontinuierlich erfolgen Kontinuierliche Überwachungs-<br />

systeme (Online Condition-Monitoring) messen ständig die Maschinen-<br />

parameter. Sowohl langfristige Trends (z.B. Verschleiß) als auch plötzliche<br />

Zustandsänderungen werden erfasst und dokumentiert, sodass darauf<br />

unmittelbar reagiert werden kann.<br />

’MDI-Wind’ als Online Condition Monitoring System<br />

nicht nur für Windenergieanlagen<br />

Das MDI-Wind ist ein Online Conditon Monitoring System (CMS) zur<br />

Dauerüberwachung von Windenergieanlagen (WEA) / Bild 2 / oder auch<br />

anderen größreren Maschinen und Anlagen in der Industrie. Die<br />

Hardware des MDI besteht aus industriellen Standardkomponenten,<br />

die in einem Industrieschaltschrank untergebracht sind. Das System ist<br />

für alle Arten von Anlagen geeignet und wird anlagenspezifisch projektiert<br />

(Anzahl Kanäle, Sensoren, Zusatzaufgaben). Zudem wird als Dienst-<br />

leistung eine CMS-Diagnosezentrale „MDI Diagnose“ angeboten. Diese<br />

ist mit PCs und Servern ausgestattet, um die Daten zu archivieren und<br />

Offline-Analysen zu ermöglichen. Die Software des MDI basiert auf dem<br />

bewährten universellen Prüf- und Automatisierungssystem UPS32,<br />

Betriebssystem Microsoft ® Windows ® XP bzw. Windows ® 7.<br />

Funktionsweise des Systems<br />

Das MDI-Wind sichert eine permanente Online-Überwachung z.B. einer<br />

WEA auf Basis eines fest installierten Diagnosesystems. Überwacht<br />

werden in erster Linie der Körperschall des Triebstranges – bestehend<br />

aus Hauptlager, Getriebe und Generator – sowie wichtige Temperaturen.<br />

Ebenso werden Gondel- und ggf. Turmschwingungen erfasst. Optional<br />

können weitere Überwachungen integriert werden. Zusätzlich werden<br />

relevante Betriebsdaten der Anlage mit erfasst, z.B. Drehzahl, Windgeschwindigkeit<br />

und Leistung bzw. Drehmoment. Dazu läuft eine<br />

kontinuierliche Datenerfassung mit synchroner Messung aller Kanäle.<br />

Es erfolgt eine Validierung der Daten (z.B. Prüfung ob die Leistung aus-


72 / Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’ – Online Condition Monitoring System nicht nur für Windenergieanlagen<br />

Generator<br />

Getriebe<br />

Hauptlager<br />

reichend stabil war) sowie ein so genannter Sensorcheck (z.B. Prüfung<br />

auf Kabelbruch). Der Betriebszustand der Anlage wird bestimmt,<br />

um eine Klassifizierung der Messung anhand der Leistung bzw. des<br />

Drehmomentes zu ermöglichen. Die Auswertung berechnet wichtige<br />

Kennwerte, dabei wird der Betriebszustand der Anlage berücksichtigt.<br />

Alle Daten, inklusive der originalen Messwerte (sog. Rohwerte), werden<br />

zunächst lokal gespeichert. Auf diese Weise gehen keine Daten – z.B.<br />

durch Filterungen – verloren. Grenzwertüberschreitungen werden automatisch<br />

und unmittelbar als Voralarm (Warnung) sowie gegebenen-<br />

falls als Hauptalarm an die Überwachungsstelle und beispielsweise<br />

dem Betreiber per E-Mail oder SMS gemeldet. Es folgt die Übertragung<br />

der Daten an eine zentrale Datenbank (Server in der Diagnosezentrale)<br />

zur Langzeitarchivierung und Trendauswertung in der Diagnosezentrale.<br />

Insbesondere bei der Trendauswertung und um die Messungen bzw.<br />

Ergebnisse besser vergleichen zu können, werden diese über den<br />

Betriebszustand jeweils einer Betriebsklasse zugeordnet. Aufgrund des<br />

Microsoft ® Windows ® Betriebssystemes ist es sehr einfach, Fernzugriffe<br />

(Remote) auf die Daten für Betreiber und Diagnosezentrale zu ermöglichen.<br />

Manuelle Analysen und Reportgenerierung werden in der<br />

Diagnosezentrale durch einen Experten durchgeführt.<br />

Hardware-Merkmale<br />

Die Hardware des MDI besteht aus industriellen Standardkomponenten<br />

und ist in einem Industrieschaltschrank mit einer an die Umgebungsbedingungen<br />

angepassten Klimatisierung untergebracht. Alle Eingänge<br />

bzw. Anschlüsse können optional mit Blitzschutz ausgerüstet werden.<br />

Das MDI ist damit auch unter extremen Umgebungsbedingungen einsetzbar.<br />

Alle Komponenten sind nach Industriestandard ausgeführt.<br />

Die Festplatte des MDI ist eine Solid State Disk und somit verschleißfrei.<br />

Rotorblatt<br />

Messleitungen<br />

Bild 2 / Schematische Darstellung der Überwachung des<br />

Triebstranges und der Rotorblätter einer Windkraftanlage<br />

Das MDI ist außerdem mit einer wartungsfreien USV (unterbrechungsfreie<br />

Stromversorgung) ausgerüstet (Supercap statt Akku). Das System<br />

ist bzgl. der Anzahl der Messkanäle und Funktionen modular erweiterbar<br />

und bietet Schnittstellen zu allen bekannten Sensoren und Systemen.<br />

Beispiel für eine typische Ausbaustufe eines CMS MDI-Wind:<br />

° 8 analoge Eingänge für Schwingungssensoren<br />

(ausgerüstet mit Anti-Aliasing-Filtern)<br />

° Optional erweiterbar auf 12 oder mehr Kanäle<br />

° 24 analoge Eingänge für weitere Signale (z.B. Drehzahl,<br />

Windstärke, Leistung)<br />

° 16 analoge Eingänge für Temperatursensoren<br />

° 8 digitale Eingänge (24 V)<br />

° 8 digitale Ausgänge (24 V)<br />

° Datenaustausch über Internet (kabelgebunden oder<br />

drahtlos per UMTS-Antenne)<br />

Abhängig von der konstruktiven Ausführung der zu überwachenden Anlage<br />

sowie der Messaufgabe kann eine variable Anzahl von Sensoren/<br />

Kanälen eingesetzt werden, um alle Signale optimal zu erfassen. Wenn die<br />

Anlage diese Signale nicht zur Verfügung stellen kann, werden entsprechende<br />

Sensoren installiert. Beispiel für die Signale einer WEA mit Getriebe:<br />

° Schwingungssignale von Rotorlager, Getriebe,<br />

Getriebelager, Generatorlager, Gondel<br />

° Drehzahlsignale von Rotor, Generator<br />

° Windgeschwindigkeit<br />

° Leistung<br />

° Temperaturen von Außenluft, Gondel innen, Rotorlager,<br />

Generatorlager, Getriebe, Öl<br />

° Steuerungssignale Azimut, Pitch<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 3 / Ordnungsspektrum eines Schwingungssignales in logarithmischer Darstellung<br />

mit Markierung einiger Harmonischer des Zahneingriffes (ganzzahlige Vielfache<br />

der Zahneingriffsordnung)<br />

Software-Merkmale<br />

Es werden u.a. die grundsätzlich erforderlichen Analyseverfahren –<br />

definiert durch Germanischer Lloyd, Allianz Zentrum für Technik sowie<br />

DIN etc. – verwendet. Dabei werden z.B. hinsichtlich der Schwingungs-<br />

signale die Amplituden von charakteristischen Zahneingriffs- und Lager-<br />

frequenzen ermittelt und bewertet (Fourieranalyse/Frequenzspektrum).<br />

Ebenso werden integrale Größen, wie Effektivwerte über bestimmte<br />

Frequenzbereiche, berechnet. Zum Ausgleich von Drehzahlschwankungen<br />

wird die Ordnungsanalyse / Bild 3 / angewendet. Zur Verbesserung des<br />

Signal-Rauschabstandes kommt gegebenenfalls eine umdrehungs-<br />

synchrone Mittelung zum Einsatz / Bild 4 /. Bei jedem Lager werden die<br />

Frequenzen bzw. Ordnungen von Außenring, Käfig, Wälzkörper und<br />

Innenring überwacht. Des Weiteren wird zur Detektion von periodischen<br />

Stoßimpulsen die Hüllkurvenanalyse (Frequenz und Ordnung) sowie<br />

das Cepstrum (ein mathematisches Verfahren zur Detektion von<br />

Stoßimpulsen) verwendet. Für Vor- und Hauptalarm werden Grenzwerte<br />

angelegt, die über statistische Methoden auch automatisch berechnet<br />

Beschleunigungssensor<br />

Drehgeber<br />

Tiefpass<br />

Getriebe<br />

Tiefpass<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Analog-<br />

Digital-<br />

Umsetzer<br />

Analog-<br />

Digital-<br />

Umsetzer<br />

Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’ – Online Condition Monitoring System nicht nur für Windenergieanlagen / 73<br />

Digitales<br />

Resampling<br />

Bild 5 / Wellenverlagerung am Hauptlager einer WEA während 16 Umdrehungen<br />

(mittlerer Messabstand der Sensoren ca. 4 mm)<br />

werden können. In der Diagnosezentrale erfolgen offline automatisch<br />

und bei Bedarf manuell Trendanalysen für die ermittelten Kennwerte.<br />

Zudem bietet die Software die Möglichkeit, manuelle Veränderungen<br />

der Prüfläufe online durchzuführen. Mit anderen Worten: Änderungen<br />

auch im Ablauf oder Erweiterungen sind nicht mit einem teuren Service-<br />

Einsatz verbunden, sondern können „remote“ durchgeführt werden.<br />

Optionale Erweiterungen und Daten-Management<br />

Das System ist aufgrund der Hard- und Software-Struktur flexibel erweiterbar.<br />

Optionale Erweiterungen für die Überwachung/ Auswertung/Sensorik,<br />

z.B. einer WEA, sind u.a.:<br />

° Ölqualitätsüberwachung<br />

° Drehmomentmessung<br />

° Turmschwingungsüberwachung<br />

° Rotorblattüberwachung<br />

° Rotorwellenverlagerung / Bild 5 /<br />

Drehzahl<br />

berechnen<br />

Umdrehungssynchrone<br />

Mittelung<br />

Bild 4 / Grundsätzliches Prinzip der Messwertaufnahme und Vorverarbeitung von Schwingungssignalen, mit digitalem Resampling und umdrehungssynchroner Mittelung<br />

Welle 1<br />

Welle 2<br />

Welle 3<br />

Drehzahl


74 / Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’ – Online Condition Monitoring System nicht nur für Windenergieanlagen<br />

MDI 1<br />

Betriebsführung/Leitwarte/sonstiger PC<br />

Bild 6 / Beispiel für eine Einzelanlage mit Anbindung an die Diagnosezentrale<br />

z.B. UMTS-Verbindung möglich<br />

SQl Server<br />

Internet<br />

Kommunikationsserver<br />

CMS Diagnosezentrale<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Ausgehend von einem Stand-Alone-System ohne Server-Anbindung,<br />

über einen Anlagenpark mit mehreren MDIs mit Serveranbindung, bis<br />

hin zur weltweiten Vernetzung können alle Daten-Management-Modelle<br />

realisiert werden / Bild 6 /.<br />

Diagnosezentrale<br />

Das MDI wird über eine komfortable Menüführung bedient und ist durch<br />

ein Zugriffsrechtesystem gegen unautorisierte Änderungen geschützt.<br />

Nach Meldung einer Grenzwertüberschreitung eines Kennwertes erfolgt<br />

deren Bewertung durch einen Experten der Diagnosezentrale. Über den<br />

Fernzugriff (z.B. Microsoft ® Windows ® Remote-Desktop-Verbindung<br />

/ Bild 7 /) auf das MDI an der Anlage kann das Ereignis näher untersucht<br />

werden. Ebenso können weitere Messungen manuell ausgelöst werden.<br />

Über die Menüführung gelangt man zum gesuchten Kennwert. Über<br />

ein Schaubild lässt sich die Messstelle identifizieren.<br />

Die Software bietet die Möglichkeit, auf die in der Ergebnisdatenbank<br />

gespeicherten Ergebnisse komfortabel zuzugreifen. Dabei kann sich der<br />

Anwender aus allen Datensätzen eine individuelle Liste zusammen-<br />

stellen, daraus einzelne Ergebnisse zurückladen oder auch Statistiken,<br />

Histogramme und Trends über die Ergebnisse erstellen. Histogramme<br />

sind mitunter nützlich, um die Verteilung (und den Mittelwert) eines<br />

Merkmales während der Einmessphase der Anlage zu ermitteln<br />

/ Bild 8 /. Auch die automatische Berechnung und das Setzen der<br />

Toleranzgrenzen werden unterstützt.<br />

Wichtig für die Diagnose ist weiterhin die Möglichkeit der Trendanalyse.<br />

Ein sich anbahnender Schaden kann sich in einer schleichenden<br />

Zunahme des entsprechenden Kennwertes bemerkbar machen. Die<br />

Trenddarstellung ermöglicht darüber hinaus den Vergleich beliebiger<br />

Kombinationen von Kennwerten und Betriebsparametern / Bild 9 /.<br />

Bei Abschluss der Diagnose kommuniziert der Experte seine<br />

Handlungsanweisung an den Betreiber der Anlage. Die Ergebnisse und<br />

Maßnahmen werden schriftlich dokumentiert.<br />

Zusammenfassung<br />

Das Online Condition Monitoring System MDI bzw. MDI-Wind von<br />

ThyssenKrupp System Engineering erfüllt die grundsätzlichen Anforderungen<br />

an ein CMS in hervorragender Weise. Zudem zeichnet es sich<br />

durch eine Reihe von Vorzügen aus, die andere Systeme gegebenen-<br />

falls nicht bieten können. Es basiert auf dem Betriebssystem Microsoft ®<br />

Windows ® und einem Industrie-PC. Die Software ist ausgereift und<br />

bewährt in der Automobil- und Zulieferindustrie. Die Hardware besteht<br />

aus bewährten Standardkomponenten. Das System lässt sich relativ<br />

einfach um zusätzliche Überwachungsaufgaben erweitern. Es arbeitet<br />

zuverlässig und selbstüberwachend. Darüber hinaus können per<br />

Fernzugriff jederzeit weitere Tests und Analysen initiiert werden.<br />

Zudem tritt ThyssenKrupp System Engineering als unabhängiger<br />

Systempartner auf. Für die Zustandsüberwachung zum Schutz von<br />

Maschinen und Anlagen steht damit ein effektives Instrument<br />

zur Verfügung.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’ – Online Condition Monitoring System nicht nur für Windenergieanlagen / 75<br />

Bild 7 / Remote-Desktop-Verbindung zu einem MDI<br />

Bild 8 / Histogramm eines Merkmales mit Mittelwert und Toleranzgrenzen<br />

Bild 9 / Die Trenddarstellung ermöglicht auch den Vergleich von zwei oder mehr Signalen.


76 /<br />

Kunststoffbeschichteter Käfig<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Käfigentwicklung für Großwälzlager<br />

in der Windenergietechnik<br />

Dr.-inG. JörG rollMann Abteilungsleitung Forschung und Entwicklung rothe Erde GmbH Lippstadt<br />

Dr.-inG. wilfriED spinTiG Werksleitung rothe Erde GmbH Lippstadt<br />

Dipl.-inG. sTEfan scHniEDEr Forschung und Entwicklung rothe Erde GmbH Lippstadt<br />

Dipl.-inG. rEinHarD JürGEns Fertigungstechnik rothe Erde GmbH Lippstadt<br />

Großwälzlager sind eine wesentliche Komponente im<br />

Antriebsstrang einer Windkraftanlage. Sie werden<br />

als Flügelverstelllager und Turmhauslager eingesetzt.<br />

Die Wälzkörper in diesen Lagern werden vorzugsweise<br />

durch Stahlkäfige voneinander getrennt. Zur<br />

Vermeidung von Verschleiß wurde bei Rothe Erde<br />

ein Verfahren zur Kunststoffbeschichtung von Käfigen<br />

entwickelt. Bei dem Einsatz der kunststoffbeschichteten<br />

Käfige in unterschiedlichen Versuchen an hoch<br />

belasteten Blattlagern (Ø 2 m) konnte eine erhebliche<br />

Steigerung der Verschleißfestigkeit gegenüber unbeschichteten<br />

Käfigen nachgewiesen werden. Nach<br />

Integration des Beschichtungsverfahrens in die<br />

Fertigungslinie der Käfige gehören diese heute zum<br />

Rothe Erde Standard in der Ausrüstung von Lagern für<br />

Windenergieanlagen, die insbesondere im Offshore-<br />

Bereich eingesetzt werden.<br />

Bild 1 / Blattlager im Querschnitt Bild 2 / Komponenten eines Blattlagers<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

/ 77<br />

Großwälzlager in Windenergieanlagen<br />

Großwälzlager sind extrem vielseitige Maschinenelemente, die in unterschiedlichen<br />

Bauformen in nahezu allen Bereichen des Maschinenbaus<br />

und der Fördertechnik zum Einsatz kommen. Kennzeichnende Merkmale<br />

sind, dass sie einbaufertig geliefert und mit der Anschlusskonstruktion<br />

verschraubt werden. Konstruktiv sind sie in der Regel als selbsthaltende<br />

Momentenlager ausgeführt, sodass ein einzelnes Lager Axial-<br />

und Radialkräfte sowie Kippmomente drehbar übertragen kann.<br />

Großwälzlager sind u. a. eine wesentliche Komponente im Antriebsstrang<br />

einer Windkraftanlage. Sie werden als Flügelverstelllager<br />

(Blattlager) und Turmhauslager (Azimutlager) eingesetzt. In der Funktion<br />

als Blattlager leiten die Großwälzlager die auf den Flügel wirkenden<br />

Windlasten und Momente auf den Rotor weiter. Hierbei ermöglicht der<br />

Drehfreiheitsgrad die Anpassung des Anstellwinkels der Blätter auf die<br />

jeweilige Windgeschwindigkeit und den Betriebszustand (Bremsen,<br />

Anfahren) der Windenergieanlage.<br />

In der Funktion als Turmhauslager dienen Großwälzlager dazu, das<br />

Turmhaus (Gondel) in die vorherrschende Windrichtung auszurichten.<br />

Darüber hinaus führt der auch bei Windkraftanlagen zunehmende Zwang<br />

zum Leichtbau dazu, dass Großwälzlager insbesondere bei getriebelosen<br />

Windkraftanlagen auch zur Lagerung des Hauptrotors eingesetzt werden.<br />

Aufbau des Lagers<br />

Flügelverstelllager und Turmhauslager werden vorwiegend als zweireihige<br />

Vierpunktlager ausgeführt / Bilder 1 und 2 /. Diese Bauform<br />

hat sich bei den bisher üblichen Lasten und Betriebsbedingungen<br />

Käfig<br />

Außenring<br />

Innenring<br />

Wälzkörper<br />

Dichtungssystem


78 / Käfigentwicklung für Großwälzlager in der Windenergietechnik<br />

von Windenergieanlagen als robust und zuverlässig herausgestellt.<br />

Kennzeichnend für diese Konstruktion ist der Aufbau aus zwei nahtlos<br />

gewalzten Ringen, die über zwei Kugelreihen miteinander verbunden<br />

sind. Die Bezeichnung ’Vierpunktlager’ entstammt der Tatsache, dass<br />

die Krümmungsradien im Querschnitt von Außenring und Innenring<br />

vier unterschiedliche Mittelpunkte haben, sodass die dazwischen liegende<br />

Kugel im unbelasteten Lager unter ca. 45° zur Lagerachse vier<br />

Kontaktpunkte mit den Lagerringen hat. Diese Geometrie ermöglicht<br />

eine hohe axiale Tragfähigkeit und Steifigkeit der Lager.<br />

Die Laufbahnen der Kugeln sind induktiv randschichtgehärtet, um<br />

den auftretenden Flächenpressungen zwischen Wälzkörper und Laufbahn<br />

verschleißfrei standzuhalten. Durch Käfige oder Zwischenstücke werden<br />

die Kugeln voneinander getrennt, um Reibung zwischen diesen zu vermeiden.<br />

Weitere Komponenten der Lager sind Fette und Dichtungen,<br />

die den besonderen Betriebsbedingungen von Blattlagern speziell<br />

angepasst sind.<br />

Käfig<br />

Unter bestimmten Betriebsbedingungen und hohen zyklischen Betriebslasten,<br />

kann es in Verbindung mit weichen Anschlusskonstruktionen<br />

bzw. großen Lagerdurchmessern dazu kommen, dass Umfangskräfte<br />

in der Kette der Wälzkörper auftreten, die bei der Verwendung von<br />

Zwischenstücken zu erhöhten Lagerdrehwiderständen führen können.<br />

Um dies zu vermeiden, werden in Blattlagern zur Trennung der Wälzkörper<br />

bevorzugt einteilige Käfige aus Stahlstreifen verwendet / Bild 3 /.<br />

Diese Ausführungsform hat sich in der Praxis bewährt, sie hat jedoch<br />

den Nachteil, dass der Käfig im Gleitkontakt zu den Lagerringen örtlich<br />

verschleißen kann. Dieser Effekt konnte bisher durch eine Mangan-<br />

Phosphatierung und eine Gleitlackbeschichtung nur begrenzt unterbunden<br />

werden. Als Folge davon konnten in der Praxis unerwünschte<br />

Rückstände des Käfigmaterials in dem Lagerschmierstoff nachgewiesen<br />

werden.<br />

Bild 3 / Wälzkörperkäfig aus Stahl<br />

Verschleißversuche<br />

Das Problem des Käfigverschleißes konnte im Forschungs- und<br />

Entwicklungslabor von Rothe Erde insbesondere an solchen Lagern<br />

nachgestellt werden, die mit einer unebenen Anschlusskonstruktion<br />

verschraubt waren. Mit dieser Einbausituation wurden daher vergleichende<br />

Verschleißversuche durchgeführt, die die Bewertung unterschiedlicher<br />

Käfigbeschichtungssysteme erlaubte. Im Rahmen einer<br />

Reihenuntersuchung erfolgten Verschleißtests mit unbehandelten<br />

Stahlkäfigen, manganphosphatierten Käfigen, gleitlackbeschichteten<br />

Käfigen, Messingkäfigen sowie nitrocarburierten und kunststoffbeschichteten<br />

Käfigen. Während der Käfigverschleiß durch die Verwendung<br />

von Messingkäfigen nur teilweise reduziert werden konnte,<br />

wurde eine deutliche Reduzierung des Käfigverschleißes zunächst<br />

durch den Einsatz nitrocarburierter Käfige erreicht / Bild 4 /. Ein Nachteil<br />

des Nitrocarburierens besteht jedoch in der Gefahr des Verzuges<br />

der Käfige durch Handling und Transport sowie durch die relativ hohen<br />

Wärmebehandlungstemperaturen, da der Verzug im Anschluss an die<br />

Wärmebehandlung nicht mehr beseitigt werden kann. Darüber hinaus<br />

ist dieser Beschichtungsprozess an kostenintensive Anlagen gebunden,<br />

die auch umwelttechnisch anspruchsvoll sind. Eine vergleichbare und<br />

teilweise höhere Verschleißminderung als bei den nitrocarburierten<br />

Käfigen wurde bei Erprobung kunststoffbeschichteter Käfige festgestellt.<br />

Kunststoffbeschichtete Käfige<br />

Für die Kunststoffbeschichtung der Käfige wurde bei Rothe Erde ein<br />

Verfahren entwickelt, bei dem die Stahlkäfige von Blattlagern mit einem<br />

Kunststoffüberzug versehen werden können. Hierzu werden die fertig<br />

gebogenen und gegebenenfalls geschweißten Stahlkäfige zur Erhöhung<br />

der Haftfestigkeit einer Vorbehandlung unterzogen. Anschließend<br />

werden die Käfige auf Beschichtungstemperatur erwärmt und für<br />

kurze Zeit in ein Polyamidbad getaucht. Es bleibt eine ca. 0,4 mm<br />

starke Polyamidschicht hoher Haftfestigkeit auf dem Stahlkäfig zurück.<br />

Dieser Überzug verhindert die gleichartigen Gleitkontakte aus Stahl und<br />

reduziert somit nachhaltig den Verschleiß / Bild 5 /.<br />

Verschleiß [%]<br />

120<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Stahl Messing Stahl<br />

nitrocarburiert<br />

Bild 4 / Vergleich Käfigverschleiß unterschiedlicher Werkstoffe<br />

Stahl<br />

PA 12 beschichtet<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 5 / Käfig mit Polyamidbeschichtung<br />

Bei der Verfahrensentwicklung kam zunächst eine Laborbeschichtungs-<br />

anlage zum Einsatz, mit deren Hilfe die Ermittlung geeigneter Beschichtungsparameter<br />

erfolgte. An den so gewonnenen Proben wurden die<br />

Haftung sowie die Alterungs- und die Schmierstoffbeständigkeit der<br />

Beschichtung nachgewiesen. Die mit diesem Verfahren gefertigten<br />

kunststoffbeschichteten Prototypkäfige bewährten sich in den zuvor<br />

beschriebenen Verschleißversuchen.<br />

Für die Serienbeschichtung wurde eine Beschichtungsanlage für<br />

Großwälzlagerkäfige im Durchmesserbereich von Ø 2 -3 m entwickelt,<br />

bei der die Beschichtung vollautomatisch aufgebracht wird. Diese<br />

Beschichtungsanlage konnte ohne Umweltauflagen in die Fertigungslinie<br />

der Käfigfertigung integriert werden. Das Verfahren der Kunststoffbeschichtung<br />

ermöglicht es darüber hinaus, Verzüge der Käfige durch<br />

nachträgliches Richten zu korrigieren. Hier gehen die Möglichkeiten<br />

sogar soweit, dass Streifenmaterial zunächst beschichtet und nach-<br />

träglich zu runden Käfigen gebogen werden kann, wodurch gegebenenfalls<br />

Transportkosten erheblich reduziert werden können.<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Bild 6 / Prüfstand für Blattlager<br />

Käfigentwicklung für Großwälzlager in der Windenergietechnik / 79<br />

Ausblick<br />

Die kunststoffbeschichteten Käfige haben sich in diversen Anlagen<br />

und Prüfstandsversuchen sowohl bei Rothe Erde / Bild 6 / als auch<br />

bei Kunden bewährt. Entsprechende Käfige gehören daher heute zum<br />

Rothe Erde Standard in der Ausrüstung von Lagern für Windenergieanlagen,<br />

die insbesondere im Offshore-Bereich eingesetzt werden.<br />

Darüber hinaus werden kunststoffbeschichtete Käfige inzwischen auch<br />

in der Lagerung von anderen Anwendungen wie z.B. Scannern und<br />

Antennen eingesetzt. Weitere Anwendungen und Beschichtungsstoffe<br />

sind in der Erprobung.


80 /<br />

DampTronic ® select – Sportfahrwerk zum Einschalten<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


DampTronic ® select<br />

Dipl.-inG. olE GöTZ Teamleiter Simulation & Berechnung ThyssenKrupp Bilstein suspension GmbH Ennepetal<br />

Dipl.-inG. Klaus scHMiDT Leiter Entwicklung aktive Systeme ThyssenKrupp Bilstein suspension GmbH Ennepetal<br />

Mit dem von ThyssenKrupp Bilstein Suspension entwickelten zweistufigen Dämpfungssystem<br />

DampTronic ® select wird die Lücke zwischen konventionellen, passiven Stoßdämpfern<br />

und aufwendigen elektronisch stufenlos verstellbaren Dämpfern geschlossen. Der Kunde<br />

muss sich bei seiner Fahrzeugkonfiguration nicht entscheiden, ob er ein Normal- oder ein<br />

Sportfahrwerk möchte, er kann mit einem Schalter am Armaturenbrett zwischen zwei Fahrwerkseinstellungen<br />

umschalten. Das Herzstück der Innovation ist das DampTronic ® select<br />

Ventil, das in einem sehr kompakten Bauraum zwei weitgehend unabhängig abstimmbare<br />

Dämpfkraftkennlinien bereitstellt. Durch niedrige Bauteilkosten und geringen Integrationsaufwand<br />

konnten die Systemkosten so stark reduziert werden, dass das System sogar für<br />

die Kompakt- und Kleinwagenklasse attraktiv ist.<br />

Verstellbare Dämpfungssysteme<br />

Die Abstimmung der Stoß- oder Schwingungsdämpfer eines<br />

Fahrzeuges bestimmt wesentlich dessen Fahreindruck und<br />

das Komfortverhalten. Mit den heute üblichen konven-<br />

tionellen hydraulischen Dämpfern lässt sich über hydraulische<br />

Ventile eine feste Dämpfkraftkennlinie definieren, die<br />

jedoch den klassischen Zielkonflikt zwischen Komfort und<br />

Agilität nur teilweise auflösen kann.<br />

In der Oberklasse heute vielfach schon Serienaus-<br />

stattung und als Sonderausstattung mittlerweile auch schon<br />

in der Kompaktklasse erhältlich, erlauben verstellbare<br />

Dämpfungssysteme eine der Fahrsituation oder dem<br />

Fahrerwunsch angepasste Dämpfungscharakteristik. Damit<br />

bieten diese Systeme dem Kunden die Möglichkeit, komfortbetont<br />

zu reisen, ohne jedoch auf die Sicherheitsreserven<br />

und den Fahrspaß eines straff abgestimmten Fahrwerkes<br />

verzichten zu müssen.<br />

Diese komplexen Systeme zur Dämpfungsverstellung<br />

umfassen die stufenlos verstellbaren Dämpfungsventile,<br />

verschiedene Sensoren zur Bestimmung des Bewegungszustandes<br />

von Karosserie und Rädern sowie ein auf-<br />

wendiges Steuergerät zur Ansteuerung der Dämpfer entsprechend<br />

der hinterlegten Algorithmen. Die hohen Kosten<br />

für die Komponenten und der hohe Integrationsaufwand<br />

behindern die weitere Verbreitung von stufenlos verstellbaren<br />

Dämpfungssystemen.<br />

Zwischen den etablierten stufenlosen Dämpfungsverstellsystemen<br />

und dem konventionellen Dämpfer positi-<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

oniert sich das von ThyssenKrupp Bilstein Suspension entwickelte,<br />

zweistufige System DampTronic ® select. Ein kosten-<br />

günstiges Design des Ventiles, der Verzicht auf Sensorik<br />

und minimaler Steuergeräteaufwand erlauben eine<br />

drastische Reduzierung der Systemkosten / Bild 1 /.<br />

Der Endkunde kann über einen Schalter am Armaturenbrett<br />

zwischen einer Normal- und einer strafferen Sportkennlinie<br />

wählen. Damit erhält er ein „Sportfahrwerk zum<br />

Einschalten“ mit erlebbarer Steigerung der Agilität, kann<br />

jedoch beispielsweise auf längeren Strecken auch die<br />

komfortablere Normal-Stellung nutzen.<br />

Bauraum-Anforderungen<br />

Zu Beginn der Entwicklung des DampTronic ® select Ventiles<br />

wurden, neben den Anforderungen an die hydraulische<br />

Funktion, die wesentlichen Eckdaten wie Bauraumbedarf,<br />

Energiebedarf, Gewicht und Zielpreis festgelegt. Grund-<br />

sätzlich gibt es zwei Möglichkeiten einen verstellbaren<br />

Dämpfer zu realisieren. Bei integrierten Ventilen befindet<br />

sich das Verstellventil am Ende der Kolbenstange im<br />

Arbeitsraum des Dämpfers. Im Gegensatz dazu kann das<br />

Verstellventil auch am Außenrohr des Dämpfers positioniert<br />

werden (adaptiertes Ventil). Beide Varianten haben spezifische<br />

Vor- und Nachteile. ThyssenKrupp Bilstein Suspension<br />

entschied sich beim DampTronic ® select für die integrierte<br />

Lösung mit dem Ventil an der Kolbenstange. Für die<br />

Applikation im Einrohrdämpfer ist diese Lösung die<br />

hydraulisch günstigste.<br />

/ 81


82 / DampTronic ® select<br />

Für die weit verbreiteten Zweirohrdämpfer ergeben sich zwar<br />

Nachteile hinsichtlich Baulänge und Kennlinienspreizung<br />

der Druckstufenkräfte, dagegen steht jedoch der Vorteil,<br />

eine deutlich kostengünstigere Rohrbaugruppe (oder die<br />

unveränderte Baugruppe des konventionellen Serien-<br />

Dämpfers) verwenden zu können. Das Mehrgewicht eines<br />

Dämpfers mit DampTronic ® select gegenüber einem konventionellen<br />

Dämpfer beträgt – auch aufgrund der integrierten<br />

Ventilanordnung – nur ca. 80 g und ist damit gemessen<br />

an der erweiterten Funktionalität nahezu vernachlässigbar.<br />

Um einen möglichst breiten Anwendungsbereich für<br />

DampTronic ® select zu ermöglichen, musste das Ventilsystem<br />

an die gängigen Dämpferdimensionierungen angepasst<br />

werden. In der Kompakt- und Kleinwagenklasse,<br />

dem prädestinierten Anwendungsbereich des neuen Ventilsystems,<br />

werden an der Vorderachse fast ausschließlich<br />

McPherson-Federbeine mit einem Innenrohrdurchmesser<br />

von ca. 32-36 mm eingesetzt. Der minimale Durchmesser<br />

wurde auf 32 mm festgelegt, der Einsatz des Ventiles in<br />

36 mm Innenrohren ist über eine Gehäusevariante mit<br />

größerem Außendurchmesser möglich.<br />

Beim Einsatz im McPherson-Federbein übernimmt der<br />

Dämpfer Radführungsaufgaben und ist daher zum Teil<br />

erheblichen Querkräften beim Bremsen oder bei Kurvenfahrten<br />

ausgesetzt. Das Ventilgehäuse und insbesondere<br />

die Verbindung zur Kolbenstange sind daher über Finite-<br />

F<br />

Konventioneller Dämpfer<br />

Zusatzkosten/Fzg<br />

(System)<br />

0 €<br />

Bild 1 / Positionierung DampTronic ® select<br />

v<br />

F<br />

Sport<br />

DampTronic ® select:<br />

Zweistufig verstellbar<br />

~100 €<br />

Elemente-Berechnungen und experimentelle Versuche so<br />

ausgelegt worden, dass diesen Beanspruchungen sicher<br />

standgehalten werden kann.<br />

An der Hinterachse werden die Dämpfer üblicherweise<br />

als freistehende oder federtragende Dämpfer in Ein- oder<br />

Zweirohrbauweise ausgeführt. Mit dem kleinen Durchmesser<br />

von 32 mm kann das Ventil in beiden Dämpferbauweisen<br />

eingesetzt werden, in der Regel ohne den radialen Bauraum<br />

zu vergrößern.<br />

Ein wesentlicher Nachteil integrierter Ventile ist die durch<br />

deren Baulänge vergrößerte Totlänge, d.h. die Gesamtlänge<br />

des Dämpfers vergrößert sich bei gleichem Hubbereich<br />

gegenüber einem passiven Dämpfer oder einem adaptierten<br />

Ventil. Aus diesem Grund kann vor dem Hintergrund<br />

der heutigen extrem engen Package-Anforderungen der<br />

Einsatz von integrierten Ventilen an wenigen Millimetern<br />

Baulänge scheitern.<br />

Bei der Entwicklung des DampTronic ® select Ventiles<br />

konnte durch eine platzsparende Integration aller Funktions-<br />

elemente eine Länge von 51 mm erreicht werden. Gegen-<br />

über konventionellen Arbeitskolben ergibt sich hierdurch ein<br />

akzeptabler Längenzuwachs von nur 20 mm. Die Gegenüberstellung<br />

eines konventionellen Arbeitskolbens im<br />

Vergleich zum DampTronic ® select Ventil ist in / Bild 2 /<br />

dargestellt.<br />

Comfort<br />

v<br />

F<br />

Kontinuierlich verstellbar<br />

~ 250 €<br />

v<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 2 / Längenvergleich mit konventionellem Arbeitskolben<br />

Hydraulische Funktionalität – Kennliniengestaltung<br />

Das zweistufige Ventil des DampTronic ® select Systems<br />

stellt dem Fahrer neben der Normalkennlinie eine per<br />

Knopfdruck einschaltbare Sportkennlinie zur Verfügung.<br />

Kennlinienbeispiele für die Normal- und Sportkennung sind<br />

in / Bild 3 / dargestellt.<br />

Beide Kennlinien bieten das volle Abstimmpotenzial<br />

konventioneller Dämpfer, d.h. eine unabhängige Einstellung<br />

der Zug- und Druckstufenkennlinie in verschiedenen<br />

Geschwindigkeitsbereichen. Damit können die Dämpfkraftcharakteristiken<br />

bestmöglich an die spezifischen Bedürfnisse<br />

des Fahrzeuges bzw. der Abstimmphilosophie angepasst<br />

werden. Gegenüber konventionellen Dämpfern ergeben sich<br />

keine funktionalen Einschränkungen bezüglich Ansprechverhalten,<br />

Fahrkomfort oder Fahrdynamik.<br />

Energiebedarf<br />

Vor dem Hintergrund der aktuellen CO 2-Diskussion ist<br />

der Energiebedarf bei allen im Fahrzeug integrierten elektrischen<br />

Systemen von großer Bedeutung. Diesem Anspruch<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

31 mm<br />

wurde durch eine unter den gegebenen Randbedingungen<br />

bestmögliche Auslegung des elektromagnetischen<br />

Antriebes Rechnung getragen. Die Magnetspule ist so<br />

dimensioniert, dass bei eingeschalteter Normalkennung<br />

F [N]<br />

2.500<br />

2.000<br />

1.500<br />

1.000<br />

500<br />

0<br />

-500<br />

-1.000<br />

-1.500<br />

Sportkennlinie<br />

Normalkennlinie<br />

Bild 3 / Kennfeld DampTronic ® select: Sport- und Normalkennlinie<br />

DampTronic ® select / 83<br />

51 mm<br />

0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5<br />

v [m/s]<br />

0,6 0,7 0,8 0,9 1,0


84 / DampTronic ® select<br />

eine Leistung von weniger als 1 W pro Dämpfer benötigt<br />

wird. Kontinuierliche Verstelldämpfer verfügen dagegen<br />

üblicherweise über eine Leistungsaufnahme von 5 bis 10 W.<br />

Beim Abschalten des Stroms stellt sich die Sportkennlinie<br />

ein, sodass der Dämpfer rein passiv, d.h. ohne weitere<br />

Energiezufuhr, arbeitet.<br />

Konstruktive Umsetzung<br />

Unter Berücksichtigung der genannten Anforderungen hinsichtlich<br />

Bauraum, Kennliniengestaltung, Energiebedarf, und<br />

natürlich Kosten entstand das in / Bild 4 / dargestellte<br />

Ventildesign. Das DampTronic ® select Ventil beinhaltet die<br />

passiven Dämpfungsventile für Normal- und Sportkennlinie<br />

sowie ein magnetbetätigtes Schaltventil. Im oberen<br />

Bereich des Ventiles ist ein Haftmagnet angeordnet, der<br />

bei Bestromung den darunter liegenden Rundschieber<br />

magnetisch in eine angezogene Position verschiebt. Durch<br />

Zulauf Normalventil<br />

Zulauf Sportventil<br />

Bild 4 / Ansicht DampTronic ® select Ventil<br />

die Öffnung des Schiebers wird der Strömungskanal durch<br />

das Normalventil freigegeben. Das Normalventil wird damit<br />

zum Sportventil hydraulisch parallel geschaltet, wodurch<br />

sich die Normalkennlinie ergibt. Im unbestromten Zustand<br />

drückt eine Rückstellfeder die Steuerkante des Schiebers<br />

auf den Ventilsitz, wodurch der Volumenstrom unterbrochen<br />

wird. Unterhalb des Rundschiebers ist das Normalventil<br />

positioniert. Bei geöffnetem Rundschieber wird im Wesentlichen<br />

durch dieses Ventil die Normalkennung erzeugt.<br />

Die Abstimmung des Normalventiles erfolgt in ähnlicher<br />

Form wie bei konventionellen Stoßdämpferventilen, indem<br />

an Zug- und Druckstufenseite des Ventiles die hydraulischen<br />

Widerstände durch geeignete Vorspannelemente<br />

und Bypass-Kanäle angepasst werden. Da im normalen<br />

Fahrbetrieb überwiegend diese Ventilstufe genutzt wird,<br />

steht für ihre Einstellung ein umfangreiches Abstimmportfolio<br />

zur Verfügung. Am unteren Ende des DampTronic ®<br />

Magnet<br />

Rundschieber<br />

Normalventil Druckstufe<br />

Normalventil Zugstufe<br />

Sportventil<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012


Bild 5 / ThyssenKrupp Bilstein Suspension Konzeptfahrzeug<br />

select Ventiles befindet sich das Sportventil. Sein kennungs-<br />

bestimmendes Element ist ein doppelseitig wirkendes<br />

Federscheibenpaket, bei dem die Vorspannungen von Zug-<br />

und Druckseite abgestimmt werden können. Parallel zu<br />

dem Sportventil arbeitet ein Bypass-Ventil, durch das der<br />

Anlaufgradient der Sportkennung in der Druckstufe verändert<br />

werden kann. In Summe ergeben sich aus den<br />

beschriebenen Abstimmparametern weitreichende Möglichkeiten,<br />

das DampTronic ® select Ventil an die Bedürfnisse<br />

verschiedenster Fahrzeuge anzupassen.<br />

Konzeptfahrzeug<br />

Um das Potenzial von DampTronic ® select zu erproben und<br />

für Kunden erfahrbar zu machen, wurde von ThyssenKrupp<br />

Bilstein Suspension ein BMW Mini Cooper S als Konzeptfahrzeug<br />

aufgebaut / Bild 5 /. In das Fahrzeug wurden die<br />

DampTronic ® select Dämpfer an Vorder- und Hinterachse,<br />

ein Steuergerät sowie ein Wahltaster zur Umschaltung der<br />

Fahrwerkseinstellungen integriert. Während der Dämpfer-<br />

abstimmung konnten die Experten von ThyssenKrupp<br />

Bilstein Suspension wertvolle Erfahrungen mit dem neuen<br />

Ventilsystem sammeln. Gegenüber dem Serienfahrwerk<br />

konnte in der Normalkennlinie der Fahrkomfort deutlich<br />

gesteigert werden, ohne dass das Fahrzeug seinen<br />

typischen Charakter verliert. Schaltet man das Fahrwerk<br />

in die Sport-Position bemerkt man sofort die deutliche<br />

straffere, sportliche Anbindung des Fahrzeuges und das<br />

direktere Lenkverhalten.<br />

Fazit<br />

ThyssenKrupp Bilstein Suspension hat mit dem Dämpfungsverstellsystem<br />

DampTronic ® select ein robustes und<br />

kostengünstiges System entwickelt, das dem Fahrer die<br />

ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />

Möglichkeit bietet, mittels Schalter die Charakteristik seines<br />

Fahrzeuges auf Wunsch fühlbar straffer und agiler ein-<br />

zusstellen – ein Sportfahrwerk auf Knopfdruck. Das System<br />

positioniert sich bewusst zwischen konventionellen<br />

Dämpfern mit einer festen Kennlinie und komplexen, stufen-<br />

losen Dämpfungsverstellsystemen. Durch den Verzicht auf<br />

Sensorik und ein komplexes Steuergerät sowie ein konsequent<br />

nach dem Prinzip Design-to-Cost entwickeltes<br />

Schaltventil kann ein sehr attraktiver Preis für die gegen-<br />

über einem voll verstellbaren System zwar eingeschränkte,<br />

jedoch für den Endkunden sehr deutlich erlebbare<br />

Funktionalität dargestellt werden. Der DampTronic ® select<br />

Dämpfer bietet ein Kostenpotenzial von ca. 40 %, gegen-<br />

über einem kontinuierlich verstellbaren System – bestehend<br />

aus Sensoren, Steuergerät und Dämpfern sogar ein<br />

Potenzial von ca. 50-60 %.<br />

Durch den attraktiven Preis ist das System besonders<br />

in der Kompakt- und Kleinwagenklasse eine Alternative<br />

zum stufenlos verstellbaren Dämpfungssystem. Andererseits<br />

stellt DampTronic ® select ein deutlich aufgewertetes<br />

Sportfahrwerk dar, da dieses bei Bedarf ein- oder ausgeschaltet<br />

werden kann und das Fahrzeug seine volle<br />

Alltagstauglichkeit behält.<br />

Mittlerweile konnten mehrere Serienaufträge für<br />

DampTronic ® select gewonnen werden. Eine Anwendung<br />

im Sportwagenbereich startet bereits 2012 in die Serien-<br />

produktion, kurz darauf folgt der Einsatz in einem<br />

Kompaktfahrzeug.<br />

DampTronic ® select / 85


ThyssenKrupp aG<br />

Postfach<br />

45063 Essen<br />

www.thyssenkrupp.com

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