Thyssenkrupp
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ThyssenKrupp<br />
techforum<br />
Ausgabe 1 I 2012<br />
Wir entwickeln die Zukunft für Sie.
Titelbild<br />
Die Produktinnovation iwalk ® von ThyssenKrupp Elevator überzeugt durch zukunfts-<br />
weisende Technologie, größtmöglichen Nutzerkomfort und eine hohe Umweltverträglichkeit.<br />
Der neue Fahrsteig geht in besonderem Maße auf spezielle Kunden-<br />
anforderungen ein und löst so die Herausforderungen bisheriger Anlagentypen – ein<br />
entscheidendes Kriterium für die Installation von insgesamt vier horizontalen und<br />
drei geneigten iwalk ® auf dem Bahnhof Atocha in Madrid/Spanien. Verschiedene<br />
Neuerungen versprechen den Fahrgästen ein noch sicheres Fahrgefühl: So reduziert<br />
die geringere Höhe der Kammsegmente in den Ein- und Ausstiegszonen das Stolperrisiko<br />
deutlich – gerade bei der Nutzung mit Reisegepäck. Darüber hinaus erfüllt der<br />
iwalk ® nicht nur die europäische Norm EN 115, nach der ein Fahrsteig 400 mm<br />
Freiraum bieten muss, sondern erlaubt durch die größere Palettenbreite auch die<br />
Verwendung von großen Koffer-Trolleys und Einkaufswagen. Diese Vorgabe erfüllt der<br />
iwalk ® trotz reduzierter Außenmaße und setzt so neue Maßstäbe in der Branche. Ein<br />
zusätzliches Plus in Sachen Sicherheit bieten die zwei Arten von Balustraden, die den<br />
neuen Fahrsteig gleichzeitig auch zu einem ästhetischen Highlight machen. Sowohl<br />
die schmale Variante – wie hier im Bild – als auch die robuste Ausführung bestehen<br />
aus zwölf Millimeter starkem bruchfestem Sicherheitsglas und verlaufen über die<br />
gesamte Länge. Der iwalk ® wurde auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit<br />
entwickelt. Die technischen Eigenschaften, wie zum Beispiel weniger Komponenten,<br />
die Verwendung neuartiger Energie-Einsparungssysteme und LED-Beleuchtung<br />
sowie die Verringerung des Gewichtes, führen zu einem niedrigeren Energieverbrauch<br />
und geringeren Umweltbelastungen. Das reduzierte Transportvolumen und weniger<br />
Verpackungsmaterial sind weitere Aspekte, die den vielseitigen Fahrsteig noch<br />
umweltverträglicher machen.<br />
Der iwalk ® wurde mit dem ThyssenKrupp Innovationspreis 2011 ausgezeichnet.<br />
Herausgeber<br />
ThyssenKrupp AG, Corporate Center Technology, Innovation & Quality, ThyssenKrupp Allee 1, 45143 Essen<br />
Redaktion: Guido Focke, Telefon: +49 201 844-536291, Fax: +49 201 8456-536291<br />
Erscheinungsweise<br />
’ThyssenKrupp techforum’ erscheint ein- bis zweimal jährlich in deutscher und englischer Sprache.<br />
Nachdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers. Fotomechanische Vervielfältigung einzelner Aufsätze<br />
ist erlaubt. Der Versand des „ThyssenKrupp techforum“ erfolgt über eine Adressdatei, die mit Hilfe<br />
der automatisierten Datenverarbeitung geführt wird.<br />
ISSN 1612-2763
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
bereits seit dem Jahr 2000 schreibt ThyssenKrupp intern den Konzern-Innovationswettbewerb<br />
aus. Die Beteiligungsquote unserer Tochtergesellschaften war auch in 2011 wieder erfreulich<br />
hoch und die Qualität der Projekte bemerkenswert.<br />
Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure leisten hervorragende Arbeit, wenn es darum geht,<br />
im Sinne eines aktiven und nachhaltigen Innovationsmanagements neue Ideen in Produkte,<br />
Prozesse oder Dienstleistungen umzusetzen. Das trägt ganz entscheidend dazu bei, unseren<br />
Konzernanspruch „Wir entwickeln die Zukunft für Sie“ mit Leben zu füllen. Dafür möchte ich<br />
ihnen an dieser Stelle ganz herzlich danken!<br />
Innovationen und technischer Fortschritt sind für uns Schlüsselfaktoren, um das globale<br />
Wachstum und den Einsatz begrenzter Ressourcen nachhaltig zu gestalten. Die Einsicht, un-<br />
ausweichlich „besser“ werden zu müssen, bietet eindeutige Chancen für unseren Konzern: Mit<br />
unserer Ingenieurkompetenz in den Anwendungsfeldern „Material“, „Mechanical“ und „Plant“<br />
ermöglichen wir es unseren Kunden, den steigenden Bedarf nach „mehr“ auf „bessere“ Art<br />
zu bedienen, sich Vorteile im weltweiten Wettbewerb zu erarbeiten sowie innovative Produkte<br />
wirtschaftlich und ressourcenschonend herzustellen.<br />
Die Entwicklungsprojekte des ThyssenKrupp Innovationswettbewerbs unterstreichen die<br />
erfolgreiche Arbeit in unseren Forschungs- und Entwicklungsbereichen und dienen gleichzeitig<br />
als Ansporn, unsere Innovationsaktivitäten weiter auszubauen.<br />
Sieger des Innovationswettbewerbs 2011 ist der von ThyssenKrupp Elevator entwickelte<br />
iwalk ® , ein innovativer Fahrsteig, dessen Hauptmerkmal in der wesentlichen Verringerung<br />
des benötigten Bauraums besteht. Weitere erhebliche Vorteile bestehen in der Herstellung,<br />
dem Transport, der Installation sowie während der Nutzungsphase, beispielsweise hinsichtlich<br />
des Stromverbrauches.<br />
ThyssenKrupp Presta Camshafts hat mit dem Beitrag „Modulkonzepte mit integrierten Nockenwellen<br />
– Presta 2 “ den zweiten Preis errungen. Das Presta 2 -Verfahren ermöglicht – mittels eines<br />
thermisch-mechanischen Fügeprozesses – die Herstellung von Nockenwellen-Modulen. Dabei<br />
werden die gebauten Nockenwellen unter Beibehaltung des bewährten Presta-Kraft-Form-Schlusses<br />
untrennbar in eine Zylinderkopfhaube integriert. Mit diesem Verfahren können Emissionen signifikant<br />
reduziert und das Gesamtsystem Zylinderkopf/-haube kostengünstiger hergestellt werden.<br />
Die Verschleißfestigkeit der Komponenten in Windenergieanlagen spielt eine entscheidende<br />
Rolle bei der Verfügbarkeit einer Windenergieanlage und der Vermeidung von Anlagenausfällen.<br />
Im Rahmen des mit dem dritten Preis ausgezeichneten Projektes wurde von Rothe Erde zur<br />
Trennung und Führung der einzelnen Wälzkörper ein Lagerkäfig aus Stahl mit einer Polyamidbeschichtung<br />
entwickelt, der den Verschleiß dieser Komponente erheblich reduziert.<br />
Der Sonderinnovationspreis „Energie und Umwelt“ ging an ein Team von ThyssenKrupp<br />
Industries India für die Entwicklung einer energieeffizienten Zweiwalzenmühle für das Pressen<br />
von Zuckerrohr zur Zuckergewinnung. Durch eine grundlegende Neukonstruktion der Mühlenstruktur<br />
konnten Reibungsverluste und Abnutzung auf ein Minimum reduziert werden. Dies führt<br />
zu einem bedeutend geringeren Energieverbrauch im Vergleich zu einer konventionellen Mühle<br />
und somit zu erheblich verringerten CO 2-Emissionen.<br />
Einige herausragende Projekte, die im Rahmen des Innovationswettbewerbs 2011 ein-<br />
gereicht wurden, möchten wir Ihnen in dieser Ausgabe des ThyssenKrupp techforums vorstellen.<br />
Darüber hinaus freue ich mich insbesondere, dass wir mit Herrn Dr. Reinhold E. Achatz einen<br />
ausgewiesenen Experten für unsere Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten gefunden haben.<br />
Herr Dr. Achatz leitet seit April 2012 das Corporate Center Technology, Innovation & Quality.<br />
Näheres zu seiner Person finden Sie auf der folgenden Seite.<br />
Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Ihnen<br />
Ihr<br />
Dr.-Ing. Heinrich Hiesinger<br />
Vorsitzender des Vorstands<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Vorwort / 03
04 /<br />
Werte Leserinnen und Leser,<br />
die Welt verändert sich heute mit einer stetig wachsenden Geschwindigkeit. Daher wird<br />
das Thema Innovation, d.h. die erfolgreiche Umsetzung neuer Ideen im Markt, immer<br />
wichtiger. Dies gilt für alle Regionen, Branchen und Märkte.<br />
Nur innovative Organisationen können die eigene Wertschöpfung effizient und effektiv<br />
erhalten und durch Erschließen neuer Märkte ausbauen. Dabei ist die Fokussierung auf<br />
vorhandene und neu erworbene Kernkompetenzen entscheidend. Dazu müssen die<br />
Anforderungen unserer heutigen und künftigen Kunden gut verstanden sowie die Produkte<br />
und Lösungen in der vom Kunden erwarteten Funktion und Qualität geliefert werden.<br />
In meiner neuen Aufgabe als Leiter des Corporate Centers Technology, Innovation &<br />
Quality möchte ich zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen unserer Konzerngesellschaften<br />
eine konsistente und zukunftsweisende Innovationsstrategie für ThyssenKrupp entwickeln<br />
und diese konsequent umsetzen.<br />
Ihr<br />
Dr.-Ing. Reinhold Achatz<br />
Leiter Corporate Center Technology, Innovation & Quality<br />
Kurzportrait<br />
Reinhold Achatz studierte Elektrotechnik (Dipl.-Ing., 1979) an der Friedrich-Alexander Universität<br />
Erlangen-Nürnberg und promovierte an der TU München (Dr.-Ing., 2009) am Lehrstuhl Informationstechnologie<br />
im Maschinenwesen. Seit September 2010 ist er beratender Ehrenprofessor<br />
der Tsinghua-Universität (Hon. Advisory Professor Tsinghua University) in Peking.<br />
Herr Dr. Achatz war zuletzt Corporate Vice President der Siemens AG und leitete in<br />
dieser Funktion seit Oktober 2006 die globale Siemens Forschung (Corporate Research and<br />
Technologies) mit circa 1.800 Beschäftigten in Österreich, China, Dänemark, Deutschland,<br />
Indien, Japan, Russland, Singapur und USA. Er trug die Verantwortung für die Forschung zu den<br />
Themen: Electronics, Energy & Environment, Information & Automation, Materials & Hardware<br />
Design, Processes & Production, Industrial Communication Technologies, Software & Systems<br />
Engineering, SMART Innovation und Sustainable Solutions.<br />
Ab April 2009 verantwortete er zusätzlich das Corporate Development Center mit etwa<br />
4.000 Software-Entwicklern weltweit – die Mehrheit davon in Indien, Zentral- und Osteuropa.<br />
Diese Organisation entwickelt Software-Produkte und Lösungen für die geschäftsführenden<br />
Einheiten von Siemens.<br />
Ferner ist er Mitglied in einer Reihe von Organisationen und Institutionen, u.a. dem deutschen<br />
Wissenschaftsrat, dem deutschen Cybersicherheitsrats und von Kuratorien der Fraunhofer- und<br />
der Max-Planck-Gesellschaft.<br />
Zum 01.04.2012 übernahm Herr Dr. Achatz die Leitung des Corporate Centers Technology,<br />
Innovation & Quality bei der ThyssenKrupp AG in Essen.<br />
ThyssenKrupp techforum techforum 1 I 2012
10 /<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Inhalt<br />
16 /<br />
10 / Tailored Tempering<br />
Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften für warmumgeformte Bauteile<br />
Dipl.-inG. sascHa siKora, Dipl.-inG. JanKo BaniK, Dr.-inG. sTEpHané Graff, Dipl.-inG. roBErT laurEnZ,<br />
Dr.-inG. franZ-JosEf lEnZE ThyssenKrupp Steel Europe AG<br />
In der Automobilindustrie sind in den letzten Jahren die Anforderungen im Hinblick auf die Crash-Eigenschaften<br />
und den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge aufgrund veränderter Randbedingungen konsequent<br />
gestiegen. Verfahren, wie das Presshärten von Mangan-Bor-Stählen, können einen wirtschaftlichen<br />
Beitrag zur Reduzierung des Karosseriegewichtes bei optimierten Gebrauchseigenschaften leisten. Seitens<br />
ThyssenKrupp Steel Europe wurde das Presshärten durch eine zusätzliche Alternative weiterentwickelt. Bei<br />
dem neu entwickelten Verfahren, dem so genannten ’Tailored Tempering’ Prozess, kann durch eine gezielte<br />
Steuerung des Abkühlprozesses im Umformwerkzeug das gesamte Festigkeitsspektrum, den der Werkstoff<br />
Stahl bieten kann, ausgenutzt werden.<br />
Antikondensat<br />
16 / PLADUR ®<br />
Funktionale Oberfläche für trockene Innenraumgestaltung<br />
BEaTE fuGMann, Dr. rEr. naT. BETTina wErnEr, Dipl.-inG. ralf wiTTKowsKi, Dipl.-inG. axEl poHl,<br />
Dipl.-inG. rEinHarD TäGEr ThyssenKrupp Steel Europe AG<br />
ThyssenKrupp Steel Europe hat gemeinsam mit einem Lackhersteller als erster Bandbeschichter in Europa<br />
ein wasserabsorbierendes Coil Coating Lacksystem für Stahloberflächen entwickelt: PLADUR ® Antikondensat<br />
kommt im Baubereich zum Einsatz und ist ein kosteneffizientes Alternativprodukt zur konventionell<br />
verwandten Vliesfolie. Das Beschichtungssystem kann ohne Zusatzinvest auf den bestehenden Bandbeschichtungsanlagen<br />
(BBA) von ThyssenKrupp Steel Europe produziert werden. Der Zwei-Schichtaufbau<br />
aus Korrosionsschutzprimer und funktionalem Decklack wurde für Industrie- und Nutzgebäude mit ungedämmten<br />
Dächern und Wänden entwickelt. Die Antikondensatfunktion verhindert wirkungsvoll die Bildung<br />
von Schimmelpilzen durch Feuchtigkeit und schützt Menschen, Waren und Maschinen vor gesundheitlichen<br />
bzw. wirtschaftlichen Schäden. Das innovative Beschichtungssystem wurde bereits erfolgreich in<br />
den Markt eingeführt und bietet den Kunden neben Kostenvorteilen architektonische Gestaltungsfreiheit,<br />
da PLADUR ® Antikondensat unabhängig vom Neigungswinkel und farbvariabel verbaut werden kann.<br />
Inhalt / 05
06 / Inhalt<br />
22 /<br />
28 /<br />
22 / Solabs ® 2<br />
Regenerative Energiegewinnung durch solaraktives Fassadenmodul<br />
für den Industrie- und Gewerbebau<br />
Dr. rEr. naT. roMan Glass ThyssenKrupp Steel Europe AG<br />
Dipl.-inG. anDrEas liTZKow ThyssenKrupp Bausysteme GmbH<br />
32 /<br />
38 / 44 /<br />
Dr.-inG. lars pfEiffEr, Dr. rEr. naT. BETTina wErnEr ThyssenKrupp Steel Europe AG<br />
ThyssenKrupp Steel Europe hat zusammen mit den Tochtergesellschaften der Geschäftseinheit Color/<br />
Construction ein neues Sandwich-Fassadenmodul entwickelt, das zur Wärmeenergie-Bereitstellung in Gewerbe-<br />
und Industriegebäuden verwendet werden kann. Das Solabs ® 2-Fassadenmodul ist analog einem Standardmodul<br />
aufgebaut und besteht aus einem Dämmkern mit beidseitig schubsteif verbundenem, bandlackiertem<br />
Qualitätsstahl. Die Farbe für die Außenseite des Fassadenmodules ist so gewählt, dass ein hoher Absorptionsgrad<br />
der Sonnenstrahlung und damit ein hoher Energieeintrag erreicht wird. In den Dämmkern ist zusätzlich<br />
ein Rohrleitungssystem eingebracht, das mit der Fassadenaußenseite verbunden ist, sodass die auftreffende<br />
Solarstrahlung in Form von Wärme genutzt werden kann. Gemeinsam mit einem Kunden, einem Architekten<br />
und einem Systempartner wird aktuell ein Referenzgebäude unter Verwendung von solchen Modulen errichtet.<br />
Nach erfolgreichem Abschluss des Projektes wird eine Markteinführung des solaraktiven Fassadenmodules<br />
angestrebt.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
28 / HD – Hochduktile mikrolegierte Feinkornbaustähle<br />
Neue Produktserie für die Kaltumformung<br />
MaTTHias Gruss, Dipl.-inG. MaxiMilian naGEl, Dipl.-inG. pETEr HöfEl Hoesch Hohenlimburg GmbH<br />
Hochduktile (HD) Stahlgüten erweitern die konstruktiven Gestaltungsmöglichkeiten im automobilen Leichtbau.<br />
Der neue Werkstoff HSM 700 HD von Hoesch Hohenlimburg setzt dabei Maßstäbe durch die Kombination<br />
aus Streckgrenzen von mindestens 700 MPa und Bruchdehnung von ca. 20 %. Ermöglicht werden diese<br />
Werte durch ein neuartiges Mikrolegierungskonzept, das auf dem Einsatz von Niob beruht. Gepaart mit einer<br />
exakt definierten Prozessroutine beim Warmwalzen und dem anschließenden Abkühlprozess lassen sich die<br />
Streubänder der mechanischen Kennwerte so erheblich reduzieren.<br />
32 / Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke<br />
Einbringung dünnwandiger Stahlrohre mit Spezialgerät<br />
Dr.-inG. JoHannEs KöcHEr, Doris BEcKEr-spoHr ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik GmbH<br />
Solarthermische Kraftwerke und Anlagen basieren auf dem Prinzip, dass das Sonnenlicht über eine Vielzahl<br />
von Spiegeln auf einen engen Punkt auf einem Receiver-Turm fokussiert wird und hier eine enorme Hitze zur<br />
Erzeugung von Heißdampf erzeugt, der zum Antrieb von Turbinen zur Stromerzeugung genutzt werden kann.<br />
Die vielen tausend Spiegel, die für eine solche Anlage benötigt werden, müssen sicher am Boden verankert<br />
werden. Hierzu hat ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik als Hersteller von Baumaschinen und Komponenten<br />
für den Spezialtiefbau ein spezielles Werkzeug sowie ein Verfahren entwickelt, womit derartige Bodenveran-<br />
kerungen bzw. Gründungen schnell, wirtschaftlich und problemlos ausgeführt werden können.<br />
38 / iwalk ®<br />
Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie<br />
Dipl.-inG. MiGuEl GonZÁlEZ alEManY ThyssenKrupp Elevator (ES/PBB) GmbH<br />
Der iwalk ® ist der neue Fahrsteig von ThyssenKrupp Elevator. Größter Vorteil dieses neuartigen Anlagetyps:<br />
Der Platzbedarf wurde im Vergleich zu herkömmlichen Modellen gleich in mehreren Dimensionen verringert.<br />
Das neue Design reduziert die Einbautiefe um mehr als 50 % – so kann die Horizontalvariante des iwalk ®<br />
direkt auf dem vorhandenen Boden installiert werden. Das senkt den Konstruktionsaufwand für die<br />
Installation und die Kosten. Gleichzeitig sorgt ein modulares Konzept für eine größere Flexibilität und bietet<br />
enorme Vorteile bei der Produktion, Logistik und Installation. Diese Innovation stellt eine neue Konzeption<br />
der Fahrsteigtechnologie dar, die neben allen Produktvorteilen zu einer bedeutenden Steigerung des<br />
Kundennutzens führt.<br />
44 / Mini-PROven<br />
Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren Koksöfen mit<br />
einer Einzelkammerdruckregelung<br />
Dr. rEr. naT. friEDricH HuHn, Dipl.-inG. franK KrEBBEr, Dr.-inG. Joanna KüHn-GaJDZiK, KErsTin üBErscHär<br />
ThyssenKrupp Uhde GmbH<br />
Ein möglichst emissionsarmer Kokereibetrieb ist aus Umwelt- und Arbeitsschutzgründen immer wichtiger<br />
geworden. Veränderliche Druckverhältnisse in jedem Einzelofen mit besonders hohen Werten zu Beginn<br />
der Ausgarungszeit haben in der Vergangenheit zu erheblichen Emissionen an den Ofenverschlüssen<br />
geführt. Zur Vermeidung hat ThyssenKrupp Uhde für moderne Großraumöfen das Einzelkammerdruck-<br />
regelungssystem PROven™ (Pressure Regulated Oven) entwickelt, das eine Regelung des Druckes in den<br />
individuellen Verkokungskammern auf einem konstant niedrigen Niveau erlaubt. Dieses inzwischen lang-<br />
jährig bewährte System wurde konstruktiv und verfahrenstechnisch so erweitert, dass es zukünftig als<br />
Mini-PROven auch an älteren kleinen und mittelgroßen Koksofenbatterien zur Verbesserung des<br />
Umweltschutzes nachgerüstet werden kann.<br />
Inhalt / 07
08 / Inhalt<br />
50 /<br />
70 /<br />
56 /<br />
76 /<br />
50 / Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer<br />
GünTHEr KErKHoff BsEE, Dipl.-inG. pETEr sEHl, VlaDiMir sVirsKY MsME ThyssenKrupp Robins Inc.<br />
In vielen Bergbaugebieten sinkt die Erzqualität. Neue Minen entstehen in immer abgelegeneren Gebieten.<br />
Die Gruben werden tiefer und harte Erze werden zunehmend unter Tage abgebaut. Das bringt neue Heraus-<br />
forderungen mit sich: Es muss immer mehr Material über größere Entfernungen transportiert werden. Mit<br />
den wachsenden Fördergut-Volumina steigen gleichzeitig die hohen Anforderungen an die Verfügbarkeit der<br />
Förderanlagen. Vor diesem Hintergrund müssen die Anlagen mit modernen Antriebssystemen ausgestattet<br />
sein, die eine hohe Zuverlässigkeit garantieren.<br />
56 / Energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />
YasHwanT saKHarDanDE B.TEcH, arVinD KarMarKar B.E. (MEcH) ThyssenKrupp Industries India Pvt Ltd.<br />
Aufgrund der Nachfrage des Marktes nach energieeffizienten Systemen hat ThyssenKrupp Industries India<br />
eine äußerst sparsame Zweiwalzenmühle ohne Abfallplatte entwickelt, um die Nachteile der herkömmlichen<br />
Dreiwalzenmühle, wie Reibungsverluste, Komplexität und Verschleiß, zu umgehen. Sie spiegelt die Pionier-<br />
rolle von ThyssenKrupp Industries India in der indischen Zuckerindustrie wider. Mühlen sind ein bedeuten-<br />
der Stromverbraucher in der Zuckerindustrie, eine energieeffiziente Variante war daher dringend notwendig.<br />
Angesichts der großen Marktpräsenz in der Zuckerindustrie bemüht sich ThyssenKrupp Industries India stets<br />
um energieeffizientere Systeme und Prozesse in allen Bereichen der Zuckerproduktion.<br />
64 /<br />
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ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
64 / POLAB ® Shuttle<br />
Die neue Generation der Laborautomation<br />
Dipl.-inG. HuGo HassMann ThyssenKrupp Polysius AG<br />
In der Zement- und Baustoffindustrie ist eine umfassende und zeitnahe Qualitätsanalyse des gesamten<br />
Herstellungsprozesses unerlässlich. Neben den repräsentativen Probenahmen in den verschiedenen<br />
Prozessstufen sind Probenvorbereitung und Probenanalyse entscheidende Faktoren für die Überwachung<br />
der Qualität des Endproduktes. Der zunehmende Einsatz von Ersatzbrennstoffen und Ersatzrohstoffen erfor-<br />
dert ein hochflexibles und ständig verfügbares Laborautomationssystem, um heutigen und zukünftigen<br />
Anforderungen gerecht zu werden. Mit POLAB ® Shuttle ist es gelungen, eine frei konfigurierbare Labor-<br />
automation mit gemeinsamem Mensch-Maschine-Arbeitsraum zu entwickeln.<br />
70 / Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’<br />
Online Condition Monitoring System nicht nur für Windenergieanlagen<br />
Dipl.-inG. anDrEas EicKE ThyssenKrupp System Engineering GmbH<br />
Zustandsüberwachung (Condition Monitoring) zum Schutz von hochwertigen Investitionen, wie Wind-<br />
energieanlagen oder auch anderen größeren Maschinen und Anlagen in der Industrie, gewinnt zunehmend<br />
an Bedeutung. ThyssenKrupp System Engineering hat dazu ein ’Machine Diagnostic Interface’ (MDI) ent-<br />
wickelt, das Hardware-seitig auf bewährten und zuverlässigen Standardkomponenten basiert. Software-seitig<br />
wurde ein hauseigenes ausgereiftes Mess- und Automatisierungssystem genutzt, das sich in vielen Jahren<br />
in Test- und Montageanlagen in der Automobil- und Zulieferindustrie bewährt hat. Das grundlegende Konzept<br />
des Conditon Monitoring Systems (CMS) sowie wesentliche technische Elemente des MDI werden vorgestellt.<br />
Die Entwicklung wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) gefördert.<br />
76 / Käfigentwicklung für Großwälzlager in der Windenergietechnik<br />
Dr.-inG. JörG rollMann, Dr.-inG. wilfriED spinTiG, Dipl.-inG. sTEfan scHniEDEr, Dipl.-inG. rEinHarD JürGEns<br />
Rothe Erde GmbH<br />
Großwälzlager sind eine wesentliche Komponente im Antriebsstrang einer Windkraftanlage. Sie werden<br />
als Flügelverstelllager und Turmhauslager eingesetzt. Die Wälzkörper in diesen Lagern werden vorzugsweise<br />
durch Stahlkäfige voneinander getrennt. Zur Vermeidung von Verschleiß wurde bei Rothe Erde ein Verfahren<br />
zur Kunststoffbeschichtung von Käfigen entwickelt. Bei dem Einsatz der kunststoffbeschichteten Käfige in<br />
unterschiedlichen Versuchen an hoch belasteten Blattlagern (Ø 2m) konnte eine erhebliche Steigerung der<br />
Verschleißfestigkeit gegenüber unbeschichteten Käfigen nachgewiesen werden. Nach Integration des<br />
Beschichtungsverfahrens in die Fertigungslinie der Käfige gehören diese heute zum Rothe Erde Standard in<br />
der Ausrüstung von Lagern für Windenergieanlagen, die insbesondere im Offshore-Bereich eingesetzt werden.<br />
80 / DampTronic ® select<br />
Dipl.-inG. olE GöTZ, Dipl.-inG. Klaus scHMiDT ThyssenKrupp Bilstein Suspension GmbH<br />
Mit dem von ThyssenKrupp Bilstein Suspension entwickelten zweistufigen Dämpfungssystem DampTronic ®<br />
select wird die Lücke zwischen konventionellen, passiven Stoßdämpfern und aufwendigen elektronisch<br />
stufenlos verstellbaren Dämpfern geschlossen. Der Kunde muss sich bei seiner Fahrzeugkonfiguration nicht<br />
entscheiden, ob er ein Normal- oder ein Sportfahrwerk möchte, er kann mit einem Schalter am Armaturen-<br />
brett zwischen zwei Fahrwerkseinstellungen umschalten. Das Herzstück der Innovation ist das DampTronic ®<br />
select Ventil, das in einem sehr kompakten Bauraum zwei weitgehend unabhängig abstimmbare Dämpfkraft-<br />
kennlinien bereitstellt. Durch niedrige Bauteilkosten und geringen Integrationsaufwand konnten die System-<br />
kosten so stark reduziert werden, dass das System sogar für die Kompakt- und Kleinwagenklasse attraktiv ist.<br />
Inhalt / 09
10 /<br />
Tailored Tempering: Funktionale Bauteilherstellung mit<br />
temperierten Werkzeugsegmenten<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Tailored Tempering<br />
Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften<br />
für warmumgeformte Bauteile<br />
Dipl.-inG. sascHa siKora Projektleiter, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />
Dipl.-inG. JanKo BaniK Projektingenieur, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />
Dr.-inG. sTEpHané Graff Fachkoordinator, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />
Dipl.-inG. roBErT laurEnZ Fachkoordinator, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />
Dr.-inG. franZ-JosEf lEnZE Projektkoordinator Warmumformung, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />
In der Automobilindustrie sind in den letzten Jahren die Anforderungen im Hinblick auf<br />
die Crash-Eigenschaften und den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge aufgrund veränderter<br />
Randbedingungen konsequent gestiegen. Verfahren, wie das Presshärten von Mangan-<br />
Bor-Stählen, können einen wirtschaftlichen Beitrag zur Reduzierung des Karosserie-<br />
gewichtes bei optimierten Gebrauchseigenschaften leisten. Seitens ThyssenKrupp Steel<br />
Europe wurde das Presshärten durch eine zusätzliche Alternative weiterentwickelt. Bei dem<br />
neu entwickelten Verfahren, dem so genannten ’Tailored Tempering’ Prozess, kann durch<br />
eine gezielte Steuerung des Abkühlprozesses im Umformwerkzeug das gesamte Festigkeitsspektrum,<br />
den der Werkstoff Stahl bieten kann, ausgenutzt werden.<br />
Presshärten<br />
Im Spannungsfeld von Globalisierung, Kosteneffizienz<br />
und Emissionsschutz ermöglicht Stahl in der Karosseriefertigung<br />
vielfältige und neue Lösungsansätze. Die tempe-<br />
rierte Umformung, wie der Härtungsprozess, der in der<br />
Bauteilfertigung auch als Presshärten bezeichnet wird,<br />
bietet mit dem Stahlwerkstoff MBW ® 1500 die Möglichkeit,<br />
neue Potenziale für einen wirtschaftlichen Leichtbau zu<br />
realisieren. In der Automobilindustrie sind in den letzten<br />
Jahren die Anforderungen im Hinblick auf die Crash-<br />
Eigenschaften und den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge<br />
aufgrund veränderter Randbedingungen konsequent<br />
gestiegen. Um den gegenläufigen Zielen aus Sicherheits-<br />
aspekten und Fahrzeuggesamtgewicht gerecht zu werden,<br />
werden Leichtbaukonzepte mit innovativen Konstruktions-<br />
und Verfahrenstechniken entwickelt und umgesetzt.<br />
Verfahren wie das Presshärten von Mangan-Bor-<br />
Stählen können dazu beitragen, diese Anforderungen zu<br />
erfüllen. Durch eine geeignete Kombination von Fertigungs-<br />
/ 11<br />
technologien mit dem Werkstoff MBW ® 1500, lassen<br />
sich mit Hilfe des Härtens Zugfestigkeiten von bis zu<br />
1.600 MPa am fertigen Bauteil realisieren. Dieser Werkstoff<br />
wird im Karosseriebau z.B. für A- und B-Säulen, Dach-<br />
rahmen und Stirnwandquerträger eingesetzt. Die durch das<br />
Härten eingestellten maximalen Zugfestigkeiten ermöglichen<br />
eine Gewichtsreduzierung bei gleichzeitig hoher<br />
Crash-Sicherheit. Zudem lassen sich, im Vergleich zu<br />
hochfesten kaltumformbaren Werkstoffen, anspruchsvolle<br />
Geometrien mit einer guten Maß- und Formgenauigkeit<br />
ohne signifikante Rückfederung herstellen. Gegenüber der<br />
Kaltumformung von höchstfesten Werkstoffen lässt sich<br />
dabei der Werkstoff MBW ® 1500 aufgrund der zuvor durch-<br />
geführten Austenitisierung und den damit reduzierten<br />
Fließspannungen bei geringeren Presskräften umformen.<br />
Dies ist einer der wesentlichen Vorteile des Presshärtens.<br />
Generell ist die Warmumformung beziehungsweise das<br />
Presshärten ein weltweit etabliertes Verfahren zur Her-<br />
stellung von Karosseriestrukturbauteilen geworden.
12 / Tailored Tempering – Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften für warmumgeformte Bauteile<br />
Optimierungsansätze für gehärtete Strukturbauteile<br />
Parallel zu der bereits genannten Möglichkeit der hohen<br />
Festigkeitseinstellung durch das Härten des MBW ® 1500<br />
besteht derzeit großes Interesse seitens der Karosserieentwickler,<br />
eine lokale Festigkeitsreduzierung mit ver-<br />
besserten Restbruchdehnungswerten in einem Bauteil<br />
vorzunehmen. Dies resultiert aus den bei einer Bauteil-<br />
belastung auftretenden Spannungen und den damit<br />
verbundenen Verformungszuständen. Eine Verformung<br />
bzw. Deformation eines Karosseriebauteiles würde unter<br />
anderem durch die eingeleitete Energie bei einem<br />
Crash entstehen. Um für das gehärtete Bauteil mehr<br />
Verformungsreserve vorzuhalten, wird daher über eine<br />
lokale Verbesserung der Duktilität in Form erhöhter Restbruchdehnungswerte<br />
nachgedacht. Hierzu bestehen<br />
in der Warmumformung generell mehrere technologische<br />
Möglichkeiten. Allerdings müssen bei einer neuen<br />
Technologieauslegung auch die wirtschaftlichen Ferti-<br />
gungsaspekte berücksichtigt werden. Aus wirtschaftlicher<br />
Sicht bietet sich an, die Einstellung lokaler mechanischer<br />
Eigenschaften in den eigentlichen Presshärteprozess<br />
zu verlagern, um Fertigungsschritte einzusparen.<br />
ThyssenKrupp Steel Europe hat sich dieser Heraus-<br />
forderung gestellt und ein solches Verfahren zur<br />
gezielten lokalen Verbesserung der Duktilität unter<br />
Beachtung der wirtschaftlichen Randbedingungen ent-<br />
wickelt. Dabei wurde der Prozess für die so genannte<br />
direkte Warmumformung’ ausgelegt. Diese sieht nach<br />
der homogenen Austenitisierung der Formplatine eine<br />
Umformung dieser im Werkzeug vor. Dabei wird nur ein<br />
Umwandlungstemperatur [°C]<br />
1.000<br />
750<br />
500<br />
250<br />
0<br />
arbeitsbereich presshärten<br />
Bild 1 / ZTU-Digramm für den Werkstoff MBW ® 1500<br />
M<br />
einziger Umformschritt zur Herstellung von Karosserie-<br />
strukturbauteilen benötigt.<br />
Tailored Tempering Prozess<br />
Bei dem neu entwickelten ’Tailored Tempering’ Prozess,<br />
wird das gesamte Festigkeitsspektrum, das ein Werkstoff<br />
bieten, kann ausgenutzt. Werkstoffeigenschaften für<br />
moderne Stahlwerkstoffe werden zum einen durch die<br />
chemische Zusammensetzung und zum anderen durch<br />
eine intelligente Wärmebehandlungsstrategie eingestellt.<br />
Die dabei möglichen Gefügeumwandlungen werden<br />
anhand von Zeit-Temperatur Umwandlungsschaubildern<br />
(ZTU) dargestellt / Bild 1 /. Im Falle der Warmumformung<br />
des Werkstoffes MBW ® 1500 wurde die Nutzung<br />
dieses Werkstoffverhaltens gezielt in das Umformwerkzeug<br />
implementiert.<br />
Durch den Einsatz eines partiell beheizten Werkzeuges<br />
wird die Möglichkeit eröffnet, lokal eine langsamere<br />
Abkühlung des zuvor im Erwärmungsofen austenitisierten<br />
Werkstoffes zu erzielen. Während das Material im<br />
nicht beheizten Werkzeugsegment einer hohen Abkühlgeschwindigkeit<br />
unterworfen wird, sodass sich ein marten-<br />
sitisches Gefüge ausbildet, wird durch eine Verringerung<br />
der Abkühlgeschwindigkeit im beheizten Werkzeugsegment,<br />
je nach Prozessführung, ein ferritisch-<br />
perlitisches oder ferritisch-bainitisches Gefüge realisiert.<br />
Durch die martensitische Gefügeumwandlung wird eine<br />
Festigkeit von 1.500 MPa, durch die ferritisch-bainitische<br />
Gefügeumwandlung eine Festigkeit von 650 MPa erreicht.<br />
10 -1 10 0 10 1 10 2 10 3<br />
Sp<br />
Sp<br />
B<br />
35 70<br />
F<br />
40*<br />
Sp<br />
45<br />
70*<br />
25<br />
M<br />
P<br />
70*<br />
30*<br />
475 465 375 270 210 180 160<br />
2 4 6 8 2 4 6 8 2 4 6 8 2 4 6 8<br />
Abkühldauer t8/5 [s]<br />
arbeitsbereich Tailored Tempering<br />
Ac 3<br />
Ac 1<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Über die jeweils gewählte Werkzeugtemperatur lassen<br />
sich somit anforderungsgerechte mechanische Eigenschaften<br />
im Werkstoff und somit im Bauteil einstellen.<br />
Das resultierende Gefüge wird über die gewählten<br />
Abkühlgeschwindigkeiten eingestellt und indirekt durch<br />
die gewünschten mechanischen Eigenschaften am Bauteil<br />
bestimmt. Durch diesen abgestimmten Prozess ist es<br />
möglich, die Werkstoffeigenschaften sehr gezielt einzustellen<br />
und diese auch lokal zu begrenzen<br />
Technologische Umsetzung<br />
Im Rahmen des ThyssenKrupp Sonderforschungsprojektes<br />
InCar ® (siehe auch ThyssenKrupp techforum,<br />
Ausgabe 1/2011) wurden nach diesem Verfahren Bauteile<br />
aus MBW ® 1500 in einem seriennahen Versuchswerkzeug<br />
hergestellt. Eine innovative Lösung aus diesem Projekt<br />
ist die B-Säule, die unter anderem durch das Tailored<br />
Tempering Verfahren aus dem genannten Werkstoff hergestellt<br />
wurde. B-Säulen sind tragende Elemente und sicherheitsrelevante<br />
Bauteile der Fahrgastzelle. Die Vorgaben an<br />
die einzustellenden Festigkeiten dieses Bauteiles wurden<br />
zunächst anhand einer durchgeführten Crash-Simulation<br />
ermittelt. Dabei wurde die B-Säule unter anderem nach<br />
dem auftretenden Hauptlastfall aus dem IIHS-Test<br />
(Insurance Institute for Highway Safety) des Gesamtfahrzeuges<br />
ausgelegt. Aus den resultierenden Deformationsergebnissen<br />
wurde ersichtlich, dass im unteren Bereich<br />
der B-Säule Dehnungswerte von 15 % und Festigkeiten<br />
von 650 MPa zur Erfüllung der Crash-Anforderungen vorliegen<br />
müssen. Durch einen duktilen Fußbereich der<br />
FEM-Simulation Gefügeumwandlung<br />
Blechstärke<br />
2,5 mm<br />
Bild 2 / FEM-Simulation mit gekoppelter Gefügeumwandlung<br />
Übergangsbereich<br />
Tailored Tempering – Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften für warmumgeformte Bauteile / 13<br />
1.00<br />
0.95<br />
0.90<br />
0.85<br />
0.80.<br />
0.75<br />
0.70<br />
0.65<br />
0.60.<br />
0.55<br />
0.50<br />
0.45.<br />
0.40<br />
0.35<br />
0.30.<br />
0.25<br />
0.20<br />
0.15.<br />
0.10<br />
0.05<br />
0.00<br />
Martensitanteil<br />
1 = 100 %<br />
0 = 0 %<br />
B-Säule kann die kinetische Energie gezielt abgebaut<br />
werden, wobei der obere höchstfeste Bereich die benötigte<br />
Knicksicherheit bietet. Eine warmumgeformte B-Säule<br />
mit konstanten höchstfesten Eigenschaften hätte bei der<br />
gegebenen Geometrie die Crash-Anforderungen dieses<br />
Fahrzeuges nicht erfüllt.<br />
Zur Absicherung der generellen Machbarkeit aus<br />
umformtechnischer Sicht, wurde vor der Herstellung des<br />
Prototypenwerkzeuges eine thermomechanisch gekoppelte<br />
FEM-Simulation (Finite-Elemente-Methode) durchgeführt.<br />
Die theoretisch mit dem Tailored Tempering Verfahren<br />
einstellbaren mechanisch-technologischen Eigenschaften<br />
sind in Abhängigkeit der Abkühlhistorie vielfältig. Damit die<br />
mechanischen Eigenschaften von Bauteilen resultierend<br />
aus einem Tailored Tempering Umformprozess simulativ –<br />
ähnlich einer Machbarkeitsanalyse – abgeschätzt werden<br />
können, ist es demnach notwendig, ein genaues mathematisches<br />
Modell zur Abbildung von Gefügeumwandlungen<br />
anwenden zu können. ThyssenKrupp Steel Europe hat<br />
hierzu ein eigenes Programm zur mathematischen<br />
Beschreibung der Gefügeumwandlung entwickelt.<br />
Somit konnten erstmals für temperierte Werkzeuge<br />
auch die notwendigen Abkühlbedingungen und die daraus<br />
resultierenden Gefügeumwandlungen prognostiziert werden<br />
/ Bild 2 /. Aus den Simulationsergebnissen wurde ersichtlich,<br />
dass sich verfahrensbedingt ein Übergangsbereich<br />
zwischen weichem B-Säulenfuß und pressgehärtetem<br />
oberen B-Säulenbereich einstellen wird. Diese Ergebnisse<br />
dienten zur Auslegung der benötigten Werkzeugsegmente<br />
und als Prozessparameter für die Bauteilherstellung.<br />
1.00<br />
0.95<br />
0.90<br />
0.85<br />
0.80.<br />
0.75<br />
0.70<br />
0.65<br />
0.60.<br />
0.55<br />
0.50<br />
0.45.<br />
0.40<br />
0.35<br />
0.30.<br />
0.25<br />
0.20<br />
0.15.<br />
0.10<br />
0.05<br />
0.00<br />
Bainitanteil<br />
1 = 100 %<br />
0 = 0 %<br />
550<br />
525<br />
500<br />
475<br />
450<br />
425<br />
400<br />
375<br />
350<br />
325<br />
300<br />
275<br />
250<br />
225<br />
200<br />
175<br />
Härte [HV]
14 / Tailored Tempering – Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften für warmumgeformte Bauteile<br />
Bild 3 / Thermografie einer B-Säule im Tailored Tempering Verfahren<br />
Härte<br />
[HV5]<br />
500<br />
450<br />
400<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
übergangsbereich<br />
0<br />
-80 -60 -40 -20 0 20 40 60 80 [mm]<br />
abstand von der Trennebene temperiertes und kaltes werkzeugsegment<br />
übergangsbereich<br />
Bild 4 / Härteverlauf einer B-Säule aus dem Werkstoff MBW ® 1500, hergestellt nach dem Tailored Tempering Verfahren<br />
Temperature [°C]<br />
550<br />
20<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Bauteile mit Eigenschaftsprofil<br />
Resultierend aus der vorausgegangenen Crash-Simulation<br />
und der thermomechanisch gekoppelten FEM-Simulation,<br />
konnte die Lage der gekühlten bzw. der temperierten<br />
Werkzeugsegmente bestimmt werden. Mit diesen Anforderungen<br />
wurde daher ein seriennahes Werkzeug aufgebaut,<br />
das parallel aus wassergekühlten und elektrisch<br />
beheizten Segmenten besteht. Die notwendige Prozessüberwachung<br />
in der Warmumformung beziehungsweise<br />
beim Presshärten wird im Wesentlichen über die Thermografie<br />
ermöglicht. Auch bei der Herstellung der B-Säule<br />
wurde diese eingesetzt. Sie ermöglicht die Ermittlung der<br />
Wärmeverteilung und somit der Prozessstabilität innerhalb<br />
des Bauteiles.<br />
Anhand der Thermografie ist zu erkennen, dass die<br />
Abkühlgeschwindigkeit des Werkstoffes durch temperierte<br />
Werkzeugsegmente gezielt reduziert wurde / Bild 3 /.<br />
Im Bereich des B-Säulenfußes liegt nach dem Öffnen des<br />
Werkzeuges eine Temperatur > 550 °C vor, wobei der<br />
Bereich der oberen B-Säule bei circa 80 °C liegt. Zwischen<br />
den Temperaturbereichen ist ein stetiger Temperaturanstieg<br />
zu beobachten. Dies ergibt sich aus dem<br />
Verfahrensablauf, in dem Bereiche mit hohen und<br />
niedrigen Abkühlraten eng nebeneinander vorliegen. In den<br />
anschließenden Bauteiluntersuchungen wurde daher der<br />
Fokus auf die Ermittlung des Härteübergangsbereiches<br />
und der Maßhaltigkeit gelegt.<br />
Anhand der ermittelten Härtewerte kann nun ein<br />
Rückschluss auf die Größe des Übergangsbereiches gezogen<br />
werden bzw. ein Abgleich mit der FEM-Simulation<br />
erfolgen / Bild 4 /. Obwohl die Werkzeugsegmente mit den<br />
jeweils unterschiedlichen Temperaturen konstruktiv unter<br />
5 mm nebeneinander liegen, liegt der Härteübergangsbereich<br />
bei einer Größenordnung von 50 mm. Dabei<br />
liegt ein stetiger, nicht sprunghafter Härteanstieg vor.<br />
Neben den Härtewerten wurden weitere mechanischtechnologische<br />
Kennwerte in dem B-Säulenfuß und im<br />
oberen Bereich der B-Säule ermittelt. Die im duktilen<br />
Bereich ermittelten Festigkeiten liegen auf dem Niveau<br />
der zuvor in den Grundlagenuntersuchungen ermittelten<br />
Eigenschaften von 650 MPa.<br />
Aufgrund der nach der Umformung vorliegenden<br />
Temperaturgradienten im Bauteil wurden Untersuchungen<br />
hinsichtlich der Maßhaltigkeit aufgrund von Temperaturverzug<br />
durchgeführt. Hierzu wurde das beschnittene<br />
Bauteil mit der Sollgeometrie aus den CAD-Daten<br />
(Computer Aided Design) verglichen. In der Regel lag<br />
die Maßabweichung unterhalb von 1 mm. Dies ist für ein<br />
Tailored Tempering – Maßgeschneiderte Werkstoffeigenschaften für warmumgeformte Bauteile / 15<br />
Prototypenbauteil ein gutes Ergebnis, sodass auf weitere<br />
Optimierungsmaßnahmen verzichtet wurde. Durch eine<br />
Vorhaltung im Werkzeug können Maßabweichungen in<br />
einer späteren Serienfertigung kompensiert werden.<br />
Parallel zur Absicherung der benötigten Festigkeitskennwerte<br />
wurden auch fügetechnische Verarbeitungseigenschaften<br />
im Schweißlabor untersucht. Die durch das<br />
Tailored Tempering Verfahren eingestellten Festigkeitsbereiche<br />
ließen sich bezüglich der Breite des<br />
Schweißbereiches gut verarbeiten. Dabei liegen die<br />
Schweißbereiche der jeweiligen Festigkeitseigenschaften<br />
auf dem gleichen Schweißstromniveau. Dies liegt darin<br />
begründet, dass die Festigkeiten über den Verarbeitungsprozess<br />
eingestellt werden und nicht über eine<br />
Variation der chemischen Zusammensetzung. Anhand<br />
von Härteverläufen durch die Schweißlinse im<br />
B-Säulenfuß wurde ersichtlich, dass durch die Festigkeitsreduzierung<br />
die sonst beim MBW ® 1500 übliche<br />
Erweichungszone im Wärmeeinflussbereich entfällt. Für das<br />
Bauteil ergeben sich daraus weitere Vorteile für die<br />
späteren Gebrauchseigenschaften an den Fügestellen,<br />
wie zum Beispiel durch ein erhöhtes Energieaufnahmevermögen<br />
im Schweißpunkt. Ein weiterer Vorteil dieses<br />
Verfahrens besteht darin, dass in den Tailored Tempering<br />
Bereichen ein entsprechendes Anwendungspotenzial<br />
für mechanische Fügeverfahren, wie zum Beispiel das<br />
Clinchen, besteht.<br />
Fazit<br />
Wie in der durchgeführten Forschungsarbeit dargestellt<br />
wurde, kann durch eine Anhebung der Werkzeugtemperatur<br />
und der damit verbundenen Reduzierung der Abkühlgeschwindigkeit<br />
eines zuvor homogen austenitisierten<br />
Werkstoffes MBW ® 1500 die Festigkeit analog zur Härte<br />
eingestellt werden. Bei entsprechender Werkzeugtemperatur<br />
können somit die Duktilitätseigenschaften gezielt<br />
erhöht werden. Diese Tatsache trägt dazu bei, lokale<br />
Festigkeitseigenschaften in warmumgeformten Bauteilen<br />
zu realisieren. Dies wurde am Beispiel einer B-Säule nachgewiesen.<br />
Durch die lokale Anpassung der Gefügestruktur<br />
und somit der Festigkeiten, kann das Versagensverhalten<br />
crash-relevanter Strukturbauteile positiv beeinflusst<br />
werden. Daher wird das entwickelte Tailored Tempering<br />
Verfahren aufgrund der positiven Ergebnisse hinsichtlich<br />
der Werkstoffeigenschaften und der Wirtschaftlichkeit<br />
zeitnah zur Herstellung von B-Säulen in der Großserienfertigung<br />
umgesetzt.
16 /<br />
PLADUR ® Antikondensat für eine trockene Innenraumgestaltung<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
PLADUR ®<br />
Funktionale Oberfläche für<br />
trockene Innenraumgestaltung<br />
ThyssenKrupp Steel Europe hat gemeinsam mit einem Lackhersteller als<br />
erster Bandbeschichter in Europa ein wasserabsorbierendes Coil Coating<br />
Lacksystem für Stahloberflächen entwickelt: PLADUR ® Antikondensat<br />
kommt im Baubereich zum Einsatz und ist ein kosteneffizientes Alternativprodukt<br />
zur konventionell verwandten Vliesfolie. Das Beschichtungs-<br />
system kann ohne Zusatzinvest auf den bestehenden Bandbeschichtungsanlagen<br />
(BBA) von ThyssenKrupp Steel Europe produziert werden.<br />
Der Zwei-Schichtaufbau aus Korrosionsschutzprimer und funktionalem<br />
Decklack wurde für Industrie- und Nutzgebäude mit ungedämmten<br />
Dächern und Wänden entwickelt. Die Antikondensatfunktion verhindert<br />
wirkungsvoll die Bildung von Schimmelpilzen durch Feuchtigkeit und<br />
schützt Menschen, Waren und Maschinen vor gesundheitlichen bzw.<br />
wirtschaftlichen Schäden. Das innovative Beschichtungssystem wurde<br />
bereits erfolgreich in den Markt eingeführt und bietet den Kunden neben<br />
Kostenvorteilen architektonische Gestaltungsfreiheit, da PLADUR ®<br />
Antikondensat unabhängig vom Neigungswinkel und farbvariabel verbaut<br />
werden kann.<br />
/ 17<br />
Antikondensat<br />
BEaTE fuGMann Projektingenieurin Entw. Flacherzeugnisse, GE Color Constr. ThyssenKrupp steel Europe aG Eichen<br />
Dr. rEr. naT. BETTina wErnEr Teaml. Entw. Flacherzeugnisse, GE Color Constr. ThyssenKrupp steel Europe aG Eichen<br />
Dipl.-inG. ralf wiTTKowsKi Teamkoord. Produktion Siegerland, GE Color Constr. ThyssenKrupp steel Europe aG Eichen<br />
Dipl.-inG. axEl poHl Teamleiter Vertrieb Flacherzeugnisse, GE Color Constr. ThyssenKrupp steel Europe aG Eichen<br />
Dipl.-inG. rEinHarD TäGEr Geschäftsleitung, GE Color Constr. ThyssenKrupp steel Europe aG Eichen
18 / PLADUR ® Antikondensat – Funktionale Oberfläche für trockene Innenraumgestaltung<br />
Hintergrund<br />
Lagerhallen, Produktionsstätten, Sporthallen, landwirtschaftliche<br />
Betriebsgebäude, Stallungen, Reithallen und<br />
Unterstellplätze für Maschinen und Fahrzeuge werden<br />
oft aus einschaligen, nicht wärmegedämmten Dachund<br />
Wandelementen gebaut. Aufgrund von Temperaturdifferenzen<br />
zwischen kalter Gebäudeaußenseite und<br />
warmer Innenseite (sog. Kältebrücken) bildet sich an den<br />
Innenflächen von Dach und Wand häufig Kondenswasser.<br />
Gerade bei Flachdächern, wie sie im Industriebau üblich<br />
sind, kommt es an Staustellen oder auch großflächig zu<br />
unkontrollierbarem Heruntertropfen von Wasser. Um zu verhindern,<br />
dass Wasser auf Lagergut, Tiere oder Menschen<br />
tropft bzw. dass sich gefährliche Schimmelpilze an Feuchtstellen<br />
bilden, können die ungedämmten Elemente mit<br />
einer wasserabsorbierenden Vliesfolie versehen werden.<br />
Aufgrund von Kapillarwirkung lagert sie Feuchtigkeit ein,<br />
die Wasseraufnahmefähigkeit ist allerdings abhängig vom<br />
Verbauungswinkel. Materialbedingt sind Vliesfolien nur<br />
in einem einheitlichen grau lieferbar und neigen aufgrund<br />
der rauen Oberfläche zu sichtbaren Verschmutzungen.<br />
Um Architekten und Bauherren mehr Gestaltungsfreiraum<br />
im Industrie- und Nutzhallenbau zu ermöglichen,<br />
entwickelte ThyssenKrupp Steel Europe in enger<br />
Zusammenarbeit mit den Kunden ein funktionales<br />
Beschichtungssystem mit der Bezeichnung ’PLADUR ®<br />
Bild 1 / Bandbeschichtungsprozess für PLADUR ® Antikondensat<br />
Antikondensat’. Dieses bandbeschichtungsfähige Alternativprodukt<br />
zur Vliesfolie weist adäquate Absorptions-<br />
und Desorptionseigenschaften auf und hat eine glatte,<br />
hochwertige Optik. Das lackierte Produkt ist preislich<br />
attraktiv, variabel einsetzbar und kann je nach Kundenwunsch<br />
auch farbig gestaltet werden.<br />
Entwicklung und Applikation von PLADUR ®<br />
Antikondensat<br />
Das Produkt PLADUR ® Antikondensat wurde auf dem<br />
Substrat ZM EcoProtect ® (ZM = Zink-Magnesium) entwickelt<br />
und besteht aus einem Zwei-Schichtaufbau. Der Beschichtungsprozess<br />
ist im / Bild 1 / dargestellt.<br />
Nach der Applikation einer Cr- und Co-freien Vorbehandlung<br />
wird im ersten Coater-Schritt ein Primer aufgebracht<br />
und anschließend thermisch vernetzt. Der Primer<br />
schützt Fläche und Schnittkanten im Endprodukt vor<br />
Korrosion. Besonders wichtig ist die Optimierung der<br />
Primer-Eigenschaften bzgl. Substrathaftung, Haftung zum<br />
Decklack, Wasserdiffusion und -einlagerung im Hinblick<br />
auf die spätere Feuchteanwendung im verbauten Zustand.<br />
Nach dem Auslauf aus dem Primer-Ofen wird der<br />
funktionale Decklack appliziert. Die wasserabsorbierende<br />
Wirkung wird durch das Einbringen von funktionalen<br />
Mikropartikeln in die Beschichtung erreicht. Durch die<br />
richtige Temperaturführung im Decklackofen können<br />
Bandvorbehandlung<br />
Primer-Ofen<br />
Primer-Coater<br />
Decklack-Ofen<br />
Decklack-Coater<br />
PLADUR ® Antikondensat<br />
Intelligente Kühlung<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 2 / Profilierwerk Eichen: Rollformung eines mit PLADUR ® Antikondensat beschichteten,<br />
lackierten Stahlbleches zu einem Trapezprofil<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
sich die Partikel in der Lackoberfläche anreichern und<br />
werden durch das vernetzende Bindemittel fest in den<br />
Verbund eingebaut. Nach Durchlaufen des Decklackofens<br />
wird das heiße, beschichtete Stahlband wassergekühlt.<br />
Eine spezielle Kühleinrichtung und eine intelligente Anlagen-<br />
führung sorgen dafür, dass beim Aufhaspeln keine<br />
Feuchtigkeit in das Stahlband eingewickelt wird.<br />
Verarbeitung von PLADUR ® Antikondensat<br />
Durch den Einsatz von PLADUR ® Antikondensat als Ersatz<br />
für Vliesfolie kann in der werksinternen Verarbeitung des<br />
Coils zu einem einschaligen Bauelement Zeit und Geld<br />
gespart werden. Bei Verwendung eines Vliesfolien-<br />
produktes muss das ca. 1 mm dicke Folienfell nach dem<br />
Bandbeschichtungsprozess an einem weiteren Aggregat<br />
aufgeklebt werden. Dieser zusätzliche Arbeitsschritt<br />
kann durch die direkte Aufbringung der Funktionsschicht<br />
in der Bandbeschichtungsanlage vermieden werden. Das<br />
organisch veredelte Coil wird dem Bauteilwerk mit seinen<br />
Profilierungsanlagen direkt zugeführt und dort zum<br />
gewünschten Endprodukt umgeformt. Die / Bilder 2 und 3 /<br />
zeigen den Profiliervorgang eines beidseitig beschichteten<br />
Stahlbleches zu einem Trapezprofil.<br />
PLADUR ® Antikondensat – Funktionale Oberfläche für trockene Innenraumgestaltung / 19<br />
Bild 3 / Stapellagerung der profilierten Trapezprofile<br />
Blechunterseite: weiße PLADUR ® Antikondensat-Beschichtung für die Gebäudeinnenseite;<br />
Blechoberseite: bandlackierte graue PLADUR ® -Beschichtung in RAL 9002 (normiert durch<br />
RAL gGmbH) für die Gebäudeaußenseite<br />
Die innen (d.h. unten) liegende Antikondensatbeschich-<br />
tung lässt sich ohne zusätzliche Schutzfolie riss- und abdruckfrei<br />
umformen und stapeln. Neben der Zeit- und<br />
Kostenersparnis ergibt sich ein weiterer Vorteil: der Lack-<br />
film ist mit einer Gesamtschichtdicke von ca. 40 µm wesentlich<br />
dünner als die Vliesfolie. Dadurch können größere<br />
Banddicken profiliert und kleinere Umformradien ohne<br />
Oberflächenbeschädigung realisiert werden. Das fertige<br />
Bauteil weist eine im Vergleich zum Vliesfolienprodukt<br />
hochwertigere, glattere Anmutung auf.<br />
Eigenschaften von PLADUR ® Antikondensat<br />
Ziel der Entwicklung war es, ein zu handelsüblicher Vlies-<br />
folie gleichwertiges Antikondensatprodukt mit einer funktionalen<br />
Lackbeschichtung zu realisieren. Die Grafik im<br />
/ Bild 4 / zeigt das Absorptionsverhalten der Beschichtung<br />
im Vergleich zu einem kommerziellen Vliesfolienprodukt.<br />
Im sog. Konstantklima-Test werden bei 40 °C und 100 %<br />
Luftfeuchtigkeit die Lackoberfläche und die Vliesfolie in<br />
einem Neigungswinkel von 90° über einen Zeitraum von<br />
168 h mit Feuchtigkeit beladen. In den ersten 24 Stunden<br />
zeigen Lack- und Folienprodukt ein ähnliches Wasserauf-<br />
nahmeverhalten. Danach trennen sich die Kurven, die
20 / PLADUR ® Antikondensat – Funktionale Oberfläche für trockene Innenraumgestaltung<br />
[g/m 2 ]<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
0<br />
PLADUR ® Antikondensat<br />
Bild 4 / Vergleich der Wasseraufnahme im Konstantklima-Test (40 °C,<br />
100 % Luftfeuchtigkeit) bei einem Neigungswinkel von 90° zwischen einer<br />
handelsüblichen Vliesfolie und PLADUR ® Antikondensat über eine Testdauer<br />
von 168 h<br />
Wasserabsorption der Vliesfolie bleibt mit ca. 280 g/m 2<br />
konstant, während die Feuchteabsorption von PLADUR ®<br />
Antikondensat weiter bis auf ca. 500 g/m 2 ansteigt. Die<br />
Lackoberfläche erreicht ihr Sättigungsplateau nach 120<br />
Stunden, die Menge an aufgenommenem Wasser ist mit<br />
ca. 500 g/m 2 fast doppelt so hoch wie bei der hier getesteten<br />
Vliesfolie.<br />
Bzgl. der Wasserabgabe verhalten sich beide Oberflächen<br />
annähernd gleich: bei der notwendigen ausreichenden<br />
Belüftung gibt sowohl die Vliesfolie als auch die<br />
Antikondensat-Beschichtung die absorbierte Feuchtigkeit<br />
innerhalb von 4 Stunden wieder ab. / Bild 5 / verdeutlicht<br />
dies.<br />
Durch die Applikation eines optimierten Zwei-Schichtaufbaus<br />
kann das Produkt auch in korrosiver Umgebung,<br />
wie z.B. in landwirtschaftlichen Betrieben, eingesetzt<br />
werden. Der Korrosionsschutz der Stahlbauteile bleibt nachhaltig<br />
gewahrt.<br />
[h]<br />
Vlies<br />
1 2 3 4 5 6 24 48 120 144 168<br />
Bild 6 / Dacheindeckung einer Industriehalle mit PLADUR ® Antikondensat, Bauvorhaben Leipheim<br />
[g/m 2 ]<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
0<br />
PLADUR ® Antikondensat<br />
Vlies<br />
0 1 2 3 4 5<br />
[h]<br />
Bild 5 / Vergleich der Wasserabgabe nach Lagerung bei Normklima<br />
(20 °C, 55 % Luftfeuchtigkeit) bei einem Neigungswinkel von 90°<br />
zwischen einer handelsüblichen Vliesfolie und PLADUR ® Antikondensat<br />
über eine Testdauer von 5 h<br />
Physikalisch betrachtet ist die Neuentwicklung PLADUR ®<br />
Antikondensat dem konventionell eingesetzten Vliesprodukt<br />
überlegen. Ebenso verhält es sich auch im<br />
Hinblick auf Herstellkosten und -dauer. Gegenüber dem<br />
Vliesfolienprodukt kann ein Preisvorteil realisiert werden –<br />
ein wertvoller Faktor im hart umkämpften einschaligen<br />
Industriebau. Darüber hinaus ist das beschichtete Produkt<br />
universell einsetzbar. Durch seine Fähigkeit, Wasser in<br />
jeder Winkellage in den funktionalen Mikropartikeln zu<br />
speichern, ist der Einsatz von PLADUR ® Antikondensat<br />
nicht vom Neigungswinkel abhängig. Das Produkt kann<br />
daher in Steildächern, Flachdächern und in der Wand eingesetzt<br />
werden. Neben den technischen und wirtschaftlichen<br />
Vorteilen bietet PLADUR ® Antikondensat aber noch<br />
mehr: die glatte, weiße Oberfläche verleiht dem Produkt<br />
eine hochwertige Anmutung und reflektiert viel Licht,<br />
sodass eine helle, freundliche Arbeitsumgebung entsteht.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 7 / Farbige Parkdeckgestaltung mittels Additivdecke, Parkhaus des Rijnstate Hospital in Arnheim/Niederlande<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Fazit und Ausblick<br />
Mit PLADUR ® Antikondensat konnte ein innovatives,<br />
hochwertig anmutendes und universell einsetzbares<br />
Beschichtungssystem für den Einsatz in ungedämmten<br />
Industriegebäuden, wie Lagerhallen, Ställen etc., ent-<br />
wickelt werden. Das Beschichtungssystem verhindert<br />
wirkungsvoll und nachhaltig die Bildung von Schimmelpilzen<br />
bzw. das Ablaufen oder Heruntertropfen von<br />
Kondensat. Neben den physikalischen Vorteilen, wie dem<br />
höheren Wasserabsorptionsvermögen und dem individuell<br />
anpassbaren Korrosionsschutz, ermöglicht die Coil-<br />
Coating-Oberfläche einen kosten- und zeitoptimierten<br />
Herstellungsprozess und eine verbesserte Verarbeitbarkeit<br />
auf den Profilieranlagen. Durch die Reduzierung der<br />
Gesamtschichtdicke auf 40 µm lässt sich das Stahlprodukt<br />
mit engeren Radien umformen und kann dadurch z.B.<br />
auch in tragenden Bauteilen eingesetzt werden.<br />
PLADUR ® Antikondensat – Funktionale Oberfläche für trockene Innenraumgestaltung / 21<br />
Der Verbau unabhängig vom Neigungswinkel bietet<br />
Architekten viel Gestaltungsspielraum und eröffnet neue<br />
Märkte für ThyssenKrupp Steel Europe. Das Produkt<br />
PLADUR ® Antikondensat konnte innerhalb kurzer Zeit zur<br />
Serienreife gebracht und im Markt platziert werden. Erste<br />
Bauobjekte mit Kunden sind bereits realisiert / Bild 6 /.<br />
Im nächsten Schritt soll eine Weiterentwicklung<br />
bzw. Portfolio-Erweiterung bei PLADUR ® Antikondensat<br />
erfolgen: Durch Einbau von Farbstoffen in den Decklack<br />
oder durch Integration einer farbgebenden Schicht<br />
zwischen Primer und Decklack soll die Endoberfläche noch<br />
individueller gestaltet werden. Dabei werden RAL-Farbtöne<br />
(normiert durch RAL gGmbH) von transluzent bis deckend<br />
darstellbar. Dies ermöglicht den Architekten zusätzliche<br />
Gestaltungsspielräume und eröffnet weitere Märkte für<br />
<strong>Thyssenkrupp</strong> Steel Europe, wie z.B. die Produkteinführung<br />
im Bereich Additivdecke für Parkhäuser / Bild 7 /.
22 /<br />
Ästhetische Stahlhaut für Industriegebäude:<br />
Eine Industriefassade von ThyssenKrupp Steel nutzt die Sonnenenergie.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Solabs ® 2<br />
Regenerative Energiegewinnung durch solaraktives<br />
Fassadenmodul für den Industrie- und Gewerbebau<br />
Dr. rEr. naT. roMan Glass Senior Expert Neue Oberflächentechnologien u. Pilotfertigung, FuE ThyssenKrupp steel Europe aG Dortmund<br />
Dipl.-inG. anDrEas liTZKow Qualitätsmanagement ThyssenKrupp Bausysteme GmbH Lübeck<br />
Dr.-inG. lars pfEiffEr Teamkoordinator Qualität u. Entwicklung Geschäftseinheit Color/Construction ThyssenKrupp steel Europe aG Kreuztal<br />
Dr. rEr. naT. BETTina wErnEr Teamleiterin Entwicklung Flach Geschäftseinheit Color/Construction ThyssenKrupp steel Europe aG Kreuztal<br />
ThyssenKrupp Steel Europe hat zusammen mit den<br />
Tochtergesellschaften der Geschäftseinheit Color/<br />
Construction ein neues Sandwich-Fassadenmodul<br />
entwickelt, das zur Wärmeenergie-Bereitstellung in<br />
Gewerbe- und Industriegebäuden verwendet werden<br />
kann. Das Solabs ® 2-Fassadenmodul ist analog<br />
einem Standardmodul aufgebaut und besteht<br />
aus einem Dämmkern mit beidseitig schubsteif<br />
verbundenem, bandlackiertem Qualitätsstahl. Die<br />
Farbe für die Außenseite des Fassadenmodules<br />
ist so gewählt, dass ein hoher Absorptionsgrad<br />
der Sonnenstrahlung und damit ein hoher Energie-<br />
eintrag erreicht wird. In den Dämmkern ist zusätzlich<br />
ein Rohrleitungssystem eingebracht, das mit der<br />
Fassadenaußenseite verbunden ist, sodass die auftreffende<br />
Solarstrahlung in Form von Wärme genutzt<br />
werden kann. Gemeinsam mit einem Kunden, einem<br />
Architekten und einem Systempartner wird aktuell<br />
ein Referenzgebäude unter Verwendung von solchen<br />
Modulen errichtet. Nach erfolgreichem Abschluss des<br />
Projektes wird eine Markteinführung des solaraktiven<br />
Fassadenmodules angestrebt.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
/ 23<br />
Hintergrund<br />
Die Einsparung von Energie sowie deren effizientere Nutzung sind seit<br />
einigen Jahren – vor dem Hintergrund des anstehenden Klimawandels<br />
und der erhöhten weltweiten Nachfrage nach Energie – stark in der<br />
Diskussion. Die geforderte Reduktion des CO 2-Ausstoßes zum einen<br />
und der Kostensenkungsdruck für die Bereitstellung von Energie<br />
zum anderen veranlasst auch Kunden, beim Bau von Gewerbe- und<br />
Industriegebäuden nach alternativen Konzepten und Produkten zu<br />
suchen, um jetzt und auch in Zukunft diesen Herausforderungen gerecht<br />
zu werden. Neben den bereits genannten Maßnahmen, wie Einsparung<br />
und effizientere Nutzung, kann als weiterer Baustein die lokale, regenerative<br />
Energiegewinnung und -bereitstellung gesehen werden.<br />
Die Sandwich-Bauprodukte der Geschäftseinheit Color/Construction<br />
übertreffen – je nach Dämmdicke – heute schon Dämmstandards und<br />
werden auch zukünftig bei der Einsparung von Energie im Gewerbe-<br />
und Industriebau als wichtiger Baustein gesehen.<br />
Die konsequente Weiterentwicklung dieser Sandwich-Produkte<br />
und deren Modifikation hin zur Energiegewinnung sind zur Bewältigung<br />
der erwähnten Herausforderungen ein bedeutendes Mittel. Die Gebäud-<br />
ehülle wird somit – neben der Erfüllung der Dämmstandards – auch<br />
als Energielieferant fungieren können. Die Solarthermie, also die Um-<br />
wandlung der solaren Strahlung in Wärmeenergie, ist eine Möglichkeit<br />
der regenerativen Energiebereitstellung.<br />
Ein weiteres Kriterium für ein derartiges Sandwichprodukt sind die<br />
Anforderungen, die sich unter dem Stichwort „architektonische Integration“<br />
zusammenfassen lassen. Die Nutzung der Gebäudehülle als<br />
Energielieferant sollte augenscheinlich derart sein, dass die optischen<br />
Anforderungen von Bauherren und Architekten getroffen werden.<br />
Das von der Geschäftseinheit Color/Construction koordinierte und<br />
unter dem Arbeitstitel ’Solabs ® 2’ aktuell laufende Projekt ist ein Beispiel<br />
für eine sehr gute interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener interner<br />
und externer Partner. Ziel der Produktentwicklung war es, in einem<br />
ersten Schritt die Funktion der Solarthermie in ein bereits bestehendes<br />
Fassadenmodul zu integrieren. Hierzu wurden zunächst unterschiedliche<br />
Vor-Prototypen mit variabler Materialauswahl durch die Forschungs- und<br />
Entwicklungsabteilung von ThyssenKrupp Steel Europe erstellt und<br />
hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit an einem unabhängigen, externen<br />
Institut vermessen. Im Anschluss wurden die gewonnenen Erkenntnisse<br />
erfolgreich in einen Prototyp umgesetzt, der in einer Kleinserie bei<br />
der Tochtergesellschaft Isocab N.V. in Belgien diskontinuierlich hergestellt<br />
wurde.
24 / Solabs ® 2 – Regenerative Energiegewinnung durch solaraktives Fassadenmodul für den Industrie- und Gewerbebau<br />
Diese Kleinserie der solaraktiven Module wird Bestandteil eines<br />
Gebäudeversorgungssystems sein. Die Erprobung wird aktuell durch<br />
die Erstellung und den Betrieb eines Referenzgebäudes mit einem<br />
Zielkunden und Systempartner vollzogen. In einem letzten Schritt werden<br />
die Erkenntnisse und gewonnenen Daten dazu genutzt werden, den<br />
optimalen Kundennutzen in diesem komplexen Szenario zu ermitteln.<br />
Hieraus leitet sich dann das weitere Vorgehen ab.<br />
Vom Fassadenelement zum Absorber<br />
Ein klassisches Sandwich-Fassadenelement besteht aus einer<br />
Außen- und Innenschale, die in der Regel jeweils aus bandlackiertem<br />
Qualitätsstahl hergestellt sind und einen Dämmkern umschließen. Die<br />
Außenseite kann – je nach Anforderung – entsprechend profiliert sein.<br />
In / Bild 1 / ist ein Sandwichprodukt in Form einer Explosionszeichnung<br />
dargestellt.<br />
Um die Energie, die durch die solare Strahlung auf der Gebäudehülle<br />
platziert wird, optimal zu absorbieren, ist es notwendig, den Lack der<br />
Außenschale mit einem möglichst hohen Absorptionskoeffizienten<br />
zu wählen. Klassischerweise zeigen die dunklen Farbtöne – je nach<br />
Pigmentierung des Lackes – einen hohen Absorptionswert. In / Bild 2 /<br />
ist das solare Spektrum als orange Kurve dargestellt, wobei die<br />
Wellenlänge und die Intensität (linke Ordinatenachse) aufgetragen sind.<br />
Für den gewählten Farbton ist die Absorption (rechte Ordinatenachse,<br />
invers) über der Wellenlänge aufgetragen. Dabei gilt: Je höher der<br />
Absorptionskoeffizient, desto besser der Eintrag der Sonnenenergie<br />
in die Oberfläche. Das hier verwendete Lacksystem hat eine solare<br />
Absorption > 90 % und erscheint anthrazitgrau, also ein Farbton, der im<br />
Industrie und Gewerbebau gerne eingesetzt wird.<br />
Die Energie, die in die Oberfläche eingebracht wird, wird nun über<br />
ein mit einem Wärmeträgermedium gefülltes Rohrleitungssystem abgeführt.<br />
Das Rohrleitungssystem steht in Kontakt mit der Außenschale,<br />
sodass die Wärme, die zunächst auf die Außenschale einwirkt, über<br />
die Verbindung zwischen Außenschale und Rohr, abgeführt werden<br />
kann. In / Bild 3 / ist der prinzipielle Aufbau des Fassadenmodules als<br />
Explosionszeichnung dargestellt.<br />
Bild 1 / Explosionszeichnung eines Sandwichproduktes<br />
Innenschale<br />
Dämmkern<br />
Außenschale<br />
Das Herausführen des Rohrleitungssystems auf der Rückseite des<br />
Fassadenmoduls hat den Vorteil, dass das Element an unterschiedlichen<br />
Positionen einer Fassade platziert werden kann. So kann es<br />
aufgrund der dunklen Farbgebung als gestalterisches Element für das<br />
Fassadenerscheinungsbild genutzt werden. Augenscheinlich lassen sich<br />
zudem die solaraktiven von den solarinaktiven Elementen bei gleicher<br />
Farbgebung und Oberfläche nicht unterscheiden, sodass für den<br />
Betrachter die Fassade das gewohnte Erscheinungsbild zeigt.<br />
Neben dem gestalterischen Aspekt kann es auch notwendig<br />
sein, die Elemente aufgrund ungünstiger Umgebungsverhältnisse,<br />
z.B. Verschattung durch angrenzende Gebäude, an optimalen Stellen<br />
zu positionieren. Das Element bietet mit diesem Aufbau eine gute<br />
Möglichkeit des individuellen Einsatzes hinsichtlich der Position in der<br />
Fassade. Dabei wird das Modul auch dem gestalterischen Anspruch von<br />
Kunden und Architekten gerecht.<br />
Der Energieeintrag durch die Sonne kann je nach Wetterlage und<br />
in Abhängigkeit der geographischen Lage beträchtlich sein. Auch<br />
diffuse Strahlung erzeugt bereits einen signifikanten Eintrag, sodass<br />
das Fassadenmodul nicht ausschließlich auf die Direktstrahlung angewiesen<br />
ist. Dies bedeutet, dass auch an bedeckten Tagen Energie<br />
zur Verfügung steht. In / Bild 4 / ist beispielhaft eine Thermographie-<br />
Aufnahme eines solaraktiven Fassadenelementes im stationären<br />
Zustand durch Eintrag diffuser Strahlung gezeigt (das Element ist nicht<br />
in Betrieb, die Energie an der Oberfläche wird nicht abgeführt).<br />
Vielfältige Kombinationsmöglichkeiten<br />
Um die Energie der Fassadenoberfläche zu nutzen, ist es notwendig,<br />
die solaraktiven Fassadenmodule in eine Systemtechnik einzubinden.<br />
So sind theoretisch zwei Anwendungs-Szenarien denkbar:<br />
Brauchwasservorwärmung oder Heizungsunterstützung. Die Fassade<br />
ist jedoch aufgrund des Sonnenstandes in den Wintermonaten deutlich<br />
besser geeignet für eine Heizungsunterstützung, auch vor dem<br />
Hintergrund, dass Gewerbe- und Industriegebäudedächer in der Regel<br />
einen geringen Neigungswinkel haben. Neben der oben beschriebenen<br />
architektonischen Integration in die Fassade muss nicht über eine nach-<br />
Intensität Solarstrahlung<br />
1<br />
0<br />
Solarspektrum<br />
Lacksystem<br />
Außenschale<br />
0,4 2,5<br />
Wellenlänge [µm]<br />
Bild 2 / Normiertes solares Spektrum (orange) und wellenlängenabhängige<br />
Absorptionseigenschaften des verwendeten Lacksystems (blau)<br />
Absorption<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
0<br />
1
Außenschale Außenschale<br />
Innenschale<br />
Dämmkern<br />
Rohre<br />
Bild 3 / Explosionszeichnungen des solaraktiven Fassadenmodules aus zwei Blickrichtungen; Bestandteile: Außen- und Innenschalen, ein Schaum-Dämmkern<br />
sowie ein Rohrsystem, das zur Innenseite hin herausgeführt wird (rechtes Bild)<br />
trägliche Aufständerung an der Fassade nachgedacht werden, da das<br />
Modul Absorber- und Fassadenfunktionalität umfasst.<br />
Zur Erzielung eines Best-Customer-Value ist die Systemtechnik<br />
hinsichtlich der geplanten Anwendung im Gebäude nach Maßgabe der<br />
geographischen Gegebenheiten und entsprechend der Kundenwünsche<br />
individuell auszulegen. / Bild 5 / zeigt eine mögliche Systemintegration.<br />
Das präferierte System zeigt die Kombination der solaraktiven Fassade<br />
mit einem Wärmepumpensystem zur Heizungsunterstützung, wobei die<br />
Fassade als Energielieferant für das System dienen wird.<br />
Bild 4 / Wärmebildaufnahme eines in Kleinserie gefertigten Modules (links),<br />
Nahaufnahme der profilierten Moduloberfläche (rechts)<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
45 °C<br />
10 °C<br />
Innenschale<br />
Dämmkern<br />
Rohre<br />
/ 25<br />
Referenzgebäude<br />
Der Kunde, der mit ThyssenKrupp Steel Europe gemeinsam das<br />
Referenzobjekt umsetzt, möchte eine nachhaltige und umweltschonende<br />
Energieversorgung seines Gebäudes. Bei dem Gebäude handelt<br />
es sich um ein Vertriebsbüro mit Logistikhalle. Die Fassade hat eine<br />
Dämmdicke von 170 mm, im Dach 220 mm, das Gebäude erreicht<br />
somit einen sehr hohen Dämmstandard. Zusätzlich wird die Fassade<br />
dazu genutzt werden, mit Hilfe einer Wärmepumpe sowohl das Büro<br />
als auch die Logistikhalle mit Wärme zu versorgen. Die Logistikhalle hat
26 / Solabs ® 2 – Regenerative Energiegewinnung durch solaraktives Fassadenmodul für den Industrie- und Gewerbebau<br />
Sonne<br />
Fassade<br />
Heizung<br />
Pumpe<br />
Lastenprofil<br />
Rohre<br />
Speicher Erdsonde<br />
Wärmepumpe<br />
Lage<br />
Bild 5 / Auswahl an Kombinationsmöglichkeiten zur Erreichung der besten Performance<br />
und des Best-Customer-Value: Die Fassade dient als Energiequelle (orange eingefärbte<br />
Bereiche). Zur Planung einer Halle sind die geographische Lage sowie die Ausrichtung<br />
des Gebäudes zu berücksichtigen. In Abhängigkeit des Energielastprofiles wird die<br />
Anlage konfektioniert. Je nach Kundenwunsch wird die Anlage zusammengestellt.<br />
eine Grundfläche von 20 x 20 m und das Büro ist zweistöckig mit einer<br />
Grundfläche von etwa 10 x 10 m ausgelegt. West- und Ostfassade sind<br />
mit insgesamt 46 solaraktiven Fassadenmodulen ausgestattet. Dies<br />
entspricht einer Absorberfläche von etwa 220 m 2 . Bei der Nordfassade<br />
ist das Rohrleitungssystem mit der Innenschale des Sandwichproduktes<br />
verbunden, sodass hier 23 Module als Flächenheizung genutzt werden,<br />
um die Logistikhalle zu temperieren. In / Bild 6 / sind die wichtigsten<br />
Fakten dargestellt. Das Bürogebäude wird mit konventionellen<br />
Heizkörpern temperiert. Gemeinsam mit Partnern aus den Bereichen<br />
Installations-, Regelungs-, Versorgungs-, und Gebäudeleittechnik wurde<br />
ein Anlagen- und Regelungskonzept erarbeitet, das zum einen die<br />
Versorgungssicherheit für den Kunden gewährleisten soll und zum anderen<br />
die Möglichkeit bietet, entsprechende Parameter, Betriebszustände<br />
und Einstellungen zu verfolgen und zu modifizieren.<br />
Das Referenzgebäude wurde in enger Zusammenarbeit mit dem<br />
Kunden, dem Architekten, dem Systempartner und der Installationsfirma<br />
im Zeitraum September bis Dezember 2011 erstellt. / Bild 7 / zeigt<br />
das Innere der Vertriebshalle vor dem Erstbezug; dargestellt ist die<br />
Nordost-Ecke. Hier sind rechts die schwarzen und links die grauen<br />
Sammelleitungen entlang der Holzträgerkonstruktion zu sehen. Die<br />
Elemente der Nordfassade werden die Halle durch das innen liegende<br />
Rohrleitungssystem beheizen, wobei die Energie hierfür aus der Fassade<br />
Ostfassade<br />
Westfassade<br />
Südfassade<br />
Bild 6 / Das Referenzgebäude im Überblick: Gezeigt sind die Ost-, West- und Südansicht;<br />
Logistikhalle: 20 mx20 m, Büro: 10 m x 10 m (zweistöckig). Erfasst werden die Wetterdaten<br />
sowie das System- und Nutzungsverhalten. Je 23 solaraktive Fassadenmodule sind<br />
in der Ost- und Westfassade platziert. Als Heizung dienen 23 Elemente in der Nordfassade.<br />
Das Büro ist nach Süden ausgerichtet, hier kann die solare Strahlung über die Fenster<br />
zusätzliche Energie in die Räume liefern.<br />
(schwarze Sammelleitungen, Ost und West) gewonnen wird. Die entsprechende<br />
Außenseite des Gebäudes ist in / Bild 8 / dargestellt und<br />
zeigt die Nordost-Ecke.<br />
Bild 7 / Innenansicht der Vertriebshalle. Blick in die Nordost-Ecke, links Sandwich<br />
Fassadenheizung (graue Leitungen), rechts Solaraktivmodule (schwarze Leitungen)<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 8 / Referenzgebäude: Außenansicht Nordost<br />
Fazit und Ausblick<br />
Im Industrie- und Gewerbebau findet die Solarthermie bisher kaum<br />
Anwendung, sodass die direkte Nutzung der Fassade als Energie-<br />
lieferant eine neue Möglichkeit aufzeigt. Gerade vor dem Hintergrund steigender<br />
Anforderungen, wie z.B. der Energieeinsparverordnung (EnEV),<br />
die unter anderem eine Reduktion des Primärenergieverbrauches<br />
von Gebäuden vorsieht, kann die Solarthermie hierbei eine Stellschraube<br />
bei der Energieversorgung zukünftiger Gebäude sein.<br />
Mit diesem Konzept, Sandwich-Produkte zur Energiegewinnung<br />
zu modifizieren, nimmt ThyssenKrupp Steel Europe mit der Geschäfts-<br />
einheit Color/Construction und ihren Töchtern eine Vorreiterstellung ein.<br />
Darüber hinaus wird der Weg zur Generierung neuartiger Nutzungs-<br />
konzepte für regenerative Energien und hier im speziellen für die<br />
Solarthermie geebnet.<br />
Durch die erfolgreiche Zusammenarbeit der involvierten Teams –<br />
der Geschäftseinheit Color/Construction, ThyssenKrupp Bausysteme,<br />
Isocab N.V., der Forschung und Entwicklung von ThyssenKrupp Steel<br />
Europe sowie externer Partner – konnte erfolgreich eine Kleinserie von<br />
Sandwichprodukten als Absorberfläche für solare Strahlung funktiona-<br />
lisiert werden. Die Kleinserie ist Bestandteil einer beim Kunden installierten<br />
solaraktiven Fassade, mit dem Ziel, die Gebäudeheizung sicher zu<br />
stellen. Gemeinsam mit dem Systempartner wurden neuartige Konzepte<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
/ 27<br />
zur Integration der solaraktiven Fassade mit der Versorgungstechnik<br />
erarbeitet. Das Referenzgebäude und die Systemtechnik sind fertig<br />
gestellt, in Betrieb genommen und der Kunde hat das Gebäude bereits<br />
bezogen. Innerhalb des nächsten Jahres werden Daten gesammelt und<br />
Erfahrungen mit dem neuen Konzept gemacht.<br />
Aktuelle Berechnungen zeigen, dass im Laufe des Betriebes eine<br />
erhebliche Menge CO 2 eingespart werden kann (für das Referenzgebäude<br />
bis zu 15 t pro Jahr). Darüber hinaus wird erwartet, dass durch<br />
die hohe Dämmdicke zum einen und durch die Nutzung der Fassadenoberfläche<br />
zum anderen die Energiekosten sehr gering sein werden.<br />
Das Fassadenmodul Solabs ® 2 befindet sich in der Pilotphase der<br />
Produktentwicklung, wobei die Integration der gewonnen Erkenntnisse<br />
eines stahlbasierten Absorbers in einen bereits bestehenden<br />
Produktionsablauf im Vordergrund standen. Zudem werden begleitende<br />
Methoden zur Qualitätssicherung und Verbesserung des Produktionsablaufes<br />
für eine spätere Serienproduktion entwickelt.<br />
Durch die erfolgreiche Pilotphase und durch den Aufbau des<br />
Referenzobjektes ist die Basis einer zukünftigen Vermarktung von<br />
Solabs ® 2 geschaffen. Das System stellt eine mögliche Antwort zur<br />
Bewältigung heutiger und zukünftiger Herausforderungen in der effizienten<br />
Gebäudeenergieversorgung dar.
28 /<br />
HD – Hochduktile mikrolegierte<br />
Feinkornbaustähle<br />
Neue Produktserie für die Kaltumformung<br />
MaTTHias Gruss Verfahrenstechnik / Produktweiterentwicklung Hoesch Hohenlimburg GmbH Hagen<br />
Dipl.-inG. MaxiMilian naGEl Verfahrenstechnik / Produktweiterentwicklung Hoesch Hohenlimburg GmbH Hagen<br />
Dipl.-inG. pETEr HöfEl Leiter Qualitätsmanagement / Labors Hoesch Hohenlimburg GmbH Hagen<br />
Hoesch Hohenlimburg hat die neue Produktserie „HD“ mit deutlich verbesserten<br />
Eigenschaften für die Kaltumformung entwickelt. Insbesondere Umformungen<br />
zu komplexen Bauteilen mit hohen Festigkeitsanforderungen lassen sich somit<br />
noch prozesssicherer darstellen. Bild: Hohenlimburger Mittelband in der Walzstraße<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Hochduktile (HD) Stahlgüten erweitern die konstruk-<br />
tiven Gestaltungsmöglichkeiten im automobilen<br />
Leichtbau. Der neue Werkstoff HSM 700 HD von<br />
Hoesch Hohenlimburg setzt dabei Maßstäbe durch<br />
die Kombination aus Streckgrenzen von mindes-<br />
tens 700 MPa und Bruchdehnung von ca. 20 %.<br />
Ermöglicht werden diese Werte durch ein neuartiges<br />
Mikrolegierungskonzept, das auf dem Einsatz von<br />
Niob beruht. Gepaart mit einer exakt definierten<br />
Prozessroutine beim Warmwalzen und dem an-<br />
schließenden Abkühlprozess lassen sich die Streubänder<br />
der mechanischen Kennwerte so erheblich<br />
reduzieren.<br />
Hochfeste mikrolegierte Feinkornbaustähle<br />
Für Warmband-Direktverarbeiter liegen mikrolegierte Feinkornbaustähle<br />
(HSLA = High Strength Low Alloy) voll im Trend. Diese hochfesten Werk-<br />
stoffe ermöglichen Kosteneinsparungen, vor allem weil teure Wärme-<br />
behandlungen entfallen können. Um die geforderten Festigkeiten<br />
des Bauteiles zu garantieren, werden Wärmebehandlungen oft nicht<br />
mehr benötigt, denn die mikrolegierten Werkstoffe bringen die geforderten<br />
mechanischen Eigenschaften von Hause aus schon mit. Hinzu<br />
kommt, dass überall dort, wo Maßhaltigkeit eine entscheidende Rolle<br />
spielt, Mittelband mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Ein Blick in<br />
die Norm genügt, um zu verstehen, warum: Der Toleranzbereich von<br />
Mittelband, sei es in den Breiten-, Dicken- oder Planheitstoleranzen, ist<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Haspelerzeugnis [t/a]<br />
500.000<br />
450.000<br />
400.000<br />
350.000<br />
300.000<br />
250.000<br />
200.000<br />
150.000<br />
100.000<br />
50.000<br />
0<br />
HD – Hochduktile mikrolegierte Feinkornbaustähle / 29<br />
deutlich enger gefasst als der von Warmbreitband (vgl. DIN EN 10048<br />
und DIN EN 10051). Daher wird Mittelband in diesen Güten besonders<br />
stark nachgefragt, was sich in den letzten Jahren entsprechend auf die<br />
Mengenentwicklung ausgewirkt hat / Bild 1 /.<br />
Neue HD-Güten: hochduktil und hochfest<br />
Die steigenden Anforderungen an Festigkeit und Duktilität haben<br />
auch die mikrolegierten Feinkornbaustähle an Ihre Grenzen geführt.<br />
Bei kritischen Umformoperationen mit mehreren Ziehstufen und hohen<br />
Umformgraden neigen diese zur Bildung von Makrorissen. Eine neue<br />
Güte musste her, um den Entwicklern und Konstrukteuren weitere<br />
Freiräume zu schaffen. Dies war der Ausgangspunkt für die Entwicklung<br />
der neuen HD-Güten (Hochduktil).<br />
Die Lösung für die Rissproblematik lag im Legierungs- und Walz-<br />
konzept. Konventionelle mikrolegierte Feinkornbaustähle bilden bei<br />
hohen Umformgraden porenförmige Anrisse die letztendlich zum Ver-<br />
sagen der Bauteile führen. Grund hierfür sind grobe Ausscheidungen<br />
im Gefüge, an denen sich die Versetzungslinien stauen und zu makros-<br />
kopischen Rissen anwachsen. In / Bild 2 / sind REM-Aufnahmen<br />
(Rasterelektronenmikroskop) aus zwei stark verformten Proben gegen-<br />
übergestellt. Im unteren Bild sind mehrere gröbere und feinere Aus-<br />
scheidungen als helle Flächen deutlich erkennbar, die im vorliegenden<br />
Verformungsfall bereits zu Porenbildung führen (dunkele Bereiche).<br />
Im oberen Teilbild ist die neu entwickelte Güte dargestellt, in der die<br />
Ausscheidungen in makroskopisch nicht nachweisbarer Nanogröße<br />
ausgebildet sind.<br />
Ausscheidungen können unterschiedlicher Art sein. Zementit, also<br />
Eisen-Carbid-Verbindungen, entsteht an den Korngrenzen, wenn aus-<br />
reichend Kohlenstoff im Werkstoff vorhanden ist. Weitere Ausscheidun-<br />
gen sind Carbonitride, also Kohlenstoff-Stickstoff-Verbindungen der<br />
Legierungselemente Titan, Niob oder Vanadin.<br />
Entscheidend für die Porenbildung ist in erster Linie die Größe der<br />
Ausscheidungen. Diese wird maßgeblich durch die Prozessroutine beim<br />
Warmwalzen beeinflusst. Nach dem Warmwalzen läuft das Mittelband<br />
98/99<br />
99/00<br />
00/01<br />
01/02<br />
02/03<br />
03/04<br />
04/05<br />
05/06<br />
06/07<br />
07/08<br />
08/09<br />
09/10<br />
10/11<br />
11/12<br />
12/13<br />
13/14<br />
14/15<br />
15/16<br />
Bild 1 / Entwicklung der nachgefragten Mittelbandgüten seit 1999<br />
Vergütungsstähle<br />
Mikrolegierte<br />
höherfeste Stähle<br />
Neuentwicklungen
30 / HD – Hochduktile mikrolegierte Feinkornbaustähle<br />
HD-Güte: Karbid-frei<br />
Konventionelle hochfeste Güte: grobe Karbide<br />
Bild 2 / Rasterelektronenmikroskop: Vergleich stark verformter Gefüge<br />
7 µm<br />
7 µm<br />
über den Auslaufrollgang und wird zu Coils aufgewickelt. Bereits auf<br />
dem Auslaufrollgang hat die Temperaturführung entscheidenden Einfluss<br />
auf das Ausscheidungswachstum. Im Coil setzt sich das Ausscheidungswachstum<br />
schließlich fort, wenn dieses nicht gezielt abgekühlt wird.<br />
Neben der Prozessfahrweise hat auch die Menge an Kohlenstoff<br />
entscheidenden Einfluss auf die Ausscheidungsgröße. So steigt die Größe<br />
des Korngrenzenzementits mit der Menge an Kohlenstoff im Werkstoff<br />
an. Mehr Kohlenstoff führt dann zu einer höheren Wahrscheinlichkeit<br />
der Rissbildung.<br />
Bild 3 / Kragenzugversuch, oben: HD-Güte, unten: konventionelle hochfeste Güte<br />
Da der Kohlenstoff jedoch auch die Funktion der Festigkeitssteigerung<br />
hat, kann er nicht einfach eliminiert werden. Schließlich soll der Werkstoff<br />
nicht nur gut umformbar, sondern auch stark beanspruchbar sein.<br />
Um möglichst vielfältige Anwendungen des neuen Werkstoffes zu ermöglichen,<br />
wurde die zu erreichende Mindeststreckgrenze auf 700 MPa<br />
festgelegt. In diesem Festigkeitsbereich kann der Werkstoff in sicherheitsrelevanten<br />
Bauteilen zum Einsatz kommen / Bild 3 /.<br />
Es galt also ein Legierungselement zu finden, um die Diffusion des<br />
festigkeitssteigernden Kohlenstoffes zu reduzieren. Dieses müsste die<br />
Entstehung der Ausscheidungen im Werkstoff hemmen und gleichzeitig<br />
die Festigkeit des Werkstoffes erhöhen.<br />
Niob zur Festigkeitssteigerung<br />
Das zielführende Konzept sah vor, nur Nano-Ausscheidungen zuzulassen.<br />
Diese Ausscheidungen sollten die Festigkeit gezielt steigern<br />
und die Ausscheidungskinetik durch Verlangsamung der Kohlenstoffdiffusion<br />
beeinflussen.<br />
Als Legierungselement fiel Niob in die engere Auswahl und hat sich<br />
für diesen Zweck als bestens geeignet erwiesen. Niob ist auf atomarer<br />
Ebene deutlich größer als das umgebende Eisen. Durch Einbau von Niob<br />
in das Fe-Gitter entstehen daher Gitterverzerrungen. Diese stehen den<br />
Kohlenstoffatomen bei deren Diffusion im Weg und verlangsamen so<br />
den Diffusionsprozess. Die Ausscheidungsgröße der Carbonitride kann<br />
dadurch gezielt gemindert werden.<br />
Ausscheidungsgröße, Festigkeit und Kohlenstoffgehalt des Werkstoffes<br />
stehen miteinander in direktem Zusammenhang. Eine hohe<br />
Anzahl kleiner Nano-Ausscheidungen steigert die Festigkeit auch bei<br />
abgesenktem Kohlenstoffgehalt. Eine mittlere Zugfestigkeit von 750 MPa<br />
kann daher bereits bei geringen Kohlenstoffgehalten erzielt werden.<br />
Bild 4 / Coil-Dusche zur Fixierung des eingestellten Gefüges<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Komplexere Geometrien<br />
Bruchdehnung [%]<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
Bild 5 / Parameterspektrum der ferritischen Stahlgüten (Bruchdehnung über Festigkeit)<br />
Wird bei der Herstellung des Mittelbandes eine spezifische Prozessfahrweise<br />
eingehalten, kann die Anzahl der Niob-Nano-Ausscheidungen<br />
schrittweise gesteigert werden. Das im Werkstoff gelöste Niob wird<br />
automatisch beim Warmwalzen zu Mittelband aus dem Gefüge ausgeschieden.<br />
So werden bereits bei der Erwärmung der Brammen hohe<br />
Zieltemperaturen und ausreichend lange Haltezeiten für die gleichmäßige<br />
Auflösung der Mikrolegierungselemente benötigt. Durch<br />
Umformung und Abkühlung werden die Mikrolegierungselemente anschließend<br />
wieder aus dem Gefüge ausgeschieden. Der thermomechanische<br />
Walzprozess unter kontrollierter Rekristallisation führt<br />
hierbei zu besonders feindispersen Ausscheidungen.<br />
Nach dem letzten Walzgang ist es wichtig das Gefüge zu fixieren, um<br />
die Ausscheidungen fein zu halten. Dazu muss die nach dem Walzen<br />
verbliebene thermische Energie aus dem Mittelband abgeleitet werden.<br />
In einer Kühlstrecke wird das Mittelband daher abgekühlt. So bleiben<br />
die Nano-Ausscheidungen bis zur Coil-Dusche – der letzten Station im<br />
thermomechanischen Behandlungsprozess – erhalten. Die Coildusche<br />
fixiert das Gefüge endgültig. Die Gefügebestandteile werden sozusagen<br />
eingefroren / Bild 4 /.<br />
Im kalten Zustand liegt nun das Niob in Form winziger Nano-<br />
Ausscheidungen vor. Prozesstechnisch ermöglicht die Coil-Dusche<br />
außerdem eine Erhöhung der Beizleistung, da die Beizgeschwindigkeit<br />
gesteigert werden kann.<br />
Erhöhte Prozesssicherheit und beste Umformbarkeit<br />
der HSM 700 HD<br />
Die neu erhältliche HD-Güte HSM 700 HD von Hoesch Hohenlimburg<br />
wird entsprechend der beschriebenen Prozessroutine hergestellt. Der<br />
Zusatz HD im Namen steht dabei für Hochduktil, also für einen Werkstoff<br />
mit erweiterten Umformeigenschaften / Bild 5 /.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Ferritische Stähle<br />
10<br />
0<br />
Mikrolegierte Feinkornbaustähle<br />
HSLA<br />
200 300 400 500 600 700 800 900 1.000 1.100<br />
Zugfestigkeit [MPa]<br />
Erhöhtes Leichtbaupotential<br />
HD700 Güte<br />
Dichte [?]<br />
0,025<br />
0,020<br />
0,015<br />
0,010<br />
0,005<br />
0,000<br />
Zu weich<br />
HD – Hochduktile mikrolegierte Feinkornbaustähle / 31<br />
Normal<br />
600 640 680 720 760 800 840 800<br />
Konventionell hochfest<br />
HD-Güte<br />
Streckgrenze [MPa]<br />
Teile reißen<br />
Mittelwert Standardabweichung Anzahlmessung<br />
753,9 29,20 105<br />
748,7 15,29 105<br />
Bild 6 / Abweichungen der Streckgrenzen vom Normalwert, Vergleich HD-Güte/<br />
konventionelle hochfeste Güte<br />
Aufgrund der fest definierten Prozessfahrweise ist das Streuband der<br />
Werkstoffparameter deutlich reduziert. In / Bild 6 / sind die Streckgrenzen<br />
einer konventionellen hochfesten Güte denen der neuen<br />
HD-Güte gegenübergestellt. Die HD-Güte verzeichnet dabei eine deutlich<br />
geringere Schwankung.<br />
Der Werkstoff HSM700HD zeichnet sich analytisch durch einen<br />
erhöhten Niob-Gehalt von max. 0,25 % sowie einen sehr geringen<br />
Kohlenstoff-Gehalt von max. 0,06 % aus. Die Zugfestigkeit liegt bei ca.<br />
800 MPa bei einer mittleren Streckgrenze von ca. 750 MPa / Bild 6 /.<br />
Gegenüber mikrolegierten Güten zeichnet sich der Werkstoff entscheidend<br />
durch die erhöhte Bruchdehnung aus. Diese ist mit ca. 20 % deutlich<br />
höher als bei konventionellen mikrolegierten Werkstoffen.<br />
Fazit<br />
Hochfeste Güten sind mittlerweile in allen Bereichen der Automobilfertigung<br />
im Einsatz. Die Ansprüche der Kunden gehen hier jedoch<br />
weiter, besonders in Bezug auf die Komplexität der Bauteilgeometrie.<br />
Das HD-Konzept greift dieses Absatzpotenzial auf, indem es gegenüber<br />
bereits am Markt erhältlichen Güten sowohl Festigkeits- als auch<br />
Bruchdehnungssteigerungen mit sich bringt. Der entscheidende Vorteil<br />
hierbei ist die Verlässlichkeit der HD-Güten. Die Streubreite der mechanischen<br />
Kennwerte ist gegenüber konventionellen hochfesten Güten<br />
deutlich verringert, was sich direkt positiv auf die Gestaltungsfreiheit<br />
in der Bauteilkonstruktion auswirkt. Es können somit sicherere und<br />
gleichzeitig komplexere Fahrzeugbauteile entwickelt werden.<br />
Bereits jetzt lässt sich ein erhebliches Marktpotenzial für diese<br />
neuen Güten erkennen. Mit Blick auf die kommenden Anforderungen<br />
der Elektromobilität erscheint daher eine Erweiterung des HD-Güten-<br />
Spektrums in weitere Festigkeitsbereiche erfolgversprechend.
32 / Thema<br />
Gründung von Heliostaten<br />
für Solarkraftwerke<br />
Einbringung dünnwandiger Stahlrohre mit Spezialgerät<br />
Dr.-inG. JoHannEs KöcHEr Geschäftsführer ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik GmbH Alsfeld<br />
Doris BEcKEr-spoHr Leiterin Vertrieb Export ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik GmbH Alsfeld<br />
Solarkkraftwerk in Kalifornien/USA<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke / 33<br />
Solarthermische Kraftwerke und Anlagen basieren<br />
auf dem Prinzip, dass das Sonnenlicht über eine Viel-<br />
zahl von Spiegeln auf einen engen Punkt auf einem<br />
Receiver-Turm fokussiert wird und hier eine enorme<br />
Hitze zur Erzeugung von Heißdampf erzeugt, der zum<br />
Antrieb von Turbinen zur Stromerzeugung genutzt<br />
werden kann. Die vielen tausend Spiegel, die für eine<br />
solche Anlage benötigt werden, müssen sicher am<br />
Boden verankert werden. Hierzu hat ThyssenKrupp<br />
GfT Tiefbautechnik als Hersteller von Baumaschinen<br />
und Komponenten für den Spezialtiefbau ein spezielles<br />
Werkzeug sowie ein Verfahren entwickelt, womit<br />
derartige Bodenverankerungen bzw. Gründungen<br />
schnell, wirtschaftlich und problemlos ausgeführt<br />
werden können.<br />
Maschinen für den Spezialtiefbau<br />
Das Unternehmen ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik beschäftigt sich<br />
seit Jahren mit der Herstellung von Maschinen für den Spezialtiefbau.<br />
Dies sind zum einen Maschinen für die Ramm- und Ziehtechnik, mit der<br />
Stahlbohlen, wie Träger, Rohre oder Spundwandtafeln, in den Unter-<br />
grund eingebracht werden können. Die Maschinen erzeugen mittels<br />
gegenläufig rotierender Wellen mit darauf montierten Unwuchten<br />
vertikale Schwingungen. Über ein Klemmelement, der so genannten<br />
Spannzange, induziert sie diese Schwingungen mit Frequenzen von<br />
ca. 40 Hz in den Boden. Der Boden wird durch die Schwingungen<br />
nahe um das einzubringende Rammelement aufgelockert und somit<br />
in einen flüssigkeitsähnlichen Zustand gebracht. Hierdurch werden<br />
die Mantelreibung und der Spitzenwiderstand so stark reduziert,<br />
dass letztendlich die Bohle durch das Eigengewicht in den Boden<br />
einsinkt. Angetrieben werden diese Maschinen über ein diesel-<br />
hydraulisches Aggregat, mit dem sie über Hydraulikschläuche verbunden<br />
sind / Bild 1 /.<br />
Bild 1 / Vibrationseinheit beim Rammen von Spundbohlen
34 / Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke<br />
Auf der anderen Seite sind dies so genannte Bohrhämmer und Drehantriebe,<br />
die – auf entsprechende Trägergeräte von Kunden montiert –<br />
insbesondere Bohrungen für Verankerungsaufgaben durchführen.<br />
Kleinere Geräte werden für Sprenglochbohrungen im Steinbruch,<br />
Tunnelbau oder in Minen eingesetzt. Durch das dem Drehen über-<br />
lagerte Schlagen der hochpräzisen hydraulisch angetriebenen Schlagwerke<br />
mit variablen Schlagfrequenzen bis zu 60 Hz werden insbesondere<br />
in felsigen Böden Bohrfortschritte erzielt, die um ein mehrfaches<br />
über denen der reinen Drehbohrungen liegen. / Bild 2 / zeigt einen<br />
auf ein Trägergerät montierten Bohrhammer bei der Erstellung von<br />
Bohrungen zur Sicherung einer tiefen Baugrube.<br />
Seit einigen Jahren werden diese Maschinen verstärkt im Bereich<br />
der Umwelttechnik bzw. der Technik der erneuerbaren Energien eingesetzt<br />
und für diese Aufgaben entsprechend konstruktiv angepasst<br />
und erweitert.<br />
Gründung von Offshore-Windenergieanlagen im Testfeld<br />
alpha ventus vor der niedersächsischen Nordseeküste<br />
Für die sichere Verankerung von so genannten Tripods / Bild 3a / als<br />
Basisstruktur der Windenergieanlagen werden diese mit jeweils drei<br />
„Nägeln“ am Meeresboden mit Hilfe der Vibrationstechnik und anschließendem<br />
Nachschlagen verankert / Bild 3b /. Die Tripods haben<br />
ein Gewicht von ca. 500 t, jeder einzelne „Nagel“ ein Gewicht von<br />
ca. 160 t. Für diese Arbeiten sind die größten verfügbaren Geräte mit<br />
Schwingkräften von mehr als 400 t und einer Leistung von mehr als<br />
1.000 kW eingesetzt worden. Eine neu konzipierte Gerätegeneration<br />
wird zukünftig Schwingkräfte von über 1.000 t bei Antriebsleistungen<br />
von mehr als 2.000 kW erzeugen. Sie sind so konstruiert, das sie<br />
in der Lage sind, das Rammgut direkt vom Arbeitsschiff oder -ponton<br />
aus der Waagerechten aufzunehmen und senkrecht im Boden ein-<br />
zubringen. Hierdurch werden die Installationszeiten signifikant verkürzt<br />
und damit die Gründungskosten deutlich gesenkt.<br />
Bild 2 / Erstellung von Bohrungen zur Sicherung einer Baugrube<br />
Geothermisches Bohren<br />
Eine umweltfreundliche geothermische Anlage zur Heizung (oder auch<br />
zur Kühlung) von Wohngebäuden basiert auf dem Prinzip, dass der<br />
Erde Wärme entzogen wird und diese über eine Wärmepumpe auf ein<br />
höheres Wärmeniveau zur Heizung der Gebäude transformiert wird.<br />
Um bei der auch oberflächennahe Geothermie genannten regenerativen<br />
Energiegewinnung dem Erdboden Wärme entziehen zu können,<br />
müssen hierfür Bohrungen bis in 100 m Tiefe erbracht werden, meist<br />
auf engstem Raum. Hierzu wurden kompakte spezielle Doppelkopf-<br />
Bohranlagen / Bild 4 / entwickelt, die zum einen eine sichere, richtungsgenaue<br />
Bohrung auch in lockeren Erdschichten mittels zweier<br />
konzentrisch eingebrachter Bohrstränge gewährleisten (verrohrte<br />
Bohrung) und zum anderen nach Ausbau des inneren Bohrstranges<br />
nach Erreichen der Endtiefe der Bohrung durch die Stützung der<br />
Bohrlochwandung durch den äußeren Rohrstrang den genauen Einbau<br />
der so genannten Erdwärmesonden sicherstellen. Nur auf diese Weise<br />
wird eine erforderliche, gute Wärmeleitfähigkeit zwischen Boden und<br />
Sonde erzielt, was für den Wirkungsgrad der Anlage entscheidend ist.<br />
Erdölgewinnung: Gründung von Heliostaten für<br />
die weltgrößte Solaranlage<br />
In einem Solarkraftwerk wird über viele hunderte oder tausende reflektierende<br />
Spiegel das Sonnenlicht in einem Brennpunkt eines Turmes<br />
fokussiert, um mit den dabei entstehenden über tausend Grad heißen<br />
Temperaturen Wasser zu verdampfen, wobei die Spiegel der wandernden<br />
Sonne entsprechend nachgeführt werden müssen. Der Wasserdampf<br />
treibt in der Regel eine Turbine zur Erzeugung von Strom an.<br />
Die einzelnen Spiegel müssen auf Fundamente gestellt werden,<br />
die die auf die Spiegel einwirkenden Kräfte durch die Verstellung bzw.<br />
die Windlasten auffangen können. Gängig sind hierbei Schwerlastfundamente<br />
aus Beton bzw. in den Boden eingetriebene Betonpfähle,<br />
auf die dann die Unterkonstruktionen der Spiegel verschraubt werden.<br />
Dies Verfahren ist aufwendig, kostspielig, zeitintensiv und verbunden<br />
mit einem hohen Materialverbrauch. Die konventionelle Arbeitsfolge<br />
sieht wie folgt aus:<br />
° Herstellung eines Betonfundamentes mit entsprechenden<br />
Schalungsarbeiten oder Einschlagen eines Betonpfahles<br />
in den Boden,<br />
° Erstellen von Bohrungen im Fundament zur Befestigung<br />
des Spiegelträgers,<br />
° Aufschrauben des Trägers auf das Fundament,<br />
° Montage von elektrischen Steuerkästen und Aktuatoren<br />
für die Spiegelnachführung und<br />
° Montage der Spiegelhalterung mit den Spiegeln.<br />
Die neue Gründungsmethode sieht vor, dünnwandige Rohre mit Hilfe der<br />
Vibrationstechnik und einem speziellen Klemmwerkzeug in den Boden<br />
einzuvibrieren, wobei das Rohr nur so tief eingebracht wird, dass ein<br />
oberer Teil direkt als Spiegelträger dienen kann. Hierdurch werden alle<br />
vorher beschriebenen Arbeitsschritte bis zur Montage von Steuerkästen<br />
und Aktuatoren auf einen einzigen Arbeitsschritt reduziert.<br />
Die Besonderheit der Zange liegt darin, dass ihre Gestalt<br />
eine zylindrische Form hat, die in das Rohr eingeführt wird und<br />
deren Außendurchmesser in etwa gleich dem Innendurchmesser<br />
des Rohres ist. Klemmkolben packen das Rohr im unteren Bereich<br />
/ Bild 5 /. Über eine den Rohrlängen angepasste Verlängerung ist<br />
die Zange mit der Vibrationseinheit verbunden. Durch diese Gestaltung<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 3a / Tripod mit Köchern als<br />
Unterwasser-Basisstruktur einer<br />
Offshore-Windenergieanlage<br />
Bild 3b / Einvibrieren von Rohren als<br />
„Nägel“ zur Verankerung eines Tripods<br />
auf dem Meeresboden<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke / 35
36 / Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke<br />
Trägerplatte<br />
hinteres Drehwerk<br />
vorderes Drehwerk mit Hohlwelle<br />
hydraulischer Steuerblock<br />
Bild 4 / Kompakte Doppelkopf-Bohranlage für geothermische Bohrungen Bild 5 / Prinzip der Rohrklemmung<br />
wird das Rohr „ziehend“ einvibriert, wobei die zylindrische Spannzange<br />
das Rohr gegen Knicken stützt, sodass auch ein Einsatz in schwereren<br />
Böden mit kleineren Hindernissen problemlos zu bewältigen ist und die<br />
notwendige Wandstärke des Rohres minimiert werden kann. Da der<br />
obere Bereich des Rohres nicht geklemmt wird und damit auch nicht<br />
beschädigt oder verformt werden kann, können Montagebohrungen für<br />
die Aktuatoren und deren Steuerung in wirtschaftlicher Weise bereits<br />
vor Einbringen der Rohre an diesen angebracht werden. Hierdurch<br />
wird zusätzlich eine Beschädigung der als Rostschutz vorgesehenen<br />
Zinkschicht der Rohre vermieden.<br />
/ Bild 6 / zeigt die Arbeitsabfolge der Technik bei einem Solarkraftwerk,<br />
das in diesem Falle nicht zur Stromerzeugung genutzt wird, sondern<br />
dazu dient, aus einer mit konventionellen Mitteln erschöpften Erdöllagerstätte<br />
in Kalifornien weitere beträchtliche Mengen des Rohöls<br />
zu gewinnen. Hierzu wird der unter hohem Druck stehende, erzeugte<br />
Heissdampf nicht zum Antrieb einer Turbine genutzt, sondern in die<br />
Tiefe einer Erdöllagerstätte eingeleitet. Durch die Hitze verringert sich<br />
die Viskosität des Öles und in Verbindung mit dem hohen Druck lässt<br />
sich das entstehende Öl-Dampf-Gemisch an die Erdoberfläche fördern.<br />
In einem Abscheider wird das Gemisch abgekühlt und das Öl zur<br />
weiteren Verarbeitung abgetrennt, während das abgeschiedene Wasser<br />
dem Arbeitskreislauf wieder zugeführt wird. Mit dieser Methode<br />
lässt sich bis zu 100 % mehr Öl aus vorhandenen Erdöllagerstätten<br />
Lösen:<br />
Klemmkolben eingefahren<br />
Spannen:<br />
Klemmkolben ausgefahren<br />
gewinnen, anstatt aufwendig und riskant neue Lagerstätten zu erschließen.<br />
Die installierte thermische Leistung der Anlage beträgt<br />
29 MW. Hierzu wurden insgesamt 3.822 Heliostaten mit 7.644<br />
Spiegeln installiert, die das Sonnenlicht auf einen ca. 100 m hohen<br />
Receiver-Turm reflektieren / siehe Titelbild Bericht /.<br />
Fazit<br />
Die beschriebenen Beispiele zeigen, dass sich durch Weiterentwicklungen<br />
und innovative Ideen neue Anwendungen im Bereich der<br />
regenerativen Energien für die Geräte von ThyssenKrupp GfT Tiefbautechnik<br />
erschließen lassen. Neben den beiden kurz angerissenen<br />
Beispielen im Bereich der Offshore-Windenergieanlagen und der Geothermie<br />
zeigt das dritte Beispiel eindrucksvoll, dass sich die Arbeitsprozesse<br />
mit einer einfachen Neuentwicklung in Kombination mit neuen<br />
Verfahren bei der Installation von Anlagen zur Erzeugung regenerativer<br />
Energien verkürzen lassen und Material eingespart werden kann.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
a / b / c /<br />
Bild 6<br />
a / Trägergerät mit Vibrator, Verlängerungsstück<br />
und Rohrspannzange<br />
b / Aufstellen des Rohres<br />
c / Einfädeln<br />
d / Spannen, Ausrichten und Einvibrieren<br />
e / Montage der Aktuatoren und der Steuerkästen<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
d / e /<br />
Gründung von Heliostaten für Solarkraftwerke / 37
38 /<br />
iwalk ® im Bahnhof Atocha, Madrid/Spanien<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
iwalk ®<br />
Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie<br />
Dipl.-inG. MiGuEl GonZÁlEZ alEManY Chief Research Officer<br />
ThyssenKrupp Elevator (Es/pBB) GmbH Gijon-Asturias/Spanien<br />
Der iwalk ® ist der neue Fahrsteig von ThyssenKrupp Elevator. Größter<br />
Vorteil dieses neuartigen Anlagetyps: Der Platzbedarf wurde im<br />
Vergleich zu herkömmlichen Modellen gleich in mehreren Dimensionen<br />
verringert. Das neue Design reduziert die Einbautiefe um mehr als<br />
50 % – so kann die Horizontalvariante des iwalk ® direkt auf dem<br />
vorhandenen Boden installiert werden. Das senkt den Konstruktionsaufwand<br />
für die Installation und die Kosten. Gleichzeitig sorgt ein<br />
modulares Konzept für eine größere Flexibilität und bietet enorme<br />
Vorteile bei der Produktion, Logistik und Installation. Diese Innovation<br />
stellt eine neue Konzeption der Fahrsteigtechnologie dar, die neben<br />
allen Produktvorteilen zu einer bedeutenden Steigerung des Kundennutzens<br />
führt.<br />
/ 39
40 / iwalk ® – Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie Ein neuer Meilenstein in der Fahrsteigindustrie<br />
Bild 1 / Geneigte Variante des iwalk ® im Bahnhof Atocha, Madrid/Spanien<br />
Fahrsteige<br />
Fahrsteige sind schon lange ein bewährtes Produkt, deren Entwicklung<br />
bereits über 100 Jahre zurückliegt. Heute decken verschiedene Anbieter<br />
den weltweiten Bedarf – alle mit einer ähnlichen Produktarchitektur.<br />
Die Bauweise von Fahrsteigen basiert auf dem Prinzip der Fahrtreppe,<br />
mit der sie mehrere Komponenten gemeinsam hat. Die gestiegenen<br />
Kundenanforderungen erfordern neue Technologien – auch bei<br />
schwierigen Einbauvoraussetzungen.<br />
Mit dem iwalk ® / siehe Titelbild Bericht sowie Bilder 1 und 2 / hat<br />
ThyssenKrupp Elevator ein neues Produkt mit einer bahnbrechenden<br />
Technologie entwickelt, das durch seine Flexibilität noch stärker die<br />
Anforderungen der Kunden berücksichtigt.<br />
Kundennutzen<br />
Auf fast jedem Flughafen der Welt sind Fahrsteige installiert. Sie<br />
regulieren die Passagierströme innerhalb der Terminals und machen<br />
den Weg zu den Anschlussflügen einfacher und bequemer. Doch nicht<br />
immer sind die Personenbeförderungsanlagen optimal positioniert.<br />
So gibt es lange Verbindungskorridore ohne Fahrsteige. Das liegt an<br />
den teilweise hohen baulichen Voraussetzungen, die herkömmliche<br />
Lösungen verlangen.<br />
Die verringerten Abmessungen des iwalk ® bieten den Kunden<br />
mehr Flexibilität: Die Einbautiefe verringert sich von 1.000 Millimeter<br />
auf weniger als 400 Millimeter. Durch diesen Fortschritt ist es sogar<br />
möglich, den iwalk ® direkt auf dem vorhandenen Fußboden zu<br />
installieren – ohne jegliche Vertiefungsarbeiten / Bild 3 /.<br />
So wie Menschen ihre Gewohnheiten neuen Technologien und<br />
Trends anpassen, geschieht das auch auf Flughäfen. Shopping-<br />
Bereiche werden erweitert oder verlegt; Passagierströme verändern<br />
sich ebenfalls. Herkömmliche Fahrsteige bieten keine ausreichende<br />
Flexibilität, um auf diese Veränderungen zu reagieren. Der iwalk ®<br />
ist modular; Länge und Standort können einfach verändert werden.<br />
Die Verlagerung von Fahrsteigen ist für Flughafenbetreiber dadurch<br />
wesentlich einfacher geworden.<br />
Verringerte Abmessungen und modulare Bauweise erleichtern<br />
auch den Einsatz in U-Bahn-Stationen. Das Ausheben von Gruben in<br />
Verbindungstunneln ist kostspielig, falls überhaupt baulich möglich.<br />
Zudem ist der Zugang zu diesen Tunneln meistens schwierig. Aus<br />
diesem Grund ist der iwalk ® die perfekte Lösung für die Installation<br />
in den langen Verbindungstunneln vieler Metro- bzw. U-Bahnstationen<br />
in der ganzen Welt.<br />
Wo Fahrsteige sind, werden meistens auch Einkaufswagen bewegt.<br />
Die verschiedenen Etagen vieler Einkaufszentren sind daher nicht<br />
mit Fahrtreppen, sondern durch geneigte Fahrsteige mit den Parkzonen<br />
verbunden. Der iwalk ® ist darauf ausgelegt, den Benutzern<br />
ein sicheres und bequemes Vorankommen zu ermöglichen – auch<br />
bei der Nutzung mit einem Einkaufswagen. Die geringere Höhe der<br />
Kammsegmente (nur sieben im Vergleich zu 45 Millimetern bei konventionellen<br />
Lösungen) erlaubt ein sicheres Betreten und Verlassen;<br />
und die Palettenbreite von 1.100 Millimetern bietet mehr Platz für<br />
breitere Einkaufswagen, ohne die äußeren Abmessungen des Fahrsteiges<br />
zu erhöhen / Bilder 4 und 5 /.<br />
Die Ästhetik spielt ebenfalls eine große Rolle. Fahrsteige fügen sich<br />
nahtlos in die Architektur von Flughäfen und Einkaufszentren ein. Der<br />
iwalk ® weist wichtige Merkmale auf, die von Kunden und Benutzern<br />
als sehr angenehm empfunden werden: Die Verwendung von Glas<br />
vermittelt Leichtigkeit. Abgerundete Formen, LED-Leuchten, die neue<br />
Handlaufführung und die Tatsache, dass keine Schrauben zu sehen<br />
sind, liegen im architektonischen Trend. In der Tat hat die Ästhetik die<br />
gesamte Entwicklung begleitet, bereits mit dem Entwurf wurde das<br />
elegante Aussehen festgelegt.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 2 / Horizontalvariante im Bahnhof Atocha, Madrid/Spanien<br />
Das neue Produkt ist umweltfreundlich und besteht aus rund 30 %<br />
weniger Material im Vergleich zu herkömmlichen Lösungen. Das<br />
Transportvolumen ist ebenfalls geringer: Ein 45-Meter-Fahrsteig erfordert<br />
nur einen Container – im Vergleich zu vier Containern bei bisherigen<br />
Anlagen. Durch das spezielle kettenlose Design benötigt<br />
der iwalk ® erheblich weniger Schmiermittel. Der Energieverbrauch<br />
ist aufgrund des geringeren Gewichtes der bewegten Masse, des<br />
höheren Antriebswirkungsgrades, der effizienteren LED-Leuchten und<br />
durch den Energy Efficiency Controller ebenfalls erheblich geringer.<br />
Eine Lebenszyklusanalyse (anhand des Eco-Indicators EI 99 HA) zeigt,<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Konventioneller Fahrsteig iwalk ®<br />
Ausschachtung<br />
Reduzierte Einbautiefe<br />
Bild 3 / Die Horizontalvariante des iwalk ® kann auch direkt auf dem vorhandenen Boden installiert werden.<br />
iwalk ® – Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie / 41<br />
dass die Umweltauswirkungen des iwalk ® bis zu 52 % geringer sind<br />
als bei konventionellen Fahrsteigen. ThyssenKrupp Elevator führt im<br />
Rahmen des Nachhaltigkeitsprogramms “sustainable efficiency” diese<br />
Analysen für alle neuen Produkte durch. Ziel ist die Verbesserung der<br />
Energieeffizienz aller Produkte während des gesamten Lebenszyklus.<br />
Innovation<br />
Bei der Konstruktion des iwalk ® haben die Ingenieure bewusst bei<br />
Null angefangen, anstatt die bestehende Technologie stufenweise zu<br />
verbessern. Grundlage war die feste Überzeugung, dass auch die<br />
Keine Ausschachtung
42 / iwalk ® – Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie<br />
Erfinder der konventionellen Fahrsteige anders entschieden hätten,<br />
hätten sie über die modernen Technologien verfügt und das veränderte<br />
Benutzerverhalten sowie die Kundenanforderungen berücksichtigt.<br />
Das Ergebnis dieser Entwicklung ist eine vollkommen neue<br />
Produktarchitektur, die einen Meilenstein darstellt.<br />
Zu den Schlüsselkomponenten gehört die Aluminiumpalette,<br />
das Element, auf dem die Personen stehen. Beim iwalk ® wird über<br />
sie auch die Energie auf das gesamte Palettenband übertragen.<br />
Die Paletten sind durch ein neues schmierfreies Gelenk mit großem<br />
Durchmesser miteinander verbunden. Das senkt den Druck auf die<br />
Gelenkbolzen und erhöht die Lebensdauer. So entfallen die sonst<br />
üblichen Palettenketten. Die Palettenunterseite ist besonders gestaltet,<br />
um mit den speziellen Polyurethan-Rollen ineinanderzugreifen, die die<br />
Kraftübertragung auf das Palettenband übernehmen / Bilder 6 und 7 /.<br />
Vibrationen erreichen nur noch einen Minimalwert von 8 mg und<br />
erhöhen den Fahrkomfort deutlich.<br />
Durch die Palettenlänge von 127 Millimetern – in Kombination mit<br />
speziellen Umkehrstellen – ist es erst möglich geworden, die geringe<br />
Einbautiefe von 350 Millimetern zu erreichen.<br />
Die zentralen Module sind aus speziellen Walzprofilen aus verzinktem<br />
Stahl gebildet, denen durch Laserschweißen eine röhrenartige<br />
Form gegeben wird. Diese Profile kombinieren die strukturelle<br />
Funktion des Fahrsteiges mit der Führung für das Palettenband.<br />
Die Balustradenträger sind ebenfalls an diesen Profilen angebracht,<br />
wodurch der gesamte Montageprozess ohne Nachjustierungen möglich<br />
ist. Die Modularität ist somit garantiert / Bild 8 /.<br />
Die verringerte Höhe der Kammsegmente wurde durch die reduzierte<br />
Palettenlänge und die neue Bauweise der feststehenden Platten<br />
in der Umkehrstation ermöglicht. Bisher war es so, dass Fahrsteige<br />
eine Spannvorrichtung an einem Ende benötigen, die in der Lage<br />
ist, die verschiedenen Palettenbandlängen auszugleichen. Diese entstehen<br />
einerseits durch Verschleiß und Abnutzung an den Gelenken<br />
und andererseits durch die unterschiedlichen Wärmeausdehnungen<br />
der Stahlkonstruktion und des Aluminium-Palettenbandes. Aus diesen<br />
Gründen verfügen konventionelle Fahrsteige über feste Kammplatten<br />
über dem Palettenband – mit einer üblichen Kammhöhe von mehr<br />
als 40 Millimetern. Die iwalk ® -Lösung besteht darin, die Kämme an<br />
dem Palettenband-Spannmechanismus anzubringen und dadurch<br />
eine konstante Position im Verhältnis zur Palettenführung an der<br />
Umkehrstelle zu ermöglichen. Die Kammplatte besteht bei dieser<br />
Innovation aus mehreren Lamellen, die sich unter die Abdeckplatte<br />
schieben, wenn sich das Palettenband streckt. Diese Lösung erlaubt<br />
eine Kammhöhe von sieben Millimetern, wodurch das Verlassen des<br />
Fahrsteiges sicherer wird.<br />
Insgesamt wird die iwalk ® -Technologie durch mehr als 15 neue<br />
Patentfamilien geschützt.<br />
Neuer Fertigungsprozess<br />
Der erste Schritt bei den meisten Fertigungsprozessen für herkömmliche<br />
Fahrsteige ist die Stahlkonstruktion. Diese Konstruktion kann erst<br />
gefertigt werden, wenn das Layout mit den endgültigen Einbaumaßen<br />
bestätigt worden ist. Ist der Träger gebaut, sind Veränderungen nahezu<br />
unmöglich. Die gesamte Montage ist ein maßgeschneiderter Prozess.<br />
Präzision und Erfahrung der Fachkräfte haben einen großen Einfluss<br />
auf die Qualität.<br />
Das modulare Konzept des iwalk ® basiert auf einem völlig neuen<br />
Prozess, der eine erheblich kürzere Fertigungszeit erlaubt. Die Module<br />
werden nahezu automatisch zusammengebaut. Justierungen sind nicht<br />
mehr erforderlich. Dabei wird die Qualität durch den Fertigungsprozess<br />
und die Präzision der Teile garantiert. Die Bedingungen vor Ort sind<br />
nicht mehr entscheidend.<br />
Aufgrund der Präzision der Module, die durch diesen neuen<br />
Herstellungsprozess erreicht wird, erhöht sich die Montagequalität auf<br />
der Baustelle und auch der Wartungsaufwand wird minimiert.<br />
Größere Palettenbereite<br />
1.100 mm<br />
Bild 4 / Reduzierte Höhe der Kammsegmente steigert Sicherheit und Komfort. Bild 5 / Geringe äußere Abmessungen bei größerer Palettenbreite<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Kunden-Feedback<br />
Die Markteinführung neuer Produkte – insbesondere im Metro- und<br />
Flughafenbereich – stellt immer eine Herausforderung dar. Vielfach<br />
wird ein Nachweis verlangt, dass sich das Produkt schon mehrere<br />
Jahre in der Praxis bewährt hat. Dennoch ist der iwalk ® wegen seiner<br />
Einzigartigkeit bereits bei mehreren Kunden die erste Wahl.<br />
Die Metro von São Paulo/Brasilien ist ein sehr anspruchsvolles<br />
Einsatzgebiet mit hohen Verkehrsströmen. Die schachtlose Konfiguration<br />
des iwalk ® (das heißt die direkte Montage auf dem vorhandenen<br />
Boden ohne Vertiefungsarbeiten) war wegen der bereits<br />
im Tunnel vorhandenen Installationen die effizienteste Lösung. Die<br />
Alternative auf Basis der herkömmlichen Technologie wäre sehr kostspielig<br />
geworden – wenn überhaupt machbar. Diese Konfiguration<br />
war auch die bevorzugte Wahl für die Metro von Madrid/Spanien und<br />
für den Flughafen von Málaga/Spanien. Das attraktive Design und<br />
die 1.100 Millimeter breite Palette waren die Elemente, die den<br />
Architekten des neuen Bahnhofs für Hochgeschwindigkeitszüge in<br />
Puerta de Atocha/Spanien überzeugten. Das Kundeninteresse an<br />
dieser neuen Technologie wächst, das unterstreichen die steigenden<br />
Produktionszahlen des iwalk ® .<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
iwalk ® – Ein Meilenstein in der Fahrsteigindustrie / 43<br />
Bild 7 / Wartungsarmer Antrieb<br />
Bild 6 / Gut für die Umwelt: schmierfreies Palettenband Bild 8 / Einfache Installation durch Modularität<br />
und Gewichtsreduktion<br />
Fazit<br />
Der iwalk ® ist innovative Technologie und ein Meilenstein in der<br />
Fahrsteigindustrie. Durch die niedrigen Installationsanforderungen und<br />
das modulare Konzept erhält der Kunde deutlich mehr Flexibilität.<br />
Sicherheit und Komfort werden durch die reduzierte Kammhöhe und<br />
die größere Palettenbreite verbessert. Das attraktive neue Design<br />
bedient dabei die aktuellen architektonischen Trends. Die erhöhte<br />
Umweltverträglichkeit steht ganz im Einklang mit dem Nachhaltigkeitsprogramm<br />
“sustainable efficiency“ von ThyssenKrupp Elevator.<br />
Der iwalk ® wurde mit dem ersten Preis des ThyssenKrupp Innovationswettbewerbes<br />
2011 ausgezeichnet.
44 /<br />
Kokerei Schwelgern in Duisburg<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Mini-PROven<br />
Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren<br />
Koksöfen mit einer Einzelkammerdruckregelung<br />
Dr. rEr. naT. friEDricH HuHn Head of Process Engineering, Coke Plant Technologies Division ThyssenKrupp uhde GmbH Dortmund<br />
Dipl.-inG. franK KrEBBEr Senior Process Engineer, Coke Plant Technologies Division ThyssenKrupp uhde GmbH Dortmund<br />
Dr.-inG. Joanna KüHn-GaJDZiK Senior Process Engineer, Coke Plant Technologies Division ThyssenKrupp uhde GmbH Dortmund<br />
KErsTin üBErscHär Senior Design Engineer, Coke Plant Technologies Division ThyssenKrupp uhde GmbH Dortmund<br />
Ein möglichst emissionsarmer Kokereibetrieb<br />
ist aus Umwelt- und Arbeitsschutzgründen<br />
immer wichtiger geworden. Veränderliche<br />
Druckverhältnisse in jedem Einzelofen mit<br />
besonders hohen Werten zu Beginn der<br />
Ausgarungszeit haben in der Vergangenheit<br />
zu erheblichen Emissionen an den Ofenverschlüssen<br />
geführt. Zur Vermeidung hat<br />
ThyssenKrupp Uhde für moderne Großraum-<br />
öfen das Einzelkammerdruckregelungs-<br />
system PROven™ (Pressure Regulated Oven)<br />
entwickelt, das eine Regelung des Druckes<br />
in den individuellen Verkokungskammern<br />
auf einem konstant niedrigen Niveau erlaubt.<br />
Dieses inzwischen langjährig bewährte<br />
System wurde konstruktiv und verfahrenstechnisch<br />
so erweitert, dass es zukünftig als<br />
Mini-PROven auch an älteren kleinen und<br />
mittelgroßen Koksofenbatterien zur Verbesserung<br />
des Umweltschutzes nachgerüstet<br />
werden kann.<br />
Verkokung<br />
Koks ist ein unverzichtbarer Einsatzstoff für die Roheisen-<br />
erzeugung im Hochofen. Aus diesem Grund ist die Kokerei<br />
eine typische Teilanlage eines integrierten Hüttenwerkes.<br />
Herzstück einer Kokerei ist die Koksofenanlage, in der<br />
die Einsatzkohle in luftdicht abgeschlossenen Industrieöfen<br />
bei Temperaturen von ca. 1.100-1.300 °C entgast und zu<br />
Koks veredelt wird, der dann nach einer Garungszeit von<br />
ca. 18-25 h ausgedrückt werden kann. Die Koksofenanlage<br />
besteht aus einer Vielzahl von Beheizungskammern,<br />
bis zu 80 Öfen aus feuerfesten Steinen gemauert, die zu<br />
/ 45<br />
einer so genannten Batterie zusammengefasst werden.<br />
Jeder Ofen kann bis zu 8,5 m hoch, 20 m lang sowie 0,6 m<br />
breit sein und hat ein Fassungsvermögen von bis zu 70 t<br />
Kohle. Das während der Verkokung entstehende Rohgas<br />
wird über eine Absaugvorrichtung (Steigrohr, Krümmer<br />
und Vorlage) geleitet, wo es durch Einsprühen von<br />
Ammoniakwasser gekühlt wird und die teerigen Bestandteile<br />
auskondensieren. Danach wird das abgekühlte Rohgas<br />
in die Gasbehandlungsanlage weitergeleitet. Da der<br />
Verkokungsprozess drucklos ist, kann die Abdichtung der<br />
Kammern an den Ofenverschlüssen, z.B. an den Ofen-<br />
türen, durch Metall-auf-Metall-Dichtungen realisiert werden.<br />
Aufgrund der Randbedingungen des Kokereibetriebes<br />
(u.a. hohe Temperaturen, teerige Kondensate, diskontinu-<br />
ierlicher Batch-Betrieb, Anlagenalter) lassen sich aller-<br />
dings während des Verkokungsvorganges gas- und staub-<br />
förmige Emissionen an den Ofenverschlüssen – so<br />
genannte diffuse Emissionen – nicht völlig vermeiden.<br />
Um einen größtmöglichen Umwelt- und Arbeitsschutz<br />
zu gewährleisten, hat ThyssenKrupp Uhde als technologie-<br />
orientierter Anlagenbauer dieses Thema verstärkt aufgegriffen<br />
und entsprechende konstruktive und verfahrenstechnische<br />
Entwicklungen vorangetrieben.<br />
Hintergrund<br />
Das von ThyssenKrupp Uhde entwickelte System zur<br />
Emissionsreduzierung, das Einzelkammerdruckregelsystem<br />
PROven™ (Pressure Regulated Oven), hat dabei<br />
völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Im Gegensatz zur kon-<br />
ventionellen Kokereitechnik gestattet es aufgrund einer<br />
individuellen Regelung des Druckes in den Ofenkammern<br />
einen erheblich emissionsärmeren Betrieb von Koks-<br />
ofenbatterien.<br />
Bereits frühzeitig hatte sich ThyssenKrupp Uhde die<br />
Entwicklungsgrundlage gesichert und daraus ein betriebs-<br />
taugliches System entwickelt. Seit dem erstmaligen<br />
industriellen Einsatz in 2003 an den beiden Batterien der<br />
modernen Großkokerei Schwelgern mit 140 Öfen trägt<br />
das PROven™-System wesentlich zur umwelttechnischen<br />
Verbesserung zahlreicher Kokereianlagen bei / siehe Titel-<br />
bild Bericht /.
46 / Mini-PROven – Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren Koksöfen mit einer Einzelkammerdruckregelung<br />
Steigrohr<br />
NH3-Wasser<br />
Druckregler<br />
Pneumatik-<br />
Zylinder<br />
Bild 1 / Schematische Darstellung der Einzelkammerdruckregelung mit Mini-PROven<br />
Regelventil<br />
Schnellfüllleitung<br />
Regelstange<br />
FixCup-Gehäuse<br />
Überlaufregelorgan<br />
Verschlussstopfen<br />
eines Überlaufregelorganes individuell entsprechend dem<br />
Verkokungsfortschritt geregelt, dies bedeutet:<br />
° geringer Druck am Garungsanfang zur Emissionsminderung,<br />
° mit der Garungszeit stufenweise ansteigender Gegen-<br />
Inzwischen ist PROven™ weltweit erfolgreich an mehr<br />
als 2.000 Koksöfen mit einer Koksproduktion von fast<br />
30 Mio t/a installiert:<br />
°<br />
druck, sodass der Druck in der Kokskammer – trotz<br />
stark unterschiedlicher Gasentwicklung während der<br />
Garungszeit – stets leicht positiv ist und ein Eindringen<br />
von Luft in den Ofen verhindert wird.<br />
Im / Bild 2 / sind der resultierende Druckverlauf im<br />
Steigrohr-/Vorlagenbereich und die Auswirkung an dem hinsichtlich<br />
Emissionen besonders kritischen Ofentürbereich<br />
dargestellt.<br />
12 Koksofenbatterien in China,<br />
° 9 Koksofenbatterien in Süd-Korea,<br />
° 6 Koksofenbatterien in Brasilien,<br />
° 1 Koksofenbatterie in USA,<br />
° 3 Koksofenbatterien in Deutschland sowie<br />
° 1 Koksofenbatterie in Kanada.<br />
Das PROven™-System kam aber nicht nur bei vielen Neuanlagen<br />
weltweit zur Anwendung. Auch an etlichen bereits<br />
im Betrieb befindlichen Kokereien wurde es nachgerüstet.<br />
PROven™ hat nicht nur in Deutschland den behördlich<br />
anerkannten Umweltstandard für Neuanlagen gesetzt –<br />
inzwischen ist auch in den USA und Kanada seitens der<br />
dortigen Aufsichtsbehörde EPA (Environmental Protection<br />
Agency) ein Kammerdruckregelungssystem für neue Koksofenanlagen<br />
vorgeschrieben.<br />
Funktionsprinzip des PROven™-Systems<br />
2<br />
Die wesentlichen Funktionselemente von PROven™ sind 1<br />
Steigrohr<br />
im / Bild 1 / schematisch dargestellt. Zentraler Bestandteil<br />
des Systems ist eine Wassertasse (’FixCup’), mit der die<br />
druckmäßige Trennung zwischen der eigentlichen Ofen-<br />
0<br />
Ofentür<br />
20 % 40 % 60 % 80 % 100 %<br />
kammer und der Gassammelvorlage erfolgt. In der FixCup<br />
Garungszeit<br />
wird ein über den Wasserstand regelbarer Strömungs-<br />
Gasvorlage<br />
widerstand für das bei der Verkokung entstehende<br />
Rohgas aufgebaut. Über die Höhe des Wasserstandes in<br />
-3<br />
der FixCup wird der Druck in der Ofenkammer mit Hilfe Bild 2 / Druckregelverhalten des PROven™-Systems<br />
Druck [mbar]<br />
Vorlage<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Im Gegensatz zu konventionell betriebenen Koksöfen,<br />
bei denen der Druck in der Gassammelvorlage aufgrund<br />
der fehlenden Entkopplung zur Kammer im positiven<br />
Bereich (bei ca. +1 mbar) liegen muss, lässt PROven™<br />
vorteilhafterweise den Betrieb auch unter Saugung<br />
(ca. - 3 mbar) zu. Dies ermöglicht eine erheblich effektivere<br />
Absaugung der Gase beim Füllen des Ofens als mit<br />
bisher üblichen konventionellen Systemen.<br />
Mini-PROven – Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren Koksöfen mit einer Einzelkammerdruckregelung / 47<br />
Entwicklung von MINI-PROven<br />
Das „Normal“-PROven™-System ist konstruktiv für die<br />
Dimensionen im Vorlagenbereich von Großraumöfen, d.h.<br />
mit Kammerhöhen über 6 m, entwickelt worden. / Bild 3 /<br />
zeigt die baulichen Gegebenheiten exemplarisch für das<br />
PROven™-Equipment an einer Großraumofenbatterie.<br />
Bereits bei diesen großen Öfen mit einer Ofenhöhe<br />
von 7,6 m zeigen sich aber schon die relativ knappen<br />
Platzverhältnisse.<br />
Bild 3 / Platzverhältnisse im Steigrohr-/Vorlagenbereich beim „Normal“-PROven™-Equipment an einer Großraumbatterie
48 / Mini-PROven – Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren Koksöfen mit einer Einzelkammerdruckregelung<br />
Für einen Einbau an kleineren Koksofenbatterien mit<br />
Ofenhöhen von 4-6 m sind die Verhältnisse noch wesentlich<br />
beengter. Die standardisierten PROven™-Konstruktionselemente<br />
– insbesondere das Regelorgan – sind deutlich<br />
überdimensioniert, sodass eine Nachrüstung mit<br />
PROven™ hierfür bisher nicht angeboten werden konnte.<br />
Derartige meist ältere Batterien sind aber auf dem<br />
Weltmarkt zahlreich vertreten, insbesondere in den GUS-<br />
Staaten, Polen, China, Taiwan, Indien und Nord-Amerika.<br />
Um auch diesen Marktanteil für eine Umrüstung mit<br />
einem so genannten Mini-PROven erschließen zu können,<br />
wurden die dafür erforderlichen Anpassungen im Rahmen<br />
eines Projektes ausgearbeitet. Folgende konstruktiv und<br />
verfahrenstechnisch herausfordernden Aufgaben wurden<br />
dabei gelöst, ohne dass die bewährten grundsätzlichen<br />
Funktions- und Regelungsmerkmale von PROven™ aufgegeben<br />
werden mussten:<br />
° generelle dimensionsmäßige Verkleinerung der<br />
Konstruktionselemente,<br />
° Anpassung angrenzender Ausrüstungsteile und War-<br />
tungsöffnungen zur Schaffung größtmöglicher Zugänglichkeit<br />
für Servicearbeiten durch das Betriebspersonal –<br />
trotz der beengten Verhältnisse,<br />
° völlige Überarbeitung des wichtigen, von ThyssenKrupp<br />
Uhde entwickelten Regelorganes / Bild 4 /, dergestalt,<br />
dass einerseits trotz der kleineren Baugröße ein<br />
genügend großer Gasdurchtritt möglich ist, ohne dass<br />
es andererseits zu Teerablagerungen kommen kann,<br />
° Anpassung der Regelcharakteristik an die verminderte<br />
Rohgasmenge durch entsprechend neu gestaltete Einbauten<br />
für eine angepasste Regelcharakteristik.<br />
Bild 5 / Mini-PROven-Teststand<br />
Bild 4 / Überlaufregelorgan für Mini-PROven<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 6 / Mini-PROven-Neuinstallation an der alten Koksofenbatterie 9 bei Essar Algoma in Kanada<br />
Im Zuge der Entwicklung wurde die Funktion des neukonzipierten<br />
Systems an einem Teststand / Bild 5 / erprobt,<br />
wobei insbesondere<br />
° das Regelverhalten mit dem neuen Überlaufregelventil,<br />
° das für einen störungsfreien Betrieb wichtige Benetzungs-<br />
verhalten aller Komponenten sowie<br />
° die mechanische Anpassung an Bewegungen im System<br />
untersucht wurden.<br />
Im Jahre 2011 erfolgte im Rahmen der Umrüstung der 5 m<br />
großen Batterie Nr. 9 bei der Anlage Essar Algoma in<br />
Kanada die erste erfolgreiche großtechnische Umsetzung<br />
des neuen Mini-PROven-Konzeptes / Bild 6 /. Das System<br />
hat auch dort zu einer deutlichen Reduktion der diffusen<br />
Emissionen geführt.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Mini-PROven – Emissionsreduzierung an kleinen und mittleren Koksöfen mit einer Einzelkammerdruckregelung / 49<br />
Fazit<br />
Mit dem neu entwickelten Mini-PROven-System können<br />
jetzt auch ältere kleinere und mittelgroße Öfen mit einem<br />
Kammerdruckregelungssystem zur Verbesserung der<br />
Emissionssituation im Zusammenhang mit der Einhaltung<br />
entsprechender Grenzwerte nachgerüstet werden. Damit<br />
ist der Einsatz des PROven™-Prinzips für die komplette<br />
Bandbreite von kleinen Öfen bis hin zu Großraumöfen<br />
sichergestellt. Weitere Kunden und Märkte sind somit<br />
zukünftig erschließbar.
50 /<br />
Moderne, getriebelose Antriebssysteme<br />
für durchsatzstarke Bandförderer<br />
GünTHEr KErKHoff BsEE General Manager Electrical ThyssenKrupp robins inc. Denver/USA<br />
Dipl.-inG. pETEr sEHl General Manager Sales & Service ThyssenKrupp robins inc. Denver/USA<br />
VlaDiMir sVirsKY MsME Chief Mechanical Engineer ThyssenKrupp robins inc. Denver/USA<br />
Getriebeloses Antriebssystem, 2 x 3.800 kW, 63 U/min, 631 kNm<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer / 51<br />
In vielen Bergbaugebieten sinkt die Erzqualität. Neue Minen entstehen in immer abgelegeneren Gebieten.<br />
Die Gruben werden tiefer und harte Erze werden zunehmend unter Tage abgebaut. Das bringt neue Heraus-<br />
forderungen mit sich: Es muss immer mehr Material über größere Entfernungen transportiert werden. Mit<br />
den wachsenden Fördergut-Volumina steigen gleichzeitig die hohen Anforderungen an die Verfügbarkeit der<br />
Förderanlagen. Vor diesem Hintergrund müssen die Anlagen mit modernen Antriebssystemen ausgestattet<br />
sein, die eine hohe Zuverlässigkeit garantieren.
52 / Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer<br />
Partnerschaft mit Siemens bei großen Fördersystemen<br />
Seit vielen Jahren arbeiten ThyssenKrupp und Siemens partnerschaftlich<br />
zusammen. Dabei sind einige der imposantesten Förderanlagen<br />
der Bergbaubranche entstanden. Einer der bislang größten Erfolge<br />
ist der Abwärtsförderer der chilenischen Mine Los Pelambres, dessen<br />
Band seit 1999 mit einer weltweit unübertroffen hohen Zugspannung<br />
arbeitet. Der Förderer transportiert Kupfererz über eine Strecke von<br />
12,7 km aus einer Höhe von 3.200 m über NN auf 1.600 m über NN<br />
hinunter. Dabei liefert er sogar noch bis zu 17 MW nutzbare elektrische<br />
Leistung an das Netz.<br />
Technische Grenzen herkömmlicher Antriebssysteme<br />
Die herkömmlicherweise in Antrieben von Förderern verwendeten<br />
Untersetzungsgetriebe stoßen an ihre physikalischen Grenzen, wenn die<br />
Einsatzfälle zu anspruchsvoll werden, also etwa bei Anlagen mit steilem<br />
Förderwinkel oder hoher Förderleistung. So benötigt beispielsweise<br />
ein modernes Fördersystem mit einer geforderten Gesamt-Antriebs-<br />
leistung von ≥ 20.000 kW mindestens acht herkömmliche Antriebe,<br />
jeweils mit Getriebe und 2.500-kW-Motor. Ein wesentlicher Nachteil<br />
der herkömmlichen Lösung besteht in der niedrigen Verfügbarkeit des<br />
Gesamtsystems aufgrund der hohen Anzahl mechanischer Komponenten<br />
(beispielsweise über 70 Lager für acht 2.500-kW-Getriebe), die zu<br />
einer niedrigen MTBF (Mean Time Between Failures) führt.<br />
Bild 1 / Werksinspektion eines getriebelosen Antriebsrotors bei Siemens<br />
Eigenschaften und Vorteile getriebeloser Antriebe<br />
Bei Förderern mit hoher Leistung sind getriebelose Antriebe eine attraktive<br />
Alternative. Wegen seines einfachen Aufbaus bietet ein solches<br />
System ein hohes Maß an Verfügbarkeit und Robustheit, zeichnet<br />
sich durch geringere Betriebs- und Wartungskosten aus, läuft leiser<br />
und hat obendrein den Vorteil einer variablen Geschwindigkeit.<br />
Bei getriebelosen Systemen ist ein langsam laufender Synchronmotor<br />
direkt mit der Welle der Bandantriebs-Trommel verbunden.<br />
Wegen der niedrigen Motordrehzahl wird kein Getriebe benötigt: Der<br />
Rotor des Synchronmotors / Bild 1 / ist an die Welle der Bandantriebstrommel<br />
angeflanscht.<br />
Die Technik des getriebelosen Antriebes ist in der Bergbaubranche<br />
nichts Neues. Schon seit vielen Jahren installieren Minenbetreiber hoch-<br />
leistungsfähige getriebelose Antriebe für Fördermaschinen, Bagger,<br />
Schürfbagger, Pumpen und Brecher. Bei Bandförderern sind die<br />
Anforderungen jedoch trotz vergleichbarer Technik anders. Ähnlich wie<br />
Brecher benötigen solche Förderer – insbesondere Aufwärtsförderer –<br />
beim Anlaufen ein sehr hohes Drehmoment. Getriebelose Antriebe<br />
steigern hier die Betriebseffizienz und garantieren zugleich hohe Zuverlässigkeit<br />
bei geringem Wartungsbedarf.<br />
Im Falle des oben genannten 20.000-kW-Beispieles kommt ein<br />
getriebeloser Förderer mit nur drei oder vier langsam laufenden<br />
Motoren aus und benötigt weder zusätzliche Lager noch Kupplungen.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Wegen der geringeren Komponentenzahl ist der Platzbedarf für die<br />
Antriebsstation und das Schalthaus geringer / Bild 2 /. Dies ist besonders<br />
für unter Tage platzierte Stationen vorteilhaft, denn hierfür sind<br />
kostenintensive Ausbaggerungen notwendig.<br />
Beim Abwärtsbetrieb können die Antriebe im Regenerativmodus<br />
arbeiten und so elektrische Energie für andere Einrichtungen der<br />
Mine liefern. Zudem werden die Möglichkeiten getriebeloser Antriebe<br />
durch Fortschritte in der Fördergurt-Technik ergänzt. Es gibt inzwischen<br />
zugfestere Gurte (Material ST-10.000), die den aus einer größeren<br />
Antriebsleistung resultierenden höheren Beanspruchungen gewachsen<br />
sind.<br />
Bergbauunternehmen bemühen sich heute verstärkt darum, den<br />
Energieverbrauch sowie die CO 2-Emissionen zu verringern und die<br />
Systemzuverlässigkeit zu steigern. Getriebelose Antriebe kommen<br />
diesen Wünschen entgegen, weil bei höherem Wirkungsgrad die<br />
Anzahl der mechanischen Komponenten wie Zahnräder, Lager und<br />
Kupplungen deutlich reduziert ist / Bild 3 /. Der Investitionsaufwand für<br />
einen Förderer mit getriebelosen Antrieben ist gleich oder kleiner als<br />
der für einen Förderer mit Getrieben, insbesondere dann, wenn das<br />
durch Ersatzteilhaltung gebundene Kapital Berücksichtigung findet.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer / 53<br />
Bild 2 / Geringer Platzbedarf eines getriebelosen Antriebssystems (der linke Motor befindet sich in Wartungsstellung mit zurückgezogenem Statorgehäuse)<br />
Kupplung<br />
Kupplung<br />
Bremse<br />
Fördergurt<br />
Transformator<br />
Umrichter<br />
Asynchronmotor<br />
Getriebe<br />
Bandantriebs-<br />
Trommel<br />
Bremse<br />
Synchronmotor<br />
Bandantriebs-<br />
Trommel<br />
Bild 3 / Vergleich der Lösungen mit normalem (links) und getriebelosem Antrieb (rechts)<br />
Fördergurt<br />
Transformator<br />
Direktumrichter
54 / Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer<br />
Erstes Vorzeigeprojekt mit getriebelosen Antrieben<br />
in deutschem Kohlebergwerk<br />
Schon 1985 haben O&K (heute Teil von ThyssenKrupp) und Siemens<br />
den allerersten Bandförderer mit getriebelosem Direktantrieb installiert.<br />
Die Synchronmotoren werden dabei über Direktumrichter versorgt.<br />
Die Ingenieure der RAG Deutsche Steinkohle waren damals von<br />
der neuen Umrichtertechnik begeistert und hatten sich dazu entschlossen,<br />
sie in der Kohlezeche Prosper-Haniel (Deutschland) unter<br />
Tage einzusetzen / Bild 4 /. Mehr als ein Vierteljahrhundert später<br />
sind diese Förderbandantriebe immer noch in Betrieb – und das<br />
zu vollster Zufriedenheit des Betreibers. Das Fördersystem hat eine<br />
Verfügbarkeit von mehr als 99 %.<br />
Erfahrungen laut Aussagen der RAG-Manager:<br />
° Es gab keine bedeutenden Unterbrechungen oder Ausfälle,<br />
die mit den Motoren oder Umrichtern zusammenhingen.<br />
° Die Wartungskosten sind deutlich geringer als bei Förderern<br />
mit Getriebeantrieb.<br />
° Verglichen mit Anlagen mit Getrieben und fester Geschwindigkeit<br />
werden jährlich geschätzte 10 % an elektrischer Energie eingespart.<br />
Bild 4 / Zeche Prosper-Haniel, Antriebsstation für Förderband, getriebeloses System, 2 x 3.100 kW<br />
Neues getriebeloses Antriebssystem für Kunden in Peru<br />
In Fortsetzung ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit liefern ThyssenKrupp<br />
Robins und Siemens jetzt einen Langstreckenförderer für die neue<br />
Mine Antapaccay (Peru) von Xstrata Copper. Dieser Förderer besitzt<br />
ein getriebeloses Antriebssystem / Bild 5 /. Das Erz wird von<br />
einem 1.370 mm breiten Förderband mit einer Geschwindigkeit<br />
von 6,2 m/s über eine Strecke von circa 6,5 km von der Mine zur<br />
Aufbereitungsanlage transportiert. Nach seiner Inbetriebnahme im<br />
Jahr 2012 wird das Fördersystem bis zu 5.260 t/h Kupfererz trans-<br />
portieren können. Das Antriebssystem besteht aus zwei langsam<br />
laufenden Synchronmotoren – jeder mit einer Nennabgabeleistung<br />
von 3.800 kW – und den zugehörigen Direktumrichtern, Motorkühl-<br />
systemen, Umrichtertransformatoren und einem kompletten Schalthaus<br />
für die Antriebsstation. Ein Regelsystem verbessert die Lastverteilung<br />
zwischen den beiden Motoren.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 5 / Computersimulation einer Antriebsstation für die Mine Antapaccay (Peru) von Xstrata Copper<br />
Zusammenfassung<br />
Lange Förderbänder mit hohem Durchsatz und/oder großen Hubhöhen<br />
benötigen hohe Leistungen. Sobald mehr als 3 MW pro Antriebstrommel<br />
erforderlich sind, gelten getriebelose Antriebe für den Förderer als die<br />
beste Lösung.<br />
Getriebelose Antriebe bieten viele Vorteile gegenüber Antrieben mit<br />
Getriebe:<br />
° höhere Anlagenverfügbarkeit durch Wegfall von elektrischen<br />
Komponenten, Kupplungen, Lagern und Getrieben, somit<br />
geringes Risiko von Ausfallzeiten,<br />
° bis zu 4 % bessere Energieausnutzung erreichbar,<br />
° längere Förderbänder, weniger Antriebsstationen mit weniger<br />
Platzbedarf, somit weniger Ausbaggerungen bei Anlagen<br />
unter Tage,<br />
° mehr Antriebskraft an der Antriebstrommel,<br />
° weniger Wartung aufgrund robusterer Komponenten und somit<br />
geringeres Risiko von Schäden an mechanischen Komponenten,<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
° reduzierte Lagerhaltung von Ersatzteilen, daher weniger Inventar und<br />
° leiserer Betrieb aufgrund des Wegfalls von Getrieben, die<br />
Moderne, getriebelose Antriebssysteme für durchsatzstarke Bandförderer / 55<br />
geringere Investitionskosten sowie<br />
bei herkömmlichen Antrieben die stärksten Lärmquellen darstellen.<br />
Aus der Bergbaubranche, insbesondere der in Südamerika, kommt<br />
mittlerweile eine verstärkte Nachfrage nach durchsatzstarken Förderern,<br />
mit denen die geänderten Anforderungen an den Transport von Erz und<br />
Abraum bedient werden können.<br />
Getriebelose Antriebslösungen haben das Potenzial, diese<br />
neuen Anforderungen zu erfüllen: effizient und dabei mit niedrigen<br />
Betriebskosten.
56 /<br />
Zweiwalzenmühle zum Mahlen von Zuckerrohr<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Energieeffiziente<br />
Zweiwalzenmühle<br />
YasHwanT saKHarDanDE B.TEcH Sr. Vice President, Design & Engineering ThyssenKrupp industries india pvt ltd. Pimpri, Pune/Indien<br />
arVinD KarMarKar B.E. (MEcH) Head of Research & Development ThyssenKrupp industries india pvt ltd. Pimpri, Pune/Indien<br />
Aufgrund der Nachfrage des Marktes nach energieeffizienten<br />
Systemen hat ThyssenKrupp Industries India eine äußerst<br />
sparsame Zweiwalzenmühle ohne Abfallplatte entwickelt,<br />
um die Nachteile der herkömmlichen Dreiwalzenmühle, wie<br />
Reibungsverluste, Komplexität und Verschleiß, zu umgehen.<br />
Sie spiegelt die Pionierrolle von ThyssenKrupp Industries<br />
India in der indischen Zuckerindustrie wider. Mühlen sind ein<br />
bedeutender Stromverbraucher in der Zuckerindustrie, eine<br />
energieeffiziente Variante war daher dringend notwendig.<br />
Angesichts der großen Marktpräsenz in der Zuckerindustrie<br />
bemüht sich ThyssenKrupp Industries India stets um energieeffizientere<br />
Systeme und Prozesse in allen Bereichen<br />
der Zuckerproduktion.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Entladekran<br />
Zuführtisch Zuckerrohr-<br />
Bild 1 / Schematische Ansicht einer Zuckerfabrik<br />
Hackmesser<br />
Zuführtisch Zuckerrohr-<br />
Kranwagenfahrgestell<br />
Zuckerrohr-Entladung<br />
Hackmesser<br />
Förderband<br />
Zuckerrohr-Vorbereitung<br />
Zerkleinerer Drehsieb<br />
Magnet<br />
Gesiebter Saft<br />
zur Verarbeitung<br />
/ 57<br />
Rückblick<br />
Indien hat den größten Zuckerverbrauch weltweit und ist<br />
der zweitgrößte Zuckerproduzent. Die voraussichtliche<br />
Zuckerrohrproduktion für das Jahr 2012 liegt bei 320 Mio<br />
Tonnen. Im Zuge der industriellen Entwicklung nach der<br />
Erlangung der Unabhängigkeit (1950-51) kamen immer<br />
mehr Zucker produzierende Agrargenossenschaften auf<br />
den Markt – ein Sektor von hoher Priorität. Die Zuckerwerke<br />
begannen moderne Maschinen und Prozesse<br />
nachzufragen, um die Zerkleinerungskapazität, Extraktionseffizienz<br />
und Qualität des Zuckers zu erhöhen.<br />
ThyssenKrupp Industries India (ehemals Buckau Wolf)<br />
spielt seit 1957 eine Pionierrolle in der indischen Zuckerindustrie<br />
und liefert schlüsselfertige Anlagen einschließlich<br />
Konstruktion, Fertigung, Installation und Inbetriebnahme<br />
für Kapazitäten von 800 bis 15.000 Tonnen ausgepresstem<br />
Zuckerrohr pro Tag. ThyssenKrupp Industries<br />
India hat über 132 Werke und Erweiterungsprojekte,<br />
543 Zuckerfabriken / Bild 1 / und 4.100 Zentrifugen in<br />
Indien, Afrika, Lateinamerika und den südost-asiatischen<br />
Nationen installiert.<br />
1. Mühle<br />
2. Mühle<br />
3. Mühle<br />
Mühlen zur Saftextraktion<br />
Bagasse zu Boiler<br />
4. Mühle
58 / Energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />
Bild 2 / Zuckerrohr – Quelle für Energie und Zucker<br />
Fokus der Zuckerindustrie auf Stromexporte<br />
Die Zuckerrohrpflanze ist umweltfreundlich, kohlenstoffneutral<br />
und dient als Nahrungsmittel und Energiequelle<br />
/ Bild 2 /. Seit einer Reform im Stromsektor Ende der<br />
90er Jahre können Zuckerfabriken durch Verwendung<br />
von Bagasse als Biotreibstoff Strom in das Energieversorgungsnetz<br />
einspeisen. Das Kyoto-Protokoll hat diesen<br />
Trend durch Finanzhilfen für die Stromerzeugung durch<br />
erneuerbare Energien noch verstärkt. Heute sind Stromexporte<br />
eine bedeutende Einnahmequelle, und immer mehr<br />
Zuckerwerke werden zu Verbundkraftwerken umgebaut.<br />
Herausforderungen der Zuckerrohrverarbeitung<br />
° Senkung des Energieverbrauches: Strom gespart<br />
bedeutet Strom erzegt<br />
° Senkung des Feuchtegehaltes der Bagasse:<br />
verbesserter Kraftstoffbrennwert im Verbundkraftwerk<br />
° Senkung der anfänglichen Investitionskosten:<br />
alte Fabriken zum Ausbau ermutigt, verbesserte<br />
Kapitalrendite für neue Werke<br />
° Verbesserte Ausnutzung der Mühle: erhöhte<br />
Zuckerproduktion<br />
° Senkung der Wartungskosten: verbesserte<br />
Anlagenverfügbarkeit<br />
Einschränkungen herkömmlicher Dreiwalzenmühlen<br />
Die Basiskonstruktion der Dreiwalzenmühle / Bilder 3 und<br />
4 /, die in den frühen 90er Jahren entwickelt wurde,<br />
bestand aus zwei Kompressionen mit hohen Reibungskräften<br />
zwischen den Kompressionen über der Abfallplatte.<br />
Die Reibungskräfte trugen zum Lockern der Fasern und<br />
Freilegen/Punktieren der safthaltigen Zellen bei, um ein<br />
effizienteres Auspressen durch die zweite Kompression<br />
zu ermöglichen. Durch die Geschwindigkeitsdifferenzen<br />
zwischen der rotierenden oberen Walze und der fest<br />
montierten Abfallplatte in Kombination mit schweren<br />
hydraulischen Lasten wurde der Effekt noch verstärkt<br />
/ Bild 5 /. Dabei kam es jedoch auch zu hohen Reibungsverlusten.<br />
Darüber hinaus kennzeichnet die Dreiwalzenmühle<br />
Folgendes:<br />
° mehr bewegliche Teile,<br />
° hohe Reibungsverluste in<br />
- der Abfallplatte sowie<br />
- im Kranzritzel und in der Vierkantkupplung,<br />
° hohe Saft-Resorptionsverluste über der Abfallplatte;<br />
die Abfallplatte verstopft den freien Saftabfluss zwischen<br />
Zu- und Abführwalze und führt zu Resorption,<br />
° schwieriges Einstellen und Ausrichten der Mühle,<br />
° alle Walzen drehen sich mit derselben Geschwindigkeit,<br />
° wenn die obere Walze Spiel hat, bleibt das Spalteinstellverhältnis<br />
zwischen Zu- und Abführwalze<br />
nicht konstant,<br />
° die obere Walze überträgt Kraft und zusätzliche<br />
hydraulische Last auf die Zu- und Abführwalze,<br />
sodass größere Wellen und Lager erforderlich sind;<br />
die Standardisierung der Walzenwellen (Zu- und<br />
Abführwalze wie obere Walze) führt zu größerem<br />
Antriebskopf und höherem Eigengewicht der Mühle,<br />
° aufgrund der Geometrie ist der zulässige Walzenverschleiß<br />
begrenzt und bei den einzelnen Walzen<br />
unterschiedlich; bei der oberen Walze ist der<br />
Walzenverschleiß maximal und bei der Zuführwalze<br />
minimal.<br />
Prinzip der Zweiwalzenmühle<br />
Heute bereiten hochbelastbare Zerkleinerungs- und<br />
Zerfaserungsmaschinen das Zuckerrohr mit bis zu 90 %<br />
offenen Zellen vor, bevor es den Mühlen zugeführt wird.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 3 / Dreiwalzenmühle<br />
Unwucht-Kraft-Reibungsverlust<br />
durch Gleiten der oberen Walze<br />
UFR<br />
(Under Feed Roller)<br />
Energieverlust durch<br />
Reibung auf Abfallplatte<br />
Obere Walze<br />
Zuführwalze<br />
Abführwalze<br />
Bild 5 / Hydraulische Lastverteilung, links: herkömmliche Mühle, rechts: Zweiwalzenmühle<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
25 %<br />
Obere Walze<br />
Zuführwalze Abführwalze<br />
Bild 4 / Energieverluste in einer herkömmlichen Dreiwalzenmühle<br />
100 %<br />
Resorptionsverluste<br />
50 %<br />
100 %<br />
100 %<br />
Energieeffiziente Zweiwalzenmühle / 59<br />
Energieverlust in Kranzritzeln<br />
Energieverlust durch Ende-Balken-<br />
und Vierkant-Kupplung<br />
Obere Walze<br />
Untere Walze
60 / Energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />
Dadurch ist keine Reibung auf der Abfallplatte mehr erforderlich,<br />
sodass diese eliminiert werden konnte.<br />
In herkömmlichen Mühlen absorbiert die Abfallplatte fast<br />
25 % der hydraulischen Last, die auf die obere Walze ausgeübt<br />
wird. Nur etwa 75 % der hydraulischen Last werden<br />
für die Saftextraktion genutzt. Außerdem gehen rund<br />
20-25 % der Energie beim Ziehen der Bagasse über die<br />
Abfallplatte verloren.<br />
Die neue Zweiwalzenmühle enthält keine Abfallplatte,<br />
sodass Energieverluste durch Reibung auf der Abfallplatte<br />
entfallen. Die gesamte hydraulische Last, die auf die obere<br />
Walze wirkt, wird auf die untere Walze übertragen und für<br />
die Saftextraktion genutzt.<br />
Diese äußerst energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />
wurde während der Entwicklung mit der herkömmlichen<br />
Dreiwalzenmühle verglichen. Die Grundstruktur ist an die<br />
neue Walzenkonfiguration der Mühle angepasst. Viele der<br />
bewährten und der Standardkomponenten/-baugruppen,<br />
wie z.B. Abdeckung, Lager, Messchaert-Rillen, Lotus-<br />
Bohrungen, obere Walze mit Spiel, wurden beibehalten.<br />
Eine Geschwindigkeitsdifferenz zwischen der oberen<br />
und der unteren Walze wurde auch für die neue Mühle<br />
eingeplant, um die geringe Reibungskraft zu erzeugen, die<br />
noch erforderlich ist.<br />
Die Zweiwalzenmühle ist mit neuen Komponenten/<br />
Systemen ausgestattet, die ihre Energieeffizienz erhöhen.<br />
Die für die energieeffiziente Zweiwalzenmühle verwendeten<br />
Neuentwicklungen werden nachfolgend kurz erläutert.<br />
Resorptions-Steuereinheit<br />
Das ausgepresste Zuckerrohr (Bagasse) ist infolge seiner<br />
Bearbeitung schwammartig und absorbiert Saft, wenn<br />
es sich nach der Kompression frei ausdehnen kann. Die<br />
einzigartige Resorptions-Steuereinheit / Bild 6 / verhindert<br />
Bild 6 / Resorptions-Steuereinheit<br />
ein Ausdehnen der Bagasse nach ihrer Kompression in<br />
den Walzen der Mühle. Dadurch wird die Resorption des<br />
extrahierten Saftes auf ein Minimum reduziert und die<br />
Bagasse von der Saftextraktionszone fern gehalten. Ein<br />
ungehinderter Saftablauf wird im neuen Design besonders<br />
berücksichtigt.<br />
Die Resorptions-Steuereinheit:<br />
° senkt den Zuckerverlust in der Bagasse und reduziert<br />
die Feuchtigkeit der Bagasse in der letzten Mühle,<br />
° senkt die benötigte Nachpresskraft in der nachgeschalteten<br />
Mühle in Tandemkonfiguration und<br />
spart Energie.<br />
Flexible Kombination mit<br />
verschiedenen Zuführsystemen<br />
Zweiwalzenmühlen können je nach Anforderungen des<br />
Kunden mit folgenden Zuführsystemen kombiniert werden:<br />
TRPF (Toothed Roller Pressure Feeder), GRPF (Grooved Roller<br />
Pressure Feeder) oder UFR (Under Feed Roller) / Bild 7 /.<br />
Implementierung energieeffizienter Antriebe<br />
Der wellenmontierte Planetenantrieb Hydraulikantrieb eliminiert<br />
die Energieverluste in Stirnradgetrieben, offenen<br />
Getrieben und Ende-Balken-Kupplungen / Bild 8 /. Die<br />
Getriebegröße kann reduziert werden, ein antriebsseitiges<br />
Fundament ist nicht weiter notwendig.<br />
Seilkupplung:<br />
° eliminiert die Energieverluste bei Ende-Balken-<br />
Kupplungen,<br />
° sorgt für ein freies Spiel der oberen Walze,<br />
° schützt das Getriebe durch Aufnahme von Stößen<br />
der Walzen und<br />
° senkt den Gesamtenergiebedarf der Mühle.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Perforierte Druckwalze<br />
GRPF – Untere Lotus*-Walze<br />
Perforierte Druckwalze<br />
Untere Mühlenwalze,<br />
Tiefe Messchaert-Rillen<br />
und Lotus*-Bohrungen<br />
* ) Lotus = Lochmuster in Walzen<br />
zur Saftentwässerung<br />
Bild 7 / Zweiwalzenmühle durch GRPF/TRPF zugeführt und Einzelwalze<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Donnelley-Schacht<br />
GRPF – Obere Lotus*-Walze<br />
Kurzer Druckschacht<br />
- Verhindert Resorption<br />
- Erhöht Bagassendichte und Kapazität<br />
der Zweiwalzenmühle<br />
Donnelley-Schacht<br />
Obere Lotus*-Mühlenwalze<br />
Saftauffang-Vorrichtung<br />
Energieeffiziente Zweiwalzenmühle / 61<br />
Obere Lotus*-Mühlenwalze<br />
Saftresorptions-Steuereinheit<br />
Untere Mühlenwalze,<br />
Tiefe Messchaert-Rillen<br />
und Lotus*-Bohrungen<br />
Saftauffang-Vorrichtung<br />
Saftresorptions-Steuereinheit
62 / Energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />
Produktmerkmale und Vorteile der<br />
neuen Zweiwalzenmühle<br />
° Geneigter Antriebskopf für leichte Zuführung durch<br />
Donnelley-Schacht oder Druck-Feeder<br />
° Individuelle Feineinstellung und Drehzahlsteuerung der<br />
Mühle bei jedem Auspressen<br />
° Zulässiger Walzenverschleiß der oberen und unteren<br />
Walze identisch durch gleiche hydraulische Last und<br />
Einzeldruckkontakt<br />
° Energieersparnis:<br />
- um bis zu 60-70 % geringerer Energieverbrauch des<br />
Antriebes gegenüber herkömmlicher Mühle<br />
- hydraulische Last beträgt etwa 70-75 % gegenüber<br />
der herkömmlichen Mühle und wird direkt auf die<br />
untere Walze übertragen<br />
° Geringere Investitionskosten:<br />
- kleinere Walzenwelle und -lager als bei einer herkömmlichen<br />
Mühle gleicher Größe, dadurch ist die<br />
Mühle kompakt und das Gewicht geringer<br />
- geringere Antriebskosten, höhere Antriebseffizienz<br />
- geringere Fundamentkosten<br />
- schnellere Erstinstallation<br />
° Verbesserter Ablauf und geringere Resorption:<br />
- Resorptions-Steuereinheit<br />
- obere und untere Walze vom Typ Lotus, tiefe Messchaert-Rillen<br />
für verbesserten Ablauf<br />
° Geringere Wartungs- und Ersatzteilkosten:<br />
- weniger Walzenvarianten, Einstellungen leicht zu ändern<br />
- kein Justieren und Auswechseln der Abfallplatte<br />
- höherer zulässiger Walzenverschleiß für längere<br />
Lebensdauer<br />
- weniger bewegliche Teile<br />
Bild 8 / Antriebskomponenten<br />
Wellenmontierter<br />
Planetenantrieb<br />
Vorteile des Zweiwalzen-Mühlentandems<br />
Ein Mühlentandem in einer Zuckerfabrik besteht aus vier<br />
bis sechs Mühlen.<br />
Durch Installation neuer Zweiwalzenmühlen erreicht man:<br />
° eine höhere Primärextraktion (etwa 2-4 % mehr) in der<br />
ersten Mühle und somit eine erhöhte Zuckerproduktion<br />
° eine geringere Bagassenfeuchtigkeit (< 48 %) sowie<br />
eine verbesserte Boiler-Effizienz<br />
/ Bild 9 /<br />
Projektstatus und Markteinführung<br />
Die Kombination aus oberer Walze mit Spiel und<br />
Resorptions-Steuereinheit macht das Produkt einzigartig.<br />
Nach Abschluss der konzeptionellen Entwicklung wurden<br />
die Basiskomponenten wie Antriebsköpfe, Abdeckung,<br />
Walzen- und Lagergehäuse eingehend analysiert,<br />
sodass ThyssenKrupp Industries India nun zum Quantensprung<br />
bereit ist. Der erste Auftrag ist eingegangen:<br />
eine 100 Zoll (2,54 m) breite Zweiwalzenmühle mit einem<br />
Durchmesser von 50 Zoll (1,27 m) wurde bestellt. Sie hat<br />
folgende Besonderheiten:<br />
° bislang größte Mühle selbst in herkömmlicher Form<br />
° mit GRFP-Zuführung<br />
° Endkapazität von 12.500 Tonnen ausgepresstem<br />
Zuckerrohr pro Tag<br />
° Leistungsparameter der letzten Mühle: 48-49 %<br />
Bagassenfeuchtigkeit und auf +96 % erhöhte<br />
Saftextraktion<br />
Mit ThyssenKrupp Industries Indias bedeutendem Marktanteil<br />
und hoher Kundenzufriedenheit dürfte das neue<br />
Produkt zu zahlreichen Umbauprojekten und Neuinstallationen<br />
von Zweiwalzenmühlen führen, sobald die erste<br />
Mühle installiert und in Betrieb genommen ist.<br />
Seilkupplung<br />
Fußmontierter Planetenantrieb<br />
Wellenmontierter<br />
Hydraulikantrieb<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Dreiwalzen-Mühlentandem:<br />
Vier Mühlen mit UFR (Under Feed Roller)<br />
100 % 100 % 100 %<br />
1. Mühle<br />
Drei Walzen mit UFR<br />
1. Mühle<br />
Zwei Walzen mit<br />
GRPF/TRPF (Toothed<br />
Roller Pressure Feeder)<br />
Bild 9 / Mühlentandem: installierte Leistung im Vergleich, Performance im Vergleich<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
2. Mühle<br />
Drei Walzen mit UFR<br />
2. Mühle<br />
Zwei Walzen mit UFR<br />
3. Mühle<br />
Drei Walzen mit UFR<br />
Zweiwalzen-Mühlentandem:<br />
Vier Mühlen, davon 1. und 4. mit GRPF (Grooved Roller Pressure Feeder)<br />
80 % 65 % 65 %<br />
3. Mühle<br />
Zwei Walzen mit UFR<br />
Zukünftige Herausforderungen weiter steigender<br />
Mühlenkapazitäten<br />
° Überhängendes Gewicht wellenmontierter Antriebe<br />
oder Ritzelreaktionen herkömmlicher Kranzritzel führen<br />
zu zusätzlichen Belastungen der getriebeseitigen Lager.<br />
° Seilkupplungen mit großen Durchmessern begrenzen<br />
die räumliche Flexibilität.<br />
Schlussfolgerung<br />
Die Kunden profitieren von dieser Innovation in vielerlei<br />
Hinsicht: geringere Investitions- und Energiekosten, zusätzliche<br />
Stromerzeugung durch reduzierte Bagassenfeuchtigkeit<br />
sowie erhöhte Zuckerproduktion durch verbesserte<br />
Saftextraktion. Die Einsparungen der Kunden sind enorm.<br />
100 %<br />
4. Mühle<br />
Drei Walzen mit UFR<br />
80 %<br />
4. Mühle<br />
Zwei Walzen mit GRPF<br />
Energieeffiziente Zweiwalzenmühle / 63<br />
PE (Primary Extraction) = 70 %<br />
RME (Reduced Mill Extraction) = 95 %<br />
Bagassenfeuchte = 50 %<br />
Installierte Gesamtleistung = 400 %<br />
PE (Primary Extraction) = 75 %<br />
RME (Reduced Mill Extraction) = 95,5 %<br />
Bagassenfeuchte = 49 %<br />
Installierte Gesamtleistung = 290 %<br />
Die Investitionskosten sind 12-15 % geringer, und die<br />
Senkung der CO 2-Emissionen bis 2020 liegt bei rund<br />
72.000 Tonnen.<br />
Die in diesem Artikel vorgestellte energieeffiziente Zweiwalzenmühle<br />
von ThyssenKrupp Industries India wurde mit<br />
dem ThyssenKrupp Sonderinnovationspreis „Energie und<br />
Umwelt“ 2011 ausgezeichnet.
64 /<br />
POLAB ® Shuttle Installation mit zwei mobilen Robotern in Lägerdorf<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
POLAB ® Shuttle<br />
Die neue Generation der Laborautomation<br />
Dipl.-inG. HuGo HassMann Senior Manager Development Automation & Electrical Engineering<br />
ThyssenKrupp polysius aG Neubeckum<br />
In der Zement- und Baustoffindustrie ist eine umfassende und<br />
zeitnahe Qualitätsanalyse des gesamten Herstellungsprozesses<br />
unerlässlich. Neben den repräsentativen Probenahmen in den<br />
verschiedenen Prozessstufen sind Probenvorbereitung und<br />
Probenanalyse entscheidende Faktoren für die Überwachung<br />
der Qualität des Endproduktes. Der zunehmende Einsatz von<br />
Ersatzbrennstoffen und Ersatzrohstoffen erfordert ein hochflexibles<br />
und ständig verfügbares Laborautomationssystem, um<br />
heutigen und zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden.<br />
Mit POLAB ® Shuttle ist es gelungen, eine frei konfigurierbare<br />
Laborautomation mit gemeinsamem Mensch-Maschine-Arbeitsraum<br />
zu entwickeln.<br />
Anlage<br />
Labor<br />
Bild 1 / POLAB ® Shuttle Laborautomation mit automatischer Probenahme, Rohrpost und Regelkreisen zur Prozessführung<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Feinheitsmessgerät<br />
ART<br />
Rückstellung<br />
Rohrpost<br />
APM<br />
APM<br />
Farbmessgerät<br />
E/A-Magazin<br />
XRF<br />
XRD<br />
/ 65<br />
POLAB ®<br />
Das ThyssenKrupp Polysius Laborautomationssystem<br />
POLAB ® ist seit mehr als 4 Jahrzehnten weltweit ein Markenzeichen<br />
in der Zementindustrie für die optimale Qualitätsüberwachung<br />
aller Produktionsstufen und Optimierung des<br />
Produktionsprozesses. Innovative Automationslösungen und<br />
intelligente Regelkreise dienen der Minimierung der Rohstoffkosten<br />
bei normgerechter Produktqualität.<br />
Dafür werden im Prozess vollautomatische POLAB ®<br />
Probenehmer eingesetzt, die den gesamten Prozess von der<br />
Rohmehlherstellung (Vermahlung der Rohstoffe Kalkstein,<br />
Mergel, Sand, Eisenerz etc.) über Heißmehl im Ofeneinlauf<br />
(entkarbonisiertes Rohmehl mit einer Temperatur von ca.<br />
900 °C) und Zementklinker bis zum Fertigprodukt Zement<br />
repräsentativ beproben. Eine auf ca. 300 Gramm geteilte<br />
Materialteilmenge bildet dabei eine Produktionsmenge von<br />
bis zu 500 Tonnen repräsentativ ab. Diese Proben werden<br />
in Rohrpostbüchsen über ein Rohrpostnetz vollautomatisch<br />
in das Labor gesendet, wo sie nochmals geteilt, aufbereitet<br />
und verschiedenen Analysatoren zugeführt werden / Bild 1 /.<br />
Probenversandstation<br />
POLAB ® -Rechner<br />
Probenahmepunkt<br />
Sollwertvorgabe<br />
APM = Automatic Preparation Module<br />
ART = Automatic Receiving and<br />
Transfer Module<br />
XRF = X-Ray Fluorescence<br />
XRD = X-Ray Diffraction
66 / POLAB ® Shuttle – Die neue Generation der Laborautomation<br />
Bild 2 / POLAB ® Shuttle – Der mobile Roboter<br />
POLAB ® Shuttle<br />
Für den Ausbau des Marktanteiles im Bereich des vollautomatischen<br />
Labors wurde daher eine innovative Laborautomation<br />
konzipiert, bei der folgende Aspekte im Vordergrund<br />
standen:<br />
° Zusammenarbeit von Mensch und Maschine<br />
in einem gemeinsamen Arbeitsraum,<br />
° hoher maximaler Probendurchsatz,<br />
° minimale Stillstandzeiten bei der Wartung,<br />
° Möglichkeit der vollständigen Redundanz,<br />
° Erweiterbarkeit für neue Komponenten und<br />
Analysatoren sowie<br />
° Verwendung bewährter Komponenten.<br />
Um die Stillstandzeiten während der Wartung zu minimieren<br />
(bei redundanter Auslegung der Einzelkomponenten<br />
sogar zu vermeiden) muss der Zugang des Laborpersonals<br />
zu den Maschinen auch bei aktivem Roboter möglich sein.<br />
Aus diesem Grund kam nur ein System mit gemeinsamem<br />
Mensch-Maschine-Arbeitsraum in Betracht. Beim<br />
POLAB ® Shuttle kommt ein mobiler Roboter / Bild 2 /<br />
zum Einsatz, der den raumgreifenden Roboter mit großem<br />
Gefährdungspotenzial ersetzt. Der mobile Roboter besteht<br />
aus einem Leichtbauroboterarm mit geringem Leistungs-<br />
bedarf und einem Transportroboter. Ein Transportroboter<br />
ist eine fahrbare Plattform, die sich auf einem Schien-<br />
ensystem autark zu vorher definierten Haltestellen bewegt.<br />
Er ist mit Energiespeichern ausgerüstet. Das Laden der<br />
Energiespeicher erfolgt an den Haltestellen. Der Transportroboter<br />
ist eigensicher und darf ohne zusätzliche<br />
Sicherheitseinrichtungen betrieben werden.<br />
Das Schienensystem wird mittels Umsetzer und Weichen<br />
so aufgebaut, dass die vorhandenen Laborräume optimal<br />
genutzt werden / Bild 3 /. Auch ein vertikaler Wechsel<br />
der Etage ist mit einem Lift möglich.<br />
Um maximalen Personenschutz zu gewährleisten,<br />
ist der Roboterarm mit einer TÜV-zertifizierten Leistungsbegrenzung<br />
ausgerüstet. Diese Elektronik überwacht,<br />
dass der Roboterarm die für den gemeinsamen Mensch-<br />
Maschine-Betrieb zulässige Energie nicht überschreitet.<br />
Entlang der Schienen sind die einzelnen Module<br />
zur Eingabe, Vorbereitung, Analyse und Rückstellung der<br />
Proben aufgestellt, die vom mobilen Roboter bedient werden:<br />
POLAB ® ART (Automatic Receiving and Transfer Module)<br />
° / Bild 4 / als Rohrpostempfangs- und -dosierstation für<br />
das Abfüllen der Rohrpostproben in Transportbecher<br />
zur Weiterverarbeitung<br />
° POLAB® APM (Automatic Preparation Module) / Bild 5 /,<br />
das bewährte Modul für die Probenvorbereitung<br />
(optimale Aufmahlung der Proben und Pressen von<br />
Tabletten für die Röntgenfluoreszenzanalyse und<br />
Röntgenbeugungsanalyse (vgl. ThyssenKrupp techforum<br />
1/2006)<br />
° Ein-/Ausgabemagazin zum Einschleusen<br />
manueller Proben<br />
° Rückstellmagazin zur Sammlung von<br />
Durchschnittsproben<br />
° Feinheitsmessgeräte zur Bestimmung der<br />
Korngrößenverteilung<br />
° Farbmessgeräte zur Überprüfung eines gleich-<br />
bleibenden Farbwertes<br />
° Röntgenspektrometer (XRF) zur Röntgen-<br />
fluoreszenzanalyse (Bestimmung der chemischen<br />
Zusammensetzung einer Probe)<br />
° Röntgendiffraktometer (XRD) zur Röntgenbeugungs-<br />
analyse (Bestimmung der Mineralogie einer Probe)<br />
Bild 3 / POLAB ® Shuttle Konfigurationsvarianten<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Bild 4 / POLAB ® ART<br />
Bild 5 / POLAB ® APM<br />
POLAB ® Shuttle – Die neue Generation der Laborautomation / 67
68 / POLAB ® Shuttle – Die neue Generation der Laborautomation<br />
Alle Geräte sind so konzipiert, dass der Roboter auf der<br />
Rückseite zugreift. Die Bedienung der Geräte durch das<br />
Laborpersonal erfolgt an der Vorderseite / Bild 6 /. Zu<br />
Durchführung von Wartungsarbeiten wird das jeweilige<br />
Gerät an einer der Bedienstationen abgemeldet. Der mobile<br />
Roboter bedient dann diese Komponente nicht mehr.<br />
So kann der vollautomatische Betrieb bei gleichzeitiger<br />
Wartung einzelner Geräte fortgesetzt werden. Bei redundant<br />
ausgeführten Systemen managt die Steuerung automatisch<br />
den Transport der Proben zu den freien Geräten.<br />
Erstinstallation POLAB ® Shuttle<br />
Das Betriebslabor des Zementwerkes verarbeitet Proben<br />
aus acht Probenversandstationen von insgesamt elf<br />
Probenentnahmestellen zur Sicherstellung einer gleichbleibenden<br />
Qualität der Produkte. Der umfangreiche Einsatz<br />
von Ersatzbrennstoffen und Ersatzrohstoffen erfordert eine<br />
sehr hohe Verfügbarkeit der Laborautomation bei hohem<br />
Probendurchsatz. Daher wählte die Holcim (Deutschland) AG<br />
das Laborautomationssystem POLAB ® Shuttle in einer<br />
vollredundanten Ausführung / Bilder 7 und 8 /.<br />
Das Laborsystem ist für einen Probendurchsatz von 750<br />
Analysen pro Tag ausgelegt und besteht aus:<br />
° 2 Rohrpostempfangsstationen POLAB® ART,<br />
° 4 Aufbereitungsmodulen POLAB® APM,<br />
° 2 Röntgenspektrometern,<br />
° 2 Röntgendiffraktometern,<br />
° 3 Feinheitsmessgeräten,<br />
° 1 Farbmessgerät,<br />
° 2 Ein-/Ausgabemagazinen und<br />
° 2 Rückstellmagazinen.<br />
Bild 6 / Gemeinsamer Mensch-Maschine-Arbeitsraum<br />
Automatikbetrieb<br />
Handbetrieb<br />
Das Schienensystem verfügt über zwei Spuren, auf denen<br />
zwei mobile Roboter die Proben befördern. Durch die<br />
Verbindung der Schienen mit Umsetzern ist die volle<br />
Redundanz gewährleistet. Da auch die Rohrpost über ein<br />
Weichenkreuz verfügt, kann jede Betriebsprobe zu beiden<br />
Empfangsstationen geschickt werden. Über Ein-/Ausgabemagazine<br />
lassen sich weitere Proben in das System einschleusen.<br />
Es besteht weiterhin die Möglichkeit, Handproben<br />
während des Roboterbetriebes direkt in die<br />
Analysatoren zur Messung einzugeben.<br />
Fazit<br />
POLAB ® Shuttle ist ein Laborautomationssystem mit<br />
einzigartiger Flexibilität. Der Probentransport durch den<br />
mobilen Roboter ermöglicht eine bislang unerreichte<br />
Freiheit bei der Konfiguration, Erweiterbarkeit und im<br />
räumlichen Aufbau. Die Einzelmodule wie Rohrpostempfang,<br />
Probenvorbereitung, Ein-/Ausgabemagazin sowie<br />
die Analysatoren werden durch den Schienenweg miteinander<br />
verbunden, auf dem der mobile Roboter sich<br />
bewegt. Durch das innovative Sicherheitskonzept wird<br />
das Labor zu einem gemeinsamen Mensch-Maschine-<br />
Arbeitsraum. Das Labor ist barrierefrei und die Einzelkomponenten<br />
lassen sich sowohl automatisch als auch<br />
manuell bedienen. Mit dem POLAB ® Shuttle Konzept lassen<br />
sich redundante Labore aufbauen, die höchste Verfügbarkeiten<br />
und Probendurchsätze erzielen.<br />
Durch den Erfolg der Erstinstallation hat inzwischen<br />
ein weiterer Kunde ein POLAB ® Shuttle System in<br />
Auftrag gegeben.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 7 / Schematischer Aufbau des vollautomatischen Labors der HOLCIM (Deutschland) AG in Lägerdorf<br />
Bild 8 / Vollautomatisches Labor bei der HOLCIM (Deutschland) AG in Lägerdorf<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Farbe<br />
ca. 15 m<br />
XRD1 XRF1 APM2 APM1<br />
XRD2 XRF2<br />
ART1<br />
ART2<br />
APM4 APM3<br />
Feinheit<br />
Probenteiler<br />
E/A-<br />
Magazin<br />
Rückstellung<br />
Feinheit<br />
Feinheit<br />
E/A-<br />
Magazin<br />
Rückstellung<br />
POLAB ® Shuttle – Die neue Generation der Laborautomation / 69<br />
ca. 12 m<br />
APM = Automatic Preparation Module<br />
ART = Automatic Receiving and<br />
Transfer Module<br />
XRF = X-Ray Fluorescence<br />
XRD = X-Ray Diffraction
70 /<br />
Der Status von Windenergieanlagen kann mit einem<br />
’Machine Diagnostic Interface’ online überwacht werden.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’<br />
Online Condition Monitoring System<br />
nicht nur für Windenergieanlagen<br />
Dipl.-inG. anDrEas EicKE Gruppenleiter Messtechnik ThyssenKrupp system Engineering GmbH Langenhagen<br />
Zustandsüberwachung (Condition Monitoring)<br />
zum Schutz von hochwertigen Investitionen, wie<br />
Windenergieanlagen oder auch anderen größeren<br />
Maschinen und Anlagen in der Industrie, gewinnt<br />
zunehmend an Bedeutung. ThyssenKrupp System<br />
Engineering hat dazu ein ’Machine Diagnostic<br />
Interface’ (MDI) entwickelt, das Hardware-seitig<br />
auf bewährten und zuverlässigen Standardkom-<br />
ponenten basiert. Software-seitig wurde ein<br />
hauseigenes, ausgereiftes Mess- und Automati-<br />
sierungssystem genutzt, das sich in vielen Jahren<br />
in Test- und Montageanlagen in der Automobil-<br />
und Zulieferindustrie bewährt hat. Das grundle-<br />
gende Konzept des Condition Monitoring Systems<br />
(CMS) sowie wesentliche technische Elemente<br />
des MDI werden vorgestellt. Die Entwicklung<br />
wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft<br />
und Technologie (BMWi) gefördert.<br />
Bild 1 / Ein Sensor für Schwingbeschleunigung überwacht ein Großgetriebe.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
/ 71<br />
Condition-Monitoring<br />
Condition-Monitoring steht für die Überwachung des Maschinenzustandes<br />
durch Messung und Analyse wichtiger physikalischer Größen, wie z.B.<br />
Schwingungen und Temperaturen einer Anlage, insbesondere mit dem<br />
Ziel der Kosteneinsparung durch „Zustandsorientierte Instandhaltung“<br />
/ Bild 1 /. Diese Strategie löst die bisher übliche reaktive oder präventive<br />
Instandhaltung ab. Reaktiv bedeutet in diesem Zusammenhang, dass<br />
der Schaden bereits eingetreten ist und das Bauteil getauscht oder<br />
repariert werden muss; präventiv bedeutet, dass möglicherweise<br />
noch intakte Bauteile unnötigerweise ausgetauscht werden. Dagegen<br />
ermöglicht die „Zustandsorientierte Instandhaltung“ Kosteneinsparungen<br />
durch möglichst vollständige Ausnutzung der Lebensdauer kritischer<br />
Maschinenelemente sowie frühzeitige Planung notwendig werdender<br />
Instandsetzungsmaßnahmen. Die Zustandsüberwachung kann entweder<br />
gelegentlich oder kontinuierlich erfolgen Kontinuierliche Überwachungs-<br />
systeme (Online Condition-Monitoring) messen ständig die Maschinen-<br />
parameter. Sowohl langfristige Trends (z.B. Verschleiß) als auch plötzliche<br />
Zustandsänderungen werden erfasst und dokumentiert, sodass darauf<br />
unmittelbar reagiert werden kann.<br />
’MDI-Wind’ als Online Condition Monitoring System<br />
nicht nur für Windenergieanlagen<br />
Das MDI-Wind ist ein Online Conditon Monitoring System (CMS) zur<br />
Dauerüberwachung von Windenergieanlagen (WEA) / Bild 2 / oder auch<br />
anderen größreren Maschinen und Anlagen in der Industrie. Die<br />
Hardware des MDI besteht aus industriellen Standardkomponenten,<br />
die in einem Industrieschaltschrank untergebracht sind. Das System ist<br />
für alle Arten von Anlagen geeignet und wird anlagenspezifisch projektiert<br />
(Anzahl Kanäle, Sensoren, Zusatzaufgaben). Zudem wird als Dienst-<br />
leistung eine CMS-Diagnosezentrale „MDI Diagnose“ angeboten. Diese<br />
ist mit PCs und Servern ausgestattet, um die Daten zu archivieren und<br />
Offline-Analysen zu ermöglichen. Die Software des MDI basiert auf dem<br />
bewährten universellen Prüf- und Automatisierungssystem UPS32,<br />
Betriebssystem Microsoft ® Windows ® XP bzw. Windows ® 7.<br />
Funktionsweise des Systems<br />
Das MDI-Wind sichert eine permanente Online-Überwachung z.B. einer<br />
WEA auf Basis eines fest installierten Diagnosesystems. Überwacht<br />
werden in erster Linie der Körperschall des Triebstranges – bestehend<br />
aus Hauptlager, Getriebe und Generator – sowie wichtige Temperaturen.<br />
Ebenso werden Gondel- und ggf. Turmschwingungen erfasst. Optional<br />
können weitere Überwachungen integriert werden. Zusätzlich werden<br />
relevante Betriebsdaten der Anlage mit erfasst, z.B. Drehzahl, Windgeschwindigkeit<br />
und Leistung bzw. Drehmoment. Dazu läuft eine<br />
kontinuierliche Datenerfassung mit synchroner Messung aller Kanäle.<br />
Es erfolgt eine Validierung der Daten (z.B. Prüfung ob die Leistung aus-
72 / Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’ – Online Condition Monitoring System nicht nur für Windenergieanlagen<br />
Generator<br />
Getriebe<br />
Hauptlager<br />
reichend stabil war) sowie ein so genannter Sensorcheck (z.B. Prüfung<br />
auf Kabelbruch). Der Betriebszustand der Anlage wird bestimmt,<br />
um eine Klassifizierung der Messung anhand der Leistung bzw. des<br />
Drehmomentes zu ermöglichen. Die Auswertung berechnet wichtige<br />
Kennwerte, dabei wird der Betriebszustand der Anlage berücksichtigt.<br />
Alle Daten, inklusive der originalen Messwerte (sog. Rohwerte), werden<br />
zunächst lokal gespeichert. Auf diese Weise gehen keine Daten – z.B.<br />
durch Filterungen – verloren. Grenzwertüberschreitungen werden automatisch<br />
und unmittelbar als Voralarm (Warnung) sowie gegebenen-<br />
falls als Hauptalarm an die Überwachungsstelle und beispielsweise<br />
dem Betreiber per E-Mail oder SMS gemeldet. Es folgt die Übertragung<br />
der Daten an eine zentrale Datenbank (Server in der Diagnosezentrale)<br />
zur Langzeitarchivierung und Trendauswertung in der Diagnosezentrale.<br />
Insbesondere bei der Trendauswertung und um die Messungen bzw.<br />
Ergebnisse besser vergleichen zu können, werden diese über den<br />
Betriebszustand jeweils einer Betriebsklasse zugeordnet. Aufgrund des<br />
Microsoft ® Windows ® Betriebssystemes ist es sehr einfach, Fernzugriffe<br />
(Remote) auf die Daten für Betreiber und Diagnosezentrale zu ermöglichen.<br />
Manuelle Analysen und Reportgenerierung werden in der<br />
Diagnosezentrale durch einen Experten durchgeführt.<br />
Hardware-Merkmale<br />
Die Hardware des MDI besteht aus industriellen Standardkomponenten<br />
und ist in einem Industrieschaltschrank mit einer an die Umgebungsbedingungen<br />
angepassten Klimatisierung untergebracht. Alle Eingänge<br />
bzw. Anschlüsse können optional mit Blitzschutz ausgerüstet werden.<br />
Das MDI ist damit auch unter extremen Umgebungsbedingungen einsetzbar.<br />
Alle Komponenten sind nach Industriestandard ausgeführt.<br />
Die Festplatte des MDI ist eine Solid State Disk und somit verschleißfrei.<br />
Rotorblatt<br />
Messleitungen<br />
Bild 2 / Schematische Darstellung der Überwachung des<br />
Triebstranges und der Rotorblätter einer Windkraftanlage<br />
Das MDI ist außerdem mit einer wartungsfreien USV (unterbrechungsfreie<br />
Stromversorgung) ausgerüstet (Supercap statt Akku). Das System<br />
ist bzgl. der Anzahl der Messkanäle und Funktionen modular erweiterbar<br />
und bietet Schnittstellen zu allen bekannten Sensoren und Systemen.<br />
Beispiel für eine typische Ausbaustufe eines CMS MDI-Wind:<br />
° 8 analoge Eingänge für Schwingungssensoren<br />
(ausgerüstet mit Anti-Aliasing-Filtern)<br />
° Optional erweiterbar auf 12 oder mehr Kanäle<br />
° 24 analoge Eingänge für weitere Signale (z.B. Drehzahl,<br />
Windstärke, Leistung)<br />
° 16 analoge Eingänge für Temperatursensoren<br />
° 8 digitale Eingänge (24 V)<br />
° 8 digitale Ausgänge (24 V)<br />
° Datenaustausch über Internet (kabelgebunden oder<br />
drahtlos per UMTS-Antenne)<br />
Abhängig von der konstruktiven Ausführung der zu überwachenden Anlage<br />
sowie der Messaufgabe kann eine variable Anzahl von Sensoren/<br />
Kanälen eingesetzt werden, um alle Signale optimal zu erfassen. Wenn die<br />
Anlage diese Signale nicht zur Verfügung stellen kann, werden entsprechende<br />
Sensoren installiert. Beispiel für die Signale einer WEA mit Getriebe:<br />
° Schwingungssignale von Rotorlager, Getriebe,<br />
Getriebelager, Generatorlager, Gondel<br />
° Drehzahlsignale von Rotor, Generator<br />
° Windgeschwindigkeit<br />
° Leistung<br />
° Temperaturen von Außenluft, Gondel innen, Rotorlager,<br />
Generatorlager, Getriebe, Öl<br />
° Steuerungssignale Azimut, Pitch<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 3 / Ordnungsspektrum eines Schwingungssignales in logarithmischer Darstellung<br />
mit Markierung einiger Harmonischer des Zahneingriffes (ganzzahlige Vielfache<br />
der Zahneingriffsordnung)<br />
Software-Merkmale<br />
Es werden u.a. die grundsätzlich erforderlichen Analyseverfahren –<br />
definiert durch Germanischer Lloyd, Allianz Zentrum für Technik sowie<br />
DIN etc. – verwendet. Dabei werden z.B. hinsichtlich der Schwingungs-<br />
signale die Amplituden von charakteristischen Zahneingriffs- und Lager-<br />
frequenzen ermittelt und bewertet (Fourieranalyse/Frequenzspektrum).<br />
Ebenso werden integrale Größen, wie Effektivwerte über bestimmte<br />
Frequenzbereiche, berechnet. Zum Ausgleich von Drehzahlschwankungen<br />
wird die Ordnungsanalyse / Bild 3 / angewendet. Zur Verbesserung des<br />
Signal-Rauschabstandes kommt gegebenenfalls eine umdrehungs-<br />
synchrone Mittelung zum Einsatz / Bild 4 /. Bei jedem Lager werden die<br />
Frequenzen bzw. Ordnungen von Außenring, Käfig, Wälzkörper und<br />
Innenring überwacht. Des Weiteren wird zur Detektion von periodischen<br />
Stoßimpulsen die Hüllkurvenanalyse (Frequenz und Ordnung) sowie<br />
das Cepstrum (ein mathematisches Verfahren zur Detektion von<br />
Stoßimpulsen) verwendet. Für Vor- und Hauptalarm werden Grenzwerte<br />
angelegt, die über statistische Methoden auch automatisch berechnet<br />
Beschleunigungssensor<br />
Drehgeber<br />
Tiefpass<br />
Getriebe<br />
Tiefpass<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Analog-<br />
Digital-<br />
Umsetzer<br />
Analog-<br />
Digital-<br />
Umsetzer<br />
Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’ – Online Condition Monitoring System nicht nur für Windenergieanlagen / 73<br />
Digitales<br />
Resampling<br />
Bild 5 / Wellenverlagerung am Hauptlager einer WEA während 16 Umdrehungen<br />
(mittlerer Messabstand der Sensoren ca. 4 mm)<br />
werden können. In der Diagnosezentrale erfolgen offline automatisch<br />
und bei Bedarf manuell Trendanalysen für die ermittelten Kennwerte.<br />
Zudem bietet die Software die Möglichkeit, manuelle Veränderungen<br />
der Prüfläufe online durchzuführen. Mit anderen Worten: Änderungen<br />
auch im Ablauf oder Erweiterungen sind nicht mit einem teuren Service-<br />
Einsatz verbunden, sondern können „remote“ durchgeführt werden.<br />
Optionale Erweiterungen und Daten-Management<br />
Das System ist aufgrund der Hard- und Software-Struktur flexibel erweiterbar.<br />
Optionale Erweiterungen für die Überwachung/ Auswertung/Sensorik,<br />
z.B. einer WEA, sind u.a.:<br />
° Ölqualitätsüberwachung<br />
° Drehmomentmessung<br />
° Turmschwingungsüberwachung<br />
° Rotorblattüberwachung<br />
° Rotorwellenverlagerung / Bild 5 /<br />
Drehzahl<br />
berechnen<br />
Umdrehungssynchrone<br />
Mittelung<br />
Bild 4 / Grundsätzliches Prinzip der Messwertaufnahme und Vorverarbeitung von Schwingungssignalen, mit digitalem Resampling und umdrehungssynchroner Mittelung<br />
Welle 1<br />
Welle 2<br />
Welle 3<br />
Drehzahl
74 / Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’ – Online Condition Monitoring System nicht nur für Windenergieanlagen<br />
MDI 1<br />
Betriebsführung/Leitwarte/sonstiger PC<br />
Bild 6 / Beispiel für eine Einzelanlage mit Anbindung an die Diagnosezentrale<br />
z.B. UMTS-Verbindung möglich<br />
SQl Server<br />
Internet<br />
Kommunikationsserver<br />
CMS Diagnosezentrale<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Ausgehend von einem Stand-Alone-System ohne Server-Anbindung,<br />
über einen Anlagenpark mit mehreren MDIs mit Serveranbindung, bis<br />
hin zur weltweiten Vernetzung können alle Daten-Management-Modelle<br />
realisiert werden / Bild 6 /.<br />
Diagnosezentrale<br />
Das MDI wird über eine komfortable Menüführung bedient und ist durch<br />
ein Zugriffsrechtesystem gegen unautorisierte Änderungen geschützt.<br />
Nach Meldung einer Grenzwertüberschreitung eines Kennwertes erfolgt<br />
deren Bewertung durch einen Experten der Diagnosezentrale. Über den<br />
Fernzugriff (z.B. Microsoft ® Windows ® Remote-Desktop-Verbindung<br />
/ Bild 7 /) auf das MDI an der Anlage kann das Ereignis näher untersucht<br />
werden. Ebenso können weitere Messungen manuell ausgelöst werden.<br />
Über die Menüführung gelangt man zum gesuchten Kennwert. Über<br />
ein Schaubild lässt sich die Messstelle identifizieren.<br />
Die Software bietet die Möglichkeit, auf die in der Ergebnisdatenbank<br />
gespeicherten Ergebnisse komfortabel zuzugreifen. Dabei kann sich der<br />
Anwender aus allen Datensätzen eine individuelle Liste zusammen-<br />
stellen, daraus einzelne Ergebnisse zurückladen oder auch Statistiken,<br />
Histogramme und Trends über die Ergebnisse erstellen. Histogramme<br />
sind mitunter nützlich, um die Verteilung (und den Mittelwert) eines<br />
Merkmales während der Einmessphase der Anlage zu ermitteln<br />
/ Bild 8 /. Auch die automatische Berechnung und das Setzen der<br />
Toleranzgrenzen werden unterstützt.<br />
Wichtig für die Diagnose ist weiterhin die Möglichkeit der Trendanalyse.<br />
Ein sich anbahnender Schaden kann sich in einer schleichenden<br />
Zunahme des entsprechenden Kennwertes bemerkbar machen. Die<br />
Trenddarstellung ermöglicht darüber hinaus den Vergleich beliebiger<br />
Kombinationen von Kennwerten und Betriebsparametern / Bild 9 /.<br />
Bei Abschluss der Diagnose kommuniziert der Experte seine<br />
Handlungsanweisung an den Betreiber der Anlage. Die Ergebnisse und<br />
Maßnahmen werden schriftlich dokumentiert.<br />
Zusammenfassung<br />
Das Online Condition Monitoring System MDI bzw. MDI-Wind von<br />
ThyssenKrupp System Engineering erfüllt die grundsätzlichen Anforderungen<br />
an ein CMS in hervorragender Weise. Zudem zeichnet es sich<br />
durch eine Reihe von Vorzügen aus, die andere Systeme gegebenen-<br />
falls nicht bieten können. Es basiert auf dem Betriebssystem Microsoft ®<br />
Windows ® und einem Industrie-PC. Die Software ist ausgereift und<br />
bewährt in der Automobil- und Zulieferindustrie. Die Hardware besteht<br />
aus bewährten Standardkomponenten. Das System lässt sich relativ<br />
einfach um zusätzliche Überwachungsaufgaben erweitern. Es arbeitet<br />
zuverlässig und selbstüberwachend. Darüber hinaus können per<br />
Fernzugriff jederzeit weitere Tests und Analysen initiiert werden.<br />
Zudem tritt ThyssenKrupp System Engineering als unabhängiger<br />
Systempartner auf. Für die Zustandsüberwachung zum Schutz von<br />
Maschinen und Anlagen steht damit ein effektives Instrument<br />
zur Verfügung.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Machine Diagnostic Interface ’MDI-Wind’ – Online Condition Monitoring System nicht nur für Windenergieanlagen / 75<br />
Bild 7 / Remote-Desktop-Verbindung zu einem MDI<br />
Bild 8 / Histogramm eines Merkmales mit Mittelwert und Toleranzgrenzen<br />
Bild 9 / Die Trenddarstellung ermöglicht auch den Vergleich von zwei oder mehr Signalen.
76 /<br />
Kunststoffbeschichteter Käfig<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Käfigentwicklung für Großwälzlager<br />
in der Windenergietechnik<br />
Dr.-inG. JörG rollMann Abteilungsleitung Forschung und Entwicklung rothe Erde GmbH Lippstadt<br />
Dr.-inG. wilfriED spinTiG Werksleitung rothe Erde GmbH Lippstadt<br />
Dipl.-inG. sTEfan scHniEDEr Forschung und Entwicklung rothe Erde GmbH Lippstadt<br />
Dipl.-inG. rEinHarD JürGEns Fertigungstechnik rothe Erde GmbH Lippstadt<br />
Großwälzlager sind eine wesentliche Komponente im<br />
Antriebsstrang einer Windkraftanlage. Sie werden<br />
als Flügelverstelllager und Turmhauslager eingesetzt.<br />
Die Wälzkörper in diesen Lagern werden vorzugsweise<br />
durch Stahlkäfige voneinander getrennt. Zur<br />
Vermeidung von Verschleiß wurde bei Rothe Erde<br />
ein Verfahren zur Kunststoffbeschichtung von Käfigen<br />
entwickelt. Bei dem Einsatz der kunststoffbeschichteten<br />
Käfige in unterschiedlichen Versuchen an hoch<br />
belasteten Blattlagern (Ø 2 m) konnte eine erhebliche<br />
Steigerung der Verschleißfestigkeit gegenüber unbeschichteten<br />
Käfigen nachgewiesen werden. Nach<br />
Integration des Beschichtungsverfahrens in die<br />
Fertigungslinie der Käfige gehören diese heute zum<br />
Rothe Erde Standard in der Ausrüstung von Lagern für<br />
Windenergieanlagen, die insbesondere im Offshore-<br />
Bereich eingesetzt werden.<br />
Bild 1 / Blattlager im Querschnitt Bild 2 / Komponenten eines Blattlagers<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
/ 77<br />
Großwälzlager in Windenergieanlagen<br />
Großwälzlager sind extrem vielseitige Maschinenelemente, die in unterschiedlichen<br />
Bauformen in nahezu allen Bereichen des Maschinenbaus<br />
und der Fördertechnik zum Einsatz kommen. Kennzeichnende Merkmale<br />
sind, dass sie einbaufertig geliefert und mit der Anschlusskonstruktion<br />
verschraubt werden. Konstruktiv sind sie in der Regel als selbsthaltende<br />
Momentenlager ausgeführt, sodass ein einzelnes Lager Axial-<br />
und Radialkräfte sowie Kippmomente drehbar übertragen kann.<br />
Großwälzlager sind u. a. eine wesentliche Komponente im Antriebsstrang<br />
einer Windkraftanlage. Sie werden als Flügelverstelllager<br />
(Blattlager) und Turmhauslager (Azimutlager) eingesetzt. In der Funktion<br />
als Blattlager leiten die Großwälzlager die auf den Flügel wirkenden<br />
Windlasten und Momente auf den Rotor weiter. Hierbei ermöglicht der<br />
Drehfreiheitsgrad die Anpassung des Anstellwinkels der Blätter auf die<br />
jeweilige Windgeschwindigkeit und den Betriebszustand (Bremsen,<br />
Anfahren) der Windenergieanlage.<br />
In der Funktion als Turmhauslager dienen Großwälzlager dazu, das<br />
Turmhaus (Gondel) in die vorherrschende Windrichtung auszurichten.<br />
Darüber hinaus führt der auch bei Windkraftanlagen zunehmende Zwang<br />
zum Leichtbau dazu, dass Großwälzlager insbesondere bei getriebelosen<br />
Windkraftanlagen auch zur Lagerung des Hauptrotors eingesetzt werden.<br />
Aufbau des Lagers<br />
Flügelverstelllager und Turmhauslager werden vorwiegend als zweireihige<br />
Vierpunktlager ausgeführt / Bilder 1 und 2 /. Diese Bauform<br />
hat sich bei den bisher üblichen Lasten und Betriebsbedingungen<br />
Käfig<br />
Außenring<br />
Innenring<br />
Wälzkörper<br />
Dichtungssystem
78 / Käfigentwicklung für Großwälzlager in der Windenergietechnik<br />
von Windenergieanlagen als robust und zuverlässig herausgestellt.<br />
Kennzeichnend für diese Konstruktion ist der Aufbau aus zwei nahtlos<br />
gewalzten Ringen, die über zwei Kugelreihen miteinander verbunden<br />
sind. Die Bezeichnung ’Vierpunktlager’ entstammt der Tatsache, dass<br />
die Krümmungsradien im Querschnitt von Außenring und Innenring<br />
vier unterschiedliche Mittelpunkte haben, sodass die dazwischen liegende<br />
Kugel im unbelasteten Lager unter ca. 45° zur Lagerachse vier<br />
Kontaktpunkte mit den Lagerringen hat. Diese Geometrie ermöglicht<br />
eine hohe axiale Tragfähigkeit und Steifigkeit der Lager.<br />
Die Laufbahnen der Kugeln sind induktiv randschichtgehärtet, um<br />
den auftretenden Flächenpressungen zwischen Wälzkörper und Laufbahn<br />
verschleißfrei standzuhalten. Durch Käfige oder Zwischenstücke werden<br />
die Kugeln voneinander getrennt, um Reibung zwischen diesen zu vermeiden.<br />
Weitere Komponenten der Lager sind Fette und Dichtungen,<br />
die den besonderen Betriebsbedingungen von Blattlagern speziell<br />
angepasst sind.<br />
Käfig<br />
Unter bestimmten Betriebsbedingungen und hohen zyklischen Betriebslasten,<br />
kann es in Verbindung mit weichen Anschlusskonstruktionen<br />
bzw. großen Lagerdurchmessern dazu kommen, dass Umfangskräfte<br />
in der Kette der Wälzkörper auftreten, die bei der Verwendung von<br />
Zwischenstücken zu erhöhten Lagerdrehwiderständen führen können.<br />
Um dies zu vermeiden, werden in Blattlagern zur Trennung der Wälzkörper<br />
bevorzugt einteilige Käfige aus Stahlstreifen verwendet / Bild 3 /.<br />
Diese Ausführungsform hat sich in der Praxis bewährt, sie hat jedoch<br />
den Nachteil, dass der Käfig im Gleitkontakt zu den Lagerringen örtlich<br />
verschleißen kann. Dieser Effekt konnte bisher durch eine Mangan-<br />
Phosphatierung und eine Gleitlackbeschichtung nur begrenzt unterbunden<br />
werden. Als Folge davon konnten in der Praxis unerwünschte<br />
Rückstände des Käfigmaterials in dem Lagerschmierstoff nachgewiesen<br />
werden.<br />
Bild 3 / Wälzkörperkäfig aus Stahl<br />
Verschleißversuche<br />
Das Problem des Käfigverschleißes konnte im Forschungs- und<br />
Entwicklungslabor von Rothe Erde insbesondere an solchen Lagern<br />
nachgestellt werden, die mit einer unebenen Anschlusskonstruktion<br />
verschraubt waren. Mit dieser Einbausituation wurden daher vergleichende<br />
Verschleißversuche durchgeführt, die die Bewertung unterschiedlicher<br />
Käfigbeschichtungssysteme erlaubte. Im Rahmen einer<br />
Reihenuntersuchung erfolgten Verschleißtests mit unbehandelten<br />
Stahlkäfigen, manganphosphatierten Käfigen, gleitlackbeschichteten<br />
Käfigen, Messingkäfigen sowie nitrocarburierten und kunststoffbeschichteten<br />
Käfigen. Während der Käfigverschleiß durch die Verwendung<br />
von Messingkäfigen nur teilweise reduziert werden konnte,<br />
wurde eine deutliche Reduzierung des Käfigverschleißes zunächst<br />
durch den Einsatz nitrocarburierter Käfige erreicht / Bild 4 /. Ein Nachteil<br />
des Nitrocarburierens besteht jedoch in der Gefahr des Verzuges<br />
der Käfige durch Handling und Transport sowie durch die relativ hohen<br />
Wärmebehandlungstemperaturen, da der Verzug im Anschluss an die<br />
Wärmebehandlung nicht mehr beseitigt werden kann. Darüber hinaus<br />
ist dieser Beschichtungsprozess an kostenintensive Anlagen gebunden,<br />
die auch umwelttechnisch anspruchsvoll sind. Eine vergleichbare und<br />
teilweise höhere Verschleißminderung als bei den nitrocarburierten<br />
Käfigen wurde bei Erprobung kunststoffbeschichteter Käfige festgestellt.<br />
Kunststoffbeschichtete Käfige<br />
Für die Kunststoffbeschichtung der Käfige wurde bei Rothe Erde ein<br />
Verfahren entwickelt, bei dem die Stahlkäfige von Blattlagern mit einem<br />
Kunststoffüberzug versehen werden können. Hierzu werden die fertig<br />
gebogenen und gegebenenfalls geschweißten Stahlkäfige zur Erhöhung<br />
der Haftfestigkeit einer Vorbehandlung unterzogen. Anschließend<br />
werden die Käfige auf Beschichtungstemperatur erwärmt und für<br />
kurze Zeit in ein Polyamidbad getaucht. Es bleibt eine ca. 0,4 mm<br />
starke Polyamidschicht hoher Haftfestigkeit auf dem Stahlkäfig zurück.<br />
Dieser Überzug verhindert die gleichartigen Gleitkontakte aus Stahl und<br />
reduziert somit nachhaltig den Verschleiß / Bild 5 /.<br />
Verschleiß [%]<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Stahl Messing Stahl<br />
nitrocarburiert<br />
Bild 4 / Vergleich Käfigverschleiß unterschiedlicher Werkstoffe<br />
Stahl<br />
PA 12 beschichtet<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 5 / Käfig mit Polyamidbeschichtung<br />
Bei der Verfahrensentwicklung kam zunächst eine Laborbeschichtungs-<br />
anlage zum Einsatz, mit deren Hilfe die Ermittlung geeigneter Beschichtungsparameter<br />
erfolgte. An den so gewonnenen Proben wurden die<br />
Haftung sowie die Alterungs- und die Schmierstoffbeständigkeit der<br />
Beschichtung nachgewiesen. Die mit diesem Verfahren gefertigten<br />
kunststoffbeschichteten Prototypkäfige bewährten sich in den zuvor<br />
beschriebenen Verschleißversuchen.<br />
Für die Serienbeschichtung wurde eine Beschichtungsanlage für<br />
Großwälzlagerkäfige im Durchmesserbereich von Ø 2 -3 m entwickelt,<br />
bei der die Beschichtung vollautomatisch aufgebracht wird. Diese<br />
Beschichtungsanlage konnte ohne Umweltauflagen in die Fertigungslinie<br />
der Käfigfertigung integriert werden. Das Verfahren der Kunststoffbeschichtung<br />
ermöglicht es darüber hinaus, Verzüge der Käfige durch<br />
nachträgliches Richten zu korrigieren. Hier gehen die Möglichkeiten<br />
sogar soweit, dass Streifenmaterial zunächst beschichtet und nach-<br />
träglich zu runden Käfigen gebogen werden kann, wodurch gegebenenfalls<br />
Transportkosten erheblich reduziert werden können.<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Bild 6 / Prüfstand für Blattlager<br />
Käfigentwicklung für Großwälzlager in der Windenergietechnik / 79<br />
Ausblick<br />
Die kunststoffbeschichteten Käfige haben sich in diversen Anlagen<br />
und Prüfstandsversuchen sowohl bei Rothe Erde / Bild 6 / als auch<br />
bei Kunden bewährt. Entsprechende Käfige gehören daher heute zum<br />
Rothe Erde Standard in der Ausrüstung von Lagern für Windenergieanlagen,<br />
die insbesondere im Offshore-Bereich eingesetzt werden.<br />
Darüber hinaus werden kunststoffbeschichtete Käfige inzwischen auch<br />
in der Lagerung von anderen Anwendungen wie z.B. Scannern und<br />
Antennen eingesetzt. Weitere Anwendungen und Beschichtungsstoffe<br />
sind in der Erprobung.
80 /<br />
DampTronic ® select – Sportfahrwerk zum Einschalten<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
DampTronic ® select<br />
Dipl.-inG. olE GöTZ Teamleiter Simulation & Berechnung ThyssenKrupp Bilstein suspension GmbH Ennepetal<br />
Dipl.-inG. Klaus scHMiDT Leiter Entwicklung aktive Systeme ThyssenKrupp Bilstein suspension GmbH Ennepetal<br />
Mit dem von ThyssenKrupp Bilstein Suspension entwickelten zweistufigen Dämpfungssystem<br />
DampTronic ® select wird die Lücke zwischen konventionellen, passiven Stoßdämpfern<br />
und aufwendigen elektronisch stufenlos verstellbaren Dämpfern geschlossen. Der Kunde<br />
muss sich bei seiner Fahrzeugkonfiguration nicht entscheiden, ob er ein Normal- oder ein<br />
Sportfahrwerk möchte, er kann mit einem Schalter am Armaturenbrett zwischen zwei Fahrwerkseinstellungen<br />
umschalten. Das Herzstück der Innovation ist das DampTronic ® select<br />
Ventil, das in einem sehr kompakten Bauraum zwei weitgehend unabhängig abstimmbare<br />
Dämpfkraftkennlinien bereitstellt. Durch niedrige Bauteilkosten und geringen Integrationsaufwand<br />
konnten die Systemkosten so stark reduziert werden, dass das System sogar für<br />
die Kompakt- und Kleinwagenklasse attraktiv ist.<br />
Verstellbare Dämpfungssysteme<br />
Die Abstimmung der Stoß- oder Schwingungsdämpfer eines<br />
Fahrzeuges bestimmt wesentlich dessen Fahreindruck und<br />
das Komfortverhalten. Mit den heute üblichen konven-<br />
tionellen hydraulischen Dämpfern lässt sich über hydraulische<br />
Ventile eine feste Dämpfkraftkennlinie definieren, die<br />
jedoch den klassischen Zielkonflikt zwischen Komfort und<br />
Agilität nur teilweise auflösen kann.<br />
In der Oberklasse heute vielfach schon Serienaus-<br />
stattung und als Sonderausstattung mittlerweile auch schon<br />
in der Kompaktklasse erhältlich, erlauben verstellbare<br />
Dämpfungssysteme eine der Fahrsituation oder dem<br />
Fahrerwunsch angepasste Dämpfungscharakteristik. Damit<br />
bieten diese Systeme dem Kunden die Möglichkeit, komfortbetont<br />
zu reisen, ohne jedoch auf die Sicherheitsreserven<br />
und den Fahrspaß eines straff abgestimmten Fahrwerkes<br />
verzichten zu müssen.<br />
Diese komplexen Systeme zur Dämpfungsverstellung<br />
umfassen die stufenlos verstellbaren Dämpfungsventile,<br />
verschiedene Sensoren zur Bestimmung des Bewegungszustandes<br />
von Karosserie und Rädern sowie ein auf-<br />
wendiges Steuergerät zur Ansteuerung der Dämpfer entsprechend<br />
der hinterlegten Algorithmen. Die hohen Kosten<br />
für die Komponenten und der hohe Integrationsaufwand<br />
behindern die weitere Verbreitung von stufenlos verstellbaren<br />
Dämpfungssystemen.<br />
Zwischen den etablierten stufenlosen Dämpfungsverstellsystemen<br />
und dem konventionellen Dämpfer positi-<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
oniert sich das von ThyssenKrupp Bilstein Suspension entwickelte,<br />
zweistufige System DampTronic ® select. Ein kosten-<br />
günstiges Design des Ventiles, der Verzicht auf Sensorik<br />
und minimaler Steuergeräteaufwand erlauben eine<br />
drastische Reduzierung der Systemkosten / Bild 1 /.<br />
Der Endkunde kann über einen Schalter am Armaturenbrett<br />
zwischen einer Normal- und einer strafferen Sportkennlinie<br />
wählen. Damit erhält er ein „Sportfahrwerk zum<br />
Einschalten“ mit erlebbarer Steigerung der Agilität, kann<br />
jedoch beispielsweise auf längeren Strecken auch die<br />
komfortablere Normal-Stellung nutzen.<br />
Bauraum-Anforderungen<br />
Zu Beginn der Entwicklung des DampTronic ® select Ventiles<br />
wurden, neben den Anforderungen an die hydraulische<br />
Funktion, die wesentlichen Eckdaten wie Bauraumbedarf,<br />
Energiebedarf, Gewicht und Zielpreis festgelegt. Grund-<br />
sätzlich gibt es zwei Möglichkeiten einen verstellbaren<br />
Dämpfer zu realisieren. Bei integrierten Ventilen befindet<br />
sich das Verstellventil am Ende der Kolbenstange im<br />
Arbeitsraum des Dämpfers. Im Gegensatz dazu kann das<br />
Verstellventil auch am Außenrohr des Dämpfers positioniert<br />
werden (adaptiertes Ventil). Beide Varianten haben spezifische<br />
Vor- und Nachteile. ThyssenKrupp Bilstein Suspension<br />
entschied sich beim DampTronic ® select für die integrierte<br />
Lösung mit dem Ventil an der Kolbenstange. Für die<br />
Applikation im Einrohrdämpfer ist diese Lösung die<br />
hydraulisch günstigste.<br />
/ 81
82 / DampTronic ® select<br />
Für die weit verbreiteten Zweirohrdämpfer ergeben sich zwar<br />
Nachteile hinsichtlich Baulänge und Kennlinienspreizung<br />
der Druckstufenkräfte, dagegen steht jedoch der Vorteil,<br />
eine deutlich kostengünstigere Rohrbaugruppe (oder die<br />
unveränderte Baugruppe des konventionellen Serien-<br />
Dämpfers) verwenden zu können. Das Mehrgewicht eines<br />
Dämpfers mit DampTronic ® select gegenüber einem konventionellen<br />
Dämpfer beträgt – auch aufgrund der integrierten<br />
Ventilanordnung – nur ca. 80 g und ist damit gemessen<br />
an der erweiterten Funktionalität nahezu vernachlässigbar.<br />
Um einen möglichst breiten Anwendungsbereich für<br />
DampTronic ® select zu ermöglichen, musste das Ventilsystem<br />
an die gängigen Dämpferdimensionierungen angepasst<br />
werden. In der Kompakt- und Kleinwagenklasse,<br />
dem prädestinierten Anwendungsbereich des neuen Ventilsystems,<br />
werden an der Vorderachse fast ausschließlich<br />
McPherson-Federbeine mit einem Innenrohrdurchmesser<br />
von ca. 32-36 mm eingesetzt. Der minimale Durchmesser<br />
wurde auf 32 mm festgelegt, der Einsatz des Ventiles in<br />
36 mm Innenrohren ist über eine Gehäusevariante mit<br />
größerem Außendurchmesser möglich.<br />
Beim Einsatz im McPherson-Federbein übernimmt der<br />
Dämpfer Radführungsaufgaben und ist daher zum Teil<br />
erheblichen Querkräften beim Bremsen oder bei Kurvenfahrten<br />
ausgesetzt. Das Ventilgehäuse und insbesondere<br />
die Verbindung zur Kolbenstange sind daher über Finite-<br />
F<br />
Konventioneller Dämpfer<br />
Zusatzkosten/Fzg<br />
(System)<br />
0 €<br />
Bild 1 / Positionierung DampTronic ® select<br />
v<br />
F<br />
Sport<br />
DampTronic ® select:<br />
Zweistufig verstellbar<br />
~100 €<br />
Elemente-Berechnungen und experimentelle Versuche so<br />
ausgelegt worden, dass diesen Beanspruchungen sicher<br />
standgehalten werden kann.<br />
An der Hinterachse werden die Dämpfer üblicherweise<br />
als freistehende oder federtragende Dämpfer in Ein- oder<br />
Zweirohrbauweise ausgeführt. Mit dem kleinen Durchmesser<br />
von 32 mm kann das Ventil in beiden Dämpferbauweisen<br />
eingesetzt werden, in der Regel ohne den radialen Bauraum<br />
zu vergrößern.<br />
Ein wesentlicher Nachteil integrierter Ventile ist die durch<br />
deren Baulänge vergrößerte Totlänge, d.h. die Gesamtlänge<br />
des Dämpfers vergrößert sich bei gleichem Hubbereich<br />
gegenüber einem passiven Dämpfer oder einem adaptierten<br />
Ventil. Aus diesem Grund kann vor dem Hintergrund<br />
der heutigen extrem engen Package-Anforderungen der<br />
Einsatz von integrierten Ventilen an wenigen Millimetern<br />
Baulänge scheitern.<br />
Bei der Entwicklung des DampTronic ® select Ventiles<br />
konnte durch eine platzsparende Integration aller Funktions-<br />
elemente eine Länge von 51 mm erreicht werden. Gegen-<br />
über konventionellen Arbeitskolben ergibt sich hierdurch ein<br />
akzeptabler Längenzuwachs von nur 20 mm. Die Gegenüberstellung<br />
eines konventionellen Arbeitskolbens im<br />
Vergleich zum DampTronic ® select Ventil ist in / Bild 2 /<br />
dargestellt.<br />
Comfort<br />
v<br />
F<br />
Kontinuierlich verstellbar<br />
~ 250 €<br />
v<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 2 / Längenvergleich mit konventionellem Arbeitskolben<br />
Hydraulische Funktionalität – Kennliniengestaltung<br />
Das zweistufige Ventil des DampTronic ® select Systems<br />
stellt dem Fahrer neben der Normalkennlinie eine per<br />
Knopfdruck einschaltbare Sportkennlinie zur Verfügung.<br />
Kennlinienbeispiele für die Normal- und Sportkennung sind<br />
in / Bild 3 / dargestellt.<br />
Beide Kennlinien bieten das volle Abstimmpotenzial<br />
konventioneller Dämpfer, d.h. eine unabhängige Einstellung<br />
der Zug- und Druckstufenkennlinie in verschiedenen<br />
Geschwindigkeitsbereichen. Damit können die Dämpfkraftcharakteristiken<br />
bestmöglich an die spezifischen Bedürfnisse<br />
des Fahrzeuges bzw. der Abstimmphilosophie angepasst<br />
werden. Gegenüber konventionellen Dämpfern ergeben sich<br />
keine funktionalen Einschränkungen bezüglich Ansprechverhalten,<br />
Fahrkomfort oder Fahrdynamik.<br />
Energiebedarf<br />
Vor dem Hintergrund der aktuellen CO 2-Diskussion ist<br />
der Energiebedarf bei allen im Fahrzeug integrierten elektrischen<br />
Systemen von großer Bedeutung. Diesem Anspruch<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
31 mm<br />
wurde durch eine unter den gegebenen Randbedingungen<br />
bestmögliche Auslegung des elektromagnetischen<br />
Antriebes Rechnung getragen. Die Magnetspule ist so<br />
dimensioniert, dass bei eingeschalteter Normalkennung<br />
F [N]<br />
2.500<br />
2.000<br />
1.500<br />
1.000<br />
500<br />
0<br />
-500<br />
-1.000<br />
-1.500<br />
Sportkennlinie<br />
Normalkennlinie<br />
Bild 3 / Kennfeld DampTronic ® select: Sport- und Normalkennlinie<br />
DampTronic ® select / 83<br />
51 mm<br />
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5<br />
v [m/s]<br />
0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
84 / DampTronic ® select<br />
eine Leistung von weniger als 1 W pro Dämpfer benötigt<br />
wird. Kontinuierliche Verstelldämpfer verfügen dagegen<br />
üblicherweise über eine Leistungsaufnahme von 5 bis 10 W.<br />
Beim Abschalten des Stroms stellt sich die Sportkennlinie<br />
ein, sodass der Dämpfer rein passiv, d.h. ohne weitere<br />
Energiezufuhr, arbeitet.<br />
Konstruktive Umsetzung<br />
Unter Berücksichtigung der genannten Anforderungen hinsichtlich<br />
Bauraum, Kennliniengestaltung, Energiebedarf, und<br />
natürlich Kosten entstand das in / Bild 4 / dargestellte<br />
Ventildesign. Das DampTronic ® select Ventil beinhaltet die<br />
passiven Dämpfungsventile für Normal- und Sportkennlinie<br />
sowie ein magnetbetätigtes Schaltventil. Im oberen<br />
Bereich des Ventiles ist ein Haftmagnet angeordnet, der<br />
bei Bestromung den darunter liegenden Rundschieber<br />
magnetisch in eine angezogene Position verschiebt. Durch<br />
Zulauf Normalventil<br />
Zulauf Sportventil<br />
Bild 4 / Ansicht DampTronic ® select Ventil<br />
die Öffnung des Schiebers wird der Strömungskanal durch<br />
das Normalventil freigegeben. Das Normalventil wird damit<br />
zum Sportventil hydraulisch parallel geschaltet, wodurch<br />
sich die Normalkennlinie ergibt. Im unbestromten Zustand<br />
drückt eine Rückstellfeder die Steuerkante des Schiebers<br />
auf den Ventilsitz, wodurch der Volumenstrom unterbrochen<br />
wird. Unterhalb des Rundschiebers ist das Normalventil<br />
positioniert. Bei geöffnetem Rundschieber wird im Wesentlichen<br />
durch dieses Ventil die Normalkennung erzeugt.<br />
Die Abstimmung des Normalventiles erfolgt in ähnlicher<br />
Form wie bei konventionellen Stoßdämpferventilen, indem<br />
an Zug- und Druckstufenseite des Ventiles die hydraulischen<br />
Widerstände durch geeignete Vorspannelemente<br />
und Bypass-Kanäle angepasst werden. Da im normalen<br />
Fahrbetrieb überwiegend diese Ventilstufe genutzt wird,<br />
steht für ihre Einstellung ein umfangreiches Abstimmportfolio<br />
zur Verfügung. Am unteren Ende des DampTronic ®<br />
Magnet<br />
Rundschieber<br />
Normalventil Druckstufe<br />
Normalventil Zugstufe<br />
Sportventil<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012
Bild 5 / ThyssenKrupp Bilstein Suspension Konzeptfahrzeug<br />
select Ventiles befindet sich das Sportventil. Sein kennungs-<br />
bestimmendes Element ist ein doppelseitig wirkendes<br />
Federscheibenpaket, bei dem die Vorspannungen von Zug-<br />
und Druckseite abgestimmt werden können. Parallel zu<br />
dem Sportventil arbeitet ein Bypass-Ventil, durch das der<br />
Anlaufgradient der Sportkennung in der Druckstufe verändert<br />
werden kann. In Summe ergeben sich aus den<br />
beschriebenen Abstimmparametern weitreichende Möglichkeiten,<br />
das DampTronic ® select Ventil an die Bedürfnisse<br />
verschiedenster Fahrzeuge anzupassen.<br />
Konzeptfahrzeug<br />
Um das Potenzial von DampTronic ® select zu erproben und<br />
für Kunden erfahrbar zu machen, wurde von ThyssenKrupp<br />
Bilstein Suspension ein BMW Mini Cooper S als Konzeptfahrzeug<br />
aufgebaut / Bild 5 /. In das Fahrzeug wurden die<br />
DampTronic ® select Dämpfer an Vorder- und Hinterachse,<br />
ein Steuergerät sowie ein Wahltaster zur Umschaltung der<br />
Fahrwerkseinstellungen integriert. Während der Dämpfer-<br />
abstimmung konnten die Experten von ThyssenKrupp<br />
Bilstein Suspension wertvolle Erfahrungen mit dem neuen<br />
Ventilsystem sammeln. Gegenüber dem Serienfahrwerk<br />
konnte in der Normalkennlinie der Fahrkomfort deutlich<br />
gesteigert werden, ohne dass das Fahrzeug seinen<br />
typischen Charakter verliert. Schaltet man das Fahrwerk<br />
in die Sport-Position bemerkt man sofort die deutliche<br />
straffere, sportliche Anbindung des Fahrzeuges und das<br />
direktere Lenkverhalten.<br />
Fazit<br />
ThyssenKrupp Bilstein Suspension hat mit dem Dämpfungsverstellsystem<br />
DampTronic ® select ein robustes und<br />
kostengünstiges System entwickelt, das dem Fahrer die<br />
ThyssenKrupp techforum 1 I 2012<br />
Möglichkeit bietet, mittels Schalter die Charakteristik seines<br />
Fahrzeuges auf Wunsch fühlbar straffer und agiler ein-<br />
zusstellen – ein Sportfahrwerk auf Knopfdruck. Das System<br />
positioniert sich bewusst zwischen konventionellen<br />
Dämpfern mit einer festen Kennlinie und komplexen, stufen-<br />
losen Dämpfungsverstellsystemen. Durch den Verzicht auf<br />
Sensorik und ein komplexes Steuergerät sowie ein konsequent<br />
nach dem Prinzip Design-to-Cost entwickeltes<br />
Schaltventil kann ein sehr attraktiver Preis für die gegen-<br />
über einem voll verstellbaren System zwar eingeschränkte,<br />
jedoch für den Endkunden sehr deutlich erlebbare<br />
Funktionalität dargestellt werden. Der DampTronic ® select<br />
Dämpfer bietet ein Kostenpotenzial von ca. 40 %, gegen-<br />
über einem kontinuierlich verstellbaren System – bestehend<br />
aus Sensoren, Steuergerät und Dämpfern sogar ein<br />
Potenzial von ca. 50-60 %.<br />
Durch den attraktiven Preis ist das System besonders<br />
in der Kompakt- und Kleinwagenklasse eine Alternative<br />
zum stufenlos verstellbaren Dämpfungssystem. Andererseits<br />
stellt DampTronic ® select ein deutlich aufgewertetes<br />
Sportfahrwerk dar, da dieses bei Bedarf ein- oder ausgeschaltet<br />
werden kann und das Fahrzeug seine volle<br />
Alltagstauglichkeit behält.<br />
Mittlerweile konnten mehrere Serienaufträge für<br />
DampTronic ® select gewonnen werden. Eine Anwendung<br />
im Sportwagenbereich startet bereits 2012 in die Serien-<br />
produktion, kurz darauf folgt der Einsatz in einem<br />
Kompaktfahrzeug.<br />
DampTronic ® select / 85
ThyssenKrupp aG<br />
Postfach<br />
45063 Essen<br />
www.thyssenkrupp.com