06.05.2014 Aufrufe

oora eBook 42

oora eBook 42

oora eBook 42

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Wenn der Staat zur Strafe tötet | Ende<br />

Herr Hermann, haben Sie Angst vor dem Tod?<br />

(überlegt) Ja. Tod bedeutet Trennung. Der Tod ist ein Feind<br />

Gottes. Das ist alles nichts Positives.<br />

Was, glauben Sie, passiert nach dem Tod?<br />

Ich werde bei Christus sein. Das betrifft nicht jede Person, aber<br />

gläubige Personen schon.<br />

Trotzdem haben Sie Angst davor, die Erde zu verlassen?<br />

Ja, denn diese negativen Begleiteffekte, wie die Trennung vom<br />

Partner, sind schließlich trotzdem da.<br />

Sie haben 52 verschiedene Studien zur Wirksamkeit der<br />

Todesstrafe miteinander verglichen. Was hat Sie dazu<br />

bewogen?<br />

Die Studie ist eingebunden in eine größere Untersuchung, eine<br />

sogenannte Metaanalyse, in der wir insgesamt 700 Abschreckungsstudien<br />

untersucht haben. Metaanalyse heißt, dass wir<br />

nicht Personen, Länder oder Regionen untersucht haben, sondern<br />

bereits vorhandene Studien. Wir haben uns gefragt, wie<br />

es zu den Ergebnissen einzelner Studien gekommen ist und wie<br />

man diese Ergebnisse so zusammenfassen kann, dass die Resultate<br />

insgesamt sicherer werden.<br />

Es ging also um Ergebnissicherung?<br />

Nicht nur. Die Studien kommen zu sehr unterschiedlichen Resultaten.<br />

Einige kommen zu dem Ergebnis, dass Abschreckung<br />

funktioniere, andere kommen zu dem gegenteiligen Ergebnis,<br />

nämlich, dass Abschreckung Kriminalität produzieren würde.<br />

Unsere Frage war deshalb: Wie kommen diese Unterschiede zustande?<br />

Im Rahmen unserer Untersuchung haben wir natürlich<br />

auch solche Studien berücksichtigt, die sich speziell mit der Todesstrafe<br />

befassen. Eine Studie von Ehrlich beispielsweise, die in<br />

der Frühzeit der Forschungen zur Todesstrafe entstanden ist,<br />

kommt zu dem Ergebnis, dass jede Exekution sieben bis acht<br />

Morde verhindere. Es gab später dann Replikationen dieser Studie,<br />

die zu dem Ergebnis kamen, dass die Todesstrafe keine einzige<br />

Tötung verhindert.<br />

In Ländern, in denen die Todesstrafe abgeschafft wird, ist<br />

oft sogar ein Rückgang von Tötungsdelikten zu beobachten.<br />

Woher kommt das?<br />

Es gibt Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass die Abschaffung<br />

der Todesstrafe zu einem Rückgang der Tötungsdelikte<br />

führt, und es gibt Studien, die in der Einführung der Todesstrafe<br />

diesen Effekt sehen. Der Grund für diese Diskrepanzen, so jedenfalls<br />

das Ergebnis der Metaanalyse, ist das Menschenbild des<br />

Forschers und die Theorie, die seiner Studie zugrunde liegt. Nehmen<br />

wir zum Beispiel einen Forscher mit einem utilitaristischen<br />

Ansatz, der postuliert, dass der Mensch Vor- und Nachteile verschiedener<br />

Handlungsalternativen abwägt und dann immer die<br />

wählt, die ihm den größten Nutzen bringt. Ein Forscher, der so<br />

vorgeht, nimmt an, dass die Todesstrafe zwangsläufig verhaltensrelevant<br />

ist. Der eigene Tod wäre in einer solchen Kosten-Nutzen-<br />

Rechnung immer der größte Kostenfaktor.<br />

Wenn man die Todesstrafe<br />

rechtfertigen will, findet man<br />

immer eine Studie, die das belegt.<br />

Wenn man der Todesstrafe gegenüber<br />

jedoch eher kritisch eingestellt ist,<br />

findet man genauso eine Studie,<br />

die das unterstützt.<br />

In diesem Menschenbild wäre kein Platz für eine Affekthandlung.<br />

Eine einseitige, rein ökonomische Sicht, die man auch<br />

anzweifeln kann.<br />

Richtig. Wenn man den Alltag beobachtet, gibt es ausgesprochen<br />

viele irrationale Handlungen.<br />

Ihr Ansatz ist offenbar kein rein ökonomischer. Welchen Ansatz<br />

verfolgen Sie?<br />

Ich verfolge eher eine Handlungstheorie, die auf den Arbeiten von<br />

Weber und Parsons basiert. Ich gehe davon aus, dass der Mensch<br />

einen freien Willen hat, in dem Sinne, dass er sich zwar zwischen<br />

mehreren Handlungsalternativen entscheiden, aber seine Entscheidung<br />

nicht unbedingt auch praktisch umsetzen kann. Bei der<br />

Wahl der Handlungsalternative spielen seine Werte eine größere<br />

Rolle. Welche Präferenzen hat er? Welche Ziele hat er für sein Leben?<br />

Dabei spielen sein Normverständnis und auch seine strukturelle<br />

Einbindung und seine Sozialisation eine Rolle.<br />

Prof. Dr. Dieter Hermann (60) ist Soziologe und Diplommathematiker. Er<br />

lehrt und forscht am Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg. Seine<br />

Schwerpunkte liegen in den Bereichen Kriminalsoziologie (Kriminalitätstheorien,<br />

Präventions- und Evaluationsforschung), Kultursoziologie (Werte-, Lebensstil-<br />

und Sozialkapitalforschung), Methoden empirischer Sozialforschung und<br />

Statistik sowie Ethik.<br />

<strong>oora</strong>.de<br />

17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!