oora eBook 42
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Wenn der Staat zur Strafe tötet | Ende<br />
Wichtig ist, dass gestraft wird.<br />
Dass deutlich gemacht wird,<br />
eine Norm hat Gültigkeit und keiner<br />
kann sie so ohne Weiteres übertreten.<br />
Die Höhe der Strafe ist dann gar<br />
nicht mehr so entscheidend.<br />
Warum ist das so?<br />
Das kann ich mir auch nicht so richtig erklären. Vielleicht spielt<br />
hier die Kultur eine Rolle. Womöglich kommt dem Mensch an<br />
sich in Europa kulturbedingt ein höherer Stellenwert zu. Vielleicht<br />
liegt es auch an der niedrigeren Kriminalitätsrate in Europa.<br />
Nach Ihren Forschungen würde aber ein milderes Strafmaß<br />
auch zu weniger Kriminalität führen.<br />
Wichtig ist, dass gestraft wird. Dass deutlich gemacht wird, dass<br />
eine Norm Gültigkeit hat und keiner sie so ohne Weiteres übertreten<br />
kann. Die Höhe der Strafe ist dann gar nicht mehr so entscheidend.<br />
Wichtig ist auch, dass schnell gestraft wird.<br />
Wäre das auch ein Kostenfaktor? Je länger der Mensch in<br />
Untersuchungshaft sitzt, umso mehr kostet er den Staat.<br />
Bei neueren Forschungen zu diesem Thema, die ökonomisch<br />
orientiert sind, spielt das tatsächlich eine Rolle. Sie kommen zu<br />
dem Ergebnis, dass der Zeitraum zwischen Tat und Sanktion<br />
möglichst kurz sein sollte, um Effizienz im rational-utilitaristischen<br />
Sinne zu erreichen.<br />
Ist es dann nicht billiger, eine Exekution durchzuführen, als<br />
einen Mörder lebenslang hinter Gittern zu beherbergen?<br />
Nein, das ist sogar noch teurer. Die Freiheitsstrafe, die vor der<br />
Exekution abgesessen wird, ist in der Regel ausgesprochen lang,<br />
bis zu 20 Jahren, und dann kommt am Ende doch noch die Exekution.<br />
Das heißt, der Unterschied der Haftdauer einer Person,<br />
die zum Tode verurteilt wurde und einer Person, die »lebenslänglich«<br />
bekommen hat, ist gar nicht so gravierend.<br />
Weshalb sitzen Todeskandidaten so lange ein?<br />
Weil man Fehlurteile vermeiden will. Bei der Todesstrafe gibt es<br />
viel mehr Einspruchsmöglichkeiten als bei anderen Strafmaßnahmen.<br />
Der juristische Aufwand ist für das Gericht wesentlich<br />
höher, wenn eine Todesstrafe zur Diskussion steht.<br />
Was empfehlen Sie den 60 Staaten, die nach wie vor die<br />
Todesstrafe anwenden?<br />
Sie sollen meine Studie lesen. Wir haben herausgefunden, dass<br />
es in allererster Linie an der Institutionenzugehörigkeit eines<br />
Forschers liegt, zu welchem Ergebnis er bezüglich der Abschreckungswirksamkeit<br />
der Todesstrafe kommt. Es kommt auf das<br />
Menschenbild an, das der Forscher hat, und auf seine handlungstheoretischen<br />
Vorstellungen. Somit fehlt der Todesstrafe<br />
die generalpräventive Legitimation.<br />
Sie sagen, Forscher sind gar nicht objektiv?<br />
Alle Forscher forschen subjektiv, vermutlich ist Objektivität gar<br />
nicht möglich. Allerdings wirkt sich diese subjektive Sichtweise<br />
bei anderen Forschungen nicht so gravierend aus wie bei den<br />
Studien zur Todesstrafe. Nur bei diesem Thema findet man einen<br />
engen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einer<br />
Institution und dem Forschungsergebnis.<br />
Die Todesstrafe wird also politischer bewertet als andere<br />
Strafmaßnahmen?<br />
Ja. Wahrscheinlich liegt das auch an der emotionalen Position<br />
des Forschenden zu dem Thema. Wenn er Anhänger einer Rational-Choice-Theorie<br />
ist, wenn er also davon ausgeht, dass Menschen<br />
nach Kosten-Nutzen-Aspekten handeln, wenn er an einer<br />
ökonomischen Institution angestellt ist, wenn er in einer ökonomischen<br />
Zeitschrift veröffentlicht, dann ist die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass seine Studie die Todesstrafe befürwortet, viel größer,<br />
als wenn er eine andere Handlungstheorie präferiert, beispielsweise<br />
als Soziologe oder Kriminologe. Das sind die Weichenstellungen,<br />
die zu unterschiedlichen Studienergebnissen führen.<br />
Der Unterschied der Haftdauer<br />
einer Person, die zum Tode<br />
verurteilt wurde und einer Person,<br />
die »lebenslänglich« bekommen hat,<br />
ist gar nicht so gravierend.<br />
Würden Sie also den Politikern dieser 60 Länder, wenn sie<br />
denn darüber nachdächten, die Todesstrafe abzuschaffen,<br />
dazu raten, mehrere Studien zu Rate zu ziehen?<br />
So ist es. Wenn man die Todesstrafe rechtfertigen will, findet<br />
man immer eine Studie, die das belegt. Wenn man der Todesstrafe<br />
gegenüber jedoch eher kritisch eingestellt ist, findet man<br />
genauso eine Studie, die das unterstützt. In einer solchen Situation<br />
braucht man einen größeren Überblick, um halbwegs sicher<br />
zu sein, wie die verschiedenen Ergebnisse einzuordnen sind.<br />
Das heißt, dass Ihre Forschungsergebnisse im besten Fall<br />
dazu beitragen können, dass die Todesstrafe geächtet wird?<br />
… und dass man eine kritische Distanz zur Todesstrafe bekommt<br />
und einer einzelnen Studie nicht einfach so glaubt.<br />
Herr Hermann, vielen Dank für das Gespräch. ///<br />
<strong>oora</strong>.de 19