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Wenn der Staat zur Strafe tötet | Ende<br />

Wichtig ist, dass gestraft wird.<br />

Dass deutlich gemacht wird,<br />

eine Norm hat Gültigkeit und keiner<br />

kann sie so ohne Weiteres übertreten.<br />

Die Höhe der Strafe ist dann gar<br />

nicht mehr so entscheidend.<br />

Warum ist das so?<br />

Das kann ich mir auch nicht so richtig erklären. Vielleicht spielt<br />

hier die Kultur eine Rolle. Womöglich kommt dem Mensch an<br />

sich in Europa kulturbedingt ein höherer Stellenwert zu. Vielleicht<br />

liegt es auch an der niedrigeren Kriminalitätsrate in Europa.<br />

Nach Ihren Forschungen würde aber ein milderes Strafmaß<br />

auch zu weniger Kriminalität führen.<br />

Wichtig ist, dass gestraft wird. Dass deutlich gemacht wird, dass<br />

eine Norm Gültigkeit hat und keiner sie so ohne Weiteres übertreten<br />

kann. Die Höhe der Strafe ist dann gar nicht mehr so entscheidend.<br />

Wichtig ist auch, dass schnell gestraft wird.<br />

Wäre das auch ein Kostenfaktor? Je länger der Mensch in<br />

Untersuchungshaft sitzt, umso mehr kostet er den Staat.<br />

Bei neueren Forschungen zu diesem Thema, die ökonomisch<br />

orientiert sind, spielt das tatsächlich eine Rolle. Sie kommen zu<br />

dem Ergebnis, dass der Zeitraum zwischen Tat und Sanktion<br />

möglichst kurz sein sollte, um Effizienz im rational-utilitaristischen<br />

Sinne zu erreichen.<br />

Ist es dann nicht billiger, eine Exekution durchzuführen, als<br />

einen Mörder lebenslang hinter Gittern zu beherbergen?<br />

Nein, das ist sogar noch teurer. Die Freiheitsstrafe, die vor der<br />

Exekution abgesessen wird, ist in der Regel ausgesprochen lang,<br />

bis zu 20 Jahren, und dann kommt am Ende doch noch die Exekution.<br />

Das heißt, der Unterschied der Haftdauer einer Person,<br />

die zum Tode verurteilt wurde und einer Person, die »lebenslänglich«<br />

bekommen hat, ist gar nicht so gravierend.<br />

Weshalb sitzen Todeskandidaten so lange ein?<br />

Weil man Fehlurteile vermeiden will. Bei der Todesstrafe gibt es<br />

viel mehr Einspruchsmöglichkeiten als bei anderen Strafmaßnahmen.<br />

Der juristische Aufwand ist für das Gericht wesentlich<br />

höher, wenn eine Todesstrafe zur Diskussion steht.<br />

Was empfehlen Sie den 60 Staaten, die nach wie vor die<br />

Todesstrafe anwenden?<br />

Sie sollen meine Studie lesen. Wir haben herausgefunden, dass<br />

es in allererster Linie an der Institutionenzugehörigkeit eines<br />

Forschers liegt, zu welchem Ergebnis er bezüglich der Abschreckungswirksamkeit<br />

der Todesstrafe kommt. Es kommt auf das<br />

Menschenbild an, das der Forscher hat, und auf seine handlungstheoretischen<br />

Vorstellungen. Somit fehlt der Todesstrafe<br />

die generalpräventive Legitimation.<br />

Sie sagen, Forscher sind gar nicht objektiv?<br />

Alle Forscher forschen subjektiv, vermutlich ist Objektivität gar<br />

nicht möglich. Allerdings wirkt sich diese subjektive Sichtweise<br />

bei anderen Forschungen nicht so gravierend aus wie bei den<br />

Studien zur Todesstrafe. Nur bei diesem Thema findet man einen<br />

engen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einer<br />

Institution und dem Forschungsergebnis.<br />

Die Todesstrafe wird also politischer bewertet als andere<br />

Strafmaßnahmen?<br />

Ja. Wahrscheinlich liegt das auch an der emotionalen Position<br />

des Forschenden zu dem Thema. Wenn er Anhänger einer Rational-Choice-Theorie<br />

ist, wenn er also davon ausgeht, dass Menschen<br />

nach Kosten-Nutzen-Aspekten handeln, wenn er an einer<br />

ökonomischen Institution angestellt ist, wenn er in einer ökonomischen<br />

Zeitschrift veröffentlicht, dann ist die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass seine Studie die Todesstrafe befürwortet, viel größer,<br />

als wenn er eine andere Handlungstheorie präferiert, beispielsweise<br />

als Soziologe oder Kriminologe. Das sind die Weichenstellungen,<br />

die zu unterschiedlichen Studienergebnissen führen.<br />

Der Unterschied der Haftdauer<br />

einer Person, die zum Tode<br />

verurteilt wurde und einer Person,<br />

die »lebenslänglich« bekommen hat,<br />

ist gar nicht so gravierend.<br />

Würden Sie also den Politikern dieser 60 Länder, wenn sie<br />

denn darüber nachdächten, die Todesstrafe abzuschaffen,<br />

dazu raten, mehrere Studien zu Rate zu ziehen?<br />

So ist es. Wenn man die Todesstrafe rechtfertigen will, findet<br />

man immer eine Studie, die das belegt. Wenn man der Todesstrafe<br />

gegenüber jedoch eher kritisch eingestellt ist, findet man<br />

genauso eine Studie, die das unterstützt. In einer solchen Situation<br />

braucht man einen größeren Überblick, um halbwegs sicher<br />

zu sein, wie die verschiedenen Ergebnisse einzuordnen sind.<br />

Das heißt, dass Ihre Forschungsergebnisse im besten Fall<br />

dazu beitragen können, dass die Todesstrafe geächtet wird?<br />

… und dass man eine kritische Distanz zur Todesstrafe bekommt<br />

und einer einzelnen Studie nicht einfach so glaubt.<br />

Herr Hermann, vielen Dank für das Gespräch. ///<br />

<strong>oora</strong>.de 19

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