Nr. 66 - Soziale Welt
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ZIALKRITIK<br />
Chao:<br />
, ist eine Zukunft des Teilens“<br />
Produkt in der Tat einen Beitrag zur persönlichen<br />
Verbesserung leisten würde, dann wäre<br />
es das erste Produkt, das ich haben wollte.<br />
Fürchte dich niemals vor der Zukunft und<br />
was auf dich zukommt, denn Du musst ohnedies<br />
dorthin. Obwohl ich glaube, dass die<br />
Zukunft wichtig ist, ist es die Gegenwart, die<br />
zählt, denn die Zukunft wird hier und jetzt<br />
gemacht. Sinnvoll ist was im Moment nützlich<br />
ist. Wichtig ist nicht was neu ist, sondern<br />
was brauchbar ist.<br />
Die Liebe zu Argentinien<br />
Nach den Auftritten mit seiner Band Mano<br />
Negro und mit der Wanderschaustellergruppe<br />
Royal de Luxe, die am Projekt Cargo ‚92<br />
mitgewirkt hatte, trieb es den französische<br />
Sohn spanischer, im Exil lebender Eltern,<br />
mehrmals alleine in die argentinische Pampa<br />
zurück. Hier baute er mit Radio La Colifata,<br />
dem Radiosender des Borda Krankenhauses,<br />
eine Kooperation der besonderen Art auf. Er<br />
half die Grundlagen für eine von verschiedenen<br />
Stilrichtungen geprägte Musikszene mit<br />
Punk-Gesinnung zu schaffen, in der er den<br />
Protagonisten verkörperte.<br />
Bevor 2007 sein neues Album „La Radiolina“<br />
erschien, demonstrierte er am Amerika-<br />
Gipfel in der glücklichen Stadt Mar de Plata<br />
gegen die Anwesenheit von Bush. An diesem<br />
Tag trat er nicht an der Seite anderer prominenter<br />
Gäste wie Silvio Rodrigues und den<br />
Präsidenten von Bolivien und Venezuela, Evo<br />
Morales und Hug Chavez, auf. „In meinem<br />
Leben hatte ich nie das Gefühl etablierten<br />
Politikern gleich gesinnt zu sein. Sollten<br />
politische Ämter eines Tages von Menschen<br />
wahrgenommen werden, die unsere gemeinsame<br />
Gegenwart und Zukunft positiv beeinflussen,<br />
dann wäre das mein Traum! Ich<br />
durfte dies jedoch noch nie erleben. In all<br />
meinen Stunden, Tagen, Jahren und in den<br />
verschiedenen Ländern, in denen ich gelebt<br />
habe, ist dies noch nie vorgekommen. Wir<br />
vertrauen von Zeit zu Zeit gewissen Leuten,<br />
aber letztendlich werden wir immer enttäuscht.<br />
Ich weiss nicht, ob es sich dabei um<br />
eine Art Korruption der Gene handelt, die<br />
sie vergessen lässt, woher sie kommen, sobald<br />
sie Macht riechen. Macht korrumpiert. Es ist<br />
nicht schön, das zu sagen, aber die Geschichte<br />
der Menschheit lehrt es uns“, meint er.<br />
Glauben Sie also, dass die Politik<br />
an sich etwas Negatives ist?<br />
Es gibt nur wenige Menschen in Machtpositionen,<br />
die nicht korrupt sind. Ausser ein<br />
paar Einzelfällen auf lokaler Ebene, in Städten<br />
oder kleineren Orten, sind mir keine<br />
Ausnahmen bekannt. Von Zeit zu Zeit habe<br />
ich Leute getroffen, die von Ihrer Stadt demokratisch<br />
gewählt wurden und die in meinen<br />
Augen ihr Bestmögliches geben. Allerdings<br />
macht man es sich zu leicht, wenn man<br />
sagt, dass alle korrupt sind. Das stimmt nicht<br />
Es gibt in der Tat Menschen, die es aufrichtig<br />
versuchen. Auf lokaler Ebene durfte ich<br />
gelegentlich Bekanntschaft mit solchen Persönlichkeiten<br />
schliessen. Generell betrachtet<br />
habe ich keine Ahnung was passiert. Wird<br />
vielleicht ihre Perspektive mit Antritt ihres<br />
Amtes ausgelöscht? Nein, wahrscheinlich<br />
sind die Dinge komplizierter als sie auf den<br />
ersten Blick erscheinen. In meinem ganzen<br />
Leben bin ich noch nie Menschen auf nationaler<br />
Ebene begegnet, denen ich 100% vertrauen<br />
kann. Wenn es hoch kommt, schenke<br />
ich Ihnen sporadisch zwischen 20 und 30%<br />
meines Vertrauens! Die Problematik ist nicht<br />
einfach, aber das ist der Traum. Die Vorstellung,<br />
dass die Menschen, die uns regieren<br />
und die wir gewählt haben, ihren Bürgern<br />
das Vertrauen schenken und es verstehen, das<br />
ist Utopie.<br />
Im Untergrund<br />
Zwei Tage vor der Demo sang und spielte der<br />
Texter von Politik Kills in einem bescheidenen<br />
Amphitheater vor knapp 50 Personen<br />
in der Nähe des Mar de Plata Hafens. Dank<br />
allem, was sich dort tat, durch die Mund-zu-<br />
Mund Propaganda sowie die verschiedenen<br />
Aufrufe und Kurzmitteilungen, schafften es<br />
Manu und seine Bandgitarren die Aufmerksamkeit<br />
von rund 500 Enthusiasten auf sich<br />
zu lenken. Das Spielen im Untergrund ist ein<br />
Brauch, dem seine Anhänger jeweils fiebrig<br />
entgegen eifern. Manu Chao meint dazu:<br />
„Ich denke viel nach und lokal als Künstler<br />
tätig zu sein fasziniert mich. Genau das ist es,<br />
was ich auch versuche zu tun. Unsere Stimme<br />
ist ein magisches und mächtiges Instrument,<br />
aber wir versuchen ihr immer ein bisschen zu<br />
entkommen und spielen am Boden, an Orten<br />
ohne Bühne, wo uns die Leute geografisch<br />
oder generationsbedingt gar nicht kennen.<br />
Wir füllten das Malvinas Argentinas Stadium<br />
insgesamt dreimal in der letzten Woche. Im<br />
Gegensatz dazu steht mein Auftritt vor drei<br />
Wochen an der Geburtstagsfeier eines Kochs,<br />
der in der Bar gegenüber meinem Haus arbeitet.<br />
Das gehört zu meinem Künstlerdasein.<br />
Die Bar gegenüber meinem Haus wird<br />
von der ganzen Nachbarschaft frequentiert<br />
und meine Nachbarn sind meine schärfsten<br />
Kritiker. Sie sind anspruchsvoller in einem<br />
guten Sinne des Wortes. Denn genau darum<br />
geht es ja schliesslich. Jeder Künstler, der sich<br />
seinen Nachbarn verpflichtet, sich als Teil der<br />
Gesellschaft sieht und ihr dienen will, bewegt<br />
mich.<br />
Für welche anderen Dinge, abgesehen von<br />
Ihrem Engagement für Ihre Nachbarschaft,<br />
lohnt es sich Ihrer Meinung nach zu kämpfen?<br />
Für die jüngeren Generationen ist mit dem<br />
technologischen Wandel und mit der Erfahrung<br />
mit freier Software eine Neudefinition<br />
von Eigentumsrechten entstanden. Es gibt<br />
Mittel und Wege mit denen man sich selbst<br />
organisieren kann, die Privateigentum durch<br />
die Übertragung von Daten und Informationen<br />
festlegen oder auch durch Technologie,<br />
die in Zusammenhang<br />
mit Biologie, Genetik,<br />
usw. steht. Vor ein<br />
paar Jahren hat man<br />
das Internet als die<br />
nächste grosse Revolution<br />
bezeichnet.<br />
Das ist zugleich wahr<br />
und falsch. Heutzutage<br />
sind die Internet-<br />
Kanäle stark kontrolliert.<br />
Du kannst tun<br />
was Du willst, Du<br />
kannst teilen was Du<br />
willst, aber es gibt drei<br />
bis vier, die das Ganze<br />
beherrschen und<br />
die Dir den Zugang<br />
jederzeit entziehen<br />
können … Nun vielleicht<br />
können Sie die<br />
Verbindung nicht allen<br />
verweigern, weil es<br />
immer Leute gibt, die<br />
auf alternative Möglichkeiten<br />
zurückgreifen<br />
können. Für die<br />
meisten Menschen<br />
wird die Leitung jedoch<br />
durch diese drei<br />
bis vier Menschen<br />
überwacht.<br />
Sie sprechen von Eigentumsrechten an<br />
Informationen und Wissen. Wie steht<br />
es mit sonstigen Eigentumsansprüchen?<br />
Nun gut, letzten Endes ist alles wiederverwertbar.<br />
Vor tausend Jahren mit Erde, heutzutage<br />
mit Megapixel…aber was verändert<br />
werden muss, ist die Art und Weise, in der<br />
wir teilen, was wir haben. Das ist die Sache.<br />
Wem das Land gehört und wer es bearbeitet<br />
kann nicht ein und dieselbe Person sein.<br />
Wem gehört die Software und wer arbeitet<br />
mit ihr? Hier geht es um neue Technologien,<br />
im Grunde genommen handelt es sich<br />
jedoch um eine uralte Debatte, die in allen<br />
Bereichen geführt wird. Heutzutage patentieren<br />
Menschen sogar Saatgut. Es ist letztendlich<br />
völlig absurd, aber ich glaube nicht,<br />
dass sich die Zukunft in diese Richtung entwickeln<br />
wird. Ich denke das rein intuitiv, weil<br />
ich nicht wirklich weiss, wie sich die Zukunft<br />
gestalten wird. Allerdings träume ich von einer<br />
Zukunft, in der Ansichten wie „das gehört<br />
mir und ich werde es Dir vermieten“ der<br />
Vergangenheit angehören. Diese ewig gleiche<br />
Diskussion enthält nichts neues, sie ist uralt.<br />
Auszüge<br />
„Die Vorstellung, dass die Menschen, die uns<br />
regieren und die wir gewählt haben, ihren<br />
Bürgern das Vertrauen schenken, es respektieren<br />
und verstehen, das ist Utopie.“<br />
„Ich denke viel nach und lokal als Künstler<br />
tätig zu sein fasziniert mich. Genau das<br />
ist es, was ich auch versuche zu tun. Unsere<br />
Stimme ist ein magisches und mächtiges Instrument,<br />
wir versuchen ihr jedoch immer<br />
ein bisschen zu entkommen und spielen an<br />
Orten, wo uns die Leute gar nicht kennen.<br />
„Heutzutage patentieren Menschen sogar<br />
Saatgut. Es ist letztendlich völlig absurd, aber<br />
ich glaube nicht, dass sich die Zukunft in diese<br />
Richtung entwickeln wird.“<br />
„Wir müssen die Art und Weise verändern, in<br />
der wir teilen, was wir haben.“<br />
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