SANIEREN UND SPAREN - Sparkassenzeitung
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M A N A G E R M A G A Z I N D E R S P A R K A S S E N - F I N A N Z G R U P P E<br />
Sparkasse<br />
Wolkenträume<br />
Cloud Computing ist<br />
kein Wundermittel<br />
Geheimnisvolle<br />
Kunden<br />
Wie Mystery Shopper<br />
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ZKZ 6374<br />
<strong>SANIEREN</strong> <strong>UND</strong> <strong>SPAREN</strong><br />
Handwerkspräsident Otto Kentzler erwartet Auftragsschub<br />
128. JAHRGANG – NUMMER 07 J U L I 2 0 1 1
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EDITORIAL<br />
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Anlaufstellen.<br />
Mit dem Gesetz zum Atomausstieg<br />
sind auch die umstrittenen Maßnahmen<br />
für mehr Energieeffizienz<br />
beschlossene Sache. Das ist gut, denn<br />
auch wenn die Fördersummen und<br />
CO 2<br />
- Einsparziele nach Meinung von<br />
Kritikern vielleicht zu kurz<br />
greifen: Die sogenannte Energiewende<br />
kann nur gelingen,<br />
wenn der Verbrauch sinkt.<br />
Eine Schlüsselrolle spielen<br />
dabei Wohnimmobilien,<br />
denn hier werden 40<br />
Prozent der Primärenergie<br />
verbraucht. Für Bauherren<br />
und Sanierer will die Bundesregierung<br />
1,5 Mrd. Euro<br />
bereitstellen. Im Jahr 2007<br />
waren es zwar noch 700 Mio.<br />
Euro mehr, obwohl damals<br />
noch niemand an eine Wende dachte.<br />
Handwerkspräsident Otto Kentzler<br />
erkennt gleichwohl aktuelle Chancen<br />
für alle Betriebe, die Häuser mit neuen<br />
Fenstern, Dämmstoffen und Brennwertkesseln<br />
auf energetischen Stand zu<br />
bringen – vorausgesetzt, die Sparkassen<br />
knausern nicht bei den Betriebsmittelkrediten.<br />
Sonst wird aus dem<br />
sprichwörtlichen goldenen Boden des<br />
Handwerks schnell eine bleierne Decke.<br />
(Lesen Sie ab Seite 10.)<br />
Sparkassen sind die mit Abstand<br />
wichtigsten Partner des Handwerks,<br />
nicht nur, weil sie als Hausbank das<br />
größte Volumen an Förderkrediten<br />
ausreichen. Die Kooperation erstreckt<br />
sich längst auch auf Marketing und<br />
Christoph Becker<br />
Weiterbildung. Berater des Handwerks<br />
schulen Sparkassenberater zum Thema<br />
Energiesparen. Und die Institute bieten<br />
Meisterbetrieben etwa bei Hausmessen<br />
eine willkommene Vertriebsplattform.<br />
Immerhin ist es für viele der Unternehmen<br />
gar nicht so einfach, zu<br />
„klappern“ und mit Hausbesitzern<br />
ins Gespräch zu kommen<br />
(Seite 20).<br />
Mithilfe des Internets können<br />
Sparkassen regionale<br />
Firmenkunden zusätzlich<br />
unterstützen. Beispielsweise<br />
die Sparkasse Witten macht<br />
es vor: Das Institut hat seine<br />
Internetseiten mit einer<br />
technisch anspruchsvollen<br />
Datensammlung der Kommune<br />
verknüpft. Hausbesitzer<br />
und Baubetriebe können damit auf<br />
einen Blick erkennen, ob sich ein Dach<br />
für Fotovoltaikanlagen eignet – und wie<br />
die passende Finanzierung aussehen<br />
könnte (Seite 15).<br />
Christoph Becker,<br />
Redakteur SPARKASSE<br />
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der Sparkassen-Finanzgruppe<br />
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6/30/2011 11:36:16 AM
4<br />
KOMMENTAR<br />
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SPARKASSE er scheint monatlich.<br />
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Dr. Peter-Christoph Becker<br />
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Autors wieder, nicht unbedingt<br />
die der Redaktion oder des<br />
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Nr. 34 vom 01.01.2011.<br />
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VDZ. Artikelnummer:<br />
328 081 407<br />
GRIECHENLAND<br />
Nur nicht auf „die Märkte“ hören<br />
Vom Boulevard bis zum Qualitätsjournalismus<br />
ist das<br />
Verdikt klar: Die Griechen liegen<br />
auf der faulen Haut und<br />
stecken sich hart erarbeitetes<br />
deutsches Geld in die Taschen.<br />
Darüber hinaus seien die Schulden<br />
so hoch, dass nur noch ein<br />
Schuldenschnitt helfen könne.<br />
Diese Beschreibungen haben<br />
mit einer nüchternen Bestandsaufnahme<br />
der griechischen Probleme<br />
wenig zu tun; die daraus<br />
abgeleiteten Forderungen sind<br />
sogar brandgefährlich. Ihre<br />
Umsetzung würde nicht nur die<br />
schwer gebeutelte griechische<br />
Ökonomie weiter belasten –<br />
mehr noch, ein Schuldenschnitt<br />
würde das deutsche Bankensystem<br />
und die Währungsunion<br />
ins Wanken bringen.<br />
Trotz aller öffentlichen Schelte<br />
haben die Griechen 2010 weltmeisterlich<br />
gespart. Um fünf<br />
Prozentpunkte haben sie das<br />
staatliche Defizit gesenkt, von<br />
15,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) im Jahr 2009 auf<br />
10,4 Prozent im vergangenen<br />
Jahr. Regierungen, die in der<br />
Vergangenheit unter der Kuratel<br />
des IWF sparen mussten, haben<br />
im Durchschnitt ihr Defizit<br />
nur um 1,7 Prozentpunkte reduziert<br />
– und zwar in zwei Jahren,<br />
nicht in einem.<br />
Sparkurs treibt Schulden<br />
Fabian Lindner<br />
Institut für Makroökonomie<br />
und Konjunkturforschung<br />
(IMK) in der Hans-Böckler-<br />
Stiftung, Düsseldorf<br />
Die Austerität in der Krise hat<br />
die griechische Wirtschaft allerdings<br />
stark geschwächt: Der<br />
Staat hat genau dann seine<br />
Nachfrage reduziert, als Unternehmen<br />
und Haushalte sie<br />
am meisten brauchten. Darüber<br />
hinaus belasten die massiven<br />
Steuererhöhungen die<br />
Griechen, deren Einkommen<br />
wegen der Krise sowieso schon<br />
schrumpft. Trotz eines Rückgangs<br />
des BIP um 4,5 Prozent<br />
im Jahr 2010 sind die Staatseinnahmen<br />
durch Steuer- und Abgabenerhöhungen<br />
um 4,7 Prozent<br />
gestiegen. In Deutschland<br />
war das BIP 2009 um 4,7 Prozent<br />
zurückgegangen – der größte<br />
wirtschaftliche Einbruch seit<br />
Bestehen der Bundesrepublik.<br />
Diese riesigen und schmerzhaften<br />
Einsparungen haben die<br />
Finanzmärkte allerdings nicht<br />
honoriert: Die Renditen sind immer<br />
weiter gestiegen, auf mittlerweile<br />
18 Prozent. Der Grund:<br />
Die Schuldenstandsquote des<br />
griechischen Staates ist von 127<br />
Prozent des BIP auf 143 Prozent<br />
gestiegen – aber nicht trotz, sondern<br />
wegen des Sparens. Denn<br />
die Schuldenstandsquote gibt<br />
die Schulden in Prozent des<br />
BIP an. Wenn das BIP einbricht,<br />
dann erhöht sich die Quote automatisch.<br />
So ist der starke Anstieg<br />
der Schuldenstandsquote<br />
nicht Ausdruck griechischen<br />
Schlendrians, sondern ganz im<br />
Gegenteil der wegen des Sparkurses<br />
weiter verschärften Konjunkturkrise.<br />
Öffentliche Kredite<br />
und eine Lockerung<br />
des Sparprogramms<br />
sind die<br />
angemessene<br />
Lösung.<br />
Damit ist die Schuldenstandsquote<br />
ein denkbar ungeeigneter<br />
Indikator, um die Fähigkeit<br />
eines Staates zum Schuldendienst<br />
zu beurteilen. Interessanter<br />
sind die Zinszahlungen<br />
des Staates in Prozent seiner<br />
Einnahmen: Die sind in der Krise<br />
nur um zwei Prozentpunkte<br />
von zwölf auf 14 Prozent gestiegen.<br />
2001 lag die Rate noch bei<br />
16 Prozent. Damit kann keine<br />
Rede davon sein, dass der griechische<br />
Staat seine Schulden<br />
nicht mehr bedienen kann. Sowohl<br />
die Risikoaufschläge auf<br />
Griechenlands Staatsanleihen<br />
als auch die Ratings sind damit<br />
vollkommen überzogen.<br />
Aufschläge sind überzogen<br />
Würde Griechenland jetzt seine<br />
Schulden auf den verrückt spielenden<br />
privaten Kapitalmärkten<br />
verlängern müssen, würde<br />
es Zinsen zahlen müssen, die<br />
auch Länder ohne einen riesigen<br />
Konjunktureinbruch in<br />
den Ruin treiben würden. Deswegen<br />
sind öffentliche Kredite<br />
mit geringeren Zinsen als<br />
den Marktzinsen vollkommen<br />
gerechtfertigt. Dabei überweisen<br />
die Regierungen der Eurostaaten,<br />
die EU-Kommission<br />
und der IWF keine Sozialhilfe<br />
an Griechenland, sondern sie<br />
vergeben verzinste Kredite –<br />
Geld, das der griechische Staat<br />
ohne Probleme wird zurückzahlen<br />
können und das die deutschen<br />
Staatseinnahmen erhöht.<br />
Dabei sind die Notkredite<br />
nicht nur interessant für den<br />
deutschen Fiskus. Denn wenn<br />
der griechische Staat ohne öffentliche<br />
Kredite irrational<br />
hohe Zinsen zahlen müsste und<br />
damit wirklich in den Bankrott<br />
getrieben würde, würden die<br />
Märkte noch verrückter spielen<br />
als jetzt. Sie würden annehmen,<br />
dass kein Staat innerhalb<br />
des Euro mehr sicher vor dem<br />
Bankrott wäre. Anleger würden<br />
panikartig die Anleihen etwa<br />
Portugals, Irlands oder sogar<br />
Spaniens verkaufen, die Risikoaufschläge<br />
würden steigen und<br />
der ganze Euro weiter unter<br />
Druck geraten.<br />
Kredit ist keine Sozialhilfe<br />
Wenn nur der griechische Staat<br />
Teile seiner Schulden abschreiben<br />
müsste, wäre das für das<br />
deutsche Finanzsystem ohne<br />
große Probleme verkraftbar.<br />
Wenn aber auch die anderen<br />
Krisenstaaten ihre Schulden<br />
reduzieren müssten, würde<br />
Deutschland eine Neuauflage<br />
der Finanzkrise von 2008 erleben<br />
– und vielleicht sogar den<br />
Zusammenbruch des Euro.<br />
Öffentliche Kredite an Griechenland<br />
und eine Lockerung<br />
des Sparprogramms sind sicher<br />
die bessere Lösung. <br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
KOLUMNENTITEL INHALT 5<br />
Ausgabe 7<br />
Juli 2011<br />
FOTOS: DARCHINGER, FRESH FACTORY, DPA<br />
Kommentar<br />
Griechenland<br />
Der Ökonom Fabian Lindner plädiert<br />
für öffentliche Kredite und eine<br />
Lockerung des Sparprogramms 4<br />
Impressum 4<br />
Nachrichten<br />
Energiewende I<br />
Der Bund treibt die energetische<br />
Modernisierung voran. Davon dürften<br />
Sparkassen profitieren 6<br />
USA<br />
Immer mehr Experten fordern die<br />
Einführung von Pfandbriefen 8<br />
DekaBank-Monitor 9<br />
Märkte & Kunden<br />
˘ Handwerk I – Titelinterview<br />
Handwerkspräsident Otto Kentzler<br />
erwartet infolge der Energiepolitik der<br />
Bundesregierung neue Aufträge und<br />
einen wachsenden Kreditbedarf 10<br />
Erwartet<br />
Geschäfte<br />
mit<br />
energetischer<br />
Sanierung:<br />
Handwerkspräsident<br />
Otto<br />
Kentzler<br />
Seite 10<br />
Fresh Factory: Hamburger Gründer brillieren mit fertigem Obstsalat<br />
Energieberatung<br />
Sparkasse Nürnberg berät mit<br />
Energiespar-Scouts 20<br />
Chronik 21<br />
Unternehmensporträt<br />
Der Haspa-Kunde Fresh Factory<br />
hat fertigen Obstsalat salonfähig <br />
gemacht 22<br />
Karriere<br />
Ausbildung I<br />
Sparkassen registrieren hohe<br />
Bewerberzahlen. Mitunter hapert<br />
es an der Qualifikation 24<br />
Ausbildung II<br />
Wie ein Institut gute Azubis<br />
findet, erklärt Bernd Möller von<br />
der Sparkasse Fulda 26<br />
Management<br />
Kundenkommunikation<br />
Finanzdienstleister und Forscher<br />
kämpfen für einfacher lesbare<br />
Texte 27<br />
Mobile Payment – Gastbeitrag<br />
DSGV-Experte Wolfgang Adamiok<br />
plädiert für „kontaktlose“<br />
Kartenzahlung 31<br />
˘ Informationstechnik<br />
Cloud Computing ist kein<br />
Wundermittel 32<br />
Marketing<br />
Wie Sparkassen junge Kunden<br />
halten und gewinnen 34<br />
Finanzgruppe<br />
˘ Beratung<br />
So erkunden Mystery Shopper<br />
die Qualität 36<br />
Immobilien – Gastbeitrag<br />
Holsteiner Sparkassenmanager<br />
Peter Becker und Rainer<br />
Triebwasser erklären, worauf es<br />
bei der Flächenreduzierung<br />
ankommt 38<br />
22<br />
Perspektiven<br />
Indien<br />
Auslandsbanken sollen besseren<br />
Marktzugang erhalten 40<br />
Edelmetalle<br />
Der Preis von Silber dürfte stärker<br />
steigen als der von Gold 41<br />
Europäische Zentralbank<br />
Das Institut droht, sich an der<br />
Schuldenkrise zu verheben 42<br />
US-Hypothekenkrise<br />
Staatsanwälte gehen hart gegen<br />
Banken vor, um Straftaten im<br />
Vorfeld der Krise aufzudecken 44<br />
Literatur<br />
Wirtschaftsmodelle<br />
Der Nachhaltigkeitsexperte Tim<br />
Jackson stellt das Streben nach<br />
Wachstum infrage 46<br />
˘ Handwerk II – Marketing<br />
Regionale Gewerke suchen<br />
Partner – etwa auf den Messen<br />
der Sparkassen 15<br />
˘ Handwerk III – Strategie<br />
Im Luxussegment winken gute<br />
Renditen 17<br />
Energiewende II<br />
Bei der Kreditvergabe für Sanierungsmaßnahmen<br />
ist Vorsicht geboten 18<br />
Forum<br />
Ist die Sparkassensprache<br />
schwer verständlich?<br />
Es diskutieren Kommunikationswissenschaftler<br />
Frank Brettschneider<br />
und Naspa-Sprecherin<br />
Daniela Gramlich 28<br />
Motivation<br />
Versicherer brauchen Incentives<br />
– doch welche Belohnungen sind<br />
angemessen? 30<br />
Schrecken der Großbanken: US-Staatsanwälte wie Preet Bharara<br />
forschen nach Straftaten im Vorfeld der Finanzkrise Seite 44<br />
˘ Titelthemen<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
6<br />
NAMEN & NACHRICHTEN<br />
Personalien<br />
ENERGIEWENDE I<br />
Energiebündel<br />
Gunter Dunkel (58, Foto)<br />
steht für weitere fünf Jahre<br />
an der Spitze der Nord/LB.<br />
Das Votum des Aufsichtsrats<br />
fiel einstimmig aus. Dunkel<br />
gehört dem Vorstand der<br />
Landesbank in Hannover seit<br />
1997 an, seit 2009 ist er Vorstandsvorsitzender.<br />
Guido Schaefers (43) ist seit<br />
Monatsbeginn neues Vorstandsmitglied<br />
für das Leben-Ressort<br />
bei der Provinzial<br />
Rheinland. Der Mathematiker<br />
ist bei dem Düsseldorfer<br />
Versicherer seit 1997<br />
in verschiedenen Führungspositionen<br />
tätig. Schaefers<br />
tritt die Nachfolge von Hans<br />
Peter Sterk (62) an, der nach<br />
17 Jahren Vorstandsarbeit in<br />
den Ruhestand tritt.<br />
Christian Tonnesen (44),<br />
derzeit Global Head Operations<br />
bei der HSH Nordbank,<br />
ist zum Vorstandsmitglied<br />
der Deutschen Wertpapierservice-Bank<br />
(DWP-Bank)<br />
berufen worden. Neuer Vorstandsvorsitzender<br />
des Instituts,<br />
das gleichberechtigt<br />
der genossenschaftlichen<br />
und der Sparkassen-Finanzgruppe<br />
gehört, ist Markus<br />
Walch (47), derzeit Vorstandsmitglied<br />
der DAB<br />
Bank in München. Bernd<br />
Sperber (60), bisheriges<br />
Vorstandsmitglied des Instituts,<br />
scheidet auf eigenen<br />
Wunsch aus.<br />
Markus Franz (45), ist seit<br />
Monatsbeginn ordentliches<br />
Vorstandsmitglied der Taunus<br />
Sparkasse und unter<br />
anderem für das Firmenkundengeschäft<br />
des Instituts<br />
zuständig.<br />
Birgit Hartmann (50), bisherige<br />
Leiterin der Abteilung<br />
Kredit- und Marketingservice<br />
bei der Sparkasse Laubach-Hungen,<br />
ist zum Vorstandsmitglied<br />
des hessischen<br />
Instituts bestellt<br />
worden. Sie ist Nachfolgerin<br />
von Detlef Flaig (60), der<br />
nach 42 Jahren Tätigkeit in<br />
der Sparkassen-Finanzgruppe<br />
in den Ruhestand tritt.<br />
Mit einem Mix aus Steuererleichterungen und Zwangsauflagen will der Bund<br />
die energetische Modernisierung von Wohnimmobilien vorantreiben. Von der<br />
neuen Strategie dürften gerade auch die Sparkassen profitieren.<br />
Mehr als zehn Mrd.<br />
Euro an Fördermitteln<br />
hatte die Bundesregierung<br />
in den<br />
vergangenen sieben<br />
Jahren bereitgestellt,<br />
um Deutschlands Eigenheimbesitzer<br />
und Wohnungsvermieter<br />
zur energetischen<br />
Sanierung<br />
ihrer Immobilien zu<br />
bewegen. Bislang ohne<br />
großen Erfolg: Trotz der<br />
zinsverbilligten KfW-<br />
Sonderdarlehen und<br />
direkter Zuschüsse wurden<br />
laut dem Institut für<br />
Wohnen und Umwelt<br />
(IWU) seit 2005 pro Jahr<br />
lediglich 0,8 Prozent<br />
der bis 1995 errichteten<br />
15,6 Mio. Wohngebäude<br />
im Land modernisiert.<br />
Neuer Anlauf<br />
Jetzt wollen Bund und<br />
L ä n d e r i m R a h m e n<br />
der Energiewende mit<br />
einem Bündel neuer<br />
Gesetze dafür sorgen,<br />
dass die Sanierungsquote<br />
künftig auf mindestens<br />
zwei Prozent<br />
des Bestands pro Jahr<br />
steigt. Von 2010 an sollen<br />
zusätzlich zu den<br />
insgesamt 1,5 Mrd. Euro<br />
an zinsverbilligten Modernisierungsdarlehen<br />
der KfW massive Sonderabschreibungen<br />
als<br />
Lockmittel dienen.<br />
Bislang können nur<br />
Vermieter ihre Sanierungsaufwendungen<br />
steuerlich geltend machen.<br />
Dabei dürfen sie<br />
nur zwei Prozent der<br />
Kosten verteilt über<br />
50 Jahre beim Fiskus<br />
gegen Mieteinnahmen<br />
verrechnen. Selbstnutzer<br />
gehen bisher leer<br />
aus. „Die neuen gesetzlichen<br />
Regelung sehen<br />
nun vor, dass sämtliche<br />
Eigentümer von<br />
Wohnimmobilien vom<br />
1. Januar 2012 an jährlich<br />
zehn Prozent der<br />
Modernisierungsaufwendungen<br />
über einen<br />
Zeitraum von nur zehn<br />
Jahren steuerlich geltend<br />
machen können“,<br />
erläutert Jens-Ulrich<br />
Kießling, Präsident des<br />
Immobilienverbands<br />
D e u t s c h l a n d ( I V D ) .<br />
Nach einer Prognose<br />
des Bundesbauministeriums<br />
dürften die<br />
neuen steuerlichen Erleichterungen<br />
pro Jahr<br />
dem Äquivalent einer<br />
direkten Förderung von<br />
mindestens weiteren<br />
1,5 Mrd. Euro entsprechen.<br />
Gewährt werden die<br />
Sonderabschreibungen<br />
für energetische Sanierungsmaßnahmen<br />
an<br />
Häusern, die vor 1995<br />
errichtet wurden. Voraussetzung<br />
ist, dass<br />
das Gebäude nach Abschluss<br />
der Modernisierungsarbeiten<br />
maximal<br />
85 Prozent der Heizenergie<br />
benötigt, den<br />
ein Neubau nach Energieeinsparverordnung<br />
(EnEV) verbrauchen<br />
darf. Die erzielte Energieeinsparung<br />
muss<br />
durch das Gutachten<br />
eines Bausachverständigen<br />
bestätigt werden.<br />
Mieter zahlen mit<br />
Eigennutzer können<br />
die Sanierungskosten<br />
gegen sämtliche anderweitigen<br />
Einkünfte<br />
verrechnen. Hingegen<br />
dürfen Vermieter die<br />
Aufwendungen weiterhin<br />
nur gegen ihre Einnahmen<br />
aus Vermiesetzesänderungen<br />
die<br />
energetische Sanierung<br />
von Wohnimmobilien<br />
deutlich beflügeln wird.<br />
„Die steuerlichen Anreize<br />
senden ein wichtigstes<br />
Signal an die Eigentümer“,<br />
sagt Walter<br />
Rasch, Präsident des<br />
Bundesverbands Freier<br />
Immobi lien- und Wohnungsunternehmen<br />
(BFW).<br />
Deutlich mehr Besitzer<br />
als in der Vergangenheit<br />
würden vom nächsten<br />
Jahr an die Modernisierung<br />
ihrer Häuser in<br />
Angriff nehmen, sekundiert<br />
Andreas Mattner,<br />
Präsident des Zentralen<br />
Immobilienausschusses<br />
Dichte Dächer<br />
Dämmpflicht greift noch dieses Jahr<br />
Schon in Kürze dürften<br />
viele Besitzer älterer<br />
Eigenheime mit einem<br />
Kreditwunsch an ihre<br />
Sparkasse herantreten.<br />
Nach der Energieeinsparverordnung<br />
(EnEV) müssen bis<br />
Ende Dezember in allen<br />
Häusern Dach oder<br />
Dachboden gegen Wärmeverluste<br />
gedämmt<br />
werden. Schätzungen<br />
zufolge sind dafür Arbeiten<br />
an mehr als fünf<br />
Mio. Ein-, Zweifamilienund<br />
Reihenhäusern nötig.<br />
Ließen Eigentümer<br />
nur den Dachböden<br />
d ä m m e n , e n t s t ü n -<br />
den Kosten von rund<br />
80 Euro pro Quadrat-<br />
tung und Verpachtung<br />
abschreiben. Allerdings<br />
profitieren Vermieter<br />
von einer Änderung<br />
des Mietrechts. Künftig<br />
müssen Mieter Sanierungsarbeiten<br />
bis zu<br />
drei Monate lang hinnehmen,<br />
ohne die Miete<br />
kürzen zu dürfen.<br />
Nur wenn sich das Vorhaben<br />
länger hinzieht,<br />
dürfen von Beginn des<br />
vierten Monats an Mietkürzungen<br />
erfolgen.<br />
Bislang können Mieter<br />
vom ersten Tag der Modernisierungsarbeiten<br />
an die Miete um 60 Prozent<br />
und mehr kürzen.<br />
Experten erwarten,<br />
dass das Bündel an Gemeter<br />
Grundfläche,<br />
sagt Bettina Allewelt,<br />
Architektin beim Eig<br />
e n t ü m e r v e r b a n d<br />
Haus & Grund. „Bei<br />
einem 100 Quadratmeter<br />
großen Dachboden<br />
wären das 8000 Euro.“<br />
Deutlich teurer käme<br />
eine Dämmung des<br />
gesamten Daches. Allewelt:<br />
„Wegen des<br />
höheren Aufwands<br />
betragen die Kosten<br />
in diesem Fall bis zu<br />
160 Euro pro Quadratmeter.“<br />
Wegen der größeren<br />
zu dämmenden<br />
Fläche, entstünden bei<br />
einem durchschnittlichen<br />
Einfamilienhaus<br />
Kos ten von bis<br />
zu 24.000 Euro.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
NAMEN & NACHRICHTEN 7<br />
Pressespiegel<br />
Gottgleiche Ratingagenturen<br />
Der amerikanische Gott namens Standard & Poor´s hat den<br />
Europäern mitgeteilt, dass er nicht einverstanden ist, Banken,<br />
Versicherungen und Rentenfonds an Finanzhilfen für Griechenland<br />
zu beteiligen. [...] Es ist an der Zeit, dass die den<br />
Interessen ihrer Bürger verpflichteten Regierungen aufhören,<br />
sich der Meinung interessengeleiteter Unternehmen zu unterwerfen,<br />
indem sie deren Horror-Szenarien glauben. Das<br />
kleine Griechenland steht plötzlich da als Symbol für den<br />
Untergang der mächtigen EU. Das ist absurd. Statt weiterhin<br />
das Geld der Steuerzahler über Athen an die Finanzbranche<br />
zu leiten, sollten die Euro-Regierungen mutig sein. Ein Schuldenschnitt<br />
und ein großes Aufbauprogramm würden Hellas<br />
wirklich helfen – und die amerikanischen Götter auf das reduzieren,<br />
was sie sind: kapitalistische Unternehmer.<br />
Ein Hausbesitzer in Münster zeigt die Isolationsschicht seines Dachgeschosses.<br />
Künftig sollen alle Besitzer von Altbauten ihre Gebäude umrüsten lassen. FOTO: DPA<br />
(ZIA), der wirtschaftspolitischen<br />
Interessensvertretung<br />
der Immobilienwirtschaft.<br />
Die Vorgaben<br />
wirkten wie ein<br />
Konjunkturprogramm<br />
und müssten nicht einmal<br />
zu Steuerausfällen<br />
führen, sagt Mattner.<br />
„Allein bei der Umsatzsteuer<br />
könnte mehr zusätzliches<br />
Aufkommen<br />
generiert werden als an<br />
förderbedingten Mindereinnahmen<br />
anfällt.“<br />
Hinzu kämen Lohnund<br />
Ertragssteuereffekte<br />
aus zusätzlichen Bauaufträgen.<br />
„Insgesamt<br />
ist eine Förderung zum<br />
Nulltarif möglich“, sagt<br />
Mattner.<br />
Neben Bauindustrie<br />
und Handwerk würden<br />
auch Banken und Sparkassen<br />
profitieren, sagt<br />
Günter Vornholz, Leiter<br />
Immobilienresearch<br />
bei der Nord/LB-Tochter<br />
Deutsche Hypo. „Vom<br />
nächsten Jahr an wird<br />
d i e Nachfra g e n a c h<br />
Modernisierungsdarlehen<br />
deutlich steigen.“<br />
Gleichzeitig könnte die<br />
wachsende Zahl der<br />
Aufträge zur Dämmung<br />
von Dächern und Fassaden<br />
sowie zur Erneue<br />
r u n g vo n Fe n s te r n<br />
und Heizungsanlagen<br />
auch bei Handwerksfirmen<br />
für zusätzlichen<br />
Kreditbedarf sorgen.<br />
„Steigen die Auftragszahlen<br />
rapide an, werden<br />
etliche Betriebe<br />
zusätzliche Maschinen<br />
und Fahrzeuge anschaffen<br />
müssen und dabei<br />
Finanzierungshilfen<br />
benötigen“, sagt Vornholz.<br />
70.000 Euro pro Haus<br />
Um welche Darlehensbeträge<br />
es allein bei der<br />
Eigenheimsanierung<br />
geht, zeigt eine Beispielrechnung<br />
des Verbands<br />
P r i va te r B au h e r re n<br />
(VPB). Danach müssen<br />
Eigenheimbesitzer mindestens<br />
70.000 Euro aufbringen,<br />
um ein 30 Jahre<br />
altes Haus komplett<br />
energetisch zu sanieren.<br />
„Muss darüber hinaus<br />
noch asbesthaltiges<br />
Dämmmaterial aus der<br />
alten Fassade als Sondermüll<br />
entsorgt werden,<br />
können rasch weitere<br />
Kosten von 10.000<br />
oder 20.000 Euro hinzukommen“,<br />
sagt VPB-<br />
Geschäftsführerin Corinna<br />
Merzyn.<br />
Aus eigenen finanziellen<br />
Rücklagen könne<br />
kaum ein Eigentümer<br />
die Sanierung stemmen,<br />
ergänzt Gerold<br />
Happ, Rechtsreferendar<br />
beim Eigentümerverband<br />
Haus & Grund.<br />
Auch die in ihrer Höhe<br />
begrenzten zinsverbilligten<br />
KfW-Darlehen<br />
würden zur Eigenkapitalaufstockung<br />
in den<br />
wenigsten Fällen reichen.<br />
Happ: „Die meisten<br />
Besitzer werden<br />
auf zusätzliche Kredite<br />
angewiesen sein.“<br />
Offen ist allerdings,<br />
in welchem Umfang<br />
private Eigentümer von<br />
Mehrfamilienhäusern<br />
auf das Sanierungsprogramm<br />
aufspringen<br />
werden. Nach einer Studie<br />
des Bundesamtes für<br />
Bauwesen und Raumordnung<br />
erzielen nur<br />
40 Prozent der privaten<br />
Wohnungsvermieter<br />
aus ihren Immobilien<br />
einen Gewinn. 60 Prozent<br />
der Besitzer von<br />
Zinshäusern und nicht<br />
selbstgenutzten Eigentumswohnungen<br />
kämen<br />
somit nicht in den<br />
Genuss der Sonderabschreibung.<br />
Kredite gefragt<br />
Um die Sanierungsbereitschaft<br />
bei dieser<br />
Gruppe zu steigern, fordern<br />
der Eigentümerverband<br />
Haus & Grund<br />
eine Erweiterung des<br />
Steuerpakets. Präsident<br />
Rolf Kornemann: „Wie<br />
Eigennutzer sollten<br />
private Vermieter ihre<br />
A u f w e n d u n g e n f ü r<br />
energetische Modernisierungen<br />
mit sämtlichen<br />
Einkünften verrechnen<br />
können, statt<br />
a u s s c h l i e ß l i c h m i t<br />
Miet- und Pachteinnahmen.“<br />
<br />
<br />
Richard Haimann<br />
Worauf Sparkassen bei<br />
der Vergabe von Krediten<br />
zur energetischen<br />
Sanierung achten sollten,<br />
lesen Sie ab Seite 18.<br />
Süddeutsche Zeitung, 5. Juli 2011<br />
Insolvenz wäre teurer<br />
Von den [...] Mitarbeitern wissen die meisten nicht, was mit<br />
ihren Arbeitsplätzen geschehen wird. Nur ein Teil wird bei<br />
neuen Eigentümern unterkommen. Auch der Steuerzahler<br />
ist einmal mehr gefordert, weil die Bank [WestLB] im vergangenen<br />
Jahrzehnt in riskanten Geschäften zu viele Milliarden<br />
Euro verbrannte. Aber an den zwei Milliarden Euro, die<br />
das Land und die Sparkassen als Aktionäre für eine geordnete<br />
Abwicklung aufbringen müssen, darf das Projekt nicht scheitern.<br />
Eine Insolvenz käme alle Beteiligten viel teurer.<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Juni 2011<br />
Alimentierung nicht auf Dauer<br />
In zahlungsunfähigen Ländern wie Irland, wo neben einer<br />
guten Wirtschaftsstruktur die Bereitschaft besteht, durch<br />
interne Abwertung wieder wettbewerbsfähig zu werden, kann<br />
man mit Krediten Zeit kaufen, bis die Reformen wirken.<br />
In Ländern wie Portugal oder Griechenland, wo neben der<br />
Industrie auch der Wille zu strukturellen Reformen fehlt,<br />
verschwinden solche Kredite in Fässern ohne Böden. Nur<br />
ein drastischer Schuldenschnitt in Verbindung mit externer<br />
Abwertung führt dort wieder zu Wettbewerbsfähigkeit. Eine<br />
Daueralimentierung dieser Länder wäre verheerend, weil<br />
der Schuldenvirus die Zahlerstaaten infizieren würde.<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Juni 2011<br />
Fragwürdige Entlastung<br />
Noch schlagen sich die Milliardenhilfen für Griechenland und<br />
andere Schuldensünder nicht im Haushalt nieder. Doch die<br />
Bürgschaften werden für den Steuerzahler nicht kostenlos<br />
bleiben. In der Bevölkerung wachsen die Zweifel, dass<br />
Schwarz-Gelb noch die Kraft für ein starkes finanzpolitisches<br />
Signal aufbringen kann. Eine Entlastung, die den Namen<br />
verdient, muss in eine Politik des schlankeren Staates eingebettet<br />
sein. Davon ist in Deutschland allerdings derzeit<br />
keine Rede. Ob in der Energiepolitik oder am Arbeitsmarkt<br />
– überall mischt der Staat sich immer stärker ein.<br />
Die Welt, 21. Juni 2011<br />
Zeitbombe E-Banking<br />
Das Internet ist zwar eine der größten Errungenschaften der<br />
Menschheit, aber an der zuverlässigen Abwicklung des Zahlungsverkehrs<br />
in großem Stil wird es scheitern. Je mehr<br />
Berührungspunkte man zwischen x-beliebigen Geldkonten<br />
und dem Netz schafft, desto schlimmer wird es. Sogenannte<br />
Sicherheitsprogramme bieten gegen entschlossene Eindringlinge<br />
keinen echten Schutz. Wenn das massenhafte<br />
Bezahlen per Handy und Computer Wirklichkeit werden soll,<br />
aber keine Zeitbombe, muss man die Sache ganz grundsätzlich<br />
neu überlegen: Vielleicht brauchen wir für die neue Ära<br />
des vernetzten Kommerzes auch ein neues, geschlossenes,<br />
vom Internet getrenntes Netz.<br />
Die Zeit, 1. Juni 2011<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
8<br />
NAMEN & NACHRICHTEN<br />
USA<br />
Pfandbrief im Kommen<br />
In den USA freunden sich unter dem Eindruck der Finanzkrise immer mehr Experten mit den lange<br />
geschmähten Pfandbriefen an. Ein aktueller Gesetzesentwurf hat relativ gute Chancen.<br />
Das dürfte auch europäische Banken<br />
interessieren: Mit 44 zu sieben<br />
Stimmen hat der Ausschuss für Finanzdienstleistungen<br />
im Repräsentantenhaus<br />
Ende Juni einem Gesetzesentwurf<br />
zugestimmt, der den US-Pfandbriefmarkt<br />
neu regeln soll. Damit geht der „United<br />
States Covered Bond Act of 2011“, den<br />
der republikanischen Abgeordnete Scott<br />
Garrett aus New Jersey beantragt hatte,<br />
jetzt ins Plenum.<br />
In den USA ist die Zeit für Pfandbriefe<br />
nach der Finanzkrise reif. Denn die staatlichen<br />
Hypothekenversicherer Fannie<br />
Mae und Freddie Mac haben immense<br />
Schulden angehäuft und sollen<br />
abgespeckt, privatisiert oder<br />
ganz ausgemustert werden. Der<br />
Markt für hypothekenbesicherte<br />
Derivate (Mortgage Backed<br />
Securities), der vor der Krise ein<br />
jährliches Volumen von 900<br />
Mrd. Dollar erreicht hatte, ist<br />
2010 auf 100 Mrd. zusammen<br />
geschrumpft. Die Papiere sind<br />
bei vielen Investoren in Verruf<br />
geraten, weil vor der Finanzkrise<br />
zwielichtige und schlecht<br />
besicherte Forderungen darin<br />
verpackt wurden, was zu erheblichen<br />
Verlusten führte.<br />
Es besteht also ein großer<br />
Bedarf an ergänzenden Finanzierungsquellen.<br />
„Nach dieser Krise brauchen<br />
wir neue Investment-Vehikel, die Investoren<br />
an die Wertpapiermärkte locken<br />
und den Kapitalfluss verbessern“, sagt die<br />
demokratische Abgeordnete Carolyn Maloney<br />
aus New York, die mit Garrett den besagten<br />
Gesetzesentwurf eingebracht hat;<br />
es handelt sich übrigens bereits um den<br />
fünften Anlauf seit Juli 2010.<br />
Gegner befürchten Marktverzerrung<br />
Doch den hohen Erwartungen der Pfandbrief-Befürworter<br />
stehen Bedenken entgegen.<br />
Ein gültiges Regelwerk wird nicht<br />
vor dem kommenden Jahr erwartet,<br />
und selbst dies halten manche Beobachter<br />
für optimistisch. Die Ratingagentur<br />
Moody‘s befürchtet, dass die Einführung<br />
von Pfandbriefen Konkurrenz für<br />
die zwölf Federal Home Loan Banks aufbauen<br />
könnte. Diese Banken stellen den<br />
Hypotheken-Ausleihern in Amerika zu<br />
niedrigen Zinsen Liquidität für Immobilienkredite<br />
bereit, um von staatlicher<br />
„Hätten wir<br />
schon vor der<br />
Finanzkrise<br />
Pfandbriefe<br />
gehabt, wäre<br />
die Immobilienkrise<br />
anders<br />
gelaufen.“<br />
Brent Bruns,<br />
Finanzberaters<br />
Seite den Markt zu fördern. Kleinere US-<br />
Banken fürchten eine Wettbewerbsverzerrung.<br />
„Wir wären als kleinere Banken<br />
benachteiligt, weil wir nicht das nötige<br />
Hypothekenvolumen für die Ausgabe<br />
solcher Anleihen aufbringen“, sagte bei<br />
einer Expertenanhörung im Repräsentantenhaus<br />
Stephen Andrews von der<br />
Bank of Alameda, einer Regionalbank in<br />
Kalifornien.<br />
Drohende Marktverzerrung wittert<br />
auch die Einlagensicherung FDIC. Weil<br />
Investoren durch Pfandbriefe besonders<br />
gut abgesichert sind, hätte die FDIC<br />
bei der Abwicklung einer insolventen<br />
Bank keinen Zugriff auf die<br />
Deckungsmasse, die den Investoren<br />
aus diesen Papieren<br />
garantiert wird. Das könne im<br />
Zweifelsfall, so die FCIC, den<br />
Versicherungsfonds der Banken<br />
zusätzlich belasten. Eine<br />
völlig neue Wertpapiergattung<br />
mit extrem hoher Absicherung<br />
für die Investoren könne gar<br />
den ganzen Markt verzerren.<br />
Weiterer brisanter Punkt:<br />
Im Unterschied zum europäischen<br />
Modell, bei dem meist<br />
Grundpfandrechte oder Forderungen<br />
gegen die öffentliche<br />
Hand in die Deckungsmasse<br />
des Pfandbriefs genommen<br />
werden, sollen in Amerika auch Forderungen<br />
aus Kreditkarten, Autokrediten<br />
und Studenten-Darlehen in die Pfandbriefe<br />
verarbeitet werden. Diese Konsumenten-<br />
und Ausbildungskredite hätten<br />
nach Schätzungen des Finanzberaters<br />
Bert Ely einen Anteil von knapp einem<br />
Drittel am möglichen US-Pfandbriefmarkt.<br />
Ely sieht für US-Pfandbriefe ein<br />
potenzielles Kreditvolumen von bis zu<br />
20.000 Mrd. Dollar. Das wären europäische<br />
Größenordnungen, auch wenn damit<br />
das deutsche Marktvolumen nicht<br />
erreicht würde. Der Erstabsatz von Pfandbriefen<br />
sank im Jahr 2010 nach Angaben<br />
des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken<br />
auf 87 Mrd. Euro.<br />
Die Zahl für die USA dürfte zwar etwas<br />
hoch gegriffen sein. Der aktuelle Umfang<br />
des amerikanischen Hypothekenmarktes<br />
liegt bei etwa 14.000 Mrd. Dollar.<br />
Aber selbst wenn nur zehn Prozent von<br />
der optimistischen Schätzung realisiert<br />
würden, wäre das ein guter Start.<br />
Pfandbriefe spielen in den USA bislang<br />
kaum eine Rolle. Nach Angaben der Securities<br />
Industry and Financial Markets<br />
Association hatten sie 2010 ein Marktvolumen<br />
von 30 Mrd. Dollar. Dabei soll es<br />
auch 2011 in etwa bleiben. Pfandbriefe<br />
waren als mögliches Finanzierungsinstrument<br />
auch im Reformpaket für die Finanzmärkte,<br />
das im Juli 2010 unter dem<br />
Namen Dodd-Frank in Kraft trat, enthalten.<br />
In einem politischen Kuhhandel<br />
wurde dieser Teil jedoch in letzter Minute<br />
aus dem Reformgesetz herausgelassen.<br />
„Finanzierung alter Schule“<br />
Die Chancen stehen jetzt besser. „Mir gefällt<br />
das Konzept, es ist mehr Finanzierung<br />
alter Schule“, sagt etwa Brent Bruns,<br />
Präsident beim Finanzberater Asset Dedication<br />
in Mill Valley, Kalifornien. Es<br />
sei attraktiv für die Abgeordneten, weil<br />
es Risiko reduziere und leicht zu verstehen<br />
sei. Bruns: „Hätten wir schon vor der<br />
Finanzkrise Pfandbriefe gehabt, wäre<br />
Einiges mit der Immobilienkrise anders<br />
gelaufen“, sagt Bruns.<br />
Dennoch verweisen Beobachter auf verbleibende<br />
Hürden. Wenn das Papier es<br />
durch das Repräsentantenhaus geschafft<br />
hat, muss es in den Senat. Und dort hat<br />
die US-Einlagensicherung FDIC mit ihren<br />
starken Bedenken mehr Einfluss. <br />
<br />
Markus Gärtner, Vancouver<br />
Die USA brauchen Kapital<br />
Auch in den USA scheinen sich unter dem Eindruck<br />
von Finanzkrise und Rezession immer<br />
mehr Experten mit den lange Zeit gescheuten<br />
Pfandbriefen anzufreunden. Pfandbriefe<br />
sind von speziellen Banken ausgegebene<br />
Anleihen, die dem Investor nicht nur durch<br />
die hohe Bonität der emittierenden Bank,<br />
sondern auch durch eine Deckungsmasse<br />
aus besicherten Darlehenforderungen eine<br />
hohe Sicherheit bieten. Die in Europa seit 200<br />
Jahren bekannte Anleiheart würde auch in<br />
den USA helfen, das Kreditrisiko insgesamt<br />
zu streuen. Die Qualität der Kredit-Portfolios<br />
in den Banken würde gestärkt, die Investoren<br />
wären besser geschützt. Zudem haben die<br />
USA einen enormen Bedarf an ausländischem<br />
Kapital. Anleihen mit guten Ratings wie Pfandbriefe<br />
wären da eine willkommene Addition.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
NAMEN & NACHRICHTEN 9<br />
DEKABANK-MONITOR<br />
Geteiltes Europa<br />
Die Deka-Experten erwarten eine US-Erholung<br />
und eine gespaltene Entwicklung im Euroraum.<br />
Basisszenario (Eintrittswahrscheinlichkeit<br />
70 Prozent): Die<br />
US-Wirtschaft befindet sich<br />
weiterhin auf einem guten<br />
Weg, die strukturellen Probleme<br />
im Bankensystem zu<br />
beheben. Die Kreditvergabe<br />
bessert sich. Die Investitionsdynamik<br />
der Unternehmen<br />
bleibt kräftig. Zudem verbessert<br />
sich die Lage am Arbeitsmarkt<br />
stetig.<br />
Allerdings weicht die bisher<br />
euphorische Stimmung der<br />
Unternehmen einer realistischeren<br />
Einschätzung. Die<br />
US-Notenbanker beurteilen<br />
die Inflationsgefahren und<br />
den angemessenen Kurs der<br />
Geldpolitik nach wie vor uneinheitlich.<br />
Eine Mehrheit um<br />
Fed-Chairman Bernanke rechnet<br />
weiterhin damit, dass die<br />
gestiegenen Energie- und sonstigen<br />
Rohstoffpreise nicht zu<br />
dauerhaft höheren Inflationsraten<br />
führen. Es ist daher erst<br />
gegen Mitte nächsten Jahres<br />
mit den ersten Leitzinserhöhungen<br />
zu rechnen.<br />
Nord-Süd-Gefälle<br />
Die wirtschaftliche Entwicklung<br />
in der Eurozone bleibt<br />
gespalten. Die meisten nordeuropäischen<br />
Länder wachsen<br />
in hohem Tempo, während<br />
die Peripheriestaaten<br />
mit Wachstumsschwächen<br />
kämpfen. In Deutschland<br />
kommen inzwischen wesentliche<br />
Wachstumsimpulse aus<br />
der Binnennachfrage. Der<br />
Aufschwung ruht damit auf<br />
einem breiten Fundament. In<br />
den kommenden Monaten ist<br />
mit einer Normalisierung der<br />
Wachstumsraten zu rechnen,<br />
Prognosen<br />
Euroland<br />
die aber keinen Anlass zur<br />
Sorge geben. Der Preisauftrieb<br />
hat im Mai leicht nachgelassen.<br />
Dennoch dürften die Inflationsraten<br />
2011 über der<br />
EZB-Zielmarke von zwei Prozent<br />
verharren, was Anlass<br />
zu weiterer geldpolitischer<br />
Straffung gibt. Zu rechnen ist<br />
mit weiteren Zinserhöhungen<br />
jeweils zu Beginn eines jeden<br />
Quartals bis Januar 2012.<br />
Chanceszenario Eintrittswahrscheinlichkeit<br />
zehn Prozent:<br />
Vereinigte Staaten<br />
2011 2012 2011 2012<br />
BIP 1) 2,0 % 1,7 % 2,8 % 3,2 %<br />
HVPI/<br />
CPI 2) 2,5 % 2,4 % 3,0 % 2,0 %<br />
10-Jahreszinssatz<br />
US-Dollar/Euro<br />
3,4 % a) 3,7 % b) 3,5 % a) 3,9 % b)<br />
1,51 % a) 1,48 % b)<br />
1) Reales Bruttoinlandsprodukt (jährl. Veränderungsrate)<br />
2) HVPI: Harmonisierter Verbraucherpreisindex; CPI: Verbraucherpreisindex (jährl.<br />
Veränderungsrate).<br />
a) Dezember 2011 b) Dezember 2012 Quelle: DekaBank<br />
Die Verwerfungen an den<br />
Märk ten könnten schnell<br />
beseitigt werden, die Staatsschuldenkrise<br />
in Euroland<br />
könnte frühzeitig abflauen.<br />
Risikoszenario (Eintrittswahrscheinlichkeit:<br />
20 Prozent):<br />
Die Wirrungen um die Staatsverschuldung<br />
könnte zu einer<br />
erneuten Zuspitzung der Finanzkrise<br />
führen. Anhaltend<br />
hohe Rohölpreise könnten<br />
das Wachstum in den Industrieländern<br />
erheblich bremsen.<br />
<br />
Konjunkturindikatoren<br />
Leitzinssätze Euroland und USA<br />
Konjunktur<br />
Industrieproduktion,<br />
mom 1) in %<br />
Periode<br />
Aktueller Wert<br />
Wert eine<br />
Periode zuvor<br />
Euroland<br />
März 11 -0,1 0,6<br />
Kapazitätsauslastung Q1 11 81,3 80,3<br />
Wirtschaftl. Stimmung<br />
(Economic Sentiment)<br />
Mai 11 105,5 106,1<br />
Monetäres Umfeld<br />
HVPI 2) , yoy 1) in % Mai 11 2,7 2,8<br />
Rendite 10-jähriger<br />
Staatsanleihen in %<br />
EURIBOR (3 Monate)<br />
in %<br />
US$/Euro,<br />
Monatsdurchschnitt<br />
Konjunktur<br />
Industrieproduktion,<br />
mom 1) in %<br />
Mai 11 3,1 3,4<br />
Mai 11 1,4 1,4<br />
Mai 11 1,43 1,45<br />
Deutschland<br />
Apr. 11 -0,6 1,2<br />
Ifo-Geschäftsklima Mai 11 114,2 114,2<br />
Einkaufsmanagerindex<br />
verarb. Gew.<br />
Mai 11 57,7 62,0<br />
1) Veränderungsrate gegenüber Vormonat (mom) bzw. Vorjahr (yoy).<br />
1) 2) Veränderungsrate HVPI: Harmonisierter gegenüber Verbraucherpreisindex<br />
Vormonat (mom) bzw. Vorjahr (yoy).<br />
2) HVPI: Harmonisierter Verbraucherpreisindex<br />
Quellen: DekaBank, EU, Ifo, Destatis, Reuters<br />
Quellen: EB, Federal Reserve; ab Juli 2011 Prognosen DekaBank<br />
Bruttoinlandsprodukt Euroland und USA<br />
Quellen: Bureau of Economic Analysis, Eurostat; ab Q2/11: Prognosen DekaBank<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
Packen wir‘s an : Die ehrgeizigen Klimaziele<br />
der Bundesregierung lassen sich nur<br />
mithilfe des deutschen Handwerks erreichen,<br />
sagt ZDH-Präsident Otto Kentzler.<br />
FOTOS: MARC DARCHINGER
MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN 11<br />
HANDWERK I – TITELINTERVIEW<br />
Dichten, dämmen<br />
Kosten dämpfen<br />
Die Bundesregierung fördert die energetische Sanierung von Wohngebäuden. Den Sparkassen als<br />
wichtigsten Finanzierungspartnern des Handwerks kommt eine zentrale Rolle bei der Beratung<br />
und beim Marketing zu, erläutert Otto Kentzler. Der Präsident des Zentralverbands des deutschen<br />
Handwerks (ZDH) sieht einen wachsenden Bedarf an Betriebsmittelkrediten.<br />
SPARKASSE: Herr Kentzler, Ihre Meinung zur<br />
Energiewende?<br />
Otto Kentzler: Die Beschlüsse stehen,<br />
und sie bergen für die Wirtschaft Risiken,<br />
aber auch gewaltige Chancen. Erlauben<br />
Sie mir aber in der Rückschau Kritik an<br />
der Hektik des Entscheidungsprozesses.<br />
Wirtschaftsminister Philipp Rösler hat 500<br />
Millionen Euro für den Mittelstand in Aussicht<br />
gestellt, falls es wegen des Atomausstiegs<br />
zu Strompreiserhöhungen kommen<br />
sollte. Halten Sie die Summe für angemessen?<br />
Kentzler: Bisher fehlt das korrekte Preisschild<br />
an der Energiewende. Im Handwerk<br />
werden energieintensive Gewerke<br />
wie Galvaniseure, Wäschereien oder Bäcker<br />
mehr zahlen müssen. Die 500-Millionen-Ausgleichsregelung<br />
für den Mittelstand<br />
insgesamt erscheint da wie ein<br />
Tropfen auf den heißen Stein. Unser Ziel<br />
müssen Entlastungen von Verbrauchern<br />
und Betrieben durch Innovationen bei<br />
Energieeffizienz und -erzeugung sein.<br />
Vielleicht können wir dann in einigen<br />
Jahren Kernkraftwerke vom Netz nehmen,<br />
ohne sie ersetzen zu müssen, weil<br />
der Gesamtverbrauch sinkt. Wir werden<br />
allerdings in neue Stromnetze investieren<br />
müssen, denn das Thema Netzsicherheit<br />
hat für den Industriestandort<br />
Deutschland höchste Priorität.<br />
Können Handwerker auch beim Bau der<br />
Stromnetze helfen?<br />
Kentzler: Ja, das Handwerk ist selbstverständlich<br />
überall dabei. Aber bitte reduzieren<br />
Sie die Potenziale des Handwerks<br />
nicht auf Bauleistungen. Unsere Betriebe<br />
bringen ihr spezielles Know-how auf allen<br />
Ebenen der Energiewende mit ein.<br />
Und Innovationen gibt es nicht nur bei<br />
Produkten. Gerade Handwerker sind es<br />
doch, die rund um die Produkte mit innovativen<br />
Dienstleistungen, Prozessen, Verfahren<br />
oder Betriebsabläufen punkten.<br />
Wir haben den Vorteil, jeden Tag beim<br />
Kunden die Praxis erleben zu können.<br />
Das führt zu vielen Verbesserungen.<br />
Der Bund will Fördermittel in Höhe von 1,5<br />
Milliarden Euro für die energetische Sanierung<br />
von Gebäuden zur Verfügung stellen.<br />
Ist das hinreichend?<br />
Kentzler: Das bleibt jedenfalls hinter<br />
dem Etat von 2009 zurück. Und schon<br />
damals haben Experten zwei Milliarden<br />
Euro als Anreiz für die notwendigen Investitionen<br />
in das C0 2<br />
-Gebäudesanierungs-<br />
Programm gefordert, um die von der Bundesregierung<br />
anvisierten Klimaziele zu<br />
erreichen. Die Deutsche Energie-Agentur<br />
Dena nennt sogar fünf Milliarden Euro<br />
als Ziel. Die Anreize lohnen sich: KfW<br />
und Bundesbauministerium haben bilanziert,<br />
dass ein Euro Anschubfinanzierung<br />
in diesem Bereich zu acht bis neun<br />
Euro an Folgeinvestitionen führt. Fakt ist<br />
doch: Ob Häuslebauer oder Vermieter, die<br />
Deutschen lassen sich durch Zuschüsse<br />
oder Steuersparmöglichkeiten zu Investitionen<br />
anregen. Zwang zu immer umfassenderen<br />
Sanierungen hilft dagegen<br />
nicht.<br />
„Energieeffizienz ist der Schlüssel, um die<br />
energiepolitischen Ziele der Bundesregierung<br />
überhaupt erreichen zu können.“<br />
ZDH-Präsident Otto Kentzler<br />
Immerhin bedeuten die Fördermittel ein enormes<br />
Konjunkturprogramm für das Handwerk.<br />
Kentzler: Richtig ist, dass unsere Betriebe<br />
neue Anlagen einbauen, die Wände<br />
dämmen oder die Fenster austauschen.<br />
Doch wer baut die Heizungen,<br />
stellt Fenster oder Dämmstoffe her? Nicht<br />
zu vergessen: Damit Handwerker das alles<br />
können, haben die Betriebe viel in die<br />
Ausbildung und Weiterqualifizierung<br />
ihrer Mitarbeiter investiert. Wir können<br />
also unsere besonderen Kompetenzen<br />
in diesem Markt zeigen. Das bietet wiederum<br />
Chancen für den Nachwuchs: Wer<br />
einen der innovativen Berufe lernt, die<br />
für die Energiewende gebraucht werden,<br />
muss sich die nächsten Jahrzehnte keine<br />
Sorgen um den Arbeitsplatz machen.<br />
Aber er muss auch laufend Neues lernen<br />
wollen.<br />
Gibt es so viele Innovationen in diesen Gewerken?<br />
Kentzler: Mir geht es darum, dass die<br />
Qualität bei allen Baumaßnahmen im<br />
Vordergrund steht. Und Qualität bedeutet<br />
nicht nur Qualität in der Ausführung,<br />
sondern auch in der Beratung. Wir brauchen<br />
noch viel mehr Handwerker, die<br />
vor der konkreten Sanierung eine erstklassige<br />
Gebäudeanalyse durchführen<br />
können. Es sollte immer da investiert<br />
werden, wo es den meisten Nutzen für<br />
Klimaschutz und Energieeinsparung<br />
bringt. Ein Beispiel: Bei stabilen Gebäuden,<br />
die an der Wende zum 20. Jahrhundert<br />
gebaut wurden, ist zusätzliche Dämmung<br />
nicht unbedingt nötig, dafür sollte<br />
in ein neues Dach, neue Fenster, neue<br />
Haustechnik oder intelligente Steuerung<br />
investiert werden.<br />
Warum ist die Energieeinsparung in Gebäuden<br />
überhaupt so wichtig?<br />
Kentzler: 40 Prozent der gesamten Energie<br />
wird im Gebäudebestand verbraucht.<br />
Energieeffizienz ist also der Schlüssel,<br />
um die energiepolitischen Ziele der Bundesregierung<br />
überhaupt erreichen zu<br />
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12<br />
MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN<br />
Könnte auch die Eurokrise die Investitionsneigung<br />
von Hausbesitzern fördern?<br />
Kentzler: Der Zusammenhang klingt<br />
etwas gewagt. Aber bei derart niedrigen<br />
Zinsen wie in den vergangenen Monaten<br />
investieren viele lieber in ihr Haus<br />
als das Geld auf die hohe Kante zu legen.<br />
Wobei wir nicht übersehen dürfen,<br />
dass auch die Einlagen bei Banken und<br />
Sparkassen so hoch sind wie lange nicht<br />
mehr. Im Übrigen teile ich grundsätzlich<br />
nicht die Meinung der Medien, die<br />
von der Eurokrise reden und den Euro<br />
und die Währungsunion in Europa verteufeln<br />
wollen. Wir hatten noch nie eine<br />
so geringe Inflation wie seit der Euro-<br />
Einführung, die D-Mark war wesentlich<br />
volatiler. 60 Prozent unseres Exports geht<br />
in Euroländer. Das heißt, dass wir mehr<br />
auf unsere Nachbarn angewiesen sind<br />
als umgekehrt. Und ohne die negativen<br />
Folgen übersehen zu wollen, steht doch<br />
fest, dass Deutschland die Finanzkrise<br />
ohne große Schäden überstanden hat,<br />
mit der D-Mark hätten wir das sicher so<br />
nicht durchgestanden.<br />
„Basel III könnte die langfristige Unternehmensfinanzierung<br />
gefährden.“<br />
können. Energieeinsparung ist sozusagen<br />
unser wichtigster Rohstoff. Unsere<br />
Energieberater können die besten Lösungen<br />
aufzeigen, die Sanierungsplanung<br />
unterstützen und die Arbeiten der<br />
beteiligten Gewerke koordinieren.<br />
Was können der ZDH und die übrigen Handwerksverbände<br />
leisten?<br />
Kentzler: Der ZDH arbeitet in dieser<br />
entscheidenden Phase sehr eng mit allen<br />
Verbänden zusammen, deren Mitgliedsbetriebe<br />
sich im Einzelnen um<br />
Energieeffizienz bemühen. Wir sind angetreten,<br />
der Politik deutlich zu machen,<br />
dass das Handwerk für die Energiewende<br />
gut aufgestellt ist. Mit Bundesumweltminister<br />
Röttgen haben wir schon im vergangenen<br />
Jahr bei unserem Energieforum<br />
diskutiert und ihm auf einem „Markt<br />
der Möglichkeiten“ bewiesen, was die Betriebe<br />
heute schon für Energieeffizienz<br />
und Elektromobilität leisten.<br />
Heizungen helfen sparen, cleveres Energiemanagement<br />
ebenso. LED-Lampen in<br />
Straßenlaternen entlasten die Stadtsäckel<br />
enorm. Hier geht das Handwerk ganz<br />
im Sinne seiner Kunden voran. Bei anderen<br />
Produkten fungiert das Handwerk<br />
sozusagen als Bindeglied zwischen Kunden<br />
und Industrie. Der Austausch von 25<br />
Jahre alten Fensterscheiben mit einem U-<br />
Wert, also Wärmedurchlässigkeitskoeffizienten,<br />
von 3,5 zu Scheiben mit einem<br />
U-Wert von 0,6 kann viel bewirken!<br />
Ist die Energiewende bereits im Handwerk<br />
angekommen?<br />
Kentzler: Ja, das Handwerk hat alle Innovationen<br />
eng begleitet. Als die Bundesregierung<br />
2006 verstärkt Anreize zur<br />
energetischen Gebäudesanierung setzte,<br />
waren unsere Betriebe vorbereitet. Und<br />
das Konjunkturpaket II hat in der Wirtschaftskrise<br />
für weitere Impulse – auch<br />
im öffentlichen Bau – gesorgt.<br />
Mit welchen Argumenten kann ein Sparkassenberater<br />
einen Hausbesitzer oder Vermieter<br />
davon überzeugen, in die energetische<br />
Sanierung zu investieren?<br />
Kentzler: Ein bloßer Appell an die<br />
Pflicht und das ökologische Gewissen der<br />
Wohnungs- und Hausbesitzer wird sicher<br />
nicht ausreichen. Hinweise auf sinkende<br />
Energiekosten, steigenden Wohnwert<br />
und die bessere Veräußerbarkeit einer<br />
Immobilie helfen dagegen schon. Aber<br />
zinsverbilligte Kreditprogramme, der<br />
Verweis auf die geplanten steuerlichen<br />
Anreize und die Zuschüsse durch die<br />
KfW-Programme – all das sollte zur Motivation<br />
beitragen. Die Zusammenarbeit<br />
des Instituts mit qualifizierten Gebäudeenergieberatern<br />
des Handwerks, um<br />
das Notwendige, das Wünschbare und<br />
schließlich das Machbare für den Kunden<br />
genau zu definieren, ist sicher auch<br />
eine vertrauenbildende Maßnahme.<br />
Ist es aus Ihrer Sicht richtig, dass Deutschland<br />
bei der energetischen Sanierung und<br />
den ehrgeizigen Zielen bei den C0 2<br />
-Einsparungen<br />
vorprescht?<br />
Kentzler: Ja, wir müssen das Schritttempo<br />
hier deutlich erhöhen. Deutschland<br />
muss als Technologieführer in Europa<br />
auch in diesem Bereich Vorbild sein. Übrigens<br />
haben wir in einem weiteren Bereich<br />
ebenfalls die Nase vorn: Mit Blick<br />
auf die demografische Entwicklung hat<br />
sich das Handwerk intensiv auf altengerechte<br />
Sanierungen im Wohnungsbestand<br />
vorbereitet. Senioren wollen<br />
schließlich solange es geht, in der eigenen<br />
Wohnung bleiben. Die beispielsweise<br />
auf den Handwerksmessen präsentierten<br />
Innovationen zeigen, was alles<br />
schon geht.<br />
Können Sie Beispiele nennen?<br />
Kentzler: Wir konnten zeigen, was an<br />
innovativen Produkten und Techniken<br />
schon heute zur Verfügung steht und wie<br />
die Maßnahmen ineinandergreifen müssen,<br />
damit bei der Energieeffizienz die<br />
hochgesteckten Ziele erreicht werden.<br />
Blockheizkraftwerke und Wärmetauscher<br />
dienen der dezentralen Energiegewinnung,<br />
neue Sanierungsmethoden<br />
oder verbesserte Regeltechnik bei den<br />
Sie kritisieren jedoch, das größte Hemmnis<br />
für Innovation im Handwerk seien die engen<br />
finanziellen Spielräume der Unternehmen.<br />
An wen richtet sich diese Kritik?<br />
Kentzler: Während der Finanz- und<br />
Wirtschaftskrise gab es keine Kreditklemme<br />
im Handwerk. Doch natürlich<br />
hatten die Betriebe Probleme – und haben<br />
oft nur dank der Maßnahmen der<br />
Konjunkturpakete weitermachen können.<br />
Beispielhaft möchte ich hier die<br />
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MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN 13<br />
Automobilzulieferer nennen. Aber es<br />
war wichtig, diesen Betrieben zu helfen<br />
– sonst wäre die gesamte deutsche Automobilindustrie<br />
betroffen gewesen. Das<br />
Handwerk hat dagegen selbst mit seiner<br />
Form des Wirtschaftens viel zur Bewältigung<br />
der Krise beigetragen. Die „tolerierte<br />
Verantwortungslosigkeit“ der Finanzbranche<br />
ist bei uns nicht zu finden,<br />
das Handwerk stützt sich auf die Verantwortung<br />
für das eigene Handeln und die<br />
selbstverständliche Verpflichtung gegenüber<br />
der Gesellschaft. Dazu gehört auch<br />
eine nachhaltige Personalpolitik: Der<br />
leichte Beschäftigungsverlust während<br />
der Krisenjahre ist weitgehend auf das<br />
Ausscheiden aus Altersgründen zurückzuführen.<br />
Was bedeutet das Regelwerk von Basel III<br />
für die Beziehungen zwischen Hausbank und<br />
Handwerksbetrieb.<br />
Kentzler: Nach vorliegenden Planungen<br />
sollen Banken und Sparkassen künftig<br />
höhere und qualitativ bessere Eigenkapitalpolster<br />
aufbauen. Daran ist auf den<br />
ersten Blick nichts auszusetzen. Denn natürlich<br />
ist es sinnvoll, bankenaufsichtsrechtliche<br />
Regelungen zu schaffen, die<br />
Fehlentwicklungen zumindest eindämmen<br />
und Kreditinstitute weniger krisenanfällig<br />
machen. Diese Lektion hat uns<br />
die Krise ja erteilt. Aber der Teufel steckt<br />
wie immer im Detail. Denn die mögliche<br />
Kreditzusage pro einem Euro haftendem<br />
Eigenkapital sinkt durch die neuen Regeln<br />
deutlich. Waren es ursprünglich<br />
12,50 Euro, so werden es künftig nur<br />
noch 9,50 Euro sein. Erhöhte Kapitalanforderungen,<br />
steigende Finanzierungskosten<br />
und der bestehende Umsetzungsaufwand<br />
erhöhen den Druck auf die<br />
Margen und könnten sich negativ auf die<br />
Kreditkonditionen und die Vergabebereitschaft<br />
im Mittelstandskreditgeschäft<br />
auswirken. Damit könnte Basel III die<br />
langfristige Unternehmensfinanzierung<br />
gefährden.<br />
Otto Kentzler: Türken sind ideale Sparkassenkunden<br />
„Der Meister der Zukunft ist Türke“. So ließ sich<br />
ZDH-Präsident Otto Kentzler vor gut drei Jahren<br />
in den Medien zitieren und sorgte damit<br />
für Wirbel. Tatsache ist, dass das Handwerk<br />
auch vielen Migranten eine Ausbildung und<br />
Entwicklungschancen bietet. „Das ist gar nicht<br />
selbstverständlich, viele Meister schätzen ihre<br />
Integrationsleistung viel zu gering ein“, sagt<br />
Kentzler. Das Handwerk habe nicht zuletzt deshalb<br />
eine so hohe gesellschaftliche Bedeutung,<br />
weil es auch aus orientierungslosen jungen<br />
Leuten mit Migrationshintergrund und aus<br />
sozial schwierigen Verhältnissen vollwertige<br />
Kollegen mit beruflichen Perspektiven mache.<br />
„Ich zähle die persönliche Verantwortungsbereitschaft<br />
und Qualifikation zu den Faktoren,<br />
die auch bei der Kreditvergabe neben einem<br />
Firmenrating eine Rolle spielen sollten“, sagt<br />
der ZDH-Präsident, der seit 1978 selbst einen<br />
seit 130 Jahren bestehenden Klempnereibetrieb<br />
führt. Zu den Auszubildenden des Dortmunder<br />
Familienunternehmens gehörte auch<br />
Ali Suludere. Der türkischstämmige Klempner<br />
wurde nach seiner Gesellenprüfung Kammer-,<br />
Landes- und Bundessieger.<br />
Wenn sich Türken im Handwerk selbstständig<br />
machen wollen, bringt die Familie nach Kentzlers<br />
Erfahrungen oft ausreichendes Eigenkapital<br />
mit, weil die großen Familienverbände<br />
geschlossen investieren. „Ich glaube, dass die<br />
Sparkassen eine hohe Kompetenz haben, solche<br />
Firmengründungen zu begleiten, weil sie<br />
auch die Konten aufstiegswilliger Migranten<br />
führen.“ Selbst wenn ein Kredit schief laufe,<br />
beobachtet Kentzler bei dieser Klientel eine oft<br />
sehr hohe Zahlungsmoral.<br />
Beobachten Sie, dass sich die Ansprüche von<br />
Handwerksbetrieben an ihre Finanzierungspartner<br />
ändern?<br />
Kentzler: Die Sparkassen finanzieren<br />
das Handwerk zu 70 Prozent, die Volksbanken<br />
liegen etwa bei 20 Prozent. Die<br />
Finanzverbünde sind also mit Abstand<br />
die Haupt-Finanzierungspartner. Unsere<br />
Betriebe brauchen laut einer Umfrage<br />
aus dem vergangenen Jahr zu zwei Dritteln<br />
bis 50.000 Euro, ein Drittel davon<br />
sogar nur bis 10.000 Euro. Sechs Prozent<br />
haben mehr als 500.000 Euro Finanzierungsbedarf,<br />
dazwischen liegt der Bereich<br />
von 50.000 bis 500.000 Euro. Der<br />
Schwerpunkt der Nachfrage liegt bei Betriebsmittelkrediten,<br />
beispielsweise um<br />
aufwändige Aufträge aus dem Bereich<br />
der energetischen Sanierung vorzufinanzieren.<br />
Registrieren Sie Kritik an den Finanzierungspartnern<br />
des Handwerks?<br />
Kentzler: Kritik gibt es immer, berechtigte<br />
und auch unberechtigte. Wir sollten<br />
meines Erachtens dafür sorgen, dass<br />
jeder, der einigermaßen vernünftig wirtschaftet<br />
und das mit seiner Gewinn- und<br />
Verlustrechnung auch beweisen kann,<br />
als kreditwürdig angesehen wird. Über<br />
das Rating hinaus müssen bei einer Kreditvergabe<br />
auch die sogenannten weichen<br />
Faktoren berücksichtigt werden. Ich<br />
begrüße es, dass Sparkassen mit den Betriebsberatern<br />
der Handwerkskammern<br />
eng zusammenarbeiten. Ein Handwerksunternehmer,<br />
der sich von unseren Betriebsberatern<br />
begleiten lässt, kann sich<br />
wesentlich länger am Markt behaupten<br />
als derjenige, der seinen Kreditantrag<br />
ohne Beratung bei den Bürgschaftsbanken<br />
einreicht.<br />
Wie beurteilen Sie Kooperationen im Marketing<br />
zwischen Geldinstituten und Handwerk?<br />
Kentzler: Hier können die Institute<br />
sehr hilfreich sein. Durch Aktionen wie<br />
die bundesweite Kampagne „Gutes Klima<br />
fängt zuhause an“ kann der energetischen<br />
Gebäudesanierung ein wichtiger<br />
Schub gegeben werden. Und wir begrüßen<br />
es sehr, dass die Sparkassen ihren<br />
Kunden neben eigenen Finanzierungsangeboten<br />
auch Fördermöglichkeiten der<br />
staatlichen Programme aufzeigen wol-<br />
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14<br />
MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN<br />
„Es gibt viele Formen der Zusammenarbeit<br />
zwischen Handwerk und Sparkassen, etwa<br />
Energieberater-Netzwerke und Finanzierungspakete<br />
mit Handwerkerberatung.“<br />
len. Die Kunden vertrauen hier der Kompetenz<br />
der Sparkassen. Regional kenne<br />
ich persönlich aus Dortmund die erfolgreichen<br />
Bauherrentage der Sparkassen.<br />
Aber es gibt viele Formen der Zusammenarbeit<br />
zwischen Handwerk und den<br />
Instituten – Energieberater-Netzwerke,<br />
Energiespartage, gemeinsame Messepräsentationen<br />
oder Finanzierungspakete<br />
mit qualifizierter Handwerkerberatung.<br />
Ist das Internet eine geeignete Kooperationsplattform<br />
für Handwerk und Geldinstitute?<br />
Kentzler: Auch da gibt es erfolgreiche<br />
Beispiele – etwa das Solarpotenzialkataster<br />
der Sparkasse Witten. Je besser der<br />
Endkunde informiert ist, desto höher<br />
sind auch die Chancen eines Meisterbetriebs,<br />
seine Qualifikationen unter Beweis<br />
stellen zu können. Das Internet ist<br />
auch für uns als Zentralverband längst<br />
die zentrale Plattform für die interne und<br />
externe Kommunikation.<br />
der ZDH-Homepage www.zdh.de Informationstexte<br />
zur dualen Ausbildung in<br />
drei Sprachen eingestellt haben. Ich sehe<br />
das Thema Ausbildung auch unter dem<br />
Aspekt der Völkerverständigung. Was<br />
an unserer Westgrenze funktioniert hat,<br />
wird auch an der Grenze zu den osteuropäischen<br />
Staaten funktionieren. Ausbildung<br />
und Arbeit jenseits der Grenzen<br />
helfen den Menschen, sich Schritt für<br />
Schritt besser zu verstehen. Und wer eine<br />
ausgezeichnete Ausbildung hat, kann<br />
sich nachher den Arbeitsplatz aussuchen,<br />
in welchem Land auch immer.<br />
Haben die ostdeutschen Handwerksbetriebe<br />
besondere Schwierigkeiten, Azubis zu bekommen?<br />
Kentzler: Ja, in der Tat. Aufgrund der<br />
Abwanderung nach der Einheit und geburtenschwacher<br />
Jahrgänge hat sich die<br />
Zahl der Schulabgänger dort innerhalb<br />
einer Dekade halbiert. Mittlerweile bleiben<br />
in jedem Jahr mehrere Tausend Ausbildungsplätze<br />
unbesetzt – auch in den<br />
Top-Ten-Wunschberufen.<br />
Oft wird beklagt, dass Schulabgänger nicht<br />
die nötige Qualifikation für eine Lehre mitbringen.<br />
Kentzler: Die Leistungen in Deutsch<br />
und Rechnen sind vielfach sehr schwach.<br />
Vor allem die Bundesländer müssen<br />
ihren Bildungsverpflichtungen besser<br />
nachkommen. Aber die Handwerksbetriebe<br />
haben vielfach keine Wahl, sie<br />
unternehmen selbst etwas gegen die Bildungsdefizite.<br />
Die Betriebe erwarten von<br />
den Bewerbern aber zumindest, dass sie<br />
den Willen zur Ausbildung mitbringen.<br />
Über Praktika, Nachhilfeunterricht, Ausbildungspaten<br />
beispielsweise begleiten<br />
sie die Jugendlichen auf ihrem schwierigen<br />
Weg zum Ausbildungserfolg. Wer<br />
sich in der Schule schwer tat, blüht oft in<br />
der Lehre mit ihrer Praxisorientierung<br />
auf. Hilfe brauchen die Jugendlichen<br />
auch bei der Berufsorientierung. Schule<br />
und Familie müssen sich hier ebenfalls<br />
engagieren.<br />
Ist das Internet ein Rekrutierungsmittel für<br />
Azubis, auch jenseits der Grenzen?<br />
Kentzler: Die meisten unserer Betriebe<br />
haben verstanden, dass die Ausbildungsbewerber<br />
nicht mehr in Scharen vor der<br />
Tür stehen. Sie engagieren sich immer<br />
früher und immer umfassender bei der<br />
Werbung um den Nachwuchs. Dabei ist<br />
die Homepage des Betriebes eine wichtige<br />
Visitenkarte für die Jugendlichen, da<br />
dort oft der erste Kontakt stattfindet. Für<br />
die bundesweite Imagekampagne nutzt<br />
das Handwerk gerade in der Ansprache<br />
der Jugendlichen verstärkt das Internet.<br />
Die Seite www.handwerk.de hält viele<br />
handfeste Informationen über Handwerksberufe<br />
vor, aber hier finden sich<br />
auch Filme und Spiele. Wir haben unsere<br />
Aktivitäten jüngst von einem Jugendbeirat<br />
mit jungen Handwerkern kritisch<br />
analysieren lassen – und wurden gut bewertet.<br />
Spielen auch soziale Medien eine Rolle?<br />
Natürlich ist die Imagekampagne auch<br />
in den sozialen Netzwerken unterwegs.<br />
Dort tummeln sich auch bereits einige<br />
unserer Mitgliedsverbände und Handwerkskammern.<br />
Das Interesse an einer<br />
Ausbildung im deutschen Handwerk<br />
nimmt auch in den Ländern zu, für die<br />
seit 1. Mai die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit<br />
gilt. Aus Polen oder Tschechien<br />
kamen so viele Anfragen, dass wir auf<br />
Zur Person<br />
Otto Kentzler (69) ist seit 2006 Präsident<br />
des Zentralverbandes des deutschen Handwerks.<br />
Seit 1994 ist er zudem Präsident der<br />
Handwerkskammer Dortmund und bekleidet<br />
weitere wirtschaftspolitische Ämter. Der<br />
diplomierte Maschinenbauingenieur absolvierte<br />
nach dem Abitur zunächst eine Lehre<br />
als Installateur und Klempner. Bis heute führt<br />
er den Dortmunder Famlienbetrieb in vierter<br />
Generation. Von 1989 bis 1994 war Kentzler<br />
Obermeister der Innung Sanitär-Heizung-<br />
Klima in Dortmund und Lünen. Kentzler ist<br />
verheiratet und Vater von zwei Kindern.<br />
Wie können die Kammern helfen?<br />
Kentzler: Das Bildungszentrum der<br />
Handwerkskammer zu Leipzig pflegt so<br />
viele Kooperationen mit Schulen, dass es<br />
sozusagen ausgebucht ist. Schon in der<br />
siebten und achten Schulklasse werden<br />
dort die Interessen der jungen Leute für<br />
die verschiedenen Berufswelten geweckt.<br />
Viele Schüler motiviert es, dass sie in<br />
einem Arbeitsteam gebraucht werden<br />
und ein positives Echo erhalten. Nach<br />
so einer positiven Erfahrung klappt es<br />
oft auch in der Schule besser. Ähnliche<br />
Projekte blühen auch in vielen anderen<br />
Orten.<br />
Spielt die Internationalisierung des Handwerks<br />
auch in der Ausbildung eine Rolle?<br />
Kentzler: Es gibt viele Programme im<br />
Handwerk, die darauf zielen, dass Auszubildende<br />
während oder nach der Ausbildung<br />
im Ausland arbeiten und sich international<br />
vernetzen. In vielen Gewerken<br />
gehört ein Auslandsaufenthalt seit jeher<br />
dazu, so gehen junge Fliesen- und Mosaikleger<br />
oder Maler und Lackierer gerne<br />
nach Italien, um dort mit besonderen Materialien<br />
arbeiten und andere Techniken<br />
erlernen zu können. <br />
Das Gespräch führten Christoph Becker und<br />
Peter Müller.<br />
Lesen Sie zu den Themen Handwerk und<br />
Energiewende auch die folgenden Seiten.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN 15<br />
HANDWERK II – MARKETING<br />
Viel zu erneuern<br />
Um den Sanierungsstau bei privaten Wohngebäuden auflösen zu können, brauchen die regionalen<br />
Gewerke außer Krediten Hilfe bei Vertrieb und Marketing. Bei den Hausmessen der Sparkassen<br />
kommen Handwerk, Hausbesitzer und Finanzierer zusammen. Auch im Internet passiert viel.<br />
n VON CHRISTOPH BECKER<br />
Die Sparkasse Witten steckt mitten<br />
in ihrer Energiesparoffensive. Zum<br />
Energiespartag kamen Immobilienbesitzer<br />
des Enneppe-Ruhr-Kreises in die<br />
Wittener Hauptgeschäftsstelle. Als Aussteller<br />
waren die Stadtwerke und Handwerksunternehmen<br />
einschlägiger Branchen<br />
eingeladen. Auch in einem Video<br />
auf den Internetseiten des Instituts stellen<br />
die Handwerksmeister ihre Dienstleistungen<br />
vor und können sich damit Endkunden<br />
als Partner für die energetische<br />
Haussanierung empfehlen.<br />
Ähnliches bieten zurzeit viele Sparkassen.<br />
Das Wittener Institut nutzt im<br />
Internet jedoch ein weiteres Marketinginstrument,<br />
das in der Gruppe bisher<br />
kaum verbreitet ist: Mithilfe von Luftaufnahmen<br />
können sich Wittener Hausbesitzer<br />
darüber informieren, inwieweit<br />
ihr Hausdach für eine Fotovoltaikanlage<br />
geeignet ist und welche Finanzierungsmöglichkeiten<br />
es gibt. Das Angebot nennt<br />
sich Solarpotenzialkataster. Hinter dem<br />
Zungenbrecher verbirgt sich eine mithilfe<br />
von Lasertechnik erstellte Sammlung<br />
kommunaler Fotodaten, ähnlich wie bei<br />
Google-Earth. Das Programm zeigt, wie<br />
gut die Wittener Hausdächer je nach<br />
Himmelsrichtung und Schattenwurf für<br />
die Gewinnung von Solarenergie geeignet<br />
sind.<br />
Das Internetangebot beruht auf einer<br />
Kooperation von Stadt und Sparkasse<br />
Witten. Das Ingenieurbüro Tetraeder Solar<br />
aus Dortmund hat die Luftaufnahmen<br />
im Auftrag der Kommune erstellt und die<br />
aufbereiteten Daten mit dem Internetangebot<br />
der Sparkasse verlinkt. „Unsere<br />
Investitionskosten lagen bei etwa 20.000<br />
Euro“, sagt Klaus-Peter Nehm, Pressesprecher<br />
der Sparkasse Witten im Gespräch<br />
mit SPARKASSE.<br />
Zur Info passt das Kreditangebot<br />
Wer in der Katasterdatenbank der Stadt<br />
auf ein farbig unterlegtes Foto eines Hausdachs<br />
klickt, erhält unter anderem eine<br />
Stromertragsrechnung. Auf dieser Basis<br />
berechnet ein Wirtschaftlichkeitsrechner<br />
der Sparkasse ein Kreditangebot für eine<br />
Fotovoltaikanlage und nennt Ansprechpartner<br />
im Institut. Ingenieur Stephan<br />
Wilforth, Gründer und Geschäftsführer<br />
von Tetraeder Solar, erklärt: „Wir suchen<br />
unsere Kunden nur bei den öffentlichrechtlichen<br />
und genossenschaftlichen<br />
Geldinstituten mit Nähe zur Kommune.“<br />
Neben der Sparkasse Witten zählen bisher<br />
die Volksbank Kamen-Werne und ein<br />
Hersteller von Solartechnik zu Wilforths<br />
Das „Solarpotenzialkataster“ der Stadt Witten. Die roten Dächer eignen sich gut für Fotovoltaik oder Solarthermie. Die Luftaufnahmen der Stadt<br />
sind auch auf den Internetseiten der Sparkasse Witten abrufbar. Das Institut gibt ergänzende Informationen zu Finanzierungsmodellen.<br />
FOTO: TETRAEDER SOLAR<br />
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16<br />
MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN<br />
Auftraggebern. Auch die Volksbanken<br />
Mittweida und Main-Tauber verwenden<br />
auf ihre Webseiten die ansprechenden<br />
Kataster der Kommunen zu Marketingzwecken.<br />
Die beiden Institute arbeiten<br />
mit dem Unternehmen Public Solar<br />
zusammen, das aus einem Forschungsprojekt<br />
der Fachhochschule Osnabrück<br />
hervorgegangen ist. Zurzeit nutzen also<br />
mehr Volksbanken als Sparkassen die<br />
innovative Technik. Laut Tetraeder-Chef<br />
Wilforth kommt es für die Institute jetzt<br />
darauf an, das Interesse an der Datenbank<br />
und ihrer Nutzung auch längerfristig<br />
wachzuhalten.<br />
Wertvolle Kundeninformationen<br />
Die Kataster-Informationen sind nicht<br />
nur für Endkunden interessant. Rolf<br />
Maasche, Vorstandsvorsitzender der<br />
Sparkasse Witten, sieht in der Solarpotenzialanalyse<br />
laut Presseberichten ein<br />
„gewaltiges Konjunkturprogramm“ für<br />
das Handwerk der Region. Wenn rund 25<br />
Prozent des Auftragsvolumens beim Bau<br />
von Fotovoltaikanlagen auf Handwerkerleistungen<br />
entfielen, bedeute das ein<br />
Wertschöpfungspotenzial von 80 bis 100<br />
Mio. Euro bei den örtlichen Betrieben,<br />
erläuterte Maasche gegenüber der Lokalpresse.<br />
Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes<br />
des deutschen Handwerks<br />
(ZDH) in Berlin bestätigt, das Kataster<br />
könne spezialisierten Handwerksbetrieben<br />
wertvolle Informationen über potenzielle<br />
Kunden liefern. „Solche Beispiele<br />
gelungener Kooperation von Kommune,<br />
Sparkassen und Handwerk sollten Nachahmer<br />
finden, sagt Kentzler im Gespräch<br />
mit SPARKASSE.<br />
Morgenluft wittern ZDH und<br />
Handwerksverbände vor allem<br />
seit der Energiewende der Regierung.<br />
Im April korrigierte<br />
der ZDH die Wachstumszahlen<br />
im Handwerk nach oben – von<br />
zwei auf drei Prozent. Der Branche<br />
gehe es „so gut wie seit<br />
der Wiedervereinigung nicht<br />
mehr“, frohlockte ZDH-Generalsekretär<br />
Holger Schwannecke.<br />
Auch für DSGV-Präsident Heinrich<br />
Haasis ist „das qualifizierte<br />
deutsche Handwerk einer der<br />
Hauptnutznießer der notwendigen<br />
Energiewende“.<br />
Die energetische Sanierung<br />
von Immobilienbeständen ist<br />
das weitaus größte Geschäftsfeld.<br />
„Die haustechnischen<br />
Handwerke wie Sanitär, Heizung<br />
Klima und Elektro, zudem<br />
Bauhaupt- und Ausbauhandwerke,<br />
etwa Dachdecker, Tischler,<br />
Maler und Metallbau profitieren von der<br />
regionalen Zusammenarbeit bei energetischen<br />
Gebäudesanierungen“, erläutert<br />
Petra Schenkluhn, Geschäftsführerin der<br />
Kreishandwerkerschaft Flensburg Stadt<br />
und Land.<br />
Die Regierung müsse jährlich zwei Mrd.<br />
Euro an Fördermitteln zur Verfügung<br />
stellen und zusätzliche Steueranreize<br />
schaffen, um die gewünschte<br />
Verdopplung der Sanierungsraten<br />
zu erreichen, heißt es beim ZDH. Private<br />
und öffentliche Bauherren sollten ihre<br />
Investitionsentscheidung aber nicht nur<br />
von öffentlichen Fördergeldern abhängig<br />
machen, empfiehlt Schenkluhn. Die<br />
Energieeffizienz von Gebäuden sei auch<br />
mit Blick auf die mittelfristig steigende<br />
Energie- und Strompreise ein sinnvolles<br />
Ziel.<br />
Bereits im vergangenen Jahr sind<br />
laut Angaben des DSGV neun Mrd.<br />
Euro für Investitionsvorhaben in<br />
den Bereichen Energieeffizienz<br />
und Erzeugung erneuerbarer<br />
Energien über die Sparkassen-<br />
Finanzgruppe vergeben worden.<br />
Viele Häuser bieten Sonderkreditprogramme<br />
an, um die Investitionsneigung<br />
zu fördern. Den<br />
Bogen zum Handwerk der Region<br />
Chance fürs Handwerk: 2010<br />
stiegen die Investitionen am Bau<br />
um 2,8 Prozent, für 2011 und 2012<br />
erwarten Experten Wachstumsraten<br />
von 2,2 bis 2,4 Prozent. GRAFIK: DPA<br />
„Die Solarpotenzialanalyse<br />
ist<br />
ein gewaltiges<br />
Konjunkturprogramm<br />
für das<br />
Handwerk der<br />
Region.“<br />
Rolf Maasche,<br />
Vorstandsvorsitzender<br />
Sparkasse<br />
Witten<br />
schlägt etwa die Kreissparkasse Reutlingen<br />
sehr deutlich. „Im Rahmen unserer<br />
Initiative Energiepakt 2010/2011 bieten<br />
wir viele Sonderkonditionen im Bereich<br />
energetische Sanierung und viele Veranstaltungen<br />
für Handwerker und Endkunden“,<br />
erläutert Philipp Licht,<br />
Pressesprecher des Instituts.<br />
Eine Broschüre der Sparkasse<br />
listet nach Gewerken alle Handwerksbetriebe<br />
auf, die bei Haussanierungen<br />
Aufträge übernehmen,<br />
ein Internetangebot dazu<br />
gibt es allerdings noch nicht.<br />
Der Energiepakt 2010/2011<br />
unterstütze auch die aktuelle<br />
Imagekampagne des deutschen<br />
Handwerks „Die Wirtschaftsmacht<br />
von nebenan, erläutert<br />
Eugen Schäufele, Vorstandsvorsitzender<br />
KSK Reutlingen in der<br />
Kundenbroschüre.<br />
Auch die Nord-Ostsee Sparkasse<br />
hat in Kooperation mit der<br />
Kreishandwerkerschaft Flensburg<br />
ein Programm aufgelegt,<br />
das nach zahlreichen Sanierungsaufträgen<br />
im öffentlichen<br />
Sektor jetzt vor allem private Investoren<br />
ansprechen will. „Ziel der Kreishandwerkerschaft<br />
und der Nospa sind<br />
gemeinsame Angebote zur Umsetzung<br />
und Finanzierung an den Endverbraucher<br />
zur energetischen Sanierung und<br />
dem Klimaschutz“, erläutert Geschäftsführerin<br />
Schenkluhn von der Kreishandwerkerschaft.<br />
Private Investoren im Mittelpunkt<br />
Flankiert werden die regionalen Kooperationen<br />
auch durch die zentrale Werbung<br />
der Sparkassen. Ziel ist es, die finanzierenden<br />
Institute, lokale Handwerksbetriebe<br />
und Endkunden zusammenzubringen.<br />
Viele Häuser greifen etwa auf<br />
die Kampagne „Energie clever nutzen,<br />
Sparen & Klima schützen“ zurück. Die<br />
Aktion stammt aus Baden-Württemberg,<br />
wo Bauherren bei Neubau, Nachrüstung<br />
und Sanierung bereits seit 2009 zu erweiterten<br />
Maßnahmen verpflichtet sind. Aus<br />
der Regionalkampagne ist mittlerweile<br />
eine bundesweite Aktion der Sparkassen<br />
und Landesbausparkassen geworden.<br />
Vorreiter des Projekts ist die Kreissparkasse<br />
Böblingen, die auf ihren Internetseiten<br />
auch ein informativ-unterhaltsames<br />
Energiespar-Simulationsspiel mit<br />
verschiedenen Spielfiguren anbietet.<br />
Das Portal unter www.handwerkerfinden.com<br />
soll die Rolle der Sparkassen als<br />
Partner des Handwerks weiter festigen.<br />
Das Internet-Branchenbuch für Handwerker<br />
und Kunden dient ebenfalls als<br />
kostenlose Ausschreibungsplattform<br />
für Handwerkerleistungen. Die Mitgliedschaft<br />
ist für Handwerker und Endkunden<br />
kostenfrei. Die Sparkassen-Finanzgruppe<br />
ist als sogenannter Platinpartner<br />
des Portals positioniert. <br />
<br />
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MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN 17<br />
HANDWERK III – STATEGIE<br />
Nur kein Mittelmaß<br />
Manche Unternehmer im Handwerk versuchen, in die Luxusklasse vorzudringen. Doch reicht es<br />
nicht aus, als Schneider- oder Schustermeister gute Qualität zu bieten. Das Produkt muss eine<br />
anspruchsvolle Klientel faszinieren und emotional befriedigen.<br />
n VON PETRA-ANNA HERHOFFER<br />
Selbstständig zu arbeiten, heißt selber<br />
ständig zu arbeiten, nicht wahr?“<br />
Bianca Röddiger lacht und nimmt den<br />
Anruf eines Kunden entgegen: „Ja, ihr<br />
Anzug ist zur Abholung bereit.“ Röddiger<br />
betreibt mit ihrem Mann Stefan Sicking<br />
im Münchner Lehel ein Schneideratelier.<br />
Der Verleger Hubert Burda gehört zu den<br />
Kunden, ebenso wie Dirigent Christian<br />
Thielemann.<br />
Schneidermeister Sicking bezeichnet<br />
seine handgefertigten Produkte selbstbewusst<br />
als Luxus. „Wir waren uns immer<br />
einig darüber, dass wir beste Qualität<br />
und Design zu attraktiver Kleidung für<br />
Männer und Frauen verdichten wollen.<br />
Mit Mode hat das nichts zu tun, vielmehr<br />
mit dem Wunsch unserer Kunden etwas<br />
Einzigartiges, Persönliches tragen zu<br />
wollen“, erläutert der Unternehmer.<br />
Gerade eröffnet Sicking einen Showroom<br />
in der Residenzpassage, um dem<br />
Publikum ein Schaufenster zu bieten –<br />
vor allem den in München zahlreichen<br />
Edeltouristen aus Russland und den<br />
arabischen Ländern. „Statt Geld für Werbung<br />
auszugeben, investieren wir in diesen<br />
Raum, bei 5000 Euro Miete und in<br />
dieser Lage, allerdings mit einem Jahr<br />
Sonderkündigungsrecht“, sagt Sicking,<br />
gewandet in einen eleganten Dreiteiler<br />
aus eigener Produktion.<br />
In so einem Anzug stecken etwa 75 Arbeitsstunden.<br />
Inklusive Vollmaß und Anproben<br />
würde er etwa 4000 Euro kosten.<br />
Das Geschäft in diesem Segment sei ein<br />
Kampf geblieben, bekennen Sicking und<br />
Röddiger. Die beiden wollen daher künftig<br />
stärker auf Maßkonfektion setzen.<br />
„So können wir mehr und günstiger verkaufen<br />
und eine junge, noch nicht so etablierte<br />
Klientel ansprechen, ohne unser<br />
Kerngeschäft zu schädigen oder unsere<br />
Ideale zu verraten“, erklärt Röddiger.<br />
Kein Kredit in der Startphase<br />
Der exklusive Handwerksbetrieb bildet<br />
aus Kostengründen nicht aus. Schneider,<br />
die den Qualitätsansprüchen genügen<br />
könnten, gibt es kaum. Auf Banken ist<br />
das Unternehmerpaar schlecht zu sprechen,<br />
seit verschiedene Geldinstitute in<br />
den ersten schwierigen Jahren Kredite<br />
verweigerten und schließlich nur nach<br />
Luxus ist menschlich<br />
Die Liebhaber/innen luxuriöser Güter wie etwa<br />
feiner Schuhe mögen das Besondere und haben<br />
ein Bedürfnis nach sozialer Abgrenzung.<br />
Darauf beruht die Strategie im Luxussgement.<br />
Die Produkte sind langlebig, sie erfüllen ein<br />
Bedürfnis nach Substanz und Werten. Viele<br />
Handwerksbetriebe erzeugen zwar beste<br />
Qualität, vermögen es jedoch nicht, ihre Produkte<br />
von der Herstellung bis zur Verpackung<br />
emotional so aufzuwerten, dass Kunden mehr<br />
dafür bezahlen. Dabei gäbe es genügend<br />
Abnehmer: Auch wer nur über begrenzte<br />
Mittel verfügt, möchte sich gelegentlich ein<br />
teures Produkt leisten und eine emotionale<br />
Verbindung mit ihm eingehen. FOTO: DPA<br />
einer Depoteröffnung gewährten. Heute<br />
setzen die beiden auf ihre eigene Kraft<br />
und organisches Wachstum.<br />
Auch Schumachermeister Benjamin<br />
Klemann hat sich im Luxussegment und<br />
einem alten Hamburger Stadthaus eingerichtet.<br />
Er fand ein Geldinstitut, das<br />
in der schwierigen Anfangszeit Ende der<br />
80er-Jahre einen Kredit von 28.000 Mark<br />
bewilligte. Heute seien seine Auftragsbücher<br />
„randvoll“, sagt der Schuster. Ein<br />
Paar Schuhe kosten hier 1800 Euro und<br />
mehr, die Wartezeit beträgt etwa sieben<br />
Monate. Doch wissen Klemanns Kunden<br />
handwerkliche Qualität, individuelle<br />
Passformen und den diskreten Umgang<br />
offenbar ebenso zu schätzen wie den Service:<br />
Kunden können jeden in der Werkstatt<br />
gefertigten Schuh jederzeit zur Aufarbeitung<br />
zurückschicken.<br />
Klemann hat sein Handwerk bei einem<br />
ungarischen Meister gelernt und bildet<br />
auch selbst Gesellen aus. Diese werden<br />
oft mit Preisen ausgezeichnet und gehören<br />
„zur Bundesliga deutscher Schuhmacher“,<br />
sagt der Schuster nicht ohne Stolz.<br />
Einmal im Monat reist er nach Berlin und<br />
Düsseldorf, um seine Geschäftspartner –<br />
vor allem edle Boutiquen und Schneiderateliers<br />
– zu beliefern.<br />
Luxusleder aus dem Schiffswrack<br />
Als einer von nur drei Maßschuhmachern<br />
weltweit wird er vom Duke of Cornwall<br />
mit seltenem russischen Juchtenleder<br />
beliefert. Es stammt aus dem Wrack<br />
der vor 38 Jahren vor Plymouth geborgenen<br />
S.S. Metta Katharina und hat mehr<br />
als 180 Jahre im Salzwasser unbeschadet<br />
überstanden. Ein Nischenprodukt aus so<br />
exklusivem und mit einer spannenden<br />
Geschichte verbundenem Material – Marketingprofis<br />
sprechen von Storytelling –<br />
lässt sich besonders teuer verkaufen.<br />
Einer, von dem man ebenfalls lernen<br />
kann, wie Kunden zu Fans werden, ist<br />
Gerd-Rüdiger Lang, Gründer und Eigentümer<br />
der Münchener Uhrenmanufaktur<br />
Chronoswiss. Die Unternehmensgeschichte<br />
ist in einem leinengebundenen<br />
Buch nachzulesen, der Titel: „Zeitzeichen<br />
– Das Buch mit dem Tick“: Der Siegeszug<br />
der Quarzuhr machte den Uhrmachermeister<br />
zunächst arbeitslos. Zum erfolgreichen<br />
Unternehmer wurde Lang dank<br />
seines damals noch mutigen Festhaltens<br />
an traditioneller Uhrmacherkunst. Mit<br />
dem Modell „Régulateur“, einer Armbanduhr<br />
mit getrennten Anzeigen für<br />
Stunde, Minute und Sekunde, schuf Lang<br />
eine vielfach kopierte Produktikone. Die<br />
Banken verwehrten ihm Startkapital, „zu<br />
Recht“ wie Lang heute selbstkritisch sagt.<br />
„Wir verkaufen kein Produkt über den<br />
Preis, wir verkaufen einen Wert“, erklärt<br />
Lang – genau das richtige Motto für<br />
Handwerksbetriebe, die das Mittelmaß<br />
überwinden und das Wesen des Luxus<br />
verstehen wollen, um daraus eine Geschäftsstrategie<br />
zu entwickeln. <br />
<br />
Die Autorin führt das Inlux Institut für Luxus in<br />
München und unterrichtet das Fach Luxury<br />
Management an der Munich Business School.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
18<br />
MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN<br />
ENERGIEWENDE II<br />
Sanieren heißt<br />
nicht immer sparen<br />
Experten erwarten, dass das Förderprogramm des Bundes zur energetischen Sanierung von<br />
Wohnimmobilien die Nachfrage nach Modernisierungskrediten steigert. Bei der Darlehensvergabe<br />
sollten Sparkassen aber vorsichtig kalkulieren. Viele Maßnahmen senken den Energieverbrauch<br />
nur geringfügig. Bei knapp kalkulierten Finanzierungen kann es für Kreditnehmer eng werden.<br />
n VON RICHARD HAIMANN<br />
Egal, ob eine Wärmepumpe oder eine<br />
Pelletheizung eingebaut wird oder<br />
die Außenfassade eine massive zusätzliche<br />
Dämmung erfährt: Auf dem Papier<br />
führen diese Maßnahmen mitunter zu<br />
deutlichen Reduzierungen des Heizenergieverbrauchs.<br />
In der Praxis sieht dies<br />
allerdings oft ganz anders aus. „Die Einsparberechnungen<br />
vieler Sanierungsunternehmen<br />
und Gutachter beruhen nur<br />
auf theoretischen Formeln, die mit der<br />
Realität wenig gemein haben“, sagt der<br />
Architekt und Diplom-Ingenieur Konrad<br />
Fischer aus Hochstadt am Main. Das Resultat:<br />
„Viele Eigentümer machen lange<br />
Gesichter, wenn ihre Heizkosten nach der<br />
teuren energetischen Sanierung ihres<br />
Hauses genauso hoch wie vorher sind<br />
oder nur geringfügig niedriger ausfallen“,<br />
sagt der unabhängige Bausachverständige.<br />
Die Erfahrung des Experten bestätigt<br />
eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung<br />
Halle (IWH). Danach verringert<br />
sich in solide gebauten Mehrfamilienhäusern<br />
aus der Gründerzeit der<br />
Heizenergieverbrauch nach einer kompletten<br />
Sanierung gemäß den Vorgaben<br />
der Ener gieeinsparverordnung (EnEV)<br />
durchschnittlich nur um 10,6 Prozent.<br />
Trotz der mehr als 100.000 Euro teuren<br />
Arbeiten sinkt der Verbrauch der Erhebung<br />
zufolge im Schnitt nur von zuvor<br />
141 Kilowattstunden pro Quadratmeter<br />
und Jahr auf 126 Kilowattstunden.<br />
Selbst KfW warnt vor hohen Kosten<br />
Bei Häusern, die zwischen 1950 und<br />
1960 errichtet wurden, fällt die Energieersparnis<br />
zwar größer aus, weil in dieser<br />
Wiederaufbauphase nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg häufig minderwertige Baustoffe<br />
verwendet wurden. Mit einer vom<br />
IWH ermittelten durchschnittlichen<br />
Verbrauchssenkung von 27 Prozent hält<br />
sich das Einsparpotenzial dennoch in<br />
Grenzen. Familien, die bislang 3000 Euro<br />
pro Jahr für ihre Heizkosten aufwandten,<br />
müssen nach der Sanierung noch immer<br />
2190 Euro pro Jahr aufwenden – eine Ersparnis<br />
von lediglich 810 Euro im Jahr.<br />
Selbst die Staatsbank KfW, von der<br />
Bundesregierung beauftragt, die energetische<br />
Modernisierung von Wohngebäuden<br />
mit Zuschüssen und zinsgünstigen<br />
Darlehen zu fördern, kommt in einer<br />
Wirtschaftlichkeitsanalyse zu dem<br />
Schluss, dass die Sanierungskosten die<br />
Heizenergieersparnis weit übersteigen.<br />
Eigennutzer könnten die Aufwendungen<br />
zur energetischen Sanierung „allein<br />
durch die eingesparten Brennstoffkosten<br />
nicht finanzieren“, schreibt Studienautor<br />
Martin Müller.<br />
Deshalb schrecken bislang viele Hausbesitzer<br />
davor zurück, ihre<br />
Immobilien zu modernisieren.<br />
Seit 2005 wurden pro Jahr lediglich<br />
0,8 Prozent der bis 1995<br />
errichteten 15,6 Mio. Wohngebäude<br />
im Land modernisiert,<br />
hat das Institut für Wohnen<br />
und Umwelt (IWU) in einer Untersuchung<br />
ermittelt. Das ist<br />
zu wenig, um die ehrgeizigen<br />
Klimaschutz- und Energieeinsparziele<br />
der Bundesregierung<br />
zu erfüllen. Um die Emissionen<br />
von Kohlendioxid (CO 2<br />
) und<br />
den Heizenergieverbrauch im<br />
erwünschten Umfang zu senken,<br />
müssten mindestens zwei<br />
Prozent des mehr als 16 Jahren<br />
alten Wohnungsbestands pro<br />
Jahr energetisch saniert werden.<br />
Deshalb hat Berlin nun ein massives<br />
Förderprogramm mit steuerlichen<br />
Sonderabschreibungen auf den Weg<br />
gebracht, um die Modernisierung von<br />
Wohnimmobilien vom nächsten Jahr<br />
an kräftig voranzutreiben (Seiten 6 und<br />
7). Experten gehen davon aus, dass zahlreiche<br />
Grundeigentümer die Anreize<br />
nutzen werden, um ihre Häuser besser zu<br />
dämmen und die Heizungsanlagen zu erneuern.<br />
Weil die komplette energetische<br />
„Die Nachfrage<br />
nach<br />
Modernisierungskrediten<br />
wird<br />
deutlich<br />
steigen.”<br />
Günter Vornholz,<br />
Leiter Immobilienresearch,<br />
Deutsche Hypo<br />
Sanierung eines Eigenheims 70.000 Euro<br />
und mehr verschlingt, werden jedoch nur<br />
die wenigsten Besitzer die Kosten ohne<br />
Fremdfinanzierung stemmen können.<br />
„Die Nachfrage nach Modernisierungskrediten<br />
bei Banken und Sparkassen<br />
wird deutlich steigen“, sagt Günter Vornholz,<br />
Leiter Immobilienresearch bei der<br />
Deutschen Hypo.<br />
Brennwertthermen oft von Vorteil<br />
Da Sanierungsmaßnahmen jedoch nicht<br />
unbedingt zu einer deutlichen Senkung<br />
der Heizkosten führen, sollten Grundeigentümer<br />
und Kreditinstitute bei der<br />
Finanzierungskalkulation nicht zu optimistisch<br />
vorgehen, rät Corinna Merzyn,<br />
Geschäftsführerin des Verbands Privater<br />
Bauherren (VPB). „Bei den Berechnungen<br />
sollte berücksichtigt<br />
werden, dass die Heizkosten<br />
trotz der Modernisierung<br />
nur moderat fallen oder sogar<br />
steigen.“ Auch in diesem Fall<br />
sollten die Besitzer noch über<br />
ausreichende Finanzkraft verfügen,<br />
um Zins und Tilgung bedienen<br />
zu können.<br />
Dass hohe Investitionen nicht<br />
unbedingt zu geringeren Energiekosten<br />
führen, hatten in<br />
den vergangenen Jahren jene<br />
Eigentümer erfahren, die ihr<br />
Haus für rund 21.000 Euro auf<br />
eine Pelletheizung umgerüstet<br />
haben. In diesen Anlagen<br />
werden Pressholz-Rundlinge<br />
verbrannt. Da Holz ein nachwachsender<br />
Rohstoff ist und Bäume Kohlendioxid<br />
in Sauerstoff umwandeln, verbessert<br />
der Einsatz dieser Öfen zwar die rechnerische<br />
CO 2<br />
-Emissionsbilanz. „Die<br />
Heizkosten der Eigentümer sind jedoch<br />
nicht gesunken“, sagt Merzyn. „Denn die<br />
steigende Nachfrage nach dem erneuerbaren<br />
Brennstoff trieb die Pelletpreise<br />
kräftig in die Höhe.“<br />
Hingegen könnten Besitzer älterer Häuser<br />
in jedem Fall profitieren, wenn sie<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN 19<br />
Vorsicht Erbfall<br />
Eigenheimbesitzer im Rentenalter gelangen<br />
durch die energetische Sanierung ihrer<br />
Immobilie kaum in den Genuss von Steuervorteilen,<br />
sie bürden ihren späteren Erben<br />
jedoch möglicherweise eine deutlich stärkere<br />
Steuerbelastungen auf. „Durch die Modernisierung<br />
gewinnt die Immobilie an Wert, die beim<br />
späteren Erbfall die Erbschaftssteuer in die<br />
Höhe treiben kann“, sagt Gerold Happ, Jurist<br />
beim Eigentümerverband Haus & Grund. Diese<br />
Gefahr bestehe insbesondere in Süddeutschland<br />
und in Ballungszentren, wo die Immobilienpreise<br />
besonders hoch sind und oftmals den<br />
ihre betagte Heizungsanlage durch moderne<br />
Gas- oder Ölbrennwertthermen<br />
ersetzen. „Auf diese Weise lässt sich<br />
der Energieverbrauch für Heizung und<br />
Warmwasser in der Regel um rund<br />
30 Pro zent reduzieren“, sagt Schorsch<br />
Tschürtz, Ener gieexperte beim Verbraucherzentrale<br />
Bundesverband (VZBV) (siehe<br />
Kasten). Anschaffung und Installation<br />
einer neuen Gasbrennwerttherme kosten<br />
rund 8500 Euro. Bei einem neuen Ölheizkessel<br />
sind es rund 10.000 Euro.<br />
„Diese Aufwendungen machen sich<br />
nach weniger als zwölf Jahren durch die<br />
Verbrauchseinsparung bezahlt“, sagt Andreas<br />
Müller, Vize-Hauptgeschäftsführer<br />
des Zentralverbands Sanitär, Heizung,<br />
Klima. „Eigentümer, die bislang 3000<br />
Euro pro Jahr für Gas oder Öl ausgeben,<br />
können durch die Umrüstung auf einen<br />
energieeffizienten Brennwertkessel ihre<br />
Kosten um rund 900 Euro auf nur noch<br />
2100 Euro senken.“ Zudem sei die Technik<br />
ausgereift und daher besonders solide.<br />
„Eigentümer profitieren deshalb nach<br />
der Amortisierungsphase für viele Jahre<br />
vom reduzierten Verbrauch“, sagt Müller.<br />
„Heutige Brennwertkessel halten in der<br />
Regel mindestens 26 Jahre.“<br />
Skeptisch sehen Experten hingegen<br />
Wärmepumpen. Die Anlagen entziehen<br />
dem Erdreich durch Sonden Wärme. Diese<br />
wird von elektrisch betriebenen Kompressoren<br />
verdichtet und an den Heizwasserkreislauf<br />
im Haus übertragen. In<br />
der Theorie benötigen die Pumpen nur<br />
wenig Strom. „In der Praxis ist der Energiebedarf<br />
jedoch meist deutlich höher“,<br />
weiß der Bausachverständige Dirk Rüppel.<br />
Mitunter übersteige die Stromrechnung<br />
sogar die früheren Kosten für Öl<br />
oder Gas. Der Grund: Die Anlagen entziehen<br />
dem Untergrund oftmals im Winter<br />
mehr Wärme als die Sonne in den Sommermonaten<br />
nachheizen kann, erläutert<br />
Michael Hell, Energieberater der Verbraucherzentrale<br />
Hamburg. „Am Ende<br />
wird der Garten zum Permafrostboden.“<br />
Um im Winter überhaupt noch Wärme<br />
zu liefern, müsse die Kompressorpumpe<br />
immer kräftiger arbeiten.<br />
Dass trotz einer verbesserten Dämmung<br />
der Außenfassade der Heizenergieverbrauch<br />
oftmals nur geringfügig sinkt, liege<br />
an der soliden Bauweise vieler älterer<br />
Häuser, erläutert die Diplom-Ingenieurin<br />
Eva Reinhold-Postina. „In der Gründerzeit<br />
wurden Gebäude so massiv errichtet,<br />
dass der Wärmeverlust durch die Mauern<br />
sehr gering ist.“ Eine nennenswerte Energieverbrauchsersparnis<br />
sei allein durch<br />
den Einbau moderner Fenster möglich.<br />
Sanierung als Kostentreiber<br />
Bei Häusern mit Klinkerwänden könne<br />
eine nachträglich angebrachte Fassadendämmung<br />
sogar zu einem höheren<br />
Energieverbrauch führen, weiß Jens<br />
Fehrenberg, Professor für Baukonstruktion<br />
an der Hochschule für angewandte<br />
für Kinder geltenden Freibetrag von 400.000<br />
Euro übersteigen. Hingegen könnten ältere<br />
Eigentümer von der vom nächsten Jahr an geltenden<br />
Sonderabschreibung für energetische<br />
Sanierungsmaßnahmen kaum profitieren,<br />
sagt Corinna Merzyn, Geschäftsführerin des<br />
Verbands Privater Bauherren. „Die steuerliche<br />
Belastung von Rentnern ist zu gering, um<br />
einen Vorteil zu erzielen.“ Wegen der langen<br />
Amortisierungszeit der Modernisierungsmaßnahmen<br />
würden die meisten älteren Eigentümer<br />
auch nicht von verringerten Heizenergiekosten<br />
profitieren können.<br />
Wissenschaft in Hildesheim. Diese seit<br />
den 20er Jahren vor allem in Nord- und<br />
Westdeutschland errichteten Gebäude<br />
speichern in ihren Ziegelsteinen die Wärme<br />
der Sonnenstrahlen und verhindern<br />
damit Heizenergieverluste. „Durch die<br />
zusätzliche Dämmung geht dieser Effekt<br />
verloren“, sagt Fehrenberg.<br />
Das bestätigt eine von ihm vorgenommene<br />
Vergleichsuntersuchung zweier<br />
Miethäuser mit Klinkerwänden einer<br />
Wohnungsgesellschaft in Hannover.<br />
Die se hatte das eine Gebäude zusätzlich<br />
dämmen lassen, das andere Haus hingegen<br />
nicht. „Zuvor waren die Heizkosten<br />
in beiden Häusern weitgehend identisch“,<br />
sagt Fehrenberg. „Seither sind sie<br />
im modernisierten Gebäude jedoch Jahr<br />
für Jahr um rund 13 Prozent höher als im<br />
unsanierten Haus.“<br />
n<br />
Mit der Frage, was die Energiewende für die<br />
Sparkassen bedeutet, beschäftigt sich auch das<br />
Dossier der „<strong>Sparkassenzeitung</strong>“ Nr. 28 (Erscheinungstermin:<br />
15. Juli).<br />
Brennwerttechnik: Später<br />
Sieg gegen die Bürokratie<br />
Seine Erfindung erlebt jetzt einen neuen<br />
Schub: Der Brennwertkessel. Als der<br />
Müllermeister Richard Vetter 1982 entdeckt<br />
hatte, dass auch die Kondensationswärme<br />
des Wasserdampfs im Abgas einen hohen<br />
Heizwert hat, reagierten Ingenieure und<br />
Bürokraten zunächst ungläubig. Der Erfinder<br />
des „Spar ofens“ musste viel Überzeugungsarbeit<br />
leisten. Der„Wunderofen aus Peine“<br />
funktionierte zwar tadellos, doch das Genehmigungsverfahren<br />
zog sich vier Jahre in die<br />
Länge. TÜV-Beamte hatten die Temperatur der<br />
Ofenabgase falsch gemessen und für zu heiß<br />
befunden. Dabei erwärmen sich die schwefelarmen<br />
Dämpfe höchstens auf 30 Grad. Der<br />
Ofen braucht damit weder ein Abzugsrohr aus<br />
Stahl noch einen feuerfesten Kamin. Zudem<br />
verbrennt der mit einem doppelten Wärmetauscher<br />
ausgerüstete Ofen nur halb so viel<br />
Energie wie herkömmliche Hausbrand-Kessel.<br />
Innovativer Müllermeister: Richard Vetter, hier vor einem seiner Öfen, erfand 1982 das<br />
umweltfreundliche Brennwertverfahren, heute heiztechnischer Standard. FOTO: VERITHERM<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
20<br />
MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN<br />
ENERGIEBERATUNG<br />
Sparfinder beraten Hausbesitzer<br />
55 Energiespar-Scouts der Sparkasse Nürnberg helfen Immobilieneigentümern beim Sparen.<br />
n VON HORST PETER WICKEL<br />
Viele Eigentümer von Häusern und<br />
Wohnungen ärgern sich zwar über<br />
hohe Heizkosten, aber „viele glauben,<br />
dass sich eine Sanierung nicht rechnet“,<br />
sagt Esther Klein, Fachberaterin der Sparkasse<br />
Nürnberg. Da sich auch diverse<br />
Kunden des Instituts bisher nicht mit<br />
dem Thema Energiesparen beschäftigt<br />
haben, hat die Sparkasse, gemeinsam mit<br />
Architekten, Energieberatern, Handwerkern,<br />
Bauunternehmen und Maklern, gut<br />
50 Energiespar-Scouts ausbilden lassen.<br />
Dozent war der Experte Ronny Meyer.<br />
Nach Meyers Vorstellungen sollen die<br />
Scouts Bauherren, Haus- und Immobilieneigentümer<br />
„hilfegebend und gewerkeunabhängig<br />
an die Hand nehmen<br />
und in ein qualitätsorientiertes Netzwerk<br />
von Spezialisten führen können“. In der<br />
siebenstündigen Ausbildung wurde den<br />
Teilnehmern aus unterschiedlichen Bereichen<br />
ein fachlich fundiertes Gesamtbild<br />
energiesparenden Bauens und Modernisierens<br />
vermittelt.<br />
Neben den Grundlagen der Bauphysik<br />
gehörten Fördermittel, die Komponenten<br />
der Gebäudehülle, Informationen<br />
zu innovativen Haustechniken und die<br />
häufigsten Energiespar-Irrtümer zur<br />
Schulung. So wird deutlich, wie man potenzielle<br />
Kunden zum Handeln motiviert<br />
und welche Anspracheanlässe es gibt. In<br />
einem Aufbauseminar geht es um Detailwissen<br />
zu Haustechnik oder der Erstellung<br />
eines amtlichen Energieausweises.<br />
Um mit dem Thema möglichst viele<br />
Kunden zu erreichen, veranstaltete die<br />
Sparkasse Nürnberg Ende 2010 eine Energiespar-Show.<br />
Der Bau-Profi Meyer<br />
übermittelte gut 500 Besuchern Informationen<br />
zum Sanieren. Bei einer Podiumsdiskussion<br />
mit Energiespar-Scouts<br />
des Instituts und seiner Netzwerkpartner<br />
gab es Tipps zur richtigen Dämmung der<br />
Fassade und dem Dach, zu Fenstermodellen,<br />
Heizung- und Fotovoltaik-Anlagen –<br />
und zu Finanzierungsmöglichkeiten.<br />
Fast zwei Drittel der Eigenheime in<br />
Bayern sind älter als 30 Jahre alt. Nach<br />
Angaben der LBS sind diese Häuser ungedämmt<br />
und verbrauchen drei- bis<br />
sechsmal so viel Energie wie ein heutiger<br />
Neubau. Vor allem fehlende oder ungenügende<br />
Dämmung des Dachs und der<br />
Außenwände, ineffiziente Heizanlagen<br />
oder alte Fenster sind Kostentreiber. Zwar<br />
hat jeder fünfte Hausbesitzer in Bayern<br />
in den vergangenen Jahren Modernisierungen<br />
unternommen, aber nach einer<br />
aktuellen Studie des Marktforschungsinstituts<br />
GfK haben 41 Prozent aller Eigenheimbesitzer<br />
in Bayern (bundesweit<br />
34 Prozent) noch nie modernisiert.<br />
Bayern investieren zehn Mrd. Euro<br />
Scouts der Sparkasse Nürnberg: Esther Klein<br />
(r.) und Daniela Taubmann mit ihren<br />
Urkunden. <br />
FOTO: SPARKASSE NÜRNBERG<br />
Fachleute empfehlen eine umfassende<br />
energetische Überarbeitung älterer Gebäude.<br />
Dazu gehören in der Regel die<br />
Dämmung der oberen Geschoss- und der<br />
Kellerdecke, der Rohrleitungen und der<br />
Außenwände. „Aber die meisten denken<br />
zuerst an neue Fenster und eine moderne<br />
Heizungsanlage“, sagt Energiespar-<br />
Expertin Klein. Bei der Bestellung einer<br />
neuen Heizung übersehen sie teilweise<br />
sogar, dass ein gut gedämmtes Haus auch<br />
mit einer kleineren Anlage auskommt.<br />
Während ihrer ersten Beratungsgespräche<br />
stellten die Scouts fest, dass gerade<br />
Selbstnutzer von Eigenheimen nur<br />
wenig über Einsparmöglichkeiten wissen.<br />
„Viele wissen gar nicht, wie viel Energie<br />
sie beim Heizen überhaupt verbrauchen“,<br />
sagt Klein. Viele glauben noch,<br />
dass die Wände nicht mehr atmen können,<br />
wenn sie effektiv gedämmt werden.<br />
Auf jeden Fall werden die bayerischen<br />
Eigenheimbesitzer in den nächsten Jahren<br />
erheblich in die energetische Sanierung<br />
ihrer Ein- und Zweifamilienhäuser<br />
investieren, nach der GfK-Studie rund<br />
10,3 Mrd. Euro in Bayern. Oberbayern<br />
und Schwaben können mit dem stärkstem<br />
Modernisierungsschub rechnen<br />
– jährliche Investitionen von 2,4 beziehungsweise<br />
2,2 Mrd. Euro sind dort geplant.<br />
In Unterfranken werden Ausgaben<br />
in Höhe von 1,3 Mrd. Euro erwartet,<br />
in Mittel- und Oberfranken jeweils 1,2<br />
Mrd., in der Oberpfalz und Niederbayern<br />
jeweils eine Mrd. Euro.<br />
<br />
Grüne Blaupause:<br />
Bei der energetischen Modernisierung<br />
von Wohngebäuden herrscht<br />
Beratungsbedarf.<br />
FOTO: DPA<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
Chronik<br />
21<br />
28. Juni<br />
Nach jahrelangem Zögern<br />
schlägt die EU-Kommission<br />
vor, eine europaweite<br />
Finanztransaktionssteuer<br />
einzuführen. Die<br />
Jahreserträge sollen bei<br />
zehn bis 20 Mrd. Euro pro<br />
Jahr liegen und der<br />
Teilfinanzierung des<br />
EU-Haushalts dienen.<br />
27. Juni<br />
Wichtige Banken sollen<br />
deutlich höhere Kapitalpolster<br />
bilden als normale<br />
Institute. Darauf einigt sich<br />
der Baseler Bankenausschuss.<br />
„Das wird zur<br />
Widerstandsfähigkeit des<br />
Bankensystems beitragen“,<br />
sagt der Vorsitzende<br />
des Gremiums, Nout<br />
Wellink.<br />
25. Juni<br />
Nach erbitterten<br />
Personaldebatten ernennt<br />
der EU-Gipfel in Brüssel<br />
den Italiener Mario<br />
Draghi (Foto) zum neuen<br />
Präsidenten der Europäischen<br />
Zentralbank (EZB).<br />
Er wird am 1. November<br />
Nachfolger von EZB-Chef<br />
Jean-Claude Trichet.<br />
24. Juni<br />
Der deutsche Aufschwung<br />
kommt auf dem Kreditmarkt<br />
an. Das berichtet<br />
die staatseigene<br />
Kfw-Bankengruppe.<br />
Demnach stieg die<br />
Kreditvergabe von Januar<br />
bis März im Vorjahresvergleich<br />
um knapp vier<br />
Prozent.<br />
29. Juni<br />
Eindeutige Handzeichen: Demonstranten vor dem Parlament in Athen protestieren<br />
gegen die harte Sparpolitik von Ministerpräsident Georgios Papandreou und fordern<br />
den Rücktritt der Regierung. Unterdessen genehmigen die griechischen Abgeordneten<br />
auch das neue Sparpaket, was den Staat vorerst rettet und in Europa für große<br />
Erleichterung sorgt. In der Folge stellen deutsche Großbanken in Aussicht, sich an<br />
einer Rettungsaktion Griechenlands beteiligen zu wollen. Zuvor hatten bereits<br />
französische Banken einen ähnlichen Vorstoß unternommen.<br />
FOTOS: DPA<br />
Der Fahrplan zur<br />
Zerschlagung der WestLB<br />
steht fest. Die Eigentümer<br />
und der Bund einigen<br />
sich darauf, dass die<br />
Landesbank bis Ende<br />
Juni 2012 in eine<br />
Verbundbank für die<br />
Sparkassen und eine<br />
landeseigene Bank für<br />
Service und Portfoliomanagement<br />
aufzuteilen.<br />
Land und Sparkassen<br />
unterstützten das Modell<br />
mit jeweils einer Mrd.<br />
Euro, der Bund steuert<br />
zwei Mrd. Euro bei.<br />
EU-Kommissar Joaquin<br />
Almunia spricht von<br />
einem „großen Schritt<br />
nach vorn“.<br />
23. Juni<br />
Das Bundeskartellamt<br />
verlangt eine weitere<br />
Senkung der Gebühren,<br />
die Bankkunden für die<br />
Nutzung der Geldautomaten<br />
fremder Institute<br />
zahlen müssen. Auf dem<br />
Land seien Kunden<br />
meistens einer Sparkasse<br />
oder einer Genossenschaftsbank<br />
„ausgeliefert“,<br />
kritisiert Behördenchef<br />
Andreas Bundt (Foto).<br />
22. Juni<br />
Das Geldvermögen der<br />
Deutschen hat bis Ende<br />
2010 das Rekordniveau<br />
von 4,93 Billionen Euro<br />
erreicht. Das sind fünf<br />
Prozent mehr als im<br />
Vorjahr. Nur fünf Prozent<br />
der Anleger sind in Aktien<br />
investiert. Zwei Drittel des<br />
Vermögens sind Spar-,<br />
Sicht- und Termineinlagen<br />
sowie Versicherungsgeld.<br />
21. Juni<br />
Immer mehr Anleger<br />
klagen gegen Banken.<br />
Am zuständigen<br />
Landgericht Frankfurt<br />
wurden 2010 insgesamt<br />
2649 solcher zivilrechtlicher<br />
Klagen eingereicht.<br />
Ein Jahr zuvor waren es<br />
noch 1200 Fälle. Meist<br />
geht es um angeblich<br />
nicht ausreichende<br />
Produktinformationen<br />
oder verschwiegene<br />
Provisionen.<br />
20. Juni<br />
Die Haspa Finanzholding<br />
will mit 25,1 Prozent bei<br />
der KSK Herzogtum<br />
Lauenburg in Ratzeburg<br />
einsteigen. Damit<br />
beteiligt sich erstmals in<br />
Deutschland eine freie<br />
Sparkasse länderübergreifend<br />
an einem<br />
kommunalen Institut.<br />
Das Kieler Sparkassengesetz<br />
ermöglicht dies.<br />
Die verbindliche<br />
Einführung des<br />
gemeinsamen europäischen<br />
Zahlungsraums<br />
(Sepa) wird auf den<br />
Sommer 2016 verlegt.<br />
Darauf einigen sich die<br />
EU-Finanzminister<br />
während ihrer Ratssitzung<br />
in Luxemburg und<br />
folgen damit einer<br />
Empfehlung des<br />
Zentralen Kreditausschusses<br />
(ZKA) der<br />
deutschen Kreditwirtschaft.<br />
11. Juni<br />
Der von der Bundesregierung<br />
angekündigte<br />
Einsatz von sogenannten<br />
verdeckten Ermittlern in<br />
Banken wird auf<br />
kommendes Jahr<br />
verschoben. Zunächst<br />
sollen Gesetzesgrundlagen<br />
für die heimlichen<br />
staatlichen Kontrollen<br />
von Bankberatern<br />
geschaffen werden.<br />
7. Juni<br />
Christopher Pleister,<br />
langjähriger Präsident<br />
des Bundesverbands der<br />
Volks- und Raiffeisenbanken,<br />
wird neuer<br />
Soffin-Chef. Er ist damit<br />
der erste Banker an der<br />
Spitze des staatlichen<br />
Bankenrettungsfonds,<br />
der nicht aus dem Lager<br />
der Landesbanken<br />
stammt. Pleister tritt die<br />
Nachfolge des ehemaligen<br />
Nord/LB-Chefs<br />
Hannes Rehm an,<br />
dessen Vertrag ausläuft.<br />
3. Juni<br />
Die europäische<br />
Bankenaufsicht EBA<br />
beklagt schwere<br />
Qualitätsmängel bei den<br />
bislang von den Banken<br />
eingereichten Stresstest-<br />
Daten. Mit Ergebnissen<br />
des umstrittenen<br />
europaweiten Stresstests<br />
sei daher erst mit<br />
mehreren Wochen<br />
Verzögerung zu rechnen.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
22<br />
MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN<br />
UNTERNEHMENSPORTRÄT<br />
Schnittiges Geschäft<br />
Klaus Klische und Andreas Ballon beliefern von Hamburg aus Hotels und Kantinen in der ganzen<br />
Republik mit Obstsalat. Die 1997 als Zwei-Mann-Betrieb gegründete Fresh Factory hat heute 110<br />
Mitarbeiter. Die Hamburger Sparkasse ist einer der wichtigsten Kreditgeber.<br />
n VON GREGORY LIPINSKI<br />
Klaus Klische ist redegewandt, selbstbewusst<br />
und sprüht vor Tatendrang.<br />
Und er weiß genau, was den Erfolg einer<br />
Firma ausmacht: „Der Wille zu harter<br />
Arbeit, Risikobereitschaft und eine gute<br />
Portion Glück“, sagt der Unternehmer gegenüber<br />
SPARKASSE.<br />
Glück – davon hatten Klische, geschäftsführender<br />
Gesellschafter der Hamburger<br />
Fresh Factory, und sein gleichberechtigter<br />
Partner Andreas Ballon reichlich.<br />
1997 machten die beiden gelernten Köche<br />
sich selbstständig. Ihre Geschäftsidee:<br />
portionierten Obstsalat an den<br />
Einzelhandel verkaufen. Sie mieteten<br />
im Hamburger Stadtteil Stellingen eine<br />
600 Quadratmetern große Halle, in der<br />
zuvor Blattsalate geschnitten wurden.<br />
„Andreas hat das Obst geschält und zerkleinert,<br />
und ich habe die Ware verkauft<br />
und ausgefahren“, erinnert sich der<br />
45-jährige Klische heute. Schnell zog der<br />
Absatz an. Bereits nach drei Monaten<br />
stellten sie die ersten Mitarbeiter ein.<br />
Heute ist die Fresh Factory GmbH & Co.<br />
KG mit 110 Beschäftigten bundesweit<br />
der führende Großhersteller von Obstsalat.<br />
Täglich werden hier zwischen 35 bis<br />
40 Tonnen Obstsalat und sortenreine<br />
Früchte produziert. Das geschnittene<br />
Obst geht an rund 200 Fachgroßhändler,<br />
die die Gebinde weiter an Hotels, Restaurants<br />
und Großküchen verkaufen. Geliefert<br />
wird auf Paletten in handlichen<br />
Fünf-Kilo-Eimern. Ein<br />
straffes Logistiksystem sorgt<br />
dafür, dass die Ware innerhalb<br />
von 24 Stunden seinen Abnehmer<br />
erreicht – deutschlandweit.<br />
Exotisch wie die Früchte sind<br />
auch die Namen der bunten<br />
Vitamin-Cocktails, die an einen<br />
Reisekatalog erinnern. Der<br />
Standardsalat heißt „Sevilla“.<br />
Er besteht aus grünen Äpfeln,<br />
blauen Weintrauben, Mangos,<br />
süßer Ananas und Wassermelonen.<br />
Exotischer ist „Sumatra“<br />
mit Papaya, Wasser- und Honigmelonen,<br />
Kiwis, Orangen, Ananas und Physalis.<br />
Das Kilo Obstsalat kostet zwischen drei<br />
und fünf Euro. Der Vertrieb der mehr<br />
als 20 verschiedenen Mischungen beschränkt<br />
sich fast ausschließlich auf<br />
Deutschland. „Unser südlichster Kunde<br />
sitzt am Bodensee“, sagt Klische. An eine<br />
„Wir erreichen<br />
pro Jahr<br />
einen Umsatz<br />
im zweistelligen<br />
Millionenbereich.“<br />
Fresh-Factory-Unternehmer<br />
Klaus<br />
Klische<br />
Expansion ins Ausland ist auch nicht<br />
gedacht, denn der Export brächte zu hohen<br />
logistischen Aufwand mit sich. In<br />
Deutschland läuft es prächtig: „Wir erreichen<br />
pro Jahr einen Umsatz im zweistelligen<br />
Millionenbereich“, erklärt Klische.<br />
Er und sein Partner halten jeweils<br />
50 Prozent der Anteile an<br />
der Fresh Factory.<br />
Jahrelang waren die beiden<br />
ehrgeizigen Geschäftsleute<br />
für die Block-House-Kette des<br />
Hamburger Gastronomen und<br />
Hoteliers Eugen Block tätig.<br />
Dort haben sie wesentlich zum<br />
Aufbau des Menübetriebs im<br />
mecklenburgischen Zarrentin<br />
beigetragen. Klische hat hier<br />
den Vertrieb aufgebaut, um<br />
den Absatz der Steak-House-<br />
Produkte im Lebensmittel-<br />
Einzelhandel anzukurbeln. Ballon leitete<br />
die Küche und war verantwortlich für die<br />
Produktentwicklung.<br />
An dieser Aufgabenverteilung hat sich<br />
im Prinzip nichts geändert: „Andreas<br />
kümmert sich um Einkauf und Produktion,<br />
ich bin für Vertrieb und Marketing<br />
zuständig“, sagt Klische, der mit seiner<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
MÄRKTE & K<strong>UND</strong>EN 23<br />
Ihre Geschäfte<br />
laufen wie<br />
geschnitten Obst:<br />
Die Fresh-Factory-Unternehmer<br />
Ballon (l.) und<br />
Klische haben<br />
servierfertigen<br />
Obstsalat<br />
salonfähig<br />
gemacht.<br />
FOTOS: FRESH FACTORY<br />
offenen, verbindlichen Art gut zu dieser<br />
Aufgabe passt. Der hochgewachsene Ballon<br />
wirkt ernsthaft und wortkarg, doch<br />
in der Produktentwicklung und technischen<br />
Umsetzung ist er eine Koryphäe.<br />
Nicht alle Banken begeistert die Idee<br />
Finanziert haben Klische und sein Kompagnon<br />
die Fresh Factory in der Startphase<br />
größtenteils über Fremdmittel. „Wir<br />
haben damals von der Hamburger Sparkasse<br />
ein Darlehen über 750.000 D-Mark<br />
aufgenommen. An Eigenkapital haben<br />
wir 180.000 D-Mark mitgebracht“, sagt<br />
Klische. Die Jung-Unternehmer hatten<br />
ein 80-seitiges Unternehmenskonzept<br />
ausgearbeitet, doch ihre Firmenidee kam<br />
nicht überall an. „Viele Banken haben<br />
unser Unternehmenskonzept für nicht<br />
so progressiv gehalten“, sagt Klische. Damals<br />
herrschte gerade Hochphase in der<br />
New Economy. Und viele Geldhäuser hätten<br />
lieber auf Internetfirmen mit Börsenplänen<br />
gesetzt.<br />
Anders die Haspa. „Die Hamburger<br />
Sparkasse ist sehr bodenständig, und<br />
wir sind im klassischen Industrie- und<br />
Dienstleistungssektor aktiv. Ich denke,<br />
das hat am Ende den Ausschlag für die<br />
Kreditvergabe gegeben“, sagt Klische.<br />
Auch an der weiteren Expansion wirkte<br />
die Haspa mit. Als die Geschäftsleute<br />
fünf Jahre nach der Firmengründung<br />
von der Deutschen Post ein ehemaliges<br />
Briefzustell-Lager im Hamburger Gewerbegebiet<br />
Billbrock kauften, griff ihnen<br />
die Sparkasse erneut unter die Arme.<br />
Mit hohem Aufwand bauten Klische und<br />
Ballon das Lager für ihre Zwecke um.<br />
„Wir haben viele Jahre keinen Urlaub gemacht,<br />
um die Fresh Factory am Standort<br />
in Billbrook nach unseren Vorstellungen<br />
auszurichten“, sagt Klische. In Billbrock<br />
schälen und zerkleinern Spezialmaschinen<br />
heute die Früchte im Sekundentakt.<br />
Eine Anlage entzieht der Umluft die<br />
Keime, um eine Mindesthaltbarkeit für<br />
den Obstsalat von zehn Tagen zu garantieren.<br />
Dennoch wird der Obstsalat zum Teil<br />
noch per Hand hergestellt. Für das vorsichtige<br />
Ablösen der Trauben von den<br />
Rispen sind 35 Frauen zuständig. Sie stehen<br />
in einer auf acht Grad Celsius heruntergekühlten<br />
Halle, der Boden ist gefliest,<br />
die Wände sind weiß. Außer weißen Arbeitsjacken,<br />
Gummischürzen und -stiefeln<br />
tragen die Frauen Mundschutz und<br />
Kopfhauben. Die Hygienevorschriften in<br />
der Lebensmittelherstellung sind streng.<br />
Die Äpfel kullern dagegen über ein<br />
Laufband aus dem Kühlraum in die<br />
Produktion. Eine meterhohe Maschine<br />
wäscht, schält und schneidet die Früchte<br />
im Sekundentakt. Anschließend kommen<br />
die Apfelstückchen in ein Wasserbad,<br />
wo sie ein Mitarbeiter inspiziert und<br />
in eine Kiste schaufelt. Gegenüber schälen<br />
und zerkleinern andere Maschinen<br />
Orangen, Ananas oder Honigmelonen.<br />
Die entkernten und geschnittenen Früchte<br />
laufen über Fließbänder und werden<br />
noch einmal von Mitarbeitern auf Kerne<br />
und Schalenreste kontrolliert.<br />
Danach steuern die Früchte ein speziell<br />
ausgetüfteltes Waagensystem an. Es<br />
mischt und portioniert das Obst und füllt<br />
es in weiße Eimer. Deren Deckel werden<br />
mit Barcodes versehen, die über die Herkunft<br />
der Ware informieren – wichtig bei<br />
Kundenreklamationen. In einem Röntgengerät<br />
werden die Fruchtsalat-Eimer<br />
auf Fremdkörper untersucht. Piept das<br />
Gerät, wird das Gefäß aussortiert. Meist<br />
handelt es sich um beim Aussieben übersehene<br />
Fruchtkerne.<br />
Nicht alle Früchte sind für die Salate<br />
geeignet, vor allem um Erdbeeren macht<br />
Klische einen Bogen. Wenn die Früchte<br />
im gesüßten Fruchtwasser schwimmen,<br />
werden sie schnell wässrig und färben<br />
auf andere Früchte rot ab. Kein Hotel<br />
oder Restaurant nähme dann den Obst-<br />
Cocktail ab, selbst wenn die Qualität einwandfrei<br />
sei.<br />
Bei den Trauben achtet Klische peinlich<br />
genau darauf, dass das Fruchtfleisch<br />
nicht zu dunkel ist. „Eine große Herausforderung<br />
in unserem Geschäft sind<br />
die natürlichen Produktschwankungen<br />
der Rohware. Wenn blaue Weintrauben<br />
saisonal bedingt ausfärben, führt das<br />
schnell zu Reklamationen“, sagt der Firmengründer.<br />
Darauf müsse sich der Einkauf<br />
einstellen.<br />
Kein Schutz vor Nachahmern<br />
Fertiger Obsalat liegt im „Convenience“-Trend<br />
Dass die „Fresh Factory“ zuletzt gewachsen<br />
ist, liegt auch an der steigenden Nachfrage<br />
nach Convenience-Produkten hierzulande. „Geschnittenes<br />
Obst- und Gemüse findet vor allem<br />
in der gehobenen Gastronomie regen Absatz“,<br />
sagt Andreas Brügger, Geschäftsführer des<br />
Deutschen Fruchthandelsverbands in Bonn.<br />
Viele Restaurants- und Hotels lassen sich den<br />
Direkt aus dem Hamburger Hafen oder<br />
Rotterdam erreichen die Fresh Factory jeden<br />
Morgen Mangos, Ananas, Kiwis, Melonen<br />
und Weintrauben aus aller Welt. Vier<br />
Mitarbeiter kümmern sich ausschließlich<br />
um die Qualitätssicherung. Stolz deutet<br />
Klische auf das IFS-Siegel im Eingangsbereich<br />
– das Zeichen für die höchste Qualitätsstufe,<br />
die ein Lebensmittelproduzent<br />
in Deutschland erhalten kann.<br />
Das Unternehmen ist weiterhin auf Expansionskurs.<br />
Genügend Platz für einen<br />
Ausbau der Halle in Billbrook bestünde<br />
noch, doch eine Entscheidung ist bislang<br />
nicht gefallen. Denn das Risiko ist hoch,<br />
dass kapitalkräftige Investoren die Geschäftsidee<br />
nachahmen. Klische: „Auf<br />
Obstsalat gibt es leider keinen Patentschutz.“<br />
<br />
bereits geschnittenen Obstsalat anliefern, um<br />
sich die zeitintensive Arbeit zu sparen. Auch im<br />
Handel findet Obstsalat immer mehr Abnehmer.<br />
Vor allem Frauen kaufen zunehmend<br />
exotische Früchte-Cocktails. Sie dienen meist<br />
als Mittagsmenü. Erst seit rund fünf Jahren ist<br />
der geschnittene Früchte-Mix aus dem Plastikbecher<br />
marktfähig.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
24<br />
KARRIERE<br />
AUSBILDUNG I<br />
Bei Bewerbern beliebt<br />
Der Beruf des „Bankers“ ist für junge Menschen weniger attraktiv als früher. Trotzdem gehen<br />
die Bewerberzahlen bei vielen Sparkassen nicht zurück. Einige Institute beobachten aber<br />
Qualifikationslücken, fehlende Verbindlichkeit und ausgeprägtes Sicherheitsdenken.<br />
n VON REINHOLD REHBERGER<br />
Bewerbermarketing wirkt: Sparkasse Neu-Ulm-Illertissen<br />
Anja Schuster (Foto),<br />
Leiterin Ausbildung:<br />
Entgegen dem Trend<br />
haben wir aktuell weder<br />
ein Qualitäts-, noch<br />
ein Quantitätsproblem,<br />
auch dank unseres<br />
Bewerbermarketings.<br />
So haben wir etwa die<br />
Auswahlprozesse effektiver<br />
gestaltet, um sehr<br />
schnell reagieren zu<br />
können. Wir bieten mehr Praktikumsplätze an<br />
als zuvor und haben das Bewerbertraining an<br />
den Schulen ausgebaut. Der Internet-Auftritt<br />
wurde neu gestaltet und das Thema Ausbildung<br />
mehr in den Fokus gestellt.<br />
Neue Ausbildungsplätze 2011: Insgesamt<br />
Laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage können nur noch wenige Berufe den Deutschen hohe<br />
Achtung abringen. Das höchste Ansehen genießen Medizinberufe, am untersten Ende der<br />
Skala rangieren Fernsehmoderatoren und Banker.<br />
GRAFIK: DPA<br />
18, davon 16 Bankkaufleute, zwei DH-Studienplätze<br />
Zahl der Azubis 2008 bis 2010: 34<br />
Besonderheiten: Seit 2009 bieten wir in<br />
Zusammenarbeit mit der Dualen Hochschule<br />
Baden-Württemberg (DHBW) in Ravensburg<br />
jährlich zwei DH-Studienplätze in unserer<br />
Sparkasse an. Dieses Angebot nehmen die<br />
Bewerbern sehr positiv auf. Die Studenten<br />
sehen es als hervorragende Kombination<br />
aus Theorie und Praxis mit äußerst effektiver<br />
Wissensvermittlung. Zudem kommen<br />
unsere Azubis über verschiedene Projekte<br />
– Sozialprojekt, Schnupperlehre, Azubi-<br />
Fete, Einführungstage, Organisation eines<br />
Gesundheitstags – bereits sehr früh mit<br />
dem Thema Verantwortung, Organisation<br />
und Teamarbeit in Berührung.<br />
Die jungen Leute machen reihum einen<br />
guten Eindruck. „Im Kopf gut sortiert,<br />
beim Outfit weder nachlässig noch<br />
overdressed.“ So beschreibt Matthias<br />
Roth seine Eindrücke von den neuen Bewerbern.<br />
Das stellvertretende Vorstandsmitglied<br />
der Sparkasse Donnersberg<br />
in Rheinland-Pfalz bemerkt außerdem<br />
noch „das frische Selbstbewusstsein“ der<br />
Kandidaten.<br />
Banker – ein Traumberuf? Während der<br />
vergangenen Jahren war über diesen<br />
Berufsstand vielmehr Nachteiliges zu lesen<br />
und zu hören: Raffgierige Gestalten<br />
hätten mit ihren Zockereien ganze Volkswirtschaften<br />
an den Rande des Ruins<br />
gebracht und dafür auch noch fette Boni<br />
eingestrichen.<br />
Je ramponierter der Ruf, desto mehr<br />
wuchs die Sorge, dass bald zu wenig geeignetes<br />
Nachwuchspersonal zur Verfügung<br />
stehen könnte. Denn wer würde<br />
schon gern einen Job machen wollen,<br />
dessen Prestige, wie bei der einschlägigen<br />
Allensbach-Umfrage aus diesem<br />
Jahr, auf dem vorletzten Rang landet?<br />
Bei der Frage nach den am meisten geschätzten<br />
Berufen nannten bei der Berufsprestige-Skala<br />
2011 nur vier Prozent<br />
der Befragten den Bankerberuf, der damit<br />
auf den zweitletzten Platz verwiesen<br />
wurde – noch hinter die Politiker (sechs<br />
Prozent) und Journalisten (17 Prozent).<br />
Eine Studie des Trendence-Instituts<br />
bestätigt solche Befürchtungen. Die<br />
Forscher analysieren seit Jahren die<br />
Arbeitgeber-Attraktivität von Unternehmen<br />
und vergleichen sie mit den Einstellungen<br />
von Schülern zu ihrer Berufs- und<br />
Studienwahl. Im vergangenen Jahr fanden<br />
die Berliner Sozialwissenschaftler<br />
heraus, dass die Sparte „Banken/Finanzdienstleistungen“<br />
in der Gunst der Jugendlichen<br />
erst auf Rang sechs liegt und<br />
damit hinter dem öffentlichen Sektor<br />
und den Branchen Konsumgüter, Auto,<br />
Handel, Medien und Werbung.<br />
Die Sparkassen tauchen dabei innerhalb<br />
ihres Segments erst auf Platz 14 auf,<br />
einen Rang vor dem Auswärtigen Amt.<br />
Der Trost: Von sämtlichen gelisteten Geldinstituten<br />
sind die Institute der Sparkassen-Finanzgruppe<br />
noch am beliebtesten.<br />
Die Deutsche Bank rangiert auf Platz<br />
19 und die Genossenschaftsbanken auf<br />
Rang 31. Teamgeist, Vorgesetzte und<br />
Aufstiegsmöglichkeiten waren bei dieser<br />
Befragung die ausschlaggebenden Kriterien.<br />
Bankenkrise spielt keine Rolle<br />
„Die Prioritäten der jungen Leute haben<br />
sich verändert“, sagt Pavel Uttitz. Der<br />
Abteilungsdirektor bei der Deutschen<br />
Sparkassen-Akademie in Bonn bezweifelt<br />
jedoch, dass die Bankenkrise der<br />
Auslöser für das schwindende Interesse<br />
sein könnte. Auch Professor Hans Dietrich<br />
vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt-<br />
und Berufsforschung ist der<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
KARRIERE 25<br />
Mehr Online-Bewerbungen: Sparkasse KölnBonn<br />
Dieter Doetsch (Foto),<br />
Leiter Ausbildung:<br />
Die Quantität der<br />
Bewerbungen steigt<br />
an, die Qualität geht<br />
zurück. In den letzten<br />
Jahren führen wir<br />
immer mehr Eignungstests<br />
durch, um<br />
geeignete Bankkaufleute<br />
zu gewinnen.<br />
Papiergebundene<br />
Bewerbungen werden weniger. Der Trend geht<br />
mehr zu Online-Bewerbungen. Hier lässt die<br />
Zuverlässigkeit der Bewerber und Bewerberinnen<br />
oft zu wünschen übrig. Trotz einer Einladung<br />
zum Test oder zum Gespräch erscheinen<br />
sie nicht, ohne den Termin abzusagen.<br />
Auffassung, dass „wohl eher eine Melange<br />
von allem“ der Grund für das nachlassende<br />
Interesse der Jugendlichen sei.<br />
Anziehend auf Berufseinsteiger wirken<br />
laut Dietrich auch differenzierte Ausund<br />
Weiterbildungsangebote. So könne<br />
man etwa bei der Polizei auch den Bachelor<br />
machen. Veränderte Interessen und<br />
Motivationslagen der Jugendlichen und<br />
Besserer Jahrgang:<br />
Sparkasse Donnersberg<br />
Matthias Roth (Foto),<br />
stellvertretendes<br />
Vorstandsmitglied:<br />
08/15-Bewerbungen<br />
sind seit dem<br />
vergangenen Jahr<br />
deutlich zurückgegangen.<br />
Einmal haben<br />
die Studiengänge an<br />
der Fachhochschule<br />
Zweibrücken und der<br />
Dualen Hochschule<br />
Baden-Württemberg in Mannheim die Qualität<br />
der Bewerbungen gesteigert. Außerdem hat<br />
sich das Online-Bewerbungsverfahren, das<br />
wir seit Sommer 2010 praktizieren, positiv auf<br />
die Qualität der Bewerbungen ausgewirkt.<br />
Die Zahl der Interessenten hat sich aber nicht<br />
merklich verändert.<br />
Neue Ausbildungsplätze 2011:<br />
Neun, davon sieben Bankkaufleute und<br />
zwei Plätze für den dualen Studiengang<br />
Anzahl der Azubis 2008 bis 2010: 25<br />
Besonderheiten: Mit dem Studiengang<br />
an der FH Zweibrücken bieten sich drei<br />
hochwertige Abschlüsse an: Bachelor of<br />
Arts, Bankkaufmann/ -frau (in Kooperation<br />
mit der IHK) und Sparkassenfachwirt/in<br />
(Weiterbildungsangebot in Kooperation mit<br />
der Sparkassenakademie Rheinland-Pfalz).<br />
Neue Ausbildungsplätze 2011:<br />
80 Bankkaufmänner/-kauffrauen<br />
Anzahl der Azubis 2008 bis 2010: 260<br />
Besonderheiten: Wir rekrutieren unseren<br />
Nachwuchs fast ausschließlich aus den Auszubildenden.<br />
Für die hervorragende Qualität<br />
unserer Ausbildung werden wir seit einigen<br />
Jahren immer wieder von den Industrie- und<br />
Handelskammern in Köln und Bonn ausgezeichnet.<br />
Schon sehr früh werden die Azubis<br />
mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut.<br />
Ein Beispiel ist die seit 2009 eingeführte Geschäftsstelle<br />
für Auszubildende, in der vier<br />
Wochen lang ausschließlich Azubis Beratung<br />
und Kundenservice übernehmen. Auch in<br />
diesem Jahr werden 15 Auszubildende vom<br />
27. Juni bis zum 22. Juli 2011 die Geschäftsstelle<br />
Dürener Straße in Köln führen.<br />
vielfältige Berufsoptionen machen den<br />
Sparkassen das Nachwuchs-Recruiting<br />
nicht einfacher, zudem sinkt offenbar<br />
das Ausbildungs- und Kompetenzniveau<br />
der Bewerber. „Wenn man das nehmen<br />
muss, was man kriegt, dann ist das ein<br />
Zeichen für gesunkene Qualifikation“,<br />
sagt Uttitz. Dann habe man es „mit einer<br />
Art Stagnation zu tun“, und die wird bereits<br />
registriert. Das Bonner Bundesinstitut<br />
für Berufliche Bildung (BIBB) rechnet<br />
für diesen Sommer erneut mit mehr als<br />
13.000 neuen Ausbildungsverträgen für<br />
angehende Bankkaufleute, etwa die Hälfte<br />
der Verträge schließen Sparkassen ab.<br />
Zahlenmäßig wäre dies ein fast nahtloser<br />
Anschluss an die vergangenen Jahre.<br />
Unabhängig vom jeweiligen Standort<br />
kommen nach wie vor bis zu 80 Bewerbungen<br />
auf einen Ausbildungsplatz bei<br />
den Sparkassen. Vor allem die Institute in<br />
Ballungszentren können sich über mangelnde<br />
Nachfrage nicht beklagen. Bei der<br />
Sparkasse KölnBonn bewarben sich in<br />
diesem Sommer 3500 junge Menschen,<br />
bei der Hamburger Sparkasse waren es<br />
knapp 4000, bei der Frankfurter Sparkasse<br />
1822 etwas mehr als 1100 Bewerber.<br />
Für die Flächeninstitute sieht die Welt<br />
anders aus: Zwar besteht auch hier große<br />
Nachfrage nach Ausbildungsplätzen,<br />
aber geeigneter Nachwuchs ist hier oft<br />
Mangelware, zumal in vielen Häusern<br />
das ungeschriebene Gesetz zu gelten<br />
scheint, dass der Nachwuchs aus der Region<br />
stammen muss. Für die Sparkassen<br />
ist es jedoch von Vorteil, dass das Nachwuchspersonal<br />
mit den regionalen Gegebenheiten<br />
bereits vertraut ist und auch<br />
nicht unbedingt den Absprung in die Metropole<br />
plant.<br />
Neu allerdings ist, dass sehr viele Kandidaten<br />
inzwischen mit Netz und doppeltem<br />
Boden arbeiten, ein Reflex auf<br />
die Bankenkrise und die damit einhergehenden<br />
Verunsicherungen. „Wenn man<br />
die Kandidaten nach ihrem Plan B fragt,<br />
nennen sie die Krankenkasse oder die<br />
Stadtverwaltung. Das hat es bis vor wenigen<br />
Jahren nicht gegeben. Früher wollten<br />
Bewerber einfach nur zur Sparkasse“,<br />
sagt Bernd Möller, Leiter des Personalmanagements<br />
der Sparkasse Fulda (siehe Interview<br />
auf Seite 26).<br />
Nachlassendes Bildungsniveau<br />
Persönliche Wohlfahrt und Sicherheitsdenken<br />
statt Kommunikation und<br />
Kreation – kein Unternehmen der Finanzwirtschaft<br />
kann sich solche Karriereperspektiven<br />
leisten. „Vertrieb bedeutet<br />
Gespräch und auf diesem Feld wird<br />
die Schlacht geschlagen“, sagt Hermann<br />
Wegele, Leiter der Unternehmenskommunikation<br />
der Sparkasse Neu-Ulm-Illertissen.<br />
Zudem sollten die Sparkassen<br />
intensiv und früher als bisher nach den<br />
Qualifizierten suchen.<br />
„Das Bildungsniveau geht zurück“, beobachtet<br />
Reinhard Faulstich, Vorstandsvorsitzender<br />
der Sparkasse Bad Hersfeld-<br />
Rothenburg. Die Personalleiterin einer<br />
badischen Sparkasse, auf deren Schreibtisch<br />
jährlich bis zu 450 Bewerbungen<br />
landen, bestätigt: „Viele Bewerber beherrschen<br />
noch nicht einmal den Dreisatz,<br />
und wenn dann noch einer mit Kaugummi<br />
im Mund zum Gespräch erscheint, gehen<br />
sowieso gleich alle Lampen aus.“ Zudem<br />
gebe es noch andere Defizite: „Viele<br />
der jungen Leute haben keinen blassen<br />
Schimmer davon, was eine Bank, geschweige<br />
denn ein Sparkasse überhaupt<br />
ist.“<br />
Wer den Ausbildungsvertrag erhält,<br />
weiß jedoch, dass eine Sparkasse der Allgemeinheit<br />
verpflichtet ist. Eine andere<br />
Motivation für seine Bewerbung nennt<br />
der Münchener Alexander Grappa: „Für<br />
mich hat der Bankerberuf beste Zukunftschancen,<br />
weil ohne die Beratung guter<br />
Banker Privatfinanzen und Wirtschaft<br />
auch in Zukunft nicht funktionieren werden.“<br />
<br />
Genug gute Bewerber:<br />
Sparkasse Barnim<br />
Hannelore Manzke, Leiterin Personalmanagement:<br />
Es kommen wieder mehr Bewerbungen als<br />
in den Vorjahren. Wir spüren das gestiegene<br />
Interesse, auch bei den Jobbörsen. Beim<br />
Auswahlverfahren registrierten wir Ende 2010<br />
bei den Kandidaten erfreulicherweise auch<br />
deutlich mehr Qualität.<br />
Neue Ausbildungsplätze 2011:<br />
acht Bankkaufleute<br />
Zahl der Azubis 2008 bis 2010: 25<br />
Besonderheiten: Eine Auszubildende<br />
beginnt in diesem Sommer ein duales<br />
Studium an der Hochschule für Wirtschaft<br />
und Recht in Berlin.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
26<br />
KARRIERE<br />
AUSBILDUNG II<br />
„Wir suchen mehr denn je den<br />
kommunikativen Typ“<br />
Bernd Möller, Personalmanager der Sparkasse Fulda, erläutert, wie sein Haus an die richtigen<br />
Auszubildenden kommt. Bei dem hessischen Institut sind 42 Azubis tätig, in diesem Sommer<br />
nehmen 31 weitere angehende Bankkaufleute ihre Ausbildung auf. 220 hatten sich beworben.<br />
SPARKASSE: Herr Möller, was ist auf dem<br />
Bewerbermarkt in diesem Jahr anders als<br />
in der Zeit vor der Finanzkrise?<br />
Bernd Möller: Unsere Bewerber haben<br />
– anders als früher – nicht mehr nur die<br />
Sparkasse im Auge, wenn sie<br />
ins Gespräch gehen, sondern<br />
denken auch noch über andere<br />
Optionen nach.<br />
Worüber etwa?<br />
Möller: Zum Beispiel die Bundespolizei.<br />
Fragt man sie nach<br />
einem „Plan B“, dann rücken sie<br />
damit heraus. Andere favorisieren<br />
die Kommunalverwaltung.<br />
Ganz offensichtlich mögen viele<br />
Bewerber das ganz besonders<br />
Sichere, wenngleich sich Sparkassen<br />
in punkto Arbeitsplatzsicherheit<br />
vor anderen Arbeitgebern,<br />
auch staatlichen, nicht<br />
zu verstecken brauchen.<br />
Polizeistation und Rathaus sind aber nicht<br />
mit einem Wirtschaftsunternehmen wie einer<br />
Sparkasse vergleichbar.<br />
Möller: Natürlich nicht, denn wir<br />
suchen eigentlich mehr denn je den<br />
kommunikativen Typ. Unsere Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter müssen in Vertriebskategorien<br />
denken und arbeiten,<br />
wenn ihr Institut Erfolg haben soll. Dies<br />
setzt auch ganz andere Neigungen und<br />
Talente, etwa Kunden- und Geschäftsorientierung<br />
voraus. Das bedeutet jetzt<br />
nicht, dass der Beamte das nicht hätte.<br />
„Viele Bewerber<br />
mögen das ganz<br />
besonders<br />
Sichere.“<br />
Bernd Möller,<br />
Personalmanager<br />
Sparkasse Fulda<br />
Nehmen auch Sie nicht lieber einen Realschüler,<br />
weil Sie wissen, dass der Ihnen vermutlich<br />
später erhalten bleibt, während der<br />
Abiturient die Banklehre vielleicht eher als<br />
Zwischenstation betrachtet?<br />
Möller: Wir nehmen grundsätzlich<br />
jeden Bewerber, von<br />
dem wir überzeugt sind, dass er<br />
die Fähigkeiten mitbringt, die er<br />
braucht, um als Bankkaufmann<br />
oder -kauffrau erfolgreich zu bestehen.<br />
Gute Realschüler bewerben<br />
sich leider nicht sehr oft. Eltern<br />
und Pädagogen empfehlen<br />
meist einen weiterführenden<br />
Schulbesuch, weil sie sich davon<br />
für ihren Zögling bessere<br />
Chancen am Ausbildungs- und<br />
Arbeitsmarkt erhoffen.<br />
Wie hat sich die Bankenkrise auf<br />
die Zahl der Bewerbungen ausgewirkt?<br />
Möller: Eher weniger. Wir hatten<br />
zwar schon im vergangenen Jahr<br />
damit gerechnet, dass die Anzahl der Bewerber<br />
sinken würde, aber das ist nicht<br />
eingetreten. Wir sind als ausbildendes<br />
Unternehmen gefragt, auch wenn wir,<br />
wie gesagt, mit anderen Arbeitgebern<br />
konkurrieren.<br />
Was unternimmt Ihr Haus, um die Attraktivität<br />
bei den jungen Menschen zu erhöhen?<br />
Möller: Wir sind schon lange vor der<br />
heißen Bewerbungsphase aktiv, etwa in<br />
Schulen. Hier bieten wir Informationsveranstaltungen<br />
und Bewerbertrainings<br />
an. Wir sind auf Ausbildungsmessen vertreten<br />
und stehen Interessenten für Informationsgespräche<br />
zur Verfügung. Außerdem<br />
vergeben wir Praktikumsstellen und<br />
haben einen anerkannt guten und informativen<br />
Internetauftritt.<br />
Welche Rolle spielt das Internet?<br />
Die Klickraten auf unseren Seiten sind<br />
sehr gut. Abgesehen davon stellt sich<br />
auch für uns die Frage: Wie präsentieren<br />
wir uns eventuell künftig in den sozialen<br />
Netzwerken? Hier sind wir bisher noch<br />
nicht vertreten.<br />
Wie denken Sie über die sogenannte „duale<br />
Ausbildung“?<br />
Eine Banklehre plus Studienmöglichkeit<br />
ist aus Sicht des Bewerbers natürlich<br />
das Sahnehäubchen. Für den Arbeitgeber<br />
stellt sich das etwas anders dar, denn dieser<br />
könnte gezwungen sein, sich schon<br />
sehr früh darauf festzulegen, wer bei ihm<br />
mittelfristig einmal in Führungspositionen<br />
kommt.<br />
<br />
Das Gespräch führte Reinold Rehberger.<br />
Das klingt auch wie eine Kritik am Schulsystem.<br />
Möller: Wir sind nicht die einzigen Arbeitgeber,<br />
die immer häufiger mit nicht<br />
ausreichend qualifizierten Bewerbern<br />
konfrontiert werden.<br />
Welche Mindestvoraussetzungen muss ein<br />
Auszubildender erfüllen?<br />
Möller: Den mittleren Bildungsabschluss.<br />
Er muss eine bestimmte Vorbildung<br />
mitbringen, die er dann auch<br />
im direkten Kundenkontakt einsetzen<br />
kann.<br />
Azubis der Sparkasse Fulda – das gemeinsame Klettertraining soll den Teamgeist der Gruppe<br />
stärken. <br />
FOTOS: SPK FULDA<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
MANAGEMENT 27<br />
K<strong>UND</strong>ENKOMMUNIKATION<br />
Kampf dem Wortkrampf<br />
Finanzdienstleister und Forscher kämpfen für einfacher lesbare Texte.<br />
n VON THOMAS SCHINDLER<br />
Seit April präsentiert die Huk-Coburg<br />
ihre Hausratversicherungsbedingungen<br />
in relativ verständlichem<br />
Deutsch. In mehr als 1000 Stunden hatten<br />
der Versicherung und vom Bund<br />
der Versicherten (BdV) Geschäftsbedingungen<br />
der Hausratversicherung Satz<br />
für Satz geprüft, rund 1000 Passagen und<br />
15 500 Wörter überarbeitet und in einen<br />
lesbaren und rechtssicheren Text umgeschrieben:<br />
Kein Satz beinhaltet jetzt<br />
mehr als 20 Wörter, der Satzbau wurde<br />
vereinfacht. Substantivierungen wurden<br />
vermieden, Passagen sind gekürzt (siehe<br />
Auszüge im Kasten).<br />
„Unser Ziel war es, die Versicherungsbedingungen<br />
im Interesse der Verbraucher<br />
transparenter und verständlicher zu gestalten“,<br />
erläutert der BdV-Vorstandsvorsitzende<br />
Hartmuth Wrocklage. In der Regel<br />
bleibe das Kleingedruckte ungelesen,<br />
weil die Versicherungsbedingungen unverständlich<br />
geschrieben sind. Das habe<br />
die Huk-Coburg ändern wollen. Künftig<br />
wüssten die Kunden, was sie unterschrieben.<br />
Damit die Kunden sich besser orientieren<br />
können, wurde auch die übliche<br />
Dreiteilung in allgemeine und besondere<br />
Versicherungsbedingungen sowie<br />
zusätzliche Einzelbestimmungen – sogenannte<br />
Klauseln – durchbrochen. „Der<br />
Versicherungsnehmer muss nicht an<br />
mehreren Stellen nachlesen, wie er in einer<br />
bestimmten Situation versichert ist,<br />
sondern findet die Information gebündelt<br />
unter einem Punkt“, sagt Wrocklage.<br />
Notwendige juristische Begriffe sind zudem<br />
in einem Glossar gesondert erklärt.<br />
Die Huk ist kein Einzelfall. Auch die<br />
Ergo-Versicherungsgruppe will das Verstehen<br />
der Spielregeln erleichtern. Das<br />
Unternehmen hatte in Werbekampagne<br />
diese Zielsetzung bereits vollmundig verkündet.<br />
„Wir haben übergreifende und<br />
verpflichtende Verständlichkeitskriterien<br />
entwickelt, die in allen Kommunikationskanälen<br />
zur Anwendung kommen“,<br />
wirbt Ergo-Chef Torsten Oletzky. Definierte<br />
Kriterien zu Inhalten, Form und<br />
Sprache der Kundenkommunikation<br />
sollten den Mitarbeitern als Orientierung<br />
und Checkliste dienen.<br />
Die Ergo-Gruppe überprüft Texte für<br />
Kunden mit einer Software. Wird ein<br />
sprachlicher Mindeststandard nicht erreicht,<br />
dürfen diese Schreiben nicht in<br />
der Kommunikation eingesetzt werden.<br />
Um neben schriftlichen Mitteilungen<br />
auch die Beratungsgespräche zu verbessern,<br />
werden Mitarbeiter im Innen- und<br />
Außendienst geschult, sich künftig nicht<br />
mehr hinter Worthülsen und Fachbegriffen<br />
zu verstecken.<br />
In einem ersten Schritt erhöhte Ergo die<br />
Übersichtlichkeit der Bedingungen für<br />
die private Haftpflichtversicherung. Statt<br />
wie bisher auf 30 Seiten findet der Kunde<br />
die Informationen nun auf einer Seite.<br />
Die Überarbeitung der Versicherungsbedingungen<br />
für weitere Produkte soll im<br />
Lauf der nächsten Monate folgen.<br />
Kein Verstecken hinter Fachjargon<br />
Damit sich in die Texte nicht wieder Versicherungschinesisch<br />
einschleicht, werden<br />
die Verständlichkeitskriterien von<br />
dem Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler<br />
Prof. Frank Brettschneider<br />
zertifiziert. Gab es Hürden auf dem Weg<br />
Alte und neue Versicherungsbedingungen<br />
Alt: „Der Versicherungsschutz gegen Raub<br />
erstreckt sich ohne Rücksicht auf mitwirkende<br />
Ursachen nicht auf Schäden an Sachen, die an<br />
den Ort der Wegnahme oder der Herausgabe<br />
erst auf Verlagen des Täters herangeschafft<br />
werden.“<br />
Alt: „Versicherungsschutz besteht auch in<br />
Garagen in der Nähe des Versicherungsortes,<br />
soweit sie ausschließlich von Ihnen oder einer<br />
mit Ihnen in häuslicher Gemeinschaft lebenden<br />
Person zu privaten Zwecken genutzt werden.“<br />
Alt: „In Erweiterung von Ziffer 4.1 VHB 2009<br />
ersetzen wir die tatsächlich angefallenen,<br />
nachgewiesenen Kosten für einen Umzug,<br />
wenn ein Totalschaden an der Wohnung eingetreten<br />
oder die durch einen Versicherungsfall<br />
auf Dauer unbewohnbar geworden ist.“<br />
Alt: „Dazu gehören alle Sachen, die in einem<br />
Haushalt zur Einrichtung oder zum Gebrauch<br />
oder zum Verbrauch dienen.“<br />
zur Verständlichkeit? Brettschneider verneint:<br />
„Die Mitarbeiter aller Hierarchiestufen<br />
waren extrem aufgeschlossen. Sogar<br />
die Hausjuristen, normalerweise die<br />
Bedenkenträger, haben mitgespielt.“<br />
Die Ergo-Versicherung hat zusätzlich<br />
ein Social-Media-Portal eingerichtet, um<br />
zu zeigen, dass ihr Werbespruch „Versichern<br />
heißt verstehen“ ernst gemeint<br />
sei. Kunden können über die Online-<br />
Präsenz Unverständliches melden. Die<br />
Versicherung will das aufgreifen und<br />
sämtliche Texte permanent verbessern.<br />
Ein Verständlichkeitsbeauftragter, direkt<br />
unter dem Vorstand angesiedelt, wacht<br />
über den Prozess.<br />
<br />
SPARKASSE hat in der Februarausgabe ein<br />
Interview mit dem Sprachexperten Frank<br />
Brettschneider veröffentlicht. Interessenten<br />
können den Artikel per PDF gratis anfordern:<br />
sparkasse@dsgv.de.<br />
Neu: „Schaffen Sie Sachen erst heran, weil<br />
der Täter das von Ihnen verlangt hat, haben<br />
Sie dafür keinen Versicherungsschutz.<br />
Geschieht dies allerdings innerhalb des<br />
Versicherungsorts, an dem die Tathandlung<br />
nach a) verübt wurden, sind diese Sachen<br />
versichert.“<br />
Neu: „Zu Wohnungen zählen auch ... Garagen,<br />
die nicht weiter als 3 km Luftlinie von<br />
Ihrer Wohnung entfernt sind, soweit sie ausschließlich<br />
von Ihnen oder einer mit Ihnen in<br />
häuslicher Gemeinschaft lebenden Person<br />
und zu privaten Zwecken genutzt werden.“<br />
Neu: „Wir ersetzen Umzugskosten, wenn Ihre<br />
ständig bewohnte Wohnung durch einen<br />
Versicherungsfall für mindestens 100 Tage<br />
unbewohnbar geworden ist. Wir erstatten<br />
die tatsächlich angefallenen Kosten und von<br />
Ihnen nachgewiesene Kosten.“<br />
Neu: „Zum Hausrat gehören alle Sachen<br />
die in einem Hausrat zur privaten Nutzung<br />
dienen. Dazu zählt alles, was Sie gebrauchen<br />
oder verbrauchen. Das können zum Beispiel<br />
Möbel, Haushaltsgeräte oder Lebensmittel<br />
sein.“<br />
Auszüge aus früheren und aktuellen Bedingungen der HUK-Coburg für Hausratsversicherungen.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
28<br />
FORUM<br />
Ist die Sparkassensprache<br />
Fonds, Produkte, Konditionen – Verbraucherschützer mahnen, Finanzinstitute informierten ihre Kunden<br />
1. Nicht ganz richtig. Wir<br />
haben Texte von Banken<br />
und Sparkassen untersucht,<br />
die sich an Kunden und<br />
an Journalisten als Mittler<br />
wendeten. Das Ergebnis: Es<br />
finden sich viele gute Texte,<br />
aber auch einige unverständliche.<br />
Kein Geldinstitut<br />
war über alle Textsorten<br />
hinweg brillant. Man merkt,<br />
dass es in den Unternehmen<br />
in der Regel keine einheitliche<br />
Text-Policy gibt. Aber<br />
Sparkassen und Genossenschaftsbanken<br />
schneiden<br />
unter dem Strich besser ab<br />
als Großbanken. Der Vorteil<br />
der Sparkassen ist wohl ihre<br />
Nähe zum Kunden, in Sparkassen-Filialen<br />
spricht man<br />
deren Sprache. Wo bei den<br />
Großbanken der Anteil an<br />
Anglizismen auffällt, ist es<br />
bei den Sparkassen ihr Hang<br />
zu Passivkonstruktionen.<br />
Diese sind typisch für eine<br />
Verwaltungssprache. Daran<br />
müsste vordringlich gearbeitet<br />
werden.<br />
2. Wenn Experten mit Experten<br />
sprechen, sollte man an<br />
die Verständlichkeit eines<br />
Textes andere Maßstäbe anlegen,<br />
als wenn Experten mit<br />
Laien reden. Diese beiden<br />
Kommunikationsformen gilt<br />
es zu unterscheiden. Erstellt<br />
etwa der Sparkassenverlag<br />
Broschüren, die sich an die<br />
Kommunikatoren innerhalb<br />
der Sparkassen richten, sind<br />
diese Texte anders zu bewerten,<br />
als die Beiträge für<br />
Broschüren, die sich an die<br />
Endkunden richten. Auch<br />
Akademiker schätzen es,<br />
wenn sie verständlich angesprochen<br />
werden. Trotz hoher<br />
formaler Bildung mögen<br />
sie es, wenn sie Botschaften<br />
schnell verstehen. Niemand liebt Schachtelsätze,<br />
unbekannte Fachbegriffe oder<br />
eine unübersichtliche Gliederung.<br />
3. Texte lassen sich verständlich schreiben,<br />
Produkte sich verständlich beschreiben.<br />
Gelingt das nicht, gibt es vielleicht<br />
ein Problem mit dem Produkt. Letztlich<br />
hat die Finanzkrise gezeigt, dass Bankberater<br />
mit dem Erläutern komplexer<br />
PRO<br />
„Kein Geldinstitut<br />
ist über<br />
alle Textsorten<br />
hinweg brillant.<br />
Man<br />
merkt, dass<br />
es keine einheitlichen<br />
Standards<br />
gibt.“<br />
Prof. Frank<br />
Brettschneider,<br />
Lehrstuhl für<br />
Kommunikationswissenschaft,<br />
Universität<br />
Hohenheim<br />
Produkte überfordert sein<br />
können. Ist das Produkt verständlich,<br />
gibt es in der Regel<br />
keine Kommunikationsprobleme.<br />
Entweder müssen<br />
komplizierte Produkte nur<br />
für entsprechend geeignete<br />
Zielgruppen angeboten<br />
werden oder sie müssen so<br />
transparent erklärt werden,<br />
dass jeder sie verstehen<br />
kann. Bei allen Anforderungen<br />
an Sparkassen gibt<br />
es aber auch eine Holschuld<br />
des Kunden. Nur sollte man<br />
ihm seine Hausaufgaben<br />
nicht unnötig erschweren.<br />
4. Verbraucherschützer erreichen<br />
manchmal mit guter<br />
Absicht Negatives. Die von<br />
ihnen vorgeschriebene Informationsflut<br />
ist oft kontraproduktiv.<br />
Positiv sind<br />
nicht Informationsmassen,<br />
sondern übersichtlich präsentierte<br />
Informationen. Das<br />
Verbraucherschutzministrium<br />
packt hingegen immer<br />
noch etwas dazu, sogar einzelne<br />
Formulierungen und<br />
Begriffe werden vorgeschrieben,<br />
so dass am Ende alles<br />
in einer Flut von Wörtern<br />
untergeht. Wenn man etwas<br />
verbessern will, gibt es zwei<br />
Wege: Entweder ringt man<br />
mit seinen Hausjuristen, bis<br />
der Text selbst rechtssicher<br />
und verständlich ist, oder<br />
man erstellt eine zusätzliche<br />
Kurzfassung, die nur relevante<br />
Punkte enthält. Diese<br />
werden in einer einfachen,<br />
nicht rechtlichen Sprache<br />
vorgestellt.<br />
5. Während der Bush-<br />
Administration produzierte<br />
das US-Verteidigungsministerium<br />
einige Texte für die<br />
Mitarbeiter tatsächlich in<br />
Comicform, damit sie richtig verstanden<br />
würden. Wenn es um Finanzprodukte<br />
geht, würde ich aber nicht in erster Linie<br />
mit Comics arbeiten. Aber wichtig sind<br />
Visualisierungen und gute Schaubilder<br />
sowie eine Sprache, die einfach, aber<br />
nicht banal sein muss. Wer für seine Zielgruppe<br />
Finanztexte schreiben will, sollte<br />
klare Sätze formulieren und Fremdworte<br />
meiden oder erklären. Selbst wenn man<br />
Sprechblasen unerwünscht: Gesetzliche<br />
Auflagen erschweren die Formulierung von<br />
Texten in der Finanzbranche. Dennoch<br />
müssen die Kundenberater ihre Kunden klar<br />
informieren. <br />
GRAFIK: OLIVER WEISS<br />
auch im Idealfall nicht alle Leser erreicht,<br />
gibt es doch viele Hürden, die man abbauen<br />
kann.<br />
6. Das kommt darauf an, auf welche Stufe<br />
man sich bewegt. Geht es darum, sprachlich<br />
ein wenig besser zu werden, kommt<br />
man ein Stück weiter, wenn die Mitarbeiter<br />
motiviert sind. Es fehlt ja nicht an Ratgebern<br />
von Profis wie Wolf Schneider. Ein<br />
solches Vorgehen ist aber nicht systematisch<br />
und abhängig von den jeweiligen<br />
Personen und ihrer Motivation. Will man<br />
systematisch vorgehen, ist externe Unterstützung<br />
sinnvoll. Beispielsweise bieten<br />
die Verbände gute Mustertexte an. Darüber<br />
hinaus kann man sich an externe Experten<br />
wenden oder auf softwarebasierte<br />
Lösungen zurückgreifen. Letztere bieten<br />
eine Art Rechtschreibprogramm für die<br />
Verständlichkeit: Ist ein Satz zu lang?<br />
Entspricht ein Begriff nicht dem Sprachgebrauch<br />
des Hauses? Darüber hinaus<br />
halte ich es für sinnvoll, Kunden über<br />
das Web 2.0 einzubinden und sie aufzufordern,<br />
unverständliche Passagen mitzuteilen.<br />
Was der Kunde nicht versteht,<br />
wird dann verständlicher formuliert. n<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
FORUM 29<br />
schwer verständlich?<br />
5. Ich halte eine barrierefreie Sprache<br />
nicht für möglich. Laut Académie franunverständlich.<br />
Muss die Sprache der Finanzbranche kundenfreundlicher werden?<br />
Fragen an die Kontrahenten<br />
1. Banken und Sparkassen wird häufig<br />
vorgeworfen, unverständlich zu formulieren?<br />
Richtig oder Vorurteil?<br />
2. Gibt es eine Verständlichkeit für<br />
alle? Fühlt sich nicht immer der eine<br />
über-, der andere unterfordert?<br />
3. Wo liegt die Grenze der Verständlichkeit<br />
für den Durchschnittsleser,<br />
und was muss man ihm als Vertragspartner<br />
zumuten dürfen?<br />
4. Zwingen die gesetzlichen Aufgaben<br />
für Finanzprodukte zu komplexen<br />
Sprachstrukturen?<br />
5. Ist eine „barrierefreie“ Sprache<br />
überhaupt möglich? Wenn ja: Verlieren<br />
die Sparkassen damit an fachlicher<br />
Glaubwürdigkeit?<br />
6. Können Sparkassen verständlich<br />
schreiben, oder brauchen sie die<br />
dazu die HIlfe von Verbrauchschützern<br />
und Kunden?<br />
1. Man kann nicht generell behaupten,<br />
dass Banken oder Sparkassen unverständlich<br />
formulieren. Natürlich rutscht<br />
hin und wieder ein Fachbegriff durch, der<br />
nicht in jedem Fall von jedem verstanden<br />
wird. Das wird sicher niemand bestreiten,<br />
der Informationen für ein breites Publikum<br />
aufbereitet. Aber das ist kein Phänomen<br />
der Kreditwirtschaft, sondern eines<br />
aller Branchen: Wer mit Ärzten, Rechtsanwälten<br />
oder IT-Fachleuten spricht<br />
oder korrespondiert, stößt auf deren<br />
Fachjargon. Jeder, der mit Kunden kommuniziert<br />
muss aufpassen, dass er seine<br />
Ausdrucksweise dem Gegenüber anpasst<br />
und seine Texte nicht überfrachtet.<br />
2. Fragt man sich, was denn die Sprache<br />
des Kunden sei, stellt man schnell fest:<br />
Es gibt nicht nur eine. Wir haben es mit<br />
Menschen unterschiedlichster Herkunft<br />
und unterschiedlichstem Bildungs- und<br />
Ausbildungsniveau zu tun. Da kann es<br />
nicht die eine Sprache geben. Das ist eine<br />
ständige Herausforderung für jeden Kundenberater.<br />
Er oder sie muss sich immer<br />
wieder aufs Neue auf sein Gegenüber einstellen,<br />
denn den Kunden von der Stange<br />
gibt es nicht. Idealtypen sind<br />
theoretische Konstrukte, mit<br />
der Praxis hat das nichts zu<br />
tun. Vielleicht ist das Klientel<br />
homogener bei Banken,<br />
die ausschließlich Vermögende<br />
betreuen. In unsere<br />
Finanzcenter kommen allerdings<br />
alle Schichten der Bevölkerung.<br />
3. Jeder Kunde erwartet zunächst<br />
einmal, dass wir ihn<br />
verstehen. Das ist bei einem<br />
Handwerker nicht anders<br />
als bei einem Akademiker.<br />
Es ist eine ständige Gratwanderung:<br />
Ist das Niveau<br />
zu hoch, wirkt das arrogant<br />
und gleichgültig. Ist es zu<br />
niedrig, fühlt sich der Kunde<br />
nicht ernst genommen. Wir<br />
versuchen, komplizierte Produkte<br />
und Sachverhalte so<br />
einfach wie möglich zu erklären,<br />
ohne zu sehr zu vereinfachen.<br />
Was das Stichwort<br />
„Zumutung“ betrifft: Kein<br />
Mitarbeiter unseres Hauses<br />
drückt sich absichtlich unverständlich<br />
aus. Wenn<br />
Kunden also Fragen haben,<br />
sollten sie diese stellen. Unklarheiten<br />
können wir nicht<br />
beseitigen, wenn wir nicht<br />
wissen, dass es sie gibt.<br />
4. Nicht nur in der Finanzbranche<br />
gibt es bei der<br />
Formu lierung von Texten<br />
Einschränkungen durch gesetzliche<br />
Auflagen. Deshalb<br />
werden etwa Allgemeine<br />
Geschäftsbedingungen und<br />
Kontoeröffnungsunterlagen<br />
häufig als leserunfreundlich<br />
und unverständlich kritisiert.<br />
Hier gibt es juristische<br />
Vorgaben, Banken und Sparkassen<br />
brauchen schließlich<br />
auch Rechts sicherheit.<br />
Daran ist nichts zu ändern.<br />
Umso mehr richten wir unser<br />
Augenmerk auf die Kommunikationsmittel,<br />
die wir<br />
gestalten können wie die<br />
Printmedien, den Schriftverkehr oder<br />
die Online-Präsenz. Das überprüfen wir<br />
regelmäßig.<br />
CONTRA<br />
„Wir versuchen,<br />
komplizierte<br />
Sachverhalte<br />
so<br />
einfach wie<br />
möglich zu<br />
erklären, ohne<br />
zu sehr zu<br />
vereinfachen.“<br />
Daniela Gramlich,<br />
Pressesprecherin,<br />
Nassauische<br />
Sparkasse<br />
çaise gibt es weltweit mindestens<br />
2800 Sprachen sowie<br />
sieben- bis achttausend Dialekte.<br />
Wie soll man unter diesen<br />
Bedingungen davon ausgehen,<br />
dass auch nur zwei<br />
Muttersprachler sich verstehen?<br />
Kurt Tucholsky war<br />
da ganz pessimistisch, von<br />
ihm stammen folgende Sätze:<br />
„Wie sprechen Menschen<br />
mit Menschen? Aneinander<br />
vorbei.“ Bei der Naspa arbeiten<br />
Menschen aus 21 Nationen,<br />
entsprechend viele<br />
Sprachen sprechen unsere<br />
Mitarbeiter. Das ist ein Riesengewinn,<br />
sowohl für unser<br />
Haus als auch für die Kunden.<br />
Denn wir versuchen<br />
natürlich, diese Mitarbeiter<br />
dort einzusetzen, wo sie auf<br />
Menschen mit der gleichen<br />
Muttersprache treffen. Das<br />
ist für alle von Vorteil und<br />
ein weiterer glaubwürdiger<br />
Beleg dafür, dass Sparkassen<br />
für die Menschen in ihrer<br />
Region da sind.<br />
6. Wo wir sprachlich Einfluss<br />
nehmen können, achten<br />
wir auf eine möglichst<br />
klare und verständliche<br />
Sprache. Juristische Vorgaben<br />
haben wir natürlich zu<br />
akzeptieren. Andererseits:<br />
AGBs sind für Kunden kein<br />
Grund, sich für oder gegen<br />
eine Sparkasse – oder ein<br />
anderes Unternehmen – zu<br />
entscheiden. Das ist uns<br />
jedenfalls noch nie rückgemeldet<br />
worden. Anders ist<br />
das bei Briefen oder Broschüren,<br />
hier bekommen<br />
wir durchaus Rückmeldungen<br />
von Kunden. Diese<br />
nehmen wir auf, wenn wir<br />
zu dem Schluss kommen,<br />
dass sie die Verständlichkeit<br />
erhöhen. Das Bemühen um<br />
Verständlichkeit ist eben<br />
ein ständiger Prozess, damit<br />
sind wir nie fertig. n<br />
Die Fragen stellte Thomas Schindler.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
30<br />
MANAGEMENT<br />
MOTIVATION<br />
Eine Floßfahrt tut‘s auch<br />
Das öffentliche Ansehen der Versicherungswirtschaft in Deutschland hat zuletzt gelitten. Dazu<br />
beigetragen hat eine bekannt gewordene Lustreise der Hamburg-Mannheimer. Ohne Prämien<br />
und Incentives kommen Versicherer nicht aus – doch welche Belohnungen sind angemessen?<br />
n VON HORST PETER WICKEL<br />
Die Lustreise der heute zum Ergo-Konzern<br />
gehörenden Hamburg-Mannheimer<br />
(HMI) blieb nicht unbemerkt:<br />
76 Prozent der Deutschen haben davon<br />
gehört, dass eine Versicherung ihre besten<br />
Vertreter zu einer Sex-Party nach<br />
Budapest eingeladen hat. Auch auf das<br />
Abschlussverhalten hat der „Betriebsausflug“<br />
der Hamburg-Mannheimer Auswirkungen:<br />
35 Prozent der Teilnehmer<br />
einer aktuellen Umfrage des Marktforschungsinstituts<br />
Puls werden beim nächsten<br />
Abschluss einer Versicherung eher<br />
einen anderen Anbieter wählen.<br />
„Der Verkauf von Finanz- und Versicherungsprodukten<br />
sollte durch Kundenbedürfnisse<br />
und nicht durch die<br />
Aussicht auf Provisionen oder Lustreisen<br />
geleitet sein“, kommentiert Puls-Chef<br />
Konrad Weßner die Ergebnisse. Nach<br />
seiner Einschätzung belastet unseriöses<br />
Geschäftsgebaren nicht nur Hamburg-<br />
Mannheimer und den Mutterkonzern<br />
Ergo, sondern die Versicherungsbranche<br />
insgesamt. Zum Aufbau von Vertrauen<br />
gehöre auch, dass die Finanzbranche<br />
Schluss mit der provisionsgeleiteten Bezahlung<br />
seiner Vertreter macht.<br />
Aber die Versicherer machen weiter.<br />
„Incentives sind für uns ein wichtiges<br />
Instrument zur Förderung der Verkaufsund<br />
Serviceleistung“, sagt Ergo-Direkt-<br />
Sprecherin Christine Grützemacher:<br />
„Zudem tragen sie zu einer Steigerung<br />
der Mitarbeitermotivation bei.“ Bei der<br />
Nürnberger Direktversicherung, die<br />
früher KarstadtQuelle Versicherungen<br />
hieß, werden Einzel- und Gruppenwettbewerbe<br />
durchgeführt, bei denen sich<br />
die besten, also vertriebsstärksten Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter über zusätzliche<br />
Belohnungen freuen können. Mal<br />
gibt es Einkaufsgutscheine für Einzelne,<br />
mal gemeinsame Veranstaltungen wie<br />
eine Floßfahrt oder einen Kochkurs für<br />
erfolgreiche Gruppen.<br />
Ski-Events und Städtereisen<br />
Grützemacher erklärt: „Damit wird wiederum<br />
eine gute Zusammenarbeit innerhalb<br />
des Teams gefördert und belohnt.“<br />
Beim Direktversicherer der Ergo sind alle<br />
Mitarbeiter im Kundenservice-Center<br />
festangestellt, neben dem Festgehalt gibt<br />
es leistungsabhängige Provisionen. Im<br />
vergangenen Jahr hat Ergo Direkt rund<br />
44 Prozent der neuen Versicherungen am<br />
Telefon verkauft, jeweils zehn Prozent<br />
über Internet und Mailings, also Werbebriefe.<br />
Und etwa ein Drittel aller neuen<br />
Policen wurden von anderen Unternehmen<br />
vermittelt, etwa Betriebskrankenkassen<br />
oder Apollo Optik (Brillenversicherung).<br />
Auf kräftige Vertriebspartner setzt auch<br />
die Versicherungskammer Bayern (VKB)<br />
– so tragen in der Lebensversicherung<br />
die Sparkassen 71,8 Prozent zum Erfolg<br />
bei, die Genossenschaftsbanken liefern<br />
8,1 Pro zent der neuen Verträge, VKB-<br />
Agenturen sind mit 16,1 Prozent dabei.<br />
Bei Kompositversicherungen tragen die<br />
Sparkassen immerhin 25,4 Prozent zum<br />
Erfolg bei (VKB-Agenturen 33 Prozent,<br />
Makler 28 Prozent, Genossenschaftsbanken<br />
4,2 Prozent). Für ihre Beratungsund<br />
Betreuungsleistung werden die<br />
Vertriebspartner mit Abschluss- und Folgeprovisionen<br />
entlohnt, aber zur Höhe<br />
will das Unternehmen aus Wettbewerbsgründen<br />
keine Auskunft erteilen. Zusätzlich<br />
werden erfolgreiche Verkäufer<br />
mit Ski-Veranstaltung, Städtereisen oder<br />
Abendveranstaltungen belohnt – „Lustreisen“<br />
sind bei der Versicherungskammer<br />
Bayern freilich undenkbar, wie Sprecher<br />
Jürgen Haux betont<br />
Die Nürnberger Versicherungsgruppe<br />
würdigt seit 48 Jahren besonders verdiente<br />
Mitarbeiter und Vertriebspartner<br />
Gellert-Bad in<br />
Budapest: Hier<br />
organisierte die<br />
inzwischen zu Ergo<br />
gehörende Hamburg-<br />
Mannheimer 2007 eine<br />
Feier mit Prostituierten,<br />
um die 100<br />
tüchtigsten Vertriebler<br />
zu belohnen. 83.000<br />
Euro soll die Party<br />
gekostet haben, die<br />
inzwischen am Image<br />
der Ergo und der<br />
ganzen Branche kratzt.<br />
FOTO: DPA<br />
bei der jährlichen Bundessiegerehrung,<br />
die in Nürnberg oder einer Metropole<br />
im europäischen Ausland stattfindet.<br />
Zeit und Gelegenheit für Bordellbesuche<br />
bleibt nicht: „Der Vorstand der Nürnberger<br />
begrüßt zu diesen Veranstaltungen<br />
die Bundessieger mit ihren Ehe- oder<br />
Lebenspartnern“, sagt Pressesprecherin<br />
Silke Weber.<br />
Lebenspartner sind mit eingeladen<br />
Bei der Universa Versicherung sind im eigenen<br />
Außendienst bundesweit fast 600<br />
Personen beschäftigt, rund ein Drittel als<br />
Angestellte und zwei Drittel als Selbstständige.<br />
Zudem arbeitet die Universa<br />
mit mehr als 6000 unabhängigen Vertriebspartnern<br />
zusammen, die für neue<br />
Versicherungsverträge Provisionen und<br />
Courtage kassieren. Um die Vertriebsleute<br />
zu motivieren, schreibt die Versicherung<br />
außerdem Wettbewerbsreisen<br />
aus, bei denen die besten und aktivsten,<br />
also verkaufsstärksten Mitarbeiter geehrt<br />
werden, die es laut Universa-Sprecher<br />
Stefan Taschner „geschafft haben, über<br />
alle Sparten hinweg ihre Kunden optimal<br />
zu beraten und zu betreuen und dabei<br />
nur wenig Storno zuzulassen“.<br />
Zu den Veranstaltungen werden auch<br />
die Ehe- und Lebenspartner eingeladen.<br />
Universa-Sprecher Taschner fügt hinzu:<br />
„Wir nutzen jedes Zusammenkommen<br />
immer auch zum Dialog und Austausch,<br />
wie wir unseren Service und unsere Produkte<br />
weiter verbessern können.“<br />
n<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
MANAGEMENT 31<br />
MOBILE PAYMENT – GASTBEITRAG<br />
Karte als Wegbereiter<br />
Zahlen, ohne das Portemonnaie zu öffnen? Die Sparkassen-Finanzgruppe arbeitet daran – durch<br />
eine Aufrüstung der Debitkarte, wie DSGV-Kartenstratege Wolfgang Adamiok schreibt.<br />
Die SparkassenCard genießt heute<br />
schon Akzeptanz an rund 650.000<br />
Händlerterminals. In den kommenden<br />
Jahren werden 45 Mio. SparkassenCards<br />
mit Kontaktlos-Technologie ausgestattet.<br />
Die kontaktlose Kartenzahlung ist die<br />
optimale Basistechnologie, mit der dem<br />
Mobile Payment endlich der Durchbruch<br />
gelingen könnte.<br />
Immerhin verkündet die Mobilfunkindustrie<br />
schon seit Jahren, das Handy in<br />
ein „virtuelles Portemonnaie“ zu verwandeln.<br />
Kein Kramen nach Kleingeld mehr,<br />
keine Kartenzahlung mehr erforderlich<br />
– Mobile Payment macht’s möglich. Doch<br />
die Wirklichkeit sieht bislang anders aus:<br />
Über Pilotprojekte oder Nischenangebote<br />
ist Mobile Payment in Deutschland bisher<br />
nicht hinausgekommen.<br />
Tatsächlich sind die Zahlverfahren der<br />
einzelnen Anbieter zu kompliziert oder<br />
zu unwirtschaftlich für einen bundesweiten<br />
Einsatz. Nach wie vor sind Fragen wie<br />
zum Beispiel Sicherheit und Business<br />
Case für Mobile Payment per Handy oder<br />
Smartphone an der Händlerkasse (das sogenannte<br />
Proximity Payment) ungeklärt.<br />
Auch der Handel akzeptiert das Handy-<br />
Bezahlen nur sehr verhalten.<br />
Zahlung per Handy kann noch dauern<br />
Mobile Payment steht vor großen Herausforderungen,<br />
wenn es eine bundesweite<br />
Erfolgsstory werden soll. Letztlich wird<br />
man sich auch deshalb an bereits bestehenden<br />
Bezahlverfahren orientieren<br />
müssen. Für die Verbreitung von Mobile<br />
Payment ist es notwendig, dass Mobilfunkgeräte<br />
mit sicherer Near Field Communication<br />
(NFC)-Technologie flächendeckend<br />
verfügbar sind. Das ist noch<br />
nicht der Fall. Für dieses Jahr haben die<br />
ersten Hersteller angekündigt, Smartphones<br />
mit NFC-Schnittstelle anbieten zu<br />
wollen. Es werden aber noch einige Jahre<br />
vergehen, bis sich genügend NFC-fähige<br />
Mobilfunkgeräte in den Händen der deutschen<br />
Verbraucher befinden, um das Bezahlen<br />
per Handy als Massenanwendung<br />
zu betreiben.<br />
Das „Henne-Ei-Problem“ ist ein Grund,<br />
weshalb das Mobile Payment noch in den<br />
Kinderschuhen steckt: Händler und andere<br />
Akzeptanten investieren nur in die<br />
Terminalinfrastruktur für Mobile Payment<br />
am Point of Sale (PoS), wenn eine<br />
„kritische Masse“ von Kunden Smartphones<br />
mit entsprechender technischer<br />
Ausstattung besitzen und damit bezahlen<br />
wollen. Für Kunden mit NFC-Handys<br />
ist das Kontaktlos-Bezahlen aber erst interessant,<br />
wenn es genug Kassen gibt, an<br />
denen das Handy willkommen ist.<br />
Verlässliche Sicherheitsstandards für<br />
Mobile Payment sind ein weiteres offenes<br />
Thema, denn: Zahlungsverkehr<br />
basiert entscheidend auf dem Vertrauen,<br />
das die Kunden ihrem Kreditinstitut für<br />
diese Dienstleistung entgegen bringen.<br />
Nachrichten über Sicherheitslücken und<br />
Betrugsfälle führen dazu, dass das Vertrauen<br />
in ein Zahlungsmittel abnimmt<br />
und die Kunden dieses zurückhaltend<br />
einsetzen. Die deutsche Kreditwirtschaft<br />
setzt seit 30 Jahren auf umfassende technische<br />
Präventionsmaßnahmen, um das<br />
Vertrauen der Kunden in die etablierten<br />
deutschen Zahlungssysteme – Electronic<br />
Cash und das Deutsche Geldautomatensystem<br />
– zu rechtfertigen. Mobile Payment<br />
muss zukünftig ein vergleichbar<br />
hohes Sicherheitsniveau bieten, um das<br />
Vertrauen der Kunden zu gewinnen.<br />
Die SparkassenCard kontaktlos bietet<br />
sich schon heute an, dem kontaktlosen<br />
Bezahlen in unterschiedlichen Märkten<br />
den Weg als Massenanwendung zu ebnen.<br />
Die Entscheidung der Sparkassen-Finanzgruppe<br />
zum flächendeckenden Rollout<br />
aller rund 45 Mio. SparkassenCards<br />
als Dual-Interface-Karte (also mit einer<br />
zusätzlichen kontaktlosen Schnittstelle)<br />
löst das „Henne-Ei-Problem“: Der Handel<br />
kann davon ausgehen, dass schon bald<br />
eine „kritische Masse“ seiner Kunden<br />
eine entsprechende Karte in der Brieftasche<br />
hat – und kann in die entsprechende<br />
Terminalinfrastruktur investieren.<br />
45 Mio. neuartige Debitkarten<br />
Gespräche mit dem Handel bestätigen,<br />
dass der vom DSGV aufgezeigte Weg für<br />
Händler hochinteressant ist. Davon profitiert<br />
das Mobile Payment, da NFC-fähige<br />
Kartenterminals auch in Smartphones<br />
integrierte NFC-Kartenanwendungen<br />
verarbeiten werden können. Die SparkassenCard<br />
kontaktlos ist also die Basistechnologie,<br />
die die bestehende Zahlungsinfrastruktur<br />
am PoS mit dem neuen<br />
Zahlungskanal Mobilfunk verbindet.<br />
Aus Sicht der Sparkassen-Finanzgruppe<br />
kann Mobile Payment als eine Erweiterung<br />
zur etablierten Kartenzahlung<br />
gesehen werden, bei der das Handy zum<br />
neuen Formfaktor für die etablierten Kartenzahlverfahren<br />
wird. Bei den für Kunden<br />
und Händler gleichermaßen wichtigen<br />
Kriterien „Geschwindigkeit“ und<br />
„einfache Bedienung“ bietet die Karte im<br />
direkten Vergleich heute noch klare Vorteile.<br />
Nach Einschätzung des Deutschen<br />
Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV)<br />
werden die ersten Anwendungen mit<br />
NFC-fähigen Mobiltelefonen darauf basieren,<br />
dass das Handy mit einer kontaktlosen<br />
Karte kommuniziert.<br />
Händler zeigen großes Interesse<br />
Für die SparkassenCard kontaktlos wird<br />
bereits geprüft, wie NFC-fähige Mobiltelefone<br />
für Distanzzahlungen mit der Karte<br />
und zum Aufladen der kontaktlosen,<br />
elektronischen Börse genutzt werden<br />
können. Erste Ergebnisse legen nahe,<br />
dass entsprechende Anwendungen mit<br />
dem Rollout der ersten Sparkassen-<br />
Cards kontaktlos zur Verfügung stehen<br />
könnten. Die strategischen und geschäftspolitischen<br />
Handlungsoptionen<br />
für ein Mobile-Payment-System der Sparkassen<br />
werden im Rahmen der aktuellen<br />
Weiterentwicklung der Debitkartenstrategie<br />
2015 ausgearbeitet. Fakt ist schon<br />
heute, dass die erfolgreiche Einführung<br />
der SparkassenCard kontaktlos mit dem<br />
parallelen Aufbau der Akzeptanz-Infrastruktur<br />
am PoS eine Schlüsselrolle auch<br />
für zukünftige Mobile-Payment-Anwendungen<br />
spielt.<br />
In Deutschland existiert eine seit Jahrzehnten<br />
effiziente Karteninfrastruktur,<br />
Karten sind weit verbreitet – laut Deutscher<br />
Bundesbank sind rund 125 Mio.<br />
Zahlungskarten im Umlauf – und als<br />
Zahlungsmittel akzeptiert. Für die Sparkassen<br />
liegt es auf der Hand, diese Infrastrukturvorteile,<br />
die sie federführend mit<br />
aufgebaut haben, zu nutzen, um sich für<br />
den Zukunftsmarkt Mobile Payment zu<br />
positionieren und hier eine starke Ausgangsposition<br />
zu erlangen.<br />
Je früher die Sparkassen-Finanzgruppe<br />
auf Basis der SparkassenCard Kontaktlos-<br />
Anwendungen anbietet und damit auch<br />
die technische Ausstattung im Handel<br />
und bei anderen Akzeptanten forciert,<br />
desto wahrscheinlicher ist es, dass auch<br />
kommende Mobile-Payment-Verfahren<br />
diese Infrastruktur als Basis nutzen werden.<br />
<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
FOTO: DPA<br />
32<br />
MANAGEMENT<br />
INFORMATIONSTECHNIK<br />
Wolkenträume<br />
Cloud Computing gilt IT-Strategen als Technik der Stunde. Es erscheint verlockend, Datendienste<br />
in eine flexible, öffentliche Umgebung auszulagern, um Ressourcen effizienter zu nutzen. Doch die<br />
Finanzbranche hält sich zurück. Sind die Sicherheits- und Performancebedenken gerechtfertigt?<br />
n VON MARTIN SCHWER<br />
Die Situation ist aus vielen Lebensund<br />
Arbeitsbereichen vertraut: Tätigkeiten<br />
oder Prozesse laufen nicht täglich<br />
24 Stunden und unter kontinuierlicher<br />
Last. Vielmehr treten Lastspitzen auf.<br />
Das ist im Straßenverkehr nicht anders<br />
als bei der Informationstechnik.<br />
Prozessoren und Speicher sind teilweise<br />
stark, über weite Strecken jedoch nur<br />
mäßig ausgelastet. So melden sich viele<br />
Mitarbeiter eines Unternehmens morgens<br />
gleichzeitig an ihren Systemen an,<br />
sehr rechenintensive Prozesse erfolgen<br />
stets zum Ultimo. Ähnliches gilt für die<br />
Schnittstellen zum Kunden. Das Online<br />
Banking etwa wird morgens stark in Anspruch<br />
genommen.<br />
Damit solche Lastspitzen fehlerfrei<br />
und performant ablaufen, braucht es<br />
eine großzügige Dimensionierung der<br />
Systeme. Der Nachteil: Eine fest zugeordnete<br />
Infrastruktur ist für weite Zeiträume<br />
völlig überdimensioniert. So liegt es<br />
nahe, Prozesse unterschiedlicher Verbraucher<br />
besser auf zentrale Server zu<br />
verteilen und damit Ressourcen effizienter<br />
zu nutzen.<br />
Diesen Gedanken macht sich die Cloud-<br />
Technologie zunutze. Dabei befinden<br />
sich sowohl die Daten, als auch der angebotene<br />
Service auf keinem fest zugewiesenen<br />
Speicherplatz, sondern in<br />
einer „Rechnerwolke“ eines zentralen<br />
Anbieters und werden nach Bedarf zugewiesen.<br />
Bei näherem Hinsehen entpuppt<br />
sich dieser Hype jedoch als vergleichsweise<br />
alter Hut, wie etwa Nicolas Schulmann,<br />
im Vorstand des IT-Dienstleisters<br />
FIO Systems zuständig für IT-Strategie,<br />
erläutert. „Im Bereich der Bank-IT sind<br />
solche Strukturen seit Jahren erfolgreich<br />
im Einsatz. Denn Cloud heißt ja nichts<br />
anderes, als keine lokalen Anwendungen<br />
mehr zu betreiben.“ So lässt sich etwa<br />
OSPlus bereits seit Jahren als Cloud-<br />
Service bezeichnen. Hier betreibt laut<br />
Schulmann beispielsweise die Finanz<br />
Informatik (FI) das Kernbanksystem, die<br />
Provinzial die Versicherungsmodule,<br />
die LBS Bausparanwendungen und FIO<br />
Sys tems die Maklersoftware. „Der Anwender<br />
merkt beim Aufruf von OSPlus<br />
nicht, dass er Anwendungen von ganz<br />
unterschiedlichen Servern und Anbietern<br />
bekommt.“<br />
Skepsis bei offenen Strukturen<br />
Bei den Anwendungen, die in der Öffentlichkeit<br />
als Cloud Services diskutiert<br />
werden, handelt es sich meist sogar um<br />
weltweit verteilte Systeme. Wichtige Protagonisten<br />
sind beispielsweise Amazon,<br />
Google oder Microsoft. Der Zugriff erfolgt<br />
über Netzwerke, meist über das Internet.<br />
Genau diese leistungsfähigen und vergleichsweise<br />
preiswerten Angebote wecken<br />
auch bei einigen Bankern Begehr-<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
MANAGEMENT 33<br />
lichkeiten, die hier Einsparpotenziale<br />
sehen.<br />
Bei Fachleuten stoßen derart offene<br />
Strukturen – Public Cloud genannt –<br />
jedoch auf große Skepsis. Schulmann kritisiert:<br />
„Bei vielen Cloud-Anwendungen<br />
kann man nicht wirklich in die Wolke<br />
hineinschauen. Es ist nicht bekannt, wo<br />
sich die Daten befinden und wer dafür<br />
zuständig ist. Beim privaten Mailaccount<br />
ist das meist nicht dramatisch, bei Bankdaten<br />
dagegen völlig undenkbar.“ Auch<br />
Sascha Pult, Leiter Technologiemanagement<br />
bei der Stadtsparkasse Düsseldorf,<br />
kann sich derartige Anwendungen nur<br />
sehr eingeschränkt vorstellen. „Denkbar<br />
sind etwa Spezialanwendungen wie die<br />
Bildbearbeitung, weil keine personenund<br />
kundenbezogenen Informationen<br />
oder andere sensible Daten im Spiel<br />
sind.“<br />
Doch zeigt etwa das Beispiel OSPlus,<br />
dass sich Skaleneffekte auch im Bankbereich<br />
ausnutzen lassen. Besonders die<br />
Strukturen vertrauenswürdiger Anbieter<br />
mit Zugang über abgeschlossene Netzwerke<br />
– sogenannte Private Clouds – sind<br />
bereits umfassend praxiserprobt. Bernhard<br />
Rumpe, Professor für Software Engineering<br />
an der RWTH Aachen, erkennt<br />
insofern eine folgerichtige Entwicklung.<br />
„Wir sehen schon seit Jahren eine<br />
evolutionäre Entwicklung,<br />
bei der Rechenleis tung<br />
in vertrauenswürdige<br />
Rechenzentren ausgelagert<br />
wird.“ Als<br />
wichtige Argumente<br />
für diese spezialisierten<br />
Anbieter sieht der<br />
Wissenschaftler eine umfassende Kompetenz<br />
und die schnelle Reaktion auf Probleme.<br />
„Beides können Banken intern in<br />
diesem Maß nicht leis ten.“<br />
Rumpes Fazit: „Wir sollten die Chancen<br />
adäquat nutzen, die sich im Bereich<br />
Cloud Computing bieten.“ Potenziale<br />
lägen gerade in einem Verbund wie<br />
der Sparkassen-Finanzgruppe, erläutert<br />
Detlev Klage, Leiter Geschäftsbereich<br />
Client/Server und Generalbevollmächtigter<br />
der FI: „Aufgrund unserer Größe<br />
realisieren wir auch in einer Private<br />
Cloud bereits sehr viele Vorteile.“ Ziel sei<br />
es, mit diesen Architekturen und Technologien<br />
die Kosten weiter erfolgreich<br />
zu senken.<br />
Insgesamt gilt, dass die Verlagerung<br />
der Rechenleistung auf zentralisierte<br />
Strukturen die Kosten spürbar senkt.<br />
Auch Sparkassenmanager Pult betont<br />
den Skaleneffekt, von dem die Düsseldorfer<br />
durch Auslagerung an zentralisierte<br />
Anbieter profitieren. „Die Systeme werden<br />
von mehr als 400 Banken genutzt.<br />
Es wäre sehr viel teurer, wenn jede Sparkasse<br />
ihre Systeme selbst entwickeln<br />
müsste.“ Demnach sitzen die Sparkassen<br />
laut Pult „schon mehr in der Cloud als<br />
man denken könnte.“<br />
Diese Ansicht gilt übrigens auch für<br />
den Wettbewerb, wie Anno Lederer, Vorstandsvorsitzender<br />
des genossenschaftlichen<br />
Dienstleisters GAD erläutert. „Mit<br />
unserem Konzept verlagern wir alle bankfachlichen<br />
Anwendungen und damit unser<br />
komplettes Bankenverfahren Bank21<br />
in die Private Cloud. Der Bankmitarbeiter<br />
braucht an seinem Arbeitsplatz nur<br />
einen gängigen Browser und etwa einen<br />
Thin Client, mit dem er auf alle<br />
Daten und Anwendungen im<br />
GAD-Rechenzentrum zugreifen<br />
kann.“<br />
Mit diesem Prinzip tragen die<br />
Volksbanken damit zudem den<br />
umfassenden Sicherheitsanforderungen<br />
der Finanzbranche<br />
Rechnung. Für die Genossen<br />
wie für die Sparkassen<br />
nennt Pult zum Beispiel die<br />
Vorgaben nach MaRisk und<br />
diejenigen der BaFin. „Zudem<br />
müssen wir die Vorgaben des<br />
sicheren IT-Betriebs erfüllen.<br />
Demnach dürften wir nicht<br />
einmal eine E-Mail mit dem<br />
Kunden unverschlüsselt austauschen.“<br />
Aufgrund der vorgeschriebenen<br />
Standards sind damit<br />
die großen und bekannten Anbieter<br />
von Public Clouds aus dem Rennen.<br />
Die nötigen Garantien können lediglich<br />
die vertrauenswürdigen Rechenzentren<br />
geben, wie sie etwa von den Verbundpartnern<br />
der Kreditinstitute betrieben<br />
werden. Diese gewährleisten die entsprechende<br />
bankfachliche Kompetenz und<br />
sie erfüllen auch die Datenschutzregeln.<br />
Rumpe von der RWTH Aachen betont<br />
einen wichtigen Punkt: „Die Rechenzentren<br />
müssen den gleichen rechtlichen<br />
Vorgaben unterliegen wie die Bank.“<br />
Sicherheit geht vor<br />
Stimmt der Rahmen, lassen sich mit<br />
zentralisierten Systemen sogar deutlich<br />
höhere Sicherheitsstandards gewährleisten,<br />
als sie ein Institut in Eigenregie<br />
aufbauen könnte. FIO-Vorstand Schulmann<br />
erläutert, „dass lokal installierte<br />
Software sehr viel anfälliger ist für Anwendungsfehler<br />
und auch mehr Support<br />
erfordert als die zentrale Infrastruktur<br />
spezialisierter Anbieter“. Die Daten- und<br />
Betriebssicherheit ist auf den zentralen<br />
Servern deshalb weitaus höher. Schulmann<br />
ergänzt: „Tausende von Einzelinstallationen<br />
sind deutlich schwerfälliger<br />
und teurer zu betreiben als der<br />
zentrale und geschützte Server.“<br />
Rumpe gibt allerdings zu bedenken,<br />
dass der Prozess der Verlagerung mit<br />
nicht zu unterschätzenden Prozessrisiken<br />
behaftet sei. „Die strategische Reorganisation<br />
muss gut geplant sein. Dazu<br />
kommt die Frage der Kosten. In welcher<br />
Situation lohnt sich die Auslagerung und<br />
was kostet die Sicherheit?“<br />
„Bei vielen<br />
Cloud-Anwendungen<br />
ist nicht<br />
bekannt, wo<br />
sich die<br />
Daten befinden<br />
und wer<br />
dafür zuständig<br />
ist .“<br />
Nicolas Schulmann,<br />
Vorstand FIO<br />
Systems<br />
Klar ist: Mit der Auslagerung von Services<br />
begeben sich die Sparkassen<br />
grundsätzlich in die Abhängigkeit von<br />
externen Anbietern. Doch gilt das für alle<br />
Arten des Outsourcings und so kommt<br />
es letztlich auf das Vertrauensverhältnis<br />
zum Dienstleister an, wie Pult konstatiert.<br />
„Unsere Verbundpartner sind auf jeden<br />
Fall die bevorzugten Anbieter, auch wenn<br />
sie nicht unbedingt die günstigsten sind.“<br />
Die Stadtsparkasse Düsseldorf<br />
erwarte vor allem eine gut<br />
funktionierende Zusammenarbeit.<br />
„Das gilt auch in punkto<br />
Cloud Computing. Es müssen<br />
alle Aspekte geprüft sein und<br />
die rechtlichen Vorgaben lückenlos<br />
erfüllt werden.“ Und<br />
das gehe meist nur mit den<br />
zertifizierten Partnern aus der<br />
Finanzbranche, sagt Pult.<br />
Eine gewisse Flexibilität sieht<br />
der Düsseldorfer Experte dennoch<br />
im Rückgriff auf externe<br />
Partner. „Größere Häuser<br />
könnten etwa das Kernbankensystem<br />
der FI nutzen und gegebenenfalls<br />
auf weitere Services<br />
anderer Anbieter zurückgreifen.“<br />
Doch egal, welcher Anbieter<br />
zum Zuge kommt, stets<br />
müssen etwa die Schadensersatzregelungen<br />
bei Pannen genauso<br />
geklärt sein wie die Frage, ob der Partner<br />
greifbar und den relevanten gesetzlichen<br />
und Haftungsregeln unterworfen ist.<br />
Kunden lassen sich besser einbinden<br />
Die Möglichkeiten von zentralisierten<br />
Services aus Cloud-Umgebungen sind<br />
dabei nach Ansicht von Anbietern und<br />
Experten beachtlich. So setzt der genossenschaftliche<br />
Dienstleister GAD laut<br />
Vorstandschef Lederer auf mehr Flexibilität.<br />
„Bank21 im Web wird auf allen<br />
marktgängigen Systemen lauffähig sein,<br />
ob Thin Client, Tablet oder ähnliches.“ So<br />
können etwa die Berater auch beim Kundentermin<br />
außer Haus auf Daten und Anwendungen<br />
zugreifen.<br />
Und für den Aachener Wissenschaftler<br />
Rumpe eröffnet die Technologie auch<br />
Perspektiven im Hinblick auf Services<br />
für den Kunden. „Cloud Computing heißt<br />
in diesem Zusammenhang, dass die<br />
Banken ihre Kunden stärker einbinden<br />
können, etwa durch erweiterte Möglichkeiten<br />
beim Onlinebanking.“ Zudem lasse<br />
sich die Vernetzung unterschiedlicher<br />
Akteure in Zukunft mit zentralisierten<br />
Strukturen besser bewerkstelligen als<br />
mit fest beim Nutzer installierten Anwendungen.<br />
Doch gilt in jedem Fall, dass Amazon<br />
und ähnliche Anwendungen keine Alternativen<br />
für kritische Prozesse sind, auch<br />
wenn sich noch so viel sparen ließe. Für<br />
Schulmann ist daher ganz klar: „Im Bankbereich<br />
können wir uns keine Public<br />
Cloud leisten.“<br />
<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
34<br />
MANAGEMENT<br />
MARKETING<br />
Junge bleiben anders<br />
Die Lebensstile der Nachwuchskunden unterscheiden sich, zudem ändern junge Erwachsene oft<br />
ihre Ziele und Pläne. Sparkassen entwickeln Konzepte, mit denen sich die ebenso anspruchsvollen<br />
wie interessanten Kunden dennoch halten und gewinnen lassen.<br />
n VON STEFAN BOTTLER<br />
Sparkassen verfügen in den regionalen<br />
Kinder- und Jugendmärkten der unter<br />
18-Jährigen oft über etwa 70 Prozent<br />
Marktanteil. Doch mit der Zielgruppe<br />
der jungen Erwachsenen zwischen 18<br />
und 30 Jahren weiterhin in Kontakt zu<br />
bleiben, erfordert Aufwand. Institute<br />
müssen unterschiedliche Ansprachen<br />
entwickeln und aktuelle Trends berücksichtigen,<br />
denn Wünsche und Ziele von<br />
Nachwuchskunden unterliegen einem<br />
ständigen Wandel.<br />
„Wir wählen Nachwuchskunden über<br />
18 regelmäßig nach Kontomodell und<br />
Geldeingängen aus“, sagt Thomas Besting,<br />
Produkt- und Vertriebsmanager<br />
der Sparkasse Hilden-Ratingen-Velbert.<br />
Wenn Veränderungen wie ein erstmaliger<br />
Gehaltseingang festgestellt werden, setzt<br />
sich das Institut mit dem Kontoinhaber<br />
telefonisch oder online in Verbindung<br />
und lädt ihn zum Beratungsgespräch<br />
ein. Das Interesse ist groß: „Weit über 80<br />
Prozent nehmen die Einladung an“, sagt<br />
Besting. Vorbei seien dann die Zeiten, als<br />
die Jugendlichen vor allem mit Events bei<br />
der Stange gehalten wurden. Wer 18 geworden<br />
ist, möchte als mündiger Kunde<br />
behandelt werden, sagt Besting.<br />
Weil viele in diesem Lebensabschnitt<br />
für Ausbildung oder Studium in eine<br />
andere Stadt ziehen, wechseln sie auch<br />
den Finanzdienstleister. Das muss aber<br />
nicht unbedingt die Sparkasse am neuen<br />
Wohnort sein. Konkurrenten, die häufig<br />
kaum in den Kinder- und Jugendmarkt<br />
investiert haben, werben oft erfolgreich<br />
Studien-und Berufsstarter ab. Und weil<br />
die Gesellschaft insgesamt altert, schwindet<br />
der Anteil der 18- bis 30-Jährigen an<br />
der Gesamtbevölkerung kontinuierlich.<br />
Bei den jüngeren Jahrgängen bis 21 Jahre<br />
wird das Minus bis 2020 rund 19 Prozent<br />
betragen.<br />
Produkte passend zur Lebensphase<br />
Wenn Sparkassen den aktuellen Kundenstand<br />
halten wollen, müssen sie ihren<br />
Marktanteil bei Girokonten von 58<br />
auf 72 Prozent steigern, ermittelte der<br />
Deutsche Sparkassen- und Giroverband<br />
(DSGV) bereits 2007 im „Dienstleistungspaket<br />
Nachwuchskunden“. Gemeinsam<br />
mit neun Sparkassen und acht Regionalverbänden<br />
wurden Marketingkonzepte<br />
entwickelt, die der Umbruchsituation,<br />
die jeder in dieser Zielgruppe durchlebt,<br />
Rechnung tragen.<br />
Produkte für Kunden ab 18 müssen auf<br />
die jeweilige Lebensphase ausgerichtet<br />
sein. Die Sparkasse Burbach-Neunkirchen<br />
versucht es mit Führerscheinsparen.<br />
Gerade volljährig gewordene<br />
Kunden legen laut Sparvertrag, der<br />
im Idealfall bereits von den Eltern geschlossen<br />
worden ist, monatlich wenigstens<br />
zehn Euro auf die hohe Kante. Der<br />
übliche Betrag liegt bei 25 Euro. Auch<br />
Einladungen zu Beratungsgesprächen<br />
müssen zur jeweiligen Lebenssituation<br />
passen. Die Sparkasse Worms-Alzey-Ried<br />
nimmt Geburtstage zum Anlass. Zum<br />
21. Geburtstag ist demnach ein Gespräch<br />
über Bausparen fällig, 24-jährige werden<br />
zu einer Riester-Renten-Beratung eingeladen.<br />
„Das Beratungsgespräch kann natürlich<br />
auch völlig andere Produkte zum<br />
Gegenstand haben“, sagt Melanie Kahl,<br />
Nachwuchskundenbetreuerin des Instituts.<br />
Wichtig sei der persönliche Kontakt<br />
zum Kunden. Wenn möglich sollten sich<br />
Sparkasse und Kunde wenigstens einmal<br />
im Jahr zusammensetzen.<br />
Über Änderungen in der Lebensplanung<br />
ist das Ins titut dann immer informiert.<br />
An den Kunden dürfte es nicht<br />
scheitern. Grundsätzlich gelten auch<br />
Starkes Interesse an Geld, Erfolg, Konsum und Internet<br />
Mit keiner Zielgruppe tun sich Marktforscher<br />
derart schwer wie mit den 18- bis 30-Jährigen.<br />
Während die einen noch im Studium oder<br />
in der Ausbildung sind und bei den Eltern<br />
oder alleine wohnen, haben die anderen<br />
Webseiten mit Finanzthemen sind bei<br />
jungen Erwachsenen angeblich besonders<br />
gefragt.<br />
den Einstieg ins Berufsleben geschafft und<br />
eine Familie gegründet. Einige Gemeinsamkeiten<br />
gibt es trotzdem: Viele Erwachsene<br />
unter 30 informieren sich ausschließlich im<br />
Internet über neue Themen und Produkte<br />
und verzichten völlig auf Tageszeitungen. Das<br />
ermittelte 2010 das Institut für Demoskopie<br />
in Allensbach in seiner jährlichen Markt- und<br />
Werbeträgeranalyse AWA. Weitaus stärker<br />
als ältere Zielgruppen wünschen sich junge<br />
Erwachsene den schnellen beruflichen Erfolg<br />
und haben eine hohe Meinung von starken<br />
Marken als „Qualitätsindikatoren“. Vor allem<br />
junge Männer wünschen sich daher größere<br />
finanzielle Spielräume. In Deutschland trifft<br />
dies auf 35 Prozent der befragten Personen zu,<br />
ermittelte der Vermarkter Microsoft Advertising<br />
in einer vergleichenden Erhebung in sieben<br />
Ländern – das ist europaweit der höchste<br />
Wert. Rund 60 Prozent der Befragten klicken<br />
regelmäßig Webseiten mit Finanzthemen an.<br />
Sogar die Quoten bei Sport (57 Prozent) und<br />
Unterhaltung (50 Prozent) liegen darunter.<br />
Mehreren Marktstudien zufolge schauen junge<br />
Verbraucher lieber in einen Apple-Store als<br />
in ein Autohaus: iPhone und iPad haben den<br />
Pkw als imagestärkstes Kaufobjekt offenbar<br />
abgelöst. An politischen, wirtschaftlichen und<br />
anderen gesellschaftlichen Diskussionen sind<br />
die jungen Verbraucher von heute weit weniger<br />
interessiert als ihre Altersgenossen vor zehn<br />
Jahren, ermittelte AWA 2010.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
MANAGEMENT 35<br />
Vielseitige Zielgruppe: Bei den Nachwuchskunden finden sich gut situierte junge Eltern mit<br />
Immobilienwunsch ebenso wie Studenten und Auszubildende.<br />
FOTOS: DPA<br />
18- bis 30-Jährige, die nur unregelmäßig<br />
eine Filiale aufsuchen, als offen für Beratungsgespräche.<br />
Solche Kunden sollten<br />
die Berater am Telefon ansprechen,<br />
empfiehlt Henning Stern.<br />
„Wenn wir Empfehlungen anbieten,<br />
wie der Kunde sich mit<br />
dem Sparkassen-Finanzkonzept<br />
am besten aufstellt, stoßen<br />
wir gerade in dieser Zielgruppe<br />
auf eine positive Resonanz“,<br />
sagt der Vertriebsmanager der<br />
Sparkasse Burbach-Neunkirchen.<br />
Typische Produkte, die speziell<br />
diese Zielgruppe ansprechen,<br />
gibt es seiner Erfahrung<br />
nach nicht. „Bei der Riester-<br />
Rente konnten wir fonds-, renten-<br />
und immobiliengebundene<br />
Varianten vermitteln“, sagt Stern.<br />
„In unserer ländlichen Region im Siegerland<br />
überwiegt klar der WohnRiester.“<br />
„Ohne ein<br />
attraktives<br />
Onlineportal<br />
kann diese<br />
Zielgruppe<br />
nicht erreicht<br />
werden.“<br />
Thomas Besting,<br />
Vertriebsmanager,<br />
Sparkasse Hilden-<br />
Ratingen-Velbert<br />
In der Tat ist es ein Unterschied, ob eine<br />
Sparkasse an einem Hochschul- oder<br />
Wirtschaftsstandort ihren Sitz hat und<br />
ob ortsansässige oder zugezogene<br />
Verbraucher überwiegen.<br />
Wenn besondere Unterzielgruppen<br />
wie Studenten dominieren,<br />
sind besondere Betreuungskonzepte<br />
sinnvoll.<br />
Weil an den örtlichen Hochschulen<br />
rund 7000 Studenten<br />
immatrikuliert sind, hat<br />
die Kreissparkasse Heilbronn<br />
für diese Zielgruppe eine<br />
spezifische Marktkommunikation<br />
mit der Homepage campusplus.de<br />
konzipiert. Hier finden<br />
Studenten Informationen<br />
über Studienkredite, Sparpläne<br />
und kostenlose Girokonten.<br />
Es gibt Angebote für Jobs, Praktika und<br />
Diplomarbeiten oder Gutscheine, etwa<br />
für Kfz-Ölwechsel und -Inspektionen.<br />
Rund 500 bis 600 Studenten klicken diese<br />
Homepage jeden Monat an. Wenn etwa<br />
Konzertkarten verlost werden, schnellen<br />
die Besucherzahlen schon mal auf 1500<br />
hoch.<br />
Berater gehen an die Hochschulen<br />
„Wir gehen dorthin, wo unsere Kunden<br />
sind“, erläutert Martina Garrels, Vertriebsmanagerin<br />
der Kreissparkasse<br />
Heilbronn. Seit Oktober 2010 sind zwei<br />
mobile Berater, die auf campusplus.de<br />
mit allen Kontaktdaten vorgestellt werden,<br />
jeden Werktag zwischen 11 und<br />
14 Uhr an der Hochschule unterwegs.<br />
Bei Studenten stehen naturgemäß Finanzierungsprodukte<br />
für das Studium<br />
im Mittelpunkt. „Vor allem der Kfw-Studienkredit<br />
wird stark nachgefragt“, sagt<br />
Sparkassenberater Besting. „Seit 2009<br />
haben sich die Klickraten auf dieses<br />
Produkt verdoppelt.“ Dabei gibt es im<br />
Einzugsgebiet der Sparkasse Hilden-Ratingen-Velbert<br />
gar keine eigenständige<br />
Hochschule. Offenbar interessieren sich<br />
täglich pendelnde Studenten, die an<br />
den Nachbarhochschulen an Rhein und<br />
Ruhr immatrikuliert sind, für die zinsgünstigen<br />
Angebote.<br />
Wenn es um Details geht, ziehen sie<br />
laut Besting eine persönliche Beratung<br />
vor. „Die Abschlusszahlen haben sich<br />
seit dem Relaunch unserer Homepage<br />
deutlich erhöht“, hat der Vertriebsmanager<br />
registriert. Ohne ein attraktives Onlineportal<br />
könne diese Zielgruppe nicht<br />
erreicht werden. Ein stark nachgefragtes<br />
Produkt sei ebenfalls die für Internet-Einkäufe<br />
unverzichtbare Kreditkarte, die mit<br />
Prepaid-Schranke mittlerweile an fast jeden<br />
Girokontoinhaber geschickt werden<br />
kann.<br />
Alle Kanäle werden genutzt<br />
Für viele Sparkassenkunden zwischen<br />
18 und 30 ist Online-Banking ohnehin<br />
eine Selbstverständlichkeit. Auch Institute<br />
mit überwiegend ländlichen Einzugsgebieten<br />
melden Nutzungsquoten<br />
zwischen 40 und 50 Prozent Das kann<br />
die Kommunikation erheblich erleichtern.<br />
„Wir können jederzeit Werbe- und<br />
andere Botschaften im elektronischen<br />
Postfach ablegen“, sagt Melanie Kahl von<br />
der Sparkasse Worms-Alzey-Ried. Ob die<br />
Kunden sie auch aufrufen, bleibt jedoch<br />
ungewiss.<br />
Andererseits bedeuten solche Quoten,<br />
dass mehr als die Hälfte der Nachwuchskunden<br />
auf anderen Kanälen erreicht<br />
werden muss. Neben Telefon und Mailing<br />
setzen die Rheinländer etwa die<br />
Zeitschrift „S-Pool“ ein, die über Reisen,<br />
Lifestyle und Events informiert. Leser<br />
können sich außerdem um Praktikumsplätze<br />
und Sprachreisen bewerben. Ein<br />
monatlicher Newsletter ergänzt das Angebot.<br />
Beide Medien richten sich an jüngere<br />
Zielgruppen, die noch nicht ins Berufsleben<br />
eingestiegen sind.<br />
<br />
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36<br />
FINANZGRUPPE<br />
BERATUNG<br />
Heimliche Tester<br />
Der Einsatz von staatlichen Testkäufern in Kreditinstituten wurde zuletzt emotional diskutiert.<br />
Dabei ist ins Hintertreffen geraten, dass „Mystery Shopper“ in vielen Häusern bereits zum Einsatz<br />
kommen – um die Beratungsqualität zu ermitteln und zu verbessern.<br />
n VON ANJA KÜHNER<br />
Viele Unternehmen nutzen Testkäufer<br />
zur Qualitätssicherung, und das<br />
nicht erst seit der umstrittenen Ankündigung<br />
der Verbraucherschutzministerin<br />
Ilse Aigner, verdeckte BaFin-Ermittler<br />
auf die Kreditwirtschaft loszulassen. Die<br />
Ostsächsische Sparkasse Dresden (OSD)<br />
etwa lässt sich seit vielen Jahren regelmäßig<br />
von Mystery Shoppern auf den<br />
Zahn fühlen. „Testkäufe runden neben<br />
den klassischen Marktforschungsinstrumenten<br />
das Bild über unser Haus von<br />
außen ab“, sagt Gunnar Fischer, Direktor<br />
Vertriebsmanagement bei der OSD.<br />
„Mit ihnen kann man frühzeitig Verbesserungspotenziale<br />
und zugleich Stärken<br />
identifizieren.“<br />
Ziel sei die Qualitätssicherung. Testkäufe<br />
seien Kritik, Gradmesser und<br />
Impuls zugleich. „Mit dem Sparkassen-<br />
Finanzkonzept haben wir eine gute<br />
Grundlage für eine bedürfnisgerechte<br />
Beratung unserer Kunden. Testkäufe unterstützen<br />
uns bei der Perfektionierung<br />
unserer Beratungstechnik“, erläutert<br />
Fischer. Für ihn sei das ein klarer Wettbewerbsvorteil.<br />
Außerdem gelte: „Selbst<br />
wenn einem das Spiegelbild missfällt,<br />
und Fehler zeigt – es bleibt trotzdem ein<br />
Spiegelbild.“<br />
„Viele Banken setzen derzeit auf Qualitätsoffensiven,<br />
doch die Beratungsqualität<br />
muss man zur Erfolgskontrolle etwa<br />
jedes Jahr prüfen“, bestätigt Mystery<br />
Shopping-Experte Kai Fürderer vom Institut<br />
für Vermögensaufbau (IVA). Denn<br />
nur im Jahresvergleich könne man eine<br />
Qualitätsänderung dokumentieren.<br />
Haspa: Tests steigern die Qualität<br />
Davon zeigen sich auch die Verantwortlichen<br />
der Hamburger Sparkasse überzeugt.<br />
Bereits seit Jahren setzt das Institut<br />
Testkäufer ein, um die eigenen Qualitätsansprüche<br />
zu verifizieren. Dabei gibt es<br />
die Testbereiche Service und Beratung.<br />
Sechs Mal im Jahr wird die Servicequalität<br />
jeder Filiale getestet. Die sechs unterschiedlichen<br />
Testszenarien beziehen<br />
sich auf Themen wie Reiseschecks, Sortenumtausch,<br />
Prepaid-Kreditkarte oder<br />
Onlinebanking. Jährlich prüfen sieben<br />
Tests pro Filiale die Beratungsqualität.<br />
Ein Test-Szenario dreht sich dabei um<br />
die Neueröffnung eines Girokontos. „Die<br />
Tests zeigen ein gutes und steigendes<br />
Qualitätsniveau, so dass sich das gesamte<br />
Institut in einem kontinuierlichen<br />
Verbesserungsprozess befindet“, berichtete<br />
Reinhard Klein, stellvertretender<br />
Sprecher des Haspa-Vorstands, auf der<br />
16. „Handelsblatt“-Tagung Privatkunden<br />
im März in Mainz. Dazu sei vor allem<br />
auch ein zeitnahes Feedback notwendig.<br />
Die Ergebnisse der Testkäufer würden<br />
den Beratern mitgeteilt. Allerdings fließe<br />
das Ergebnis laut Klein in keiner Weise<br />
in eine individuelle Beurteilung ein. Es<br />
schlage sich auch nicht in Personalakten<br />
nieder, und es habe keinen Einfluss auf<br />
das Erreichen von Vergütungszielen.<br />
Die Haspa hat ihr Qualitätsmanagement<br />
bereits seit 1993 auf der Basis von<br />
Kundenbindung und -zufriedenheit etabliert.<br />
Zwischen 1998 und 2004 setzte das<br />
Institut auch die Vereinbarung von vergütungsrelevanten<br />
Qualitätszielen um.<br />
Diese Qualitätsziele machen inzwischen<br />
auf Mitarbeiterebene 50 Prozent der gesamten<br />
Ziele aus, wie Klein berichtete.<br />
Allerdings warnen Mystery-Shopping-<br />
Experten: „Wenn ein Mitarbeiter Angst<br />
hat, dass er ausspioniert wird, dass das<br />
Testergebnis in der Personalakte landet<br />
oder er bei schlechtem Abschneiden gefeuert<br />
wird, dann könnte er sich verweigern“,<br />
sagt Stefanie Prins vom Beratungsunternehmen<br />
Yougov-Psychonomics.<br />
Wenn sich ein Berater aber verweigere<br />
oder gar bewusst eine schlechte Beratung<br />
abliefere, bestehe die Gefahr, dass er<br />
echte Kunden vergrault.<br />
Letzten Endes zählt für ein Geldinstitut<br />
nur, dass die Testkäufe die Beratungsqualität<br />
verbessern: „Wenn ich auf dem<br />
Stuhl des Kunden keine Verbesserung<br />
spüre, war das nicht erfolgreich“, sagt<br />
IVA-Experte Fürderer. „Wenn ein Institut<br />
nach drei Jahren feststellt, dass sich<br />
die Freundlichkeit der Mitarbeiter nicht<br />
verbessert hat, haben die Unternehmen<br />
eine bessere Argumentationsbasis für<br />
Maßnahmen, so dass die Mitarbeiter Veränderung<br />
eher akzeptieren.“ Solche Maßnahmen<br />
seien meist Fach- und Kommunikations-Trainings.<br />
Berater testen oft andere Berater<br />
Die Haspa-Berater können in Zukunft<br />
auch individuelle Beraterbewertungen<br />
erhalten, wenn die Mitarbeitervertretung<br />
zustimmt. „Externe Beraterportale bieten<br />
schon jetzt vermehrt Transparenz“, sagt<br />
Institutsmanager Klein. „So können sich<br />
die Mitarbeiter darauf vorbereiten und<br />
an die kommende interne Transparenz<br />
gewöhnen.“<br />
Viele Sparkassen setzen systematische<br />
Testkäufe seit Jahrzehnten ein. Die Vorgaben<br />
externer Tester unterscheiden sich<br />
jedoch oft von der Ausrichtung interner<br />
Tests. „Externe machen keine Tests zur<br />
Selbstbeweihräucherung, sondern haben<br />
zum Ziel, in wenigen Sichtproben<br />
kritische Aspekte herauszuarbeiten, die<br />
zum Schutz der Mitarbeiter und der Kunden<br />
besser definiert und trainiert werden<br />
müssen“, sagt IVA-Experte Fürderer.<br />
Für die Ostsächsische Sparkasse Dresden<br />
gehören Testkäufe – egal ob von ihr<br />
selbst oder von Dritten initiiert – zum<br />
Beratungsalltag, wie Vertriebsmanager<br />
Fischer sagt. Das Institut beauftrage regelmäßig<br />
Dienstleister mit anonymen<br />
Testkäufen und das Engagement mache<br />
sich bezahlt. In der Sparkassen-Finanz-<br />
Geplante BaFin-Testkäufe sind derzeit nicht möglich<br />
Verbraucherzministerin Ilse Aigner will, dass<br />
die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
(BaFin) künftig von Dritten Testkäufe<br />
im staatlichen Auftrag durchführen lässt. Die<br />
Testkäufe sollen überprüfen, ob Institute die<br />
rechtlichen Vorgaben des Wertpapierhandelsgesetzes<br />
zur Anlageberatung einhalten. Das ist<br />
allerdings nur mit einer Gesetzesänderung des<br />
Wertpapierhandelsgesetzes möglich, darauf<br />
hatte der Bundesbeauftragte für Datenschutz,<br />
Peter Schaar, hingewiesen. Wann das Verfahren<br />
beendet sein wird, steht zurzeit nicht fest.<br />
Bei den BaFin-Testkäufen soll es sich nicht<br />
um „verdeckte Ermittlungen“ im Sinne der<br />
Strafprozessordnung“ handeln, stellt eine<br />
BaFin-Sprecherin klar. Aigners Begriff der „privaten<br />
Ermittler“ hatte bei den Bankenverbänden<br />
Widerstand ausgelöst, die sich gegen die<br />
„Kriminalisierung einer ganzen Berufsbildes<br />
von 300.000 Mitarbeitern“ verwehren.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
FINANZGRUPPE 37<br />
Testkäufer in der Filiale: Viele Kreditinstitute setzen auf das sogenannte Mystery Shopping, um die Beratungsqualität zu prüfen und zu<br />
verbessern. Die Erfahrungen sind häufig positiv, allerdings hat das Testverfahren auch seine Tücken. <br />
ILLUSTRATION: O. WEISS<br />
gruppe sind auch sogenannte „Testkäufe<br />
auf Gegenseitigkeit“ beliebt. Dabei geht<br />
ein Sparkassen-Berater zu einer anderen<br />
Sparkasse des Verbandsgebiets zum<br />
Testkauf. Die Häuser stehen mit ihren eigenen<br />
Testkäufen im Grunde vor der gleichen<br />
Aufgabe wie die BaFin, die künftig<br />
auf Initiative des Verbraucherschutzministeriums<br />
Testkäufe<br />
vornehmen soll (s. Kasten linke<br />
Seite). Es müssen einheitliche<br />
Standards geschaffen<br />
werden. Die Testsituationen<br />
müssen wirklich miteinander<br />
vergleichbar sein, um sinnvolle<br />
Ergebnisse zu erzeugen. Experten<br />
sprechen von zwei wichtigen<br />
Kriterien für die Qualität<br />
von Testkäufen: die fachlichen<br />
Fähigkeiten der Tester und die<br />
Realitätsnähe der Tests.<br />
Brauchbare Tester im Finanzbereich<br />
zu finden, ist eine anspruchsvolle<br />
Aufgabe. „Der<br />
ideale Tester sollte Ahnung<br />
und eine Affinität zum Bankenbereich<br />
haben, vielleicht sogar eine Banklehre<br />
absolviert haben“, sagt Beraterin Prins.<br />
Auch ein gutes Gedächtnis, Reaktionsgeschick,<br />
Improvisationsfähigkeit und<br />
sogar schauspielerisches Talent seien<br />
gefragt. „Tester müssen viel auswendig<br />
lernen, nicht nur die neue Adresse und<br />
warum man sich diese Bank neu auswählt“,<br />
erläutert Prins. „Der Tester muss<br />
sich auch in seiner imaginären Wohngegend<br />
auskennen, damit er nicht sofort<br />
auffliegt, wenn der Berater diese zufällig<br />
„Mit<br />
mangelnder<br />
Qualität der<br />
Geschichten<br />
steigt die<br />
Gefahr, dass<br />
ein Tester<br />
auffliegt.“<br />
Dietmar Vogelsang.<br />
Sachverständiger<br />
und Finanzberater<br />
kennt und über den Laden an der Ecke<br />
spricht.“ Banken zu testen sei kein Massengeschäft<br />
wie beispielsweise Testkäufe<br />
im Einzelhandel.<br />
„Unsere letzte Testkauf-Reihe mit den<br />
Schwerpunkten Wertpapierberatung<br />
und Konsumentenkredit hat bei den Testern<br />
neben fachlicher Expertise<br />
die Kenntnis bankinterner<br />
Prozesse und moralischer<br />
Standards vorausgesetzt“,<br />
stimmt OSD-Manager Fischer<br />
zu. Die größte Herausforderung<br />
sei jedoch die überzeugende<br />
Story, die der Testkäufer<br />
in der Filiale beim Berater aufbaue,<br />
um wirklich authentisch<br />
beraten zu werden. Ein Testkäufer<br />
benötige „durchschnittliche,<br />
gewöhnliche Szenarien,<br />
die sich am Alltagsgeschäft<br />
orientieren“, bestätigt auch die<br />
YouGov-Expertin Prins. Altersvorsorge,<br />
Kredit oder Geldanlage<br />
sind daher typische Anliegen.<br />
Getestet werde hier, ob der Berater<br />
eine fundierte Bedarfsanalyse durchführe,<br />
also etwa nach dem Einkommen frage,<br />
und den Finanzcheck einsetze.<br />
Die „Geschichten“ müssen stimmen<br />
Mangelhafte Geschichten kritisiert der<br />
Sachverständige und Gutachter Dietmar<br />
Vogelsang aus Bad Homburg. Gerade die<br />
Anlage eines Geldbetrags als Erbschaft<br />
sei eine „Schmalspurstory“, denn es<br />
blieben zu viele Fragen offen in Bezug<br />
auf Job, Lebensstatus und bestehende<br />
Anlagen. Zwar hätten sowohl Anbieter<br />
als auch das durchführende Marktforschungsinstitut<br />
ein Interesse an effizienten<br />
und kostengünstigen Tests. Dies<br />
führe dann aber zu langen Checklisten,<br />
die wenig über die inhaltliche Qualität<br />
der Beratung aussagten. Mit mangelnder<br />
Qualität des „Storyboards“ steigt laut Vogelsang<br />
die Gefahr, dass der Tester „auffliegt.“<br />
Berater reagieren oft misstrauisch<br />
Diese Gefahr wachse auch, wenn Bankberater<br />
untereinander häufig Kontakt<br />
haben, so die Erfahrung von Marktforscherin<br />
Prins. Vor allem in Großstädten<br />
wie Hamburg, Frankfurt und München<br />
vermuteten die Berater inzwischen in<br />
jedem Interessenten einen Tester, sagt<br />
IVA-Experte Fürderer. „Ein echter Interessent<br />
tut sich in Großstadt-Banken heute<br />
immer schwerer, ein echtes Gespräch zu<br />
führen, das ihm auch Spaß macht“, so<br />
Fürderer. Banken sammelten inzwischen<br />
Daten mit Plausibilitäts-Screening oder<br />
verlangten von Interessenten sogar die<br />
Vorlage des Personalausweises. Wenn<br />
Zweifel an der „Echtheit“ des Kunden bestünden,<br />
gingen per E-Mail Warnungen<br />
durchs Haus.<br />
Der Sachverständige Vogelsang nennt<br />
noch eine grundsätzliche Kritik: Das Ausfüllen<br />
von Checklisten garantiere noch<br />
lange nicht, dass das Ergebnis von Testkäufen<br />
wirklich brauchbar ist. „Wie lange<br />
der Kunde wartet und ob der Kaffee gut<br />
schmeckt, ist doch letztlich für die Beratungsqualität<br />
nicht relevant.“<br />
n<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
38<br />
FINANZGRUPPE<br />
IMMOBILIEN – GASTBEITRAG<br />
Keine Angst vor<br />
leeren Flächen<br />
Ungenutzter Raum kostet Geld. Peter Becker und<br />
Rainer Triebwasser von der Sparkasse Holstein<br />
erklären, worauf es bei der Flächenreduzierung<br />
ankommt.<br />
Beim Aufräumen kommt viel zum<br />
Vorschein, das bares Geld wert ist.<br />
So ging es der Sparkasse Holstein, als<br />
sie ihren Gesamtbestand an Immobilien<br />
sichtete. Von derzeit noch 91 Objekten<br />
befinden sich 56 im Eigentum. Bei der<br />
Aktivierung dieses an sich gebundenen<br />
Kapitals sammelte das Institut positive<br />
Erfahrungen: In nur vier Jahren wurden<br />
Attraktivität und Flexibilität vieler Standorte<br />
gesteigert und die Ertragssituation<br />
um insgesamt etwa zwei Mio. Euro jährlich<br />
entlastet.<br />
Mit den Anforderungen an das Bankgeschäft<br />
wandeln sich auch die räumlichen<br />
Rahmenbedingungen. Bereits bei<br />
der Umstellung auf das Vertriebskonzept<br />
2010 hat die Sparkasse Holstein<br />
Vertriebseinheiten an verschiedenen<br />
Standorten gebündelt. Die Produktion –<br />
insbesondere Kredite und Marktservice<br />
– wurde zentralisiert, Filialen wurden zusammengelegt,<br />
bis sie eine angemessene<br />
Mindestgröße erreichten. Heute hat das<br />
Institut bei einem Bilanzvolumen von<br />
5,3 Mrd. Euro 35 personenbesetzte und<br />
35 SB-Filialen.<br />
Während Vertriebskraft und Effizienz<br />
gesteigert wurden, verringerte sich die<br />
Anzahl der Beschäftigten. Die Folge waren<br />
leerstehende Flächen in den einzelnen<br />
Filialstandorten, während der Platz<br />
in den Hauptstellen nicht ausreichte, um<br />
alle Zentralfunktionen aufzunehmen.<br />
Es lag auf der Hand, die Nutzung der eigenen<br />
Immobilien auf den Prüfstand zu<br />
stellen. Schließlich bilden die Kosten<br />
für die eigenen Immobilien zusammen<br />
mit den IT-Kosten den Löwenanteil an<br />
den Sachkosten. Ende 2006 bündelte die<br />
Sparkasse Holstein alle Tätigkeiten rund<br />
um die eigenen Immobilien in einem<br />
eigen ständigen Bereich. Ziel war es, sowohl<br />
die wirtschaftliche Effizienz als<br />
auch die Qualität innerhalb des eigenen<br />
Immobilienbestands zu steigern.<br />
Das Potenzial war erheblich: Pro Mitarbeiter<br />
verfügte die Sparkasse Holstein<br />
über etwa 60 Quadratmeter eigengenutzter<br />
Fläche. Das ist das Doppelte dessen,<br />
was die Sparkasse Holstein idealerweise<br />
benötigt. Ziel ist es, im Durchschnitt<br />
pro Vertriebsmitarbeiter – umgerechnet<br />
auf Vollbeschäftigte – 35 Quadratmeter<br />
und pro weiterem Mitarbeiter 25 Quadratmeter<br />
vorzuhalten.<br />
Gar nicht ist besser als nachhaltig<br />
Die Reduzierung der sparkassenspezifisch<br />
genutzten Flächen ist dabei kein<br />
Selbstzweck, denn jede Fläche verursacht<br />
Kosten für laufende Instandhaltung,<br />
Beleuchtung, Heizung, Reinigung<br />
und öffentliche Abgaben. Es wird viel geschrieben<br />
über nachhaltige Bewirtschaftung,<br />
Einsatz regenerativer Energien und<br />
ähnliche Dinge – eine Fläche gar nicht<br />
Immobilienworkshop: Dritte Staffel steht vor dem Start<br />
Viele Sparkassen verfügen bereits über ein<br />
Ressourcenmanagement mit konsequenter<br />
Ausrichtung auf optimierte Verbrauchskennzahlen<br />
und zeitgemäßes Flächenmanagement.<br />
Zahlreiche Institute haben hier aber noch<br />
Handlungsbedarf. Ein Weg, die Immobilien-<br />
Infrastruktur nachhaltig zu optimieren, ist<br />
die Umsetzung von „Management eigener<br />
Immobilien“ im Workshop-Rollout. Bislang<br />
nahmen in zwei Staffeln insgesamt 29 Institute<br />
an dem Workshop teil. Neben der Sparkasse<br />
Holstein, die insbesondere ihre Expertise im<br />
Asset-Management weitergab, übernahmen<br />
die Kasseler Sparkasse, die Sparkasse Koblenz,<br />
die Sparkasse Herford und die Kreissparkasse<br />
Saarpfalz als Best-Practice-Sparkassen<br />
die Patenschaft für den Rollout und standen<br />
den Projektsparkassen mit Rat und Tat zur<br />
Seite. Die beachtlichen Projektergebnisse der<br />
einzelnen Häuser zeigen den Bedarf für eine<br />
Fortführung dieses Formats auf. Der Deutsche<br />
Sparkassen- und Giro verband bietet daher<br />
aktuell eine dritte Staffel mit Start am 14. Februar<br />
2012 in Berlin an. Weitere Informationen<br />
finden Sie unter<br />
www.umsetzungsbaukasten.de.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
FINANZGRUPPE 39<br />
unterhalten zu müssen, ist stets umweltverträglicher<br />
und kostenschonender als<br />
die beste Energiesparmaßnahme.<br />
Die Sparkasse Holstein schätzte ihr Kostensenkungs-<br />
und Ertragssteigerungspotenzial<br />
im Bereich der eigenen Immobilien<br />
auf konservativ zwei Mio. Euro<br />
jährlich, im optimistischen Fall auf bis<br />
zu drei Mio. Euro pro Jahr. Basis für diese<br />
Werte war eine eigene Expertenschätzung.<br />
Diese kam zu ähnlichen Ergebnissen<br />
wie das DSGV-Umsetzungshandbuch<br />
‚Management eigener Immobilien‘, das<br />
das Potenzial auf etwa 500.000 Euro pro<br />
einer Mrd. Euro Bilanzsumme beziffert.<br />
Die inzwischen gesammelten Erfahrungen<br />
belegen, dass diese Einschätzung<br />
auch umsetzbar ist. Dazu müssen<br />
– neben der laufenden Optimierung der<br />
Bewirtschaftungskosten – freie Flächen<br />
gefunden oder durch Flächenverdichtung<br />
freie Flächen geschaffen werden.<br />
Diese Flächen können dann abgetrennt<br />
und verwertet, das heißt, verkauft oder<br />
vermietet werden.<br />
Das Abtrennen und Verwerten von Flächen<br />
hat dabei nicht nur Kostengründe<br />
– es kann gleichzeitig auch einen Beitrag<br />
zur Erhöhung der Qualität leisten. Wenn<br />
beispielsweise eine Kundenhalle zu groß<br />
ist oder auf der vorhandenen Größe nicht<br />
mehr viele Mitarbeiter arbeiten, fühlt<br />
sich ein Kunde schnell verloren. Das geschickte<br />
Gestalten von Flächen schafft<br />
Platz für eine Vermietung. Wenn dieser<br />
Freiraum von einer Branche genutzt<br />
wird, die gut mit einer Bankfilialnutzung<br />
korrespondiert, können sich Sparkasse<br />
und Mieter im Idealfall ihre Kunden- und<br />
Nichtkundenströme wechselseitig zuführen.<br />
Es lässt sich schwer belegen, inwieweit<br />
eine höhere Frequenz auch wirklich<br />
vertrieblich genutzt wird. Dennoch dürfte<br />
unstrittig eine Filiale mit hoher Frequenz<br />
immer besser nutzbar sein als eine<br />
Filiale mit geringer Frequenz.<br />
Transparenz herstellen<br />
In der Praxis ergaben sich jedoch erhebliche<br />
Herausforderungen: Die fürs<br />
Immobilienmanagement benötigten<br />
Daten waren in der Sparkasse Holstein<br />
zwar überwiegend vorhanden, aber in<br />
der Regel nicht systematisch abrufbar.<br />
Es ist jedoch erforderlich, wesentliche<br />
Objektdaten nicht nur elektronisch<br />
vorzuhalten, sondern auch für Auswertungszwecke<br />
zu verknüpfen. Nur so wird<br />
es möglich, nicht nur Probleme etwa bei<br />
den Energiekosten zu erkennen, sondern<br />
auch festzustellen, wo und bei welchem<br />
Nutzer die Kosten zu hoch sind.<br />
Eine einheitliche Datenhaltung aufzubauen,<br />
ist aufwendig, auch bei der laufenden<br />
Pflege. Um hier nicht unnötige<br />
Energien zu investieren, sollte bereits in<br />
einem frühen Stadium festgelegt werden,<br />
welche Daten künftig zu welchem<br />
Zweck benötigt werden. Auf dieser Basis<br />
kann solide abgewogen werden, ob der<br />
Pflegeaufwand in einem gesunden Verhältnis<br />
zum erwarteten Nutzen steht. Ein<br />
gewisses Mindestmaß an Datenqualität<br />
und -quantität ist die Voraussetzung, um<br />
sich dem Thema Immobilienmanagement<br />
überhaupt stellen zu können.<br />
Marktwert ermitteln<br />
Die Buchwerte der eigenen Immobilien<br />
sollten in einer Bank einfach abrufbar<br />
sein. Doch wie sieht es mit den Marktwerten<br />
aus? Spätestens dann, wenn die<br />
Auseinandersetzung mit den Immobilien<br />
gestartet wird, sollten diese Angaben<br />
verfügbar sein. Die Sparkasse Holstein<br />
hat im Rahmen ihrer Immobilienstrategie<br />
alle Immobilien auf Basis einer möglichen<br />
Fremdnutzung nach dem Ertragswertverfahren<br />
bewertet. Das bedeutet<br />
nicht, dass eine solche Fremdnutzung<br />
jeweils auch angestrebt wird. Wenn dies<br />
bei einzelnen Objekten jedoch geschehen<br />
soll, ist man bestens vorbereitet. Wenn<br />
Buchwerte oberhalb der Marktwerte<br />
lagen, wurde konsequent auf den niedrigeren<br />
Wert abgeschrieben.<br />
Flächen optimieren<br />
Abstrakt gesprochen bedeutet eine Flächenoptimierung,<br />
dass nach Abschluss<br />
der Maßnahmen mehr Menschen pro<br />
Quadratmeter arbeiten als vor der Maßnahme.<br />
Hierdurch werden Flächen frei,<br />
die einer Verwertung zugeführt werden<br />
können. Das bedeutet, dass Flächenoptimierungen<br />
bei den betroffenen Mitarbeitern<br />
nicht per se beliebt sind. Es handelt<br />
sich um einen Spagat zwischen rechnerischer<br />
und tatsächlicher Effizienz. Die<br />
Sinnhaftigkeit einer Flächenoptimierung<br />
endet dort, wo produktive Arbeitsbedingungen<br />
für die Mitarbeiter nicht mehr<br />
ausreichend gewährleistet sind – schließlich<br />
soll die Immobilie weiterhin dem<br />
Menschen dienen und nicht umgekehrt.<br />
Die Erfahrung zeigt allerdings auch, dass<br />
sich durch geschickte Planung auch auf<br />
kleinen Flächen sehr gute und zeitgemäße<br />
Konzepte umsetzen lassen.<br />
Die oben erwähnten Flächenbenchmarks<br />
von 35 und 25 Quadratmetern pro<br />
Vollzeitmitarbeiter sind tatsächlich zu<br />
erreichen, teilweise sogar zu unterschreiten.<br />
Das gilt allerdings jeweils für einzelne<br />
Projekte. Bis der Bestand insgesamt<br />
auf diesem Niveau ankommt, werden<br />
noch viele Jahre vergehen. Es wäre auch<br />
unökonomisch, alle Standorte gleichzeitig<br />
auf diesen Level zu bringen.<br />
Flächen abtrennen und verwerten<br />
Bankgebäude sind Spezialimmobilien.<br />
Meist befinden sie sich – bezogen auf<br />
die jeweiligen Ortschaften – in guten bis<br />
sehr guten Lagen. Zum Teil haben sich<br />
im Laufe der Jahrzehnte jedoch die Ortskerne<br />
verschoben, und die Kundenströme<br />
gehen vielerorts in Richtung grüne<br />
Wiese. Gerade in kleineren Ortschaften<br />
sind also Nutzungskonzepte für nicht<br />
mehr benötigte Gebäude gefordert. Die<br />
Sparkasse Holstein hat eigene Makler<br />
damit beauftragt, nicht mehr benötigte<br />
Objekte nach und nach am Markt zu platzieren.<br />
Da viele Objekte erst nach einem<br />
Umbau marktfähig werden, hat sich das<br />
Institut bewusst gegen einen sogenannten<br />
Paketverkauf entschieden, also den<br />
Verkauf mehrerer Objekte im Rahmen<br />
einer Mischkalkulation an einen Investor.<br />
Dank der stattdessen gezielt vorgenommenen<br />
Einzelmaßnahmen kommt<br />
es auch zu einer Belebung der Standorte,<br />
vielfach durch den Einzug regionaler<br />
Unter nehmen. Hiervon profitiert auch<br />
die Sparkasse.<br />
Es hat sich als hilfreich erwiesen, diese<br />
Herausforderungen nicht alleine anzugehen,<br />
denn Wissen über systematisches<br />
Vorgehen und speziellen Fragen ist in der<br />
Sparkassen-Finanzgruppe reichlich vorhanden.<br />
Die Sparkasse Holstein hat daher<br />
als Patensparkasse an der Workshopreihe<br />
‚Management eigener Immobilien‘ des<br />
DSGV teilgenommen. Hier kommen Sparkassen<br />
aus dem gesamten Bundesgebiet<br />
mit Verbänden und Verbundunternehmen<br />
zusammen, um auf Augenhöhe und<br />
mit hoher Praxisorientierung Lösungen<br />
für die Herausforderungen der einzelnen<br />
Institute zu finden (siehe Kasten). Von diesem<br />
Austausch profitieren alle Beteiligten<br />
und erhalten immer wieder wichtige<br />
Impulse. Bei der nächsten Staffel ist die<br />
Sparkasse Holstein wieder mit dabei. <br />
Peter Becker ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender<br />
der Sparkasse Holstein, Rainer Triebwasser<br />
ist bei dem Institut als Abteilungsdirektor<br />
Unternehmensservice tätig.<br />
Filiale der Sparkasse<br />
Holstein in Ahrensburg.<br />
Auch Shop-inshop-Konzepte<br />
gehören zur Immobilienstrategie<br />
des<br />
Instituts.<br />
FOTOS: SPK HOLSTEIN, DPA<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
40<br />
PERSPEKTIVEN<br />
INDIEN<br />
Öffnung unter Vorbehalt<br />
Ausländische Banken drängen weiter Richtung Finanzplatz Indien. Zugangshemmnisse behindern<br />
jedoch den Markteintritt. Indiens Notenbank stellt jetzt vorsichtige Liberalisierungen in Aussicht.<br />
n VON KLAUS HAUPTFLEISCH<br />
Die indische Wirtschaft wurde im Sog<br />
Chinas zügig liberalisiert, der Bankensektor<br />
harrt jedoch noch seiner Entfesselung.<br />
Zwar hatte die damalige von<br />
der Nationalen Demokratischen Allianz<br />
unter Führung der nationalistischen<br />
Hindupartei BJP gebildete Regierung im<br />
März 2004 verfügt, ausländischen Kreditinstituten<br />
den Weg nach Indien spürbar<br />
zu erleichtern. Auslandsbanken sollten<br />
demnach ohne wesentliche Beeinträchtigung<br />
Zweigstellen eröffnen, Tochterinstitute<br />
in Indien gründen und sich mit<br />
bis zu maximal 74 Prozent am Kapital<br />
einheimischer Kreditinstitute beteiligen<br />
dürfen. Das aber steht immer noch mehr<br />
oder weniger auf dem Papier.<br />
Denn seit der politischen Machtübernahme<br />
im selben Jahr durch die United<br />
Progressive Alliance (UPA) unter Führung<br />
des Indian National Congress betreibt<br />
die indische Zentralnotenbank,<br />
die Reserve Bank of India, eine hochgradig<br />
eigenständige Politik, die auffallend<br />
wenig Rücksicht auf die formal neuen<br />
Rechte der Auslandsbanken nimmt. Beispielsweise<br />
wurde der Einstieg der britischen<br />
HSBC Bank bei der indischen UTI<br />
Bank erst genehmigt, als die Briten den<br />
zu erwerbenden Kapitalanteil von ursprünglich<br />
20 auf nur noch<br />
14,7 Prozent reduzierten.<br />
Zudem verweigerte die<br />
Reserve Bank of India der<br />
andernorts in Asien im Bankensektor<br />
stark engagierten<br />
US-amerikanischen Brokerfirma<br />
Newbridge-Gruppe<br />
eine Beteiligung an der angeschlagenen<br />
einheimischen<br />
Global Trust Bank (GTB<br />
Bank). Stattdessen wurde<br />
eine Fusion dieses maroden<br />
Kreditinstituts mit der staatlichen<br />
indischen Oriental<br />
Bank of Commerce (OB) quasi<br />
angewiesen.<br />
Diese protektionistische<br />
Marschrichtung wird mittlerweile<br />
auch in Indien<br />
selbst kritisiert, weil sie Auslandsinvestitionen<br />
vor allem<br />
in eher unterkapitalisierte<br />
indische Banken erschwert<br />
oder uninteressant macht.<br />
Das Kreditgewerbe des Subkontinents<br />
insgesamt fürchtet jedoch die ausländische<br />
Konkurrenz. Es stößt damit sogar<br />
auf Verständnis der Welthandelsorganisation<br />
(WTO), die der restriktiven Erteilung<br />
von Banklizenzen vorerst noch<br />
ihren Segen erteilt. Trotzdem hat die internationale<br />
Banking Community in Indien<br />
inzwischen bereits einen Fuß in der<br />
Tür. Immerhin sind derzeit 34 Auslandsinstitute<br />
vor Ort präsent – und das mit<br />
310 Geschäftsstellen. Am Bankfilialnetz<br />
Indiens insgesamt gemessen, decken sie<br />
damit allerdings nur einen Marktanteil<br />
von 0,4 Prozent ab.<br />
Ausländer mit winzigem Marktanteil<br />
Namhafte Akteure sind darunter – etwa<br />
die britischen Kreditinstitute HSBC, Standard<br />
Chartered und Royal Bank of Scotland.<br />
Außerdem die amerikanische Citigroup,<br />
die französische BNP Paribas, die<br />
Deutsche Bank und die DBS Group aus<br />
Singapur, einer der führenden Finanzdienstleister<br />
Asiens.<br />
Und weitere Ausländer drängen auf den<br />
indischen Markt mit seinen 1,2 Mrd. Menschen.<br />
Derzeit stehen 18 neue Auslandsbanken<br />
vor der Tür. Noch aber dominiert<br />
weiterhin Restriktion. Selbst den in Indien<br />
bereits zugelassenen ausländischen<br />
Instituten wurden im vergangenen Jahr<br />
Szene aus dem Bollywood-Film „Monsoon Wedding“: Indiens Filmindustrie<br />
ist längst auf den internationalen Märkten angekommen. Auf dem<br />
reglementierten Bankenmarkt ist aber noch viel nachzuholen. FOTO: DPA<br />
lediglich 15 neue Filialen von der Reserve<br />
Bank of India genehmigt.<br />
Zugleich aber scheint bei der Zentralnotenbank<br />
die Erkenntnis zu reifen, dass sich<br />
eine zunehmende Integration des Schwellenlandes<br />
Indien in die internationale<br />
Wirtschafts- und Finanzordnung ohne<br />
weitere Öffnung des Bankensektors gegenüber<br />
dem Ausland schwerlich realisieren<br />
lässt. Kürzlich legte sie einen Entwurf zur<br />
Reform des Kreditgewerbes vor, der die<br />
Lizenzvergabe für weitere Bankstellen im<br />
Lande liberalisieren soll. So sollen bereits<br />
ansässige ausländische Kredit institute<br />
leichter an Lizenzen zum Ausbau ihres<br />
Filialnetzes in Indien gelangen können.<br />
Zudem soll ihnen erstmals die Möglichkeit<br />
geboten werden, auf Rupien lautende Obligationen<br />
zu emittieren. Das würde den<br />
Auslandsbanken endlich den indischen<br />
Kapitalmarkt zur Refinanzierung öffnen.<br />
Notenbank kontrolliert Geschäfte<br />
Zum Nulltarif gibt es die erweiterten Geschäftsmöglichkeiten<br />
indessen nicht. Die<br />
ausländischen Kreditinstitute dürfen ihr<br />
Indien-Engagement künftig nicht mehr<br />
von der Zentrale im jeweiligen Mutterland<br />
aus, sondern allein durch eine eigenständige<br />
Tochter auf dem Subkontinent<br />
steuern. Die Reserve Bank of India<br />
will so offenbar ihre Kontrolle über die<br />
Auslandsbanken und deren<br />
Geschäfts gebaren verstärken<br />
und diese Institute den<br />
indischen Banken gleichstellen.<br />
Dazu gehört die Beachtung<br />
der strengen Eigenkapitalvorschriften<br />
Indiens sowie<br />
die Auflage, das Filialnetz<br />
künftig stärker in den ländlichen<br />
Raum auszuweiten<br />
– ein Liberalisierungsprogramm<br />
auf Sparflamme, da<br />
der Marktneuzugang offenbar<br />
weiterhin beeinträchtigt<br />
bleibt. Ashvin Parekh,<br />
Finanzmarktexperte der Unternehmensberatung<br />
Ernst<br />
& Young in Mumbai glaubt<br />
zumindest, dass von den<br />
Plänen der indischen Notenbank<br />
vor allem ausländische<br />
Banken profitieren,<br />
die schon länger in Indien<br />
engagiert sind.<br />
<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
PERSPEKTIVEN 41<br />
Indische Hochzeitsdekorationen:<br />
Das<br />
Land nimmt gut ein<br />
Fünftel des weltweiten<br />
Goldangebots auf,<br />
90 Prozent davon<br />
werden zu Hochzeitsschmuck<br />
verarbeitet.<br />
Vor allem im Herbst<br />
steigt die Goldschmucknachfrage,<br />
denn dann heiraten<br />
viele Paare. <br />
<br />
FOTO: DPA<br />
EDELMETALLE<br />
Nicht nur Gold glänzt<br />
Ein Blick auf Märkte und Produktionsbedingungen zeigt: Der Goldpreis wird kaum mehr unter<br />
1000 US-Dollar fallen. Allerdings ist auch ein starker Preisanstieg bei Silber wahrscheinlich, vor<br />
allem wenn die Anlageoptionen für das Edelmetall vielfältiger werden.<br />
Etwa 2600 Tonnen Gold wurden im<br />
vergangenen Jahr gefördert, davon<br />
40 Prozent in Südafrika. 2011 ist mit<br />
etwa der gleichen Fördermenge zu rechnen,<br />
und der Weltmarktbedarf ist damit<br />
bei Weitem nicht gedeckt. Bei Anlegern<br />
steigt die Nachfrage wegen der hohen Risiken<br />
an den Finanzmärkten.<br />
Der Preisspielraum<br />
nach oben<br />
dürfte bei<br />
Silber erheblich<br />
größer<br />
sein als bei<br />
Gold.<br />
Die Schmuckindustrie benötigt<br />
das Edelmetall, und die Zentralbanken<br />
horten Gold wieder<br />
als zusätzliche Reserve.<br />
Daher muss Gold heute schon<br />
in Tiefen bis zu 4000 Metern<br />
abgebaut werden Im Mittel<br />
enthält jede Tonne goldhaltigen<br />
Gesteins 20 Gramm Gold.<br />
Förderung und Produktion<br />
sind derart teuer, dass sich<br />
ein Abbau bei einem Preis von<br />
weniger als 750 US-Dollar je<br />
Feinunze kaum noch lohnt.<br />
Die Goldförderer haben erst vor etwa vier<br />
Jahren wieder damit begonnen, neue<br />
Vorkommen zu erschließen<br />
Indien nimmt mehr als ein Fünftel<br />
des weltweiten Goldangebots auf. Nach<br />
China werden in diesem Jahr etwa<br />
750 Tonnen Gold fließen. Chinas Staatsbank<br />
stockt ihre Goldreserven kontinuierlich<br />
auf, und die vermögend gewordenen<br />
Chinesen behängen sich gern mit<br />
Goldschmuck. Weitere 400 Tonnen fließen<br />
auf den drittgrößten Goldmarkt USA,<br />
auch Italien und die Türkei sind starke<br />
Abnehmer. Auch wegen gestiegener Einkommen<br />
in Brasilien und Russland zeigt<br />
der Goldpreis substanziell – mal stärker,<br />
mal flacher – nach oben. Leichte Preiskorrekturen<br />
sollten zum Ausbau oder<br />
Einstieg genutzt werden und jede seriöse<br />
Anlage in Gold wird mittelfristig ertragreich<br />
sein. Ein Goldpreis von unter 1000<br />
US-Dollar pro Feinunze ist in<br />
einem absehbaren Zeitraum<br />
nicht vorstellbar.<br />
Ein Slogan in der Edelmetallbranche<br />
lautet: ,Gold wird gehortet,<br />
Silber verarbeitet.‘ Silber<br />
ist wegen seiner thermischen<br />
Supraleitfähigkeit ein gefragter<br />
industrieller Rohstoff,<br />
der etwa in der Medizintechnik,<br />
der Elektro- und IT-Industrie<br />
breite Verwendung findet.<br />
Noch wird etwa die Hälfte der<br />
Produktion für das Prägen von<br />
Silbermünzen benötigt. Lediglich<br />
25 Prozent des Silbers finden in der<br />
Schmuckherstellung Verwendung. Vor<br />
allem in China gewinnt Silberschmuck<br />
immer stärker an Bedeutung. Aktuell<br />
liegt dort der Pro-Kopf-Verbrauch zwar<br />
erst bei 1/70 des amerikanischen Bedarfs.<br />
Doch auch die industrielle Silbernachfrage<br />
steigt derzeit zwischen sechs und acht<br />
Prozent pro Jahr und wird binnen der<br />
kommenden fünf Jahre auf etwa zehn<br />
Prozent anwachsen.<br />
Die erreichbaren globalen Silbervorkommen<br />
werden aktuell auf etwa eine<br />
Mrd. Unzen geschätzt, obwohl das Metall<br />
rechnerisch 20 Mal häufiger in der<br />
Erdkruste vorkommt als Gold. Doch ein<br />
Großteil des Silbers liegt unter dem Meeresspiegel.<br />
Die gesicherten Goldvorkommen<br />
liegen mit etwa fünf Mrd. Unzen weit<br />
darüber.<br />
Die Silbernachfrage steigt<br />
Weil bisher keine neuen Silbervorkommen<br />
bekannt sind, muss in Zukunft vor<br />
allem stark auf recyceltes Silber zurückgegriffen<br />
werden, das aber nur sehr begrenzt<br />
zur Verfügung steht. Auch die<br />
Mengen des bei der Kupferproduktion<br />
als sogenannter Anodenschlamm anfallenden<br />
Silbers sind begrenzt. Hinzukommt,<br />
dass die Industrieverarbeiter aus<br />
Kostengründen bis vor kurzer Zeit kein<br />
Silber bevorratet, sondern je nach aktuellem<br />
Bedarf eingekauft haben. Nun werden<br />
mindestens die für einen oder zwei<br />
Monat benötigten Mengen gekauft.<br />
Allein deshalb dürfte der Preisspielraum<br />
nach oben bei Silber erheblich<br />
größer sein als bei Gold. Bei einem aktuellen<br />
Marktpreis um die 37 US-Dollar<br />
je Feinunze empfiehlt es sich aber nicht,<br />
physisches Silber zu halten. Zwar sind<br />
Silbermünzen nach wie vor der Kaufhit,<br />
aber auch deswegen, weil es im Gegensatz<br />
zu Gold noch an Anlageoptionen<br />
fehlt. Werden solche etabliert, wird aus<br />
Anlagesicht der Run auf Silber sehr stark<br />
ansteigen.<br />
Reiner Merkel<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
42<br />
PERSPEKTIVEN<br />
EUROPÄISCHE ZENTRALBANK<br />
Test-Stress in Frankfurt<br />
Während der Kreditkrise machte die Europäische Zentralbank eine souveräne, vielfach gelobte<br />
Figur. Entschlossen stützte sie Banken, gekonnt bändigte sie panische Finanzmärkte. Doch an der<br />
Schuldenkrise der Eurozone droht sich der Frankfurter Riese – nicht ohne eigene Schuld – zu<br />
verheben. Muss die Bank gar bald selbst gerettet werden?<br />
n VON TITUS KRODER<br />
Trichet setzt ihnen endlich die Pistole<br />
an die Schläfe. Wen wundert das?“,<br />
fragt ein Anleihenstratege bei<br />
einem Londoner Vermögensverwalter.<br />
Für den langjährigen<br />
Experten für Euro-<br />
Staatsanleihen steht<br />
fest, dass Jean-Claude<br />
Trichet konkret ahnt,<br />
was seiner Europäischen<br />
Zentralbank<br />
(EZB) blüht, wenn er<br />
nicht schnell eine endgültige<br />
Widerstandslinie<br />
zieht. Es droht nicht<br />
weniger als die Implosion<br />
des Vertrauens in<br />
die Notenbank als wehrtüchtige<br />
Hüterin der Gemeinschaftswährung.<br />
Und so blockiert der<br />
grauhaarige Franzose<br />
– seit acht Jahren EZB-<br />
Präsident und bislang<br />
erfolgreiche Steuermann<br />
der Inflationsrate der Eurozone<br />
– seit Wochen jeglichen<br />
Versuch, den erneut<br />
klamm gewordenen Griechen<br />
einen „weichen“ Rettungs-Deal<br />
einzuräumen.<br />
Als Trichets Kontrahenten<br />
dringen Politiker<br />
wie der deutsche Finanzminister<br />
Wolfgang Schäuble<br />
angesichts der neuen Milliardenlöcher<br />
im Athener<br />
Haushalt darauf, einfach die<br />
Schulden des Landes um sieben<br />
Jahre zu strecken. Diese<br />
in Expertenkreisen „soft bailout“<br />
getaufte Prozedur würde<br />
zwar Investoren in Griechen-<br />
Anleihen schröpfen. Aber den<br />
großen Knall – den Staatsbankrott<br />
eines Eurolandes<br />
mit allen Folgebeben an den<br />
globalen Finanzmärkten, das<br />
Zerbrechen der Eurozone gar<br />
Düster: Die EZB trägt derzeit<br />
Risiken, die die Kapitalbasis um<br />
das Vielfache übertreffen.<br />
– könnte, so hofft zumindest Schäuble,<br />
damit noch verhindert werden.<br />
Doch Europas Chef-Notenbanker<br />
hat nach zwei Jahren Euro-Krisenmanagement<br />
sichtlich die Nase voll von<br />
halbgarem Lavieren außerhalb seiner<br />
eigentlichen Zuständigkeit. Dabei war<br />
es Trichet selbst, der sich, ohne es von<br />
Amts wegen zu müssen – ja sogar, ohne<br />
es nach Ansicht von Puristen wie Ex-<br />
Bundesbank-Chef Axel Weber zu dürfen<br />
–, tief in die Rettung Griechenlands,<br />
Irlands und Portugals vor dem Haushaltskollaps<br />
eingeschaltet hat. Für rund<br />
70 Mrd. Euro hat die EZB allein Athener<br />
Staatschuldpapiere gekauft, um die<br />
Märk te zu stabilisieren. Für weitere 40<br />
Mrd. Euro dürfte sie dubiose Wertpapiere<br />
von griechischen Banken als Pfand für<br />
Notfall finanzierungslinien angenommen<br />
haben. Ähnlich eifrig half die EZB den übrigen<br />
Problemfällen Irland und Portugal.<br />
Und nun soll sich die Euro-Notenbank,<br />
vollgesogen mit riskanter Fracht, auch<br />
noch einen „Hair cut“ gefallen lassen,<br />
eine massive Wertminderung der Bonds<br />
in ihren Büchern, wenn die Griechenschulden<br />
gestreckt werden sollten.<br />
EZB bricht mit eigenen Grundsätzen<br />
„Pas du tout!“ Trichet und seiner Mannschaft<br />
dämmert längst die für die EZB<br />
alles entscheidende Frage: Welche Autorität<br />
würde eine nach den Statuten unabhängige<br />
Notenbank noch haben, die<br />
sich von der Politik zuerst zur Hilfe in der<br />
Euro-Krise breitschlagen und dann auch<br />
noch von ihr finanziell skalpieren lässt?<br />
EZB-Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini<br />
Smaghi kommt seinem Chef zu Hilfe<br />
und nennt eine Umschuldung oder Streichung<br />
der Schulden mit Blick auf die sich<br />
daran anknüpfende Marktpanik denn<br />
auch „die Todestrafe – die wir in Europa<br />
eigentlich abgeschafft haben“.<br />
Noch ist es zwar nicht soweit: Doch der<br />
EZB-Chef weiß, dass auch die Kräfte einer<br />
Notenbank endlich sind. Die Bank der<br />
Banken könnte kaum tiefer im Ansehen<br />
an den Märkten fallen, würde sie angesichts<br />
der unbekömmlichen Diät aus<br />
Schrottpapieren europäischer Peripherie-Staaten<br />
bald selbst einen „Bail-out“<br />
benötigen. „Deshalb versucht Trichet wie-<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
PERSPEKTIVEN 43<br />
der normaler Geldpolitiker zu werden,<br />
statt immer weiter in die Kapitänsrolle<br />
auf einem Rettungsboot zu rutschen“,<br />
sagt ein Beobachter der Notenbank.<br />
Überhaupt dürften dem seit 2003 in<br />
Frankfurt amtierenden 69-jährigen EZB-<br />
Chef, der im Oktober an den Italiener<br />
Mario Draghi übergeben wird, dieser Tage<br />
die Lehrsätze lupenreiner Notenbanktheorie<br />
durch den Kopf gehen. Etwa der, dass<br />
Haushaltspolitik auf keinen Fall Aufgabe<br />
einer Zentralbank sein darf, die lediglich<br />
über die richtige Zinspolitik, die Teuerungsrate<br />
einer Währung zu steuern hat.<br />
Doch der gelernte Bergbauingenieur<br />
aus Lyon hat, wenn auch widerwillig, zugestimmt,<br />
als es vor gut einem Jahr daran<br />
ging der EZB zu erlauben, die riskanten<br />
Staatspapiere der überschuldeten Euromitglieder<br />
en masse aufzukaufen. Der<br />
einstige Mitarbeiter im Pariser Finanzministerium<br />
hat sogar zugelassen, dass<br />
die Regel aufgeweicht wird, wonach<br />
die EZB Kredite an Banken in Finanzierungsnöten<br />
ausgeben darf, dafür aber<br />
ausschließlich erstklassige Sicherheiten,<br />
etwa deutsche Staatsanleihen akzeptiert.<br />
Allerhand Papiere dubioser Bonität unterhalb<br />
der Best-Note „AAA“ hortet Frankfurt<br />
seither. Wie und an wen die EZB die<br />
Bonds und mit allerhand diffusen Werten<br />
unterlegten Verbriefungs-Papiere,<br />
deren künftiger Wert heute kaum feststellbar<br />
ist, wieder los wird, steht noch in<br />
den Sternen.<br />
Und ein Ende des umstrittenen Krisenmanagements<br />
aus Frankfurt ist nicht<br />
abzusehen. Denn der Bedarf der Banken<br />
an täglichem Kredit aus Frankfurt ist<br />
nach wie vor spektakulär. Jeden Montag<br />
vergibt die Notenbank über sogenannte<br />
Repo-Transaktionen ihre kurzfristigen<br />
Notfallmittel an den Bankensektor – derzeit<br />
zum Zins von 1,25 Prozent. Momentan<br />
greifen hier wöchentlich rund 230<br />
Institute bei der sogenannten Emergency<br />
Liquidity Assistance zu – ein Gesamtvolumen<br />
von zuletzt rund 116 Mrd. Euro.<br />
Selbst während den dramatischsten Tagen<br />
der Bankenkrise, als die Institute aus<br />
Angst vor faulen Immobilienpapieren<br />
Konkurrenten kein Geld mehr ausliehen,<br />
gab es kaum mehr Anfragen bei der EZB.<br />
„Das bedeutet aber, dass etwa ein Drittel<br />
aller Banken der Eurozone derzeit sich<br />
so stark gegenseitig misstrauen, dass sie<br />
sich nicht, wie in normalen Zeiten, mit<br />
kurzfristigen Kreditlinien aushelfen“,<br />
schlussfolgert Ted Scott, Ökonom des<br />
Vermögensverwalters Foreign & Colonial.<br />
Papiere mit dubioser Bonität<br />
Völlig überraschend ist das nicht. In der<br />
Branche ist bekannt, dass mehr als 40<br />
Prozent der Staatspapiere Griechenlands,<br />
Irlands und Portugals bei französischen,<br />
britischen und deutschen Banken lagern.<br />
Unter den deutschen Instituten haben<br />
vor allem die Hypo Real Estate mit knapp<br />
acht Mrd. Euro sowie die Commerzbank<br />
Hilft nur noch beten? EZB-Präsident<br />
Jean-Claude Trichet sorgt sich um sein<br />
Institut.<br />
FOTOS: DPA<br />
mit drei Mrd. Euro griechischen Staatsanleihen<br />
an Bord. Und angesichts der tiefgehenden<br />
Einbindung der EZB in das laufende<br />
Krisenmanagement – griechische<br />
Institute wie National Bank of Greece,<br />
ABG oder Piräus Bank stehen bei ihr inzwischen<br />
mit über 90 Mrd. Euro in der<br />
Kreide – gerät auch der bilanzielle Unterbau<br />
der Frankfurter Notenbank immer<br />
stärker in den sorgenvollen Blick von Experten.<br />
Von der größten „Bad Bank“ der<br />
Welt ist bei Skeptikern inzwischen angesichts<br />
der massiven Schuldenrisiken der<br />
Frankfurter die Rede. Anders als etwa die<br />
Bank of England oder das US-Gegenstück<br />
Fed achtet die EZB durch entsprechende<br />
Verkäufe streng darauf, dass ihre Wertpapierkäufe<br />
nicht die Geldbasis der Eurozone<br />
vergrößern, was die Inflation anheizen<br />
würde – auch wenn diese Praxis erst<br />
recht zur raschen Ansammlung gefährlicher<br />
Bilanzposten führt.<br />
Doch wie belastbar ist die EZB, wie lange<br />
kann sie die Krise durchstehen? Einer<br />
soeben veröffentlichten Studie des Forschungsinstituts<br />
Open Europe zufolge<br />
bleibt den Zentralbankern um Trichet<br />
inzwischen nur noch beängstigend wenig<br />
Spielraum. So verfügt die EZB derzeit<br />
über gut 81 Mrd. Euro an Kapital, das von<br />
den Mitgliedsländern der Eurozone eingezahlt<br />
wurde. Dem stehen, so rechnet<br />
die Studie vor, 1895 Mrd. an riskanten<br />
Vermögenspositionen in der Bilanz gegenüber.<br />
„Die Bank hat damit derzeit also<br />
das 23-fache Risiko gemessen an ihrer<br />
Kapitalbasis. Zum Vergleich: Eine Notenbank<br />
wie die der Schweiz liegt bei diesem<br />
Verhältnis etwa beim Sechsfachen. Selbst<br />
für ihre Risikofreude bekannte Hedgefonds<br />
sind nicht stärker als um den Faktor<br />
fünf verschuldet“, erläutert Mats Pers -<br />
son, Autor des Stress Tests für die EZB.<br />
Die Sorgen, die sich mittlerweile viele<br />
Beobachter um die Notenbank machen,<br />
werden greifbar, wenn man annimmt,<br />
dass Griechenland auch nur die Hälfte<br />
seiner Verbindlichkeiten umschulden<br />
müsste. Dies könnte bei der EZB einen<br />
Verlust von gut 65 Mrd. Euro aus lösen, so<br />
Ökonom Persson. „Ein Loch dieser Größenordnung<br />
würde wohl die effektive Insolvenz<br />
der EZB herbeiführen“, vermutet<br />
der Experte. Auch wenn Verluste dieser<br />
Größenordnung nicht das gesamte Kapital<br />
der Bank aufbrauchen, so würde das<br />
Risiko gemessen an der stark dezimierten<br />
Basis auf das bis zu 123-fache steigen. „In<br />
diesem Zustand wird man wohl jedes<br />
Geschäft als zahlungsunfähig ansehen.<br />
Man darf nicht vergessen, dass Lehman<br />
Brothers eine Schuldenquote von 30 hatte<br />
als die Bank unterging“, schreibt der<br />
Think Tank Open Europe.<br />
Im Notfall wird nachgeschossen<br />
Doch die EZB ist andererseits nicht irgendeine<br />
beliebige privatwirtschaftliche<br />
Bank. Eine drastische Wertberichtigung<br />
in ihren Büchern würde nicht direkt zum<br />
Kollaps führen. Die Notenbank müsste –<br />
will sie ihr Kapitalproblem nicht à la longue<br />
durch Inflation des Euro lösen – vielmehr<br />
in großem Umfang frisches Kapital<br />
von den Mitgliedsländern der Eurozone<br />
anfordern. Diese sind qua Euro-Vertrag<br />
zum Nachschuss der benötigten Mittel<br />
verpflichtet. Deutschland als größter Teilhaber<br />
des Euro-Systems müsste ein knappes<br />
Drittel der benötigten Mittel liefern.<br />
Zwischen zwölf und 18 Mrd. Euro besagt<br />
das Rechenexempel von Open Europe<br />
könnte auf den deutschen Fiskus zukommen<br />
– zusätzlich zu den bereits beschlossenen<br />
Multimilliarden-Rettungspaketen.<br />
Trichets befürchtetes Waterloo wäre mit<br />
dem EZB-Nachschuss perfekt. Welchen<br />
Respekt hätte eine Notenbank noch, die<br />
selbst zum Intensivpatienten ihrer eigenen<br />
Strategie geworden ist? Hatte die<br />
Bank nicht erst im vergangenen Jahr in<br />
einem Arbeitspapier formuliert: „Wie finanziell<br />
robust eine Notenbank im Markt<br />
wahrgenommen wird, hat größten Einfluss<br />
darauf, wie glaubhaft sie dort agieren<br />
kann.“<br />
n<br />
Griechische Staatsschulden<br />
Bei europäischen Banken in Mrd. Euro<br />
19,4 National Bank of Greece<br />
10,0 ABG<br />
8,4 Piräus Bank<br />
7,9 Hypo Real Estate<br />
7,5 EFG Eurobank<br />
5,4 GPSB<br />
5,0 BNP Paribas<br />
4,6 Alpha Bank<br />
3,5 Dexia<br />
3,0 Commerzbank<br />
26,0 Sonstige<br />
101,1 Total<br />
Quelle: Foreign & Colonial Investments<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
44<br />
PERSPEKTIVEN<br />
US-HYPOTHEKENKRISE<br />
Hybris und Nemesis<br />
Staatsanwälte in den Vereinigten Staaten gehen immer energischer gegen Banken vor. Vordergründig<br />
geht es darum, mögliche Straftaten im Vorfeld der Finanzkrise aufzudecken. Zudem<br />
sollen medienwirksame Auftritte den Chefermittlern den Weg zu politischen Karrieren bahnen.<br />
n VON RICHARD HAIMANN<br />
Die Summe scheint akzeptabel, das<br />
Renditepotenzial verlockend: Im Juli<br />
2006 verkündet die Deutsche Bank die<br />
bevorstehende Übernahme des börsennotierten<br />
Real Estate Trusts Mortgage-IT.<br />
429 Mio. US-Dollar zahlten die Frankfurter<br />
für den großen Hypothekenkreditgeber,<br />
der zu dieser Zeit kräftig am<br />
boomenden Eigenheimmarkt in den Vereinigten<br />
Staaten verdient. Immobiliendarlehen<br />
im Gesamtwert von 29,2 Mrd.<br />
US-Dollar hatte die Holding im Jahr zuvor<br />
ausgereicht.<br />
Risiken gab es scheinbar keine: Schließlich<br />
garantiert die US-Regierung über eigene<br />
Behörden für sämtliche Kredite von<br />
Mortgage-IT. „Wir glauben, dass große<br />
Chancen bestehen, am US-Hypothekenmarkt<br />
weitere Produkte und Dienstleistungen<br />
anzubieten.“ Mit diesen Worten<br />
feierte Anshu Jain, Leiter der Investmentsparte<br />
der Deutschen Bank und Mitglied<br />
ihres Group Executive Committees, damals<br />
den Zukauf.<br />
Forderung von 386 Mio. Dollar<br />
Heute freut sich in den Frankfurter Doppeltürmen<br />
des Instituts niemand mehr<br />
über den Deal. Auf Schadenersatz in Höhe<br />
von rund einer Mrd. US-Dollar verklagt<br />
Manhattans Staatsanwalt Preet Bharara<br />
die Bank. Der Vorwurf: Mortgage-IT<br />
habe auch Kredite an Immobilienkäufer<br />
geringer Bonität vergeben – obwohl der<br />
Hypothekenfinanzierer gewusst habe,<br />
dass die se Subprime-Kunden mittelfristig<br />
nicht in der Lage gewesen seien, die<br />
Darlehen zu bedienen.<br />
Die damit erschlichenen Garantien hätten<br />
die amerikanischen Regierung seit<br />
Beginn des Zusammenbruchs am Eigenheimmarkt<br />
386 Mio. US-Dollar gekostet.<br />
„Hunderte weitere Millionen Dollar“, argumentieren<br />
die Anklagevertreter, dürften<br />
hinzukommen. Den Schaden – plus<br />
einer Strafzahlung – müsse die Deutsche<br />
Bank begleichen.<br />
Der Frankfurter Konzern und seine<br />
Tochter, so diktierte Bharara Journalisten<br />
in den Stenoblock, „haben die schlimmsten<br />
der üblen Kreditvergabepraktiken<br />
der Branche vorgenommen“. Zwar gab<br />
sich Vorstandschef Josef Ackermann bei<br />
der Hauptversammlung im Mai kämpferisch:<br />
Das Institut würde von den US-<br />
Behörden „zu Unrecht angegriffen“ und<br />
werde sich „mit allen gebotenen Mitteln<br />
zur Wehr setzen“. Fast sämtliche fraglichen<br />
Kredite, argumentieren Vertreter<br />
der Bank in Hintergrundgesprächen,<br />
seien von Mortgage-IT vergeben worden,<br />
bevor die Holding im Jahr 2007<br />
endgültig an das Frankfurter<br />
Bankhaus ging. Gleich nach<br />
der Übernahme seien derartige<br />
Vergabepraktiken unterbunden<br />
worden.<br />
Doch damit wäre die Deutsche<br />
Bank lediglich moralisch für die<br />
Vorfälle nicht verantwortlich.<br />
Strafrechtlich sehe das ganz<br />
anders aus, sagt eine Sprecherin<br />
der Staatsanwaltschaft in<br />
Manhattan: „Nach US-Recht haftet<br />
der Aufkäufer einer börsennotierten<br />
Gesellschaft auch für<br />
all ihre früheren Gesetzesverstöße.“<br />
Und Bhararas Anklage ist<br />
nicht das einzige Problem der<br />
Deutschen Bank in den USA.<br />
Inzwischen ist sie auch in das<br />
Fadenkreuz der Ermittlungen des New<br />
Yorker Generalstaatsanwalts Eric Schneiderman<br />
geraten – ebenso wie etliche<br />
andere große Geldhäuser, darunter die<br />
Bank of America, Goldman Sachs, Morgan<br />
Stanley und weitere ausländische<br />
Institute wie die Royal Bank of Scotland<br />
und die Schweizer UBS.<br />
Im Jahr drei nach Ausbruch der Finanzkrise<br />
sind die USA für Banken zum<br />
heißen Pflaster geworden. Die Strafverfolgungsbehörden<br />
stellen die Institute an<br />
den Pranger. „In Umfragen genießen Gebrauchtwagenhändler<br />
mehr Ansehen als<br />
wir“, stöhnt ein führender Manager einer<br />
europäischen Bank hinter vorgehaltener<br />
Hand. „Wäre dies eine kleine Volkswirtschaft<br />
– wir hätten uns längst aus den<br />
USA zurückgezogen.“ Doch im<br />
wichtigsten Finanzmarkt der<br />
Welt sei Präsenz gefragt – koste<br />
es an Imageproblemen und Vergleichszahlungen,<br />
was es wolle.<br />
Bei Schneidermans Untersuchungen<br />
geht es jetzt um die<br />
Verbriefungen von Hypothekendarlehen<br />
in der Zeit des<br />
Immobilienbooms und um<br />
fragwürdige Wetten auf dessen<br />
Ende. Kurz: „Um die Hybris und<br />
die Nemesis der Banken in der<br />
US-Hypothekenkrise“, wie es im<br />
Büro des Generalstaatsanwalts<br />
heißt. Für die Anmaßung hätten<br />
die Banken gesorgt, als sie<br />
in den Jahren vor der Finanzkrise<br />
Hypothekendarlehen verbrieft<br />
und aus ihnen derivative<br />
Instrumente geschaffen hätten,<br />
ohne deren Inves toren über die tatsächlichen<br />
Risiken der Produkte zu informieren.<br />
Die Rolle der Göttin des gerechten<br />
Zorns aus der griechischen Mythologie<br />
wollen die Ermittler nun selbst einnehmen.<br />
Zum Synonym all ihrer Vorwürfe ist<br />
Abacus 2007-AC1 geworden – ein Immobilienkreditderivat,<br />
das die Investmentbank<br />
Goldman Sachs vor rund<br />
Vergleiche mit den Justizbehörden sind kein Schutz<br />
Vergleiche mit den US-Justizbehörden schützen<br />
Banken nicht vor weiteren Zivilprozessen.<br />
In den Vergangenheit haben Aktionäre in<br />
ähnlichen Fällen wiederholt Sammelklagen<br />
gegen die Finanzinstitute angestrengt, um<br />
Schadenersatzzahlungen für erlittene Einbußen<br />
durch Aktienkursverluste oder reduzierte<br />
Dividenden einzufordern. „Diese Gefahr<br />
besteht auch bei den derzeitigen Ermittlungen<br />
der Staatsanwälte wegen der Immobilienkrise“,<br />
Forcierte im Jahr<br />
2006 den Kauf des<br />
US-Hypothekenkreditgebers<br />
Mortgage-IT:<br />
Anshu Jain, Leiter<br />
der Investmentsparte<br />
der<br />
Deutschen Bank<br />
sagt der auf internationales Kapitalanlagerecht<br />
spezialisierte Jurist Andreas Tilp. Neben<br />
den Banken selbst könnten theoretisch auch<br />
Vermittler verklagt werden, die ihren Kunden<br />
Aktien der Finanzinstitute zur Anlage empfohlen<br />
haben. Deutsche Sparkassen dürften<br />
dabei jedoch nicht gefährdet sein. Denn nach<br />
dem US-Kapitalmarktrecht sind Sammelklagen<br />
nur zulässig, wenn die Aktien an US-Börsen<br />
erworben wurden.<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
PERSPEKTIVEN 45<br />
vier Jahren mit dem Hedgefonds-Manager<br />
John Paulson aufgelegt hat. Investoren<br />
konnten mit dem Instrument auf<br />
eine Fortsetzung des Booms an<br />
den Eigenheimmärkten der Vereinigten<br />
Staaten wetten. Was sie<br />
nicht wussten: Paulson nahm<br />
die Gegenposition ein. Als die<br />
Blase platzte, zählte sein Fonds<br />
zu den wenigen Gewinnern.<br />
Rund 3,7 Mrd. US-Dollar Profit<br />
strich Paulsons Investmentvehikel<br />
ein. Derweil gerieten rund<br />
um den Globus immer mehr<br />
Aufkäufer derartiger Papiere in<br />
den Mahlstrom des implodierenden<br />
US-Eigenheimmarkts.<br />
Allein in Deutschland musste<br />
die Bundesregierung mehr als<br />
100 Mrd. Euro an Kapitalspritzen<br />
und Garantien aufwenden,<br />
um Institute wie die IKB und die<br />
Depfa samt ihrer Mutter Hypo<br />
Real Estate vor dem Zusammenbruch<br />
zu bewahren.<br />
Die obersten New Yorker Ankläger haben<br />
nun etliche jener Banken zu Anhörungen<br />
vorgeladen, die damals Hypothekendarlehen<br />
verbrieft und an andere<br />
Investoren verkauft haben. Sie müssen<br />
Informationen über die von ihnen kreierten<br />
Finanzprodukte aus Immobilienkrediten<br />
offenlegen. Anders als in<br />
Deutschland sind Staatsanwälte in den<br />
USA nicht verpflichtet, be- und entlastendes<br />
Material gegen Verdächtige zu<br />
sammeln. Ihre Aufgabe besteht einzig<br />
darin, belastendes Material zusammenzutragen.<br />
Und wer in ihren Fokus gerät,<br />
ist gesetzlich verpflichtet, alle gewünschten<br />
Informationen zu liefern: „Die Gegner<br />
müssen die sie belastenden Beweise<br />
selbst vorlegen“, erläutert der auf internationales<br />
Kapitalanlagerecht spezialisierte<br />
Anwalt Andreas Tilp.<br />
Für die Staatsanwälte geht es nicht nur<br />
um Gerechtigkeit, sondern auch um die<br />
eigene Karriere. Beide Anklagevertreter<br />
sind Mitglieder der demokratischen<br />
Partei, die ihren Präsidenten Barrack<br />
Obama bei der Wahl in zwei Jahren<br />
im Amt bestätigt sehen will. Bank-<br />
Bashing – das verbale oder auch juristische<br />
Eindreschen auf die Banken –<br />
„kommt bei den meisten Wählern derzeit<br />
gut an“, sagt ein republikanischer Kongressabgeordneter.<br />
Staatsanwälte bekleiden Wahlämter<br />
Seine Partei steht den großen Geldhäusern<br />
zwar näher als die Demokraten.<br />
Öffentlich zu ihren Gunsten Stellung beziehen<br />
wollen die Vertreter der konservativen<br />
Partei jedoch nicht. Schließlich<br />
haben auch von ihren eigenen Wählern<br />
zu viele Häuser und Geld in der Krise verloren.<br />
Jüngst erst hatten Vertreter beider<br />
Parteien in einem Ausschuss des US-Senats<br />
die Finanzindustrie wegen fragwürdiger<br />
Hypothekengeschäfte öffentlich an<br />
„Wir werden alle<br />
Institute zur<br />
Rechenschaft<br />
ziehen, die gegen<br />
Gesetze verstoßen.“<br />
New Yorker<br />
Generalstaatsanwalt<br />
Eric Schneiderman<br />
den Pranger gestellt: „Bei unseren Untersuchungen<br />
sind wir auf eine Schlangengrube<br />
voller Gier, Interessenskonflikte<br />
und Missetaten gestoßen.“<br />
Und: Staatsanwälte bekleiden<br />
in den USA Wahlämter, die<br />
in der Vergangenheit oftmals<br />
Sprungbretter zu noch viel größeren<br />
Posten waren. Schneidermans<br />
direkter Vorgänger,<br />
Andrew Cuomo, ist heute Gouverneur<br />
von New York.<br />
Auch Harvard-Absolvent<br />
Schneider man werden Ambitionen<br />
auf höhere Weihen nachgesagt.<br />
Seit der 56-Jährige im<br />
November vergangenen Jahres<br />
sein Amt angetreten hat, lässt er<br />
fast täglich auf der Internetseite<br />
der Behörde neue Ermittlungen<br />
gegen diverse Unternehmen<br />
ankündigen und Verfahrenserfolge<br />
vermelden.<br />
Jüngst erst gegen die UBS. Die<br />
Schweizer Bank erklärte sich in<br />
einem Vergleich bereit, 90,8 Mio. US-Dollar<br />
wegen betrügerischen Verhaltens bei<br />
Geschäften mit Bondderivativen zulasten<br />
von US-Bundesstaaten und Kommunen<br />
zu zahlen. „Wir werden derartiges<br />
Verhalten nicht tolerieren“, ließ Schneiderman<br />
daraufhin die Amerikaner wissen<br />
und kündigte zugleich an, in seinen<br />
Ermittlungen gegen die Banken weiter<br />
nachzulegen: „Ich werde die ganze Kraft<br />
dieser Behörde nutzen, um all jene Institute<br />
in Rechenschaft zu ziehen, die gegen<br />
Gesetze verstoßen.“<br />
Goldman droht erneute Strafe<br />
Preet Bharara – „Robin Hood der Wall Street“<br />
Nach seiner Anklage gegen die Deutsche Bank<br />
ist der New Yorker Staatsanwalt Preet Bharara<br />
auch in Deutschland kein Unbekannter mehr.<br />
In den USA hatte sich der erst seit August 2009<br />
amtierende Staatsanwalt bereits länger mit<br />
markigen Sprüchen als Liebling der Medien<br />
inszeniert. Bharara verfolgt „eine Mission“,<br />
wie etwa die „Financial Times Deutschland“<br />
anerkennend schreibt. Er und seine 200<br />
Anwälte und Ermittler wollten nicht nur dem<br />
Insiderhandel an der Wall Street den Garaus<br />
machen. „Sie wollen auch in der gesamten Finanzindustrie<br />
aufräumen.“ Der erst 42-jährige<br />
Staatsanwalt hat sich auch mit anderen Größen<br />
Die UBS, sagt ein Mitarbeiter Schneidermans,<br />
dürfe die Worte auch an sich<br />
adressiert verstehen. Ein geschlossener<br />
Vergleich garantiere keinen Schutz vor<br />
weiteren Ermittlungen und Zahlungen.<br />
Das erfährt gerade Goldman Sachs. Im<br />
Sommer vergangenen Jahres hatte sich<br />
die Investmentbank wegen Abacus 2007-<br />
AC1 mit der US-Börsenaufsicht SEC verglichen<br />
und 550 Mio. US-Dollar gezahlt,<br />
um eine Klage abzuwenden. Nun ermittelt<br />
New Yorks Generalstaatsanwalt in<br />
genau dieser Sache erneut gegen das Finanzinstitut.<br />
<br />
n<br />
der Branche angelegt, worauf sich sein Ruf<br />
als „Robin Hood der Wall Street“ begründet.<br />
Bharara verklagte den Finanzbetrüger Bernard<br />
Madoff und nahm sich den Hedgefonds-Manager<br />
Raj Rajaratnam vor, der des Insiderhandels<br />
bezichtigt wird. Gegenüber der Presse<br />
schimpfte Bharara über die Spekulanten, die<br />
den Menschen in der Finanzkrise „den Glauben<br />
an die amerikanischen Institutionen“ geraubt<br />
hätten. Der Staatsanwalt ist Mitglied der<br />
demokratischen Partei, die seit einiger Zeit mit<br />
so genanntem Banker-Bashing um Wählerstimmen<br />
buhlt. Beobachter sagen ihm eine<br />
politische Karriere voraus.<br />
Vertreter des gerechten Zorns: Staatsanwalt Preet Bharara (l.) bei einer Präsentation von<br />
Insidergeschäfts-Klagen gegen Hedgefonds-Manager.<br />
FOTOS: DPA, CORBIS<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
46<br />
LITERATUR<br />
WIRTSCHAFTSMODELLE<br />
Der neue Wohlstand<br />
Der Nachhaltigkeitsexperte Tim Jackson stellt<br />
das Streben nach Wachstum infrage. Nicht alle<br />
Thesen sind neu, dennoch leistet sein Band<br />
einen wichtigen Beitrag zur Debatte.<br />
n VON MIRKO HEINEMANN<br />
Was ist Wohlstand? Für<br />
Angehörige der Nachkriegs-Generation<br />
in Europa<br />
lag die Antwort auf der<br />
Hand. Wohlstand hatte ein<br />
materielles Gesicht: Nie mehr<br />
hungern. Ein großes Haus besitzen.<br />
Ein Auto. Einen Farbfernseher.<br />
Der Weg dorthin<br />
war klar: Wirtschaftswachstum.<br />
Rauchende Schlote.<br />
Brummende Förderbänder.<br />
Wohlstand ohne Wachstum<br />
Leben und wirtschaften<br />
in einer<br />
endlichen Welt,<br />
Tim Jackson,<br />
Oecom Verlag<br />
2011, 293 Seiten,<br />
19,95 Euro<br />
Nun scheint der Zenit überschritten<br />
und die Grenze des<br />
Wachstums erreicht, zumindest<br />
in den Industriestaaten.<br />
Statt materieller Wünsche<br />
rücken andere Bedürfnisse<br />
langsam in den Vordergrund:<br />
Sicherheit, saubere Luft, sinnvolle<br />
Beschäftigung, sozialer<br />
Frieden. Sind dies die Kennzeichen<br />
für den Wohlstand<br />
von morgen?<br />
Tim Jackson versucht in<br />
seinem aktuellen Buch eine<br />
postindustrielle Definition<br />
von Wohlstand zu entwickeln.<br />
Als Professor für nachhaltige<br />
Entwicklung an der Universität<br />
Surrey und Leiter der<br />
Kommission für nachhaltige<br />
Entwicklung der britischen<br />
Regierung ist er Anhänger<br />
des „Green New Deal“. Gerne<br />
zitiert er den ehemaligen Premierminister<br />
Gordon Brown.<br />
Der hatte vom „Zeitalter der<br />
Verantwortungslosigkeit“<br />
gesprochen, der Ära der Bedrohungen<br />
durch soziale<br />
Schieflagen und der Zerstörung<br />
von Landschaften durch<br />
Überfischung, Artensterben,<br />
Bedrohungen durch soziale<br />
Schieflagen.<br />
Jackson möchte den globalen<br />
Turbokapitalismus durch<br />
eine soziale und nachhaltige<br />
Marktwirtschaft ersetzen.<br />
Doch er weiß, dass es unrealistisch<br />
wäre, anzunehmen,<br />
„man könne Emissionen und<br />
Ressourcenverbrauch tiefgreifend<br />
senken, ohne sich<br />
mit der Struktur der Martwirtschaften<br />
auseinanderzusetzen“.<br />
Seine Gedanken hierzu sind<br />
nicht ganz neu. Er regt eine<br />
Umverteilung von Arbeit an,<br />
eine neue Investitionskultur,<br />
die Umstellung auf eine<br />
arbeitsintensive Dienstleistungswirtschaft.<br />
So etwas<br />
lässt sich aber nicht gegen<br />
den Willen der Bevölkerung<br />
durchsetzen.<br />
Nachhaltigkeit ist als ökonomisches<br />
Thema nicht erst seit<br />
der Finanzkrise aktuell. Das<br />
Umdenken zeigt sich hierzulande<br />
in Entscheidungen wie<br />
dem Atomausstieg, es findet<br />
seinen Ausdruck in den Wahlerfolgen<br />
der grünen Partei.<br />
Gleichzeitig wächst in den<br />
Unternehmen die Bedeutung<br />
alternativer Produkte, von<br />
Nachhaltigkeit, Corporate Social<br />
Responsibility und Green<br />
Economy.<br />
Nationale Sicht ist veraltet<br />
Aber klar ist auch: Die nationale<br />
Sichtweise ist überholt.<br />
Armut, Kriege, Flüchtlingsproblematik,<br />
Umweltgifte<br />
oder Atomunfälle – Bedrohungen<br />
sind global. Global<br />
muss demnach auch das<br />
Ins trument zur Bekämpfung<br />
sein. Hier hakt es leider bei<br />
Tim Jackson. Gleichwohl ist<br />
sein Buch ein wichtiger Beitrag<br />
in der Debatte um die<br />
Ökonomie von morgen. <br />
Großes Haus und Fernseher: Das Wohlstands- und Wachstumsmodell<br />
der Nachkriegsära hat sich in reichen Ländern überlebt. Arme Länder<br />
brauchen indes dringend Wachstum.<br />
FOTO: DPA<br />
„Wachstum muss dort herrschen, wo es<br />
gebraucht wird“ – Fragen an den Autoren<br />
SPARKASSE: Mr. Jackson,<br />
warum sollen wir unser Verständnis<br />
von Wirtschaft überdenken?<br />
Prof. Tim Jackson: Die konventionelle,<br />
wachstumsbasierte<br />
Wirtschaft ist in den<br />
reichsten Ländern an ihre<br />
Grenzen gelangt. Der Wohlstand<br />
wurde mit der Ausbeutung<br />
unserer Ressourcen<br />
und einer weitreichenden<br />
Umweltzerstörung erkauft<br />
– unterstützt von einem ungerechten<br />
Finanzsystem,<br />
das die globale Wirtschaft<br />
an den Rand des Zusammenbruchs<br />
gebracht hat.<br />
Und dieser ganze Überfluss<br />
macht die Industrieländer<br />
nicht einmal glücklicher. In<br />
armen Ländern sieht es anders<br />
aus: Es muss Entwicklung<br />
geben, um die Armut<br />
zu bekämpfen. Wir brauchen<br />
ein Wirtschaftsmodell,<br />
das Wachstum dort schafft,<br />
wo er gebraucht wird.<br />
Wie sieht Ihre Definition von<br />
Wohlstand aus?<br />
Jackson: Wohlstand bedeutet,<br />
dass es einem gut geht,<br />
dass man entsprechend seinen<br />
Hoffnungen und Erwartungen<br />
leben kann. Befragt<br />
man Menschen danach,<br />
zählen sie folgende Faktoren<br />
auf: Gesundheit, Familie,<br />
Freunde, eine saubere Umwelt,<br />
die Möglichkeit gesellschaftlicher<br />
Teilhabe,<br />
einen Lebenssinn. Dies mit<br />
Einkommenszuwachs erreichen<br />
zu wollen, wäre naiv.<br />
Wir untergraben die Hoffnung,<br />
wenn wir unsere Wirtschaft<br />
über die ökologische<br />
Kapazität unseres Planeten<br />
hinauswachsen lassen.<br />
Sehen Sie Chancen auf einen<br />
Denkwandel in der Bevölkerung?<br />
Jackson: Der Wandel findet<br />
bereits statt. In den<br />
reichen Volkswirtschaften<br />
wird diskutiert, wie man<br />
nach der Finanzkrise weitermachen<br />
soll. Es gibt ernsthafte<br />
Ansätze, unsere Maßeinheit<br />
für den Fortschritt<br />
neu zu definieren. Es gibt<br />
Initiativen zur Reformierung<br />
des Finanzsystems<br />
und für ethisches Investment.<br />
Konzerne beginnen<br />
zu verstehen, dass sie ihr Geschäftsmodell<br />
überdenken<br />
müssen. Nun müssen die Politiker<br />
den Strukturwandel<br />
unterstützen. Vor allem unter<br />
den jungen Menschen ist<br />
die Lust auf Veränderungen<br />
groß.<br />
<br />
Sieht „Lust auf Veränderungen“:<br />
britischer Nachhaltigkeitsprofessor<br />
und Autor Tim<br />
Jackson.<br />
FOTOS: PRIVAT, DPA<br />
S P A R K A S S E J U L I 2 0 1 1
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