BL&A | Berliner Leben & Arbeit Bundesweit
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
LEBEN<br />
seine Filialen in Petersburg und Jekaterinburg<br />
vorläufig schließen musste.<br />
Erst Anfang Oktober überraschte Außenminister<br />
Sergej Lawrow seinen<br />
deutschen Kollegen Steinmeier mit der<br />
Zustimmung, das Institut könne eröffnet<br />
werden. Nur ein halbes Jahr später hat<br />
das Goethe-Institut ein 75-Quadratmeter-Büro<br />
bezogen; bis Ende des Jahres<br />
soll ein vollgültiges Institut entstehen,<br />
geleitet von der Sinologin Julia Hanske.<br />
Es tritt neben die Einrichtungen, die in<br />
Nowosibirsk ohnehin schon bestehen:<br />
ein deutscher Lesesaal sowie zwei<br />
deutsche Sprachlernzentren. Sie bereiten<br />
auf Sprachtests vor, die das Siegel<br />
des Goethe-Instituts tragen und oft die<br />
Hürde sind, die auswanderungswillige<br />
Russlanddeutsche zu nehmen haben.<br />
Deutsch unterrichtet wird auch am<br />
Gymnasium Nr. 3 von Akademgorodok,<br />
der Wissenschaftsstadt vor den<br />
Toren Nowosibirsks. Man fährt eine<br />
Weile dorthin, vorbei am „Ob-Meer“,<br />
dem großen Stausee; aus der Ferne<br />
wirken Hunderte von Eisfischern wie<br />
Pinguin-Schwärme. Die Stadt wurde<br />
in den 1950ern gegründet als eine Art<br />
sowjetisches Harvard. Es war eine geschlossene<br />
Stadt und zugleich eine<br />
Oase der Freiheit: Hier konnte offiziell<br />
über den Prager Frühling diskutiert<br />
werden, hier konnte man Mandelstams<br />
Gedichte auf Wandzeitungen lesen, bevor<br />
es sie in Buchform gab. Nach dem<br />
Ende der Sowjetunion gingen viele<br />
Wissenschaftler nach Amerika. Nun<br />
kämpft man darum, die Forschung in<br />
wirtschaftliche Anwendungen umzusetzen.<br />
Softwarefirmen haben sich angesiedelt,<br />
westliche Kunden lassen sich<br />
ihre Webauftritte gestalten.<br />
Vor dem Gymnasium, in den verschneiten<br />
Ästen der Waldstadt, zwitschern<br />
die Vögel den Frühling herbei,<br />
drinnen herrscht die Ödnis einer offiziellen<br />
Feierstunde. Den braven Schülern<br />
hat man weiße T-Shirts übergestreift,<br />
darauf sind Deutschlandfahnen und die<br />
schönen Worte Partnerschaft und Zukunft<br />
zu sehen. Ihr Gymnasium ist in<br />
ein Förderprogramm des Auswärtigen<br />
Amtes aufgenommen worden, die Freude<br />
darüber sollen sie in rhythmischem<br />
Sprechgesang äußern. Plötzlich löst<br />
sich alle Steifheit, die leeren Worte des<br />
Rituals werden mit Sinn gefüllt. Große<br />
und kleine Schüler rappen mit echter<br />
Hingebung und großem Charme Verse<br />
über sich selbst, die sie in holprigem<br />
Deutsch gereimt haben. Den Auftritt<br />
haben sie am Vortag geübt, mit einem<br />
deutschen Rapperduo. Sänger The Big<br />
LeBasti, der die Wollmütze tief ins<br />
Gesicht gezogen hat, ist sichtlich gerührt.<br />
Er kann gar kein Russisch, aber<br />
er hat sich selbst den Schülern genauso<br />
vorgestellt, in auswendig gelernten<br />
russischen Reimen. Seither war das<br />
Eis gebrochen. Während er das noch<br />
erzählt, bricht hinter ihm eine musikalische<br />
Blechlawine los. Die bayrische<br />
Gruppe LaBrassBanda tutet durch den<br />
Saal, die Schüler tanzen wieder, ganz<br />
spontan. Man wagt nicht, sich auszumalen,<br />
welches Deutschlandbild gerade<br />
in diesen Schülerköpfen geformt wird;<br />
Deutschland, die Spaßwalze Europas,<br />
ein zweites Jamaika. Das Goethe-<br />
Institut Nowosibirsk soll selbst keine<br />
Sprachschüler unterrichten, sondern<br />
die Sprachvermittlung indirekt fördern,<br />
über die Ausbildung von Lehrern. Und<br />
über den Kulturaustausch: Ausstellungen,<br />
Filmreihen, besonders aber von<br />
Künstleraufenthalten verspricht man<br />
sich offenbar viel. Warum, das wurde<br />
auf der Ausstellung des Fotografen Andreas<br />
Herzau und der Künstlerin Jovana<br />
Popovic - beide waren ein paar Wochen<br />
da - allerdings nicht richtig klar. Überfüllt<br />
war die Ausstellung trotzdem, vor<br />
allem mit Studentinnen und Studenten<br />
der Architektur-Hochschule. Wahrscheinlich<br />
hat sie Konstantin Skotnikow<br />
mobilisiert: Der Künstler, der an<br />
der Hochschule lehrt, ist mit seinen<br />
Rundmails gewissermaßen ein Institut<br />
für sich, eine Figur, die die gesamte<br />
örtliche junge Szene zusammenhält.<br />
Im Hof seines Hauses, nicht weit vom<br />
Leninplatz und der Oper entfernt, hat er<br />
eine eigene Galerie eröffnet. Eigentlich<br />
ist es bloß eine Blech-Autogarage, wie<br />
es sie in russischen Innenhöfen früher<br />
zu Dutzenden gab. Zusammen mit dem<br />
Wiener Künstler Lukas Pusch hat er sie<br />
gereinigt und aufgebockt, so dass sie wie<br />
ein kleiner Tempel dasteht. Was man<br />
wegen des hohen Schnees allerdings<br />
schlecht sehen kann. Obendrauf ein<br />
Holzschild mit dem Schriftzug „White<br />
Cube Gallery“, die Glühbirnen darum<br />
herum sind geklaut. Neulich, sagt Skotnikow,<br />
haben sie in der Galerie 24 Ausstellungen<br />
in 24 Stunden gezeigt. Der<br />
Name - „unsere sibirische Antwort auf<br />
Saatchi“ - und die Idee stammten von<br />
Lukas Pusch. „Ein absolut bourgeoiser<br />
Name“, kritisiert Wjatscheslaw Misin,<br />
der neben Skotnikow steht und wie er<br />
zur Künstlergruppe Blue Noses gehört.<br />
„Schreibt lieber ‘White Shit‘ drüber!“<br />
Und dann witzelt er giftig über den<br />
mutlosen Liberalismus in der Kunst,<br />
„so‘n Goethe-Geist, mit Ausstellungen,<br />
die keine Fragen stellen und keine Fragen<br />
lösen“. Kein Zweifel, diese Stadt<br />
hat genug kritische Masse, dass sie ein<br />
Goethe-Institut verdient hat. •<br />
16 BL&A Wirtschaft