Grundmuster von Lern- und Übungsfeldern in Bildschirmspielen

Kampffische. Wegen der Vielfältigkeit und Gefährlichkeit
der Bedrohungen sind »Extrawaffen«
unverzichtbar. Nur machtvoll gerüstet,
kann der Spieler sein »Überleben« sichern. Angefeuert
durch »fetzige« Musik und berauscht
durch die Wirkkraft seiner »mächtigen Waffen«
entfaltet sich Schritt für Schritt eine »futuristische
Weit«, die Aufmerksamkeit, Konzentrationskraft
und Handlungsgeschick erfordert, um
darin länger als wenige Sekunden »leben« zu
können. Mit Geschicklichkeit und Reaktionsschnelligkeit
allein ist es jedoch nicht getan. Der
Spieler muß vielmehr sorgfaltig die Umgebung
beobachten, auch kleinste Details - trotz der
enormen Streßsituation - wahrnehmen, ihre Bedeutung
herausfinden und für das Vorankommen
im Spiel nutzbar machen. 9
E. empfindet sich, wie die Spielfigur in
»TuRRlCAN II«, als Einzelkämpfer in einer
bedrohlichen Welt, in der er sich erst einen
Platz erkämpfen muß. Dazu verhelfen ihm
»Extrafähigkeiten«. wie das Erlernen der deutschen
Sprache, der Hauptschulabschluß und
eine Berufsausbildung. E. kam erst vor vier
Jahren nach Deutschland, wo er auf eine
fremde Kultur traf, die er sicherlich zu Beginn
nur schwer einschätzen konnte und in der er
sich daher ständig neuen gefahrvollen Situationen
ausgesetzt fühlte - ganz ähnlich unserem
»Held« in »)TuRRICAN II«.
Neben dieser Parallelität stehen sicherlich
auch die filmischen Identifizierungsmuster von
F.. (wie z. B. »Rambo«) in deutlichem Zusammenhang
zu seiner Vorliebe für »TuRRICAN 11«.
Auch »Rambo« muß sich als Einzelkämpfer mit
einer Welt von Feinden beschäftigen. Mit Hilfe
von» ThRRICAN II« kann sich E. sowohl zu den
Problemen in seiner Lebenswelt als auch zu den
ihn betreffenden Handlungsmustern seiner
Idole in Spielfilmen in Beziehung setzen. Der
Jugendliche E. findet sich sowohl in den
Rambo-Filmen wieder wie auch im Videospiel
»TuRRICAN II«. weil in beiden medialen Angeboten
etwas von der Problematik seines eigenen
Lebens aufscheint.
Das Interesse von E. am Autofahren drückt
sich auch in der Vorliebe für bestimmte Autofahrsimulationen
aus. Autofahren verbindet er
mit Freiheit und findet es allgemein »cool«. Wie
bei »ThRRICAN 11« kommt es auch bei Autofahrsimulationen
darauf an, schnell zu reagieren und
seinen »elektronischen Stellvertreter« zu beherrschen.
Diese Vorliebe für das Autofahren
9 Nähere Informationen zu diesem Spiel finden sich in
Fehr. Wolfgang und Fritz. Jürgen: Compute~spiele
auf dem Prüfstand, Bundeszentrale für politische Bildung,
Bonn 1992.
und für entsprechende Simulationen teilt E. mit
vielen anderen Jugendlichen.
d) Dies gilt auch für S .• 16Jahre alt, vor drei
Jahren aus Afghanistan. wegen des dort herrschenden
Bürgerkrieges, nach Deutschland gekommen.
Das Lieblingsspiel von S. ist »LOTUS
TuRBO CHALLENGE« (Abb.13 + 14), das er am
liebsten zusammen mit seiner Freundin spielt.
Dieses Spiel drückt in besonderer Weise Sichtweisen,
Vorlieben, Berufswünsche und private
Lebensvorstellungen von S. aus. Der Jugendliche
hat in bezug auf sein Leben ausgeprägte
Zielvorstellungen. Sein Berufswunsch ist Kfz­
Mechaniker. Dafür besucht er die Abschlußklasse
einer Hauptschule mit dem Ziel, die Mittlere
Reife zu erlangen. S. träumt aber auch davon,
vielleicht das Abitur zu schaffen, um dann
studieren und Pilot werden zu können. Seine
Schwester ist mit einem Piloten verheiratet.
Ausgeprägte Zielvorstellungen finden sich auch
in »LoTUS TuRBO CHAU.F.NGE«. Man muß alles
daran setzen, reChtzeitig zum jeweiligen Ziel zu
gelangen. Dabei darf man keine Zeit verlieren,
muß konzentriert die anderen Fahrzeuge und
die Fahrbahn im Auge behalten. Neben der
Konzentration spielt auch der Übungseffekt bei
der Bewältigung des Spiels eine entscheidende
Rolle. S. ist davon überzeugt, daß er mit Konzentration
und Übung in Schule und Berufswelt
alles schaffen könne.
Neben der deutlichen Parallelität der Handlungsmuster
in der Fahrzeugsimulation und dem
eigenen Handeln in der Lebenssituation spielt
auch die symbolische Bedeutung des Autos und
des Autofahrens für S. eine wichtige Rolle. S.
mag sehr gerne Autos. Im Spiel stellt er sich vor,
mit seiner Freundin im Auto zu sitzen und verfolgt
zu werden. Er fühlt sich stark. wenn er das
Spiel spielt und dabei immer schneller und besser
wird. »LOTUS TuRBO CHALLENGE« bietet dem
Jugendlichen u. a. die Möglichkeit, um aus den
von seinen Eltern auferlegten Normen spielerisch
und damit ohne Konsequenzen auszubrechen.
Die Beziehung zu seiner Freundin, von
der seine Eltern nichts wissen dürfen. weil sie sie
ansonsten verbieten würden. kann der Jugendliche
im Videospiel phantasievoll auf einer symbolischen
Ebene ausleben.
Das Videospiel »LOTUS TuRBO CHALLANGE«
bietet für S. die Möglichkeit, zwei unterschiedliche,
ja einander entgegengesetzte Motivbereiehe
miteinander zu versöhnen. Im Spiel kann
er metaphorisch seine berufliche Zielorientierung
(Schulabschluß und Berufsausbildung)
ebenso »leben« wie seinen Wunsch, mit seiner
Freundin in »berauschender Fahrt~< der Enge
seiner elterlichen Normen zu entkommen, ohne
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